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Wir sind der Verein: Wie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen. Neun Geschichten von Deutschland bis Israel
Wir sind der Verein: Wie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen. Neun Geschichten von Deutschland bis Israel
Wir sind der Verein: Wie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen. Neun Geschichten von Deutschland bis Israel
eBook306 Seiten4 Stunden

Wir sind der Verein: Wie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen. Neun Geschichten von Deutschland bis Israel

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Über dieses E-Book

Der Fußballverein als Renditeobjekt? Insolvenzen? Arrogante Vereinsfunktionäre? Immer mehr Fans suchen nach Alternativen zum kommerzialisierten Fußballbetrieb und gründen oder übernehmen eigene Vereine. Alina Schwermer hat die interessantesten Beispiele in ganz Europa besucht und mit vielen Protagonisten gesprochen, zum Beispiel in England, Österreich, Spanien, Kroatien und Israel. In Deutschland erzählt sie von Mitsprache beim traditionellen e.V. Schalke 04, beim neuen Fanverein HFC Falke, der sich vom HSV abspaltete, und beim Online-Projekt von Fortuna Köln. In eindrücklichen Porträts schildert sie den Kampf um einen besseren Fußball.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum5. Feb. 2018
ISBN9783730704080
Wir sind der Verein: Wie fangeführte Klubs den Fußball verändern wollen. Neun Geschichten von Deutschland bis Israel
Autor

Alina Schwermer

Alina Schwermer, Jahrgang 1991, hat Journalistik und Geschichte studiert in Dortmund, Bochum und Sankt Petersburg. Sie ist freie Sportjournalistin unter anderem für die taz, die Jungle World und die Deutsche Welle und beschäftigt sich gerne mit gesellschaftlichen und politischen Sportthemen. Auf www.nosunsets.de schreibt sie über Reisebegegnungen.

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    Buchvorschau

    Wir sind der Verein - Alina Schwermer

    Jahrtausendwende.

    Kapitel 1 – AFC Wimbledon

    Aufbruch im Mutterland

    Der AFC Wimbledon ist der Star unter den Fanvereinen. Ein Pionier, der es von ganz unten bis fast ganz oben schaffte und weiß, wie man eine Geschichte erzählt. Am Anfang steht ein rücksichtsloser Umzug.

    Wenn Ivor Heller im Nachhinein den Moment sucht, an dem die Dinge in Bewegung gerieten, erinnert er sich an einen Abend im November im Jahr 2001. Andere Wimbledon-Fans, sagt er, mögen andere Momente nennen, es gibt viele Anfänge einer Revolution, aber für ihn ist genau das der Abend, an dem die Geschichte beginnt.

    Es ist November, ein Herbstabend im Süden Londons, und Ivor Heller, seit Kindertagen Fan des FC Wimbledon, ist mit ein paar anderen Fans in seiner Heimatstadt unterwegs. Fußball hat sie aus den Häusern in den Herbst getrieben, aber es ist kein Spiel ihres kriselnden Vereins, des gerade aus der boomenden Premier League abgestiegenen FC Wimbledon, das die Fans aus dem gemütlichen Heim treibt. Sondern Business. Eine Besprechung, die schlecht gelaufen ist.

    Es ist eine kleine Gruppe, die da durch London geht: Ivor Heller, Besitzer einer kleinen Druckerei, Kris Stewart, Finanzberater, und ein paar Bekannte, auch sie aus der Fanszene. Und sie kommen von einem Treffen mit dem damaligen Klub-Präsidenten Charles Koppel. Der Präsident hat die Fans eingeladen.

    Dass ein Präsident mit Fans verhandelt, ist neu. Doch nun gehen sie enttäuscht durch die kühle Herbstnacht. Schon länger gärt in Wimbledon ein Streit zwischen dem Vorstand und Teilen der Fanszene, es geht um Tradition und Heimat und Respekt. Und so sehr haben sich die Fronten verhärtet, dass Koppel keine andere Möglichkeit sieht, als die Gegenfraktion zum Gespräch zu laden.

