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Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat
Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat
Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat
eBook454 Seiten6 Stunden

Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat

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Über dieses E-Book

Die Freiheit ruht tief in dir, du musst ihr nur die Tür öffnen.

Als Linea ein Gespräch zwischen ihrem Ziehvater und dem Jarl von Skogbyen belauscht, erfährt sie, dass ihr bisheriges Leben im Wikingerdorf eine einzige Lüge war und sie dem grausamen Anführer versprochen werden soll. Linea will frei sein, selbst über ihr Leben bestimmen und sich nichts vorschreiben lassen, doch es ist nicht leicht, als Frau unter Wikingern zu bestehen. Sie braucht die Hilfe ihrer Freunde, denn die Intrigen, die sich um sie spinnen, sind gewaltiger, als sie jemals geglaubt hat. Wird es ihr gelingen, ihre Freiheit zu erkämpfen? Und wieso hat der Jarl überhaupt ein solches Interesse an ihr?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum7. Aug. 2020
ISBN9783038961321
Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat

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    Buchvorschau

    Die Wikinger von Vinland (Band 1) - Smilla Johansson

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Prolog

    Teil I - Das Mädchen

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6 - Kjell

    Kapitel 7

    Teil II - Die Seherin

    Kapitel 8

    Kapitel 9 - Kjell

    Kapitel 10

    Kapitel 11 - Kjell

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15 - Kjell

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18 - Kjell

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Teil III - Die Jarl

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24 - Kjell

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33 - Kjell

    Kapitel 34

    Kapitel 35

    Kapitel 36 - Kjell

    Kapitel 37

    Kapitel 38 - Kjell

    Epilog

    Schlusswort

    Glossar

    Smilla Johansson

    Die Wikinger von Vinland

    Band 1

    Fantasy

    Die Wikinger von Vinland (Band 1): Verlorene Heimat

    Die Freiheit ruht tief in dir, du musst ihr nur die Tür öffnen.

    Als Linea ein Gespräch zwischen ihrem Ziehvater und dem Jarl von Skogbyen belauscht, erfährt sie, dass ihr bisheriges Leben im Wikingerdorf eine einzige Lüge war und sie dem grausamen Anführer versprochen werden soll. Linea will frei sein, selbst über ihr Leben bestimmen und sich nichts vorschreiben lassen, doch es ist nicht leicht, als Frau unter Wikingern zu bestehen. Sie braucht die Hilfe ihrer Freunde, denn die Intrigen, die sich um sie spinnen, sind gewaltiger, als sie jemals geglaubt hat. Wird es ihr gelingen, ihre Freiheit zu erkämpfen? Und wieso hat der Jarl überhaupt ein solches Interesse an ihr?

    Die Autorin

    Smilla Johansson, Jahrgang 1998, lebt mit ihrer Familie in der kleinen Stadt Bocholt an der niederländischen Grenze. Benannt nach der bekannten Ermittlerin aus Peter Høegs Kriminalroman Fräulein Smillas Gespür für Schnee hatte sie kaum eine andere Wahl, als sich in der Welt der Bücher zuhause zu fühlen. Ein besonderes Faible hat sie für historische Romane, Fantasy aller Art und Krimis.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, August 2020

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2020

    Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

    Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röl-lig

    Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-131-4

    ISBN (epub): 978-3-03896-132-1

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für Hjordis,

    weil du die Einzige bist, mit der ich mich auf Wikinger-Art fetzen kann, ohne dass du es mir übel nimmst.

    Blut ist dicker als Wasser.

    Prolog

    Es war dunkel. Düstere Nacht hatte sich über das kleine Dorf an der Küste gelegt. Das blaue Tuch des Nachthimmels war nur mit wenigen hellen Lichtern bestückt, deren schwaches Leuchten nicht bis zum Boden durchzudringen vermochte. Beinah friedlich klang das leise Plätschern der schäumenden Wellen, die ans Ufer brandeten – doch diese Nacht war alles andere als friedlich.

    Noch immer sah sie den rot glühenden Schein des knisternden Feuers, noch immer fühlte sie die sengende Hitze auf ihrer nackten Haut, noch immer zerkratzte der beißende Rauch ihr die ausgedörrte Kehle und noch immer hörte sie den Lärm der Schlacht. Hörte das nur allzu vertraute Geräusch von aufeinanderschlagendem Metall, wenn die Gegner zusammenprallten.

    Selbst hier, am Rande des vollständig zerstörten Dorfes, legte sich der metallische Geschmack von Blut auf ihre Zunge, dröhnten die Schreie der Sterbenden in ihrem Kopf.

    Erneut ergriff Panik von ihr Besitz; Angst schloss sich wie eine eiserne Faust um ihr Herz und drohte es ihr in der Brust zu zerquetschen.

    Angst. Zum ersten Mal in ihrem Leben wurde sie sich dieses Gefühls bewusst. Zum ersten Mal begriff sie, dass sie machtlos war. Dass die Götter sie verlassen hatten.

