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Nicht ohne meinen Sohn: Er war ihre große Liebe, doch als alles zerbricht, will er ihr das Einzige nehmen, was sie noch hat: ihren Sohn ...
Nicht ohne meinen Sohn: Er war ihre große Liebe, doch als alles zerbricht, will er ihr das Einzige nehmen, was sie noch hat: ihren Sohn ...
Nicht ohne meinen Sohn: Er war ihre große Liebe, doch als alles zerbricht, will er ihr das Einzige nehmen, was sie noch hat: ihren Sohn ...
eBook309 Seiten3 Stunden

Nicht ohne meinen Sohn: Er war ihre große Liebe, doch als alles zerbricht, will er ihr das Einzige nehmen, was sie noch hat: ihren Sohn ...

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Über dieses E-Book

So unglaublich wie schockierend: Einer fürsorglichen deutschen Mutter wird ohne Schuld das Sorgerecht für ihren Sohn entzogen ...

Es ist die große Liebe, als Anna 2005 den Kanadier Paul kennenlernt. Trotz Fernbeziehung schwebt Anna im siebten Himmel. Als im Mai 2009 ihr Sohn Mats geboren wird, ist ihr Glück vollkommen. Doch schon zwei Jahre später liegt ihr Leben in Scherben: Als Anna sich wieder einmal mit Mats in Kanada aufhält, erfährt sie, dass ihr Mann sie betrügt. Sie fliegt mit Mats zurück nach Deutschland – doch Paul lässt den beiden keine Ruhe. Eine nervenaufreibende Schlacht um Mats beginnt, die Anna nicht nur an den Rand des finanziellen Ruins bringt.
Nicht ohne meinen Sohn ist der mutige Kampf einer jungen Mutter gegen die Windmühlen der Justiz. Es ist der Kampf einer Frau, die nicht aufgibt, so sehr sich auch alle gegen sie verschworen haben. Ein Manifest grenzenloser Mutterliebe.
SpracheDeutsch
Herausgebermvg Verlag
Erscheinungsdatum9. Mai 2014
ISBN9783864156670
Nicht ohne meinen Sohn: Er war ihre große Liebe, doch als alles zerbricht, will er ihr das Einzige nehmen, was sie noch hat: ihren Sohn ...

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    Buchvorschau

    Nicht ohne meinen Sohn - Anna Peters

    Teil I

    Ready for ­take-off

    Holguin, Kuba – Alles auf Anfang

    Seit ich denken kann, träume ich vom Fliegen. Eine Startbahn in der Morgendämmerung – da krieg ich Gänsehaut. Die Atmosphäre am Flughafen, das Unterwegssein, fremde Kulturen, unbekannte Orte – dafür lebe ich. Vielleicht verstehst du die Welt anders, wenn du viel fliegst? Auf jeden Fall kommst du nicht mehr davon los, wenn du einmal dabei bist. Ich würde nie mehr am Boden arbeiten wollen. Dieser Job ist meine Leidenschaft.

    Der Flug Düsseldorf–Holguin im Mai 2005 war einer meiner ersten Langstreckenflüge.

    Beim Bewerbungsgespräch der Fluggesellschaft war es zugegangen wie bei Deutschland sucht den Superstar. Mehr als fünfzig Bewerber und eine Handvoll Jobs. Da hieß es »Du bist raus, du bist raus, nächste Runde.« Suggestivfragen, Verunsicherung, Provokation. Am Ende kamen mir vor lauter Glück und Erschöpfung die Tränen. Mit Mitte zwanzig und einer abgeschlossenen Ausbildung als Reise- und Verkehrskauffrau war ich endlich da, wo ich immer hinwollte.

    Ich war das Küken in der Crew, und trotz der Strapazen eines fast zehnstündigen Flugs in einem voll besetzten Airbus fühlte ich mich wie elektrisiert, als meine Kollegin Doris vorschlug: »Wir treffen uns nach dem Einchecken in der Hotelbar.« Das Playa Pesquero ist ein Vier-Sterne-Resort im Osten Kubas mit weitläufiger Anlage, Animationsangeboten und allem Komfort. Ich konnte mich kaum sattsehen, während ich aufgeregt neben meinen Kolleginnen, unserem Purser, Kapitän und Copilot an der Bar lehnte. Die anderen kannten die Destination schon und wurden nach einem Glas Sekt und ein paar Bemerkungen über den unauffälligen Flug, das Wetter und die Sonderwünsche eines älteren Reisenden allmählich müde. Vergeblich versuchte ich, sie zum Bleiben zu bewegen.

