Ruhegebet: Fragen und Antworten
Von Peter Dyckhoff
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Buchvorschau
Ruhegebet - Peter Dyckhoff
© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2021
Alle Rechte vorbehalten
www.herder.de
Die Bibeltexte sind entnommen aus:
Die Bibel. Die Heilige Schrift
des Alten und Neuen Bundes
Vollständige deutsche Ausgabe
© Verlag Herder, Freiburg im Breisgau 2005
Umschlaggestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart
E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe
ISBN E-Book 978-3-451-82239-1
ISBN Print 978-3-451-38486-8
Inhalt
Vorwort
Erster Teil:
Hinführung zum Ruhegebet
1.Das Ruhegebet: ein christlicher Weg
Bedeutung des Ruhegebetes
Das Ruhegebet als grundlegendes Gebet
Das Ruhegebet für jeden?
Das Ruhegebet – ein christliches Gebet
2.Lebensaktivität durch Ruhe
Alleinsein als reinigende Kraft
Über Erfahrungen schweigen
Interesse wecken
Körperliche Übungen
Armut des Geistes
Einfluss auf körperliche Bedürfnisse
3.Voraussetzungen
Aufwand für ein einfaches Gebet
Wege zur Zielerreichung
Selbsterkenntnis
Zeitlicher Aufwand
Einhalten der Gebetszeit
Zweimal zwanzig Minuten täglich
Himmelsrichtung und Ort des Betens
Kinder und das Ruhegebet
Das Ruhegebet beim Autofahren
4.Abgrenzung von anderen Gebetsweisen
Ruhegebet und Meditation
Kombination mit anderen Gebetsweisen?
Jesusgebet und Ruhegebet
Gebetsgruppe »Herzensgebet«
Weder Methode noch Technik
Konversion und Rosenkranz
Ruhegebet oder Rosenkranz
Ruhegebet oder Stoßgebet
Spontanes Beten
Andere Glaubensrichtungen
Einfluss auf das Ruhegebet
Autogenes Training
Das Ruhegebet und der Zen-Buddhismus
Krija-Yoga und Ruhegebet
Beten für andere
Stellvertretend beten
Fürbittgebet
5.Psychologie der Wüstenväter
Die Wüstenväter als Tradenten
Überfülle an Angeboten
Bekanntheit des Ruhegebetes
Verbreitung des Ruhegebetes
Das Ruhegebet – im Westen kaum bekannt
Anteil für alle
Sich befreit fühlen
Eigene Akzente im Ruhegebet
6.Krankheiten
Früherkennung
Vom Ruhegebet ausgeschlossen
Das Ruhegebet aussetzen
Gedanken an Krebs
Kopfschmerzen im Ruhegebet
Hoher Blutdruck
Schwere Form von Erschöpfung
Depressive Schübe
Depressionen
Das Ruhegebet bei Herzbeschwerden
Das Ruhegebet nach einem Schlaganfall
Epilepsie und Ruhegebet
Das Ruhegebet und Tinnitus
Einsicht in eigenes Tun
7.Zweifel und Kritik
Zweifel am Ruhegebet
Im Wettbewerb stehen
Flucht vor der Wirklichkeit?
