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Keine Rückkehr: Ein Mallorca-Krimi
Keine Rückkehr: Ein Mallorca-Krimi
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eBook363 Seiten4 Stunden

Keine Rückkehr: Ein Mallorca-Krimi

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Über dieses E-Book

Ausgerechnet als er sich auf Mallorca von einem Mordanschlag erholen soll, findet der aus Padua stammende Commissario Berlingui schon nach wenigen Tagen in unmittelbarer Nähe zu einem kleinen Kloster die Leiche einer jungen Frau. Am liebsten würde er sich aus den Untersuchungen heraushalten, doch Inspector Sanchez Olivero bindet ihn in einen immer komplexer werdenden Fall mehr und mehr ein.
Ein rasanter, harter, mitunter dunkler und leider immer aktuell bleibender Krimi.

„Andreas Heßelmann packt mit einer erstaunlichen Souveränität und großem Können, immer wieder heiße Themen unserer Zeit an.“ (Thomas Fislage)
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum30. Aug. 2016
ISBN9783740755034
Keine Rückkehr: Ein Mallorca-Krimi
Autor

Andreas Heßelmann

1958 Duisburg, Niederrhein. Seit 1980 Buchhändler in der Nähe von Stuttgart. Nun im Ruhestand. Seit 1991 schreibe ich Bücher. Was zunächst ein abendlicher Ausgleich für den Alltag war, wurde in wenigen Jahren zu einer Leidenschaft. Das Gefühl mit den eigenen Gedanken und Worten Menschen und Situationen zu erschaffen, ist im Moment des Schreibens unübertroffen. Dann aus diesen Büchern vorzulesen und die Zuhörer fesseln zu können erst recht. Kaum drei Jahre alt, die ersten Märchenplatten, dann Jim Knopf, die ersten (Kinder)-Krimis von Enid Blyton und später die von Jean-Bernard Pouy. Eine von Anfang an spannende und überaus fesselnde Welt, in der ich versank und die ich als Kind mit eigenen Figuren ergänzte. Meine Phantasie war angeregt. Das gilt auch heute noch. Ich wurde Buchhändler, schreibe seit 30 Jahren, erwecke Personen und Handlungen zum Leben und mache daraus Bücher, die ich gerne selber lese. Das ist in meinen Augen entscheidend: Man sollte die eigenen Bücher mögen.

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    Buchvorschau

    Keine Rückkehr - Andreas Heßelmann

    Die Zeit ist eine geräuschlose Feile

    (italienisches Sprichwort)

