Bavos Verbrechen
Von Andreas Köhler
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Über dieses E-Book
Andreas Köhler
Andreas Köhler ist Psychiater, Psychotherapeut und Schriftsteller und arbeitet als Facharzt FMH in eigener Praxis in St. Gallen. Er ist verheiratet und Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Er hielt öffentliche Vorlesungen an der Universität St. Gallen und war Präsident der St. Galler Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie. Er verbrachte seine Jugend in den Tälern der Limmat, der Jona und der Eulach, studierte Medizin an der Universität Zürich und der Freien Universität Berlin. Er schloss sein Studium mit einer Dissertation zum Thema «Religiöser Wahn und Religiosität» ab und bildete sich an der St. Galler Schule für Gestaltung weiter. Sein seelenkundliches und literarisches Interesse gilt der geistigen Fähigkeit des Menschen, seine soziale Welt mittels Geschichten zu durchdringen und zu gestalten. Weitere Publikationen: «Schuss ins Licht» Neuauflage, «Mein Höllenleben im Wohlfahrtshimmel», «Nayers Weg zum Sacromonte», «Bavos Verbrechen»
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Buchvorschau
Bavos Verbrechen - Andreas Köhler
Inhaltsverzeichnis
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
I
Übelgelaunt hatte er sich im engen Sitz auf Geheiss der Flight Attendant wegen Gewitter und Turbulenzen erneut angeschnallt. Der fleischige Ellbogen des dicken Amerikaners auf seiner linken Seite drängte ihn bei jedem Stoss der vollbeladenen Maschine nach rechts in Richtung einer grossen, knochig gebauten Engländerin mit widerlichem Parfum. Parfums sollten in Flugzeugen verboten sein, dachte Bavo.
Er sass eingepfercht in der Economy, seit Jahren zum ersten Mal wieder, denn üblicherweise flog er first-class, allerhöchstens business. Doch da war alles ausgebucht gewesen. Er war sich bewusst, dass er daran selbst schuld war. Er hatte sich erst spät – zu spät – zum Reisen entschlossen, und kaum hatte er den Platz gebucht, war er sich bereits reuig geworden. Er hätte Anderes, Wichtigeres zu tun gehabt, als der Einladung nach Tuchstadt zu folgen und über den Atlantik zu fliegen.
In Hongkong stand eine Ausstellung bevor, eine Retrospektive seines bildnerischen Werks, und Bavo hatte es sich aus Erfahrung zur Angewohnheit gemacht, solche Anlässe in den letzten Tagen persönlich zu überwachen. Er hatte schon die grössten Wunder erlebt: Nachlässigkeiten beim Auspacken und Platzieren seiner Arbeiten, die an Sabotage grenzten, falsche Lichtverhältnisse, falsche Abstände zwischen den Werken, Fehler in den Katalogen, Fehler in den Medienmitteilungen, falsche Interviewtermine. Bavo seufzte.
Stattdessen sass er nun in dieser übervollen Maschine, die ihn in die Gegenrichtung beförderte. Nach Europa. Zum Airport unweit von Tuchstadt, seinem Heimatort. Bavo hob missbilligend die Augenbrauen und schüttelte den Kopf. Er war zwar da geboren worden, hatte seine Jugend in Tuchstadt verbracht, seine Schulzeit … Doch Bavo hatte seit Jahren, ja Jahrzehnten nichts mehr mit Tuchstadt zu tun. Tuchstadt war nicht seine Heimat; Bavo kannte keine Heimat, wollte keine kennen, und selbst seine Eltern wohnten nicht mehr da.
Zwei Schulkameraden waren es gewesen, die zum Treffen eingeladen hatten. Frederik und Willy. An beide erinnerte er sich nur noch undeutlich. Willy schien die Karte entworfen zu haben; Frederik war die Kontaktperson; sein Absender stand auf dem Kuvert. Frederik Media-And-More. Offenbar sein Firmenname. Eigentlich waren sie gar keine Schüler mehr gewesen, sondern bereits Studenten, aber die Schule, die Kunstschule, nannte sich damals eben noch Schule. Und hatte offensichtlich in der Zwischenzeit ihren Namen geändert, wie Bavo der Karte entnommen hatte: D.M.A. Design. Punkt. Media. Punkt. Art. Punkt. Bavo hatte beim Lesen gegrinst. Sie wird wohl noch genauso provinziell und verschlafen sein wie damals.
Die Kunstschule in Tuchstadt war der Beginn von Bavos Karriere gewesen, doch pflegte er, wenn er nach seinem Werdegang gefragt wurde, sie zu übergehen. Nein, sein Aufstieg zu einem der meistgefragten - weltweit meistgefragten – Künstler hatte nicht in der Provinz begonnen, sondern an der Akademie im Norden, wo sich Meer und Land nicht nur treffen, sondern in verwirrenden Armen umschlingen – Bavo hatte die Metapher irgendwo aufgeschnappt und liebte es, sie bei Gelegenheit anzubringen. Die IAFA, die International Academy of Fine Arts, hatte einen exzellenten Ruf, und ihren Absolventen stand die Welt offen – wenigstens denjenigen, die sie zu erobern im Sinne hatten. Bavo hatte sich da auch seinen Künstlernamen besorgt: Bavo. Kurz, einprägsam und alleinstellend.
Frederik hatte sich die Mühe genommen, der gedruckten Einladungskarte noch ein paar handschriftliche Worte beizufügen: Alle Kameradinnen und Kameraden der ehemaligen Klasse würden sich besonders geehrt fühlen, wenn auch Bavo, ihr berühmt gewordener Mitschüler, Zeit zum Treffen in Tuchstadt fände.
Bavo reckte den Kopf in der Hoffnung, eine Flight Attendant auf sich aufmerksam machen zu können. Er hatte Durst und brauchte etwas Scharfes, um den