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Die Wikinger von Vinland (Band 2): Gestohlene Vergangenheit
Die Wikinger von Vinland (Band 2): Gestohlene Vergangenheit
Die Wikinger von Vinland (Band 2): Gestohlene Vergangenheit
eBook483 Seiten

Die Wikinger von Vinland (Band 2): Gestohlene Vergangenheit

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Über dieses E-Book

Für meine Freiheit bin ich bereit, alles zu geben.
Verraten von demjenigen, der ihr Treue schwor, erwacht Linea auf einem Schiff, das sie ausgerechnet an den Ort ihrer größten Sehnsucht bringt: Vinland. Dort erwartet sie jedoch nicht die erhoffte Freiheit, sondern ein alter Feind, der grausame Rache durch sie üben will. Hinzu kommen beängstigende Visionen, die in ihr die schreckliche Gewissheit wachsen lassen, dass die Fäden des Schicksals einen Strick bilden, welcher ihr Herz erdrosseln könnte. Wird sie den Klauen des Verrates entkommen? Und welche Opfer muss sie bringen, um wirklich frei zu sein?
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum28. Mai 2021
ISBN9783038961987
Die Wikinger von Vinland (Band 2): Gestohlene Vergangenheit

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    Buchvorschau

    Die Wikinger von Vinland (Band 2) - Smilla Johansson

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Landkarte

    Prolog

    Teil 1 - Blutadler

    Kapitel 1 – Hákon

    Kapitel 2 – Hákon

    Kapitel 3 – Linea

    Kapitel 4 – Linea

    Kapitel 5 – Freydís

    Kapitel 6 – Hákon

    Kapitel 7 – Hákon

    Kapitel 8 – Linea

    Kapitel 9 – Linea

    Kapitel 10 – Hákon

    Kapitel 11 – Hákon

    Kapitel 12 – Hákon

    Teil 2 - Schicksalsfaden

    Kapitel 13 – Linea

    Kapitel 14 – Linea

    Kapitel 15 – Linea

    Kapitel 16 – Hákon

    Kapitel 17 – Linea

    Kapitel 18 – Linea

    Kapitel 19 – Linea

    Kapitel 20 – Freydís

    Kapitel 21 – Hákon

    Kapitel 22 – Linea

    Kapitel 23 – Hákon

    Kapitel 24 – Linea

    Kapitel 25 – Linea

    Kapitel 26 – Linea

    Kapitel 27 – Linea

    Kapitel 28 – Linea

    Kapitel 29 – Hákon

    Kapitel 30 – Hákon

    Kapitel 31 – Freydís

    Teil 3 - Todeskampf

    Kapitel 32 – Linea

    Kapitel 33 – Hákon

    Kapitel 34 – Linea

    Kapitel 35 – Linea

    Kapitel 36 – Hákon

    Kapitel 37 – Linea

    Kapitel 38 – Freydís

    Epilog - Linea

    Schlusswort

    Glossar

    Smilla Johansson

    Die Wikinger von Vinland

    Band 2: Gestohlene Vergangenheit

    Fantasy

    Die Wikinger von Vinland (Band 2): Gestohlene Vergangenheit

    Für meine Freiheit bin ich bereit, alles zu geben.

    Verraten von demjenigen, der ihr Treue schwor, erwacht Linea auf einem Schiff, das sie ausgerechnet an den Ort ihrer größten Sehnsucht bringt: Vinland. Dort erwartet sie jedoch nicht die erhoffte Freiheit, sondern ein alter Feind, der grausame Rache durch sie üben will. Hinzu kommen beängstigende Visionen, die in ihr die schreckliche Gewissheit wachsen lassen, dass die Fäden des Schicksals einen Strick bilden, welcher ihr Herz erdrosseln könnte. Wird sie den Klauen des Verrates entkommen? Und welche Opfer muss sie bringen, um wirklich frei zu sein?

    Die Autorin

    Smilla Johansson, Jahrgang 1998, lebt mit ihrer Familie in der kleinen Stadt Bocholt an der niederländischen Grenze. Benannt nach der bekannten Ermittlerin aus Peter Høegs Kriminalroman Fräulein Smillas Gespür für Schnee hatte sie kaum eine andere Wahl, als sich in der Welt der Bücher zuhause zu fühlen. Ein besonderes Faible hat sie für historische Romane, Fantasy aller Art und Krimis.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    Hinweis zu sensiblen Inhalten:

    Dieses Buch beinhaltet in Kapitel 11 und 12 Szenen mit detaillierten Beschreibungen von Brutalität und Gewalt. Unter anderem wird Kindern Gewalt angetan und das blutige Ritual des Blutadlers beschrieben.

    1. Auflage, Mai 2021

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2021

    Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

    Lektorat / Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

    Korrektorat 2: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-197-0

    ISBN (epub): 978-3-03896-198-7

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für alle,

    die etwas Vergangenes verloren glauben.

    Die Erinnerungen daran werden immer ein Teil

    von uns bleiben.

    Prolog

    Vinland, im Jahr 1002 n. Chr.

    Mit Tränen in den Augen blickte Freydís dem Langschiff nach, das sich durch die kräftigen Ruderschläge ihrer Männer schnell vom Ufer entfernte.

    Ihr Schiff. Das letzte Schiff.

    Der Rauch der verbrennenden Hütten kratzte schmerzhaft in ihrer Kehle. Ihr Herz schlug wehmütig und doch so kräftig in ihrer Brust.