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    27. September, 9 Uhr 10

    27. September, 11 Uhr 55

    27. September 14 Uhr 35

    28. September, 10 Uhr 15

    28. September, 10 Uhr 20

    28. September, 10 Uhr 25

    28. September, 10 Uhr 30

    28. September, 10 Uhr 45

    28. September, 11 Uhr 15

    28. September, 11 Uhr 30

    28. September, 14 Uhr 10

    28. September, 14 Uhr 25

    28. September, 15 Uhr 05

    29. September, 9 Uhr 10

    29. September, 13 Uhr 40

    29. September, 15 Uhr 25

    29. September, 17 Uhr 10

    29. September, 20 Uhr 40

    29. September, 21 Uhr 50

    30. September, 8 Uhr 35

    30. September, 10 Uhr 40

    30. September, 16 Uhr 15

    30. September, 17 Uhr 55

    30. September, 19 Uhr 10

    30. September, 21 Uhr 20

    30. September, 22 Uhr 05

    1. Oktober, 2 Uhr 15

    1. Oktober, 9 Uhr 15

    1. Oktober, 10 Uhr 35

    1. Oktober, 11 Uhr 45

    1. Oktober, 16 Uhr 20

    1. Oktober, 16 Uhr 35

    1. Oktober, 16 Uhr 50

    1. Oktober, 17 Uhr 00

    1. Oktober, 17 Uhr 15

    1. Oktober, 18 Uhr 10

    1. Oktober, 21 Uhr 20

    2. Oktober, 10 Uhr 10

    2. Oktober, 10 Uhr 25

    2. Oktober, 10 Uhr 55

    2. Oktober, 11 Uhr 20

    2. Oktober, 11 Uhr 35

    2. Oktober, 11 Uhr 55

    2. Oktober, 12 Uhr 25

    2. Oktober, 13 Uhr 15

    2. Oktober, 13 Uhr 40

    2. Oktober, 15 Uhr 35

    2. Oktober, 15 Uhr 55

    2. Oktober, 16 Uhr 10

    2. Oktober, 16 Uhr 15

    2. Oktober, 20 Uhr 35

    2. Oktober, 22 Uhr 20

    2. Oktober, 22 Uhr 35

    2. Oktober, 22 Uhr 50

    2. Oktober, 23 Uhr 45

    3. Oktober, 5 Uhr 15

    3. Oktober, 5 Uhr 25

    3. Oktober, 8 Uhr 15

    3. Oktober, 8 Uhr 25

    3. Oktober, 8 Uhr 40

    3. Oktober, 8 Uhr 45

    3. Oktober, 9 Uhr 00

    3. Oktober, gleiche Zeit

    3. Oktober, 9 Uhr 05

    3. Oktober, 10 Uhr 20

    3. Oktober, 12 Uhr 05

    3. Oktober, 20 Uhr 30

    3. Oktober, 23 Uhr 40

    4. Oktober, 17 Uhr 50

    5. Oktober, 0 Uhr 40

    6. Oktober, 7 Uhr 30

    6. Oktober, 8 Uhr 20

    Prolog

    „Hauen Sie ab, hatte Sfarzi gesagt und dabei mit seinen Armen gewedelt, „hauen Sie ab! Verschwinden Sie! Von mir aus gleich für drei oder vier Wochen. Und wenn‘s sein muss auch länger. Mir fast egal. Sie müssen raus aus dem Bau. Abstand gewinnen. Diesen ganzen Mist hinter sich lassen und vergessen. Machen Sie mal richtig Urlaub. Ich weiß sowieso nicht, wann Sie das letzte Mal weg waren. Am besten verlassen Sie sogar das Land, statt in Ihrem Garten rumzuhängen. Gehen Sie weit weg, in die Bretagne, Mongolei oder Atacama, nach Schweden, oder ... vollkommen einerlei ..., er machte noch eine als Witz gedachte Handbewegung dazu, „gehen Sie doch nach Mallorca. - Da ist es ganz besonders schön und vor allem still. Denn sie treffen kaum einen Landsmann."

    Sfarzi lachte bei den letzten Bemerkungen und wackelte auf seinem Stuhl wie ein Kind hin und her.

    „Das würde nämlich gerade noch fehlen. Umzingelt von Italienern. Die schöne Ruhe wäre dahin. Mitsamt der Erholung. Und im Übrigen findet Ihre soziale Ader dort auch ihre Ruhe. Sie könnten mit einem Aufenthalt Wiedergutmachung leisten, für die ganzen Gräueltaten, die Mussolini und Co während des Bürgerkrieges dort hinterlassen haben. – Mensch, Piero, ich kann mir keinen seelisch und körperlich ramponierten Commissario leisten. Hauen Sie ab! Tanken Sie auf! Danach sehen wir weiter."

