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Dein neuer Fels in der Brandung
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eBook409 Seiten5 Stunden

Dein neuer Fels in der Brandung

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Über dieses E-Book

Der 64-jährige Witwer Otto hat es gewagt, im Hamburger Abendblatt eine Partnerschaftsanzeige aufzugeben. Diese Kleinanzeige löst etwas aus, das sich für ihn förmlich wie die Zündung einer Atombombe anfühlt. Als er glaubt, den Wirbelsturm seines Lebens bezwungen zu haben, fährt dieses Leben ein weiteres Mal mit ihm Achterbahn.
SpracheDeutsch
HerausgeberEuropa Edizioni
Erscheinungsdatum23. Aug. 2022
ISBN9791220132398
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    Buchvorschau

    Dein neuer Fels in der Brandung - Harry Hohl

    Prolog

    Der Held dieser Geschichte heißt Otto. Natürlich heißt er nicht wirklich Otto. Über seinen wirklichen Namen wollen wir besser schweigen. Aber Otto war der Name eines seiner Vorfahren. Der lebte laut Ahnengalerie von 1699 bis 1770. Lange her! Unser aktueller Otto ist am Tag Null 64 Jahre alt. Er ist 180 cm hoch und 95 kg schwer. Seine Augen sind so blau wie das Meer. Seitdem er als Rentner bzw. Privatier auftritt, ist er sowohl zeitlich als auch finanziell unabhängig und frei in jeder Hinsicht! Mit dem Rauchen hat er im Alter von 6 Jahren begonnen und im Alter von 10 Jahren wieder aufgehört. Seitdem gebärdet er sich als Nichtraucher. Ist Otto wirklich ein Held? Oder ist er gar ein tragischer

    Held? Bei Wikipedia kann man lesen: „Der tragische Held erleidet nach Aristoteles sein Unglück aus Gründen, die in ihm selbst zu finden sind. Folglich trägt er als Handelnder zwar die Verantwortung für sein Tun, jedoch geschieht dies nicht aus einer negativen Motivation heraus. Außerdem muss der tragische Held intelligent sein, um die Fehler seines Handelns einzusehen." Tja Otto, und nun?

    Und wieso eigentlich Tag Null? Was Otto in diesen Tagen vor und nach Tag Null erlebte, war für ihn wie ein Wirbelsturm. Frauen umschwirrten ihn, wie Motten das Licht. Um in diesem Wirbelsturm nicht völlig die Übersicht zu verlieren, nehmen wir uns die Chronologie zur Hilfe. Es gab einen Zeitabschnitt vor Tag Null und es gab einen Zeitabschnitt nach Tag Null. Insgesamt sind es in dieser Geschichte 9 Tage nach diesem denkwürdigen Datum. Dann hat unser Held den Wirbelsturm bezwungen.

    Held Otto ist seit 8 Jahren Witwer. Mit seiner geliebten Regina war er über 30 Jahre glücklich verheiratet, bevor diese nach einer Krebserkrankung gestorben war. Drei Töchter und zwischenzeitlich ein Enkelkind bildeten die erfolgreiche Bilanz der ehelichen Beziehungen. Nach dem schmerzhaften Schicksalsschlag stürzte Otto sich noch mehr in seine Arbeit. Das hinderte ihn aber nicht daran, nach kurzer Zeit eine Affäre mit einer seiner Assistentinnen anzufangen. Diese für ihn gute Beziehung hat über 8 Jahre lang gehalten und war wie eine angenehm wärmende Decke für ihn gewesen. Aber nun war diese Episode zu Ende. Doof! Otto konnte nicht mal richtig erklären, warum die Beziehung eigentlich zu Ende gegangen war. Aber war sie wirklich zu Ende?

    Jedenfalls saß Otto mal wieder auf dem harten Boden der Tatsachen. Aber wie konnte es überhaupt nur so weit kommen?

    Einige Ereignisse wollen wir zu Anfang kurz schlaglichtartig beleuchten, bevor wir versuchen, die komplette Geschichte zu entwirren und einigermaßen übersichtlich zu rekonstruieren.

    Kapitel 1 - Spotlights

    Einige Zeit vor Tag Null

    Er hatte Mist gebaut. Aber er war klug. Klug genug, um zu erkennen, dass er zurückrudern, nachgeben und sich entschuldigen musste. Zwei Tage und zwei Nächte hatte er nachgedacht. Dann war er losgefahren. Zu ihr. Hatte er wirklich Mist gebaut? Hatte er wirklich Mist gebaut? Egal! Nun war er da. In ihrer Küche. Vor ihr. Den Blumenstrauß in der Hand. Er hockte auf seinen Knien, schaute zu ihr hoch und sagte flehentlich: "Ich erkläre meine bedingungslose Kapitulation. Lass uns

    bitte, bitte zusammenbleiben!"

