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Metal never dies: 5 schwarze Tage im August - Ein Wackenkrimi
Metal never dies: 5 schwarze Tage im August - Ein Wackenkrimi
Metal never dies: 5 schwarze Tage im August - Ein Wackenkrimi
eBook332 Seiten5 Stunden

Metal never dies: 5 schwarze Tage im August - Ein Wackenkrimi

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Über dieses E-Book

Kriminalhauptkomissar Waldner versteht sich selbst nicht mehr. In einem schwachen oder vielleicht doch eher bierseeligem Moment hat er sich überreden lassen, mit zum Heavy Metal Festival nach Wacken zu fahren. Eine Musik, die nicht die seine ist, auf einen Campingplatz, was ihm sowieso ein Gräuel ist und nicht zuletzt auf ein Festival, dass für seine Schlammschlachten berüchtigt ist, weil es offensichtlich immer regnet. Das alles nur, weil er nicht für sich behalten konnte, die bekannte Sängerin Cassandra Röschberger persönlich zu kennen. Dabei liegt das viele Jahre zurück und von einer besonders herzlichen Beziehung konnte selbst damals keine Rede sein. Es kommt, wie es kommen muss, einschließlich Regen, Schlamm und einem Mordfall, der Camillo Waldner mehr und persönlicher betrifft, als ihm lieb sein kann. Um einen alten Freund nicht im Stich zu lassen, riskiert er nicht nur Ärger mit der Polizei, sondern muß sich auf Dinge einlassen, die ihm völlig widerstreben...
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum1. Sept. 2018
ISBN9783746758855
Metal never dies: 5 schwarze Tage im August - Ein Wackenkrimi

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    Buchvorschau

    Metal never dies - Hermann Brands

    Metal never dies

    Titel Seite

    Metal never dies

    Revolution

    Geboren alt, im Sterben jung

    Im Herzen Furcht, die Seele wund

    Getäuscht durch Worte, die gebrochen

    Sind lang wir durch den Staub gekrochen.

    Es treibt die Wut uns und die Not.

    Allein die Hoffnung bringt kein Brot

    Und satt sind wir von Lug und Trug

    Die Zeit des Schweigens ist genug.

    Uns trennen Mauern nicht aus Stein

    Wir wollen wieder Menschen sein

    Die stolz und aufrecht Lieder singen

    und tapfer ihre Furcht bezwingen.

    Wir sind stark, wenn wir zusammen gehen

    hart wie Felsen, die in der Brandung stehen.

    Tobt auch der Sturm und bricht die Nacht herein

    wir werden nicht mehr mutlos sein!

    Nimm dein Leben in die Hand

    Trag den Aufruhr in das Land

    Zerbrich die Ketten, die uns binden

    Damit wir endlich Freiheit finden

    Wirf ab das Joch der Tradition

    Die Zeit ist reif für die Revolution...

    Cassandra And The Peacemakers

    live at Wacken, August 2014

    Vorwort

    Bevor jemand beim Lesen der folgenden Seiten auf die Idee kommt, dass sich die nachfolgenden Ereignisse in einem Paralleluniversum einer ungesendeten Fringe-Staffel abgespielt haben müssen, sind ein paar Bemerkungen zur Aufklärung angebracht. Natürlich weiß jeder, der beim Wacken Open Air 2014 dabei gewesen ist, dass dieses Festival nicht an einem Übermaß an Regen gelitten hat. Die Sonne zeigte sich fast durchgängig von ihrer besten Seite, was sich bei dem einen oder anderen Metalhead in einem kräftigen Sonnenbrand geäußert haben dürfte. Auf Wacken konnte man anlässlich des 25. Geburtstages viel erleben, aber nicht die in dieser Geschichte beschriebene Schlammschlacht. Die Fraktion der Heavy Metal – Anhänger scheint in jenem Jahr dort, wo über das Wacken - Wetter entschieden wird, ein besonders gewichtiges Wort mitgeredet zu haben. In anderen Jahren hat es jedoch durchaus Bäche und Seen auf dem Festivalgelände gegeben. wer das WOA von 2015 miterlebt hat oder wer sich Wacken 3D im Kino angesehen hat, hat da sicher eindrucksvolle Szenen und Momente vor Augen. Das Wetter gehört zu Wacken wie die Musik, die Offenheit und Freundlichkeit von Gastgebern und Besuchern, die Stimmung, die sich mit keinem anderen Festival vergleichen lässt, die grandiose Organisations- und Arbeitsleistung bei Vorbereitung und Durchführung und vieles mehr. Wenn es in dieser Geschichte zum 25. Jubiläum dennoch regnet, ist das der erzählerischen Freiheit zuzuschreiben. Das, was sich in diesem Buch an natürlich frei erfundenen Handlungen und Geschehnissen ereignet, passt besser zu Regen als zu strahlendem Sonnenschein.

