Entleerte Geheimnisse: Die Kostbarkeit des christlichen Glaubens
Von Tiemo R. Peters
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Über dieses E-Book
Ein Buch, in dem sich Spiritualität und Reflexion, Meditation und kritisches Nachdenken begegnen und einander fordern – im durchgängigen Gespräch mit der Moderne, ihrem Menschenbild und ihrem Lebensgefühl.
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Buchvorschau
Entleerte Geheimnisse - Tiemo R. Peters
NAVIGATION
Buch lesen
Cover
Haupttitel
Inhalt
Über den Autor
Über das Buch
Impressum
Hinweise des Verlags
Tiemo Rainer Peters
Entleerte Geheimnisse
Die Kostbarkeit des christlichen Glaubens
Matthias Grünewald Verlag
Inhalt
Vorwort
Wort Gottes
Erfahrungsaustausch
Mitgeteiltes Wort
Erstarrung
Weltliche Interpretation
Freimütige Predigt
Reich Gottes
Verheißungslose Bindungen
Der Glaube Jesu
Konziliare Prozesse
Wo die Liebe ist
Erlösung
Gewinn und Verlust
Mächte und Gewalten
Vom Tragen
Umsonst
Für uns, nicht ohne uns
Auferstehung
Billiger Trost
Über die Würde des Menschen
Geerdete Hoffnung
Hingabe
Ewiges Leben
Tiefe Diesseitigkeit
Todesangst und Lebensfreude
Solidarität und mehr
Jenseits von mir
Glaube
Gott allein
Zwei Welten
Glauben – wie macht man das?
Gnade
Ein Streitbegriff
Preis der Gnade
Ein anderes Wort für Gott
Gott
Biographie Gottes
Feuer
Offener Raum
Möglichkeiten Gottes
»Die Theologen müssen, da ihnen Beweise für ihre
Aussagen ein für allemal erlassen sind, um so
dringlicher für die Klärung ihrer Begriffe sorgen.«
(Hans Blumenberg)¹
Vorwort
In den ersten Entwürfen zum Synodendokument »Unsere Hoffnung« (1975) hatte Johann Baptist Metz einen Satz formuliert – so pointiert und wahrheitsgemäß, dass eine erschrockene Mehrheit bei der Beschlussfassung des Textes hier ihre Zustimmung verweigerte: »Dass dem Christentum tagtäglich der Verdacht entgegen schlägt, es antworte« auf die Nöte und Ängste der Menschen »nur noch mit verbrauchten Geheimnissen«.² Gibt es gut 40 Jahre später noch unverbrauchte? Wo könnten wir anknüpfen? »Die Bedrohung unserer Zivilisation«, meinte Timothy Radcliffe, ein ehemaliger Ordensmeister der Dominikaner, »besteht vielleicht nicht gerade darin, dass wir unwahrhaftig sprechen, dass wir Lügen auftischen, sondern dass wir mit Leichtigkeit Wörter aussprechen, die leer geworden sind«.³ Diese Leichtigkeit ist das beinahe größere Problem, weil sie inhaltlich kaum noch interessiert zu sein scheint, auch nicht am Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge.
Dies zu beklagen reicht nicht in einer Zeit wie der unseren, mit ihren Kriegen, globalen Migrationen, ihrem Hass und religiösen Fanatismus. Geschwächt und früherer Gewissheiten beraubt, blickt ein nachchristliches Europa, das sein eigenes Christentum nicht mehr kennt, voller Angst auf einen scheinbar vitalen Islam. Aber dieser hat seine einstige rationalistische Kraft, die er zwischen dem 9. und 13. Jahrhundert in Europa (Cordoba!) besaß, längst eingebüßt und droht seinem eigenen Fundamentalismus zu erliegen. Das ist der Problemhorizont, nicht das Thema unseres Nachdenkens über den christlichen Glauben.
Das aus nicht leicht zugänglichen Vorträgen und neuen Überlegungen entstandene Buch richtet sich an eine religiös gebildete Leserschaft und setzt auf die Neugier derer, die noch suchen. Es wurde weder in der Ruhe kontemplativer Beschaulichkeit noch aus der Sicherheit theoretischer Überzeugungen geschrieben, sondern aus der bekümmerten Frage nach dem, was uns christlich bleibt und den noch vorhandenen Glauben tragen, begleiten und möglicherweise wiederbeleben kann.
