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Wiener Wind: Historischer Kriminalroman
Wiener Wind: Historischer Kriminalroman
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eBook186 Seiten2 Stunden

Wiener Wind: Historischer Kriminalroman

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Über dieses E-Book

Wien 1918. Der im Krieg dekorierte aber desillusionierte Soldat Emil Dvorak kommt in ein Wien, das er so nicht kennt. Angesichts ausgehungerter und zitternder Gestalten, die sich um Lebensmittel anstellen, fasst er einen Entschluss: Mit Hilfe seines Freundes Johann und dessen Freundin Karoline will er Lebensmitteltransporte des Schwarzmarktkönigs Kocinzki überfallen und die Waren an die Armen von Wien verteilen. Doch Kocinzki sieht in Dvorak einen Konkurrenten. Ein spannendes Katz und Maus-Spiel vor der tristen Kulisse von Wien in der Nachkriegszeit.

SpracheDeutsch
HerausgeberFederfrei Verlag
Erscheinungsdatum20. Okt. 2020
ISBN9783990741276
Wiener Wind: Historischer Kriminalroman

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    Buchvorschau

    Wiener Wind - Simon Müllauer

    hätte.

    Kapitel 1

    Langsam ging er an der langen Menschenschlange vorbei. Er schaute sich jeden Einzelnen genau an, doch das Einzige, was er erkennen konnte, waren ausgehungerte und zitternde Gestalten. Vor ein paar Jahren hätte er es noch für unmöglich gehalten, so kaltherzig an diesem Haufen vorbeizugehen, doch die Gewohnheit ermöglichte es. Die letzten Jahre hatten ihn, wie so viele andere auch, abgehärtet.

    Sie alle hofften, durch ihr teilweise stundenlanges Warten ein Stück Brot oder gar einen Schluck Milch zu ergattern, während ihnen ein kühler Wind um die Ohren pfiff. Es war derselbe Wind, der fast jeden Tag in Wien wehte. Egal zu welcher Jahres- oder Tageszeit. Trotzdem schaffte es dieser nie, den Dreck von der Stadt zu wischen.

    Ganz im Gegenteil, es wirkte für ihn so, als ob der Wind in den letzten Jahren immer mehr Unrat in die Straßen getragen hätte.

    Der Schwarzmarkt florierte, die Unterwelt verdiente sich damit eine goldene Nase. Die Menschen verhungerten, und es schien keinen Ausweg aus dem Chaos zu geben. Die Politik schaute zu und paktierte, die Polizei war korrupt. Einst war Wien die goldene Donaumetropole gewesen, so wurde es jedenfalls immer behauptet. Doch nun war die Stadt in eine finstere Zeit gestürzt worden, und das Wetter schien sich an diese Tristesse anzupassen.

    Fröstelnd und diesen düsteren Gedanken nachhängend, zog er seinen Mantelkragen in die Höhe. Ein letztes Mal blickte er auf die Menschenschlange neben ihm. Es war schon ein bizarrer Anblick. Wenn man »in der Reihe für etwas Anstellen« als Sportart ausrufen würde, diese Menschen würden sich alle ein Duell um den Weltmeistertitel liefern.

    Er bog in eine Seitengasse ein, in der er ein wenig vor dem Wind geschützt wurde. Das war wettertechnisch wenigstens eine kleine Abwechslung und bot ihm eine Verschnaufpause. Wien, die goldene Metropole. Falls vor dem Krieg wirklich ein gewisser Glanz über der Stadt lag, war nicht mehr viel davon übrig, dachte er sich.

    Als seine Eltern damals aus Böhmen in die große Metropole gezogen waren, hatten sie geglaubt, die Monarchie würde ewig halten und Wien wäre irgendwann die Hauptstadt der Welt. Man musste den beiden zugutehalten, dass die von den Habsburgern beherrschten Völker diesen Eindruck vermitteltet bekamen. Doch schon bald erkannten sie, dass die Stadt nur für die, die es sich leisten konnten, wie Gold glänzte.

