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Die schwarze Schlange
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eBook265 Seiten3 Stunden

Die schwarze Schlange

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Über dieses E-Book

Mitten in den Bergen Serbiens wird k.u.k.-Offizier Niki von Schlögl von seiner Vergangenheit eingeholt, als er auf Sina, seine ehemalige Geliebte trifft. Um einen Waffenschmuggel aufzuklären hatte sich der Offizier damals unter falschem Namen ins Örtchen Plewlje begeben, eine Liebelei mit Sina begonnen und sich so das Vertrauen der Einheimischen erschlichen. Doch der Plan, den Schmuggel aufzuklären, misslang und von Schlögl wurde nach Wien zurückbeordert. Jetzt schwört Sina Rache und droht, den Schwindel auffliegen zu lassen. Doch dazu kommt es nicht: Sina wird ermordet und Niki von Schlögl muss beweisen, dass er nicht der Mörder ist.-
SpracheDeutsch
HerausgeberSAGA Egmont
Erscheinungsdatum20. Jan. 2020
ISBN9788711507421
Die schwarze Schlange

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    Buchvorschau

    Die schwarze Schlange - Rudolf Stratz

    www.egmont.com

    1.

    Die schwarze Schlange kroch — ein Menschenalter ist’s her — leise züngelnd, lautlos und langsam unter dem flammendblauen Sommerhimmel des Balkans durch das glühende Karstgeröll dahin. Sie war gut sieben Fuss lang und dick wie der Oberschenkel eines Mannes. Ein k. u. k. österreichischer Leutnant in der lichtblauen Uniform des 5. bosnisch-herzegowinischen Infanterieregiments musterte auf dem Saumweg aus dem Sattel des zottigen Gäulchens durch sein Fernglas die endlos gewellte, fahl bleigraue Bergwildnis und bekam das Reptil in den Sehwinkel der Linse. Sein hübsches, schnurrbärtiges, schon vorher von allerlei Gedanken überschattetes Gesicht verdüsterte sich noch mehr.

    „Was hast denn schon wieder, Niki?" Es klang hell und ein wenig besorgt an seiner linken Seite.

    „Guck mal den z’widern Wurm dort drüben an, Maruschka!" Er reichte finster seiner jungen Frau das Glas. Sie hielt zu Pferd neben ihm, im Damensitz, in weisser Bluse und dem langen, grauen Rock der Mode zu Anfang dieses Jahrhunderts. Unter dem blauen Sonnenschleier des Strohhuts wandte sich ihr weiches Wiener Gesicht in der Richtung nach der schwarzen Schlange.

    „Jetzt so an Mistviech!" sagte sie harmlos. Der Habsburger Leutnant hob nervös spähend seine schwippe, schmalschultrige und dünnhüftige, scharf in der Taille eingekerbte Gestalt in den Bügeln. Er murmelte:

    „Weisst, wo die schwarze Schlange kriecht, Maruschka? Genau auf der Grenze zwischen Bosnien und der Türkei. Wir sind hier noch in östreichischen Okkupationsgebiet. Dort drüben, hundert Schritte von hier, fängt die Türkei erst richtig an. Dort soll das fade Geschöpf bleiben! Was braucht das zu und herüberzuschlupfen?"

    „Geh — seit net so grantig, Niki! Die Maruschka sah mit strahlenden Augen, vergnügt wie ein kleiner Spitzbub, zu ihrem Mann empor. „Was ist denn das nur mit dir? Die ganzen vier Wochen, seit wir verheiratet sind, warst du so fidel wie sich’s gehört. Und seit ein paar Stunden, seitdem wir im Stabsquartier Mittag gemacht haben . . . Was haben’s denn um Gottes willen mit dir dort in Grahovo ang’fangen?

    „Ach — ’s is weiter nix, Schatzerl!"

    Und während der k. u. k. Leutnant das sprach, ging es ihm durch den Kopf: morgen um die Zeit, Niki, bist du vielleicht schon tot und sie dürfen die Messen für deine arme Seel’ lesen . . . Wann sie’s tun — bei einem Selbstmörder . . .