    Ein anderes Gefühl erkämpfte sich ebenfalls einen Platz in ihrem Herzen, als sie das reetgedeckte Dach des Langhauses in Flammen aufgehen sah.

    Schuld. Es war ihre Schuld, dass das Lager eines Freundes nun über ihr Volk herfiel und tat, was nur die Männer des Nordens in Perfektion vollbringen konnten. Rauben, morden, plündern, brandschatzen und über allem: zerstören.

    Ein scharfer Stich traf sie in der Brust, als das lichterloh brennende Dach einstürzte und weitere Leben mit in den Tod riss. Einen Tod, für den sie sich allein verantworten musste.

    Ihre Schuld. Sie schmeckte die Bitterkeit dieser Worte auf der Zunge, als die Erkenntnis erneut ihr Bewusstsein eroberte.

    Ihre Schuld, dass sie nach erst zwei Sommern wieder einem feindlichen Angriff ausgeliefert waren. Ihre Schuld, dass die Menschen, die sie liebte, nun zu Dutzenden den Weg in die heiligen Hallen antraten. Ihre Schuld, dass sie alles verloren, was sie sich hier an der Küste des Grünen Landes erkämpft hatten. Ihre Schuld, dass seine Krieger nun nach ihrem Leben trachteten. Und nach dem ihres Kindes.

    Wie sollte sie nur mit dieser Schuld leben, falls sie denn würde überleben können? Wie sollte sie ihrem Kind später diese Schmach erklären? Wie sollte sie ihr Leben in dieser Situation noch retten?

    Sie konnte es nicht.

    Ein eisiger Windhauch wehte weitere grauenvolle Klänge der stetig tobenden Schlacht herüber und riss die junge Frau gewaltsam aus ihrer Starre.

    Ihr blieb keine andere Möglichkeit; dies war der einzige Weg, also musste sie es versuchen.

    Mit zügigen Schritten, darauf bedacht, sich so weit wie möglich im Schatten zu halten, kehrte sie der Schlacht den Rücken und schritt auf das nahe Ufer zu. Dabei drückte sie das Bündel aus Leinen so fest an ihre Brust, dass sie dachte, das Kind darin würde aufwachen und zu schreien anfangen.

    Schnell lockerte sie ihren Griff und legte die letzten Schritte rennend bis zum Schiff zurück.

    Der große Drachenkopf am Vordersteven jagte ihr bei Weitem keine Angst mehr ein, war sie doch schon viele Male auf dem Schiff mitgefahren.

    »Seid Ihr so weit, Herrin?«, fragte eine tiefe Stimme ein kleines Stück über ihr.

    Der Mann, der am Dollbord stand und auf sie hinabsah, wirkte angespannt. Tiefe Furchen hatten sich in sein Gesicht geschlagen, der hellblonde, mit grauen Strähnen durchzogene Bart starrte vor angetrocknetem Blut, die grauen Augen blickten stumpf und ausdruckslos auf sie hinab.

    Unwillkürlich lief der jungen Frau ein kalter Schauder über den Rücken und sie musste heftig schlucken, bevor sie ihm entschlossen zunickte. Er streckte ihr die Hände entgegen und forderte stumm das Bündel aus ihren Armen.

    Es kostete sie all ihre Willenskraft, der Aufforderung nachzukommen. Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, konnte sie sich von dem kleinen schlafenden Gesichtchen abwenden und legte mit klopfendem Herzen das Bündel in seine starken Arme.

    Der Krieger nahm es wortlos in seine linke Hand, die eher einer riesigen Pranke glich, und bot ihr die freie Rechte an, um ihr ebenfalls hinaufzuhelfen.

    Und in diesem Moment schien die Zeit stillzustehen. Der Bruchteil eines Wimpernschlags wurde so lang wie ein ganzes Menschalter auf dieser Weltenscheibe.

    »Nein.« Ihre Stimme klang heiser und brüchig und sie war sich nicht sicher, ob er sie über das Pfeifen des Windes und den Lärm der Schlacht hinweg überhaupt hörte.

    Ohne dass sie eine Regung auf seinem blutverschmierten Gesicht erkannte, ließ er die Hand sinken. Sein Blick ruhte weiterhin auf ihr.

    »Sie wollen nur mich. Mein Leben ist es, das sie begehren.« Mit diesen Worten kehrte die Kraft in sie zurück und die Zeit nahm wieder ihren Lauf.

    In ihrem Inneren kam eine Flut an Gefühlen auf, als sie den heißen Schein des Feuers, der über den Hütten des Dorfes lag, auf ihrem Gesicht spürte: verletzter Stolz, Rachsucht und Wut über ihr Schicksal. Und sie wusste nicht, welchem sie sich zuerst hingeben sollte.

