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Sakramente - immer gratis, nie umsonst
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eBook255 Seiten2 Stunden

Sakramente - immer gratis, nie umsonst

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Über dieses E-Book

Gott liebt die Menschen bedingungslos. Was aber bedeutet dies für die Art und Weise, wie die Kirche mit ihren Sakramenten umgeht, in denen diese Liebe Gottes in besonderer Form zum Ausdruck gebracht wird? Wie kann darin erfahren werden, dass Gott die Menschen immer zuerst entlastet und stärkt? So dass sie aus diesem Geschenk heraus leben können?

Ottmar Fuchs zeigt auf: Weil Gottes Liebe bedingungslos ist, dürfen auch die Sakramente, darf auch ihr Empfang nicht an Bedingungen geknüpft werden, da dies ihrem Wesen widerspricht.

Sakramente sind keine Herrschaftsmittel, sie taugen nicht zur Disziplinierung. Sie sind immer gratis, aber nie umsonst, nie wertlos und wirkungslos. Sie vermitteln Gottes unerschöpfliche Gnade - nicht lax, sondern loslassend, nicht rigoros, sondern befreiend, nicht festhaltend, sondern mitgehend und mittragend.

Und setzen so die Menschen frei in ihre je eigenen Lebenswege.
SpracheDeutsch
HerausgeberEchter Verlag
Erscheinungsdatum1. Okt. 2015
ISBN9783429062460
Sakramente - immer gratis, nie umsonst
Autor

Ottmar Fuchs

Prof. Dr. Ottmar Fuchs ist emeritierter Professor für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.

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    Buchvorschau

    Sakramente - immer gratis, nie umsonst - Ottmar Fuchs

    Gnade im Ritual

    1. Kraft der Rituale

    1.1. Aktuelle Wertschätzung

    „Die Kraft der Rituale, so titelte das Magazin „emotion in der Dezembernummer des Jahres 2014. Da ist zu lesen: „Das beste Geschenk, das Sie sich machen können: Bauen Sie Rituale in Ihr Leben ein. Momente des Innehaltens, alte tradierte oder ganz neue, individuelle, die uns Wurzeln geben und zugleich beflügeln."¹ Rituale „verändern unsere Wahrnehmung und können uns eine neue Sicht auf die Dinge geben, die uns gerade beschäftigen"². Ein Ritual verändert den Tag und gibt ihm ein neues Gesicht und ein Gefühl von Sicherheit. Dabei ist es gerade die Unverbindlichkeit, die das Ritual für viele attraktiv macht, unverbindlich dahingehend, dass man es feiert und dann wieder weggehen kann.

    Das Ritual hilft aber auch, „spontanes Verlangen zugunsten langfristiger Ziele und der Gemeinschaft zu kontrollieren"³. Es kann z. B. einer Familie helfen, langfristig auch über Schwierigkeiten und Streitigkeiten hinweg bzw. durch sie hindurch beieinanderzubleiben und sie gemeinsam durchzustehen. Sie geben die Chance, „Gefühle zuzulassen und uns Dingen zu stellen, die wir im Alltag verdrängen."⁴

    Ein weiteres Plus an Ritualen ist ihre Entlastungsqualität: „Rituale sind wie ein festgeschriebenes Skript: Man hat seinen Platz und muss nicht überlegen, wie man sich zu verhalten hat, sich nicht hinterfragen und kann einen Augenblick einfach nur mitgehen. Sie vermitteln uns Sicherheit. Und dieses Gefühl braucht jeder von uns. … Ja, wir brauchen diese Anker, weil sie uns Kraft und Energie geben."⁵ Rituale sind „Stopper im Alltag, wo man ankommt und loslassen kann. Denn „erst wer loslassen kann, kann weitergehen⁶.

    Menschen brauchen also Rituale, um im Leben und Zusammenleben einen Halt zu finden. Weil man Rituale wiederholen kann und nicht immer wieder neu herstellen muss, entschleunigen sie das Leben, geben Ruhe und Kraft. Diese neue Aufmerksamkeit für Rituale berührt auch die religiösen Symbolhandlungen mit entsprechenden Wünschen, Erwartungen und Hoffnungen. Rituale vollziehen das Gleiche, was Symbole leisten, allerdings so, dass es sich nicht (nur) um geprägte Wörter oder Bilder, sondern um geprägte Handlungen handelt.