    Der Tag Null (20.6.2020)

    Eine große norddeutsche Tageszeitung der Funke Mediengruppe schrieb auf ihrer Titelseite der Sonnabend-Ausgabe: „Aus für Kaufhof Mönckebergstraße, Karstadt Wandsbek und Bergedorf. Auf Seite 35 dieser Wochenendausgabe standen Todesanzeigen. Unter anderem drei verschiedene größere Anzeigen für den verstorbenen und populären „Möbi, Eberhard Möbius. 74 Seiten insgesamt umfasste dieser Wust aus Papier für die gesamte Wochenendausgabe. Wieviel Bäume hatten dafür fallen müssen, um für die Gesamtauflage dieser Millionenstadt zu Papier verarbeitet zu werden? Wie viele der zahlreichen Leser in der Stadt und in der riesigen Metropolregion einschließlich Umland lesen tatsächlich alle Seiten dieser Zeitung von Seite eins bis Seite 74 zu Ende? Auf Seite 54 – etwa eine Viertelseite groß – leicht zu übersehen – gab es eine Rubrik mit der Überschrift MARKTPLATZ. Daneben – viel größer – Urlaubsangebote für Tirol, die Nordsee oder Fliesen aus dem Elbtunnel. Nur wer sucht, der findet auch! Die Anzeige, relativ klein – unter der Unterrubrik „Er sucht Sie" war wie folgt zu lesen:

    „Dein neuer Fels in der Brandung!

    Witwer 64, 180/95 NR/NT, unabhängig, humorvoll, einfühlsam und immer noch lernfähig; findet Alleinsein blöd! Vielseitiges Interesse an Freizeit, Kultur und Reisen

    Wassermann.Hamburgxxx@t-online.de"

    Plötzlich und völlig unerwartet löste diese unscheinbare Anzeige für den Auftraggeber etwas aus, das sich für ihn und Teile der Hamburger Damenwelt beinahe wie eine Atomexplosion anfühlte.

    Tag 5 (nach der Anzeige)

    Das erste Date neigte sich dem Ende zu. Sie hatten einmal den Standort gewechselt. Es war 21.30 Uhr am Elbestrand. An diesem milden Juniabend wollte auch die Sonne sich irgendwann mal verabschieden. Sechseinhalb Stunden waren sie jetzt beisammen gewesen. Sie sprach später von sieben Stunden, weil sie ihren Rückweg mitgerechnet hatte. Ein bleibender Eindruck?

    Sie brachten zusammen die Reste des Geschirrs zurück zum Kiosk. Ein Backfischbrötchen mit Remoulade – nicht mit Knoblauchsauce – hatte zwischendurch ihren gemeinsamen Hunger nach Essbarem gestillt. Von hier waren es noch ca. 30 – 40 m bis zu ihrem Auto. Darf ich dich noch bis zu deinem Auto begleiten?, fragte er. Er hörte keinen Widerspruch. Sie gingen langsam in Richtung Auto. Wie von Zauberhand ruhte auf einmal sein rechter Arm auf ihrer Schulter – und ihr linker Arm umschlang seine Hüfte. Das hatte er nicht geplant. Bei diesem von gewisser wissenschaftlicher Rationalität geprägten Mann lief sonst alles vorher übers Gehirn. Hier muss Instinkt im Spiel gewesen sein. Aber es fühlte sich sehr gut an.

    An ihrem Auto angekommen, zeigte sie ihm noch die Beule am Heck, die sie selbst verschuldet hatte und die sie irgendwie ärgerte. Nun ging es wirklich dem Ende entgegen. Noch einmal die Zauberhand. Seine Arme umschlangen ihren Körper. Ihre Arme umschlangen seinen Körper. Er fühlte sich wie im Himmel. Aber mehr war nicht drin. Zu noch mehr fühlte er sich irgendwie noch nicht bereit. Doch dann! Sie schaute ihm strahlend in die Augen, lächelte ihn an und tippte mit ihrem Zeigefinger auf die rechte Wange. Ein zartes Küsschen auf ihre Wange war das i-Tüpfelchen auf dem schon vorhandenen Sahnehäubchen. Jetzt war er wirklich im Himmel. Dann stieg sie in ihr Auto und fuhr davon.

    Kapitel 2 – Die Tage vor Tag Null

    Nach dem Kniefall

    Sie hatte irgendwie nicht viel gesagt. Jedenfalls nicht das, was er sich erhofft hatte und was wieder Klarheit in die Beziehung hätte bringen sollen. Jetzt saßen sie im Wohnzimmer auf ihrem Sofa. Er hatte den Arm um sie gelegt und versuchte, durch Körperkontakt irgendwie die gestörte Datenleitung zu ihrem Hirn, Herz, Bauch oder was auch immer nötig war, wieder zu aktivieren. Mit Engelszungen redete er auf sie ein. Sie hatte von Einengung gesprochen, die sie befürchtete, wenn er unbedingt auf einem Zusammenwohnen bestand. Vielleicht waren ihr Hunde, die sie mal gezüchtet hatte und kleine Hundewelpen, wichtiger als eine Partnerschaft? Selbiges galt für ihre Kinder. Natürlich wird eine Mutter ihre eigenen Kinder immer an die erste Stelle setzen. Aber wenn diese mit über 30 bzw. knapp unter 30 Lebensjahren immer noch keinen Einstieg ins Berufsleben gefunden haben und das Hotel Mama in vollen Zügen ausnutzen, war und blieb Otto weiterhin das fünfte Rad am Wagen. Keinerlei Aufstiegschancen? Er beschwor mit Engelszungen die schöne zurückliegende gemeinsame Zeit, die schönen gemeinsamen Erlebnisse. Auch ein paar Tränen rutschten über seine Wangen.