    »Ich werde mich ihnen nicht kampflos entgegenstellen«, sprach sie mit fester Stimme. »Sie sollen lernen, was es heißt, gegen eine Göttin der Nordlande zu kämpfen!«

    Pure Entschlossenheit und reiner Wille sprachen aus ihr, und es fühlte sich an, als hätte sie mit ihrem Kind, das nun in den Armen des Kriegers ruhte, ihre größte Schwäche abgelegt, auch wenn die Sehnsucht ihr bereits jetzt das Herz zerriss.

    Er nickte knapp und wandte sich von ihr ab. Nach wenigen Schritten jedoch drehte er sich ihr erneut zu, zurückgehalten von ihrer Stimme. Zart und sanft klang sie diesmal, und sie sprach fast leiser als das nächtliche Säuseln des Windes.

    »Versprich mir, dass du sie mir zurückbringst, eines Tages.«

    Er drehte sich noch einmal um und ihre Blicke trafen sich. »Haltet immer ein wachsames Auge auf den Horizont«, sagte der Krieger und schaute mit finsterer Miene auf selbigen, wo soeben die ersten blassen Strahlen über den Rand des schäumenden Meeres krochen.

    Teil I - Das Mädchen

    Kapitel 1

    Skogbyen, norwegische Küste im Jahr 1015 n. Chr.

    Es schneite. Natürlich schneite es. Für Linea war der Schnee keine Überraschung, als sie an diesem Morgen, ebenso wie an den Tagen zuvor, als Erstes einen Blick aus dem schmalen Fenster warf. Dicke, schwere Flocken fielen vom Himmel und hüllten die Dächer der Hütten in ein weißes Gewand. Auch die schwachen Sonnenstrahlen, die durch die Ritzen der Holzwand fielen und den Staub im Raum tanzen ließen, konnten die Kälte nicht vertreiben.

    Fröstelnd zog sie das dicke Schaffell hoch bis unter die Nase und drückte sich noch ein wenig tiefer in die mit Stroh gefütterte Matratze.

    Ihr gefiel die Kälte. Die klare, frische Luft im Winter hatte etwas Hartes, Bedrohliches – zugleich ließ sie die Menschen jeden Winter aufs Neue fühlen, wie wenig Gewalt sie über alltägliche Dinge hatten. Mochten der König und seine Jarls noch so viele Schlachten schlagen und Dörfer plündern, über das Wetter besaßen auch sie keine Macht. Sie traf es genauso wie die Sklaven und Tiere auf den Höfen.

    Gerechtigkeit. Es war der Wille der Götter, etwas, das die Menschen herabstufte. Zumindest einen Hauch davon brachten Wind, Schnee und Kälte Winter für Winter mit sich.

    Für das Wetter sind wir alle gleich, dachte Linea, als sie sich auf ihrer Schlafstatt ein letztes Mal auf die Seite drehte.

    Ein eisiger Windhauch suchte sich seinen Weg in die Kammer und strich ihr sacht über das Gesicht, als riefe er sie zu sich nach draußen. Tatsächlich schlug sie in diesem Moment das schützende, warme Fell von sich und richtete sich auf. Sie musste sich beeilen, wenn sie heute Morgen noch einen guten Fang machen wollte.

    Hastig schwang Linea ihre schlanken Beine über die Kante des Bettes und stand auf. Sofort spürte sie die Kälte auf ihrer Haut, die mühelos durch das dünne Leibchen drang, das sie trug. Ihr Atem stieg in feinen Wölkchen auf, die sich knapp unter der Decke des schrägen Daches verflüchtigten. Es war wohl schon einige Zeit vergangen, seit die Sklaven das letzte Holz auf das Feuer im Hauptraum gelegt hatten.

    Unwillkürlich musste sie bei dem Gedanken lächeln. Sie würde den beiden mal wieder den götterverdammten Frankenarsch retten und Holz nachlegen, bevor ihr Ziehvater Valdarr dieses Versäumnis bemerkte.

    Die beiden Sklaven namens Boldi und Klodwig, die von allen nur Bold und Klod gerufen wurden, hatte der Jarl von einem seiner letzten Beutezüge aus dem Reich der Franken im Süden mit nach Skogbyen gebracht. Als Dank für seine Treue hatte er sie Lineas Ziehvater übereignet. Ohne Valdarrs Kampferfahrung hätten der Jarl und seine Krieger den Feldzug nicht erfolgreich beendet. Ihr Ziehvater hatte dem Jarl aus einer ziemlich aussichtslosen Lage geholfen und dafür gesorgt, dass die Flotte heil den heimatlichen Hafen hatte anlaufen können.

    Zumindest hatte er es Linea und der Sklavin Jella, die während seiner Abwesenheit auf Linea aufpasste, am Abend seiner Rückkehr so berichtet. So gesehen waren die beiden Sklaven mehr als einfach nur eine Übereignung des Anführers gewesen. Sie bedeuteten Vertrauen. Und das wurde in ganz Skogbyen hoch angesehen. Beinah so sehr wie die goldenen Armreife, die der Jarl unter seinen Thanen verteilte.

