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Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit
Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit
Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit
eBook497 Seiten

Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit

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Über dieses E-Book

Ich bin das Lichtkind der Götter Asgards und ich bin gekommen, um euch in der dunkelsten Stunde die Hoffnung zu schenken.

Linea die Kaltherzige ist nicht länger dieselbe Frau, die Norwe-gen verließ. Im Laufe ihrer abenteuerlichen Reise hat sie erkannt, dass es nicht bloß nach Freiheit zu streben gilt. Da gibt es noch so vieles, was ihr Herz ersehnt: Freundschaft, Familie und … Liebe. Doch womöglich kommt diese Erkenntnis zu spät, denn die finale Schlacht um Vinland steht bevor. Und sollte Linea dabei für mehr als ihre eigene Freiheit kämpfen, könnte das Schicksal aller Neun Welten besiegelt sein …
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum1. Apr. 2022
ISBN9783038962380
Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit

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    Buchvorschau

    Die Wikinger von Vinland (Band 3) - Smilla Johansson

    Inhaltsverzeichnis

    Titel

    Informationen zum Buch

    Impressum

    Widmung

    Landkarte

    Prolog

    Teil 1 - Trauer und Hoffnung

    Kapitel 1 - Linea

    Kapitel 2 - Linea

    Kapitel 3 - Linea

    Kapitel 4 - Freydís

    Kapitel 5 - Freydís

    Kapitel 6 - Kjell

    Kapitel 7 - Kjell

    Kapitel 8 - Kjell

    Kapitel 9 - Linea

    Kapitel 10 - Linea

    Kapitel 11 - Kjell

    Kapitel 12 - Linea

    Teil 2 - Geist der Ahnen

    Kapitel 13 - Linea

    Kapitel 14 - Kjell

    Kapitel 15 - Kjell

    Kapitel 16 - Linea

    Kapitel 17 - Linea

    Kapitel 18 - Linea

    Kapitel 19 - Linea

    Kapitel 20 - Kjell

    Kapitel 21 - Kjell

    Kapitel 22 - Linea

    Kapitel 23 - Linea

    Kapitel 24 - Freydís

    Kapitel 25 - Kjell

    Kapitel 26 - Kjell

    Kapitel 27 - Linea

    Kapitel 28 - Freydís

    Teil 3 - Liebendes Herz

    Kapitel 29 - Linea

    Kapitel 30 - Linea

    Kapitel 31 - Linea

    Kapitel 32 - Freydís

    Kapitel 33 - Kjell

    Kapitel 34 - Kjell

    Kapitel 35 - Linea

    Kapitel 36 - Linea

    Kapitel 37 - Linea

    Kapitel 38 - Linea

    Kapitel 39 - Linea

    Kapitel 40 - Linea

    Epilog

    Playlist

    Schlusswort

    Dank

    Glossar

    Smilla Johansson

    Die Wikinger von Vinland

    Band 3: Umkämpfte Freiheit

    Fantasy

    Die Wikinger von Vinland (Band 3): Umkämpfte Freiheit

    Ich bin das Lichtkind der Götter Asgards und ich bin gekommen, um euch in der dunkelsten Stunde die Hoffnung zu schenken.

    Linea die Kaltherzige ist nicht länger dieselbe Frau, die Norwegen verließ. Im Laufe ihrer abenteuerlichen Reise hat sie erkannt, dass es nicht bloß nach Freiheit zu streben gilt. Da gibt es noch so vieles, was ihr Herz ersehnt: Freundschaft, Familie und … Liebe. Doch womöglich kommt diese Erkenntnis zu spät, denn die finale Schlacht um Vinland steht bevor. Und sollte Linea dabei für mehr als ihre eigene Freiheit kämpfen, könnte das Schicksal aller Neun Welten besiegelt sein …

    Die Autorin

    Smilla Johansson, Jahrgang 1998, lebt mit ihrer Familie in der kleinen Stadt Bocholt an der niederländischen Grenze. Benannt nach der bekannten Ermittlerin aus Peter Høegs Kriminalroman Fräulein Smillas Gespür für Schnee hatte sie kaum eine andere Wahl, als sich in der Welt der Bücher zuhause zu fühlen. Ein besonderes Faible hat sie für historische Romane, Fantasy aller Art und Krimis.

    www.sternensand-verlag.ch

    info@sternensand-verlag.ch

    1. Auflage, März 2022

    © Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2022

    Umschlaggestaltung: Alexander Kopainski

    Lektorat: Sternensand Verlag GmbH | Natalie Röllig

    Korrektorat: Sternensand Verlag GmbH

    Korrektorat Druckfahne: Sternensand Verlag GmbH | Jennifer Papendick

    Satz: Sternensand Verlag GmbH

    ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-237-3

    ISBN (epub): 978-3-03896-238-0

    Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

    Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

    Für Kim,

    weil auch in dir

    das Herz eines Wikingers schlägt.

