Tora!Tora!Tora!
Von Norton Flux
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Buchvorschau
Tora!Tora!Tora! - Norton Flux
Inhalt
1. Prolog
Der ECR Tornado flog über die Ostsee, bevor er das westliche Mecklenburg-Vorpommern erreichte. Es war 4 Uhr morgens und es würde ein heißer Julitag werden.
Nach kurzer Zeit ließ der Pilot das Bundesland hinter sich und streifte einen Zipfel von Brandenburg bei Wittenberge, danach hielt er sich weiter südlich. Der Auftrag seines Trainingsflugs lautete - wie schon unzählige Male davor – das Radar der Kollegen von Heer und Marine solange wie möglich zu unterfliegen. Sollte er wider Erwarten unentdeckt bis zum Dreieck Weimar, Jena, Gera kommen, hätte er eine Wette gewonnen und einige Kollegen mit Sicherheit sehr viel Ärger am Hals.
Wahrscheinlich würde er aber gleich angepeilt werden und konnte dann zu seiner Basis zurück.
Im Tiefflug raste die Landschaft mit ihren prägnanten Landmarken an ihm vorbei. Trotz aller Routine gaben ihm diese Flüge ganz nah an der Oberfläche immer wieder
das Gefühl, einer ganz besonderen Tätigkeit nachzugehen . Die automatische Bodenerkennung war eingeschaltet und er verfolgte fast wie ein Außenstehender, wie der Tornado mit annähernd Schallgeschwindigkeit dahinjagte. Plötzlich stellte er fest, dass er leicht von der Route abgekommen war. Das wäre an sich nicht weiter tragisch gewesen, er wollte nur vermeiden, auf das Hoheitsgebiet von Schlaitzwalde zu kommen. Dort gab es zwar keine auch nur ansatzweise entwickelte Luftabwehr, bei der Missverständnisse hätten gefährlich werden können, aber Eindringen in fremdes Hoheitsterritorium wäre klar ein grober Fehler bei der Erfüllung seines Auftrags gewesen, die seine Platzierung im internen Monatsranking gefährdet hätte.
Schlaitzwalde. Die Freistadt.
Nach dem Fall der Mauer hatte sich letztlich doch in der Bundesrepublik und den Resten der DDR eine Allianz vor allem aus den Oppositionsführern, Vertretern der Bürgerrechtsbewegung und einigen weltfremden Liberalen in einem Punkt durchgesetzt und eine Selbstbestimmungslösung für die (noch nicht ehemalige) DDR arrangiert. In Volksabstimmungen auf regionaler Ebene durften die Kreise und Regionen entscheiden, ob Sie sich der BRD anschließen wollten oder eine autonome Lösung finden wollten, die sich an Staaten wie Andorra orientieren sollte. Die DDR hatte bei ihren Bürgern zwar vielen, aber nicht allen wirtschaftlichen Sachverstand ausgelöscht. Daher war vermeintlich klar, dass ein Geldzufluss aus dem Westen nur dort erfolgen würde, wo man „den Anschluss vollzog". Entsprechend sprachen sich auch fast alle Regionen der DDR für eine Vereinigung aus und verzichteten auf autonome Experimente.