    Mag sogar sein, dass manches von dem, was beschrieben ist, an reale Ereignisse auf dem Wacken Open Air 2014 erinnert. Mitunter ist das nicht zu vermeiden, weil sich manche Dinge eben immer wieder in dieser oder ähnlicher Form wiederholen. Wie das WOA selbst, das das schon seit inzwischen 26 Jahren tut. Gönnen wir also dem fiktiven Wacken aus dieser Geschichte seinen Überfluss an Regen, in dem Wissen, dass das echte Wacken 2014 seine Fans mit Sonne verwöhnt hat. Und wer weiß, vielleicht ist der Gedanke mit dem Paralleluniversum ja doch gar nicht so weit hergeholt...

    Kapitel 1

    Mittwoch früh

    Das Öffnen der Augen war an diesem Mittwochmorgen eine mühselige Erfahrung und dauerte etwa so lange, wie sich eine Ewigkeit anfühlen musste. Obwohl er mehrfach beschloss, sie ab sofort offen zu lassen, zog etwas so an den Augenlidern, dass sie immer wieder zuklappten. Die Nacht war, soweit er sich erinnern konnte, einfach zu kurz gewesen. Und der Schlaf nicht gerade besonders erholsam. Was wiederum nicht ganz überraschend war, wenn man bedachte, wann er zuletzt mit einer Luftmatratze zu kämpfen hatte. Ob er schon mal so schlecht geschlafen hatte, musste vermutlich für alle Zeiten ein ungelöstes Rätsel bleiben. Zumindest war er sicher, dass es noch nicht allzu oft der Fall gewesen sein konnte. Überhaupt, Schlafen war schon sehr wohlwollend ausgedrückt für den Wechsel von der linken Seite auf die rechte und umgekehrt, während es sich jedes Mal schlimmer anfühlte, als befände er sich auf einem Schiff mit Seegang. Dagegen war das vielfache Schnarchen um ihn herum, das monotone Brummen der Stromaggregate, die laute Musik und die nicht endenden Wacköön - Rufe nicht müde werdender Musikfans das kleinere Übel gewesen. Irgendwann fing man an, das nicht mehr zu hören. Im Nachhinein war es wohl keine von seinen klügsten Ideen gewesen, sich auf diese Wette einzulassen, dachte Waldner. Das hatte er einem gehörigen Maß an Blauäugigkeit und natürlich Tobias Wegener zu verdanken. Nicht allein, korrigierte er sich. Eigentlich gehörte auch noch eine ebenso große Portion Selbstüberschätzung dazu, die ihn verleitet hatte, sich auf eine Nacht wie diese einzulassen. Und, wie er befürchten musste, noch auf vier weitere Nächte in diesem riesigen Zeltlager, in dem man schon froh sein durfte, wenn man sein eigenes Zelt auf dem Rückweg vom Dixi-Klo wieder gefunden hatte. Das Wacken - Festival feierte in diesem Jahr seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag, augenscheinlich waren auch noch andere Besucher auf den Gedanken gekommen, einen Tag früher anzureisen. Wenn man sich auf den Zeltplätzen umsah, hätte man meinen können, dass sowieso schon alle da waren, aber der ständige Zustrom an Autos auch die gesamte Nacht über verhieß etwas anderes. Auf jeden Fall würde das Festival, zur Freude der anderen vier Mitreisenden und zu seinem Leidwesen, einen Tag länger dauern als gewöhnlich. Aber was bedeutete hier schon „gewöhnlich".