Ruhegebet ohne Ergebnisse
Falsche Erwartungen
Erhoffte Wirkungen bleiben aus
Negative Gefühle
Angst vor Selbsthypnose
Theorie und Praxis
Aufwand für unser Ich
Überfrachtung
Loslassen statt Kontrolle
Erfahrungen mancher Beter
Gefühlskälte
Furcht vor Manipulation
»Abneigung« und »Heiligkeit«
Gefühle gegen Gott
8.Kurse zur Einübung
Notwendigkeit eines Einübungskursus
Teilnahme an einem Einübungskursus
Lehrende des Ruhegebetes
Geistliche Begleitung
Weg-Weisungen
Persönliches Gespräch
Fragebogen
Zahl der Kursteilnehmer
Austausch von Erfahrungen
Weitere Fortschritte
Zweiter Teil:
Praxis des Ruhegebetes
1.Bereitung zum Ruhegebet
Zeit vor dem Ruhegebet
Aktivitäten vor dem Beten
Vorbereitungen
Geistliche Texte als Vorbereitung
Praktische Hinweise
Warnhinweise
Körperhaltung
Das Ruhegebet im Sitzen beten
Haltung der Hände während des Ruhegebetes
Auswahl des Gebetswortes
Stille
Enthaltung von Speisen und Getränken
Ort des Betens
Bestimmte Tageszeit
Verlängerte Gebetszeit
Innere oder biologische Uhr
Das Ruhegebet beenden
2.Konzentration und Betrachtung
»Ringen« um das Ruhegebet
Leichtigkeit des Ruhegebetes
Ruhegebet oder Betrachtung
Ruhegebet, Bibellesung und Betrachtung
Konzentration vermeiden
Meditative Musik
Atmung und Konzentration
3.Hingabe – das Ruhegebet
Das Ruhegebet ist Hingabe
Verkopfung erkennen und vermeiden
Anbetung und Ruhegebet
Hingabe im Ruhegebet
Vertrautes losgelassen
Hohe Erwartungen
Aufgeben von Erwartungen
Geduld haben
Eigene Worte im Ruhegebet
Armut des Geistes
4.Befreiung von Hindernissen
Reinigender Charakter des Ruhegebetes
Befreiung von schwerer Last
Belastungen und Überspannungen
Störungen im Ruhegebet
Gegner des Gebetes
Alte Gefühle kommen hoch
Befreiung von Unruhe
Körperliche Unruhe
Schlaf während des Ruhegebetes
Gleicht ein Ruhegebet dem anderen?
Kann durch das Ruhegebet ein vorgestellter Glaube aufbrechen?
5.Rechter Gebrauch des Gebetswortes
Wahl und rechter Gebrauch des Gebetswortes
Die eigentliche Aufgabe des Gebetswortes
Gebetswort nicht wechseln und nicht aussprechen
Wiederholung des Gebetswortes
Das Gebetswort in der heiligen Messe
Gebetswort in der Liturgie
Umgang mit dem Gebetswort
Kostbarkeit des Gebetswortes
Geheimnis um das Gebetswort
Die Wiederholung des Gebetswortes: Magie?
Loslassen des Atemrhythmus
Das Ruhegebet auf verschiedene Weise beten
Gebetswort im Alltag
Das Ruhegebet in schwierigen Situationen
Mehrere Gebetsworte
Wechsel des Gebetswortes
Präsenz des Gebetswortes
Melodie des Gebetswortes
6.Umgang mit Gedanken
Aufkommende Gedanken
Ungewolltes Weiterdenken
Gedanken während des Ruhegebetes
Störende Gedanken
Ablenkungen
Rückkehr zum Ruhegebet
Verdrängen von Gedanken
7.Falsche Anwendung
Unregelmäßigkeit beim Beten
Nachlässigkeit und Überziehen der Gebetszeit
Übertreiben
Ruhegebet und Zeit für die Familie
Gebetshaltung
Kaffee als Aufputschmittel
Das Ruhegebet im Schnellverfahren
Häufigkeit des Betens
Zurückhaltung bei anderen
Dritter Teil:
Auswirkungen des Ruhegebetes
1.Körperliche, psychische und religiöse Auswirkungen
Allgemeine Auswirkungen
Individuelle Auswirkungen
Erfahrungen
Auswirkungen auf andere Menschen
Sind Auswirkungen des Ruhegebetes vorherzusagen?
Kann ich dem Eifer für das Ruhegebet freien Lauf lassen?
Folgen von zusätzlicher Gebetszeit
Schlaf im Ruhegebet
Veränderung des Essverhaltens
Schwangerschaft
Negative Begleiterscheinungen
Einfluss von Literatur und Fernsehen
Raum- und Zeitgefühl verändern sich
Religiöse Auswirkungen
Tiefer Glaube befreit
2.Erfüllung im Ruhegebet
Rechte Gebetserfahrungen
Ausbleiben der Auswirkungen
Präsent sein
Ungenutztes Potenzial
Zustand der Stille
Liebe als Frucht des Ruhegebetes
Reifen durch das Ruhegebet
Freundschaft ermöglichen
Gemeinsames Beten
Vorteile gemeinsamen Betens
3.Vertiefung im Glauben
Gründe, das Ruhegebet zu beten
Das Beten Jesu und das Ruhegebet
Dein Wille geschehe
Verstehen der Heiligen Schrift
Soll man den Wünschen nachgeben, die das Ruhegebet auslöst?