    »Vielleicht morgen wieder«, winkte meine Kollegin Karin ab. Unschlüssig sah ich ihr hinterher – auf sie warteten ein bequemes Bett und ein Routinegespräch mit Mann und Kindern. Sollte ich meinen ersten Abend in Kuba etwa alleine auf meinem Zimmer verbringen und auf der Suche nach einem deutschen Sender durch die Programme zappen? Ich beschloss, dass ich noch einen Drink vertragen konnte. Allerdings wurde es mir allein, mit meinem Sektglas in der Hand, ungemütlich an der Bar. Inzwischen hatte sich die Tanzfläche gefüllt: Urlaubsgäste in Feierlaune, Kinder, die zu Chartmusik im Kreis sprangen, Animateurinnen, die unter der Schminke müde aussahen. Auch die runden Zweier- und Vierertische an der Längsseite des Raumes waren besetzt.

    »Darf ich?«, steuerte ich einen der wenigen freien Plätze an einem Vierertisch an. Der junge Mann nickte und ich setzte mich, von ihm abgewandt, mit Blick auf die Tanzfläche. Ich hatte schon beinahe vergessen, dass ich nicht allein am Tisch saß, als er mich antippte.

    »Feuer?«, fragte er mit dem breiten Akzent der Kanadier. Ich reichte ihm schweigend mein Feuerzeug. Damals wurde noch überall geraucht, blaue und rote Dunstkringel stiegen von den Tischen auf und wanden sich im Discolicht träge zur Decke empor.

    Als mein Tischnachbar sich wieder zu mir wandte, hatte ich ihm noch immer nicht in die Augen geschaut. Er beugte sich vor und ich sah, wie sich sein Mund beim Reden öffnete und schloss, verstand aber kein Wort. Mit einem Achselzucken signalisierte ich ihm, dass es hier zu laut war. Er wies zur Tür und bedeutete mir, ob ich ihn nicht in die Lobby begleiten wolle, dort sei es ruhiger. Nun sah ich ihn mir genauer an. Etwa mein Alter, Brille, dunkles Haar. Der Jeans-und-T-Shirt-Typ. Als ich ihm endlich in die Augen sah, fiel mir das sonderbare Grün-Braun seiner Iris auf. Moos und Haselnuss. Ja, warum eigentlich nicht? Wir standen auf und ich bemerkte, wie groß er war.

    Die nächsten Stunden verbrachten wir in der hell erleuchteten Hotellobby, wir tranken, redeten und beobachteten das nächtliche Treiben, das Kommen und Gehen der Reisenden, die routinierten Gesten des Personals. Mein neuer Bekannter hieß Paul, kam aus Cobourg und war ein guter Zuhörer. Er stellte Fragen zu meinem neuen Job und verzichtete auf die üblichen Komplimente. Selbst nach zwei Stunden Unterhaltung hatte er noch immer nicht den Spruch mit den blauen Augen gebracht. Gefällt mir, machte ich mir in Gedanken eine Notiz. Beiläufig erwähnte Paul seine Arbeit bei Tim Hortons, einer kanadischen Coffee-Shop-Kette, und ich stellte mir vor, wie er hinter einer Theke stand, mit ruhigen Bewegungen Milch aufschäumte und Kuchenstücke ausgab. Er war auf angenehme Art unaufgeregt, und er sah gut aus. Als er mich schließlich auf mein Zimmer begleitete, erschien mir das irgendwie folgerichtig.

    »Wo sehen wir uns wieder?«, fragte er am nächsten Morgen.

    »Am Strand?«, schlug ich vor.

    »Der Strand ist groß«, gab er zurück.

    Ich grinste. Offenbar lag ihm wirklich an einem zweiten Treffen. Und warum auch nicht? Mir fiel nichts ein, was dagegen gesprochen hätte.