    Prolog

    Dunkel und bedrohlich türmten sich die Wolken am Himmel auf und ein eisiger Wind fegte über die steinerne Terrasse vor dem großen Saal. Oðin klammerte sich an das kahle Gerüst und starrte schweigend auf die Welt hinab.

    Äußerlich war es kein ungewöhnliches Bild. Er stand oft hier und hing seinen Gedanken nach. So wie der Sturm vor den Fenstern tobte, aus denen die anderen Götter blickten, so stürmte es in seinem Inneren. Seit dem Tag, der sein Schicksal besiegelt und ihm seine Naivität, seine Fehler vor Augen geführt hatte, hatte er sich nicht mehr dazu in der Lage gesehen, den Göttern entgegenzutreten. Bis jetzt.

    Bis zum heutigen Tag, an dem Forseti sie alle zum Thing zusammengerufen hatte, weil etwas in Midgard wütete, von dem sie sich nicht länger abwenden konnten. Etwas, das ihnen allen nicht entgangen war, doch nur Oðin wusste wirklich, welche Gefahr es für die Neun Welten barg. Der Welten Übel in der größten der Neun, geführt von den schwächsten Geschöpfen, wie alle Götter stets zu sagen pflegten.

    Oðin wollte ihnen beweisen, dass nicht alle Menschen schwach, zumindest nicht dazu bestimmt waren, für immer ihrer Schwäche zu erliegen. Denn selbst die Götter waren nicht ohne Makel.

    Das hatte er schmerzhaft lernen müssen und noch immer bereute Oðin seine Fehler. Seine Unwissenheit und Naivität, die nun über ihr aller Leben entscheiden würden. Er konnte nur hoffen, dass er die richtige Wahl getroffen hatte und dass sie dazu in der Lage war, ihre Bestimmung zu erfüllen und seine Fehler zu korrigieren.

    Hinter ihm erklang ein leises Knirschen, allerdings widerstand er dem Drang, sich umzudrehen. Oðin hörte allein an den festen Schritten, welcher seiner Mitgötter zu ihm auf die Terrasse getreten war, und es wunderte ihn nicht.

    »Ein Sturm zieht auf«, sprach Forseti bedächtig und legte ebenfalls die Hände auf die Balustrade. Der Gott der Gerechtigkeit wandte sich dem Allvater zu. »Sag mir, Oðin, ist das bereits der Anfang vom Ende? Die allgegenwärtige Finsternis, die das große Übel der Ragnarøk vorausschickt?«

    Forseti wählte seine Worte weise und zurückhaltend, doch Oðin entging der darin liegende Vorwurf nicht. Er atmete tief ein, zögerte mit seiner Antwort.

    Ein greller Blitz durchzuckte den Himmel und der knallende Donner vibrierte durch den kalten Stein unter seinen Händen.

    »Ich weiß es nicht«, gestand Oðin schließlich leise, mied aber den Blick des Jüngeren. »Selbst ich vermag die Fäden der Weberinnen nicht zu verfolgen, wenn sie sich im Dunkeln verlieren.«

    »Und dennoch hast du einen Plan«, entgegnete Forseti und schaute ebenfalls in die Ferne. »Ich verstehe, dass du diese Bürde nicht mit den anderen teilen magst – ich als höchster Vertreter unseres Rechts habe jedoch Anspruch auf die Wahrheit. Also sage mir, was dein geheimnisvolles Gebaren zu bedeuten hat.«

    Forseti klang nun nicht mehr ruhig und verständnisvoll, sondern verärgert und fordernd, und auch das konnte Oðin ihm nicht verübeln, wenngleich es keine Lösung für dieses Problem gab.

    »Kein Seher der Menschen verfügt von sich aus über die Kräfte, die den unseren ebenbürtig oder ähnlich sind«, fuhr Forseti unbeirrt fort. »Es bedarf göttlicher Kraft, um etwas zu erschaffen. Ebenso bedarf es selbiger, um Geschaffenes zu zerstören.« Der Gott der Gerechtigkeit verstummte, er hatte sein Ziel erreicht.

    Oðin drehte sich ruckartig zu ihm um. Einen Moment lang verhakten sich ihre Blicke ineinander und Oðin war sich sicher, dass er Forseti nicht so leicht abspeisen konnte wie die anderen Götter. Bereits mit seinen nächsten Worten bestätigte sich diese Vermutung.