Bezug zur Realität
Freundschaft pflegen
Tiefenwirkung
Wandlung in der heiligen Messe
Ende des Ruhegebetes
4.Ruhe und göttliche Ruhe
Unterschied zwischen Ruhe und göttlicher Ruhe
Innerer Aufbruch
Aus dem Gebet gewonnene Ruhe
Religiosität
Beten ohne Unterlass
Ruhegebet ohne Gedanken
5.Das Ziel: Einssein mit Gott
Geschenk durch das Ruhegebet
Ziel des Ruhegebetes
Ein Kreuzzeichen als Dank nach dem Ruhegebet
Untrennbar mit Gott verbunden
Gottesbewusstsein
Literatur
Bildnachweis
Vorwort
Wer einen geistlichen Begleiter gefunden hat, darf sich sehr glücklich schätzen. Wenn dieser dann auch noch die Erfahrung im Ruhegebet und das Wissen um das Ruhegebet mitbringt, nach dem man eventuell lange gesucht hat, sollte man dies als besonderes Zeichen werten.
Die individuelle Seelsorge ist heute leider selten geworden, da es vielen Geistlichen an Zeit fehlt, um sich über einen längeren Zeitraum mit einem Gott Suchenden oder einer kleinen Gruppe zu befassen. Mag man denn noch gern zu jemandem gehen, der während des einstündigen Gespräches unter Zeitdruck steht? Eine pastorale Begleitung geht bis auf die Anfänge der Kirche zurück und war und ist in jeder Zeit ein notwendiges und vorrangiges Bedürfnis.
Da ich den Wünschen vieler Menschen, sie mit dem Ruhegebet vertraut zu machen und dann als persönlicher geistlicher Begleiter für sie da zu sein, nicht mehr allein nachkommen konnte, entschloss ich mich, Lehrende für das Ruhegebet auszubilden. Es sind Priester, weibliche und männliche Ordensleute, Diakone, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten, Lehrer und Menschen aus den unterschiedlichsten Berufen. Die Erfahrung lehrt leider, dass gerade Priester, die das Ruhegebet lehren – obwohl sie es von ihrem Herzen her gern möchten –, aus zeitlichen Gründen kaum Vorträge zum Ruhegebet halten und die entsprechenden Kurse leiten können. Ein Kursus zur Einübung in das Ruhegebet bedarf in jeder Hinsicht einer guten Vorbereitung. Gehört es nicht für uns Christen zu unseren vornehmsten Aufgaben, unser Gebetsleben zu kultivieren und zu vertiefen, um in allen Lebenssituationen das liebende Entgegenkommen Gottes noch intensiver zu erfahren?
Vielen Rat- und Hilfesuchenden steht ein geistlicher Begleiter nicht immer zur Verfügung – besonders dann nicht, wenn man ihn am notwendigsten braucht. Dieses Buch Das Ruhegebet – Fragen und Antworten möchte daher versuchen, soweit es überhaupt möglich ist, an seine Stelle zu treten. Es ist für alle geschrieben, die
•sich für das Ruhegebet interessieren und Näheres zu dieser Gebetsweise erfahren möchten,
•keine langen Texte und Ausführungen lesen, sondern schnell und prägnant ihre spezifische Frage beantwortet haben möchten,
•in Ermangelung eines Lehrenden des Ruhegebetes darauf angewiesen sind, sich das Ruhegebet selbst beizubringen,
•das Ruhegebet beten und Erfahrungen machen, die sie nicht einordnen können,
•Bestätigung oder Korrektur auf ihrem Weg mit dem Ruhegebet suchen,
•ihr Wissen um das Ruhegebet festigen und erweitern möchten,
•aus langjähriger Erfahrung anderer ihr Ruhegebet erneuern und vertiefen wollen,
•gern wissen möchten, wie es anderen mit dem Ruhegebet ergeht und welche Fragen generell gestellt werden.