Bis auf Schlaitzwalde, eine Stadt, in der mit ihren Vororten 240.000 Menschen lebten. Im Einzugsgebiet des ehemaligen Chemiedreiecks bei Bitterfeld wurde auf wenigen Quadratkilometern die Unabhängigkeit ausgerufen mit eigenem Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatssouveränität. Damit wurde die Stadt aus Sicht der DDR und der BRD vollständig exterritorial. Die Folge war in den nächsten Jahren eine radikale Entwicklung der Region in Richtung Freihandelszone, Steuer- und Bankenparadies und Tummelplatz für findige Geschäftsleute verschiedenster Branchen. Die örtlichen ehemaligen Funktionäre hatten sowohl aufgrund wirtschaftlicher Notwendigkeit als auch politischer Überzeugung beschlossen, sich dem Laissez-faire so zu verschreiben, wie das bislang in beiden Staaten undenkbar gewesen war. Trotz einer vollständigen Ablehnung des Modells durch die anderen Regionen und die alten Bundesländer (der unter anderem schlicht auf Neid gegenüber einem weiteren Luxemburg-Modell beruhte) erschien der Weg einigen aber als zukunftsweisend, so dass immer wieder – auch in den alten Bundesländern – ähnliche Bestrebungen artikuliert wurden. Umgesetzt wurden sie allerdings nirgends. So blieb Schlaitzwalde ein Einzelfall mit zum Beispiel einem Einkommensteuersatz von 5 Prozent, erlaubnisfreiem Besitz von Schusswaffen bis einschließlich Baujahr 1990 sowie einem allgemeinen Wahlrecht ab dem 7. Lebensjahr.
Vor dem Tornado tauchten die ersten Ausläufer von Schlaitzwalde auf. Er fluchte. Aber natürlich konnte er jetzt nur Kurs halten und hoffen, dass sein Fehler nicht übermäßig hart bewertet würde.
Dann explodierte ohne Vorwarnung die Erde unter ihm und verwandelte sich in eine kilometerlang aufsteigende Feuerwolke. Die Hitzewelle erwischte ihn mit ihren letzten Ausläufern kurz bevor er sie überwunden hatte. Er fühlte sich wie durch einen Wasserkocher gezogen und schrie. Dann schmierte das Triebwerk ab. Wenige Sekunden später katapultierte er sich mit dem Schleudersitz heraus.
Augenblicke später öffnete sich der Fallschirm. Trotz starkem Wind und geringer Höhe landete er sicher auf einem leeren Acker.
Er hatte großes Glück gehabt.
2. Nachbeben
Ich verkünde nun die Ergebnisse der Prüfung.
Und dann war es vorbei. Robert stand auf, bedankte sich bei den Prüfern und verließ schnell den Saal. Vor dem Justizministerium steckte er sich ein Zigarette an und tauschte mit den anderen Prüflingen aufgedreht und doch abwesend Details der Prüfung und anderes aus.
Aus und Ende. Er war nun Volljurist und hatte ein Studium hinter sich gebracht, dass mit viel Spaß und wenig Studium begonnen hatte und in der zweiten Hälfte immer mehr zur Quälerei ausgeartet war. Diese hatte jetzt ihr Ende gefunden.
Nett waren die Prüflinge alle zueinander, richtig nett. In ein paar Minuten würden sie sich nach diesen fünf Stunden für den Rest ihres Lebens nie mehr sehen. Mehr als diese fünf Stunden hatten sie nicht zusammen gehabt, aber interessierte das irgendwen?
Auf der anderen Straßenseite flanierte die Düsseldorfer Schickeria an den Schadow-Arkaden vorbei. Vielleicht würde auch er bald bei E.ON, Henkel oder einer smarten Großkanzlei arbeiten und hier Mittagspause machen. Düsseldorf könnte gut funktionieren, hier war in kurzen Entfernungen unglaublich viel Angebot vorhanden, in jeder Hinsicht.
Vielleicht hatten diese Träume aber mit den Durchschnittsnoten seiner Examen wenig zu tun. Aber das sollte ihn heute nicht beschäftigen. Er würde gleich zurück nach Bonn fahren, den extra hierfür vor Jahren gekauften Whisky aufmachen und bis dahin einiges Bier trinken. Dann würde er sehr laut seine ältesten Hardrock-Platten auflegen und sich bis zum Delirium betrinken. Auch das hatte auf verquere Weise etwas von einem Job.
War aber akzeptabel.
Zuhause sah es schön aus. Er konnte die Angst des Morgens in seinem Zimmer riechen, den Angstschweiß auf dem Körper behielt er noch an, auch nachdem er sich ausgezogen hatte. Der beste Moment seit zwei Jahren ging ein wenig in der Erschöpfung unter, aber auch das Wenige, was er aufnehmen konnte, war immer noch gut, gut genug nach all dem, was hinter ihm lag.