    Angefangen von zu wenig Lohn über schlechte Arbeitsbedingungen; vor dem Krieg war das Leben auch nicht leicht gewesen. Damals war ihnen eine Sache entgegengeschlagen, die nützlich war, um später einen Krieg gegen andere Völker anzuzetteln. Der Hass der Wiener auf das Fremde, auf das, das sie nicht kannten und nicht zu ihnen gehörte. Seine Familie musste schon in seinen Jugendjahren oft gegen Vorurteile und böse Unterstellungen kämpfen. Wenn er als kleiner Bub vom Einkaufen auf dem Weg nach Hause war, kam es nicht selten vor, dass er von irgendeinem Passanten des Diebstahls bezichtigt wurde. Also wurde er schon als Kind gezwungen, sich gegen einen nicht unerheblichen Teil seiner Mitmenschen durchzusetzen. Das prägte ihn und führte dazu, dass er schon früh in seinem Leben anderen Menschen gegenüber eine gewisse Vorsicht walten ließ.

    Zum Glück fand sein Vater schnell eine Anstellung in einer Fabrik. Arbeiter wie sein Vater waren billige Arbeitskräfte, und so war es nicht weiter verwunderlich, dass ganze Berufsgruppen zum größten Teil aus Zuwanderern bestanden. Der berufliche Alltag war hart, schwer und brachte nicht viel Geld ein, es war jedoch allemal besser, als irgendwo in einem Dorf in Böhmen zu sitzen und gar keine Arbeit zu haben.

    Als er zur Welt kam, lebte seine Familie in einer kleinen Wohnung in Favoriten. Diesen Bezirk kannte er durch seine kindlichen und jugendlichen Streifzüge wie seine Westentasche. Seinen Vater sah er in dieser Zeit nicht oft, der arbeitete sich seinen Rücken schief und krumm für einen immer kleiner werdenden Lohn, bei einer immer schwerer werdenden Tätigkeit. Für ihn war es normal, dass sein Vater selten zu Hause war. Vielen Kindern ging es nicht anders.

    Erst viel später merkte er, dass er gerne mehr Zeit mit ihm verbracht hätte. Mit den Jahren wurde die wirtschaftliche Lage immer schwieriger, und seine Eltern mussten immer sparsamer mit ihrem Geld umgehen. Als Kind spürte er diese Pro­bleme, die mit immer höherer Geschwindigkeit auf sie zurasten, nicht. Seine Mutter schottete ihn davor ab. Wenn er nicht mit seinen Freunden durch die Gassen Wiens einem Fetzenlaberl hinterherjagte, saß er in der Schule oder zu Hause und lernte, denn Bildung war seiner Mutter wichtig. Immer wieder sagte sie, dass es ihm später, wenn die Zeiten besser wären, zugutekommen würde.

    Eines Tages hielt es sein Vater nicht mehr aus. Er beschloss, etwas gegen die immer häufigeren Lohnkürzungen und unzumutbar langen Arbeitszeiten zu unternehmen. Deshalb gründete er mit ein paar Kollegen, eine Gewerkschaftszelle in ihrem Betrieb. Sie waren stets auf der Hut, sein Arbeitgeber sollte nicht merken, wer Flugblätter verteilte oder mit den Arbeitern Diskussionen führte. Seine Mutter sagte ihrem Mann oft, dass sie Angst hatte, Angst um ihn und um ihren gemeinsamen Sohn, der ja schließlich auch etwas zu Essen bräuchte. Sie könne hungern, das Kind aber nicht, und das machte ihr am meisten Sorgen.

    Am Ende dieser Diskussionen bestärkte sie ihn trotzdem, weiterzumachen, da sie wusste, dass ihr Mann das Richtige tat. Sein Vater wurde von seinen Kollegen oft als »unverbesserlicher Sturkopf« bezeichnet. Das war einerseits ein Kompliment, andererseits wollten sie ihn damit auch warnen, nicht zu weit zu gehen. Sie alle wussten, dass Menschen wie sie ihre Arbeit schnell verlieren können. Doch er ließ sich von niemandem beschwichtigen, bis er es eines Tages die Grenze überschritt. Am Anfang hörte sich der Fabrikbesitzer die Forderungen noch an. Diese umfassten einfache Verbesserungen in der Fabrik, wie mehr Gehalt, kürzere Arbeitszeit, mehr Pausen. Sein Vater saß am Abend oft am Esstisch und seufzte: »Freiwillig wird er unsere Forderungen wohl nie erfüllen.« Er sollte Recht behalten. Als Forderungen nach einer offiziellen Vertretung der Arbeiter laut wurden, reichte es seinem Chef und er setzte seinen Vater und ein paar andere Wortführer vor die Tür. Von einem Tag auf den anderen standen diese ohne Arbeit da.

    Arbeitslos sein hieß für sie, noch mehr am Hungertuch zu nagen, denn die Monarchie kümmerte sich nicht um ihre Arbeitslosen.

