Nun sag, wie hast du's mit ...: Essays prominenter Journalisten zu großen Kontroversen der Gegenwart
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Über dieses E-Book
"Nun sag, wie hast du's mit der Religion?" ließ einst Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust durch Gretchen fragen. Seine moderne Antwort darauf gibt in dem Essayband Wolfram Weimer. Weitere namhafte in- und ausländische Journalisten antworten auf heutige Gretchenfragen.
Der Herausgeber Thomas Mayer, ehemaliger Chefreporter der Leipziger Volkszeitung, und die Autoren der insgesamt zehn original für dieses Buch geschriebenen hochaktuellen Essays sind allesamt Preisträger des Medienpreises für Freiheit und Zukunft der Medien, der von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig in diesem Jahr schon zum 15. Mal verliehen wird.
Mit Beiträgen von Jörg Armbruster, Ides Debruyne, Roland Jahn, Daoud Kuttab, Oleg Kaschin, Bala´zs Nagy Navarro, Britta Petersen, Bettina Rühl, Wolfram Weimer und Simone Wendler.
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Buchvorschau
Nun sag, wie hast du's mit ... - Evangelische Verlagsanstalt
Thomas Mayer (Hrsg.)
Nun sag,
wie hast
du’s mit …
Essays prominenter Journalisten zu großen Kontroversen der Gegenwart
Die Publikation wird gefördert von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
© 2015 by Evangelische Verlagsanstalt GmbH · Leipzig
Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Gestaltung: FRUEHBEETGRAFIK · Thomas Puschmann, Leipzig
1. digitale Auflage: Zeilenwert GmbH 2016
ISBN 978-3-374-04390-3
www.eva-leipzig.de
Warum es dieses Buch gibt
von Thomas Mayer
»Nun sag, wie hast du’s mit der Religion …?«, lässt Goethe seine Margarete, genannt Gretchen, in der Tragödie Faust, erster Teil, Heinrich Faust fragen. Aus derer Frage nach der Religiosität entwickelte sich über die Jahrhunderte unter dem Wort »Gretchenfrage« die Gewissensfrage. Wer darauf antwortet, kann sich nicht drücken vor Er- und Bekenntnissen. So ist dem Verlag wie dem Herausgeber in den Sinn gekommen, prominente Journalisten zu bitten, zu aktuellen Problemen der Zeit Stellung zu beziehen. Journalisten sind nun einmal prägend für die öffentliche Meinung. Jeder beantwortet auf persönliche Weise seine aktuelle Gretchenfrage.
»Nun sag, wie hast du’s mit der Medienfreiheit?«, könnte sich anlässlich ihres
175-jährigen
Gründungsjubiläums auch die Sparkasse Leipzig gefragt haben. Ob nun in Erinnerung an Goethe oder wahrscheinlich doch eher nicht, gründete sie 1999 ihre Medienstiftung und beschloss, ab 2001 alljährlich den Leipziger Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien zu verleihen.
Ich gehöre zu den Erst-Preisträgern. Der Krieg im und ums Kosovo war damals noch nicht lange beendet. Die Stadt Leipzig mit ihrem damaligen Oberbürgermeister Wolfgang Tiefensee hatte gemeinsam mit aktiven Bürgern, so dem bündnis-grünen Politiker Michael Weichert, Initiator der Hilfe für die spätere bosnische Partnerstadt Travnik, und der Leipziger Volkszeitung, für die ich als Chefreporter tätig war, eine Spendenaktion für Flüchtlinge aus dem Kosovo initiiert. Wir brachten die Hilfe auf oft abenteuerlichem Weg vor Ort, zum Beispiel in montenegrinische Bergdörfer, wohin die Kosovaren zu Tausenden aus Angst vor dem Krieg in ihrer Heimat geflohen waren. Als Journalist berichtete ich über die Aktionen und konnte damit die Leipziger zu weiteren Spenden motivieren. Mit diesen Erfahrungen blieb ich dem Medienpreis stets verbunden und schrieb über weitere Preisträger.