    „Wir haben doch heut’ im Truppenlager nur zu dritt gegessen — wir beide und dein Regimentskommandant! sagte die junge Frau, die zart und schlank, elastisch aufgerichtet im Sattel sass. „Und der war doch so arg lieb. Ich hab’ doch dabeigesessen und alles gehört, was der Oberst gesprochen hat. Nur Schmeichelhaftes für dich! Dass sie einen so hoch qualifizierten Offizier wie dich, der bisher schon dem Evidenzbüro des Wiener Generalstabskorps zugeteilt gewesen war, in sein Regiment transferiert hätten — hat er gesagt . . .

    ,. . . Morgen um diese Zeit musst du dich vielleicht erschiessen . . .‘ dachte sich stumm ihr Mann, der Niki.

    „ . . . das sei eine Auszeichnung ebenso für das Regiment wie für dich, hat der Oberst gesagt. Denn nirgends sei in Friedenszeiten der k. u. k. Dienst so verantwortungsvoll wie gerade hier an der bosnisch-türkischen Militärgrenze. Die hübsche, junge Wienerin legte die Hände, die die Zügel hielten, zusammen. „Jesses . . . Er schaut immer noch nach der grossen, schwarzen Schlange!

    „Was hat das Luder gerade auf mich zuzukriechen — gerade aus dem türkischen Sandschak Novibasar heraus! Der Oberleutnant sprach es halblaut und unruhig zwischen den Zähnen. „Aus der grauslichsten Gegend auf dem ganzen Balkan! . . . Das ist wie eine Vorbedentung . . .

    „Wofür denn, Jesusmariandjosef! Die kleine Leutnantsfrau schaute sich zufrieden in der starren, baum- und strauchlosen Öde um, in der sich, Bergkette hinter Bergkette, das gewaltige Rundbild Montenegros, Makedoniens, Serbiens und Bosniens entrollte. „Ich kenn’ dich heut’ gar net wieder, du Tschaperl! Sei doch froh! Die Welt ist doch so schön . . .

    ,Leb wohl, du schöne Welt . . . Leb wohl, du liebe, liebe, liebe Maruschka . . .‘ brütete es da drüben dumpf im Kopf unter dem Tschako.

    „Der Himmel ist blau, Niki. Die Sonne heiss. Wir sind auf der Hochzeitsreise!"

    „Die ist heut’ zu End’! Heute noch kommen wir in unsere Garnison am End’ der Welt, wo sich Fuchs und Wolf Gutenacht sagen!"

    „Ich bin doch bei dir! sagte die Maruschka und in ihren sonst so lustigen braunen Augen lag ein warmer, gläubiger Glanz. „Ich hab’ Wien Adjö gesagt und dem Elternhaus und der Ringstrasse und dem Stefansdom und allem — wegen dir — und geh’ mit dir durch Dick und Dünn, wo sie dich auch hinschicken, und fürcht’ mich nicht vor Flöh’ und Wanzen und Räubern und Mücken und nix, sondern bin ’ne tapfere österreichische Offiziersfrau, die dir nie etwas vorheulen wird. Aber da derfst du auch net jetzt wie ein Leichenbitter auf deinem Gaul hocken! Lach doch, Niki — geh lach doch mal!

    Und nun lächelte wirklich das Gesicht des Leutnants Niki, und das war sein altes, sein wahres Gesicht, so wie ihn alle in Wien und sonst in k. u. k. Garnisonen und vom Hörensagen aus unzähligen Geschichten und Gerüchten von abenteuerlichen Händeln kannten — ein rechtes, fesches k. u. k. Leutnantsgesicht, leichtsinnig, liebenswürdig, lebenslustig — das, was die Frauen im alten Österreich liebten, ein Gesicht mit einem weichsamtnen Blick, der die Frauen verstand. Und dahinter verhalten noch ein zweites Etwas, als ob der Niki gegen Männer sehr unangenehm werden könnte, wenn sie ihm in den Weg kamen — die Kaltblütigkeit eines, der sich — aber bitt’ schön, schon sehr gründlich — auf Raufhändel mit Säbel und Pistole verstand. Und wie seine Züge wieder ernst wurden, da kam auf ihnen der dritte Mensch, der dritte Niki heraus — kein Leutnant des alten Kaisers Franz Josef, der sein junges Leben mit süssen Madeln verplemperte oder im Kaffeehaus verträumte. Klug schaute er jetzt aus, sehr klug und sehr energisch im Dienst und voll Ehrgeiz. Und aus Ehrgeiz heraus voll Unruhe, irgend etwas ganz Ungewöhnliches zu leisten. Der schlafende, still verwegene Zug im Gesicht — den konnte er nicht bannen.