    Auch wenn Bold und Klod Sklaven waren und Linea eigentlich nicht mit ihnen reden sollte, außer um Befehle zu erteilen oder sie zu bestrafen, mochte sie die beiden Brüder mit den seltsamen pechschwarzen Haaren. Und wenn sie ihnen eine erneute Tracht Prügel von ihrem Herrn ersparen konnte, tat sie es mit gutem Gewissen.

    Linea trat an die Waschschüssel heran und spritzte sich rasch das eiskalte Wasser ins Gesicht. Als sie aufsah, fiel ihr Blick auf die polierte Kupferplatte, die ihr in der Kammer als Spiegel diente. Ihr ebenmäßiges Gesicht mit der schmalen Nase, den hohen Wangenknochen und den vollen Lippen war leicht gerötet von der Kälte des Wassers. Das schwache Licht in der Kammer verlieh ihren blauen Augen einen beinah gespenstischen Glanz, der vom Spiegel zurückgeworfen wurde, als sie den Kopf drehte. Sie griff nach einem hölzernen Kamm und versuchte ihre rotblonden, wild gelockten Haare zu entwirren. Was sich als schwierig herausstellte, da sie so vollkommen ohne Frisur ungewöhnlich lang waren, sie reichten ihr bis zur Hüfte.

    Allzu viel Zeit verwendete sie nicht darauf, denn es war immer noch verdammt kalt und in dem dünnen Nachthemd und mit den nackten Füßen auf dem Lehmboden fror sie erbärmlich.

    Zitternd legte sie den Kamm beiseite und tauschte schnell das Leibchen gegen ein paar wollgefütterte Beinlinge und eine waldgrüne Kurztunika.

    Ihr war es egal, was ihr Ziehvater dazu sagen würde und ob es sich für ein junges unvermähltes Mädchen schickte oder nicht, in Männerkleidern herumzulaufen. Wenn sie raus zum Fischen ging, war ein wallendes Kleid eben unpraktisch. Und kalt.

    Sollen die anderen Frauen doch tragen, was immer ihre verdammten Herren oder Männer ihnen zu tragen geben, zu mir passt es nicht.

    Ebenso würdigte sie das viel zu enge Mieder keines Blickes, das Valdarr ihr aus England mitgebracht hatte und das sie ohne Hilfe eines Sklaven ohnehin nicht anständig würde tragen können. Stattdessen griff sie zu dem breiten Gürtel aus Rindsleder, in den sie zwei Dolche, eine Handaxt und einen mit Wasser gefüllten Ziegenmagen hängte. Da sie nicht vorhatte, an diesem Morgen irgendwo hinzugehen, wo sie gesehen und von unfreundlichen Augen an Valdarr verraten werden konnte, griff sie auch noch nach dem Bärenfellumhang, der neben der Tür hing.

    So geräuschlos, wie es ihr in dieser dicken Kleidung möglich war, schlich sie durch den Hauptraum. Sie wollte es nicht darauf ankommen lassen, ihren Ziehvater Valdarr so früh zu wecken, wo er doch bis gestern noch die Geschicke des gesamten Dorfes zu verwalten gehabt hatte.

    In der letzten Zeit war es immer häufiger vorgekommen, dass Jarl Rutmar seinen engsten Vertrauten und Berater als seinen Stellvertreter allein in Skogbyen zurückließ, während er mit seinen Kriegern auf See war und die gefährlichen Lande im Süden und Westen in die Schranken wies. Ganz recht schien es dem Älteren nicht zu sein, dass der Jarl ihn in dem Posten als bester Kendtmann durch einen wesentlich jüngeren Krieger ersetzt hatte, der noch so grün hinter den Ohren war wie aufblühendes Gras im Frühling.

    Trotzdem, dachte Linea, als sie noch ein schweres Holzscheit auf die Glut warf, sollte sich Valdarr glücklich schätzen, dass ein Mann in seinem Alter überhaupt noch für den Jarl eines aufstrebenden Dorfes von Bedeutung war. Denn nichts anderes war Skogbyen.

    Mit den ertragreichen Raubzügen des letzten Sommers hatte sich der Jarl das hohe Ansehen, das er am Hof von König Haraldsson genoss, redlich verdient. Immer mehr tüchtige Seeleute und kampferfahrene Krieger hatten den Weg nach Skogbyen gefunden und waren als Ergänzung von Rutmars Flotte, die mittlerweile mehr als ein Dutzend Schiffe umfasste, stets gern gesehen. Die Geschäfte liefen gut, der Handel blühte, das wussten selbst die Kinder der ärmsten Bauern. Und zu dem Erfolg hatte der alte Valdarr mehr beigetragen, als die meisten ahnen mochten; doch das wusste nur Linea.

    Mit dem Schürhaken stocherte sie in der Glut, bis neue kleine Flammen an dem trockenen Holz leckten und den Raum sogleich in ein rötlich flackerndes Licht tauchten. Linea wandte sich ab, nahm den leeren Weidenkorb auf und verließ die Hütte durch die große eisenbeschlagene Tür.