    Die Not der Menschen war den hohen Herren nicht so wichtig. Wichtig war ihnen das, wo sie ihr Geld investierten: Militärmusik und schöne Uniformen.

    Sein Vater prangerte diese Missstände und Ungerechtigkeiten immer wieder an, aber die schlechte Erfahrung, die er in der Vergangenheit gemacht hatte, ließ ihn nicht mehr an das Gute glauben. Er zweifelte daran, dass sich das Blatt noch einmal zu seinen Gunsten wenden würde. Als er und die anderen Rädelsführer entlassen wurden, trauten sich die übrigen Kollegen nicht, etwas dagegen zu unternehmen. Das enttäuschte seinen Vater zwar, doch im Grunde konnte er ihnen nicht einmal böse sein. Sie alle mussten Familien ernähren, die auf den kargen Lohn angewiesen waren und von diesem eher überlebten als lebten. Noch dazu waren sie austauschbar wie Vieh auf einem Bauernhof. Sollte einer hinausgeworfen werden, gab es tausende andere, die seine Arbeit machen würden, und das für einen geringeren Lohn.

    Oft kamen Bekannte und Verwandte von ihnen zu Besuch, das war die Zeit von hitzigen, politischen Diskussionen, denn die Zeichen standen auf Krieg. Manch einer verschloss die Augen davor, versuchte so weiterzuleben wie bisher und sagte dann Sätze wie: »Irgendwann wird der Kaiser schon merken, dass Kapellen und Uniformen nicht das Wichtigste sind.«

    Sie lebten wie ein Frosch, der in einem silbernen Topf langsam gekocht wurde, es aber nicht bemerkte. Sein Vater steckte wenig Hoffnung in die Vernunft des Kaisers und des Adels, wusste andererseits aber auch nicht, was man dagegen hätte tun können. Am Ende des Tages sollte er Recht behalten. Die Zeitungsjungen riefen es voller Inbrunst heraus: »Der Kronprinz wurde in Sarajevo erschossen!« Solche Nachriten waren für die Zeitungen Gold wert, weil man mit schlechten Nachrichten wunderbar Geld machen konnte.

    Richtige Trauer wollte bei vielen nicht aufkommen. Endlich war ein Grund vorhanden, der Welt zu zeigen, wie groß und stark die Monarchie und wer der wahre Herr am Balkan war. Jetzt würde man sehen, was für eine Macht das wundervollste Land der Welt besaß.

    Für manche war es wohl der lukrativste Tod eines Menschen, den man sich vorstellen konnte, denn nun war es wieder da - das große Geschäft mit dem Krieg. An dieser Situation gab es für alle etwas zu haben, der einfache Mann von der Straße konnte fahnenschwenkend und patriotische Parolen brüllend mit herausgestreckter Brust die Straßen rauf und runter stolzieren und sich dabei wie ein Held fühlen. Die Generäle würden endlich wieder ihre schönen Uniformen ausführen können und dabei stolz ihre verstaubten Orden präsentieren. Und die Industrie würde sich eine goldene Nase verdienen, denn Krieg ist teuer.

    Die erdrückende Mehrheit wollte diesen Krieg, und so fuhren sie alle zusammen ohne zu bremsen in dieselbe Richtung. Im Nachhinein betrachtet, war es jedoch für die meisten die falsche. Wenn er auf diese Tage zurückblickte, dann musste er sich eingestehen, dass damals jeder schnurstracks in die Hölle auf Erden marschierte.

    Er blieb nicht verschont und wurde gezwungen, bei dem grausamen Schauspiel mitzumachen. Als junger und gesunder Mann musste er seinen Leib und sein Leben in die Schlacht werfen, da gab es kein Entrinnen.

    Am Tag, als er einrückte, weinte seine Mutter, sein Vater machte einen ernsten Gesichtsausdruck und sagte nur: »Viel Glück, du wirst es brauchen.«

    Spätestens nach diesem Satz, beschlich ihn ein mulmiges Gefühl. Sein Spürsinn für gefährliche Situationen war immer schon sehr ausgeprägt gewesen und dieser meldete sich in diesen Stunden ziemlich heftig. Das Gefühl, das in ihm hochstieg, ließ ihn jedoch nicht im Geringsten erahnen, was ihn an der Front erwarten würde.