    »Ich werde dich nicht nach deiner Verbindung zu dieser Seherin fragen, doch lass mich dir in aller Dringlichkeit sagen, dass nur du es beenden kannst. Du meinst, du kannst nur Leben geben, aber willst gleichzeitig nicht das Leben der Seherin nehmen? So erkläre mir, wie kannst du ihr guten Gewissens neues Leben schenken, wenn es doch bedeutet, dass du das Leben eines anderen nehmen musst? Worin liegt da der Unterschied?«

    Der Allvater dachte einen Moment über die Worte Forsetis nach. Er hatte natürlich recht und trotzdem beherrschten Oðin die Zuversicht und das Vertrauen.

    »Der Unterschied ist nicht, was gegeben oder genommen wird«, sagte Oðin und sah erneut dem grauen Himmel entgegen. »Der Unterschied ist, was daraus erwächst. Aus dem, was selbst die tiefste Verzweiflung und Aussichtslosigkeit überdauert und an das wir uns in diesen Zeiten alle klammern sollten.«

    »Und was ist es?«, fragte Forseti skeptisch und trommelte mit den Fingern auf das Geländer.

    »Hoffnung«, antwortete Oðin und seine Finger entspannten sich allmählich. »Hoffnung ist die Stärke der Menschen, erwachsen aus ihrer Kurzlebigkeit und ihrem unerschütterlichen Glauben an das Gute. Es sind die Menschen, auf die wir nun vertrauen müssen.«

    Lange Zeit herrschte Schweigen zwischen ihnen, allein die Geräusche des Naturschauspiels am Himmel erfüllten die Stille, was Oðin nur recht war. Er hegte keinen Groll gegen Forseti, weil er den Menschen nichts zutraute, der Gott der Gerechtigkeit wusste es einfach nicht besser. Hatte sich nie die Mühe gemacht, das Leben, die Entscheidungen eines Menschen zu beobachten oder nachvollziehen zu wollen.

    Aber er, der Allvater, hatte beobachtet und unter allen Menschen in Midgard hatte er die eine gefunden, die selbst am dunkelsten Abgrund der Verzweiflung stets das Licht der Hoffnung hatte aufleuchten lassen. Die unerbittlich darum kämpfte, ihre Ziele zu erreichen. Die aus jeder Niederlage, jedem Rückschlag noch stärker hervorging.

    Er hatte jene gefunden, der er auch ohne sein Zutun Göttliches zutraute. Jene, die er dazu bestimmt hatte, sie alle zu retten.

    »Hoffnung liegt bei den Menschen«, wiederholte Oðin leise und gewahrte mit Erleichterung, wie ein feiner, heller Lichtstrahl die Wolkendecke durchbrach und auf das Langschiff fiel, auf dem das Mädchen ruhig schlief.

    Ein trauriges Lächeln eroberte seine Züge, als er dem Sturm den Rücken kehrte und zurück in den großen Saal ging.

    Teil 1 - Trauer und Hoffnung

    Kapitel 1 - Linea

    Unerbittlich prasselte der Regen auf Linea nieder, tränkte ihre Kleidung und verklebte ihr die langen Haare auf dem Kopf. Die ersehnte Kälte blieb jedoch aus. Der Regen war mild an dieser Küste, genauso wie der Wind, der zwar nicht weniger stark, aber längst nicht so schneidend und eisig war wie in ihrer Heimat.

    Heimat.

    Was war das überhaupt? Linea schnaubte und zog die nächste Masche am Fischernetz fest. Ihre Hände zitterten und mit dem Gedanken an Skogbyen kehrte der Schmerz zurück. Um ihn zu betäuben, biss sie sich so fest auf die Wange, bis sich der vertraute Geschmack von Blut auf ihrer Zunge ausbreitete.

    Sie hatte sich verboten, auch nur einen weiteren Gedanken an Skogbyen, an ihre Vergangenheit zu verschwenden. Ihre Zukunft war das, was zählte. Ihr Verstand wusste es, ihr Herz jedoch wollte diesem Weg nicht folgen, sondern klammerte sich immer noch schmerzhaft an das, was gewesen war.

    An Skogbyen zu denken, bedeutete auch, an Hákon zu denken. An Rutmar, Valdarr, Jella und Avid. An all die namenlosen Männer, deren Leben ihre Herrschaft bereits gefordert hatte. Die Last ihrer Tode ruhte schwer auf Lineas Schultern, drückte sie nieder und fraß sich wie brennendes Pech in ihr Gewissen.

    Die Zurückgefallenen werden zurückgelassen.