    Andererseits, durfte er sich überhaupt beklagen? Es hatte an Warnungen im Vorfeld nicht gefehlt. Du - dahin fahren und zelten? Dafür bist du viel zu alt. Das hältst du keine zwei Tage aus. Was natürlich das Letzte war, das er hatte hören wollen. Und, wie er zugeben musste, vermutlich mehr der Wahrheit entsprach, als ihm lieb war. Vermutlich hielten ihn selbst die Kollegen, die nichts dazu gesagt hatten, für ziemlich durchgeknallt. Er konnte es ihnen nicht verdenken. Ihm wäre das im umgekehrten Fall vermutlich nicht anders gegangen, unter normalen Umständen jedenfalls. Wäre er nicht in seiner Bielefelder Zeit an Gert Henning Hansen geraten. Und wäre da nicht jener penetrant freche und unverschämt gut gelaunte Grünschnabel namens Tobias gewesen, mit dem er aus unerfindlichen Gründen auf Langeoog Freundschaft geschlossen hatte. Und natürlich diese Wette, die er so leichtfertig eingegangen war, wie ein unbedarfter Teenager. Die er jetzt vermutlich mit Pauken und Trompeten verlieren würde, wenn nicht ein kleines Wunder geschah. Und nach dieser Nacht mochte er an Wunder nicht mehr so recht glauben...

    Anscheinend war er der erste wache Festivalbesucher weit und breit, dachte Waldner. Rundherum regte sich nichts. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm auch den Grund dafür. Es war noch nicht einmal halb sechs. Eine Zeit, zu der er normalerweise sich gerade ein weiteres Mal umdrehte, in dem instinktiven Wissen, dass es noch eine gute Stunde dauern würde, bis ihn der Wecker aus seinen Träumen riss. Normalerweise zumindest, zuhause, wo er ein echtes Bett hatte und nicht zehntausende Metaller und Metallerinnen darin wetteiferten, die Bäume an den Begrenzungen des Campingareals zu erledigen. In gewisser Weise hatte die Situation was Unreales und Bizarres, fand er. Nicht, weil er hier schlechter schlief, als zuhause, damit hatte er rechnen können. Aber ausgerechnet er, der seit Jahren völlig den Draht zur Musikszene verloren hatte und nicht einmal die gängigsten Stücke kannte, die im Radio liefen, versuchte sich auf einem Festival, dass bekanntermaßen von einer Szene beherrscht wurde, die, gelinde gesagt, exotisch war. Natürlich hatte er in den letzten Jahren schon mal davon gehört, dass es dieses Dorf in Schleswig - Holstein gab und dass es dort Jahr für Jahr eine Invasion von Musikfans gab, die wohl der Hardcore-Szene zuzurechnen waren und auf eine Musik standen, die ebenfalls diesen Namen verdiente. Bei einem seiner letzten Fälle hatte er sogar jemanden kennen gelernt, der von hier stammte, aber das hätte ihn nicht im Traum auf den Gedanken gebracht, selbst nach Wacken zu fahren. Und dennoch saß er hier heute in aller Herrgottsfrühe auf einer schlecht gefüllten Luftmatratze in einem ebenso schlecht aufgebauten Zelt, noch halb mit den Beinen in einem viel zu warmen Schlafsack und wunderte sich, was er hier tat.

    Das hatte beinahe den Stoff zu einem Roman, zu einer Komödie, fand er, oder noch besser, zu einer Tragikomödie, ähnlich der von Mister Bean, der sich, eigentlich nur auf eine nette Urlaubsreise nach Frankreich aus, in ein totales Chaos verstrickt. Waldner in Wacken, dachte er, das besaß ähnliche Qualitäten. Mittlerweile hellwach hatte sich auch das Problem mit den Augen gelöst und er streifte den Schlafsack von seinen Beinen. Toby in der Kabine nebenan schien, wie es sich anhörte, seine Probleme nicht zu teilen. Weshalb auch, er kam ja auch schon seit Jahren hierher und war an extreme Bedingungen akklimatisiert. Und zudem auch noch begeisterter Musikfan. Hätte er sich nur nicht so weit hinausgelehnt im letzten Sommer mit seinen Beziehungen zu dieser Szene. Eigentlich hatte er nur mal auftrumpfen wollen und war auf staunende Gesichter aus gewesen. Was daraus entstanden war, hatte sich dann jeglicher Kontrolle entzogen.