    Drei Monate hatten sie an ihm herumgebastelt. Aufgeschnitten, zugenäht und wieder irgendwo aufgeschnitten. Dann lachten sie und meinten, keine Frau würde für noch so viel Geld so gründlich behandelt und verschönert werden. Ja, bei ihm wäre doch eigentlich nur Arm und Bein wiederherzustellen. Von der ekligen, zu einer wulstig gewordenen Narbe auf seiner Brust sagten sie nichts. Die hatten sie einfach zugeklebt. Aber dieses Gefühl in seinem Kopf konnten sie so nicht reparieren. Mit keinem Pflaster. Dafür fehlte ihnen das Werkzeug. Da half auch kein Verband und keine Schere. Hier ging es nicht einfach um Wunden und nicht um Schmerz. Das war nichts für ihre dämlichen Tabletten. Hier ging es um die Ungeheuerlichkeit, die dahintersteckte. Die er nicht verstand, weil sein Bewusstsein seit dem Moment des Aufpralls nicht die Möglichkeit bekommen hatte, es irgendwie nachzuvollziehen. Als man ihm versprach, das in den Griff zu bekommen, fand er sich in einem weichen Ledersessel wieder. Aber das Gequatsche dieser Psychologin ging ihm bereits nach dem ersten Tag auf die Nerven. Ihr Gesicht passte zu jedem einfachen Berufe-Rate-Quiz im Fernsehen. Selbst ohne hinzugucken hätte er sie als Therapeutin entlarvt. Diese lebende Stereotype. Diese zweibeinige, dozierende Zeile aus dem Lehrbuch im Staatsdienst. Allein schon wie sie sprach, als wenn sie mit ihm ein Rhetoriktraining absolvierte, statt sich in seinen Zustand einzufühlen. Dabei jedes Wort und jede Silbe ü-ber-deut-lich betonend. Vollkommen emotionslos. So könnte man Steine zum Wegrennen bringen, aber nicht Menschen neuen Lebensmut einhauchen. Da war nichts Fürsorgliches, Mütterliches, geschweige Weibliches dran. Man hätte ja wenigstens auf die Optik, ihre Optik, Acht geben können, bevor man ihm so etwas vorsetzte. Carla durfte ja nicht mit. Sie ist befangen, viel zu dicht dran, das müssen Sie doch verstehen, hieß es. Nein, er verstand es nicht. Aber wenigstens so eine wie Vio wäre gut gewesen. Eine mit Witz und Geist - und diesem unnachahmlichen Sex-Appeal, dem jeder Anstand fehlte und der trotzdem so überaus anständig war. Trotz des ständigen Eroberungsfeldzugs mit dünnen Klamotten und schwingendem Hintern. Der allein schon hätte jede Therapie ersetzt. Aber auch diese Ablenkung gestand man ihm nicht zu, denn die Psycho-Tante war klapperdürr wie eine Gottesanbeterin und ihre Armhaltung passte auch irgendwie dazu.

    Nachts verfolgte ihn immer noch die Hand mit der Mini-Uzi, dieser kleinen MP, die unaufhörlich den Abzug drückte, die er anstarrte, nachdem die Seitenscheibe schon längst hochgefahren war und der Rest von dem dazugehörigen Körper bereits an der Autotür seines Wagens hing. Dieses enervierende, fast übertrieben und provozierend langsame Tackern der Salve vertonte nahezu live solche Nächte. Und jedes Mal deutlicher und mehr in Zeitlupe sah er den Kugeln dabei zu, wie sie ihm Arm und Bein zerschlugen. Hörte er deren Zischen in der Luft und das ekelige Pflatschen, als sie sein Fleisch mit hässlichen Wunden zerfetzte. Löcher, die Carla nachts in den letzten drei, vier Wochen im Dunkel des Zimmers gnädigerweise dann nicht mehr wahrnahm, wenn sein zerbeultes Ich ein kurzes Vergessen, eine kurze Erlösung in ihrem Körper suchte. Wenn gleichzeitig dieses Fragezeichen in seinem Kopf sich aufplusterte und genau in diesem Moment glaubte, seine Daseinsberechtigung ausspielen zu müssen, damit es sein Glück wieder sabotieren und infrage stellen konnte. Genau in diesem Moment, als auch der Film der Erinnerungen das herausschießende Blut aus Bein und Arm auf seine innere Leinwand projizierte, schleuderte und dieser Film gleich darauf riss.

    Er hatte viel Blut verloren, sehr viel. Der Zustand war lang genug kritisch. Sein Wille rang mit der Sehnsucht nach ewiger Ruhe und dem Wunsch, sofort einsatzfähig zu sein. Geheilt zu werden schien in diesem Bestreben nicht vorzukommen. Ein anständiger Mörder hätte seinen Kopf explodieren lassen oder das Herz zersiebt. Und nicht noch versucht, ihn mit dieser scheißgelben Maschine zu überholen. Aber so hatte er sein Leben wieder erhalten und wusste wochenlang nicht, wie er damit umgehen sollte.

    Seit vier Tagen war er nun hier, tatsächlich auf dieser Insel, Mallorca, die sonst keiner ihrer Freunde und Bekannten kannte, nicht mal sein treuer Helfer, der schlaue Ispettore Collasso oder dessen viel zu schöne und gleichzeitig irgendwie verruchte Freundin Chiara, die für Berlingui immer noch eher ein zweifelhaftes Animiermädchen als lediglich eine Empfangsdame in einer zugegebener Maßen speziellen Bar war. Seit vier Tagen war er also nun hier und versuchte, Abstand zu gewinnen. Seit vier Tagen fuhren sie mit einem schicken, aber für die meisten kleinen Straßen im Gebirge viel zu großen Renault Laguna durch die Gegend, um nicht nur Kilometer und Sehenswürdigkeiten hinter sich zu lassen. Eher ein Versuch, mit jedem Kilometer auch einen Teil der Festplatte in seinem Kopf zu löschen und die Gebilde seiner Angstträume zum Abbruch freizugeben.