    Der FC Wimbledon, in den 1990er Jahren ein Verein mit Talent für Chaos, sucht ein neues Stadion – das ist die Ausgangslage. Weil sich in London keine Dauerlösung findet, zieht die Vereinsführung in Erwägung, den Klub in eine andere Stadt zu versetzen. Einige potenzielle Standorte erledigen sich von selbst, aber der Verein, der einigermaßen ratlos gegen den eigenen Niedergang kämpft, bringt für jedes abgelehnte Szenario ein neues ins Spiel. Sogar Dublin ist im Gespräch. Dublin in Irland. „Dublin in Irland, sagt Ivor Heller heute immer noch ungläubig, „das muss man sich mal vorstellen. Für die größtenteils lokal verwurzelte Anhängerschaft würde ein solcher Umzug ganz offensichtlich die Bindung zum Verein kappen. Sie sind Verlierer der fußballerischen Globalisierung. „Dublin = Tod" hat Ivor Heller in seiner Druckerei auf Plakate schreiben lassen.

    Viel Aufmerksamkeit gibt es für die Proteste in der Presse; Fans, die mit dem Rücken zum Spielfeld stehen, die sich auf die Straße legen und den Mannschaftsbus bei der Abreise blockieren, es sind einprägsame Bilder. Man habe sich den Arsch abgefroren, als sie auf dieser Straße lagen, erinnert sich Heller. Aber was soll’s, es erregt Aufsehen.

    Im Herbst 2001 hat sich der Machtkampf gewendet: Der Geschäftsmann Pete Winkelman und sein Milton Keynes Stadium Consortium (MKSC) wollen den FC Wimbledon in die Planstadt Milton Keynes holen, rund eineinhalb Stunden von London entfernt. Das Novum im englischen Fußball nimmt Gestalt an. Auch heute, nachdem die Geschichte tausendmal erzählt, tausendmal verklärt wurde, hat der Einschnitt wenig von seiner Härte verloren: Der Verein aus dem Süden Londons soll rund 55 Meilen nach Norden verpflanzt werden.

    Alles nur Gerede?

    „Am Anfang der Saison war es einfach nur Gerede, erinnert sich Ivor Heller. „Die Fans haben es nicht so ernst genommen. Wir waren sehr wütend, aber wir haben nie geglaubt, dass der Umzug wirklich passieren würde. Auch die FA ist gegen eine so radikale Umsiedlung. Doch das Präsidium des FC Wimbledon ist in der finanziellen Not zu vielem bereit. Charles Koppel erwägt eine Klage gegen den englischen Verband. Die FA will es sich nicht leisten, in einen langen Gerichtsstreit mit einem ihrer Vereine zu geraten. Und Milton Keynes ist jetzt eine realistische Option.

    An diesem Herbsttag im November beim Treffen mit dem Präsidenten, an dem Tag, wo beide Seiten versuchen, zu reden, wird Ivor Heller zum ersten Mal klar, dass er seinen Verein verlieren könnte. „Koppel dachte, sie würden gewinnen, sagt Heller. „An dem Abend konnte ich es sehen. Ich habe gesehen, dass sie dachten, sie gewinnen. Heller sagt, der Präsident wolle ihn damals überreden, den Fans in Wimbledon den Umzug schmackhaft zu machen. Ivor Hellers Druckerei ist wichtig für die Proteste. In den vergangenen Monaten sammelte sich hier eine Bewegung, eine neue Energie entstand. Sie drucken Plakate. Erstellen Flyer. Besprechen alte Aktionen und überlegen sich neue Aktionen, all das läuft über Ivor Heller. Und jetzt hat er das Gefühl, dass man ihn als Sprachrohr will, um die wütenden Anhänger zu beruhigen.

    Von einer aussichtslosen Lage zum Triumph: jubelnde Fans des AFC Wimbledon.