    Das war das Holz, aus dem sie in der Wiener Hofburg, in der Militärkanzlei Seiner Apostolischen Majestät die Herren schnitzten, deren Namen als Auserwählte im „Schematismus" des österreichisch-ungarischen Heeres prangten. Dem Niki war in Bälde der Hut mit grünem Federbusch und der dunkelgrüne Rock des Generalstabshauptmanns sicher und später einmal, wenn Gott der Herr ihm wohlwollte, die zwei Distinktionssterne des Feldmarschalleutnants rechts und links am roten Kragen.

    Und das alles für die Katz’ — dachte sich in einem Anfall von stummer Verzweiflung der Leutnant Niki — seit ein paar Stunden für die Katz’! Wozu gibt es die Waffenfabrik in Steyr? Wozu gibt es die vorgeschriebene Armeepistole, die man sich an der rechten Stelle — ja nicht zu weit nach vorn! — an die Schläfe setzt? Drück’ nur zu, Niki . . . morgen . . . morgen . . . Dann ist’s vorbei! Wenn nur der hochwürdige Herr Feldsuperior keine Schwierigkeiten mit dem kirchlichen Begräbnis macht . . .

    Fünfzig Schritte weiter aufwärts harrte auf der kahlen Höhenkuppe im Gänsemarsch eine Reihe von struppigen und schweissnassen Saumtieren der täglich unter Militärbedeckung verkehrenden Tragtierpost. Die hintersten der schwer belasteten Berggäulchen schleppten in Koffern und Kisten das Umzugsgut des Niki und seiner jungen Ehefrau, und auf jedem Gepäckstück stand vorschriftsmässig sein Name: „Leutnant Nikolaus Schlägl Edler von Bruckwehr". Ein backofenheisser Wind wehte aus den Tausenden von sonnendurchglühten Steinblöcken über die Öde. In ihm flatterten zwischen den roten Stirnbinden der eingeborenen Treiber die Rosshaarbüsche von den Tschakos der zum Schutz mitreitenden Mannschaft der Traintruppe. Sie trug die Mannlicher Repetierstutzen schussbereit über die kaffeebraunen Waffenröcke gehängt. Der sie befehligende Korporal legte beide Hände an die bärtigen Lippen und schrie durch das Pfeifen des Windes:

    „Meld’ ich g’horsamst, Herr Leutnant: Darf sich kein Reisender hinter Militäreskorte zaruckbleiben. Is sich weggen die Räuber . . . bitt’ schön . . . halten zu Gnaden!"

    „I komm schon!" antwortete Niki von Schlägl geistesabwesend. Er und seine Frau ritten im Schritt als die letzten. Plötzlich fühlte er von Sattel zu Sattel ihre kleine, warme Hans in seiner Linken. Es war ein banger Druck. Ihre helle Stimme bat besorgt:

    „Niki — was is dir denn um Jesu willen angeflogen, dass du so verändert bist? Geh — so red’ doch!"

    „Nix is, Schatzerl! Rein gar nix!" Der Leutnant von Schlägl fuhr aus seinem Brüten auf und schüttelte entschlossen den Kopf und lachte. Das war wieder die alte Stimmung aus der schönen, wilden Leutnantszeit bei dem Niki: Wien und der Kaiser! Die schöne blaue Donau und der Radetzkymarsch! Weiber und Säbel! Er schaute seine kleine Frau recht lieb und leichtsinnig an und die konnte nicht widerstehen und lachte mit. Er wusste die Maruschka zu nehmen — er wusste die Frauen alle zu nehmen, im schönen Wien. Er war immer nachsichtigverliebt mit ihnen umgegangen wie mit Katzerln und hatte sie selber mit Samtpfoten getätschelt und ihnen lächelnd die Zähne gezeigt. Das waren die Liebeleien gewesen. Mit den Matschakerln hatte es jetzt ein Ende. Jetzt war die grosse echte Liebe da. Der Leutnant Niki liebte seine junge Frau wirklich aus voller Seele und ganzem Gemüt und wollte ihr ein stets treuer und guter Ehemann sein bis zum Tod. Nur dass der Tod gleich womöglich schon morgen . . . Herrgott . . . ja . . .