    „Ich mag dich, hatte sie gesagt. Bei allen Widrigkeiten, die sie im Job habe, die der Tod ihrer Eltern vor etwa drei Jahren nach sich zog. Die emotionalen Schwierigkeiten, die das Ausräumen des Elternhauses und der inzwischen notariell unterschriebene Verkauf dieses Hauses mit sich brachte, waren nicht ohne gewesen. Aber du bist mein Fels in der Brandung!", hatte sie vorher einmal gesagt. Einem Gespräch über eine gemeinsame Planung ihrer Zukunft, einschließlich vorzeitiger Aufgabe ihres inzwischen ungeliebten Jobs und ein Zusammenleben in einer neuen gemeinsamen Woh-

    nung, war sie immer ausgewichen. Seit fünf Jahren hatte Otto immer wieder versucht, dieses Thema voranzubringen. Solange ihre Eltern, die im Haus direkt nebenan bei ihr wohnten, noch lebten, war sie durch die Pflege und Fürsorge für ihre Eltern in ihrer Mobilität natürlich eingeschränkt. Er hatte das immer respektiert. Nachdem die Betreuung der Eltern weggefallen war, hatte er eigentlich erwartet, jede weitere Entwicklung wäre wie selbstverständlich. Schließlich liebte er diese Frau, verdammt noch mal!

    Aber es blieb schwierig, dieses Thema anzusprechen. Am letzten Wochenende nach einem gemeinsamen Frühstück hatte er schließlich versucht, den Pudding endlich an die Wand zu nageln. „Ich habe lange nachgedacht und mich nächtelang gequält. Ich kann nicht mit dir zusammenleben. Aber wir können doch vielleicht Freunde bleiben?", hatte sie gesagt. Da war er grandios explodiert, was er später tief bereute. Nun saß er also mit ihr auf dem Sofa und versuchte die Scherben ihrer Beziehung wieder zusammen zu fügen und die Risse zu kitten. Sie hatte ja auch noch all ihre Sachen in seinem Haus, die sie benötigte, wenn sie ihn besuchte und bei ihm übernachtete: ein halber Spiegelschrank voller Kosmetik, Spezialshampoo in der Dusche, ihre Nachtwäsche unter der Bettdecke und natürlich alle Utensilien für ihren Hund, der selbstverständlich mit im Schlafzimmer übernachtete, wenn sie bei ihm zu Besuch war.

    Verstohlen drückte er ihr seinen Haustürschlüssel wieder in ihre Hand, den sie ihm am letzten Wochenende bereits zurückgegeben hatte, nachdem er zuvor ihren Hausschlüssel voller Wut auf ihren Küchentisch geworfen hatte. Könnte doch noch alles wieder gut werden? Am heutigen Abend schien weiteres Reden nicht mehr sinnvoll. Sie hatte nicht „Nein aber auch nicht Ja" gesagt. Was Otto blieb, war einzig die Hoffnung. Ein letztes sanftes Abschiedsküsschen auf ihre Wange, eine letzte zärtliche Umarmung seinerseits – dann war er mit sehr zwiespältigen Gefühlen in seinem Bauch wieder nach Hause gefahren.

    Zehn Tage vor Tag Null

    Irgendwie hatte er kein gutes Gefühl gehabt – auf seiner Heimfahrt nach dem Kniefall. Außerdem fühlte Otto sich in seinem Ego angeknackst. Seit Jahrzehnten war er Abonnent des Hamburger Abendblatts, das er mit hoher Zuverlässigkeit jeden Morgen seinem Briefkasten entnehmen konnte. Auf einer dreiviertel Seite – rötlich unterlegt – unter der Überschrift „Neu Verlieben, eingerahmt von mehreren Herzchen, brachte seine Zeitung insgesamt 31 Einzelanzeigen. Männlein und Weiblein unterschiedlichen Alters waren auf der Suche. Dies galt für den Seebär von einem Kreuzfahrtschiff genauso wie für „Bauer sucht Frau für die schönen Dinge des Lebens. „Sie, Rotfuchs", war auch im Angebot. Aber vielleicht für Rentner Otto wohl etwas zu jung.

    Der gestrige Abend hatte Otto frustriert. Seine Gefühle waren eine bunte Mischung aus Wut, Depression, Enttäuschung und trauernder Unsicherheit. Aber warum sollte Otto nicht mal seinen eigenen Marktwert testen? Vielleicht war ja auch für ihn etwas dabei? Also schaute er mal genauer hin bei diesen Anzeigen:

    Restlaufzeit – wer läuft die nächsten 20 – 30 Jahre mit? Nah beieinander, aber nicht einengend. Unkompli-

    zierte „ganz normale" Sie 1,70 NR sucht adäquaten Ihn, bis Anfang 70. Ich mag z.B. das Meer, Reisen, Bücher, Theater, Kino, Karten, spielen, Freunde treffen. Vielleicht passt es?! Chiffre XXXX

    Das hörte sich doch gut an. Oder:

    Tanzen, lachen, zuhören, Natur genießen sich auf Augenhöhe begegnen. Frau 60J. sportlich, 1,72 sucht

    ihn bis 66J. sportlich, groß Chiffre XXXX

    Klang auch nicht schlecht. Otto war nicht wirklich sportlich. Und mit 180 cm auch nicht allzu groß. Aber was soll‘s. Fragen kost ja nix! Maximal ein bisschen Papier, Briefumschlag und Briefporto. Versuch macht klug! Oder:

    Ich, w. 64 J. Interesse an Reisen, Theater, Garten, sucht passendes Herz zum Verlieben. Wenn du zwischen 60 – 68 J. bist und die gleichen Interessen hast, Nichtraucher bist. Wohne im Landkreis Harburg. Freue mich auf eine Nachricht von dir. Chiffre XXXX

    Früher hieß es immer: Bei Harburg fängt der Balkan an! Der Landkreis Harburg war wohl auch nicht gerade klein. Aber Otto hatte ja ein Auto – gerade vor einigen Monaten neu erworben. Otto war sogar ein wenig stolz auf dieses schicke Auto. Und so ein neues Auto braucht auch mal Bewegung. Also: Auf in den Landkreis Harburg! Oder sollte das Auto lieber mal in den Nordosten fahren?

    Frau, 61 Jahre wohnt im Nordosten von Hamburg, sucht einen Partner zum Leben, Lieben und Lachen. Welcher Mann ist bereit sich auf das Abenteuer Partnerschaft einzulassen.

    E-MailXXXX.WEB.DE

    Auch nicht schlecht. Aber dann: zwei Herzen wie früher in der Mengenlehre sich zu einer sog. Schnittmenge gegenseitig überlappend:

    Venus sucht Mars. Hübsche Sie 58 J. 178 cm groß, sportlich-elegant, naturverbunden mit jugendlicher Ausstrahlung sucht liebevollen, humorvollen kultivierten Partner für eine lebendige Beziehung. BmB. Chiffre

    XXXX

    Otto war begeistert. Mars, das war doch der römische Kriegsgott, oder? Otto mochte Mars. „Mars macht mobil, bei Arbeit Sport und Spiel." Otto mochte diesen Schoko-Riegel seit vielen Jahren. Aber hier ging es ja wohl nicht um Schoko-Riegel. Es ging darum, wie ein römischer Kriegsgott, aber auch liebevoll, humorvoll und kultiviert zugleich, die schöne Venus, die Göttin der Liebe, zu umwerben!

    Jetzt war in Otto ein Feuer entfacht. „BmB bedeutet „Bitte mit Bild. Als sich erste Anzeichen vom Niedergang Ottos alter Beziehung andeuteten, hatte Otto sich auch schon mal in Sachen Dating-Portale etwas schlau gemacht. Dort wurde die Präsentation eines geeigneten Fotos für eigene Werbezwecke unbedingt empfohlen. Und besser noch: nicht nur ein Portraitfoto mit strahlendem Lächeln, sondern auch ein Ganzkörperfoto schien opportun. Wampe oder Waschbrettbauch – das war wohl für die Damen durchaus von Interesse. Auch bei den Mädels isst das Auge schließlich mit!

    Zum Glück besaß Otto seit einigen Monaten einen Selfie-Stick. Nachdem er diesen mit seinem Handy bestückt hatte, stand einem ersten Portrait nichts mehr im Wege. Ein hellgraues Polo-Shirt zur Abrundung seines Gesichtsausdruckes erschien ihm ebenso neutral wie angemessen. Aber welcher Hintergrund? Am besten raus in den Garten. Ein paar blühende Büsche, das machte sich doch bestimmt gut. Gesagt, getan. Es gab mehrere Entwürfe. Aber nach ein paar Aufhellungen und Zurechtschneiden des richtigen Bildausschnitts mit Hilfe eines Foto-Bearbeitungsprogramms auf Ottos Laptop war es schließlich geschafft. Das Portraitfoto, mit dem Otto freundlich lächelnd die Damen aus den Zeitungsinseraten für sich zu gewinnen trachtete.

    Mit der Ganzkörperaufnahme war es nicht ganz so einfach. Auf seinem Selfie-Stick stand das Handy immer quer. Senkrecht wäre irgendwie praktischer gewesen. Otto verschob dieses Problem auf später. Er wollte vielleicht am Anfang auch nicht zu viel von sich preisgeben? Wichtiger war jetzt erst mal das Anschreiben, der Brief. Der erste Brief ist immer der schwierigste. Alle weiteren könnte man dann abweichend vom Muster des ersten etwas anpassen und modifizieren. Andere Chiffre-Nummer. Andere Anrede. Das dürfte Otto nicht allzu schwerfallen. Aber der erste Brief. Wie machen?

    Im Zeitalter der Digitalisierung konnte man heute auf Chiffre-Anzeigen auch per E-Mail antworten – an eine bestimmte E-Mail-Adresse nur für die ChiffreAdressen. Aber Otto war misstrauisch. Wie würde das technisch funktionieren? Würden seine schmachtenden Briefe bzw. E-Mails von irgendjemand bei der Zeitung gelesen werden können? Das erschien ihm zu unsicher.