    Dicke Schneeflocken wehten ihr ins Gesicht und trieben eisige Nadelstiche in ihre Haut.

    Das ganze Dorf lag unter einer knietiefen, pulverigen Schicht begraben. Erst langsam nahm das Tageslicht zu, da sich immer wieder graue Wolken vor die noch schwache Sonne schoben. Die Konturen der Hütten ragten bedrohlich dunkel aus der weißen Umgebung hervor. Lineas Blick ruhte auf den sich kreuzenden Dachfirsten des Langhauses, dessen Enden kunstvoll zu feuerspeienden Drachen geschnitzt worden waren. Durch den Rahmen aus Schnee stachen sie noch deutlicher im Zentrum des Dorfes heraus und ihren wachsamen Augen schien nichts zu entgehen. Das Langhaus des Jarls war zwar das größte, höchste und prachtvollste Bauwerk Skogbyens, aber, wie Linea fand, bei Weitem nicht das schönste.

    Alle Häuser, die das Zentrum einschlossen, waren mit einem ähnlichen Dachschmuck verziert. So zierten zwei Pferdeköpfe das Haus bei den Ställen, und zwei Köpfe, die dem Jørmungandrs bis auf die letzten Schuppen glichen, markierten das Dach der Kerkerzellen.

    Doch das schönste Haus des Dorfes war für Linea schon immer die Methalle Heroiskr gewesen, die auf einem kleinen Hügel auf erhöhter Position etwas abseits stand. Schon als kleines Kind hatte Linea immer gern die großen Sagas, Geschichten und Verse gehört, welche die Skalden Skogbyens allbekannt gemacht hatten. Obwohl es per Erlass des Jarls nur den Sklaven verboten war, die ruhmreiche Halle zu betreten, hatte auch Linea erst ein Mal über die Schwelle treten dürfen. Ihr Ziehvater war der festen Überzeugung, dies sei kein Ort für Frauen und für junge Mädchen schon gar nicht.

    Aber Linea hatte es einmal gewagt, sich spät in der Nacht hineinzuschleichen und einen ehrfürchtigen Blick ins Innere der Halle zu werfen, und war dabei prompt erwischt worden. Noch drei Tage später hatte ihr ganzer Körper von der Tracht Prügel geschmerzt, die Valdarr ihr verpasst hatte. Seitdem hatte sie es nicht erneut gewagt und sich stets von der Halle ferngehalten, wenn sie wusste, dass er sie beobachtete. Ihr blieb nichts anderes übrig, als Tag für Tag die wunderschönen Schnitzereien, welche die stützenden Säulen zierten, von außen zu betrachten.

    Auch an diesem frühen Morgen hielt sie staunend einen Moment inne und bewunderte das überragende Bauwerk. Das Dach war schlichtweg beeindruckend. Es hatte die Form eines auf den Kopf gedrehten Schiffsrumpfes, dessen Vorder- und Hintersteven kunstvoll mit einem Drachenkopf geschmückt gen Himmel ragten und sich über den Kiel hinweg anstarrten. Ein spitzer Giebel überdachte die Stufen vor der großen Tür, die auf jeder Seite stets von Fackeln erleuchtet war.

    Linea schaute an den geschnitzten Abbildern der Götter hinauf, die kämpfend, hier und da auch herrschend über ihr Volk, auf den hölzernen Stützsäulen verewigt waren.

    Entmutigt dachte Linea daran, dass sie noch mindestens bis zum Sommer würde warten müssen, ehe sich ihr die Gelegenheit bot, unter diesem Dach zu stehen. Auch wenn sie dann mit fünfzehn Sommern alt genug sein würde, um von einem Mann an dessen Seite in die Halle geführt zu werden, musste sie dennoch auf die Zustimmung Valdarrs hoffen, der jedoch wahrscheinlich nichts an seiner Entscheidung ändern würde. Für ihn hatten lediglich die Weiber der Männer und die Sklavinnen, die den tapferen Kriegern Met und Fleisch brachten, eine Berechtigung, Heroiskr zu betreten.

    Seufzend wandte sich Linea von dem ergreifenden Anblick ab, wischte sich den Schnee erneut aus dem Gesicht und stapfte weiter Richtung Haupttor.

    Langsam stieg die Sonne am Horizont höher und vertrieb die letzten Wolken. Allmählich hörte es auf zu schneien und die Sicht klarte auf. Linea suchte sich ihren Pfad abseits der Hauptwege, die schon von einigen Sklaven vom Schnee befreit wurden, und hielt sich stattdessen lieber in den engen, verschlungenen Gassen zwischen den Hütten verborgen.

    Als sie das Haupttor schließlich erreichte, glitt ein leiser Fluch über ihre kalten Lippen. Sie hatte es doch tatsächlich geschafft, zu früh am Tor einzutreffen. Die Ablöse für die Nachtwache war noch nicht erschienen. Linea blieb also nichts anderes übrig, als sich tiefer in die Schatten zurückzuziehen und auszuharren. An sich wäre es kein größerer Aufwand gewesen, bei der Nachtwache das Dorf zu verlassen, aber da sie den Krieger, der dort vor dem Tor herumlungerte, über die Maße nicht ausstehen konnte und zudem nicht gebührend gekleidet war, zog sie es vor, zu warten. Die Wachablöse, die bei Sonnenaufgang übernehmen sollte, gefiel ihr eindeutig besser.