    Wir trafen uns in der Abenddämmerung bei einer kleinen Eisdiele an der Strandpromenade und nahmen unser Gespräch mühelos da wieder auf, wo wir es in der Nacht unterbrochen hatten. Unsere Crew blieb fünf Tage im Playa, und ich verbrachte fünf lange Abende und fünf kurze Nächte mit dem hübschen kanadischen Jungen. Am Tag unserer Abreise reichte er mir einen eng beschriebenen Zettel mit seiner Handynummer, seiner Festnetznummer, seiner Nummer im Tim Hortons, seiner privaten und seiner beruflichen E-Mail-Adresse. Die Liste, die Paul pedantisch und in säuberlicher Handschrift angelegt hatte, wollte nicht so recht zu der Unverbindlichkeit und Leichtigkeit der letzten Tage passen.

    Ich warf ihm einen skeptischen Blick zu. »Mit dir ist man auf der sicheren Seite, was?« Er grinste. Mit einem Anflug von Unwillen notierte ich meine eigene E-Mail-Adresse.

    Inzwischen wusste ich, dass Paul etwas jünger war als ich und mit seiner Familie reiste. Seine Mutter, eine adrette Fünfzigjährige mit gesträhntem Bob und blauen Augen, hatte mich am Strand mit einem kurzen, klaren Blick bedacht, als wollte sie Maß nehmen. Sie und ihr Mann hatten einen netten Eindruck gemacht, auf jene unangestrengte und unverbindliche Art, die ich an Nordamerikanern manchmal beneide. Ich hatte mich jedoch rasch wieder abgewandt – was sollte ich bei den Eltern eines Jungen, den ich selbst kaum kannte, lieb Kind machen.

    Holguin war das typische Urlaubsziel: heiße, lange Strandtage, eisgekühlte Drinks, Sand in den Sandalen, spärlicher Schatten unter Palmen – und der Satz, mit dem unser Kapitän das Heftpflaster in meiner Halsbeuge und mein Erröten quittierte: »Ich wusste ja, dass man dich nicht eine Sekunde aus den Augen lassen darf, Anna!« Viel mehr fällt mir heute nicht mehr zu Holguin ein. In meiner Erinnerung ist diese Zeit wie ein weißes Blatt, durchscheinend, fünf Tage voller ungewisser Ahnungen. Hätte man mir gesagt, dass Holguin der Anfang einer Geschichte sei, die mein Leben verändern würde, ich hätte mich nicht gewundert. Aber ich hätte nie geahnt, was für eine Rolle Paul darin spielen würde.

    Wieder in Dortmund, erzählte ich meiner besten Freundin von meiner kanadischen Eroberung. »Ruf doch mal an«, riet Lena in ihrer zupackenden Art. »Oder würdest du dich etwa nicht freuen, wenn dich nach deinem nächsten Langstreckenflug ein charmanter Typ am Gate abholt und dir Toronto zeigt?«

    Zwei Wochen später griff ich aus einer Laune heraus tatsächlich nach dem Telefon. Pauls Stimme auf dem Anrufbeantworter bestätigte meinen Verdacht: Die Nummer stimmte. Ich hinterließ keine Nachricht.

    Drei Tage darauf erreichte er mich. Es war Freitagabend und meine Freundin Lena und ich waren in Ausgehstimmung. Wir teilten uns gerade den Platz vor meinem Waschbecken, als mein Handy klingelte. Den Lippenstift auf halber Höhe, traf mich der erstaunte Blick meiner Freundin im Spiegel. Es war schon nach 23 Uhr. Als Paul sich meldete, verschlug es mir im ersten Moment die Sprache. Woher hatte er meine Nummer? Ich erklärte ihm, ich sei gerade auf dem Sprung, und wir beendeten unser Gespräch nach wenigen Sätzen. Ja, ich würde zurückrufen, versprach ich und legte auf.