    „Das hätte ich nie getan", sagt Heller. Er ist ein kleiner, dicklicher, temperamentvoller Mann, der findet, dass er Unternehmergeist hat. Ivor Heller ist nicht vorsichtig. Jeder Satz ist ein Risiko und ein Ausrufezeichen. Heller ist einer von der Basis. Er hat den Stallgeruch und die einfache, radikale Sprache, die keinen Zweifel lässt. Er unterteilt die Grenzen klar und ohne Zögern, hier ist richtig, da ist falsch. Und er fühlt sich als einer von denen, die für das Richtige kämpfen. Die Boulevardpresse wird später Geschichten darüber schreiben, wie Heller seinen Job und seine Beziehung für seinen Verein opferte. Er wird sagen, dass er nichts von beidem bereute.

    An dem Novemberabend an einer Straße im Südwesten von London geht Ivor Heller neben Kris Stewart, der während der Proteste zum Freund wurde. „Weißt du was?, sagt Heller zu Stewart. „Wenn sie gewinnen, fangen wir einfach von vorne an. Er sagt es impulsiv so dahin, wie er vieles impulsiv tut. Mit einem neuen Klub, denkt er in dem Moment, wären sie vielleicht besser dran. „Ich hatte zum ersten Mal das Gefühl: Selbst wenn wir die Schlacht verlieren, gewinnen wir den Krieg. In der mythischen Geschichte des AFC Wimbledon ist das Pathos dieses Satzes genau die richtige Dosis. Heller denkt sehr selbstverständlich in Schlachten und Kriegen, er meint es so. Und dann gehen sie nach Hause. Es fühlt sich nicht historisch an. Und Ivor Heller vergisst, was er gesagt hat. Zwei Wochen später klingelt das Telefon. Am anderen Ende der Leitung ist Kris Stewart. Er fragt: „Du meintest das ernst mit dem Neuanfang, oder? Heller sagt einfach: „Ja." Ab dem Moment meint er es wirklich ernst. Ein halbes Jahr später werden die Fans in England zu Pionieren: Sie gründen ihren eigenen Verein, den AFC Wimbledon.

    „Lass uns das doch einfach noch mal machen."

    Wimbledon ist für den, der uneingeweiht und oberflächlich durchspaziert, kein Ort, wo eine Revolution ihr natürliches Zuhause findet. Fünfzehn Jahre nach der Gründung des Fanvereins AFC Wimbledon liegt der Vorort wohlhabend und friedlich schweigend und beschaulich da, wenn auch nicht so reich, wie das Klischee gern erzählt. Es gibt eine schäbige Pizzabude, kleine Vorgärten, Schilder mit „Vote Labour kurz vor der Wahl, und wirklich auf allen dieser Schilder steht „Labour. Die Häuser reihen sich fast identisch aneinander. Trotzdem hat der alte FC Wimbledon eine ungewöhnlich wohlhabende Anhängerschaft. Nach Recherchen von Andrew Ward und John Williams für das Buch „Football Nation" verdienen um die Jahrtausendwende 23 Prozent der Dauerkarteninhaber des Vereins mehr als 50.000 Pfund im Jahr. Es ist der zweithöchste Wert im englischen Profifußball – nach dem FC Chelsea.

    Der FC Wimbledon ist eine sozial interessante Mischung. Gutbürgerliche bis reiche Anhängerschaft unterstützt einen Verein, dessen Etat unterdurchschnittlich, dessen Spieler überwiegend Working Class und dessen Position die des Underdogs ist: In den 1970er und 1980er Jahren steigt der ehemalige Non-League-Klub mit winzigem Budget bis in die erste Liga auf und gewinnt 1988 gegen den hoch favorisierten FC Liverpool den FA Cup. Dieser FC Wimbledon ist ein wilder Gegensatz zum Ruf seines Bezirks: schnoddrig, ranzig, mit hässlichem Kick-and-Rush-Fußball und einer Mannschaft, die sich einen Ruf fürs Saufen und Raufen und Treten erarbeitet. Herzstück dieser „Crazy Gang" (Spitzname des FC Wimbledon in den 1980ern und 1990ern) ist das heruntergekommene Stadion Plough Lane mit seinen nackten Kabinen, Sanitäranlagen ohne Klopapier, Legenden von mit Salz befüllten Zuckerstreuern. Vielleicht ein plausibler Ort einer Revolution; Aufruhr gegen die gepflegte Schönheit drumherum.