Seit fünfzig Jahren sammle ich die Erfahrungen, die ich mit mir selbst und mit anderen zum Ruhegebet gemacht habe, schreibe sie auf, schaue sie immer wieder durch und ergänze sie. So konnte ich über einen langen Zeitraum feststellen, welche Fragen am häufigsten gestellt wurden, an welcher Stelle die meisten Schwierigkeiten und Hemmungen auftraten, und immer wieder – an erster Stelle stehend – durfte ich miterleben, welch wunderbare Veränderungen bei den Betenden durch das Ruhegebet auftraten. Das Ruhegebet wurde nach und nach zu meiner Lebensaufgabe.
Dazu gehören auch die vielen Erfahrungen, die die Lehrenden des Ruhegebetes bei sich selbst und mit ihren Kursteilnehmern gemacht haben. Auch diese aktuellen Berichte sind in die Fragen und Antworten in diesem Buch eingeflossen.
Auch ohne Wegweisung durch einen Lehrenden des Ruhegebetes oder durch ein diese Gebetsweise unterstützendes Buch ist der Gott Suchende letztlich selbst in der Lage, einen Weg zu finden, der ihn zu Gott führt. Der Wegweisende – und dies dürfen wir niemals vergessen – ist Christus, der uns durch sein Leben, seine Botschaft, seinen Tod und seine Auferstehung im Neuen und Ewigen Bund die Tore zum Vater immer wieder öffnete und öffnet. Es ist natürlich außerordentlich hilfreich, wenn ein erfahrener geistlicher Begleiter unsere aufkommenden Fragen beantworten und uns vor Irr- und Umwegen bewahren kann. Diese Aufgabe hat in Ermangelung eines ständigen geistlichen Begleiters dieses Buch Das Ruhegebet – Fragen und Antworten übernommen, das somit auch zu einem Begleiter werden möchte.
Die Antworten auf viele Fragen sind sehr individuell und nicht allgemeingültig, sondern eher richtungweisend. Manche Antworten sind und bleiben Fragment und bedürfen daher über das Buch hinaus eines persönlichen Gespräches – auf jeden Fall aber eines tiefen hingebenden Gebetes zum Herrn, der uns in seiner unendlichen Güte und Liebe zur rechten Zeit den Weg weist und Antwort gibt.
Niemand – und das möchte ich nochmals ausführlich betonen – muss mit seinem Gebetsweg, den er gewählt hat, allein bleiben. Über dieses Buch und seine Antworten hinaus wird es immer Menschen geben, die aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Wissens menschliche Hilfe gewähren können. Möge dieses Buch sowohl ein Anstoß als auch ein Anweg sein.
Infolge der oft starken Auswirkungen des Ruhegebetes muss gesagt werden, dass wir es nicht über die empfohlene Zeit von zweimal zwanzig Minuten am Tag ausdehnen sollen. Psychisch labile und schwer kranke Menschen sollten diesen Gebetsweg nur in Abstimmung mit ihrem Arzt und in Begleitung eines im Ruhegebet erfahrenen Lehrers gehen. Dasselbe gilt für Alkoholiker und diejenigen, die von Drogen abhängig sind oder waren. Selbst wenn der behandelnde Arzt seinem Patienten zum Ruhegebet rät, sollte ihm bei jedem Schritt zur Einübung ein geistlicher Begleiter zur Seite stehen. Dieser wird die Gebetszeit anfangs nur auf einige Minuten festsetzen und mit dem Kranken zusammen beten.
Die äußere und die innere Ruhe, die durch das Ruhegebet verstärkt und vertieft werden, bringen Ungutes, das noch in uns ist, ans Licht, das heißt in unser Bewusstsein. Damit dieser Prozess nicht so stark wird, sollten wir uns unbedingt an die in diesem Buch gegebenen Weisungen halten. So wird ein gesunder Ausgleich geschaffen, damit wir während eines so intensiven Vorgangs der inneren Reinigung unsere gesunde Mitte nicht verlieren.