    Mit jeder Kurve der Küstenstraßen wurde ihm allmählich darüber hinaus bewusst, dass er in den letzten Monaten viel zu oft der Rückseite seines Lebens, des Ganzen, dieser berühmten Münze begegnet war. Der Rückseite, die man nicht mag, weil kein Wert sichtbar ist. Höchstens für einen Numismatiker, obwohl auch in dessen Katalogen diese vielfach kleiner oder erst an zweiter Stelle abgebildet werden. Aber das Leben ist keine Sammlung, die man großartig gestalten kann, schon gar nicht mit extra dafür erspartem Geld.

    Schicksale lassen nämlich kein einheitliches Thema zu, das erfreuen könnte. Es gerät wie so häufig zunächst zu einer Ansammlung von zumeist pointenlosen Erfahrungen. Völlig zusammenhanglos und doch mit fatalistischer Wirkung. Weil man zurück im Alltag aufgegeben hatte, sich auf die wesentlichen Dinge zu konzentrieren. Denn von diesem Moment an war man davon überzeugt, man bräuchte sich nicht sonderlich anzustrengen, um seine Sammlung auf Vordermann zu bringen. Angeblich war man ja genesen und wieder der Alte.

    Während der letzten Tage im Krankenhaus, anschließend daheim auf der Terrassenliege und nun hier, auf einem Klappstuhl unten am Pool, hatte er sich manchmal totgestellt, bis niemand mehr Notiz von ihm nahm. Auch nicht Carla. Sogar die Natur vergaß ihn, machte eine Pause und legte den Schatten eines Baumes oder einer Mauer auf seinen Körper und wurde deshalb wieder sommerlich alltäglich und normal. Genau das, normal zu werden, das war hier sein Ziel. - Seit gestern hatte er endlich das Gefühl, dass es klappen könnte. Obwohl die Natur ihn nicht vergessen hatte. In diesem Fall Gott sei Dank.

    Sie waren am Ende des Ortes neugierig einen schmalen, gefährlich brüchigen Weg hinuntergestolpert. Unten angelangt, endete dieser unspektakulär am Meer. Inmitten von Kieseln, Steinen und Resten einer Mauer. Ein karger Strand. Fast langweilig. Vor ihnen eine Art Mole. Ein langer, steinig schrundiger Finger hinaus ins Wasser. Zwischen ihm und ihnen waren die Wellen einladend glatt. Keine Minute später waren sie hineingesprungen. Mit einem kindlichen Juchzer und nackt. Sie alberten und tollten in dem, trotz des Herbstes, noch warmen und seidigen Wasser herum. Bewarfen sich mit auf der Oberfläche dümpelnden Algenstücken und versuchten einen Fuß, Arm oder Zipfel Haut des anderen zu erwischen, um sich gegenseitig tiefer ins Wasser zu ziehen. Augenblicke später lagen sie auf dem Rücken und ließen sich treiben. Falls es etwas gab, das Schrecken verstummen, Angstträume abschalten und Wunden schlagartig heilen lassen konnte, war es das Geräusch der unauffälligen Gischt, die sich am Ufer zwischen den Steinen im Takt der flachen Wogen zurückzog und Berlingui an Carlas Espressomaschine erinnerte, die sie beim Umzug in das Haus in Brentelle di Sotto in die Küche gestellt hatten. Während diese damals nämlich mit dem gleichen Geräusch die ersten Tassen brühte, lagen sie sich schon in den Armen, küssten sich und wälzten sich nur kurz darauf im Bett. Er lauschte dem Geräusch, erinnerte sich zurück und war mit der nächsten Gischt, die vom Ufer schlürfend aufgesogen wurde, wieder zwischen den Kieseln gelandet. Mit einem Mal um Jahre gereift. Nun Mann und Frau. Er schaute zu ihr hinüber und schämte sich nicht wegen der nun sichtbaren und männlichen Wirkung, die dieser Blick in die Vergangenheit an ihm hinterließ.