    So leise wie möglich rollte er sich von der knatschenden Luftmatratze und suchte sich in dem Haufen Kleidung neben sich etwas, dass nach einer sauberen Jeans aussah. Ebenso vorsichtig öffnete er den Reißverschluss seiner Zeltkabine, aber im Grunde hätte er sich nicht anstrengen brauchen. Auf Tobias Seite regte sich nichts. Die Ordnung in ihrem Vorzelt war etwa genauso kreativ wie die in seiner Kabine, vermutlich sah es bei Tobias nicht anders aus, sie hatten beide gestern Abend etwas Mühe gehabt, den Weg ins Zelt zu finden, ohne über Schnüre, Taschen und Campinggeschirr zu stolpern. Allerdings war es den anderen beiden Mitreisenden, Freunden von Tobias aus Oldenburg, wenig besser gegangen. Sowohl der rothaarige Riese mit dem irgendwie ungewöhnlichen, aber gleichwie passenden Namen Rainulf als auch der noch eher jugendlich und gegen Rainulf schmächtig wirkende Ansgar waren, soweit er sich zurückerinnerte, mehr gewankt als geradeaus gegangen. Irgendwie musste ja etwas gegen die gewaltigen Biervorräte getan werden, die sie mitgenommen hatten, dachte er und stellte fest, dass sein Kopf wider Erwarten weder brummte noch drückte, sondern klar war. Auch keine Spur von Schwindel oder Übelkeit, auf jeden Fall ein gutes Zeichen und wenigstens etwas Positives in diesem ganzen Schlam(m)assel.

    Der Eingang zum Zelt war die Nacht über offen geblieben und von draußen schien schon die Sonne ins Zelt. Wenigstens kein Regen, dachte er erleichtert, das hätte ihm gerade noch gefehlt. Zelten und Regen, das ging zusammen noch viel weniger, als Zelten allein. Draußen roch es nach Fett und Gegrilltem sowie nach Bier, das jemand zu späterer Stunde vermutlich verschüttet hatte. Wahrscheinlich auch eine Art Überlebensreflex bei einem solchen Campingausflug. Damit stieg die Chance, den nächsten Tag halbwegs akzeptabel antreten zu können. Man lief hier leicht Gefahr, einfach zu viel zu trinken. Doch vielleicht war das ja für manche nicht die Gefahr, sondern der Reiz eines solchen Ereignisses. Ein paar Tage einfach mal so richtig einen draufmachen, bevor nach diesen Tagen der normale Alltag wieder das Leben diktiert. Wenn er es so recht bedachte, hatte ihnen gestern niemand ihre Biere unter Androhung von Zwang eingeflößt. Und wenn er weiterdachte und allmählich der Nebel über dem gestrigen Abend sich lichtete, war es ein guter Abend gewesen.

    Sie hatten gegrillt und sich ziemlich gut unterhalten. Männergespräche halt, wie man sie nur bei seltenen Gelegenheiten führen konnte. Und dann waren auch noch die tschechischen Nachbarn vorbeigekommen, Pavel, Oleg und noch zwei andere, deren Namen er nicht behalten hatte. Man hatte sich Grill und Getränke geteilt, weil die Jungs vergessen hatten, Kohle zu besorgen. Ehrensache, dass man da aushalf. Und schließlich waren sie auch noch, da war er sich ziemlich sicher, bei den Zeltnachbarn rechts aus Österreich gelandet. Danach war irgendwann der Faden sehr dünn geworden, der sich durch den Rest des Abends gesponnen hatte. Mehr Ahnung, als echte Erinnerungen. Aber anfühlen tat es sich dennoch nach einem echt coolen Abend. So gesehen konnte man fast sagen, dass es sich gelohnt hatte, die Nacht nicht im eigenen Bett in Oldenburg zu verbringen...

