Wege der Verwandlung: Inneres Gebet und Kontemplation
Von Andreas Schmidt und Ignaz Brosa
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Über dieses E-Book
In der Rastlosigkeit des Alltags dennoch in Gott verwurzelt leben, in der Zeit des Gebets tief in ihm ruhen – das ist eine Sehnsucht, die heute viele Menschen bewegt.Nach seinem ersten Buch "Bleibt in mir", das in ein Leben des Gebets einführt, legt Andreas Schmidt nun diesen Folgeband vor, der ein Übungsweg zur Vertiefung des inneren Gebets sein will. Er bezieht den Reichtum der Kirchenlehrer und Mystiker genauso mit ein wie aktuelle Stimmen zum kontemplativen Gebet.Der Leser kann sich so auf eine innere Reise begeben, um sich immer mehr der wirkmächtigen Gegenwart Gottes zu öffnen und aus ihr zu leben.
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Buchvorschau
Wege der Verwandlung - Andreas Schmidt
Anmerkungen
1. Gebetsmethoden?
Dieses Buch ist aus Exerzitien erwachsen und für Exerzitien gedacht. Es will eine konkrete Hinführung sein zum kontemplativen Gebet, dieses aber gleichzeitig theologisch reflektieren. Es kann auch einfach als Information über das kontemplative Beten gelesen werden. Die einzelnen Kapitel sind aber so aufgebaut, dass sie einen persönlichen Exerzitienweg begleiten können, sei es in der Form, dass man sich für einige Tage an einen Ort der Stille zurückzieht, sei es in der Form von »Exerzitien im Alltag«.
In unserer Zeit zeigt sich eine neue Sehnsucht nach dem »kontemplativen Gebet«. Hinter diesem Modewort können sich recht verschiedene Inhalte und Gebetsformen verbergen, je nach Gottesbild und Theologie, die in den vielfältigen Exerzitienangeboten oft nur durchscheinen, ohne offen dargelegt zu werden.
Die folgenden Überlegungen schöpfen aus der Gebetstradition der Kirche, vor allem aus den Quellen des Karmel. Daher ist im Titel dieses Buches nicht nur von »Kontemplation« die Rede, sondern auch von »innerem Gebet«, das für Teresa von Avila den weiteren Überbegriff darstellt. Es umfasst auch das Gespräch mit Gott, der mir im Gebet liebend gegenwärtig ist, sowie das Nachsinnen über ihn. Kontemplation meint für Teresa eine Form des inneren Betens, in der die Gegenwart Gottes in besonderer Weise erfahrbar wird, so dass menschliche Worte und Gedanken verstummen. Es ist weniger eine Gebetsform, die der Mensch wählen könnte, als vielmehr ein geheimnisvolles Wirken Gottes im Menschen, durch das seine Gegenwart und seine Liebe unmittelbar erlebt werden. Damit unterscheidet sich der Kontemplationsbegriff Teresas vom heutigen Verständnis. Heute meint »Kontemplation« meist ein Beten, das auf Worte und Gedanken verzichtet, ohne dass damit notwendigerweise eine innere Gemeinschaft mit dem dreifaltigen Gott intendiert oder ein Wirken der Gnade Gottes vorausgesetzt wäre. Über diese Unterschiede wird noch im Einzelnen zu reden sein. Wenn im Folgenden vom »kontemplativen Gebet« die Rede ist, dann im Sinn eines schweigenden Betens, nach dem sich der Mensch sehnen und auf das er sich vorbereiten kann, das aber nur durch Gottes Wirken möglich wird.