    Ein paar Tage später wählte ich erneut seine Nummer. »Weißt du noch, wie ich mir am Strand Fotos auf deinem Handy ansehen wollte?«, löste Paul das Rätsel. »Da hab ich eine SMS an meine Nummer geschickt. So einfach war das.«

    Seine Zielstrebigkeit verblüffte mich. Woher nahm er diese Sicherheit? Was lag ihm an einer Frau, die durch Tausende Kilometer und ein Weltmeer von ihm getrennt war und die nichts von den Besonderheiten seiner Sprache oder den Sitten seines Landes verstand? Paul warb so selbstverständlich um mich wie jemand, der weiß, was er will.

    Einerseits fühlte ich mich geschmeichelt, andererseits war mir seine Beharrlichkeit unheimlich. Mit der Zeit jedoch gewöhnte ich mich an seine Anrufe. Unsere Gespräche wurden Teil meines Alltags. Pauls Stimme klang immer vertrauter in meinen Ohren. Bald fehlten mir sein trockener Humor und seine Art, mir etwas Liebes zu sagen, ohne viel Aufhebens darum zu machen, schon wenn wir wenige Tage nicht miteinander gesprochen hatten.

    Als nächstes Wunschziel gab ich Toronto an.

    Montreal – Familientreffen

    Mit Kanada verband mich mehr als der Gedanke an Paul. Das Land war die Wahlheimat meiner Tante Luisa, die mit ihren beiden Töchtern in Montreal lebte. Luisa ist die jüngste Schwester meiner Mutter, und seit jeher ist sie mir die liebste. Sie sieht mir ähnlich, dunkelblond und nicht besonders groß, aber was uns wirklich verbindet, bleibt dem bloßen Blick verborgen. Vielleicht ist es ihre Unternehmungslust, ihre Offenheit, oder es ist ihre rückhaltlose Bereitschaft, genau das zu tun, was ihr Herz ihr sagt – und sei es wider jede Vernunft. Wenn ich schon nach Kanada flog, dann würde ich ihr und ihrer jüngsten Tochter Danielle auf jeden Fall einen Besuch abstatten.

    Als ich Paul von meiner Absicht erzählte, erkundigte er sich, wie ich dorthin kommen wolle. »Ich leih mir ein Auto«, erklärte ich mit einem Schulterzucken. »Oder ich fahr mit dem Bus. Vielleicht steig ich aber auch in einen Flieger.«

    Am Klang seiner Stimme erriet ich, dass er über meine Unbedarftheit grinste. Obwohl ich seit ein paar Monaten Ozeane und Gebirgsketten, Wüsten, Wälder und Seen im Flug überquerte, machte ich mir keinen Begriff von den Entfernungen innerhalb Kanadas.

    »Weißt du, wie teuer die Flüge auf dieser Strecke sind? Und willst du wirklich stundenlang im Bus hocken, um dann übermüdet und mitten in der Nacht an einem entlegenen Bahnhof zu stehen und deine arme Tante aus dem Schlaf zu holen?«

    Ich schwieg.

    »Pass auf, ich hol dich ab, und wir fahren mit meinem Auto.«

    Ich schluckte. Ich sollte mit einer flüchtigen Bekanntschaft bei Luisa aufkreuzen, nachdem wir uns Jahre nicht gesehen hatten? Auch wenn ich das Etikett »Flirt« in Gedanken von unserer Bekanntschaft entfernt hatte, war ich mir keineswegs sicher, wohin die Reise mit Paul ging.

    Er deutete mein Schweigen richtig. »Ach komm, was ist schon dabei? Wenn ihr ein bisschen Zeit für euch haben wollt, vergnüg ich mich in Montreal«, schlug er vor.

    Zu meinem Erstaunen teilte meine Tante seine Sorglosigkeit. »Natürlich bringst du ihn mit«, stimmte sie sofort zu, bat aber mit der für sie typischen mütterlichen Art um seine Adresse.

    Als ich Paul von ihrer Bitte erzählte, erfuhr ich etwas, womit ich nicht gerechnet hatte: Der Mann, an den ich seit ein paar Monaten mit einer gewissen Regelmäßigkeit dachte, wenn ich abends die Nachttischlampe ausknipste, lebte noch bei seinen Eltern! Diese Tatsache war mir lästig, berührte mich unangenehm, wie ein schiefer Ton in einem Lied, das man eigentlich gerne hört. Ich beschloss, ihn bei Gelegenheit einfach zu fragen, warum er sich keine eigene Wohnung leistete.