    Da vertraute er doch lieber auf das gute alte Briefgeheimnis. Er würde seine Briefe also in bewährter Weise auf Papier ausdrucken und dann mit einer Briefmarke versehen, dem Briefkasten der Deutschen Post überlassen müssen.

    Trotz dieser scheinbar intelligenten Überlegungen war damit aber noch kein einziges Wort geschrieben. Natürlich hatte er auf seinem Laptop eine FormatVorlage mit repräsentativem Briefkopf einschließlich Postadresse, Telefon, Fax und natürlich E-Mail. Aber es erschien ihm aus Gründen der Vorsicht bei einem solch heiklen Brief doch besser sich hinter einem Pseudonym zu verbergen und dieses erst später, nach weiteren (hoffentlich?) positiven Kontaktschritten allmählich zu lüften. Eine E-Mail-Adresse, möglichst nicht rückverfolgbar, schien Otto nach einigen Überlegungen als geeignet. Sein eigener Internet-Anschluss bei T-Online bot ihm die Möglichkeit, mehrere E-Mail-Adressen unter einem Anschluss ohne Zusatzkosten zu verwalten. Früher hatte er für seine Kinder diese Möglichkeiten genutzt, als diese noch in seinem Haus wohnten. Lange her. Aber welchen Namen sollte er für seine zusätzliche E-Mail-Adresse wählen? Es gab unzählige Möglichkeiten. Da kam ihm eine Idee. Das Sternzeichen. Er war im Sternzeichen ein Wassermann. Er glaubte zwar nicht an die Astrologie, aber er war gerne Wassermann und identifizierte sich gerne insbesondere mit den positiven Eigenschaften, die den Trägern dieses Sternzeichens – ob zu Recht oder zu Unrecht – nachgesagt wurden. „Wassermann-Hamburg!" Eine Idee war geboren. Rasch noch ein paar weitere anonymisierende Ziffern aus Hausnummer oder Geburtstag hinzugefügt. Perfekt! Die technische Einrichtung der neuen Mail-Adresse mit einigen Mausklicks, Passwörtern und Testmails hin und her gelang ihm einigermaßen mühelos. Er war zwar schon 64 Jahre alt, aber nicht völlig doof.

    Nun zurück zum Brief. Statt Standard-Briefkopf wählte er als Überschrift „Nachricht vom Wassermann" und dann:

    Liebe Venus, hier kommt ein Brief von „Mars-Anwärter"!

    Mit Interesse habe ich Deine/Ihre Anzeige im Hamburger Abendblatt gelesen. Wie kann es mir gelingen, Deine/Ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen? Gern würde ich unsere gemeinsamen „Restlaufzeiten" mit Dir/Ihnen synchronisieren.

    Daneben fügte er sein mühsam erarbeitetes Portraitfoto ein. Aber wie weiter? Er war von seiner Ausbildung Naturwissenschaftler. Also gnadenlos:

    Die harten Fakten:

    Die Angaben zum Beruf unterschlagen wir an dieser Stelle. Ebenso den Doktortitel. Dieser hatte zwar manchmal genützt (z.B. beim Gehalt), aber manchmal vielleicht auch geschadet. Ein Kollege und Freund, der schon ein paar Jahre vorher promoviert hatte, hatte einmal gesagt: „Wenn du ab jetzt einen Doktortitel trägst, bist du immer noch derselbe Mensch. Aber du wirst feststellen, dass du von deiner Umwelt plötzlich anders wahrgenommen wirst – im Positiven wie im Negativen." Diese Worte hatten sich voll bestätigt. Also, der Doktortitel bleibt unerwähnt.

    Der Anfang war gemacht. Aber das allein war doch wohl ein bisschen dröge. Schon Wochen zuvor war Otto mal durch die Wochenendausgaben seiner Tageszeitung gestöbert und hatte die Annoncen unter der Rubrik „Sie sucht ihn" mit Interesse verfolgt. Manchen Adressen folgte eine Chiffre-Nummer. Bei manchen Annoncen stand auch eine Telefonnummer einer professionellen Partner-Vermittlungsagentur. Otto hatte das mal gegoogelt und so die Internetseiten dieser PV-Agentur gefunden. Auch dort gab es Angebote von Damen in seiner Altersklasse. Eines kam ihm sogar bekannt vor. Diese

    Beschreibung hatte er schon öfter in letzter Zeit im Abendblatt gelesen. Hatte durchaus interessant geklungen. War die Dame vielleicht ein Ladenhüter oder gar nur ein Lockangebot? Klar war, diese Agentur hatte Niveau und ließ sich für dieses Niveau und alle zu erbringenden Leistungen auch angemessen von jeweils beiden Partnerkandidaten honorieren. Wenn die Ware gut ist, sollte auch der Preis nicht schrecken. Aber soweit war Otto noch nicht.

    Was schrieben denn die Kollegen gleicher Alterskategorie auf diesen Internetseiten, um ihre eigenen Charaktermerkmale herauszustellen? Hier wurde Otto fündig:

    Ein junger, weltoffener Querdenker im reifen Alter mit grauen Schläfen, 64/180

    Das hörte sich doch gut an? Die Vorlage der Zeile wurde ein wenig modifiziert, um das konkrete Alter und die Köpergröße – schon war die erste Zeile konstruiert.