Die christlichen Geheimnisse einfach vorauszusetzen und mit zeitgemäßen Bedeutungen aufzufüllen, ist ganz entschieden nicht beabsichtigt. Vielmehr sollen die Glaubensgeheimnisse in ihrer Geschichte exemplarisch dargestellt und bis zu dem Punkt verfolgt werden, an dem sie uns entgleiten und nach einem neuen Verständnis verlangen. Aber es müssen dieselben Geheimnisse sein und die in ihnen vielleicht noch vorhandene alte »Glut«. Sonst würden wir uns über uns selbst und unsere Befindlichkeiten verständigen, aber nicht über den Glauben Abrahams, Isaaks, Jakobs und Jesu.
Stütze und Orientierung waren mir besonders zwei zeitgenössische Theologen: Dietrich Bonhoeffer und Karl Rahner, die auf je ihre Weise ein zukünftiges Christentum vor Augen hatten und darunter litten, das es nicht schon verwirklicht war. – Mein Dank gilt Manfred Böhmer, dem Freund und sorgfältigen Leser des Manuskripts.
Ich widme das Buch den kontemplativen Dominikanerinnen »Zum gekreuzigten Erlöser« auf Lage/Rieste und allen, die suchen.
Münster, 23. 08. 2016, Gedenktag der Hl. Rosa von Lima OP
Tiemo Rainer Peters
Wort Gottes
Beim Eintritt in die Welt des Glaubens begegnen wir zuerst dem Wort Gottes – als einer Herausforderung und Zumutung. Wenn es dieses Wort wirklich und so wirkmächtig gibt, wie es zu sein verspricht; wenn in der Flut der Wörter dieses eine, verlässliche tatsächlich vorkommt, und wir es zu hören vermögen und nicht nur zu »hören«, wären wir gerettet. Von nichts anderem spricht der Glaube Israels und der Christen.
Wir tun gut daran, Begriffe unserer Erfahrung zu verwenden, wenn wir dem Wort von Gott näher treten und nicht nur über den sprechen wollen, der vom Schöpfungsanfang an dieses Wort war und ist. So bliebe das Nachdenken verbindlich und die Verständigung nachvollziehbar. Wir werden gleichzeitig aus dem noch nicht Gewussten schöpfen und immer neu zu begreifen versuchen, wer Gott ist, besser: wer er nicht ist; und was das Wort Gottes ist oder besser nicht ist, und worin es über seine Verschriftlichungen hinausgeht. Wir sollten auch »zwischen den Zeilen« lesen lernen, um uns in den geschriebenen Zeichen nicht hoffnungslos zu verirren.
Erfahrungsaustausch
Von dem französischen Dichter und Philosophen Paul Valéry (1871–1989) stammt ein Gedanke, den der englische Sozialpsychologe Ronald D. Laing (1927–1989) aufgegriffen und programmatisch zugespitzt hat: »Erfahrung ist die Unsichtbarkeit des Menschen für den Menschen. Erfahrung nannte man früher Seele«,⁴ weil beide, Erfahrung und Seele, einmalig sind wie wir selbst. Die Seele, ebenfalls einer dieser leer gewordenen und entseelten Begriffe, ist das Organon unserer Erfahrung.
Daraus folgt, dass wir die Erfahrungen anderer nicht erfahren können. Wenn sich die Theologie mit vergangenen und gegenwärtigen Gotteserfahrungen der Menschen beschäftigt, die tief in die Geschichte zurückreichen, gestikuliert sie mit Geheimnissen und Abgründen, die der Mensch für den Menschen bereithält und die sich nur noch über Texte mitteilen, die oft dunkel und unklar bleiben und nicht leicht zu entschlüsseln sind. Das ist auch deshalb so, weil die ursprünglichen Erfahrungen in solchen Verschriftlichungen festgeschrieben und schon durch diese Fixierung verändert wurden. Das Aufgeschriebene stimme nicht, befand der österreichische Schriftsteller Thomas Bernhard. In der Sache ähnlich, nur positiv gewendet, stellte die Lyrikerin Ilse Aichinger sinngemäß fest, dass jeder Satz durch unsagbar viele ungeschriebene Sätze belegt sein müsse, sonst stehe er gar nicht da. Ihm fehlten seine Wurzeln und Quellen, aus denen er lebt. Die ungeschriebenen Sätze sind das Lebenselement der geschriebenen.