    Sie hatte richtig gehandelt. Tief in ihrem Inneren wusste sie es. Dennoch bohrte sich der Schmerz des Verlustes, der Ungewissheit unerbittlich in ihren Körper, benebelte ihren Verstand und trübte ihre Sinne.

    Sie hörte die Männer nicht kommen. Erst als sich starke Hände mit eisernem Griff um ihre Schultern legten, kehrte Leben in ihren Körper zurück. Ein heftiges Zucken überkam sie bei der Berührung des Fremden, der sie brutal herumdrehte.

    Fünf Männer, wahre Berserker, standen ihr mit gezogenen Waffen gegenüber. Grimmige Blicke, blutgetränkte Rüstungen, schmutzverkrustete Bärte. Diese Männer hatten deutlich bessere Zeiten gesehen, sie waren am Ende ihrer Kräfte. Selbst ihre entschlossenen Gesichter konnten Freydís nicht trügen. Sie hatte genug Schlachten miterlebt, um zu erkennen, wenn es zu Ende ging. Und bei Oðin, dies war das Ende.

    Ihr Ende. Das Ende ihres Lagers. Das wirkliche Ende einer langen Freundschaft.

    Als ihr Bewacher ihr eine saftige Ohrfeige verpasste, merkte sie, dass er sie etwas gefragt hatte. Freydís brauchte ihn nur kurz zu mustern und wusste, was er von ihr wollte. Die buschigen Augenbrauen tief zusammengezogen, schielte er an ihr vorbei, auf das weite Meer hinaus. Ihr war klar, dass er das Schiff noch gesehen hatte, bevor es von der finsteren Nacht verschluckt worden war.

    »Was ist das für ein Schiff?«, wiederholte der Krieger knurrend und griff fester in ihre Schultern.

    Genugtuung wallte in Freydís auf, als sie ihn ansah und die Panik in seinen Augen wahrnahm.

    Sie würden es niemals erfahren, würden es nie aus ihrem Mund zu hören bekommen, würden sie nicht brechen können, da sie nun ihre Tochter in Sicherheit wusste und damit die Hoffnung auf Rache überdauern konnte. Überdauern würde.

    »Das geht dich einen Scheißdreck an, Verräter!«, zischte sie kalt und spuckte ihm ins Gesicht. Die Konsequenz bekam sie sogleich zu spüren.

    »Na warte, du Hure!«

    Mit voller Wucht rammte er ihr die Faust in den Bauch. Einmal. Zweimal.

    Sie keuchte auf, krümmte sich zusammen, um ihren von der Geburt geschwächten Körper zu schützen. Schmerz explodierte in ihrem Unterleib, und ihre Knie gaben nach. Mit zusammengebissenen Zähnen sank Freydís zu Boden. Kein Laut kam über ihre Lippen, als ihr Peiniger erneut nach ihr trat und sie unter einer weiteren Welle heißen Schmerzes ihre Rippen knacken fühlte.

    Brennende Tränen quollen aus ihren Augen. Sie bekam kaum noch Luft.

    Um den Männern weniger Angriffsfläche zu bieten, rollte sie sich mit einem leisen Ächzen auf die Seite, umklammerte ihre angezogenen Knie und schloss die Augen, erwartete den nächsten Tritt. Doch dieser blieb aus.

    Durch den Schleier des Schmerzes hörte sie einen der anderen Krieger vortreten. »Das reicht, Jori! Lass noch was für unseren Jarl über, du weißt, wie lange er darauf gewartet hat.«

    Freydís atmete flach und zittrig. Der Schmerz wich dem Hass, der sich bei der Erwähnung des Verräters den Platz in ihrem Herzen zurückerkämpfte. Zischend holte sie Luft, richtete sich mühsam auf und wischte sich Rotz und Blut vom Gesicht.

    »Auch Euer feiner Jarl wird am eigenen Leib erfahren, was es heißt, sich mit der Tochter des großen Eirík Rauðe anzulegen!« Sie legte all die angestaute Wut und Verachtung in ihre Stimme und bedachte jeden einzelnen der Männer mit einem zornfunkelnden Blick.

    »Halt’s Maul«, knurrte Jori wieder. »Führt sie ab!«

    Krachend fiel die Tür hinter ihnen ins Schloss. Jubelrufe brandeten auf, ließen die provisorisch errichteten Wände des Sitzes des Jarls erzittern. Rhythmisches Trommeln auf den Schilden begleitete die Gruppe Männer, die ihre Gefangene herbeiführte. Die Menge teilte sich vor ihnen, und Freydís wurde, begleitet von hämischen Schmährufen und Beleidigungen, bis vor den Thron des Jarls geschleift.

    Jori stieß ihr mit einem verächtlichen Schnauben in den Rücken und sie fiel machtlos auf die Knie. Als der Jarl sich erhob, legte sich schlagartig eine gespannte Stille über die Menge.

    »So sieht man sich also wieder, Freydís Eiríksdóttir«, spottete er und stieg die flachen Stufen seines Podestes hinab.

    Trotzig hob sie das Kinn und erwiderte seinen kalten Blick. Sie spuckte blutig aus und ihre Lippen zitterten unkontrolliert vor unterdrückter Wut.

    Finnbogi verzog angewidert den Mund. »Was ist nur aus dir geworden, Freydís? Nun kriechst du im Dreck zu meinen Füßen, dabei hättest du an der Seite meines Bruders hier oben sitzen können.«

    »Lieber krieche ich den Rest meines Lebens auf dem Boden, als an der Seite eines Verräters und Frauenschänders zu stehen«, spie sie aus und streckte stolz den Rücken durch, bis ein scharfer Schmerz sie in ihren Bewegungen stoppte. Die verdammten Schweine hatten ihr wirklich mehrere Rippen gebrochen.