    Aber der Teil neben den harten Fakten benötigte auch noch eine passende Überschrift – „Die Story".

    Die Story mit etwas Poesie (oder wie schreibt man eine Verkaufsanzeige für sich selbst):

    Das klang für Otto wie eine gelungene Mischung aus Poesie und Selbstreflexion. Aber wie kann die Poesie fortgesetzt werden? Da gab es doch die „Methode Gutenberg" mit Copy and Paste (Karl-Theodor lässt grüßen).

    „Er möchte nach einem schweren Schicksalsschlag noch einmal sich behutsam auf die Suche begeben nach dem, was dem Leben einen wirklichen Sinn verleiht und neue Perspektiven eröffnet. Er ist geprägt von norddeutscher Zuverlässigkeit, ist mit festen Grundsätzen behaftet, seinen Mitmenschen gegenüber rücksichtsvoll, respektvoll und gerecht, ehrlich und verlässlich. Ein bodenständiger Mann, der fest geerdet im Leben steht, sich aber auch schnell auf neue Situationen umstellen kann. In nichts ist er festgefahren, ist stets neugierig und wissbegierig."

    Das hörte sich doch wirklich nach einem tollen Kerl an, mit dem Otto sich gut identifizieren konnte. Norddeutsche Zuverlässigkeit, respektvoll und gerecht, ehrlich und verlässlich, aber stets neugierig und wissbegierig. Ja, so war Otto. Oder zumindest wollte er gern so sein, oder so gesehen werden? Egal, auf jeden Fall war es ein guter Text für eine Verkaufsanzeige.

    „Er mag z.B. das Meer, Reisen, Bücher, Theater, Kino …"

    Schön kopiert, das passt fast immer.

    „… und entspannt sich zuhause bei Gartenarbeit, mäht den Rasen und pflegt die Rosenbeete. Weitere Interessen sind u.a. Geschichte, Wirtschaft, Politik und Sport. Im Winter vorm Kamin, im Sommer im Garten und in den Übergangszeiten im überdachten Wintergarten liest er gern spannende Krimis auf seinem E-BookReader."

    Ein paar individuelle Ergänzungen mit Andeutungen über einen eigenen Garten inklusive Wintergarten und Kamin … „Mit Speck fängt man Mäuse!", frohlockte

    Otto leise vor sich hin.

    „Mit der Frau seines Herzens möchte er in eine vielversprechende gemeinsame Zukunft wandern, weil er wieder lieben und geliebt werden möchte, weil er sich mit einem ihm nahestehenden Menschen austauschen möchte, eine vertrauensvolle Beziehung führen, in der man sich auch ohne viele Worte versteht und füreinander da ist, ohne sich gegenseitig einzuengen. Denn das Leben zu zweit mit Liebe, Vertrauen, Respekt ist durch nichts zu ersetzen. Gemeinsam aufzuwachen, einzuschlafen, körperliche Nähe spüren, den Tag planen wäre

    etwas Wunderschönes."

    Diese Passage gefiel Otto besonders gut. Eine vertrauensvolle Beziehung mit einem nahestehenden Menschen. Gegenseitiges Verstehen ohne viel Worte. Körperliche Nähe spüren … Ja, genau das war es, was Otto sich sehnlichst wünschte und was er seiner Adressatin mitzuteilen gedachte. Also: Kopieren – Einfügen – fertig war der nächste Baustein der Poesie. Dann formulierte er wieder selbständig:

    „Es gäbe noch manches mehr über diesen humorvollen, charakterfesten Mann zu schreiben, doch er möchte gerne im persönlichen Gespräch Dir/Ihnen möglicherweise mehr anvertrauen. Anfangs ist er noch ein wenig schüchtern und scheut das volle Licht der Öffentlichkeit."

    So, und jetzt noch einen kurzen Schlussakkord mit einem Hinweis zur gefahrlosen ersten Kontaktaufnahme. Und dann war das Werk vollendet.

    „Bei Interesse schreib mir deshalb bitte eine E-Mail an Wassermann.HamburgXXX@t-online.de. Später könnten wir dann vielleicht miteinander telefonieren und bei gegenseitigem Einvernehmen uns irgendwann auch einmal zu einem ersten Date verabreden …???

    Ich freue mich auf Deine/Ihre Nachricht!

    Der Wassermann aus Hamburg"

    Der erste Brief an die schöne Venus war geschrieben und schob sich Zeile für Zeile aus dem angeschlossenen Tintenstrahldrucker.

    Nach Fertigstellung des ersten Briefes folgten noch drei weitere Briefe mit ähnlichem Muster an die Dame mit der Restlaufzeit, in den Landkreis Harburg und an die sportlich lachende Tänzerin. Nur wenige Mausklicks benötigte Otto für eine entsprechend modifizierte EMail in den vermeintlichen Nordosten Hamburgs.