    Waldner fühlte sich etwas verwirrt. Eigentlich war er sicher, dass dieses Leben im Zelt und die Nächte auf einem Festival gar nicht recht zu ihm passten. Mit Sicherheit war er nicht mehr jung genug für solche Eskapaden und wer konnte schon vorhersagen welche Folgen diese Nächte für seinen Rücken, seine Kondition und seinen Biorhythmus haben würden. Aber je klarer sich die Erlebnisse aus der letzten Nacht in seinem Kopf abzeichneten, umso lauter wurde auch eine Stimme in seinem Kopf, die was ganz und gar Entgegengesetztes zu sagen schien. Wenn dir etwas sagt, du bist zu alt, pfeif einfach drauf. Wenn dir etwas sagt, das tut dir nicht gut, pfeif einfach drauf. Wenn du dir Sorgen machst, was andere denken könnten, pfeif einfach drauf. Ganz genau genommen hatte diese Stimme nicht von pfeifen gesprochen, sondern sich noch einer etwas derberen Ausdrucksweise bedient. Aber das laut zu denken, soweit war er vielleicht doch noch nicht...

    Mittlerweile war die Sonne höher gestiegen. Es war für die Uhrzeit erstaunlich warm, wenngleich er keinen richtigen Vergleich hatte, denn normalerweise war er um diese Uhrzeit nicht draußen. Eines hatte sich immerhin in der Zwischenzeit verändert. Er war nicht mehr die einzige wache Person auf diesem Platz. Irgendwo da draußen hatte jemand ähnlich wie er befunden, dass die Nacht vorbei war. Und dieser Jemand bewies dabei einen etwas skurrilen Humor. Anders war es nicht zu erklären, dass er oder sie den Platz mit einem Wecklied beschallte. Guten Morgen, guten Morgen, erklang eine fröhliche Frauenstimme aus einer Anlage, die nicht allzu weit von ihnen entfernt stehen musste und von der Leistung her durchaus zu mehr in der Lage gewesen wäre. Guten Morgen Sonnenschein... Irgendwoher kam ihm der Song bekannt vor. Diese Nacht blieb dir verborgen, doch du darfst nicht traurig sein... Ihm fiel gar nicht ein, traurig zu sein, zumal ihm diese Nacht immer weniger verborgen blieb. Aber während er sich noch über Sinn und Unsinn dieses Liedes Gedanken machte, schien an anderer Stelle schon wieder jemand wach geworden zu sein. Und wohl auch im Besitz einer nicht zu klein ausgelegten Musikanlage. Aber dieser Neuzugang entpuppte sich als Fan deutscher Marsch- und Militärrhythmen. Und von Minute zu Minute kamen weitere Lebenszeichen aus den verschiedensten Richtungen. Eine laute Schiffssirene, die sich mit lang gezogem Tuten über das Gelände ausbreitete, eine Art Jagdhorn, das ein lautes Signal von sich gab, vielleicht ein Signal zum Aufstehen, aber da kannte er sich nicht aus. Jedenfalls war er hier nicht nur von Langschläfern umgeben, die Nacht war endgültig verstrichen und das Leben kehrte in die Zelte zurück. Waldner beschloss, mit einer endgültigen Bewertung, ob er hierhin passte, zumindest noch eine weitere Nacht zu warten...

    Knapp zwei Stunden später war der Biergeruch von dem Geruch nach frischem, einigermaßen heißem Kaffee überlagert, ein Umstand, der seine Laune um Klassen steigen ließ. Tobias hatte Brötchen von einem der Verkaufsstände erbeutet, Ansgar und Jörg waren irgendwo unterwegs auf der Suche nach einer Dusche. Von wegen, dachte Waldner, Duschen ist uncool auf Wacken. Es liefen pausenlos irgendwelche unausgeschlafenen Gestalten mit zotteligen Haaren und Duschutensilien über den Platz und einige hatte er auch schon zurückkehren sehen, mit nassen Haaren, frisch rasiert und den Geruch von Shampoo verströmend. Eine Sache zumindest, die ins Reich der Legenden gehörte. „Und? grinste Tobias unverschämt fröhlich. „Die erste Nacht überlebt? Waldner sparte sich eine Erwiderung. Stattdessen nahm er einen großen Schluck Kaffee und verbrannte sich beinahe den Mund daran. Spontane Kommentare waren nicht seine Stärke, das konnte Toby besser. „War alles ganz okay, bis auf dein lautes Sägen, meinte er dann. „Sonst hätte ich noch etwas von der Musik gehört.