    »Soll mir auch recht sein«, sagte Finnbogi gleichgültig, ohne auf ihre Beleidigungen einzugehen.

    Seine Schritte waren provozierend langsam, als er seine Gefangene umrundete und hinter ihr verharrte.

    »Meine Männer berichteten mir, dass du an den Klippen standest und einem Schiff hinterhergeschaut hast. Stimmt das?«

    Freydís brauchte all ihre Willenskraft, um ihm nicht die Wahrheit ungeschönt entgegenzuschleudern, aber sie schaffte es. Schwieg, drehte sich nicht um.

    Ruckartig packte Finnbogi ihre langen blonden Haare und riss ihr den Kopf nach hinten. Ehe Freydís auch nur blinzeln konnte, zog er die Klinge des Dolches in einer raschen Bewegung quer über ihr linkes Auge. Nur ihrer Intuition verdankte sie es, dass sie den Lufthauch seiner Ausholbewegung gespürt hatte und zurückgezuckt war. Der Schnitt hätte sie sonst mühelos geblendet.

    Helle Sternchen flackerten in ihrem Sichtfeld auf, und der Schmerz kroch prickelnd über ihr Gesicht, fraß sich in ihren Geist. Blut tropfte von ihrer Augenbraue, suchte sich jedoch einen anderen Weg, als Finnbogi erneut ihren Kopf zu sich zog und ihren Hals überstreckte.

    Sie spürte das kühle Metall auf ihrer erhitzten Haut. Ihr beschleunigter Puls drückte sich begierig der Schärfe der Klinge entgegen, ihr Herz klopfte wie verrückt. Als wollte es sichergehen, dass genug Blut ihren Körper flutete, das sogleich hervorschießen konnte, wenn Finnbogi, der Verräter, ihr den Dolch in den Hals rammte.

    Doch nichts dergleichen geschah. Stattdessen beugte er sich vor, seine wulstigen Lippen ruhten direkt an ihrem Ohr. »Sag mir, wen hast du auf dem Schiff fortgeschickt?«, raunte er und strich langsam mit der Schneide über ihre Kehle. »War es dein Geliebter? Wolltest du sichergehen, dass er nicht getötet wird?«

    Er ballte die Faust in ihren Haaren enger zusammen und das Ziehen ihrer Kopfhaut wurde immer unerträglicher.

    »Sag es mir und ich werde dir für diesen Ungehorsam nur eins deiner zarten Ohren schlitzen müssen«, beschwor er sie weiter. Ein süffisanter Unterton brachte seine kratzige Stimme zum Klingen.

    »Gleiches Recht für beide Ohren!«, stieß Freydís keuchend hervor.

    Finnbogi knurrte, ein wütendes Zittern durchlief seinen Körper.

    Sie hatte es geschafft. Freydís hatte es erneut geschafft, ihn durch ihren eisernen Willen, ihren Mut und ihre Selbstlosigkeit seiner einzigen Waffe zu berauben, die ihr wirklich etwas anhaben konnte – der Gewalt und damit der Macht, die er über sie zu haben glaubte.

    »Du hast es so gewollt«, grollte er und der Druck der Klinge verschwand von ihrem Hals, nur um sogleich mit einem schnellen Ruck durch ihre rechte Ohrmuschel zu fahren.

    Der Schmerz war unvorstellbar. Ihr wurde schwarz vor Augen und sie schwankte leicht. Hätte er sie nicht so fest an den Haaren gepackt, wäre sie nach vorne umgefallen. Dennoch schaffte sie es, den gellenden Schrei, der auf ihrer Zunge brannte, herunterzuschlucken. Lediglich das Zischen der entweichenden Luft war zu hören.

    Heißes, klebriges Blut rann ihren Hals hinab, bahnte sich einen Weg über ihre Brust und versickerte in der zerfetzten Tunika. Ein weiteres Zittern durchlief ihren Körper, als Finnbogi ihr auch das linke Ohr von oben bis zur Mitte der Muschel schlitzte.

    Dieses Mal hatte sie sich nicht so gut unter Kontrolle, und ihr entwich ein halb ersticktes Stöhnen.

    »Willst du es mir nun verraten?«, säuselte Finnbogi hinter ihr und fuhr mit seinem Finger durch den Blutstrom, der ihren Hals hinabrann.

    »Niemals!«, presste Freydís hervor und ruckte probehalber mit ihrem Kopf, doch dem eisernen Griff konnte sie sich nicht entwinden.

    »Wie du willst«, sagte der Jarl. Seine Stimme glich frischem Eis. »Ich habe Zeit. Ich kann warten!« Er ließ sie los und stolzierte an ihr vorbei zurück zu seinem Thron. »Sperrt sie in die Zelle im Anbau! Und sorgt dafür, dass sie sich nicht befreit. Sie ist gerissener, als sie aussieht.«

    Sogleich traten zwei Männer vor, verdrehten ihr die Arme auf dem Rücken und rissen sie auf die Füße.

    »Mein Jarl, was machen wir mit ihren Männern, die überlebt haben?«

    Bei dieser Frage schaute Freydís erschrocken auf und mit einem Schlag gefror ihr das Blut in den Adern, als sie wahrnahm, dass Finnbogi ihre Reaktion bemerkt hatte.