    So hatten sie sich in dieser einsamen, das heißt, in diesem Moment, menschenleeren Bucht, kaum einen Kilometer vom Hotel, zwischen zwei Felsblöcken auf angeschwemmten Algen geliebt. Und es war ihm dabei tatsächlich keine schießende Hand, keine klaffende Wunde und kein albtraumartiger Schrei in die Quere gekommen. Nur sein anschließendes Lachen war dann dort unten zu hören und hallte von der steilen, grauen Wand zurück. Carlas Umarmung, die in ihren Armen erhaltene Erlösung, die dadurch gewonnene Glückstrophäe hatten mit diesem Tag alle gesteckten Ziele bereits erreicht.

    Abends, auf der Dachterrasse ihres Hotels bemerkte er, ausgestattet mit seinem kleinen Opernglas, während er die Umgebung inspizierte, dass man ihnen dabei hätte zusehen können. Die meisten anderen Gäste des Hauses waren Wanderer und die alle hatten mit ziemlicher Sicherheit noch bessere Ferngläser als er. Mit vielleicht zwölffacher oder gar sechzehnfacher Vergrößerung. Mit denen man aus dieser Entfernung sogar das Typenschild eines Bikiniherstellers identifizieren könnte. Gerade auch, weil die tief stehende Sonne wie ein Scheinwerfer die Szene sicher wunderbar beleuchtet hatte. Als er Carla erschreckt darauf aufmerksam machte, bekam sie fast einen Lachkrampf, der ihn wiederum beruhigte.

    Jetzt schaute er lächelnd nach rechts zu ihr hinüber. Beobachtete sie, wie sie von blinzelnden Sonnenstrahlen begleitet unter einer Pinie die Reste des Picknicks in eine Tasche tat und sich dabei immer wieder mit einer Hand die Haare nach hinten kämmte. Ein Bild, das so aufreizend war wie ihr von Algenstücken teilweise verklebter, nackter Körper gestern Nachmittag. Dann guckte er an sich herunter, schloss die Hose und sein Blick wanderte die Außenmauer des kleinen Klosters Santuari Santa Maria des Oliver entlang nach links. Genau in der Sekunde als sich sein Reißverschluss verhedderte und er sich einen Daumennagel abbrach, sah er den Fuß.

    Und dann das Bein.

    Hinter einem Vorsprung der Mauer.

    Nackt.

    Schmutzig.

    Bewegungslos.

    Mit rotlackierten Zehennägeln unter einer schwarzen Folie hervorlugend.

    27. September, 9 Uhr 10

    „Sie müssen entschuldigen, dass die Kollegen der Guardia Civil Sie gestern Abend so hart rangenommen haben. Aber Sie werden das ja aus Italien kennen. Ihre Carabinieri sind ja aus ähnlichem Holz geschnitzt."

    Die verblüffend hellen, eisblauen Augen des Inspector de Policía Miguel Sanchez Olivero betrachteten prüfend Berlingui. Dieser wiederum beobachtete seit einiger Zeit etwas lustlos zuhörend den Inspector und verfolgte dessen Hand, die, wie zur Kontrolle, über den akkurat und allem Anschein nach frisch gestutzten Vollbart rieb. Die Haare waren genauso sorgsam gekürzt worden und ragten in der Mitte des Kopfes wie ein schwarzer Keil fast in die Stirn. Bislang hatte er noch nicht gemerkt, dass dieser Sanchez Olivero, wie man ihm zuvor mitgeteilt hatte, eigentlich ein netter Kerl sein sollte. Und wenn dessen Wortschwall nicht bald aufhörte, könnte er ihm auch den Buckel runterrutschen. Piero Berlingui hatte andere Probleme.

    „Unsere beiden Völker sind sich in den letzten Jahrhunderten nicht häufig begegnet, und wenn, haben sie sich in den allermeisten Fällen dabei nicht besonders gut verstanden. Aber die sprachlichen Barrieren sind kleiner als viele denken. - Wir verstehen uns?"