    26 Stunden und ein paar Zeitzonen später wartete ich in der hellbeige gestrichenen geräumigen Lobby des Hotels in Toronto, in dem ich abgestiegen war, auf ihn. Die Frage, wie ich ihn begrüßen sollte – Küsschen links, Küsschen rechts, deutsche Umarmung oder schwacher Händedruck –, erübrigte sich, als er direkt auf mich zukam und mich mitten auf den Mund küsste. Ich ließ mich in seine Umarmung sinken. Der leichte Druck seiner Hand in meinem Rücken, seine Lippen, rau, fest. Es war wie Ankommen. Wie wenn du beim Landeanflug dort, wo zuvor nur verschwommene helle Flecken in der Dämmerung waren, plötzlich Häuser erkennst, hinter deren Fenstern ein Licht brennt. Es war sogar noch besser. Als er vorschlug, den angebrochenen Abend in einem Pub in der City zu beenden, stimmte ich zögernd zu. Ich war müde und wäre lieber direkt mit ihm auf unser Zimmer gegangen.

    Der Laden hieß Earnest Hemingway, und wir saßen zu acht um einen schweren dunklen Holztisch und tranken Pints. Bald verstand ich kein Wort mehr und ein dumpfer Schmerz machte sich hinter meiner Stirn breit. Die lachenden Gesichter verschwammen vor meinen Augen, das kanadische Englisch, das ich sonst so gern hörte, klang fremd und blechern. Jetlag. »Können wir gehen?«, bat ich leise und erntete einen verständnisvollen Blick. Paul winkte dem Kellner.

    »Das waren keine Freunde von mir«, eröffnete er mir auf dem Rückweg, »ich kannte nur den Jungen neben mir. Genau genommen ist Brad mein einziger Freund.«

    »Hmm«, war mein einziger Kommentar. Mir war es zu spät für Bekenntnisse. Ich war froh, dass Paul ohne Diskussionen bereit gewesen war, die Runde zu verlassen, und Schlaf war alles, woran ich noch denken konnte.

    In meiner ersten Nacht in Toronto schlief ich tief und traumlos. Am nächsten Morgen folgte ich gut gelaunt im strahlenden Sonnenschein dem mit Gepäck beladenen Paul zum Hotelparkplatz. Als er die Koffer in einen sportlichen Zweisitzer wuchtete, hielt ich den Atem an. Ein schwarzer 3er-BMW. Bevor mein Vater mit seinem Reisebüro Konkurs anmelden musste, war er immer BMW gefahren, zuletzt das 7er- Schlachtschiff, und ich liebte diese Autos. Bequemlichkeit, Stil und ein Quäntchen Pomp – was wollte man mehr. Er wohnt bei seinen Eltern und er hat Geschmack, ergänzte ich im Stillen, was ich von Paul wusste, und stieg in seinen Wagen.

    Nach einem Abstecher zu einer Tim-Hortons-Filiale, dessen eigentlicher Zweck mir verborgen blieb, der mir aber einen weiteren irgendwie geschäftsmäßig prüfenden Blick seiner Mutter und einen French Vanilla to go einbrachte, fuhren wir auf den Expressway 401. Ich begriff, dass Pauls Eltern Franchisenehmer mehrerer Filialen waren und dass er selbst zwei der Läden führte. Ich begriff auch, dass er einem Traum nachjagte, der nichts zu tun hatte mit den roten Plastiksesseln und der sauberen Behaglichkeit eines Coffee-Shops oder mit dem Jugendzimmer, das er noch immer im Haus seiner Eltern bewohnte. Paul wollte viel Geld verdienen, er wollte eine Familie gründen, er wollte Unabhängigkeit im großen Stil.