    Sie sah hinüber zu dem guten Dutzend ihrer Krieger, die gefesselt an der Längsseite des Podestes knieten. Sie waren ihr zwar schon beim Betreten der Halle aufgefallen, aber Freydís hatte sich nicht getraut, sie anzusehen.

    Finnbogi folgte ihrem Blick, und ein grausames Lächeln legte sich auf seine Züge. »Es gibt keine Überlebenden von ihrer Seite.«

    Sofort traten zwölf Männer aus seinen Reihen vor, die blutgetränkten Äxte in den Händen.

    »Nein!«, keuchte Freydís und erstarrte.

    Doch sie änderte nichts. Auf einen Wink des Jarls hin vollbrachten seine Männer das blutige Werk. Freydís wollte die Augen schließen, den Blick von so viel Grausamkeit abwenden, aber sie konnte es nicht. Das schuldete sie ihren Männern.

    Mit widerlich schmatzenden Geräuschen gruben sich die Schneiden in das weiche Fleisch. Durchschnitten mühelos Haut, Sehnen und Knochen. Blut spritzte Fontänen gleich hervor, benetzte den lehmigen Boden, schwängerte die Luft mit dem unverwechselbaren Geruch nach Metall. Doch damit nicht genug.

    Die Bestien waren entfesselt. Dem Blutrausch verfallen schwangen die Berserker die Waffen, schlugen und hackten immer wieder auf die bereits toten Körper ein, tränkten ihre eigenen mit dem Blut der Hilflosen, und über allem dröhnte das wahnsinnige Lachen Finnbogis, als sie Freydís blutend und mit tränenverschmiertem Gesicht nach draußen zerrten.

    Teil 1 - Blutadler

    Kapitel 1 – Hákon

    Skogbyen, im Jahr 1015 n. Chr.

    Das Erste, was er spürte, war ein brennender Kopfschmerz. Vorsichtig versuchte er die Lider zu heben. Reflexartig wollte er mit der Hand nach seinem Auge tasten, bekam sie allerdings nicht frei und fiel vom eigenen Körpergewicht überrascht nach vorne. Der Aufschlag auf dem dreckigen Boden war hart und damit schoss der Schmerz von seinem Hinterkopf in seine Nase.

    Blut sammelte sich in seinem Mund. Gefolgt von einem wüsten Fluchen spuckte Hákon aus. Umständlich wollte er sich wieder aufsetzen, was jedoch misslang. Seine Hände kribbelten unangenehm, obwohl er sie nicht bewegen konnte.

    Verfluchte Scheiße, was soll das?!

    Jemand hatte sie ihm stramm auf dem Rücken zusammengebunden, sodass er sich nur – und das äußerst schwerfällig – auf die Seite rollen konnte, die Augen noch immer geschlossen.

    Hákon atmete tief ein und bereute es sofort. Der widerliche Geruch von Blut, Schweiß und menschlichen Ausscheidungen stieg ihm in die pochende Nase und ließ ihn würgen. Der Gedanke, dass selbiger Gestank wahrscheinlich von ihm ausging, machte es nicht besser.

    Langsam, den Schmerz niederkämpfend, öffnete er die Augen; oder besser: das Auge. Das rechte war so weit zugeschwollen, dass es unangenehm spannte und nur einen schmalen Schlitz zuließ. Viel sah Hákon ohnehin nicht.

    Der Raum, in dem er sich befand, hatte keine Fenster oder sonstige Öffnungen, bis auf die fest verschlossene Holztür auf der gegenüberliegenden Seite, an deren Rahmen eine einsame Fackel hing.

    Als sich sein Geist klärte, erkannte Hákon den Raum sofort. Es war der Kerker an der Rückseite des Langhauses von Skogbyen.

    Verflucht! Heißt das etwa …?

    Ein gequältes Stöhnen unterbrach seinen Gedankengang. Da war noch jemand mit ihm eingesperrt, und vermutlich war dieser Jemand auf Hákons anderer Seite, denn sehen konnte er aus dieser Position heraus nichts.

    Ächzend holte er Schwung und drehte sich um. Zwei zusammengekrümmte Gestalten lagen auf dem Boden, die eine halb verdeckt durch die andere.

    Hákon kniff das Auge zusammen, um etwas mehr auszumachen, und ja, das war Magnus. Diese dunklen Haare und die schmalen Schultern des Stallburschen würde er unter allen Männern Skogbyens wiedererkennen.

    Im selben Moment regte sich sein Freund. Offenbar war auch er gerade erst zu sich gekommen.

    »Magnus«, krächzte Hákon. Seine Stimme klang durch das Blut, welches sich in seinem Mund gesammelt hatte, seltsam verwaschen. Er spuckte erneut aus. »He, Magnus«, probierte er es noch einmal.

    »Hákon, bist du das? Wo bist du?« Magnus’ Stimme zitterte und auch seine Aussprache war undeutlich. Ob durch eine Verletzung oder nur durch die unpraktische Lage auf dem Boden, konnte Hákon nicht feststellen.

    »Hinter dir, du Idiot«, antwortete er ungeduldig und versuchte nochmals, sich aufzusetzen, gab jedoch auf, als er sah, wie Magnus’ Fesseln geschnürt waren.

    Von den auf dem Rücken gefesselten Händen führte ein Strick zu den Füßen, die ebenfalls verknotet waren. Hinsetzen war somit unmöglich oder zumindest sehr unbequem.

    Da wollte wohl einer sichergehen, dass wir nicht abhauen.

    »Wer liegt da noch bei dir?« Hákon verrenkte sich beinah den Hals, um an Magnus vorbeischauen zu können.