    Er und Millionen andere wurden verdammt, ihre Jugendjahre wegzuwerfen – für Gott, Kaiser und Vaterland. So hatte man es ihnen eingetrichtert: Ihr müsst stolz auf diese Dinge sein und sie deshalb verteidigen. Er glaubte damals schon nicht an Gott, und nach den ersten Kriegsmonaten hätte er es sowieso nicht mehr getan. Was für ein Gott ließ es zu, dass Menschen so schreckliche Taten vollbringen? Warum sollte er für einen Kaiser kämpfen, wenn dieser seine Familie in Armut leben ließ und nur auf sich und sein Wohl schaute. Die Adeligen kannten nicht einmal seinen Namen, aber er musste im Notfall sein Leben für sie geben? Das schien für ihn in keiner Verhältnismäßigkeit zu stehen. Und auch bei seinem Vaterland war er sich nicht mehr so sicher. War es die Monarchie? Oder die Menschen in Böhmen, die um Selbstbestimmung und Freiheit rangen.

    Mit diesen Gedanken rückte er ein. In seiner sauberen, schönen Uniform und unter dem Jubel der Massen. Laut dröhnten die Parolen wie »Nieder mit Serbien« und »Hoch unsere Helden«. Die Eltern beobachteten ihre Söhne mit stolzgeschwellter Brust wie diese im Gleichschritt die Straße heruntermarschierten, die jungen Frauen und Mädchen tuschelten ganz aufgeregt miteinander und winkten ihnen zu. Ja, sie fühlten sich an diesem Tag wie Helden. Es war erstaunlich: Egal, wie sehr er diesen Krieg verabscheute, auch er genoss diese Momente der Freude und des Jubelns. Wenn er damals gewusst hätte, dass es für die nächsten Jahre die letzten waren, hätte er sie noch mehr in sich aufgesogen.

    Das erhabene Gefühl, das er verspürte, als ihm die Massen zujubelten, war schnell vorbei und wandelte sich mit der Zeit in Bitterkeit um.

    Wie konnte man so blind sein und Männer mit Jubel und Beglückwünschungen in den Tod schicken? Das fragte er sich jeden Tag aufs Neue.

    Sinnbildlich für seine und die Moral seiner Kameraden standen ihre Uniformen. Am Anfang noch sauber und glänzend, um dem Volk zu zeigen, dass die k.u.k. Armee die schönste der Welt war, wurde sie von Tag zu Tag schmutziger und ramponierter. Oft dachte er sich, wie sinnlos dieser Krieg doch war.

    Am häufigsten quälten ihn diese düsteren Gedanken, wenn sie wieder in den Schützengräben liegend von allen Seiten Todesschreie vernahmen und der Geschützdonner jedes andere Geräusch verstummen ließ. Der Lärm der Front ließ auch den Jubel der Menschen, die sich so auf diesen Krieg gefreut hatten, schnell verklingen. Jemand, der nicht im Feld dabei war, konnte sich nicht vorstellen, was sie durchmachten. Sie lebten in einer furchtbaren Welt, in einer Welt, in der man umgeben war von Dreck, Tod und Hoffnungslosigkeit. Ihr Kommandant nannte den Krieg ein großes »Abenteuer«, bei dem sie froh sein sollten, dabei sein zu dürfen.

    Aber selbst die größten Optimisten verloren irgendwann den Glauben, dass dieses »Abenteuer« gut ausgehen würde. Außerdem hatte diese Art von Abenteuer nichts mit jenen zu tun, die ihm in seiner Kindheit erzählt wurden. Denn die nahmen immer einen guten Ausgang, und die Protagonisten waren meist durch einen strahlenden Helden gerettet worden. Doch an ihnen glänzte und strahlte nichts mehr und es kam auch niemand, um sie aus dieser Hölle herauszuholen. In den alten Erzählungen musste man nicht den schrecklichen Anblick eines Soldaten, der auf seinen Beinstümpfen robbte und voller Verzweiflung seine Gedärme aufklaubte, die ihm langsam aus seinem Bauch herausquollen, ertragen. Man roch nicht den Geruch von verbranntem Fleisch, wenn jemand von einer Granate getroffen wurde, und man sah gestandene Männer nicht heulend nach ihren Müttern schreien. Auf all das wurden sie von niemandem vorbereitet, keiner warnte sie davor.

    Jeden Tag, an dem er sich in den Dreck warf, um nicht von Kugeln durchlöchert zu werden, verfluchte er. Jeder Tag, an dem ihn Granaten-Explosionen fast wahnsinnig machten,

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