Zentral für den christlichen Glauben ist die Offenbarung des dreifaltigen Gottes. Von daher trägt das christliche Beten eine trinitarische Grundstruktur. Es lässt uns teilnehmen an der Beziehung des Sohnes zum Vater in der Liebe des Heiligen Geistes. Im Wort, das Fleisch geworden ist, können wir das Bild schlechthin für die Kontemplation entdecken. Der Sohn des Vaters war »bei Gott«, lesen wir im Johannesprolog (Joh 1,1). Griechisch steht hier »pros ton theon«, eine präpositionale Wortverbindung, die eine Bewegung, eine Ausrichtung zum Ausdruck bringt, wörtlich etwa: »auf Gott hin«. Der Sohn ist von Anfang an und bleibt zu jeder Zeit dem Vater zugewandt, auf den Vater ausgerichtet, den Blick auf ihn gerichtet. Im gesamten Johannesevangelium spricht Jesus immer wieder davon, dass er gekommen ist, den Willen des Vaters zu erfüllen (vgl. Joh 4,34; 5,30; 6,38), die Worte des Vaters zu sprechen (vgl. Joh 3,34; 7,16; 12,49), die Werke des Vaters zu tun (vgl. Joh 5,36; 10,25) und den Auftrag zu Ende zu führen, den er von ihm erhalten hat (vgl. Joh 4,34; 14,31; 17,4). So ist sein ganzes Leben Ausfaltung seiner kontemplativen Grundhaltung, seines »auf Gott hin Seins«. In all seinem Tun »ruht« der Sohn »am Herzen des Vaters« (Joh 1,18). Er »kennt« den Vater (Mt 11,27) und »hat ihn gesehen« (Joh 6,46). Hier ist in höchster Vollkommenheit verwirklicht, was Kontemplation meint: das beständige Bleiben in der Einheit mit Gott, in der stillen Zurückgezogenheit genauso wie mitten in der Aktion. Christliche Kontemplation kann daher nichts anderes sein als teilnehmen am »kontemplativen Leben« des Sohnes. Jesus Christus lehrt uns, in der Liebe des Vaters zu bleiben.
Der Gebetsweg, der hier vorgeschlagen wird, verzichtet im Unterschied zu anderen Anleitungen zur Kontemplation darauf, genau festgelegte Anweisungen zu geben, mit welchen Worten, Atemtechniken, in welcher Haltung etc. gebetet werden soll. Damit soll nicht bestritten werden, dass solche detaillierten Anweisungen für viele Menschen hilfreich sein können. Es gibt aber auch die Erfahrung – es ist meine eigene und diejenige von Menschen, die ich auf dem Gebetsweg begleitet habe –, dass ein solcher Rahmen als zu eng erlebt wird, dass er nicht den inneren Impulsen entspricht, durch die man auf dem Weg des Gebets geführt wird.
Die Grundidee des hier vorgeschlagenen Exerzitienweges möchte ernst nehmen, was der Katechismus der Katholischen Kirche so formuliert: »Der Herr führt alle Menschen auf den Wegen und auf die Weise, die ihm gefallen« (KKK 2699). »Der Heilige Geist … ist der innere Lehrmeister des christlichen Betens« (KKK 2672). »Es lassen sich wohl ebenso viele Wege des Betens finden, wie es betende Menschen gibt« (KKK 2672).
Auf dem Weg des Betens wird jeder Mensch ganz individuell vom Geist Gottes geführt! Wenn dem so ist, hat das Folgen für die Art und Weise, wie man zum Gebet anleitet. Es kann kein Pauschalrezept geben, auch keinen Weg oder keine Form, die gleichzeitig für alle passt. Auch wenn schematische Anweisungen für Anfänger hilfreich sein können – im Laufe eines Gebetsweges können sie sogar zum Hindernis werden, das Gebet eher einengen als in die Tiefe führen. Daher werden im Folgenden zwar Hinweise gegeben und Vorschläge gemacht, aber die wichtigste Grundregel, auf die immer wieder zurückzukommen ist, lautet: sich führen lassen vom »inneren Lehrmeister«; versuchen, die Impulse des Geistes Gottes in uns zu erkennen und ihnen zu folgen.