    Ivor Heller kommt zum ersten Mal an die Plough Lane, als er sieben oder acht Jahre alt ist. Sein Fußballtrainer hat ihn mitgenommen. Es ist ein Dienstag in den Schulferien Anfang der 1970er. Damals gehen nicht viele zum FC Wimbledon, in Hellers Erinnerung sind es vielleicht 1.200 Leute. Aber das fasziniert ihn: „Ich habe das geliebt. Den Geruch des Ortes, die besondere Atmosphäre, weil jeder jeden kannte. Man konnte die Erde riechen und die Trikots, und die Menschen haben sich miteinander unterhalten, nicht wie anderswo, wo man einander nicht kennt. Nebenbei kann Heller, damals wie heute klein gewachsen, auf der halb leeren Tribüne leicht das Spielfeld sehen. Auch das ist für ihn ein gutes Argument. Aber er verliebt sich erst, als er kurz darauf mit der Gleichgültigkeit des kleinen Jungen, der den Fußball gerade erst entdeckt, zu einem anderen Verein geht: zum FC Chelsea. Danach weiß Ivor Heller, was er nicht will. Er findet die Atmosphäre anonym, unterkühlt und brutal. Fansein beginnt bei Ivor Heller mit dem Stolz, dem FC Chelsea widerstanden zu haben. Fortan verpasst er kein Spiel des FC Wimbledon mehr. Und als sich der Fanverein AFC Wimbledon gründet und von ganz unten neu startet, ist es möglicherweise ein Vorteil, dass sie es gewöhnt sind, Underdogs zu sein. „Als wir in meiner Kindheit in den Amateurligen waren, haben wir so viel Spaß gehabt, sagt Ivor Heller. „Also haben wir gesagt: Lass uns das doch einfach noch mal machen."

    „Ach, das ist ja wirklich möglich."

    Wie aber kommen sie dazu? Was bringt Fans dazu, ihren Verein zu verlassen? Lust auf Amateurfußball ist es jedenfalls nicht. Auch kein Protest gegen den Kommerz des englischen Profifußballs, wie es später oft erzählt wird. Eher eine Notsituation, in der es kaum eine Alternative gibt. Der Außenseiter FC Wimbledon (übrigens sehr schnöde von einem Milliardär geführt und in dieser Hinsicht sicher kein Underdog) verliert in den 1990er Jahren rapide den Anschluss an die boomende Premier League. Schon 1991 muss der Verein aus dem alten Stadion Plough Lane ausziehen, weil es den Sicherheitsanforderungen nicht mehr genügt. Es ist der Beginn eines rapiden Niedergangs. Der damalige Klubbesitzer Sam Hammam verkauft das Stadion für acht Millionen Pfund – und er lässt, wie sich später herausstellt, seine eigene Firma die Hälfte davon einstreichen.

    Der heruntergewirtschaftete FC Wimbledon also braucht ein neues Stadion, damit beginnt die Standortsuche. Mal soll der Klub nach Wales ziehen, dann eben nach Dublin. Dass der Verein aus Süd-London in einen anderen Staat ziehen soll, ist nicht absurd genug. Und die Beziehungen zwischen Führung und einem Großteil der Fans, die sich an die Plough Lane zurückwünschen, werden schlechter. 1995 passiert in Wimbledon etwas Neues: Es gründet sich die WISA (Wimbledon Independent Supporters Association), um die Positionen der Fans gegenüber der Klubführung zu vertreten. Sie werden das zwar nicht besonders erfolgreich tun, aber es ist ein Signal von Aufruhr.