Judentum und Christentum verfügen über gewaltige Texte, in denen die persönlichen Erfahrungen der ersten Glaubenszeugen fixiert und kanonisiert vorliegen. Ihre Erfahrungen können wir nicht mehr erfahren – ein Befund, der sich neuzeitlich noch verschärft hat. Denn jetzt gibt es jenen »garstig breiten Graben«, von dem als Erster Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) gesprochen hatte, und zwar in religionskritischer Absicht.⁵ Lessing ging davon aus, dass die Erfahrungen derer, die Wunder gesehen haben wollen, erst recht unerreichbar sind für den nach Beweisen fragenden ebenso aufgeklärten wie distanzierten Zeitgenossen, der Wunder in der Regel nicht für möglich hält. Wunder lassen sich nicht beweisen, nur glauben – und nur dadurch möglicherweise wieder zu einer aktuellen Erfahrung machen.
Nicht durch Beschwörung, forsche Aktualisierung oder theologische Belehrung, schon gar nicht durch sklavische Unterwerfung unter den Text wären die früheren Glaubensgewissheiten zurückzuerlangen. Nur durch das Lebenszeugnis und das authentische Glaubensbekenntnis der Glaubenden, so muss man Lessing verstehen, könnten das Wort von Gott und der Glaube der ersten Glaubenden wieder lebendig und dadurch erneut glaubwürdig werden. Aber schon Lessing glaubte wohl nicht mehr an solche Christen.
Mitgeteiltes Wort
Wie entsteht dieser »Graben«, den Lessing zwischen den ersten Glaubensboten und der Moderne ausmachte? Wir haben es mit einer langen Geschichte zu tun, die beginnt, wo der Gottesname zum ersten Mal auf den Menschen trifft, von Menschen angerufen, nachgesprochen, weiter erzählt, schriftlich festgehalten und dabei sofort wieder umgeformt wird. Er konnte anders ja gar nicht angeeignet und bewahrt werden, als durch solche erzählerischen Um- und Weiterbildungen.
Auch der Name Gottes benennt nicht Gott, sondern Erfahrungen, die mit ihm gemacht worden sind. Wer ist Gott selbst? Wer könnte das sagen, außer – Gott. Und wie könnte er es sagen, wenn nicht zusammen mit uns, die es hören und verstehen müssen, je in ihrer Zeit? Die »Religionen des Buches«, die »Offenbarungsreligionen« gehen davon aus, dass Gott längst gesagt hat, wer er ist. Dass er sich nicht nur »mitgeteilt« hat, wie Karl Rahner (1904–1984) den Offenbarer umschrieb, sondern dass er den Menschen nahe gekommen, ja einer von ihnen geworden ist und das Leben mit ihnen geteilt hat: »Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt« (Joh 1, 14). Die biblischen Texte sind nicht zuletzt Wohnungen Gottes. Aber diese »Wohnungen« sind zu klein für ihn. Die Texte suchen nach uns, ihren eigentlichen Adressaten und »Bewohnern«.
Das Wort war und bleibt angewiesen auf die, die es in sich »aufnehmen« (Joh 1, 11) und bei sich wohnen lassen, anders konnte es sich nicht inkarnieren und stünde nicht einmal wirklich da.
»Am Anfang
war das Wort
und das Wort
war bei Gott«
Und Gott gab uns
das Wort
und wir wohnen
im Wort
Und das Wort ist
unser Traum
und der Traum ist
unser Leben
(Rose Ausländer)⁶
»Wohnen« ist ein Wort, das etymologisch mit »Wonne« und »Wahn« zu tun hat, nicht selten auch mit der Verrücktheit der Wünschenden und Hoffenden. David tanzte fast nackt vor der Bundeslade, um Gottes Wohnung zu bereiten (vgl. 2 Sam 6, 14). Gott wohnt, er ist im Sozial- und Zeitbezug, sonst »ist« er nicht Gott, sondern Phantom oder Götze. Die Bibel spricht ausschließlich von diesem Gott, der »ist«, indem er uns begegnet und der immer noch kommt. Der deshalb weder kirchlich