    »Ich glaube, es ist Avid. Sieht übel aus«, sagte Magnus und fluchte leise. »Scheiße, Hákon, was ist passiert?«

    Hákon biss sich hart auf die Lippe.

    Ja, was war passiert? Er wusste es nicht. Dass er mit seinem Freund Magnus und Avid, einem der treuesten Anhänger Lineas, im dorfeigenen Kerker aufwachte, konnte unmöglich etwas Gutes bedeuten. Das Letzte, woran er sich erinnerte, war, wie er zum Haupttor geeilt war, um zu berichten, dass eine weitere Gruppe von Bjørn Ragnarssons Kriegern durch das Nebentor hinter dem Langhaus durchgebrochen war. Dann war er sofort mit Linea losgerannt, um …

    Verdammt!

    Augenblicklich keimte Panik in ihm, und ein eiskalter Stich fuhr durch seine Brust.

    »Wo ist Linea?«, fragte er laut und konnte nicht unterdrücken, dass sich die Angst einen Weg in seine Stimme bahnte.

    »Ich weiß nicht«, antwortete Magnus zögernd. »Vielleicht haben die Schweine sie woanders eingeschlossen oder …«

    Er verstummte, doch Hákon wusste genau, was seinem Freund auf der Zunge lag.

    Oder sie ist tot.

    Er schüttelte wild den Kopf und verteilte damit noch mehr Blut auf dem Boden.

    Nein. Linea war nicht tot, konnte … durfte nicht tot sein! Das wäre …

    »Wir müssen hier raus«, riss Magnus ihn aus der Grübelei. »Siehst du irgendwas, womit wir die Fesseln loswerden?«

    Hákon ließ den Blick schweifen. Abgesehen von den kahlen Steinwänden, der schweren Holztür und der Fackel an der Wand war der Raum gähnend leer. Allerdings hing diese in unerreichbarer Höhe, also verwarf er den Gedanken daran wieder. Vielleicht sollten sie versuchen, ihre Fesseln gegenseitig aufzuknoten. Ohne etwas zu sehen, würde das allerdings ewig dauern, und wenn sie eins nicht hatten, dann war es Zeit.

    Hákon setzte gerade an, Magnus’ Frage zu verneinen, als dieser sich mit einem lauten Scharren umdrehte. Er sah genauso elend aus, wie Hákon sich fühlte. Getrocknetes Blut verklebte seine linke Gesichtshälfte, dessen Ursprung die klaffende Wunde an seiner Schläfe war. Die Lippe war aufgeplatzt und … fehlte ihm da etwa die Spitze eines Eckzahns?

    »Ist das da eine Fackel an der Wand?« Magnus zuckte mit dem blau angelaufenen Kinn in Richtung Tür. Im Gegensatz zu Hákon schien er sich nicht an seinen Verletzungen zu stören.

    »Ja, aber …«

    »Brennt sie noch?«, fragte Magnus weiter und ein Hoffnungsschimmer schwang in seiner Stimme mit.

    »So gerade noch, aber wir …«, setzte Hákon an, doch Magnus fuhr ihm grob über den Mund.

    »Willst du nun schnell hier rauskommen und Linea suchen oder nicht?«

    Hákon presste verkniffen die Lippen aufeinander, widersprach allerdings nicht. Natürlich wollte er hier raus, doch so hatte er das nicht geplant. Trotzdem behielt Magnus recht, eine andere Möglichkeit gab es nicht, also nickte er nur entschlossen.

    Robbend und kriechend schoben sie sich durch den Unrat am Boden, bis sie unter der Fackel innehielten.

    »Und wie genau hast du dir das nun vorgestellt, Magnus?«, fragte Hákon bissig und immer noch beleidigt, dass sein Freund an der Idee festhielt, die er selbst sofort verworfen hatte.

    »Ich habe nie behauptet, dass die Idee lückenlos gut ist«, murmelte Magnus und sah zu der Fackel hoch.

    Von ihrer Position hier unten aus schien sie unerreichbar. Für einen stehenden Mann musste sie ungefähr auf Brusthöhe hängen.

    Frustriert stöhnte Hákon auf und fluchte laut. Was auch immer ihnen einfallen sollte, es musste schnell passieren. Allzu lange würde die Fackel nicht mehr brennen und dann wäre ihre einzige Chance auf Flucht dahin.

    Zu ihrem Unglück schienen nicht einmal die Götter ihnen wohlgesonnen zu sein. Denn just in diesem Moment vernahm Hákon dumpfe Schritte vor dem Eingang des Gefängnisses.

    Ein Schlüssel klackerte geräuschvoll, als er grob ins Schloss gerammt wurde, und im nächsten Augenblick flog die Tür auf.

    Instinktiv wandte Hákon den Kopf, um nicht von dem bereits schwindenden Tageslicht geblendet zu werden, welches nun den Raum flutete.

    Als sein Auge sich an das Licht gewöhnt hatte, sah er zurück zum Eingang.

    Zwei bullige Krieger drängten sich zu ihnen in die Kammer, ein weiterer blieb im Türrahmen stehen, die Arme drohend in die Seiten gestemmt.

    »Los, schnappt euch den Kleinsten«, wies er seine Leute an, die sofort auf Magnus zukamen und ihn grob auf die Füße zerrten.

    Magnus keuchte schmerzerfüllt auf, als der Mann mit den zotteligen Haaren an dem Seil zog, welches seine Hände mit den Füßen verband.