Wie lange lief eigentlich schon das große Ding in Nahost? Sie sollten zwar gerade vor der Prüfung brav die Tageszeitung für aktuelle Fragen lesen, aber das hatte er wie vieles andere geschlabbert. Mut zur Lücke!
Und die Lücke war ja auch voll gekommen, allerdings nicht im Tageszeitungsgewimmel, sondern im Sachenrecht. Verdränge, verdränge, verdränge!
Nun wurde also bei den Arabern gebombt, und endlich war das Land mit dabei, um zu „helfen. Er war nicht begeistert, aber irgendwie hatte man doch die ganzen letzten Jahre darauf gewartet, innerlich war es keine Freude, aber ein kleines „Richtig so!
empfand er doch schon. Na also. Und die Kanzler mittendrin. Eine von den edlen Rettern, und auch hofiert, wenn es um Frieden ging. Und wie die Russen in der Sache zu Besuch kamen! Gemeinsames Schweigen im Regen vor dem Kanzleramt von Kanzlerin und Russenpremier vor der Weltpresse. Es war ein wenig wie das letzte Treffen mit der Ex.
Er merkte, dass er langsam wirr wurde. Neben der Müdigkeit hatte er schon seit Tagen den Verdacht, dass die Amphetamine, die er zum Wachbleiben beim Lernen gebraucht hatte, auch nach dem Absetzen nachhaltige Wirkung erzeugten.
Gleich würde er sich noch mit Freunden treffen, sie würden rausgehen und alles durcheinander saufen und er würde vor allem die anderen reden lassen und nur noch dasitzen, fertig und zufrieden.
Die große Erleichterung über die Prüfung kam erst im Lauf der nächsten Tage und wurde auch schon abgelöst von der Notwendigkeit, sich schnell um einen Job zu kümmern. Denn Robert hatte in der Endphase seines Studiums durch einige unglückliche Entscheidungen Schulden angehäuft, deren Rückzahlung er nicht mehr lange aufschieben konnte. Aber vorher musste er noch ein paar Dinge erledigen.
Zuerst traf er sich mit dem DJ im Cafe Blau um ein paar CD´s zurück zu geben. Und um ihn etwas zu fragen. Der DJ wurde DJ genannt, weil er DJ war. Eigentlich hieß er Matthias und legte nur gelegentlich auf. Ansonsten studierte er ganz normal Jura wie die meisten seiner Bekannten. Seine Lieblingsmusik war natürlich überhaupt nicht zum Auflegen geeignet (nicht in Bonn), weil das mit Morrissey, Loyd Cole und anderen Vertretern dieser Fraktion nicht klappte. Brit Pop war eine kleine Schnittmenge gewesen, aber das war es dann auch.
Matthias hatte eigentlich immer einen Anzug an, natürlich nicht Business, sondern schick. Ausnahme war höchstens absoluter Hochsommer, an dem auch mal ein Hemd zur Hose reichen musste. Mit ihm war es immer ganz interessant, aber auch anstrengend und kompliziert. Er war immer leicht aufgeplustert, was auf Dauer nervte. Anke, eine gemeinsame Bekannte, erzählte immer etwas von Selbstschutz und Komplexen, die damit zu tun hätten. Aber das war natürlich Quark.
Zum Cafe Blau muss man sagen, dass es später in seiner Studentenzeit dazukam und als cooler galt als die anderen Läden. Obwohl eigentlich überhaupt nichts dabei war, vom Eingangsbereich eines Hallenbades einen Teil abzutrennen, unbequeme Möbel hineinzustellen und Zeitgeistgedudel darüberzulegen. Die Leute hier zum Tanzen zu animieren wurde immer wieder versucht, hatte aber nie geklappt. Aber trotzdem funktionierte der Laden in Bonn ganz gut. Natürlich war die Konkurrenz auch nicht besonders groß.