Wladiwostok: Hier sitzt Grigori Pasko im Gefängnis. Der russische Militärjournalist beschäftigt sich mit der Aufklärung von Umweltverbrechen der russischen Streitkräfte. Er stößt auf Mauern des Schweigens. Er filmt eine geheime Aktion, bei der die Marine radioaktive und chemische Abfälle im Japanischen Meer versenkt hat. Der Film wird im japanischen Fernsehen gesendet. Pasko kommt vors Militärgericht und wird zu Gefängnis und Straflager verurteilt. Da Pasko nicht nach Leipzig kommen konnte, um die Auszeichnung mit dem Preis der Freiheit und Zukunft der Medien im Jahr 2002 in Empfang zu nehmen, bringe ich den Preis einschließlich des Preisgeldes persönlich ins ganz ferne Russland
, 12.500
Euro
im Rucksack, cash. Ehefrau Galina freut sich, als ich ihr auf den Küchentisch ihrer Plattenbauwohnung den Geldstapel packe. Sie führt mich durch die einst gesperrte Stadt, die zu Sowjetzeiten militärisches Geheimgebiet war. Wir stehen vorm Gefängnis, wo Grigori einsitzt und auf Verlegung in ein Straflager wartet. »Der Fall Pasko war und ist leider immer noch typisch für Russland – typisch in dem Sinn, wie die Staatsmacht versucht, einen kritischen Journalisten mundtot zu machen. Anhand der Ereignisse um Grigori Pasko wird sehr deutlich, wie es um die Pressefreiheit in Russland bestellt ist«, sagt der
TV-Journalist
Thomas Roth, Russlandkenner und Freund Paskos.
Prag: Mehr als 50 Tage protestieren 2002
TV-Journalisten
und
-Redakteure
gegen die Einsetzung eines neuen Intendanten für das tschechische Staatsfernsehen, weil damit die direkte Einflussnahme der Politik auf den unabhängigen Journalismus einhergeht. Das Gesicht des Protests heißt Jolana Voldanova. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen wird über Wochen die Sendezentrale besetzt, man schläft sogar auf Luftmatratzen im Sender. Im Ergebnis der Proteste kommt es zu einer Demonstration auf dem Prager Wenzelsplatz, auf der 100.000 Menschen für die Freiheit der Medien in Tschechien eintreten. Wenig später wird durch das Parlament per Gesetz die Einsetzung eines demokratisch gewählten Fernsehrates beschlossen. Stellvertretend für die protestierenden
TV-Mitarbeiter
wird Jolana Voldanova 2002 mit dem Leipziger Medienpreis ausgezeichnet.
Leipzig: James Nachtwey, eine Ikone der Kriegs-, besser der Antikriegsfotografie, ist Leipziger Medienpreisträger des Jahres 2004. Er zitiert in einem Interview mit mir sein Vorbild Robert Capa, der als
US-Soldat
den Zweiten Weltkrieg überlebt hatte, der aber 1954 im Indochina-Krieg ums Leben kam: »Das Beste für einen Kriegsfotografen ist es, wenn er keine Arbeit hat.« Nachtwey hatte und hat, leider, gut zu tun. Er war und ist an den Brennpunkten des Weltgeschehens, Ruanda, Bosnien, Afghanistan, Somalia, Tschetschenien, Irak, Syrien. Der Fotograf will die Macht der Bilder nutzen, um gegen Krieg und Elend Front zu machen. Er selbst bezeichnet sich in seinem Job als einen Privilegierten: »Ja, ich bin privilegiert, weil ich Zeitgeschichte beobachten kann. Und ich bin privilegiert, weil ich, wenn ich meine Arbeit beendet habe, nach Hause fliegen kann, während die Menschen, die ich in ihrem Elend fotografiert habe, das nicht können.« Seinen Job führt Nachtwey meist im Eigenauftrag aus. Denn sein Auftraggeber ist das Zeitgeschehen.