    Der Niki schluckte etwas hinunter. Er liess sich nichts mehr merken. Er wies mit dem Zeigefinger über die Pferdeohren hinweg nach vorn.

    „Schlaust da das kleine Gebäude aus Feldsteinen mit den Schiessscharten? Das ist ein k. u. k. Gendarmerie-Wachhaus. Karaula nennem sie’s auf Türkisch."

    „Woher weisst denn das?"

    „Ich war doch schon vor zwei Jahren mal in Bosnien! sprach der Leutnant von Schlägl leichthin. „Auf Urlaub in Serajewo!

    „Ach ja — richtig! Die Maruschka nickte. „Guck’ mal: oben neben den Gendarmen hält zu Pferd ein Offizier von Herzegowina-Infanterie und winkt uns schon von weitem!

    „Weisst, wer das ist? Der Niki befeuerte erfrent seinen Gaul mit Stiefelabsatzstössen in die Flanken. „Der Kienhofer! Mein alter Stubenkamerad vom Theresianum und jetzt wieder mit mir in derselben Kompagnie! Der gute Kerl is uns bei der Viechhitze entgegengeritten, um uns als erster hier zu Land willkommen zu heissen. Da sind wir nicht mehr weit vom Standort! Ja — Servus, Kamillo!

    2.

    Der Oberleutnant Kamillo Kienhofer vom 5. Bosnisch-Herzegowinischen Infanterieregiment war von dem hageren, sehnigen, dunkeläugigen Tiroler Schlag mit der braunen Gesichtsfarbe und der Adlernase über dem schwarzen Schnurrbart. Er liess im Galopp den optischen Signalmast hinter sich, über den durch die ganze Reihe von Gendarmerie-Wachposten längs der Okkupationsgrenze hin bei Tag mit farbigen Fanalen, bei Nacht mit Laternenzeichen die dienstlichen Meldungen aufblinkten, und zeigte beim Heranreiten herzlich die weissen Zähne.

    „Servus, Niki! Er schüttelte dem Kameraden die Rechte. „Hab’ die Ehr’! Küss’ die Hand, Gnädige! Ich hab’ Ihnen da ein Boscherl Blumen mitgebracht. Viel wachst ja hier nicht bei die Rastelbinder!

    „Ach was — Gnädige! rief der Niki Schlägl. „Gleich sagt’s ,Du‘ zueinander! Es ist doch mein ältester Freund aus Wien, Maruschkerl!

    „Schon von der Favoriten her. Aus der Theresianischen Akademie. Da haben s’ uns zusammen erzogen oder es beim Niki wenigstens probiert! Der Oberleutnant Kienhofer wandte sich vertraulich an die junge Frau. „Weisst — das war schon ein Lausbub, dein Mann! Mit dem seinen Streichen damals — da könnt’ man Bände füllen!

    „Und später auch! Glaubt einer, das wüsst’ ich net?" Die hübsche Wienerin lachte.

    „Und hast doch den Mut aufgebracht . . .?"

    „Wie ich ihn gesehen hab’, war ich gleich weg! rief die Maruschka Schlägl stürmisch. „Fesch genug waren andere auch! Und dummes Zeug haben andere auch getrieben! Aber in dem Niki steckt mehr! Das versichern s’ alle! Das fühl’ ich ganz genau! Das hol’ ich bei ihm heraus! Das soll ein lieber, ernster Mensch werden — durch mich!

    „Weisst — das Ernsthafte hat sie nämlich von ihrem Vater! sagte der Niki. „Der is nicht nur ein Holzindustrieller, dem sein Holz hier aus Bosnien und Ungarn bis nach Spanien und weiter geht, sondern im Privatleben ein g’strenger Heiliger! Dem sind wir Östreicher, wie wir sind, gar net recht!

    „Er sagt oft, unterbrach die Maruschka, „wir sind nicht ernst genug in Östreich! Wir nehmen alles zu leicht! Da heisst’s gleich: geh — plausch’ net! Oder: geh — sei net fad’! . . . ,wenn man das Leben vernünftig betrachtet‘, sagt der Vater . . .