    Hákon Rutmarsson, der Sohn des Jarls, und sein bester Freund Magnus, der Sohn des Stallmeisters, hatten schon in frühen Kindertagen mit Linea überall im Dorf ihre Streiche gespielt und das Mädchen untypischerweise in ihren Clan der Störenfriede aufgenommen. Für Linea waren die beiden Jungen, die nur wenige Monde älter waren als sie, längst wie Brüder geworden, auch wenn diese Verbindung überall auf Missbilligung stieß und sie drei nicht unterschiedlicher hätten sein können. Der Jarl sah es nicht gern, wenn sein Sprössling, so verzogen er auch sein mochte, mit einfachen Straßenmädchen und Stallburschen herumstromerte, anstatt seinen Pflichten als Nachfolger und zukünftiger Jarl nachzukommen. Das war im letzten Sommer der Grund gewesen, warum er Hákon seinem Hauptmann Orm anvertraut hatte, der dem Jungen endlich etwas Anständiges beibringen sollte.

    Linea musste bei dem Gedanken lächeln, denn welchen Vorsatz der Jarl damit auch verfolgte, von Magnus ließ sich Hákon nicht so leicht trennen. Keine zwei Tage nach Hákons Zwangszuweisung zur Dorfwache hatte sich auch Magnus bei Orm zum Wachdienst gemeldet. Mit dem durchaus ehrbaren Ziel, ein verlässlicher Krieger des Jarls zu werden. So konnten die beiden Jungen weiter zusammen das Dorf unsicher machen und der Jarl musste sich zähneknirschend gefallen lassen, dass ihm die beiden gehörig auf der Nase herumtanzten.

    Genau genommen, dachte Linea, hatten die beiden richtig Glück gehabt, dass Magnus’ Vater Kárr als Stallmeister so eine hohe Position innehatte. Für den Jarl waren Pferde und jemand, der mit ihnen umgehen konnte, zweifelsohne von hohem Wert. Gerade hier an der Küste war es eine Seltenheit, auf ein Dorf zu treffen, das über eine Handvoll fähiger Reiter verfügte, wo doch die meisten Boten immer noch zu Fuß von Dorf zu Dorf gingen. Kárr und seine Pferde waren zu wertvoll für Skogbyen, um ihn zu verbannen. Leichter war es da, zwei Schabernack treibende Jungen auszuhalten, als über das gesamte Land hinweg einen neuen Stallmeister suchen zu müssen.

    Linea hingegen hatte weniger Glück gehabt. Nicht nur, dass sie sich als normales Mädchen aus dem Dorf dem Verbot des Jarls unterordnen musste, sie hatte Valdarr ebenso ihr Wort geben müssen, sich von ihren Freunden fernzuhalten. Auch wenn sie ihm hätte widersprechen können, wollte sie nicht in seinem Namen am Hof des Jarls in Schimpf und Schande geraten. So hatte sie sich gefügt, und die gemeinsamen Streifzüge mit Hákon und Magnus waren im Sande verlaufen.

    Nun hockte Linea hier im Schatten der Hütte und beobachtete, wie die beiden jungen Wachen aus Richtung der Wohnquartiere kamen und gemütlich auf das Haupttor zuschlenderten. Schon aus dieser Entfernung konnte sie Magnus, den kleinen schlaksigen Stallburschen, erkennen, der neben Hákon mit seiner hohen Statur und dem breiten Kreuz so fehl am Platz wirkte wie ein Franke jenseits des Meeres.

    Überhaupt konnte man Magnus deutlich ansehen, dass seine Familie nicht ursprünglich aus den nördlichen Reichen kam. Er mochte zwar hier geboren und aufgewachsen sein, aber seine gebräunte Haut und die dunkelbraunen Haare verrieten seine Herkunft aus den südlichen Ländern, jenseits der fränkischen Reiche. Umso gewöhnungsbedürftiger war es für Linea anfangs gewesen, ihn trotzdem mit einem Namen anzusprechen, der absolut nicht seiner Erscheinung entsprach. Seine Eltern hatten ihm, ihrer Herkunft gebührend, einen fremdländischen Namen gegeben, den sich von den Nordmännern niemand merken konnte. Da Magnus’ Vater Kárr als Stallmeister eine angesehene Position in den Reihen der Krieger erlangt hatte, wollten sie seinen Sohn als einen der ihren aufnehmen und gaben ihm, sobald er laufen und sprechen konnte und sich unter die anderen Kinder des Dorfes mischte, der Einfachheit halber einen anständigen Namen. Magnus. Das hatte schon bei seinem Vater gut funktioniert, denn auch Kárr war ein Name, den die Bewohner ihrem Stallmeister gegeben hatten, um es sich leichter zu machen.