    »Was wollt ihr von uns, ihr …« Bevor Magnus ihnen eine Beleidigung an den Kopf schmeißen konnte, holte der andere mit der massigen Faust aus und schlug ihm mit voller Wucht in den Magen.

    Magnus entwich ein Wimmern und er krümmte sich schützend zusammen, nur um sogleich wieder hochgerissen zu werden. Diesmal packte auch der Zottelkopf mit an und gemeinsam schleiften sie ihn aus der Kammer.

    Hákon unterdessen wand sich und zappelte herum wie ein Fisch auf dem Trockenen. Hilflos sah er mit an, wie sie seinen Freund abführten und die Tür mit einem ohrenbetäubenden Krachen hinter ihnen zuschlug.

    Doch dieser Akt der Gewalt war sein Glück. Hákon hörte ein leises Knirschen. Ruckartig schoss sein Kopf in die Höhe, den Blick auf die gusseiserne Fackelhalterung gerichtet.

    Umständlich rollte er sich herum und schaffte es, sich an der Wand abstützend hinzuknien. Dann atmete er einmal tief ein und schmiss sich im nächsten Moment mit dem ganzen Gewicht gegen die steinerne Wand.

    Augenblicklich schoss ihm ein pochender Schmerz durch die Schulter und er betete zu den Göttern, dass sie nicht ausgekugelt oder Schlimmeres war, aber es hatte sich gelohnt.

    Die Fackelhalterung war samt Fackel aus den Fugen zwischen den groben Steinen herausgefallen und lag nun direkt vor ihm.

    Ein überaus befriedigendes Triumphgefühl breitete sich in ihm aus und er machte sich sofort daran, seine Fesseln durchzubrennen.

    Ganz so schnell, wie er gedacht hatte, ging es nicht. Da ihm genau wie bei Magnus die Hände auf dem Rücken gefesselt waren und er im Hinterkopf keine Augen hatte, verfehlte er den Strick einige Male und zog sich dabei unter lautem Fluchen einige Brandblasen auf der schmutzverkrusteten Haut zu. Das hielt ihn allerdings nicht auf.

    Gerade als er seine Hände endlich befreit hatte und nach der Fackel griff, kam Avid, den er bis dahin vollkommen vergessen hatte, unter lautstarkem Husten zu sich.

    »Avid!«, rief Hákon erschrocken, fing sich aber schnell wieder. »Mann, wir hatten dich schon fast aufgegeben.«

    Er lachte und löste hastig die Fesseln an seinen Füßen, bevor er aufstand, den Rücken durchstreckte, bis sämtliche Wirbel knackten, und sich dann neben Avid wieder auf den Boden fallen ließ.

    »Wieso ›wir‹?«, krächzte Avid und wurde von einem weiteren Hustenanfall unterbrochen.

    Hákon machte sich bereits mit der Fackel an den Fesseln zu schaffen. »Magnus war auch hier, doch die haben ihn gerade abgeholt.«

    Der Strick zwischen Händen und Füßen riss und Avid streckte erleichtert die Beine aus.

    »Wir müssen uns echt beeilen, sonst tun sie ihm wer weiß was an und Linea auch«, fuhr Hákon fort. Bei dem erneuten Gedanken an Linea und dem, was sie durchmachen musste, wurde ihm übel.

    Avid schüttelte wütend den Kopf. »Nein, Junge. Linea können sie nichts mehr antun. AAAARGH! Verdammte Axt, pass doch auf!«, brüllte er, als Hákon geschockt von den Worten mit der Fackel abrutschte und Avid den Handrücken versengte.

    »Was hast du gesagt?«, fragte Hákon scharf und ignorierte Avids Beschwerde.

    Er hatte wirklich die Geduld für sämtliche verbale Schlagabtäusche verloren. Verstand er denn nicht, wie wichtig Linea war?

    In Hákons Gedanken schien in diesem Moment nichts anderes mehr Platz zu finden außer der Sorge um seine Freundin, und wenn er auf diese Weise Avid schneller zum Reden brachte, nahm er auch in Kauf, seinen Kameraden zu verletzen, wenngleich er es eigentlich nicht wollte.

    »Dass sie deiner Liebsten nichts mehr antun können, du Holzkopf!«, fauchte Avid und zerriss die letzten Fasern des Stricks mit einem kräftigen Ruck.

    Doch er hatte keine Chance, sich aufzurichten, denn Hákon, dem bei Avids provozierender Bemerkung das Blut in den Kopf schoss, war mit einem Satz über ihm.

    Auf ihm kniend, presste er Avids muskulösen Oberkörper auf den Boden und drückte ihm den Arm fest auf die Kehle, hielt die Fackel bedrohlich nahe an sein Gesicht.

    »Willst du damit sagen, dass sie tot ist?«, zischte Hákon und kam mit der Fackel noch näher.

    Avid blieb jedoch vollkommen unbeeindruckt und grinste Hákon nur frech an, seine dunkelblauen Augen spiegelten das Flackern des Feuers.

    »Tot wäre vielleicht besser als da, wo sie jetzt ist«, brachte er röchelnd hervor, da Hákon ihm noch immer die Luft abdrückte.

    Er zog den Arm zurück und schlug dem Krieger mit der geballten Faust kräftig auf die Brust.

    »Verdammt, Avid! Zwing mich nicht, dir wehzutun. Was ist passiert?«, blaffte Hákon mit rasendem Herz, die Fackel zitterte in seiner Hand.

    »Dieser Bastard von Thane hat sie!«, rief Avid aufgebracht.