    Auch an anderen Orten in England entstehen zu dieser Zeit die ersten Fanverbände und Interessensvertretungen. „In den 1990er Jahren hat sich das Spiel geändert, sagt der Autor Jim Keoghan, der das Buch „Punk Football über englische Fanvereine verfasst hat. Er selbst ist kein Freund des neuen Reichtums im englischen Fußball: „Die Premier League ist Fußball von der schlimmsten Sorte. Fans wurden immer mehr gemolken und marginalisiert, und daraus entstand eine Reaktion." Wer als Klub in der Premier League bestehen will, muss jetzt deutlich größere wirtschaftliche Risiken eingehen als früher; eine Lawine von Vereinen gerät durch den extremen Konkurrenzkampf in finanzielle Schwierigkeiten. 1997 übernehmen beim AFC Bournemouth in finanzieller Not zum ersten Mal Anhänger eine Mehrheit der Anteile.

    „Am Anfang war Fanführung der letzte Ausweg, sagt Niamh O’Mahony, die sich bei Supporters Direct Europe für Fanvereine engagiert und selbst beim fangeführten irischen Verein Cork City aktiv ist. „Aber dann wurde es allmählich zu einer ernstzunehmenden Alternative. Ich werde immer als Erstes gefragt: Wie soll Fanführung funktionieren? Es ist kein Geheimnis dabei. Man heuert Leute an, die Erfahrung haben und den Klub führen können, so wie es ein Privatbesitzer täte. Und dann führt man den Verein nachhaltig. Meist geht das über einen Supporters’ Trust, eine Faninitiative, die Anteile am Klub hält oder ihn komplett besitzt. Anhänger können dann ihren Anteil kaufen und damit eine Stimme erwerben. „Die Leute warten darauf, dass jemand vorangeht, sagt O’Mahony. „Wenn ein Klub in einem Land etwas anstößt, kommen die anderen nach. Sie sagen: Ach, das ist ja wirklich möglich.

    Noch ist jedes Stadion Übergangslösung. Erst 2019 soll es zurück in die neue, alte Heimat Plough Lane gehen.

    In Northampton und Bournemouth brodelt es zum ersten Mal. Aber die erste Neugründung, der erste wirkliche Fanverein, das ist der AFC Wimbledon 2002. Entstanden aus dem Trauma, dass der eigene Verein in eine völlig fremde Stadt verlagert wird; entstanden aus Wut und Trotz und jahrelangem Streit. Der ursprüngliche Verein geht 2002 nach Milton Keynes und trägt bald den Namen Milton Keynes Dons. Und etwa 4.600 Fans, rund ein Drittel der Anhängerschaft, besuchen in ihrer Heimatstadt das erste Spiel des neuen AFC Wimbledon, der keinem Investor, sondern seinen Anhängern gehört.

    „Fanführung ist nicht für jeden"

    Die Geschäftsstelle des AFC Wimbledon sieht immer noch amateurhaft aus. Sie liegt versteckt im kleinen Stadion Kingsmeadow, wo der Verein 2017 seine Heimspiele austrägt, bis es 2019 in die neu gebaute, alte Heimat Plough Lane gehen soll.

    Es ist ein heißer Nachmittag im Mai. Ein paar Kinder kommen gerade in Sportklamotten vom Training, und in der engen Geschäftsstelle, die in die Stadionkatakomben gequetscht ist, arbeiten noch Freiwillige. Kleine Büros, die unerwartet im Gang auftauchen, wenig Licht, familiäre Atmosphäre vor schmucklosen weißen Mauern. Von Hand beschriebene Whiteboards. Das Gebäude ist Fußballprovinz. Aber der AFC Wimbledon selbst, der 2002 in der Combined Counties League von fast ganz unten startete, ist wenig provinziell. Der Fanverein ist mittlerweile ein Drittligist, ein Profiklub. Sie planen den Weg in die zweite Liga, sobald das neue Stadion genug Publikum zieht, und das ist nicht unrealistisch: Für 11.000 Zuschauer ist es gedacht, und alles andere als regelmäßiger Ausverkauf wäre eine Überraschung.