    „Der alte Herr is halt durch seine Handelsgeschäfte zeitlebens viel zu viel draussen in der Welt herumgekommen! entschuldigte der Leutnant Niki Schlägl den Schwiegerpapa. „Dadurch is er manchmal so wunderlich!

    „Ich nehm’, so jung wie ich bin, das Leben ernst! beharrte die Maruschka. „Und der Niki soll’s von mir lernen. Wenn er dann mal Excellenzherr is, dann wird er mir’s danken!

    „Da hast das rechte Weiberl erwischt, du Kroat! Der Regimentskamerad lachte herzlich. „Das is gerad’, was du brauchst! Dumm bist ja wahrhaftig net! Das hast jetzt wieder durch deine Wahl bewiesen! Bloss an der Stang’ muss dich eines halten! Ja . . . ehe ich’s vergess’: meine Frau, die Ladislaje, lässt natürlich schön grüssen! Sie hat ihre zwei Schreipeter unten. Sonst wär’ sie gern mit hier heraufgekommen auf die Höhe!

    „Ach — wundervoll ist’s hier!" Die Maruschka Schlägl schaute andächtig über das weite, wildzerrissene, sonnenüberflutete Bergland hin und der Oberleutnant Kienhofer erklärte ihr:

    „Rechts drüben in der Ferne die vielen kahlen weissen Steingipfel — das is der Dormitor. Die Himmelgabel heissen s’ ihn, die Montenegriner — ihren höchsten Berg! Gerad’ vor uns liegt das makedonische Bergland. Das gehört den Türken. Weiter links geht’s hinüber zu die Serben! No — und hier, im bosnischen Karst — da stehen wir, die Östreicher. Alles stösst hier in der Balkanecke am Sandschak Novibasar zusammen. Is schon ein Wetterwinkel!"

    Er fühlte ein leises Zupfen an seinem hechtgrauen Mantelärmel. Der Niki raunte:

    „Reit’ mal ein paar Schritte beiseite! Kannst die Maruschka ruhig lassen. Sie is gang in den Anblick der Gegend vertieft! Und als sie ausser Hörweite waren, heftig, hastig, halblaut: „Was hast ihr eben vom Sandschak Novibasar erzählt?

    „Du lieber Gott — nix! versetzte der Kamerad Kienhofer unschuldig. „Als dass er halt ein z’wideres Stück Schöpfung is! Das wirst schon noch merken, wann du jetzt das Vergnügen hast, mit und die Grenze zu bewachen! Du kennst doch den Sandschak Novibasar noch nicht?

    „Ja — woher sollt’ ich denn?"

    „Bist niemals dort gewesen?"

    „Nein!" rief der Leutnant von Schlägl hart und heftig.

    „Na alsdann! Lassen wir’s Also — was gibt’s denn eigentlich, Niki? Was machst denn für ein Gesicht?"

    „Kamillo! Du bist mein Freund!"

    „Das brauchen wir zwei uns nicht erst zu sagen!"

    „Und die Maruschka ist doch noch so jung! Sie is doch noch niemals so recht aus Wien herausgekommen. Halt’ mal am Semmering oder in Ischl oder so. Die is ganz fremd hier in dem wilden Land. Die hat hier niemanden als dich und deine Frau!"

    „Ja — doch dich!"

    „Ich mein’ — wenn mir was Menschliches zustösst . . ."

    „Ach geh! Was soll denn dir passieren! Drüben im Sandschak ist’s mit den Räubern lebensgefährlich. Das geb’ ich zu! Aber hier in Bosnien halten wir doch Ruh’ und Ordnung!"

    Der Leutnant Niki Schlägl überzeugte sich durch einen raschen Blick, dass die Maruschka drüben ihnen den Rücken zuwandte und immer noch ergriffen vom Sattel aus das feierliche Bild der Balkan-Einsamkeit betrachtete. Dann holte er tief Atem und sagte mit Anstrengung:

    „Du, Kamillo! Es könnte sein, dass ich morgen um diese Zeit nicht mehr am Leben bin!"

    „Wa — was?"

    „Dann seid’s ihr beide so gut . . . du und deine Ladislaja . . ."

    „Ja . . . aber . . ."