Dieses Buch ist als geistlicher Begleiter von großem Wert, damit wir bei Unsicherheit und aufkommenden Fragen nachschauen können. Auf diese Weise hat der Fragende nicht das Gefühl, alleingelassen zu sein, sondern er fühlt sich in einer Gemeinschaft mit Menschen, die ein gleiches Anliegen haben. Die Antworten sind in der Lage, den Gebetsweg des Ruhegebetes von Grund auf aufzuzeigen, die rechte Vorgehensweise im Ruhegebet zu bestätigen oder den Gebetsweg zu korrigieren. Möge somit dieses Buch zu einem Segen werden für alle, die das Ruhegebet beten möchten, und für alle, die es bereits beten und Fortschritte machen wollen.
Peter Dyckhoff
Erster Teil:
Hinführung zum Ruhegebet
1. Das Ruhegebet: ein christlicher Weg
Bedeutung des Ruhegebetes
Warum ist das Ruhegebet für viele Menschen heute so wichtig?
Das Ruhegebet ist eine Gebetsweise, die den ganzen Menschen anspricht, seine Persönlichkeit entfaltet und den Glauben vertieft. Dieser Weg ist daher heute wichtiger denn je.
•Momente des Wohlbefindens und der wahren geistlichen Freude finden sich bei vielen Menschen selten.
•Es besteht eine große Sehnsucht nach echter Ursprünglichkeit und Natürlichkeit.
•Der Körper macht Anspannungen und Leiden sichtbar. Er spiegelt unverarbeitete innere Vorgänge, Erfahrungen und Gefühle in mannigfaltiger Weise wider.
•Seelische Belastungen drücken sich in körperlichen Spannungen aus, die auch das Gefühlsspektrum eingrenzen.
•Viele Menschen verbringen ihr Leben, ohne zu beten. Oft macht das Leiden sie erst reif dazu, ihr wahres Wesen wirklich zu spüren und die Notwendigkeit des Betens zu erkennen.
•Verkrampfungen oder ein Sich-Gehenlassen stehen der individuellen Selbstverwirklichung und dem persönlichen Beten im Weg.
•Die Sehnsucht nach Glaubenserfahrung und -vertiefung ist überaus groß – selbst wenn sie von den meisten Menschen nicht erkannt oder zugegeben wird.
Der Ruhelosigkeit unserer Zeit wird mit dem Ruhegebet die Methode des in vielen Jahrhunderten des Christentums bewährten Weges in das innere Ruhen entgegengesetzt. Die äußere Lebensaktivität wird täglich zweimal in einem Ruhepunkt aufgefangen. Das Gebet der Ruhe führt allmählich zur andauernden tiefen inneren Ruhe, die in Gott gegründet ist. Für sehr viele Menschen ist das Ruhegebet heute bereits unverzichtbar geworden. Man erfährt in der Öffentlichkeit allerdings nicht viel darüber, weil das Ruhegebet im Verborgenen, »hinter verschlossenen Türen«, gebetet und absichtlich nicht viel darüber gesprochen wird. Das Ruhegebet kommt der Sehnsucht nach Ganzheit entgegen, nach Integration von Geist, Seele und Körper, nach Erkenntnis und Bewältigung des dunklen Schattens im Menschen. Durch das Ruhegebet findet der Betende zunächst einmal zu sich selbst und wird damit auch durchlässig für den Geist Christi.
Das Ruhegebet als grundlegendes Gebet
Ich habe viel über das Ruhegebet gelesen und mich mit ihm auseinandergesetzt. Doch würde ich gern – kurz zusammengefasst – erfahren, was das Ruhegebet so wesentlich macht.