    Vier adressierte und frankierte Briefumschläge samt sorgfältig formuliertem Inhalt lagen nun vor Otto auf dem Schreibtisch. Der Anzeigenblock „Neu Verlieben" war an einem Mittwoch erschienen. An diesem Tag hatte Otto zunächst mit sich gerungen, ob er überhaupt auf eine der Anzeigen antworten sollte oder nicht? Den ganzen folgenden Donnerstag hatte er gebraucht, um den Inhalt seiner Briefe zu formulieren und zusammenzustellen. Nun überlegte er. Würde er seine Briefe in den nächst gelegenen Briefkasten einwerfen, würde dieser erst am Folgetag geleert und seine Briefe würden erst am Sonnabend oder sogar erst nach dem Wochenende am Montag beim Hamburger Abendblatt eintreffen.

    Otto stellte sich vor, dass die Auftraggeberinnen der Anzeigen vielleicht schon vor dem Wochenende, also am späten Freitagnachmittag, ihre Chiffre-Post in den Räumen der Zeitung abholen würden. Also erschien es ihm wichtig, dass seine Briefe auch schon am Freitagmorgen bei der Zeitung eingetroffen sein sollten. Etwa 15 Autominuten von Ottos Wohnung entfernt gibt es ein Briefverteilzentrum der Post. Ein Brief, der dort bis 22.00 Uhr eingeworfen wird, gelangt innerhalb Hamburgs noch am Folgetag zur Zustellung.

    Die Angelegenheit war wichtig. Also setzte sich Otto schleunigst in sein Auto und beförderte seine vier mühsam, aber schöpferisch hochwertig erstellten, Liebes-/ Bewerbungsbriefe in den Briefkasten des genannten Postverteilzentrums. Mit einem guten Gefühl fuhr Otto zurück nach Hause. Die Saat war gesät! Ottos Briefe lagen jetzt im Lostopf.

    Das Wochenende vor Tag Null

    Wie sollte Otto eigentlich mit möglichen Herzdamen weiter kommunizieren bzw. telefonieren, wenn es zu einem Erstkontakt über die vorgeschaltete E-MailAdresse des Wassermanns käme? Ottos Telefonnummer stand im Telefonbuch. Mit Kenntnis dieser Nummer war es für pfiffige Internet-Nutzer ein Leichtes, per Rückwärtssuche Ottos Namen und seine vollständige Adresse herauszufinden. Eine nachfolgende Eingabe seines Namens in die so beliebte Suchmaschine von Google, schwupps war der liebeshungrige Wassermann in seiner Identität der völligen Transparenz des Internets ausgeliefert. Das wollte Otto natürlich nicht. Seine Liebessignale an die Damenwelt sollten möglichst wohldosiert erfolgen und nur bei ausreichender Vertrauensbasis und entsprechenden Erfolgsaussichten wollte er schrittweise seine Anonymität öffnen. So war der Plan.

    Otto besaß praktischerweise einen ISDN-Telefonanschluss. Den hatte er einmal eingerichtet, als man so etwas vor fast zwei Jahrzehnten brauchte, um ins Internet zu kommen. Die Technik hatte sich zwar weiterentwickelt. Stromanbieter und Gasanbieter hatte Otto in den vergangenen Jahren mehrfach ohne Scheu gewechselt. An seinem Telefonanbieter samt ISDN-Anschluss aber hatte Otto trotz etwas höherer monatlicher Kosten stets festgehalten. Zu viele negative Berichte über Probleme beim Wechsel des Telefonanbieters hatten Otto abgeschreckt. Jetzt könnte sich das bezahlt machen. Mit seinem ISDN-Anschluss verfügte Otto nämlich über insgesamt vier verschiedene Telefonnummern, von denen drei Nummern der breiten Öffentlichkeit völlig unbekannt waren.

    Also fuhr Otto schnell mal zum nächsten ElektronikMarkt. Dort kaufte er für wenig Geld ein neues Mobiltelefon mit eingebautem Anrufbeantworter. Dieses Mobiltelefon klemmte er an einen ungenutzten Anschluss in einem der leerstehenden Zimmer, wo in früheren Jahren seine Töchter gehaust hatten. Ein alter PC, der noch mit Windows XP lief und in seinem Büro herumstand, hatte einzig und allein noch die Funktion, Ottos Telefonanlage zu steuern. Mit einigen Mausklicks schaltete Otto nunmehr seine Telefonanlage so, dass das neu installierte Mobiltelefon nur dann klingelte, wenn eine ganz bestimmte seiner MSN-Nummern angewählt wurde. Und diese Nummer wollte Otto natürlich nur ganz ausgewählten weiblichen Anruferinnen mitteilen, um seine zukünftigen Liebesabenteuer tadellos zu managen.

    Jawohl, jetzt war Otto perfekt vorbereitet. Die Damen konnten kommen!

    Es wurde Samstagabend, aber auf Ottos E-MailAccount regte sich nichts. Auch der ganze Sonntag verstrich, ohne dass eine Mail für den Wassermann eintraf. Am späten Sonntagabend musste Otto wohl realisieren, dass seine Aktion mit den Liebesbriefen an die ausgewählten Kontaktanzeigen wohl ein Schlag ins Wasser war. Die schöne Venus und all die anderen Damen hätten wohl das ganze Wochenende Zeit gehabt, ihre Briefe zu sichten und zu sortieren. Blöderweise waren Ottos Briefe dabei wohl aussortiert worden, dachte er sich.