    Und mit einem Mal kehrte die Erinnerung zu Hákon zurück. Kraftlos sackte er in sich zusammen und ließ von Avid ab, während die grausamen Bilder der Schlacht einer Sturmflut gleich in sein Bewusstsein drangen.

    Von Hektik getrieben rannten die Verteidiger Skogbyens umher, er selbst mitten unter ihnen, Linea direkt vor ihm. Erneut füllten die Schreie seinen Kopf, legte sich der schwere Geschmack von Blut auf seine Zunge, setzte sich der beißende Gestank verbrennenden Fleisches in seiner Nase fest.

    Mit rasender Geschwindigkeit prasselten die Bilder auf ihn ein, verdrängten das Vorangegangene, nur um ebenso schnell durch ein Nachfolgendes ersetzt zu werden.

    Hákon versuchte mit aller Willenskraft, sich zu konzentrieren. Suchte fieberhaft nach der entscheidenden Szene, von der er wusste, dass sie da war. Der Tod so vieler Männer zog ihn in einen Rausch. Ein Wirbel aus Farben, Lauten und Emotionen, der ihm jegliche Kontrolle nahm und ihn in seinen eigenen Gedanken zum hilflosen Zuschauer degradierte.

    Dann plötzlich sah er jemanden, den er kannte.

    Vor seinem geistigen Auge rannte Valdarr, Lineas Ziehvater, vorbei, warf sich schützend vor eine zierliche Gestalt mit kupferblonden Haaren, die schutzlos auf dem blutgetränkten Boden kniete und dem Tod furchtlos ins Antlitz blickte.

    Linea!

    Hákon keuchte entsetzt auf. Die Geschwindigkeit der Erinnerungen beschleunigte sich erneut. Er sah, wie Valdarr, der seine Ziehtochter aus Leibeskräften verteidigte, von einem feindlichen Krieger niedergestochen wurde. Als jener nun vor Linea stand und Hákon die Fassungslosigkeit in ihrem Blick bemerkte, erkannte auch er den Mann.

    Kjell.

    Kjell Alríksson. Der blonde Hüne mit den auffallenden Tätowierungen auf den muskulösen Armen.

    Kjell Alríksson, der sich als Thane in Skogbyen eingeschlichen und Linea schlussendlich doch hintergangen – und sie entführt – hatte.

    Kapitel 2 – Hákon

    Schlagartig verschwanden sämtliche Bilder aus Hákons Kopf. Was blieb, waren Zorn und Hass. Mit einer Intensität, wie er sie nicht einmal seinem verhassten Vater Rutmar gegenüber empfunden hatte, überrollten sie ihn, brachten ihn zur Raserei.

    »Ich wusste es«, rief er aufgebracht und ließ seiner Wut in einer wahren Schimpftirade freien Lauf. »Ich wusste es die ganze Zeit und habe es ihr immer wieder gesagt, aber sie wollte verdammt noch mal nicht auf mich hören!«

    Blindwütig begann Hákon die Tür zu ihrem Gefängnis mit Tritten zu malträtieren. Es störte ihn nicht im Geringsten, dass seine Füße bald schmerzten und kurz darauf taub wurden – im Gegenteil. Er musste etwas tun, seinem Ärger Luft machen, das schlechte Gewissen und die Schuldgefühle verdrängen.

    Hätte ich nur nicht so schnell aufgegeben, wäre Linea jetzt noch hier. Ich hätte sie überzeugen müssen, diesem Hurensohn nicht zu vertrauen. Verdammte Scheiße!

    In dem Ausbruch seiner Gefühle gefangen, merkte Hákon erst, dass sein nächster Tritt ins Leere ging, als Avid ihm von hinten die Hände um den Bauch schlang und ihn kraftvoll zurückriss.

    »Hákon, hör auf«, versuchte Avid ihn zu beruhigen und verstärkte den klammernden Griff um seine Mitte. »Du kannst eh nichts mehr daran ändern, dass er sie hat.«

    Seine Worte waren klar und bestimmend und brachten Hákon Stück für Stück wieder zur Besinnung. Schwer atmend erschlaffte seine Gegenwehr in Avids Klammergriff, und als dieser es bemerkte, ließ er Hákon los.

    Langsam klang die Wut in ihm ab und er beruhigte sich. Er wusste, dass sein Freund recht hatte und dass sie sich besser mit klaren Gedanken einen Plan überlegen sollten, aber … es fiel ihm einfach so verdammt schwer, ruhig zu bleiben. Es war, als tobte in ihm ein regelrechter Orkan, der alles mit sich riss und ihn vollkommen verwirrt und unbeherrscht zurückließ.

    »Also, wie kommen wir hier raus?«, fragte er matt.

    Avid zuckte mit den Schultern. »Wir nehmen die Tür.«

    Hákons Miene versteinerte. Für ein paar Momente stand er einfach nur sprachlos da und starrte den Mann an, der sich nachdenklich mit den Fingern durch den kurzen Vollbart fuhr. Dann, als der Inhalt seiner Worte zu ihm durchdrang, drehte sich Hákon um, und sein Blick blieb an der Tür hängen.

    Durch seine wüsten Tritte hatten sich an einem der Bretter die Nägel gelöst, es hing nun schief an der haltenden Querlatte.

    »Oh«, machte Hákon verblüfft und sah zu Avid zurück, er grinste.

    In seinem Kopf reifte langsam ein Plan heran und der Ausbruch aus diesem Loch war erst der Anfang.

    »Na dann mal los«, sagte Hákon, doch Avid streckte die Hand aus und hielt ihn zurück.