Diese einfache Gebetsweise, das Ruhegebet, trägt wesentlich dazu bei, Körper, Geist und Seele zu kultivieren, das heißt, uns von allem zu befreien, was nicht zu uns gehört, und uns Gott näherzubringen. Anstatt uns in dem Vielerlei der Oberfläche zu verlieren, erfahren wir durch Sammlung tiefere Dimensionen des Seins und eine Beständigkeit des Herzens. Vor diesem Aufbruch in ungeahnte Tiefen der Schöpfung schrecken viele Menschen zurück, weil ihnen Hingabebereitschaft und Gottvertrauen fehlen. Es kommt noch hinzu, dass viele der Ansicht sind, das Gottesreich würde sich uns ohne Leistung und Anstrengung nicht offenbaren. Dabei geschieht dies einzig und allein durch liebende Hingabe. Das Ruhegebet bereitet uns dazu den Weg, dass wir zu Empfangenden der Liebe Gottes werden. Grundvoraussetzung dafür, dass wir auf den Anwegen richtig Fuß fassen und auf ihnen beständig weiter zu unserem Ziel gehen können, ist das Eingebundensein in eine unseren körperlichen und geistigen Fähigkeiten entsprechende sinngebende Arbeit.
Hierdurch ergibt sich ein Wechsel zwischen Ruhe und Aktivität, wie wir ihn als zugrunde liegende Ordnung in der gesamten Schöpfung erleben. Gebet und Arbeit helfen, Belastungen und Sorgen abzubauen und eine größere Stabilität wachsen zu lassen. Der Betende, der mit der Lehre und einfachen Praxis des Ruhegebetes vertraut ist, macht die wesentliche Erfahrung: Dieser Gebetsweg unterscheidet sich grundlegend von allen anderen Gebetsformen und Betrachtungsweisen. Im Ruhegebet werden keine biblischen Texte bedacht; theologisches Wissen ist nicht erforderlich. Es dient nicht der unmittelbaren Wissensgewinnung, sondern führt ohne Leistung, ohne Konzentration und bildhafte Vorstellungen auf dem Weg der Erfahrung nicht nur in einen Bereich tiefer Ruhe, sondern in die göttliche Ruhe, die der Herr am siebten Schöpfungstag allem Geschaffenen eingepflanzt hat. Das Ruhegebet ist ein einfaches und müheloses Gebet, das zum Wesentlichen des Lebens führt, zur wirklichen, unerschöpflichen Kraftquelle. Es ist ein Mittel, die Reinheit des Herzens und der Seele zu erlangen. Durch die Praxis des Ruhegebetes richtet sich der Geist ganz auf Gott aus, damit er sich uns ganz schenken kann.
Das Ruhegebet für jeden?
Ich habe das Gefühl, dass das Ruhegebet nicht für alle Menschen das Richtige ist. Hätten sonst die Wüstenväter eine so strenge Auswahl getroffen? Nach welchen Kriterien erfolgt heute die Auswahl?
Es gehört zu den wesentlichen Aufgaben eines Menschen, sich zu entwickeln und sich zu entfalten, um somit größere Gottesnähe und Liebe zu erfahren. Das, was wir sein könnten und sollten, werden wir nicht von selbst: Wir müssen lernen, üben, Erfahrungen sammeln und verarbeiten. Vor allem jedoch sollten wir dem Schöpfer einen Teil unserer Zeit zurückschenken, damit er uns mit seiner Gnade erfüllen kann. Das Ruhegebet spricht den ganzen Menschen an und verwandelt ihn dahin, dass er sich mehr und mehr der erbarmenden Liebe Gottes öffnet. Gerade diejenigen, die von sich sagen, nicht beten zu können oder die Freude am Beten verloren haben, werden durch erste Erfahrungen mit dem Ruhegebet ermutigt, ihr Gebetsleben neu zu beginnen. Diese Art zu beten hat wunderbare Auswirkungen auf das eigene Leben, auf Körper, Geist und Seele, und auf das Leben anderer Menschen und auf die gesamte Schöpfung.
•Das Ruhegebet kann von allen Christen bedenkenlos praktiziert werden – unabhängig vom Alter oder der Konfession.
•Wer jedoch unter hohem Blutdruck, Herzbeschwerden, Atemproblemen, Netzhautablösungen oder Rückenschmerzen leidet, wer ein Kind erwartet, sich gerade von einer Operation erholt oder unter einer chronischen Krankheit leidet, sollte unbedingt vorher einen Arzt fragen.