    Wieder nickte Berlingui. Stumm. Auch wenn er trotz dieser Behauptung, die ihn an manch staatsanwaltliches Geschwafel erinnerte, nicht alles verstanden hatte. So nah lagen ihrer Sprachen nun doch nicht beisammen. Vielleicht war auch seine Anspannung oder die Nervosität des Inspectors schuld, dass er nicht alles sofort mitbekommen konnte. Aber er hatte sich in der letzten Stunde das Wichtigste zusammengereimt. Nur der Tonfall dabei gefiel ihm nicht. Und was viel schlimmer war: ihm ging es wirklich nicht gut. Die letzte Nacht war ein Sprung zurück. Wirkte fast wie ein Anschlag. Er hatte kaum ein Auge zugetan. Nur kurz, aber viel zu heftig hatte wieder ein Haufen Münzen mit diesen unsäglich wertlosen Rückseiten kalt lächelnd und wieder deutlich sichtbar neben ihm auf dem Nachttisch gelegen. Mit mahnendem Glänzen. Und jetzt ärgerte es ihn, dass er nicht einfach wieder an der Mauer entlang nach rechts geschaut und sich von Carla den Reißverschluss hatte aufdröseln und schließen lassen.

    Den gestrigen Abend hatten sie anders geplant. Der sollte nicht mit einer Leiche anfangen. Welcher Abend, außer der vor einem Fernseher oder in einem Kino, hat schon diese Art geplanter Unterhaltung? Ihr Plan sah also anders aus, sie wollten nach dem Essen, wenn es schon längst dunkel geworden war, wieder über den schmalen und mitunter so steilen Cami de sa Galera in die Bucht hinunterlaufen. Und dann ausgestattet mit einer Flasche Wein, zwei Gläsern und einem in Sóller erstandenen Papierbeutel voller Palmeritas, den Wellen des Meeres zuschauen, bis deren Rhythmus sie genügend hypnotisiert und die Natur sie vergessen hätte, um sich einander hinzugeben. Wild und hemmungslos. Mit dem stimulierenden Geräusch der Espressomaschine im Hintergrund. Vor allem in der Dunkelheit unsichtbar für die eventuellen, voyeuristischen Feldstecher auf der Dachterrasse. Berlingui wollte endlich, mit dem neu kennengelernten Reiz des Verruchten, die letzten Gespenster aus seiner Seele treiben, die viel zu häufig, ähnlich den Patronen aus der MP, in den schönsten Momenten auf ihn zujagten. Stattdessen fühlte er sich nun wie ein Phantom. Eines, das einem Teufelsaustreiber gegenübersaß und das wieder einmal Geschichtsunterricht erhielt. Sah er tatsächlich wie ein dummer Bauernjunge aus, den man immer wieder belehren musste? Seine Reaktion war daher nicht nur ein psychologisch motivierter Selbstschutz, sondern er hatte in diesem Moment einfach die Nase voll. Gestrichen voll.

    „Mein lieber Signore Olivero", hob er deshalb an, er hatte keine Ahnung, welcher Name der richtige Nachname war, „wenn Sie wollen, kann ich ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die erklärt, warum ich auf dieser Insel bin. Dieser können Sie gerne auf Ihrem Wege nachforschen. Ob mit der Hilfe der Guardia Civil oder anderer Stellen, xe tuto istéso, ist mir vollkommen egal. Über die geschichtliche Vergangenheit unserer Länder habe ich mich informiert. Diese ist mir inzwischen ziemlich genau bekannt, zumal ich als junger Mensch während meines Studiums einige Geschichtsvorlesungen besucht habe. Ich stehe Ihnen also für etwaige Sühneleistungen nicht zur Verfügung, dispiasùo, bedaure!" Berlingui schmunzelte kaum sichtbar. Ihm war aufgefallen, dass der Ärger in ihm einen zwar nur leichten, aber für die Verständigung sicher erschwerenden, wenn nicht gar unverständlichen venezianischen Tonfall erzeugt hatte. Damit sein Gegenüber den lächelnden Mund nicht erkannte, wischte er sich mit einer Hand über die Lippen und beugte sich vor, um aus dem Glas vor sich einen Schluck Wasser zu trinken. Dann stand er auf. Verwundert über die eigene Entschlossenheit, die diesem Inspector nicht verborgen blieb. Berlinguis Redeweise hatte ihn ohnehin schon alarmiert. Bevor er etwas entgegnen konnte, fügte Berlingui jedoch hinzu:

    „Sie wissen, dass ich als Verdächtiger oder Mitwisser oder sonst irgendwas in Ihrem Fall nicht tauge. Ich bin auch keiner der italienischen Bomber, der weit vor Ihrer und meiner Zeit, Ihr mit sich selbst und seinem Verständnis kämpfendes Spanien heimgesucht hat. Also halten Sie mich nicht zum Besten und lassen mir meine Ruhe. Ich habe zurzeit andere Probleme als Sie."