    Im kirchlichen Bereich gehören die Sakramente zu den wichtigsten Ritualen. Sie sind nach wie vor mehr gefragt als die Kirchen und ihre Gemeinden selbst. Die Verantwortlichen in Seelsorge und Pastoral gehen damit sehr unterschiedlich um. Manche Unsicherheit, ob man die Sakramente einfach „gratis spenden könne, verbindet sich mit letzten Versuchungen, zu reglementieren und wenigstens bei der Zulassung zu den Sakramenten noch Bedingungen zu stellen und so pastorale Macht auszuüben. Jenseits der Alternative zwischen „Ausverkauf und Rigorismus⁷ sind Wegweisungen zu entdecken, die hier weiterhelfen. Dabei kommt es darauf an, dass die menschliche Erfahrung des Rituals als Ort der Ruhe und der Kraft sich auch in der Erfahrung der sakramentalen Rituale wiederfindet.

    Werden Sakramente als Geschenk eines Gottesglaubens erlebt, der für das Leben und für das Mitleben stärkt, dann kann man erfahren, was die Kirche von ihren Sakramenten sagt, nämlich dass sie besondere Orte der Gnade, also der Anerkennung und der Wertschätzung, sind, die Gott gibt. Was bedeutet diese so verstandene Vorgegebenheit des liturgischen Rituals, die in besonderer Weise Ausdruck für die Vorgegebenheit eines Gottes ist, der Halt und Kraft gibt, für die Art und Weise, wie die Kirchen mit ihren Sakramenten umgehen? Wie kann darin erfahren werden, dass Gott die Menschen immer zuerst entlastet und beschenkt? So dass sie aus diesem Geschenk heraus leben können? In welchem Sinn sind die Sakramente gratis, aber nie umsonst, im Sinne von vergeblich, wertlos und wirkungslos?

    Die Kirchen lernen ihre eigene Verantwortung neu kennen, wenn sie ihre Sakramente als Schatz betrachten und feiern. Es ist ein Schatz, den sie neu heben und weitergeben im Dienst an den Menschen, die sich nach einer guten Macht sehnen, die sie nicht selber herstellen können und müssen, sondern der sie sich verdanken und anvertrauen. Zur sozialen Verantwortung kirchlicher Diakonie und Caritas kommt die sakramentale Diakonie, in der Gottes Liebe (Caritas) für die Menschen erfahrbar ist. Weil diese Liebe bedingungslos ist, dürfen die Sakramente nicht mit Bedingungen belastet werden, die ihrem Wesen widersprechen. Sakramente sind keine Herrschaftsmittel, sondern vermitteln Gottes unerschöpfliche Gnade, nicht lax, sondern loslassend, nicht rigoros, sondern befreiend, nicht festhaltend, sondern mitgehend und mittragend.

    1.2. Wiederbelebung der Rituale

    Schon seit geraumer Zeit hat man die Rituale wiederentdeckt, in den Kirchen und in vielen Bereichen der Medien und der Unterhaltungsbranche: in den Ritualen des Sportes, den Versatzstücken von christlichen Ritualen in Film, Werbeindustrie und Musikclips, aber auch in den öffentlichen Veranstaltungen der Politik und der Vereine. In diesem Übergang von sichtbarer zu unsichtbarer Religion⁸ werden bisherige Rituale und Ritualversatzstücke ihrer angestammten religiösen Gemeinschaft entzogen und ohne deren Vermittlung und ihre Vermittlungsspezialisten (z. B. Pfarrer) unmittelbar beansprucht und verwertet:

    – Je mehr unserer Gesellschaft eine tiefgreifende Unübersichtlichkeit bescheinigt und angelastet wird,

    – je mehr sie Menschen auf sich selber stellt und in der Wahlfreiheit bei gleichzeitigem Ressourcenentzug überfordert,

    – je mehr die Sozialformen auf der mittleren Ebene versteppen (wie etwa traditionelle Vereine),

    desto mehr scheint es wieder so etwas wie eine Renaissance des persönlichen wie auch Massen-Rituals zu geben. Im Ritual kann man sich mit jener Sehnsucht nach Sicherheit und Anerkennung festmachen, die es ansonsten im beruflichen und zwischenmenschlichen Bereich zu wenig gibt.