    »Dein Enthusiasmus in allen Ehren, Hákon. Aber wir sollten uns lieber vorher überlegen, was wir tun, wenn wir aus diesem Drecksloch raus sind«, gab Avid zu bedenken.

    »Was gibt es denn da groß zu überlegen?«, fragte Hákon ungeduldig. »Zu dritt haben wir keine Chance, die Idioten alle plattzumachen, wir brauchen Unterstützung.«

    »Und wer soll uns helfen?«, unterbrach ihn Avid scharf, seine Stimme glich einem tiefen Knurren.

    »Sven natürlich«, entgegnete Hákon mit unzweifelhafter Überzeugung in der Stimme. Bei dem spontanen Gedanken an seinen verhassten Onkel, der sich im heimischen Irastatt wahrscheinlich gerade mit ein paar jungen Mädchen vergnügte, keimte die Ungeduld erneut in ihm. Eigentlich hatte Hákon nun keine große Lust, Avid von den ewigen Machtstreitereien zwischen seinem Vater Rutmar und dessen Bruder um die Herrschaft über ihre Dörfer zu erzählen. Doch wenn er Avid auf seiner Seite haben wollte, musste er ihm wenigstens ein paar Informationen zuspielen.

    »Er war schon immer auf den Platz als Anführer Skogbyens scharf. Jetzt hat er die besten Chancen, ihn zu bekommen, und auch das Recht dazu.«

    Avid runzelte verwirrt die Stirn, aber dafür hatte Hákon jetzt keine Geduld. »Erst mal müssen wir hier raus!«, sprach er seine Gedanken laut aus und packte das lose Brett in der Tür. »Wir sammeln Magnus ein, besorgen uns Waffen und Pferde und auf dem Weg nach Irastatt erkläre ich es dir in Ruhe, aber jetzt hilf mir gefälligst mit dieser Tür.«

    Mit einem Ruck entfernte er das lose Brett und griff gleich das nächste.

    »Also gut«, willigte Avid seufzend ein und legte die Hände um die Holzlatte auf der anderen Seite.

    Es waren nur wenige Handgriffe nötig und die Tür war in ihre Einzelteile zerlegt. Hákon lugte als Erster um die Ecke, doch erkannte er nichts und niemanden, was zum einen an seiner noch immer einschränkenden Verletzung, zum anderen an der Dunkelheit liegen mochte, die sich mittlerweile über das Dorf gelegt hatte.

    Für beide Flüchtigen war das allerdings umso besser, weil sie in den Schatten zwischen den Hütten Schutz fanden und sich so ungesehen bewegten.

    »Wir gehen erst zu unserem geheimen Waffenlager und schauen dann, wo wir Magnus finden. Gemeinsam können wir es bis zu den Ställen schaffen«, flüsterte Hákon Avid zu.

    »Du willst das wirklich riskieren?«, fragte Avid zögerlich.

    Hákon biss sich auf die Unterlippe und wich seinem Blick aus.

    Mist!

    Avid sprach genau das an, worüber Hákon nicht nachdenken wollte, wozu ihm keine Lösung einfiel. Es widerstrebte ihm, seinen besten Freund, der schon immer wie ein Bruder für ihn gewesen war, dem er sein Leben verdankte, zurückzulassen. Und doch sagte ihm sein Verstand, dass ihm kaum eine andere Möglichkeit blieb, um nicht zu riskieren, selbst wieder geschnappt und eingesperrt zu werden.

    Überhaupt passte es ihm gar nicht, dass Avid dieses Thema anschnitt, denn im gleichen Zug meldete sich sein schlechtes Gewissen zu Wort, das darauf drängte, auf gar keinen Fall ohne Magnus zu verschwinden.

    Du hast mich schon im Stich gelassen, dann rette jetzt wenigstens deinen besten Freund, erklang es auf einmal in seinem Kopf, und ein schmerzhaftes Ziehen fuhr ihm durch die Brust, weil es Lineas Stimme war, die ihm diese enttäuschten Worte zuflüsterte.

    Er schüttelte sich und drängte alle irreführenden Emotionen und Gedanken zurück. Er musste einen kühlen Kopf bewahren und sich für den Weg entscheiden, der ihnen am ehesten zum Erfolg verhelfen würde. Selbst wenn es bedeutete, dass er seinen Freund nun im Stich ließ.

    Nein! Magnus würde es verstehen, da war er sich sicher. Genauso sicher wusste er, dass Magnus ihn als Idioten beschimpfen würde, wenn Hákon seinen möglicherweise einzigen Fluchtversuch dafür verschwendete, ihn zu befreien.

    Die Zurückgefallenen werden zurückgelassen.

    Das war das Erste, was sie unter Orm, dem Hauptmann der Wache Skogbyens, gelernt hatten, und genau darauf würde er sich im schlimmsten Falle berufen. Vielleicht würde Magnus es in der Zwischenzeit von allein schaffen zu fliehen. Er musste darauf vertrauen.

    Mit diesem Gedanken traf Hákon seine Entscheidung. So schwer es ihm auch fiel, er musste seinen gewonnenen Vorteil nutzen. Was half es ihnen, wenn er ebenfalls wieder eingefangen wurde?

    »Magnus ist clever«, sagte er ausweichend. »Er wird es alleine schaffen.«

    Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Hákon los, langsam und immer die schützenden Wände im Rücken.

    Avid folgte ihm und warf alle paar Schritte verunsicherte Blicke über die Schulter, aber niemand bemerkte sie. Und genau das

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