Bei Anleitungen zur Kontemplation, die sehr detaillierte Anweisungen geben, kann leicht eine trügerische Erwartung entstehen: Ich muss nur genau die richtige Technik anwenden, dann werde ich in kürzester Zeit zum kontemplativen Gebet gelangen, ja gar: ein »großer Kontemplativer« werden. Hier kommt – im geistlichen Gewand – eine Urversuchung des Menschen zum Vorschein: »selbst machen« zu wollen und zu meinen, es auch zu können – klassisch ausgedrückt: der Hochmut. Das Gegenteil davon ist die Wahrheit: Wir können aus uns allein heraus »nichts tun« (vgl. Joh 15,5). Daher erteilt Thomas Merton solchen verfehlten Herangehensweisen an das kontemplative Gebet zurecht eine klare Absage: »Echte Beschauung ist kein psychologischer Trick, sondern eine theologische Gnade. Wir können sie nur als Geschenk erhalten, sie ist niemals das Ergebnis von geschickt angewandten geistlichen Techniken.«¹ Das Bewusstsein der eigenen Unfähigkeit und der bleibenden Angewiesenheit auf Gottes Hilfe – klassisch gesprochen: die Demut – ist die Grundvoraussetzung für das Gebet. Wir werden darüber noch ausführlicher sprechen.
Im kontemplativen Gebet geht es nicht oder nur sehr nebensächlich um Methoden. »Methode« ist etwas Äußerliches, Technisches. Gebet aber ist zutiefst eine Beziehung des Glaubens und der Liebe. Die kann ich nicht einfach mit der richtigen Methode »machen«. So geht es darum, »dass wir in der Meditation nicht nach einer ›Methode‹ oder einem ›System‹ suchen, sondern eine ›Haltung‹, eine ›Blickrichtung‹ herausbilden sollen: Glaube, Geöffnetsein, Aufmerksamkeit, Ehrfurcht, Erwartung, Bitte, Vertrauen, Freude. All dies wird schließlich unser Sein mit Liebe durchdringen, insofern unser lebendiger Glaube uns sagt, dass wir in der Gegenwart Gottes sind, dass wir in Christus leben, dass wir im Geiste Gottes Gott als unseren Vater ›sehen‹.«² Unser Gebet wird dann in die Tiefe führen, wenn wir bereit sind, Liebe zu empfangen und Liebe zu schenken. Wenn wir bereit sind, uns verwundbar zu machen, Gott auch unser Innerstes zu öffnen. Wenn wir bereit sind, uns zu schenken, mit unserer ganzen Existenz. Wenn diese Hingabe echt ist, dann wird auch die Liebesbeziehung echt und damit das Gebet wahrhaftig sein. »Mein Sohn, gib mir dein Herz!«, heißt es im Buch der Sprichwörter (Spr 23,26). Das ist auf der einen Seite herausfordernd – es wird nicht weniger als alles von uns verlangt! Auf der anderen Seite ist es entlastend: Es kommt eben nicht darauf an, die richtige Technik zu kennen und anzuwenden, sondern darauf, Gott wirklich und immer mehr unser Herz zu schenken! Das kann jeder, dazu ist kein »technisches Können« nötig. Wie jeder Mensch einzigartig ist, so wird auch die Art und Weise zu lieben und zu beten bei jedem Menschen einzigartig sein. Charles de Foucauld weist auf diese unterschiedlichen Veranlagungen hin: »Die seelischen Gegebenheiten sind unendlich verschieden … Aber wie es auch um eine Seele bestellt sein mag, bei allen Arten des Gebetes, mag das Denken, der Verstand, die Überlegung, das Wort viel oder wenig Platz darin einnehmen, den ersten und meisten Platz soll jenes eine, die Liebe haben. Um was für eine Gebetsart es sich auch handelt, sei es die reine Kontemplation, der einfache, auf Gott gerichtete Blick … das Nachdenken, das Gespräch der Seele mit Gott … bei all diesen und anderen Gebetsweisen muss immer das eine vorherrschen: die Liebe. Für alle Gebetsarten ohne Ausnahme … bleibt ewig wahr: Das Gebet, das aus der größten Liebe kommt, ist das beste.«³
Die folgenden Impulse wollen die individuellen Wege des Betens eines jeden respektieren,