    Linea hatte sich mittlerweile daran gewöhnt – nicht zuletzt, da sie mit Magnus aufgewachsen war – und ihr gefiel der Name, sodass es für sie nie ein Problem gewesen war, dass er aufgrund seiner sonnengebräunten Haut oft aus der Masse der bleichen Nordmänner herausstach.

    Bei Oðins Arsch, können sich die beiden Schwachköpfe nicht beeilen?

    Langsam begann Linea in den durchnässten Beinlingen zu frieren. Wenn diese beiden Möchtegern-Krieger noch langsamer gingen, konnte sie ebenso gut zu Valdarrs Haus zurückschleichen und zu den Göttern beten, dass sie niemand in diesem Aufzug sah.

    Der Zufall kam ihr zu Hilfe, denn als sie erneut um die Ecke lugte, sah sie den grobschlächtigen Orm, der Nachtwache gehalten hatte, von draußen durch das Tor kommen. Er entdeckte die Trödler sofort und bemühte sich erst gar nicht, das zu verbergen.

    »Wird das heute noch was mit der Ablöse oder muss ich dem Rotzlöffel des Jarls erst den Weg freischaufeln, weil der Schnee seine Hosen nässt?«, brüllte er so laut, dass sich Linea instinktiv nach aufschlagenden Türen umsah.

    Doch das schlafende Dorf verharrte weiter regungslos unter der Schneedecke. Wenigstens bei Hákon und Magnus schienen die Worte ihr Ziel nicht zu verfehlen. Linea sah die beiden förmlich zusammenzucken, als sie den wütenden Wachmann am Tor bemerkten und nun eilig auf ihn zuliefen.

    »Wurde auch Zeit«, knurrte Orm, als die Jungen in Hörweite waren. »Das nächste Mal, wenn ihr zu spät kommt, schlitze ich euch die Ohren, und es ist mir verflucht noch mal egal, ob das zur Wachablöse, zum Essen oder zum Begräbnis eurer Mutter ist!«

    Ein stummes Nicken der Jungen folgte. Er sah sie beide noch einen Moment lang finster an, bevor er, immer noch knurrend und fluchend, durch den Schnee davonstampfte.

    Hákon und Magnus wechselten einen kurzen Blick und brachen dann prompt in schallendes Gelächter aus, das in der Gasse zwischen den Hütten ebenso laut widerhallte wie zuvor die Flüche und Verwünschungen Orms.

    »Ich denke nicht, dass ihr euch über seine Drohung lustig machen solltet«, sagte Linea aufgebracht, während sie aus dem Schatten trat und ihre rotblonden Haare von der Kapuze befreite. »Habt ihr denn noch nicht gesehen, wie viele der Wachen, die der Kerl unter seine Fittiche hat nehmen müssen, bei uns im Dorf mit geschlitzten Ohren oder fehlenden Fingern herumlaufen?«

    Erschrocken fuhren die beiden Jungen herum.

    Wenigstens etwas.

    Lineas Blick fiel auf Hákons Hand, die schnell zu der Wurfaxt an seinem Gürtel gezuckt war. Seine Reflexe und die flinken Hände schien er gut im Griff zu haben.

    Nachdem er sie erkannt hatte, verschränkte er die Arme vor der breiten Brust. »Eifersüchtig, Glöckchen?«, fragte er sie mit einem übertrieben hochnäsigen Unterton in der Stimme.

    Linea merkte, wie ihr schlagartig eine Röte in die Wangen stieg, die nichts mit der kalten Winterluft zu tun hatte. Sie hasste es, wenn Hákon sie so nannte wie die Blume, die ihr ihren Namen gegeben hatte. Moosglöckchen. Er passte so gar nicht zu ihr; sie wollte nicht, dass er zu ihr passte.

    »Ich wette, dass du dir gerne von unserem lieben Orm die Ohren schlitzen lassen würdest, um noch mehr goldene Ringe hindurchzuschieben«, sagte Hákon und verzog die Lippen zu einem frechen Grinsen, während er eine blonde Haarsträhne zur Seite schob und sein eigenes makelloses Ohr präsentierte.

    Da hatte er sie. Ihr lag schon eine bissige Erwiderung auf der Zunge, doch sie schluckte sie hinunter. Hákon hatte recht, den Fehler durfte sie sich nicht erneut erlauben.

    Als sie noch ein kleines Kind gewesen war, hatte es in ihrem Dorf einen Sklaven gegeben, der in jedem Ohr eine Handvoll goldener Ringe gehabt hatte. Neugierig, wie sie schon damals gewesen war, hatte sie Valdarr gefragt, was es mit diesem seltsamen Schmuck auf sich hatte. Doch er hatte sie nur brüsk zurückgewiesen und ihr verboten, nach den Belangen der Sklaven zu fragen.