    Folgende Dynamik ist dabei feststellbar: „Wenn die Antworten nicht objektiv, durch seine Gesellschaft gegeben werden, muss er (der Mensch, O. F.) sich nach innen wenden, zu seiner Subjektivität, um von dort an Sicherheit heraufzuholen, was immer er erreichen kann."⁹ Nun scheint das Stadium erreicht zu sein, wo auch die eigene Subjektivität derart als fragil und gefährdet erlebt wird, dass sie gar keine Sicherheit zu geben vermag. Menschen suchen nun von Neuem nach einer objektiven Sicherheit außerhalb ihrer selbst, sie finden sie nicht mehr in bergenden Traditionen und Gemeinschaften und entdecken deshalb die angesprochene Sicherheit zunehmend im auch von Traditionen und Gemeinschaften abgelösten Ritual (z. B. den genannten Ritualen in Sport und Medien) verschiedenster Art. Rituale in allen Bereichen von Gesellschaft und Kirche bieten sich hier als „Halterungen" an, an denen man sich festhalten kann. Können die Kirchen auf diesem neuen zerstückelten Niveau der Ritualanfragen konstruktiv reagieren?¹⁰ Schon von daher wäre es widersinnig, innerkirchlich Rituale zu vernachlässigen oder gar abzubauen.

    Schon vor mehr als 30 Jahren wurde dem Zweiten Vatikanum vorgeworfen,¹¹ dass es das Geheimnis der Religion, wie es im Symbol aufscheint, durch Rationalisierung und Verständlichkeitswut aufgehoben habe.¹² Die Verständlichkeit von Ritualen, wenn man sie glasklar durchsichtig machen will, hat ihre Ambivalenz, weil etwas, was ich gänzlich durchschaut habe, immer zugleich etwas ist, was ich durch eigene Rationalität begriffen und geleistet habe. Das widerspricht aber dem Charakter der Sakramente. Selbstverständlich sei nichts gegen die Erklärung von Symbolen gesagt. Man muss nur gewärtig haben, zu welcher Zeit dies geschieht und mit welchem dahinterliegenden Anspruch. Will man die Erfahrung des Geheimnisses der Gnade Gottes und die Erklärung der Sakramente nicht gegeneinander ausspielen, dann ist dies eine Frage der Katechese und Verkündigung, die außerhalb bzw. neben den Symbolhandlungen erklärt und die Symbolhandlung wirken lässt und nicht unmittelbar auch erklärt. So ist es nicht nur möglich, sondern auch immer wieder nötig, etwa in einer Predigt über die Bedeutung christlicher Sakramente und Symbole zu sprechen, was zugleich davor bewahrt, dies im Vollzug der Symbole tun zu müssen.

    Problematisch sind jedenfalls die Glättung und Angleichung des überkommenen Rituals an jeweils gegenwärtige Verständlichkeiten, so dass es immer glatter wird und um die Kanten der Unverständlichkeit und um die Ecken des Geheimnisses gebracht wird. Was mich dann am Ritual trägt, ist mein eigenes Fassungsvermögen von ihm und die insgeheime Bedingung, dass es nur trägt, wenn es verstanden werden kann. Aber man darf auch mit einer Erlebbarkeit von Symbolhandlungen und Symbolen rechnen, die über das Verstehen hinausgeht und durch dieses nicht einholbar ist, die aber gleichwohl intensiv ist im Sinne von geschenkter Sicherheit in der Anerkennung der Existenz und im Zuspruch eines vorgängigen Getragenseins. Die Symbolhandlungen haben einen Überhang an Vorgegebenheit, der Zugriffen verschiedenster Art nicht zugänglich ist.

    Was die kirchliche Sakramententheologie verdeutlicht, nämlich dass das Sakrament aus seinem Vollzug heraus wirkt und dass diese Wirkung von keiner Leistung oder Bedingung abhängig ist, kann als Einspruch gegen allzu glatte Verhältnisbestimmungen von Liturgie und Teilnahmeleistungen (des Verstehens bzw. Erfahrens) ernst genommen werden.