•Psychisch labile und kranke Menschen sollten diesen Weg allerdings nur in Abstimmung mit ihrem Arzt und dann in Begleitung eines erfahrenen Geistlichen gehen. Dasselbe gilt für Alkoholiker und diejenigen, die von Drogen abhängig sind oder waren.
•Die Einübung in das Ruhegebet ist ein christlicher Weg für alle, die über die Begrenztheit im Alltag hinaus wollen, um von der wirklichen, unerschöpflichen Kraftquelle zu erfahren – unabhängig vom Beruf, dem persönlichen Lebensweg und theologischem Wissen.
•Das tiefste Anliegen des Ruhegebetes besteht darin, dass der Betende in allem und durch alles eine Begegnung mit dem Schöpfer erfährt, dem Urgrund allen Seins, mit Gott, der die Liebe ist.
Das Ruhegebet – ein christliches Gebet
Was unterscheidet das Ruhegebet von ähnlichen Gebetsweisen anderer Religionen?
Das Ruhegebet unterscheidet sich von ähnlichen Gebetsweisen anderer Religionen und Kulturen dadurch, dass es von seinen Wurzeln her ein christliches Gebet ist. Im Buddhismus und im Hinduismus, in denen es sogenannte mantrische Gebetsweisen gibt, wie auch in anderen Religionen kommt Jesus Christus nicht vor. Von allen Weltreligionen ist das Christentum die einzige Religion, in der Jesus Christus Mensch wird – in allem uns gleich außer der Sünde. Und dieser Sohn Gottes, Jesus Christus, wird im Ruhegebet angerufen oder es erfolgt zusammen mit seinem Namen eine allgemeine Bitte um Erbarmen. Diese einfache Gebetsweise, die hesychastisches Beten genannt wird, wurde im vierten Jahrhundert von Makarios dem Großen und Evagrius Pontikus entwickelt und später von Johannes Cassian verfeinert und aufgeschrieben.
Das Ruhegebet ist keine Gebetstechnik, sondern es beinhaltet eine ausdrückliche persönliche Beziehung zu Gott und einen bewussten Glauben an die Menschwerdung Jesu Christi. Das Ziel dieses Gebetes besteht nicht darin, alle Gedanken aufzuheben und die Seele in ein bodenloses Nichts fallen zu lassen, sondern der Sehnsucht der Seele zu folgen, von Gott berührt und eins mit ihm zu werden. Das Ruhegebet ist daher auf eine unmittelbare Begegnung ausgerichtet, auf das Du Gottes. Es setzt ein Bekenntnis des Glaubens an dieses Du als den eingeborenen Sohn Gottes voraus, der in Wahrheit zugleich göttlich und ganz und gar menschlich ist, an Gott, der in Jesus Christus zu unserem Erlöser und Heiland geworden ist.
Die Erniedrigung und Erhöhung Christi beschreibt der Philipperbrief mit wunderbaren Worten des Glaubens: Der in der Daseinsweise Gottes war, hielt nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich selbst, nahm Sklavendasein an und wurde den Menschen gleich. Im Äußeren erfunden als Mensch, erniedrigte er sich selbst und wurde gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz. Darum hat Gott ihn erhöht und ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, auf dass im Namen Jesu sich jedes Knie beuge im Himmel, auf der Erde und unter der Erde und jede Zunge bekennt: Jesus Christus ist der Herr, zur Ehre Gottes, des Vaters (Philipperbrief 2,5–11).
2. Lebensaktivität durch Ruhe
Alleinsein als reinigende Kraft
Stimmt es, dass ein Rückzug in die Stille oder ein Vertiefungskursus die guten Auswirkungen des Ruhegebetes unterstützt und beschleunigt?