    »Ich hab ein bisschen Ahnung von der Börse«, bemerkte er sachlich, »und als Broker kannst du überall leben. Der ganze Kaffeequatsch interessiert mich nicht.«

    Auf der mehrstündigen Fahrt nach Montreal redeten wir ununterbrochen, aber heute weiß ich nicht mehr, worum es eigentlich ging. Worüber redet man, wenn man sich kennenlernt? Vermutlich ging es um unsere Träume. Vermutlich hatten wir unsere Zukunft so deutlich vor Augen wie die sommerliche Landschaft, die draußen auftauchte, vorüberzog und schon im nächsten Moment hinter dem Heckfenster verschwunden war. Im Hintergrund lief das Radio, und Paul ließ mich ein Stück fahren. Der Junge wollte zwar das große Geld machen, aber er klebte nicht mit der Bangigkeit mancher Typen, die ich aus Dortmund kannte, an dem lackierten Statussymbol unter seinem Hintern. Das gefiel mir.

    Paul gefiel auch Luisas achtjähriger Tochter Danielle – es war Liebe auf den ersten Blick. Unermüdlich trug er sie in den folgenden Tagen durchs Haus, spielte Mensch ärgere Dich nicht mit ihr und lauschte ihren halb auf Französisch, halb auf Englisch vorgetragenen, verwickelten Geschichten. Als ich die beiden zusammen sah, bekam ich weiche Knie. Männer, die mit Kindern umgehen können, imponieren mir, das war schon immer so.

    Luisa musste es ähnlich gehen, denn als Paul am ersten Abend am Balkongeländer lehnte und rauchte, rief sie meine Mutter in Dortmund an. »Er ist fantastisch«, sagte sie mit einem halben Lächeln in meine Richtung, »das ist ein Kandidat, Gabi.«

    Für was auch immer er in den Augen meiner Tante kandidierte, er tat es mit vollem Einsatz. Am kanadischen Unabhängigkeitstag saßen wir mit bunten Wolldecken auf einem Grashügel und bestaunten das Feuerwerk am sternklaren Himmel über der Altstadt. Inmitten der Ahs und Ohs der Umsitzenden drang ein kleiner Satz leise an mein Ohr, fühlte ich Lippen dicht an meinem Ohrläppchen.

    »Ich hab mich in dich verliebt.«

    Später am Abend standen wir eng umschlungen auf dem Balkon. Er fragte, was ich für ihn empfände, und ich erklärte, bei uns gebe es eine Formulierung, die zu dem Dazwischen meiner Gefühle passe: »Sie heißt: Ich hab dich lieb.« Paul nickte. »Ich hab dich auch lieb«, echote er, und was aus meinem Mund steif geklungen hatte, hörte sich aus seinem so verdammt gut an, dass ich ihn bat, es zu wiederholen.

    Auf der Rückfahrt nach Toronto waren wir müde und schweigsam. Nach ein paar Stunden meldete sich mein Magen und ich schlug vor, an einem Diner zu halten. Sein Blick verriet nichts, als er sich kurz zu mir drehte. »Kannst du dich noch ein halbes Stündchen gedulden, Anna? Meine Eltern warten mit dem Abendessen auf uns.«

    Ich runzelte die Stirn. Warum hatte er mir das nicht früher gesagt? Ich legte nicht den geringsten Wert darauf, einer Familie am Esstisch gegenüberzusitzen, die ich womöglich zum ersten und letzten Mal in meinem Leben sehen würde. In mir regte sich die Vorsicht meines Vaters zeitgleich mit dem Temperament meiner Mutter und ich hob die Stimme. »Was versprichst du dir davon?«

    Paul schaute auf die Straße. »Was ich mir davon verspreche? Wie wär’s mit einem warmen Abendessen. Wenn du möchtest, kannst du aber auch bei meiner Mutter um meine Hand anhalten!«

    Diese Bemerkung verschloss mir den Mund. Er hat ja recht, räumte ich im Stillen ein und bereitete mich auf einen geselligen Abend vor.

    Als wir ausstiegen, zündete ich mir eine Zigarette an und betrachtete Pauls Elternhaus. Es war ein großes helles Einfamilienhaus mit gepflegtem Vorgarten und einer breiten Holzveranda, die mich an Bilder aus den Südstaaten erinnerte. Kein Zaun, hellgrüner Rasen. Freundlich, dachte ich.