    Kleine Frozzeleien waren bei ihnen an der Tagesordnung, ansonsten verstanden sie sich bestens, musste er einräumen. Dass er Tobias kennengelernt hatte, war besonders in jener Zeit ein großer Vorteil gewesen, als seine Beziehung mit Sylvia zu Ende ging. An manchem Abend waren sie zusammen „ums Eck gezogen, wie Tobias das nannte, gar nicht mal, um viel zu reden, oft hatten sie einfach nur dagesessen, über den Lauf der Welt und das Leben an sich geplaudert. Oder auch einfach gar nichts gesagt. Irgendwie hatte das ihm leichter gemacht, das Kapitel mit Sylvia abzuschließen. Nicht, dass sie im Streit auseinandergegangen waren. Im Gegenteil sie telefonierten bisweilen und waren auch „danach noch ein paar Mal gemeinsam Essen gewesen. Einmal hatten sie sogar Sex danach. Irgendwie hatte er danach gehofft, dass sich die Dinge wieder einrenken würden. Hatten sie aber nicht.

    Nachdem sie damals diese neue Aufgabe übernommen hatte, eine groß angelegte Kampagne für einen namhaftes Unternehmen der Energieversorgungsbranche zu begleiten, bei der es darum ging, dem Unternehmen ein neues grünes Image zu verpassen, blieb einfach keine Zeit mehr über, die sie miteinander teilen konnten. Am Ende nicht einmal mehr die Wochenenden. Das war, zumindest für ihn, auf Dauer zu wenig. Und als der kleine Vorrat an Gemeinsamkeiten aufgebraucht war, hatten sie eine Entscheidung treffen müssen. Wenigstens hatte er durch diese Erfahrung eines gelernt. Gelegentlich Tisch und Bett zu teilen, war nicht das, was ihn zufrieden machte. Selbst wenn er lange genug versucht hatte, sich das Gegenteil einzureden. Dass es einfacher war, wenn man keine Verpflichtungen einging. Wenn jeder sein eigenes Leben hatte. Und das man für gelegentliche nette Stunden zu Zweit nicht so komplizierte Dinge wie eine Beziehung führen musste. Frei nach der Devise: Willst du gelten, mach dich selten.

    Noch vor einigen Monaten hätte er diesen Ausspruch wie so viele andere, die er je nach Lage der Dinge gebrauchte, seiner Oma Ginelli zugeschrieben. Das war zu einer Art „Running Gag geworden. Im Laufe der Jahre hatte er ihr sicher den ein oder anderen Satz angehängt, den sie niemals gesagt hatte. Auch, wenn es viele Dinge gab, die wirklich von ihr stammten. Aber bei diesem Satz war er sich inzwischen ziemlich sicher, dass er von jemandem anders sein musste. Ihre Worte waren immer ziemlich kluge und vorausschauende gewesen. Solche, die von Lebenserfahrung, von einem tiefen Verständnis für das zeugten was wichtig und richtig im Leben war. Das konnte man von dieser „Weisheit nicht gerade sagen. Sie hatte sich eindeutig als falsch erwiesen und somit alles andere als weise. Wer sich selten machte, der galt bald nichts mehr. So wurde zumindest ein Schuh daraus.

    Überhaupt hatte er das Gefühl, dass, je älter er wurde, die Dinge umso mehr ins Fließen gerieten. Die Halbwertzeit von dem, was man zu wissen glaubte, wurde immer kürzer und wie auch immer die Entscheidungen, die man zu treffen hatte, ausfielen, es schien jedes Mal schwerer, es richtig zu machen. Vor der Zeit mit Sylvia war er absolut davon überzeugt gewesen, dass sich das Thema einer langfristigen Beziehung nach dem unbefriedigenden Ende seiner Ehe erledigt hätte. Zu sehr hatte er zusehen müssen, wie ihm diese entglitt, ohne etwas dagegen tun zu können. So war er zu dem Schluss gekommen, dass für ihn dauerhafte Verbindungen zu immer der gleichen Person auf Dauer nur schaden konnten. Allenfalls noch tolerierbar in Gestalt unverbindlicher Bekanntschaften. Jetzt stellte er fest, dass es bisweilen die Unverbindlichkeit war, die ihn am meisten störte. Darüber würde er noch mal nachdenken und reden müssen.