Für ein paar Stunden oder gar Tage in die Einsamkeit zu gehen, unterstützt die guten Auswirkungen des Ruhegebetes. Gerade in der Zurückgezogenheit wird uns Einblick gegeben in tiefere Zusammenhänge, sodass sich der Grund manchen Tuns offenbart und sich der Sinn von vielem, was uns bisher verschlossen war, erschließt. Auch göttliche Geheimnisse offenbaren sich gern in der äußeren Stille und in der Stille unseres Herzens. Aber auch Unstimmigkeiten, eigene Schwächen und Fehler werden uns in der Einsamkeit stärker bewusst. Sie gleichen ungezügelten Pferden, die, durch die Ruhe angeregt, aus ihren auferlegten Schranken hervorbrechen. Die äußere Ruhe und die innere Ruhe, die durch das Gebet verstärkt und vertieft werden, bringen Ungutes, das noch in uns ist, ans Licht. Damit dieser Prozess nicht zu stark wird, sollte uns ein geistlicher Begleiter zur Seite stehen. Er wird gegebenenfalls unsere Gebetszeit reduzieren und uns zu mehr Tätigkeit anregen. Es wird ein gesunder Ausgleich geschaffen, damit wir während eines so intensiven Vorgangs der inneren Reinigung unsere gesunde Mitte nicht verlieren.
Besuchen wir für einige Tage einen Vertiefungskursus, müssen wir damit rechnen, dass – wie die Wüstenväter sagen – »giftige Schlangen und wilde Tiere« sich in unserem Inneren bemerkbar machen. Im Umgang mit anderen Menschen machen wir leicht diese für unser Unwohlsein verantwortlich. Im Alleinsein richten sich dann unsere Aggressoren gegen bestimmte Dinge. Ein Mönch erinnert sich an die Zeit, als er in der Einsamkeit lebte: »In mir kam damals gegen die Schreibfeder, deren Dicke oder Dünne mir missfiel, eine starke Regung des Unwillens auf. Ich hätte sie vor Wut am liebsten zerbrochen. Ein anderes Mal war es das Messer, das mich zur Weißglut brachte, denn seine Schneide war – wie ich meinte – zu stumpf. Auch der Feuerstein erregte meinen Zorn, wenn es mir nicht gelang, den Funken überspringen zu lassen. Ich verwünschte dann all diese Dinge und war wütend auf sie. Nicht selten machte ich sogar dunkle und teuflische Kräfte für meinen Missmut verantwortlich.« Es ist gut, wenn uns innewohnende negative Kräfte verlassen; doch sollten wir diesen Vorgang so steuern, dass kein anderer Mensch, aber auch kein Tier, unter unserem Unmut leidet, weil wir die Ursache auf den anderen projizieren.
Über Erfahrungen schweigen
Ich habe des Öfteren in der Literatur zum Ruhegebet gelesen, dass man über seine Gebetserfahrungen möglichst nicht sprechen sollte. Doch das Herz ist davon voll. Warum wird das Schweigen empfohlen?
Es gibt Menschen, die müssen über jede Erfahrung, die sie gemacht haben, sofort mit jemandem sprechen. Allzu oft nur drängen sie sich dabei anderen auf und ernten auf die Dauer Ablehnung. Andere hingegen – und das sind die Klügeren – behalten erst einmal alles für sich und berichten erst von ihren Erfahrungen, wenn sie danach gefragt werden. Oft dauert es lange, ein Gefragter zu sein. Wenn wir jedoch die stille Zeit vorher – trotz Zweifelns an uns selbst und trotz des Einsamseins – ausgehalten und überstanden haben, werden wir umso mehr Freude und Dankbarkeit empfinden, wenn andere gespannt auf eine Antwort von uns warten. Ein wahrhaft Betender drängt sich niemandem auf, sondern erkennt den rechten Zeitpunkt, um dann aus seinem Herzen die Wahrheit zu reden. So sollte es mit den Erfahrungen des Ruhegebetes sein wie auch mit dem Wissen, das jemand durch seinen Lehrer oder durch Lektüre erworben hat. Es ist nur allzu gut verstehbar, dass wir gern das, was uns zur Befreiung hilft und immer neu zu Gutem bewegt, auch anderen mitteilen möchten. Doch vorerst ist Zurückhaltung geboten, denn wir könnten durch unseren voreiligen Enthusiasmus abstoßend wirken oder gar Erwartungen schüren, die dann von jemand anderem nicht erreicht werden.
Es ist also ratsam, vorerst