    1.3. Entlastung im göttlichen Geheimnis

    Die Sehnsucht nach Sicherheit und Wertschätzung ist tief im Menschen angelegt. Was Menschen im Laufe ihres Lebens in Bezug auf diese Sehnsucht erfahren oder nicht erfahren, bestimmt viele ihrer Entscheidungen. Im religiösen Bereich ist der Glaube an eine Transzendenz unseres Lebens, also an eine handlungsfähige Wirklichkeit uns selbst gegenüber, die zugleich unendlich mehr und größer als wir selber ist, eine wichtige Erfüllungsform dieser Sehnsucht.

    Nicht umsonst heißt das hebräische Wort für Glauben „‘aman in seiner Grundbedeutung „sich festmachen, also hier sich festmachen in Gott bzw. in dem, was als Gegenwart Gottes in der eigenen Geschichte erlebt wird. Glauben bedeutet nicht nur von dieser Wortbedeutung, sondern von den in der Bibel erzählten Geschichten her, dass sich Menschen in Gott festmachen, dass sie seinen Verheißungen trauen. Basis dieses Vertrauens ist ein Gott, der die Menschen in ihrem Leben, in ihrem Hoffen und Leiden nicht klein macht, sondern anerkennt, der sie für wert hält, mit ihnen zu kommunizieren, sie zu geleiten und zu retten. Eine Transzendenz also, die das menschliche Leben als eigene und zu sichernde Wirklichkeit anerkennt, die letztlich nicht vernichtet, sondern ins Leben holt. Die biblische Schöpfungstheologie ist ein Niederschlag dieses Gewolltseins von Gott her, so dass man auch die eigene Existenz in Gottes Wunsch, dass der Mensch lebt und am Leben bleibt, vertrauensvoll festmachen kann.

    Nicht nur in der biblischen Religion gibt es vor allem zwei Wege, die vornehmlich die Beziehung mit Gott in den Blick nehmen: einmal die „direkt" im Wort gefasste Begegnung mit Gott (im Gebet, in Berufungserfahrungen usw.), zum anderen den kultischen bzw. liturgischen Gottesdienst, wobei sich beide durchaus überlappen können. Der direkten Frömmigkeit von Einzelnen bzw. des ganzen Volkes steht die Welt der Feste und Rituale gegenüber, in der Bibel vor allem des entsprechenden Tempelkultes und des Sabbats.

    – Ein Blick in die Psalmen zeigt, dass die Aufnahme einer direkten Gebetsbeziehung mit Gott sehr viel Kraft, Zeit und Mühe kostet. Je problematischer die eigene Situation gesehen wird, desto schwieriger ist der Formulierungsaufwand, irgendwie wieder in die Beziehung zu Gott hineinzukommen. Die Klagepsalmen machen diesen Aufwand sehr deutlich: in der eingeholten Erinnerungsarbeit an die Väter, in der ausgiebigen Schilderung der eigenen Situation, in der intensiven aktuellen Gottesbeziehung als Konflikt und am Ende als Lobpreis seiner Rettung versprechenden Nähe (vgl. besonders Psalm 22).

    – Von dieser „unmittelbaren" Beziehungsarbeit gibt es einen Vermittlungsweg in das Ritual, nämlich wenn solche Gebete eine geprägte Fassung bekommen und als mündliche und/oder schriftliche Gebetsvorlage dienen. Diese erste Ritualisierung einer ursprünglichen Beziehung zwischen Mensch und Gott hat eine ganz wichtige Aufgabe, nämlich dass sie die Beziehung von dem Druck entlastet, sie permanent neu sprachlich herstellen zu müssen. Es handelt sich um eine sprachlich vorgegebene Beziehung, auf die sich die Gläubigen einlassen und die sie für sich verwenden können.

    – Im Symbolhandeln des Rituals (eines Opfers im Tempel in Jerusalem, des Paschamahls bzw. des Herrenmahls) erfährt diese Vorgegebenheit ihre dramatisierte Fassung. Wie sie ausgeführt wird, muss nicht neu erfunden werden, sondern sie wird in ihrer Vorgegebenheit vollzogen. Und in dem Maß, in dem sich die Gläubigen in ein solches Ritual hineinbegeben und es mit vollziehen und mitfeiern, haben sie Anteil an der darin gefeierten und zugleich vitalisierten Beziehung zur „Transzendenz". Das Ritual beschenkt die Gläubigen mit einer Wirklichkeit, die sie nicht selbst zu gewährleisten und zu sichern haben. Vielmehr ist die Beziehung im symbolischen Geschehen selber gesichert.