    „. . . und sorgt für meine arme junge Frau!"

    „Du — ich muss mich mal am Ohrwaschl zupfen! Ich glaub’, ich träum’!"

    „Is schon so, Kamillo!"

    „Dann erklär’ mir aber doch: was hast denn um Gottes willen schon ausg’fressen?

    „Jetzt ist keine Zeit! Da kommt schon die Maruschka!"

    „Schatzerl! rief die junge Frau im Heranreiten. „Dem Korporal von der Tragtierpost pressiert’s mit dem Weitermarsch! Er getraut sich bloss nicht, wieder zu drängen! Aber er möcht’ vor Abend unten im Tal in Vrbica sein — wegen die Haiducken — sagt er! . . . Du — was sind denn das: die Haiducken?

    Die beiden Männer tauschten einen stummen Blick: ,Auf nachher!‘ Der Kamillo Kienhofer hatte einen rechten kecken Tiroler Gemsjägerkopf auf den Schultern sitzen — oder mehr noch — einen dunklen Scharfschützenkopf wie aus der grossen Zeit vor hundert Jahren —zu Mantua in Banden — ein Getreuer vom Andreas Hofer. Aber jetzt waren seine braungebrannten Züge ganz still und klösterlich verschlossen. Voll tiefer Sorge um den Niki Schlägl Edlen von Bruckwehr, während er dessen Frau halb geistesabwesend antwortete.

    „Weisst: Haiducken heissen’s hier zu Land die Räuber! Die Hammeldiebe. Die Schmuggler . . . Ist eigentlich immer das gleiche G’lump, was da an der Militärgrenze umeinanderläuft — aber die Waffenschmuggler — hier nach Bosnien hinein — die sind für uns Okkupationsorgane schon die grösste Crux! Man kommt ihnen net bei! — den Kerlen! Das is rein, als wären’s mit dem Bösen im Bund!"

    Der Oberleutnant Kienhofer warf im Weiterreiten einen feindseligen Blick über die Grenze auf das unermesslich entrollte, wildzerrissene mazedonische Bergland. Die Strahlen der sinkenden Sonne fielen jetzt schräge auf das tote Gestein und färbten an einigen Stellen die schroffen Wände mit einem geisterhaften Abendrot. Wie riesenhafte Wogen eines erstarrten Meeres wellten sich fern bis zum Horizont reihenweise hintereinander, von fahlem Weiss bis zu unheimlichem Bleigrau die Gebirgszüge. Als grosse, fast schwarze Flecken füllten dazwischen die Urwälder die Steilhänge und die tief eingeschnittenen Täler. Dünner, bläulicher Rauch unsichtbarer Dorfherde oder Hirtenfeuer kräuselte sich da und dort in der tiefen Stille, die nur das Trappeln und Schnaufen der Saumtiere, das klagende Singen der Windsbraut unterbrach.

    „Da warst du noch lang net auf der Welt!" sprach der Oberleutnant kienhofer zu der Maruschka Schlägl, mit der er vorausritt, der Niki stumm und tiefsinnig hinterher.

    „Da hat Östreich-Ungarn das Bosnien hier und daneben die Herzegowina in aller Form zur Besetzung zugesprochen gekriegt — ich bitte: genau nach dem Völkerrecht — auf dem Berliner Kongress — vom Bismarck selber und dem Gortschakoff — vor bald dreissig Jahren, nach dem russisch-türkischen Krieg. Die Türkei hat’s zugestanden und unterschrieben und auch immer Frieden mit Östreich gehalten. Aber den Türken hier im Land selber — und heut’ noch is ja jeder dritte hier a Türk’! — denen war’s nicht recht, dass die Schwaben eing’ruckt sind! Lange, blutige Kämpfe hat’s gekostet, bis wir den Aufstand niedergeworfen haben. Vier Armeekorps hat der Franz Josef schliesslich aufbieten müssen! Mein Vater selig hat mir oft erzählt, wieviel Leut’ die Kroaten und die Steiermärker und die Ungarn haben lassen müssen. Der war mit von der Partie. Der hat sich damals bei der Brigade Zach das Militärverdienstkreuz geholt!"

    „Dafür ist jetzt das schöne Land österreichisch!"

    „Das is eben der

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