    Es war bewundernswert, wie locker Tobias, der seit ihrem gemeinsamen Einsatz auf der Nordseeinsel Langeoog eine Liaison mit Wiebke Jannings unterhielt, es nahm, dass er sie nur alle paar Wochen sehen konnte. Dann, wenn er mal keinen Dienst in der Klinik hatte oder ein paar Tage Urlaub. Oder nicht gerade mit Waldner in Wacken unterwegs. Aber schließlich war Toby noch gut zehn Jahre jünger. Und möglicherweise, lief die Zeit für ihn in einem anderen Tempo, hatte er bisweilen den Eindruck. „Keinen Hunger? unterbrach sein jüngerer Freund unsanft seine Gedanken, was ihm aber durchaus gelegen kam. „Wie kommst du darauf? erwiderte er und bediente sich dick aus der Butterdose und schnitt sich zwei kapitale Kanten Käse ab. „Und? ließ Tobias einfach nicht locker. „Sehen wir uns heute deine Freundin an? Da war es wieder, das Thema, mit dem er sich diese Suppe eingebrockt hatte, die sich nicht ohne Blessuren auslöffeln ließ, fürchtete er. Die Freundin, das war Cassie, mit bürgerlichem Namen Cassandra Röschberger, aber Fans kannten die „Princess of Metal wohl eher unter ihrem Künstlernamen. Cassie war mit ihrer Band „The Peacemakers in der Szene ein Idol, aber alles andere als eine Freundin von Waldner. Die Wahrheit war viel einfacher und profaner, und gleichzeitig auch irgendwie kompliziert.

    Nicht Cassandra Röschberger, sondern ihr Bassist Gert Henning Hansen war es, mit dem ihn, in einem früheren Lebensabschnitt, eine freundschaftliche Beziehung verbunden hatte. Waldner überlegte, ob die Vergangenheitsform der Sache gerecht wurde. Richtig offiziell war diese Freundschaft nie beendet worden. Aber wie es im Leben so kam. Man verlor sich aus den Augen, zog woanders hin, tat andere Dinge und dann stellte man fest, dass es einfach nicht mehr so viel Verbindendes gab. Sie waren damals Nachbarn gewesen, in Bielefeld, vor über zwanzig Jahren. Zufällig hatten sie beide im gleichen Haus gewohnt und Gert spielte in einer damals allenfalls Insidern bekannten Band, „The Warriors", die irgendwo zwischen Ruhrgebiet und Westfalen beheimatet war. Cassandra war Sängerin in dieser Band und natürlich hatte er sie auch persönlich kennen gelernt und getroffen, einige Male bei Gert. Damals war sie noch eine recht lokale Bekanntheit gewesen, ziemlich anders als die Frauen, die er als angehender Polizist für gewöhnlich kannte. Eine Konstellation, die schon per se schwierig gewesen war.

    Gert und Cassandra waren in dieser Zeit ein Paar gewesen, zumindest immer wieder mal. Genauso häufig hatten sie sich nämlich auch des Öfteren getrennt. Privat lief es zwischen den beiden recht bewegt ab, wie er hautnah miterleben durfte. Musikalisch harmonierten sie offensichtlich besser, er hatte Gert vor Jahren getroffen, eher zufällig bei der Beerdigung eines gemeinsamen Freundes aus dieser Zeit. Um dabei zu erfahren, dass Gert noch immer als Bassist bei Cassandra spielte. Soweit die Geschichte, mit der er zu späterer Stunde hatte auftrumpfen wollen, als Tobias wieder einmal von diesem Festival geschwärmt hatte. Das war wohl ein Fehler gewesen, denn daraus hatte sich diese Wette ergeben, deren Einzelheiten er schon beinahe wieder vergessen hatte, als ihm Toby vor zwei Monaten die Karte unter die Nase gehalten hatte. Wettschulden sind Ehrenschulden, hatte er gesagt. Irgendwie war ihm dann kein plausibler Grund mehr eingefallen, sich vor dem Einlösen dieser Wette zu drücken…