    Er war unter Dampf und hatte die Tür erreicht. Keine einzige Erklärung würde er jetzt noch abgeben. Nicht eine, und ob der Inspector etwas von seinem Gesagten begriffen hatte, war ihm egal. So nah lagen ihre Sprachen nämlich nicht beisammen. Wirklich nicht. So nah brauchten sie sich auch nicht zu kommen. Er hatte alles gesagt. In diesem Fall schon viel zu viel. Die Leichen in Padua reichten. Schon hatte er die Klinke in der Hand, als er Sanchez Oliveros - er würde einfach beide Namen hintereinander setzen, wie Dick und Doof, wie Pat und Patachon, für den angeblich netten Kerl und den bis jetzt nur nervenden Typen - Sanchez Oliveros Stimme also plötzlich unerwartet sanft und auch etwas resigniert hinter sich hörte. Berlingui brach seine letzte Bewegung ab und schaute tief durchatmend an die Decke. Dann machte er kehrt und sah, dass sein Gegenüber sich hingesetzt hatte und auf dem Stuhl etwas in sich zusammengesunken war. Es passte überhaupt nicht zu dem Bild vor Sekunden. Eine Hand stützte den Kopf und Sanchez Olivero stierte die Wand an, als er sagte:

    „Sie war die Dritte ... innerhalb einer Woche!"

    27. September, 11 Uhr 55

    Die Terrasse des Bellavista war voller sonnenverbrannter und daher rotglühender, englischer Radfahrer. Berlingui schaute hinüber und fragte sich: Wer sonst gab seinen Körper der Sonne so schonungslos hin? Daheim an der Adria durften die Sanitäter in schönster Regelmäßigkeit junge Engländerinnen, die wie vierbeinige Tomaten aussahen ins Sanatorium schaffen. Alles andere als ein erotischer Anblick. Hier waren es auch noch ausnahmslos Männer mittleren Alters. Natürlich mit entsprechendem Bauch. Nur an wenigen Stellen war an ihnen noch ein Stück vollkommen weiße Haut zu sehen. Die Suche nach wenigstens einer etwas ansehnlicheren Frau, in für das Auge wohltuend knappsitzender sportlicher Kleidung und mit dadurch natürlich entsprechend passender Anziehungskraft, war vergeblich. Der Lärm, den diese Truppe hinterließ, passte auch nicht hierher. Ein viel zu lautes, von jedem besserwisserisch kundgetanes Palaver breitete sich in der sonst hier vorhandenen Stille des bisher beschaulichen Ortes aus. Vor ihnen lagen Landkarten so weit auseinandergefaltet, dass ein Pärchen am Nebentisch seinen Platz regelrecht verteidigen und freikämpfen musste. Auch sie waren vielleicht auf der Suche nach dem anderen Mallorca. Dabei gab es kein anderes als das, was sie dort sahen. Carla und Berlingui saßen unter der Markise und fühlten sich auf Grund des Theaters ein wenig in Italien.

    Schon am ersten Tag waren sie hierhergekommen, in der Hoffnung, heimatliche Klänge zu hören, Bellavista klang so herrlich vertraut. Doch das Italienisch des grauhaarigen Patrons ging nicht über Urlaubsfloskeln hinaus. Dafür war der Kaffee und die Tarta di nuezes hervorragend. Und das Schauspiel lohnte sich auch.

    Jetzt waren sie nach einem kurzen Spaziergang entlang der Küstenstraße zum Torre des Verger, unentschlossen über ihr heutiges Vorhaben, in den Ort zurückgekehrt und saßen nun vor seinem vierten Espresso und ihrem zweiten Glas Cava. Einträchtig schüttelten sie über die laut diskutierenden Möchtegernsportler den Kopf. Berlingui deutete ungeniert mit einem wedelnden Finger hinüber, seine Sprache wurde ja auch von denen nicht verstanden, während er Carla mit erheiterter Miene anschaute.

    „Ich würde allzu gern wissen, was dieser Sanchez Olivero zu denen da sagen täte. Vielleicht würde er sie darauf hinweisen, dass damals außer Orwell und ein paar anderen englischen Prominenten kein Engländer etwas für die Spanier übrig hatte und sie sich somit bitte schön anständig benehmen sollten."