Moskau: Nichts anderes trifft auf Anna Politkowskaja zu. Wenige Tage vor dem Verleih der Medienpreise kann ich mit ihr telefonieren. Sie ist die Starreporterin der Moskauer Zeitung »Novaja Gazeta«, in ihren Beiträgen enthüllt sie Menschenrechtsverletzungen und Demokratiedefizite in Russland. Immer wieder schreibt sie über den Krieg in Tschetschenien. »Entweder du arbeitest und kapierst das, oder du lässt das sein. Ja, man muss mitunter Mut beweisen«, sagt Anna Politkowskaja. Und: »Ich habe immer Angst.« Sie ahnt ihr Schicksal, ihr Sohn sagte mal zu ihr: »Mama, man gönnt dir das Leben nicht.« Ein Jahr, nachdem sie 2005 in Leipzig mit dem Medienpreis geehrt wurde, stirbt Anna Politkowskaja, erschossen im Flur ihres Moskauer Wohnhauses. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt.
Tel Aviv/Ramallah: In Israel lebt und arbeitet der Chefreporter der Tageszeitung »Haaretz«, Gideon Levy, im Westjordanland lehrt der Medienprofessor Daoud Kuttab, beide Leipziger Medienpreisträger 2004. Ein Israeli und ein Palästinenser schreiben für den Frieden. Die Aussöhnung ihrer beider Völker heißt beider selbst erteilte Verpflichtung. Levy: »Ich kann über Ökonomie schreiben, und wenn ich tot bin, wird das ein anderer tun. Ich kann genauso über Mode schreiben. Doch wenn ich nicht über das Leben der Palästinenser schreibe, wird das keiner mehr tun.« Und er fährt »rein« ins Westjordanland, gestern, heute, morgen. In Ramallah ist Daoud Kuttab zu Hause. Wie Levy will er die ewige Schuldfrage durchbrechen, mit Worten und Überzeugungen gegen den Konflikt »in den Köpfen der Völker« ankämpfen. Levy und Kuttab sind Medienpreisträger.
Diese Journalisten hautnah und zum Teil vor Ort erlebt zu haben, das war beeindruckend, das wirkt nach. Wirkung entfacht seit 15 Jahren der Medienpreis der Sparkassenstiftung. Er ist verwurzelt mit der Geschichte der Stadt – Leipzig, die wichtigste Stadt für die Friedliche Revolution im Herbst 1989. So kann dieser Preis auch auf eine eigene Philosophie verweisen. Es geht nicht um journalistische Bravourstücke oder den einzelnen exzellenten publizistischen Beitrag. Mit diesem Preis werden Journalisten, Verleger, Publizisten und Institutionen weltweit geehrt, die sich mit Risikobereitschaft, hohem persönlichem Engagement, mit Beharrlichkeit, Mut und demokratischer Überzeugung für die Sicherung und Entwicklung der Pressefreiheit einsetzen.
Der Preis ist in seinem 15. Jahr so etabliert wie die Stiftung, die ihn verleiht. Dazu wurde jüngst das von der Europäischen Union geförderte und von der Medienstiftung entwickelte und gegründete Europäische Zentrum für Presse- und Medienfreiheit ins Leben gerufen. Auch dafür waren die Ereignisse in Leipzig im Herbst 1989 der Nährboden. Eine Realität gewordene Idee kann weiter sprießen. Die Gedanken sind frei. Also haben wir Leipziger Medienpreisträger gefragt »Nun sag, wie hast du’s mit …« – der Religion, dem Islam und Islamismus, der Wahrheit und Lügenpresse, den Flüchtlingsströmen, Putins Russland, Israel und Palästina, der Demokratie, die in Gefahr ist, Angst und Terror, dem Rechtsradikalismus und dem gemeinsamen Haus Europa.
Verlag und Herausgeber