    Dumm gelaufen!

    Die Woche vor Tag Null

    Auch am folgenden Montag und Dienstag tat sich nichts. Keine Nachricht an den Wassermann, keine EMail – absolut nichts.

    Inzwischen war es Mittwoch geworden. Neue Maßnahmen mussten her. Wofür gab es denn schließlich das Internet. Zahlreiche Partnerbörsen und Dating-Portale tummelten sich dort. Sollte doch irgend so ein superschlauer Computer die richtige Herzdame für den schmachtenden Otto finden. Sogar seriöse Testzeitschriften hatten schon über Partnerbörsen geurteilt. Dort war aber vorwiegend von Kosten und Vertragsdetails einschließlich Kündigungsmöglichkeiten berichtet worden. Eine Erfolgsgarantie auf dem Weg zum Liebesglück war nirgendwo gegeben. Auf kritischen Bewertungsportalen war wenig Positives zu lesen. Mehr von schöner Werbung aber weniger Substanz und immer wieder das hässliche Wort „Abzocke" hielten Otto auf Distanz hierzu. Obschon, eine neue Liebe zu finden, für eine beständige, dauerhafte Partnerschaft, das wäre Otto schon einiges wert gewesen. Nur ein gewisses Maß an Erfolgsaussicht wäre natürlich auch sehr wünschenswert dabei.

    Also überlegte Otto wieder: Selbst ist der Mann! Er recherchierte auf den Internetseiten seiner Tageszeitung über Kosten, Bedingungen und Redaktionsschluss für eine eigene Anzeige. Dann hätte er alles in eigener Hand und könnte auf diese Weise seinen „Marktwert" prüfen. Warum eigentlich nicht?

    Ein erster vorsichtiger Entwurf auf eigenem Schreibprogramm, den man gegebenenfalls recht einfach in vorgegebene Schablonenseiten einfügen kann, nahm langsam Gestalt an. Das Eigenschaftswort „einfühlsam sollte in einer solchen Anzeige stets Erwähnung finden, hatte Otto erst kürzlich in einem Zeitungsartikel über Partnersuche gelesen. Aber zuerst musste mal eine zugkräftige Titelzeile für die Anzeige gefunden werden. „Du bist mein Fels in der Brandung, hatte seine Verflossene einmal zu ihm gesagt, bevor sie endgültig verflossen war. Was wollten Frauen eigentlich von einem Mann? Brauchten Frauen heutzutage eigentlich noch einen Mann? Waren sie inzwischen nicht vielfältig selbst stark, selbstbewusst und noch vieles mehr? Eine Schulter zum Anlehnen vielleicht? Etwas zum Anlehnen und Stützen in seltenen, aber doch gelegentlichen Momenten eigener Schwäche? Bei allen Softie-Qualitäten waren Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit vielleicht auch Eigenschaften, die für die Trägerinnen zweier XChromosomen eine gewisse Bedeutung und Wertschätzung haben könnten? So etwa, wie ein Fels in der Brandung? Also formulierte Otto wie folgt:

    „Dein neuer Fels in der Brandung!

    Witwer 64, 180/95 NR/NT, unabhängig, humorvoll, einfühlsam und immer noch lernfähig; findet Alleinsein blöd! Vielseitiges Interesse an Freizeit, Kultur und Reisen

    Wassermann.Hamburgxxx@t-online.de"

    Nach ein paar Fehlversuchen hatte Otto schließlich ein brauchbares Layout gefunden. Ob eine Zeile mehr oder weniger, war von der Kostenseite nicht so entscheidend. Es sollte ja auch ins Auge fallen. Otto prüfte sich ein letztes Mal. Willst du diese Anzeige jetzt wirklich abschicken? Ein kurzes Zögern – der Redaktionsschluss für die nächste Ausgabe am kommenden Sonnabend war nicht mehr allzu fern. Dann ein kurzer Druck mit dem rechten Zeigefinger auf die linke Maustaste – und es war vollbracht. Die Anzeige war eingeloggt und nun hieß es für Otto mal wieder: Abwarten und Tee trinken! Noch drei Tage musste Otto warten bis zum Erscheinen seiner Anzeige.

    Zur besseren Übersicht über die Chronologie der Ereignisse wollen wir in den nachfolgenden Kapiteln den Erscheinungstag von Ottos Partnerschaftsanzeige als den Tag NULL bezeichnen.

    Zwei Tage vor Tag Null

    Otto übte sich in Gelassenheit. Die Anzeige war aufgegeben. Eine weitere Entscheidung war gefallen. Mit seiner technischen Ausstattung fühlte sich Otto einigermaßen auf der Höhe. In seinem privaten Büro stand ein Laptop mit LAN-Anschluss, der gleichzeitig an einen größeren Bildschirm und an einen Tintenstrahldrucker angeschlossen war. Über dieses System wickelte Otto seine E-Mail-Korrespondenz, sowohl unter seinem Klarnamen als auch unter dem Pseudonym des Wassermanns, normalerweise ab. Auch sein SamsungSmartphone war so eingestellt, dass dort Kopien aller

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