    Der AFC Wimbledon, das ist die Fangeschichte aus dem Drehbuch. Bisher ist kein englischer Fanverein sportlich so erfolgreich gewesen wie Wimbledon. Sie haben den Durchmarsch von den Niederungen des Amateurfußballs in die dritte Liga geschafft. Einen neuen Landesrekord von 78 Spielen am Stück ohne Niederlage. Aufstieg um Aufstieg um Aufstieg, Zuschauerrekord um Zuschauerrekord. Und vor allem hat keiner es geschafft, sich so gut zu vermarkten. Zig Bücher sind über die erst fünfzehnjährige Vereinsgeschichte erschienen, Dokumentationen, Bildbände, ungezählte Zeitungsartikel im In- und Ausland. Der AFC Wimbledon ist jedem Fanverein ein Begriff und vielen ein Idol.

    Im Kingsmeadow Stadion sind sie Anfragen von Journalisten gewohnt; ein Buch über Fanvereine mit einem Wimbledon-Kapitel? Ah ja, na klar. Aber sie nehmen sich die Zeit, als wäre es die erste Geschichte, nicht die hundertzwanzigste. Werden sie des Hypes nie müde? Sie sind sich ihrer Vorbildfunktion bewusst. „Wenn Leute wissen wollen, wie Fanvereine funktionieren, kommen sie zu uns, sagt Erik Samuelson schlicht. Er ist Geschäftsführer des AFC Wimbledon. Sein Wirkungskreis ist ein kleines, stickiges Büro, sparsam eingerichtet mit Schreibtisch und ein paar Stühlen. Auf einem hockt eine einigermaßen gelangweilt aussehende Schülerpraktikantin. Der Präsident versucht, sie mit ein paar Späßchen zu unterhalten – und hat Erfolg. Charme und Humor kann Samuelson. Er stellt schnell eine Illusion von Nähe her, und er erzählt persönlich. Ein Rahmen mit Fotos hängt an der Wand: Aufstiege, Torjubel, Siegesfeiern des AFC Wimbledon. Auf einem der Fotos ist sein Sohn bei der Aufstiegsfeier zu sehen, auch der natürlich Wimbledon-Fan. Während der Feier schrieb er seinem Vater eine SMS: „Gut gemacht, Papa. Es ist Samuelsons schönste Erinnerung. Er sagt, er sei gerne hier im Büro. Jeder finde die Kammer furchtbar, stellt er vergnügt fest, vor allem die Luft, aber er nicht so sehr. 60 bis 70 Stunden pro Woche arbeitet Samuelson hier unentgeltlich für seinen Verein. Er hat Geld genug, sich das leisten zu können. Zu ihm kommen die Leute aus halb Europa, um über Fanführung zu reden – ein Trikot eines israelischen Fanvereins liegt neben ihm auf dem Stuhl, Hapoel Katamon, irgendwann mal ein Geschenk, aber Samuelson erinnert sich nicht wirklich. Er sei bei Fanvereinen nicht so bewandert, sagt er. Er unterscheidet auch nicht zwischen fangeführt und nicht fangeführt. „Ich versuche nicht, irgendjemanden zu bekehren. Jeder Verein muss selbst seinen Weg finden. Und Fanführung ist nicht für jeden."

    Für wen ist sie dann? Erik Samuelson ist ein ungewöhnlicher Mosaikstein in der Erfolgsgeschichte des AFC Wimbledon. Wer an Fans im Präsidentenstuhl denkt, stellt sich nicht Samuelson vor; einen älteren, intellektuellen Herrn mit Charme und rhetorischem Geschick, der auch als Geschäftsführer von Manchester United funktionieren würde. Samuelson ist Haupttribüne, nicht Stehplatz. Viel zu bildungsbürgerlich, um als einer von der Basis durchzugehen, aber mit einer gewissen Bescheidenheit, die ihm Zugang verschafft zur Kurvenklientel. Das Geld, das es ihm offenbar möglich macht, seine Zeit nach Lust und Laune beim AFC Wimbledon zu verbringen, hat er in seinem früheren Leben gemacht; er war mal Wirtschaftsprüfer bei einem großen

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