    Während Pauls Vater mit einer karierten Schürze in der Küche stand und Hühnchen und Kartoffelecken in den Ofen schob, entkorkte seine Mutter den Rotwein. Wir waren zeitig in Montreal losgefahren, und der Himmel war hell und wolkenlos, als wir ihr auf die Veranda folgten. Theresa, wie sich Pauls Mutter vorstellte, hielt sich nicht mit Geplänkel auf. Nach zwei Sätzen über das gute Wetter kam sie zur Sache.

    »Was hast du gelernt, Anna?«, wollte sie wissen.

    »Was machen deine Eltern?«

    »Möchtest du ein Leben lang als Stewardess arbeiten?«

    »Wünschst du dir Familie?«

    Auf diese Situation war ich nicht vorbereitet. Während sie ihre Fragen auf mich abfeuerte, suchte ich angestrengt nach Antworten, die sie zufriedenstellten, aber nicht zu viel von mir preisgaben. Es war wie eine Passagierkontrolle am Flughafen: Als müsstest du vor einer Fremden deine Taschen ausleeren, den Gürtel ausziehen und mit den Schuhen in der Hand durch eine Lichtschranke. Entschieden ungemütlich. Was wollte diese Frau von mir? Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl herum, als Pauls Vater David zu uns auf die Veranda trat. Ich meinte, Verständnis in seinem Blick zu lesen. Vielleicht war ihm eine solche Situation ja bereits vertraut?

    Als seine Frau zwischen zwei Fragen Luft holte, wandte er sich an Paul und wies mit einer schwungvollen Geste Richtung Hafen. »Das Huhn braucht noch ein Weilchen«, erklärte er. »Zeig Anna doch, welche Schiffe im schönen Cobourg vor Anker liegen.«

    Ich war heilfroh, Arm in Arm schlenderten wir den Pier entlang, und ich staunte über Yachten aus den entferntesten Häfen der Welt. Pauls Heimatstadt war als das kanadische Saint-Tropez bekannt, malerisch, aber auch mondän und weltgewandt.

    Mit vom Seewind zerzausten Haaren kamen wir pünktlich zum Abendessen wieder zur Tür herein. Pauls jüngere Geschwister Tanya und Tom waren bereits vor uns nach Hause gekommen. Tanya war ein großes dunkelhaariges Mädchen von fast zwanzig Jahren mit eckigen Bewegungen und lauter Stimme. »Ein Mannsweib«, wie ich später zu Lena sagen würde. Sie musterte mich unverhohlen, während sie Kartoffelecken auf ihre Gabel spießte. Anders als Nesthäkchen Tom, der mit seinen sechzehn Jahren ganz eigene Sorgen zu haben schien, zeigte sie reges Interesse an der Bekanntschaft ihres älteren Bruders.

    »Du bist also ein Einzelkind?«, fragte sie zwischen zwei Bissen. »Unter Geschwistern geht das anders zu, da kannst du dich auf etwas gefasst machen.«

    Auch für mein Aussehen interessierte sich Pauls Schwester. »Schminkst du dich jeden Tag?«, fragte sie beiläufig.

    »Ja«, gab ich leichthin zurück. »Manche von uns müssen der Natur eben nachhelfen.«

    In der darauf eintretenden Gesprächspause musterte mich Pauls Mutter über den Rand ihres Rotweinglases hinweg. Paul grinste. Ich griff nach der Flasche und schenkte mir nach.

    Als Paul und ich nach dem Essen ins Auto stiegen, spürte ich Tanyas Blick noch im Nacken. Wie sie mit verschränkten Armen neben ihrer Mutter gestanden hatte, als wir uns verabschiedeten. Vielleicht war es spontane Abneigung, vielleicht generelles Misstrauen. Bis dahin hatte ich den Begriff »Stutenbeißen« immer für eine männliche Erfindung gehalten. Jetzt war ich mir da nicht mehr so sicher. Ohne Bedauern hörte ich, wie Paul den Motor anließ.

    Lake Muskoka – Ort des Glücks

    Nach den Tagen bei meiner Tante in Montreal hatte sich etwas zwischen Paul und mir verändert. Da war etwas Zartes, eine erste Vertrautheit, und ich spürte, wie mein Widerstand gegen eine Fernbeziehung – trotz der eher seltsamen Begegnung mit Pauls Familie – schmolz. Ich hatte mich in ihn verliebt.

    »Ich will mit

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