    – Hinzu kommt bei Ritualen ihr Vollzug in sogenannten performativen Sprechhandlungen. Was man spricht, das vollzieht sich im Sprechen selbst. „Ich taufe dich …": Was gesagt wird, wird im Ritus vollzogen.

    – Entscheidend ist auch, dass es eine Gemeinschaft bzw. Tradition gibt, die die rituelle Handlungsform begegnungsfähig hält. Sie schafft einen einbettenden Raum, in dem das Ritual die in ihm ausgesprochene lebendige Bedeutung auch tatsächlich hat und sich entsprechend auszuwirken vermag. Im Ritual kreuzen sich von daher ein kultischer Kern und eine erzählerische Deutung.

    – Rituale können aus ihrer wiederholbaren Tiefe heraus immer wieder Phantasie und Kreativität anregen, weil sie letztlich nie restlos verstanden werden können. Es bleibt ein Überhang an Vor-Gegebenheit im Symbolbereich, dem nicht immer und nicht alle Erfahrungen hinreichend entsprechen (können). Gewissermaßen laufen die Symbolvollzüge auch den Erfahrungen davon, gerade weil sie aus der Vergangenheit heraus vorgegeben sind.

    – Ein charakteristischer Aspekt vieler Rituale ist ihr liminaler, also grenzenberührender bis grenzenüberschreitender Charakter. Denn sie überbrücken aufbrechende Risse in Leben und Gemeinschaft, wie den Übergang von der Gesundheit zur Krankheit, vom Glück zum Unglück, vom Leben zum Tod, von der Kindheit zum Erwachsenensein usw. Diese besonderen „Rites de passage" sind aber zu unterscheiden von dem prinzipiell schwellenüberschreitenden Charakter von Ritualen, insofern sie alle die Schwelle zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit überbrücken, also in dieser Hinsicht ganz bestimmte Passagen vom Sichtbaren und Handgreiflichen in die dahinterliegende Transzendenz eröffnen.¹³

    1.4. Spannung von Erfahrung und Symbolgeschehen

    Man kann das relativ konstante, wenn auch kulturell unterschiedlich ausgeprägte prekäre Verhältnis von „unmittelbarer" Begegnung und Ritualisierung auch mit Alltagsbeziehungen vergleichen. Wenn Beziehungen, Beziehungen der Freundschaft und der Liebe, noch im Anfangsstadium sind, ist die gegenseitige, ins Wort gebrachte Sehnsucht nach Vergewisserung noch sehr groß. Intensive und verlässliche Beziehungen der Freundschaft und der Liebe gelangen aber zu jener Reife, in der das gegenseitige Vertrauen nicht in jedem Augenblick vergewissert werden muss, sondern vorausgesetzt werden kann als etwas in der Beziehung dauerhaft Gegebenes, das man nicht in jeder Stunde neu zu machen hat. So kann man/ frau dann auch in Schweigen beieinandersitzen und dies als tiefe Beziehung erfahren. So ergeben sich Eigenrituale solcher Beziehungen in ganz bestimmten Gesten und sprachlichen Kurzformeln bzw. Symbolen, deren Bedeutung und Tiefe für die Beziehung vorausgesetzt wird und nicht eigens formuliert sein muss.

    Gerade dieses Beispiel kann aber auch eindrücklich deutlich machen, wie ambivalent die Ritualisierung von Beziehung sein kann, wenn sie die Oberhand gewinnt und überhaupt nicht mehr die unmittelbare Vergewisserung der Beziehung zulässt bzw. Konfliktgespräche verdrängt. Gab es im Anfang der Beziehung einen Vergewisserungszwang, so kann es später einen Ritualzwang geben, um das Problem der beiderseitigen erneuten Vergewisserung zu meiden. Dann gibt es irgendeinmal den Augenblick, dass man/frau feststellen muss, dass der Beziehung die eigene vitale Basis abhandengekommen ist. Erich Kästner hat diesen Augenblick in einer eindrucksvollen Weise (1928) in dem Gedicht „Sachliche Romanze" festgehalten:

    Sachliche Romanze

    Als sie einander acht Jahre kannten

    (und man darf sagen: sie kannten

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