    „Vielleicht sind seine Eltern in diesem Krieg umgekommen."

    Macché, ach wo, dafür ist der viel zu jung. Jünger als ich. Der ist gerade mal knapp über vierzig, schätz ich, und nicht siebzig Jahre alt. Ein kleiner, drahtiger Spanier. Er setzte die leere Tasse ab. „Sogar noch unverheiratet. Kapier ich gar nicht. Ist eigentlich ein Frauentyp. Ein richtiger Kerl, der angeblich einen weichen Kern haben soll. Benimmt sich aber wie ein Pitbull. Zynisch und belehrend. Du hättest den mal sehen sollen, Augen wie Eisschollen. Stechend. Spanier haben für mich bis jetzt immer dunkle Augen gehabt und nicht solche Waffen.

    Carla zog die Augenbrauen hoch und legte eine Hand beschwichtigend auf seinen Unterarm.

    „Er ist dir ein bisschen ähnlich, macht wie du seinen Job. - Komm, wir gehen irgendwo ans Meer und suchen den Horizont!"

    „Da oben toben sie wieder wie vor ein paar Wochen rum, er klopfte mit den Fingerkuppen auf seinem Kopf herum, „das muss doch mal aufhören. Himmelherrgott! Andere in der Welt hat es doch noch viel schlimmer getroffen. Das junge Ding zum Beispiel ist tot.

    Er lehnte sich in dem weißen Metallstuhl zurück und umklammerte die etwas barock wirkenden Lehnen. Die Knöchel seiner Finger wurden zu bleichen Kuppen unter der Haut.

    „Bin ich froh, dass ich nur Fuß und Bein gesehen habe. Das hat mir gereicht. Da brauch ich keine weiteren Bilder oder Erklärungen. Da war mir schon fast klar, was mit ihr passiert war. Missbraucht, grausam gequält und misshandelt. Früher hat mir so was nichts ausgemacht, aber jetzt ..., er blickte in den azurblauen Himmel, „Olivero hat mir erzählt, aus ihrer Scheide hätte man die Scherben einer kompletten, zertrümmerten Cola-Flasche herausgeholt ...

    Seine leere Espressotasse auf dem Unterteller wie einen Kreisel drehend spürte er wieder den Schauder.

    „... sie muss unvorstellbare Schmerzen gehabt haben. Irgendwann später, wie er sagte, Stunden später, haben sie sich ihr grausam einfach entledigt. Erschossen - ich hoffe bei Gott, sie war nicht mehr bei Bewusstsein - mit einer Schrotladung ins Gesicht. Keiner sollte sie mehr erkennen können."

    Carla zuckte und hielt sich eine Hand vor den Mund. Sie, die sonst in jeder Situation cool reagierte, war bei der Vorstellung nun blass geworden.

    „Um Gottes Willen, ich möchte nicht wissen, wie die Scherben in ihr zustande kamen."

    „Ich werde es dir auch nicht sagen. Auf jeden Fall hatte Olivero gedacht, er müsste seinen Frust an mir rauslassen. Als ich dann fast schon auf dem Flur stand, entschuldigte er sich hunderttausend Mal für seinen Ton und seine Vorgehensweise. War plötzlich lammfromm. Aber in diesem Fall sei auch er an seinen Grenzen angekommen. Blabla. Und vielleicht ergäbe es sich mal ... Blabla. Und er würde es wieder gut machen ... Und überhaupt. Ich hab nicht alles kapiert."

    Berlingui ließ die Lehnen los und klopfte anschließend mit den Handflächen auf den Tisch.

    „Vielleicht muss das Meer ja nicht jetzt sein. Er lächelte sie an. „Ich blamier mich nur. Lass uns nach Palma oder so fahren, heute Abend machen wir einen neuen Anlauf. Dann schwimm ich rüber. Ok?

    Er zwinkerte ihr zu, aber bevor sie antworten konnte, ertönte in seiner Hemdtasche Adriano Celentanos Azzurro. Der Klingelton seines Mobiltelefons. Ungläubig schaute er auf das Display.

    „Das ging jetzt aber schneller, als ich gedacht hätte." Carla schaute ihn fragend an. Sie hatten ausgemacht, das Ding nur einzuschalten,

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