    „Habe ich denn eine andere Wahl? Tobias schüttelte erwartungsgemäß den Kopf. Die hatte Waldner gestern bereits nicht gehabt, als es auf den Festivalplatz gegangen war, um die Feuerwehrkapelle Wacken zu erleben. Nachdem sich sein Kopf sortiert hatte, war der ganze Abend wieder präsent. Schon Heavy Metal war für ihn alles andere als erste Wahl. Aber Blasmusik noch nicht einmal die dritte. Es hätte ihn gewundert, wenn irgendwer von den tausenden Menschen in ihren schwarzen Outfits in seiner Freizeit anders getickt hätte als er. Dennoch waren die „Wacken Firefighters anscheinend Kult auf diesem Festival, genauso wie dieser Zumba-Karl, der anschließend mit seinem Mischpult für Musik gesorgt hatte, die auf jedes Ernte- oder Schützenfest gepasst hätte. Und bei feucht-fröhlicher Stimmung hatten etliche der „Metalheadz" mitgegrölt, nicht eben ton- oder textsicher, aber laut. Vielleicht musste man das nicht unbedingt mögen, aber die Stimmung war durchweg gut gewesen, niemand ärgerlich, wenn der Platz eng war oder ihn ein Nachbar anrempelte, oder mal Bier über die Kutten spritzte, es gab viele Umarmungen und Verbrüderungen, zwischendurch auch ein paar nackte Brüste, wenn er sich recht entsann, hatten sie sogar echte Ureinwohner aus dem Dorf kennen gelernt. Aber wie gesagt, es war ein feucht-fröhlicher Abend. Der nach ihrer Rückkehr auf den Zeltplatz in gleicher Weise weiter gegangen war und mit den hinreichend bekanntem Ergebnis geendet hatte, dessen Spuren sich an diesem Morgen allmählich verloren.

    „Also gut, erwiderte er und schenkte sich weitere Einwände. „Wie spät? Tobias zuckte mit den Achseln. Wie angekündigt, plante er, schon früher zu gehen, die Namen der Bands, die er sehen wollte, waren Waldner völlig unbekannt, weshalb dieser beschloss, darauf verzichten zu können. Und selbst wenn er heute noch unerwartet seine Liebe für lautes Schreien und dumpfe Rhythmen entdecken sollte, was Tobias zufolge „Death-Metal genannt wurde, man sollte Nichts übertreiben. Schließlich hatte er wohlweislich sein Mountainbike mitgenommen und schon eine Route über die Dörfer zum Nordostseekanal erkundet. „Wie wär´s gegen acht an der Bühne am Biergarten? Cassandras Konzert beginnt um neun, da bleibt noch genug Zeit. Damit konnte Waldner leben…

    Kapitel 2

    Mittwochvormittag

    Waldner beglückwünschte sich zu seiner Entscheidung, bei der Anschaffung eines Rades Wert auf Reifen gelegt zu haben, die sich auch auf rutschigem Gelände bewährten. Obwohl, so ganz auf seinem Mist gewachsen war die Entscheidung doch nicht, musste er zugeben. Jemand anders hatte dabei nachgeholfen. Allein wäre er kaum auf den Gedanken gekommen, sich ein Fahrrad zuzulegen. Über lange Jahre hatte er Radfahren allenfalls als sportliches Ereignis wahrgenommen, eine Sportart, die nicht gerade zu seinen großen Leidenschaften gehörte, nicht einmal zu den kleinen. In Oldenburg ging er zu Fuß oder nahm den Bus. Wenn er dienstlich unterwegs war, gab es meistens einen Dienstwagen mit Fahrer. Radfahren war ihm vergleichbar überflüssig erschienen wie Autofahren oder Fliegen. Es ging gut ohne. Dass sich das zumindest beim Radfahren geändert hatte, war Sylvias Schuld oder besser gesagt, es war ihr Verdienst gewesen. Eine große Wahl hatte sie ihm allerdings auch nicht gelassen. Immerhin, seither konnte er dieser Art der Fortbewegung durchaus Vorzüge abgewinnen, mitunter hatte sich sogar ein Hauch von Genuss eingeschlichen, wenn er allein oder mit Sylvia unterwegs gewesen war. Und wenn das Wetter einigermaßen stimmte.

    Im Regelfall nutzte er jedoch bei seinen Ausflügen ein anderes Gelände. Auf keinen Fall ging es quer über Felder und Wiesen. Wobei „Wiese" für dieses Gelände ein eher schmeichelhafter Ausdruck war. Dort, wo die Zelte und Pavillons standen, war der Untergrund dicht mit Gras bewachsen, dass die Bauern vermutlich erst in den letzten Tagen abgemäht hatten. An den Seitenrändern und teils auch in den Spuren für die Fahrzeuge ließ sich beim

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