Was gab es noch? Vor allem: Carpe Noctem und die Falle. Der Rest war eigentich total nebensächlich, dort landete man mal zum Abschluss, war aber egal. Außer dem GUM. Russische Kneipe mit ebensolcher Küche (Tipp: Der Borschtsch), sehr gutem Vodka-Angebot und hippen Publikum.
Das Carpe: Gute Disco in den Anfängen, vor allem aufgrund des Partydienstags, kurz nach dem Strafrechtsseminar, das auch am Dienstag stattfand. Dienstag gab es immer einen Grund zu feiern. An drei Dienstagen musste man gerade geschriebene Klausuren runterspülen, an drei anderen auf die zurückbekommenen anstoßen und sich auch diese schöntrinken, dann gab es noch eine Hausarbeit zurück und sonst fand sich auch immer ein anderer Grund. Dann kamen noch zwei Semester, in denen es spaßig war, in denen fast alles spaßig war. Später kam die Invasion aus dem Umland, die Provinzler, der Rockpalast in Remagen hatte es vorgemacht und die Eifel feierte sich blöde an Roberts am Anfang so tollen 70er Abend im Carpe (ja am Anfang hatten sie wirklich andere Sachen gespielt als woanders, naja, zumindest konnte man sich das einreden). Aber sowieso war die Zeit für 70er Abende schon lange vorbei und das Publikum machte einem die Entscheidung leicht, das Carpe seit längerem zu meiden. Ach ja, das Louvre. Hatte er nie verstanden, wie das mit dem Schmierlappensoul funktionierte, es war nicht richtig Tanzen und Musik eigentlich auch nicht. Standen zwar die Frauen drauf, aber nicht mal das machte es wett, auch wenn dort wirklich Mädchen rumliefen....
Und die Falle: Absolutes Muß für Juristen, VWLer und andere Edelproleten. Auszug aus einer Stadtzeitschrift: Zu eng, zu heiß, zu voll.
Und beschissene Musik. Und beschissenes Publikum. Dreimal war er da gewesen und das war allemal ausreichend.
Nochmal das Blau: Die üblichen Verdächtigen in der Anfangsphase, nach kurzer Zeit aber auch hier das ganz große Bergab. Nach alldem und ungefähr einem Jahr Abstinenz der angesagten Leute hatte sich aber doch alles ein wenig erholt, so dass man sich dort wieder blicken lassen konnte. Und eben mit Matthias nach langer Zeit wieder treffen.
Stark verspätet wie immer kam er, der Abziehbrite mit dem Brett im Rücken. Jeansjacke (was war heute los?), Jeans und Käppi konnten diesen Eindruck nicht verwischen. „Jahallo, „Taaag
, „Ach, das Blau...", beiderseitiges Zurechtrücken.
„Doch nicht so schlecht, wie ich es in Erinnerung hatte", fing Robert an.
„Ich bin eigentlich öfter hier, nach dem Seminar hab ich mir das so angewöhnt. Aber Dich sieht man hier nicht".
„Ich habe immer besser zuhause gelernt. Ich kann das Juridicum und die Leute nicht ausstehen."
Die Lippen des DJ spitzten sich.
„Das ging mir nicht so. Man gewöhnt sich echt dran, und man sieht ja seine Leute."
Blubb, blubb, blubb. Wie das Telefonat. Robert hatte vorgeschlagen, die CD´s vorbeizubringen, sogar sich im Juridicum zu treffen, um die Sache zwischen Tür und Angel abzuwickeln. Der DJ dagegen drängte geradezu auf ein richtiges Treffen. Warum? Zu sagen gab es nicht viel. Neugier? Wahrscheinlich wusste der DJ nicht einmal, daß er gar nicht anders konnte, als irgendwie immer mittendrin zu sein, wobei Robert zugeben musste, dass er selbst mittlerweile ziemlich draußen aus der Szene war. Aber es