    Erst einige Monde später, als Valdarr in seiner Position als Kendtmann auf dem Schiff des Jarls im Süden unterwegs war, ergriff Linea die Chance und rief den schwarzen Sklaven zu sich. Er erklärte ihr, dass in seinem Land weit im Süden, wo es immerzu warm war und die Sonne viel länger schien, die goldenen Ringe ein Symbol für Reichtum, Wohlstand und Ehre waren. Alles Ziele, die Linea nichts sagten – damals noch nicht.

    Voller Tatendrang und Mut, sich vor den anderen Kindern im Dorf zu beweisen, hatte sie Hákon und Magnus von ihrer Idee erzählt und die beiden waren ebenfalls voller Eifer dabei gewesen. Es war Linea leichtgefallen, aus der Schmiede des Dorfes die beiden Gegenstände zu entwenden, die sie für ihr Vorhaben brauchte. In derselben Nacht griff Hákon zu einem glühenden Eisennagel und rammte ihn Linea durch das rechte Ohrläppchen, woraufhin Magnus den kleinen goldenen Ring hindurchschob. Doch diese Tat hatte mehr Folgen gehabt als ihre übrigen Spielereien.

    Heute noch lief es Linea eiskalt den Rücken hinab, wenn sie an Valdarrs Zorn und seinen Wutausbruch dachte, nachdem er Linea bei seiner Rückkehr so gesehen hatte. Der Sklave hatte dem Mädchen schamlos ins Gesicht gelogen.

    Der Ring im Ohr war in den Südlanden nichts weiter als eine Bestrafung für solche, die weder Reichtum, Wohlstand noch Ehre besaßen oder verdient hatten – eine Erniedrigung zum Sklaven. Eine Kennzeichnung für alle Käufer auf dem Markt. Je mehr Ringe die Ohren zierten, desto mehr Freveltaten hatten sie begangen.

    Bei den Leibeigenen im Norden war es wie bei den Dieben üblich, die Ohren zu schlitzen und die Finger abzuhacken, deswegen waren Linea diese Ringe fremd gewesen.

    Hätte sie das damals gewusst, wäre sie bei allen Göttern nie auf die Idee gekommen, sich selbst so eine Kennzeichnung zu verpassen.

    Der Sklave mit der schwarzen Haut war noch vor dem Morgengrauen gerichtet und nach Nástrønd geschickt worden. Doch der Ring in Lineas Ohr erinnerte sie fortwährend daran, niemandes Wort für bare Münze zu nehmen. In gewisser Weise diente er ihr nun als Mahnmal.

    Ja, sie hatte damals dumm und töricht gehandelt, dem Wort eines Sklaven zu glauben, der ohnehin nichts mehr zu verlieren gehabt hatte, aber sie stand zu ihrer Tat. Und welches Kind konnte schon von sich behaupten, den Mut aufgebracht zu haben, sich mit einem glühenden Eisennagel ein Loch ins Ohr stechen zu lassen?

    Vertrauen ist etwas, das man nicht leichtfertig schenken sollte. Das hatte Linea gelernt und daran hielt sie noch heute fest.

    Unwillkürlich wanderte ihre freie Hand hinauf zu ebenjenem Ring, bevor sie das Gespräch wieder aufnahm und leise erwiderte: »Und wenn schon, ein Ring mehr schadet mir nun wirklich nicht. Was bin ich denn schon mehr als eine Sklavin?«

    »Nea«, sagte Hákon und seine Stimme klang nun sanft und mitfühlend. »So habe ich das nicht …«

    Doch er wurde unterbrochen, denn Linea sprach unbeirrt weiter, als hörte sie ihn nicht. »Aber was soll das Thing nur von einem Nachfolger des Jarls halten, dessen Ohren vor Ringen geradezu überquellen?«, fügte sie mit einem zuckersüßen Grinsen hinzu.

    Hákon blieb ihr eine freche Erwiderung schuldig, denn Magnus, der ihre Kabbelei bisher schweigend verfolgt hatte, rollte nur genervt mit den Augen und unterbrach sie. »Du denkst doch nicht wirklich, dass Ohren, in denen das Blut des Jarls fließt, etwas zu befürchten haben, Linea. Das würde sich selbst der sture Orm nicht trauen, den Jarl so offen anzugehen.« Eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn, während er Linea nun zum ersten Mal an diesem Morgen neugierig musterte. »Und wie siehst du überhaupt aus? Wenn dich jemand so …«

    Doch auch ihm fiel Linea ins Wort. »Ich weiß sehr wohl, wie ich aussehe, Stallbursche!«, erwiderte sie scharf. »Wenn ihr zwei Hohlköpfe pünktlich zu eurer Wache gekommen wärt, hätte ich jetzt auch kein Problem damit und könnte schon lange am Fluss sein.«

    Linea bedachte die beiden mit einem funkelnden Blick. »Also, was ist? Öffnet ihr mir nun endlich das Tor?«

    »Bei den Göttern!«, rief Hákon und hob abwehrend die Hände. »Beruhige dich,

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