    Sie wusste, dass gerade ihr Ziehvater Valdarr und ihm voran ihr bester Freund Hákon ihr diese Worte nun vorwerfen würden. Doch an Hákon zu denken, schmerzte Linea am meisten.

    Er hatte sein ganzes Leben noch vor sich gehabt. Hätte hier in Vinland neu anfangen sollen, fern von seiner Vergangenheit und dem schlechten Ruf, den sein Vater Rutmar auf ihn übertragen hatte. Aber vor allem hätte er nicht sterben müssen.

    Das Ziehen in ihrer Brust wurde immer stärker. Linea ließ das Netz und die Knochennadel sinken. Sie schloss die Augen, blinzelte krampfhaft gegen die Tränen an, die sich erneut ihren Platz erkämpften.

    Es war ihre Schuld. Es gab nichts und niemanden, der ihr diese Schuld nehmen konnte. Hákon war nicht für sie gestorben, so wie er es Magnus gegenüber geschworen hatte; er war wegen ihr gestorben. Durch ihre Hand, was der ganzen Situation zusätzliche Schwere verlieh. Und trotzdem war es umsonst gewesen.

    Sein Herz hatte Linea nicht von dem grausamen Pakt mit der Seherin erlöst.

    Es hatte einige Tage gedauert, in denen Linea für Stunden am Ufer gestanden und stumm aufs Meer gestarrt hatte, bis sie endlich begriffen hatte, was das alles bedeutete: Hákon mochte sie seiner Ansicht nach geliebt haben, doch nicht auf die Art und Weise, die ihn zu dem Einen gemacht hätte, dessen Herz für den Frieden und die Freiheit der Welt geopfert werden sollte.

    Linea schluckte schwer, zwang sich aber dazu, das Netz wieder aufzunehmen. Die Arbeit erledigte sich nicht von selbst und so hatte sie wenigstens das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun. Ihre Gedanken weilten fortwährend bei Hákon und dem, was sie erst durch die Verschmähung seines Herzens durch Yngvild erfahren hatte.

    Sie konnte nicht leugnen, dass sich seit dem Tag etwas an ihrem besten Freund verändert hatte, an dem verkündet worden war, dass sie Rutmar heiraten würde. Und auch Magnus’ Beobachtungen hatten ihr Übriges zu ihrer Vermutung beigetragen.

    Hákon hatte sie nie geliebt. Er war eifersüchtig auf seinen Vater gewesen und von dieser Eifersucht, die ihn innerlich mit jedem Tag mehr zerfressen haben musste, hatte er sich dem Wahn entgegentragen lassen.

    Niemand außer ihm sollte Ansprüche auf Linea erheben dürfen. Mochte es anfänglich noch kindliche Liebe, Zuneigung oder Bewunderung gewesen sein – Linea konnte es nicht genau sagen –, so hatten der Neid und die Eifersucht alle Aufrichtigkeit verdrängt und seine tiefgründigen Gefühle waren der oberflächlichen Obsession gewichen. Er war mit der Zeit immer mehr wie sein Vater geworden. Linea hatte es gespürt, als sie ihm zuletzt gegenübergestanden hatte. Der Trauer konnte sie sich trotzdem nicht entziehen.

    So böse und kaltblütig Hákon auch geworden war, er war stets ihr bester Freund geblieben, den sie wie einen Bruder geliebt hatte und dessen Verlust schwerer wog als der jedes anderen Mannes, der für sie auf dem Schlachtfeld sein Leben gelassen hatte und um den sie nun trauerte.

    Linea schämte sich. Sie schämte sich in Grund und Boden dafür, dass sie sich von seinen Worten, dem Geständnis seiner Liebe, hatte überzeugen lassen, obwohl sie gewusst hatte, welche Konsequenzen diese Offenbarung nach sich zog. Schämte sich dafür, dass sie ihn dann auch noch für ihre Zwecke manipuliert hatte, nur damit es für sie leichter wurde, ihn zu töten.

    Hákon mochte sich in seinen letzten Tagen nicht als guter, gerechter oder gnädiger Mann gezeigt haben, aber er war nicht das gewesen, wozu Linea ihn gemacht hatte: ein Opfer. Sein Tod war sinnlos und unnötig. Er hätte nicht sterben müssen.

    Dennoch hatte sie ihn getötet und war durch Yngvild auf unerbittlich harte Art eines Besseren belehrt worden. Sie hatte geglaubt, zu erkennen, was Liebe ist, und nur deswegen war es zu dieser Verwechslung gekommen. Doch in Wahrheit hatte sie keine Ahnung, und ihrer Unwissenheit war es zuzuschreiben, dass Hákon nun an Oðins Tafel saß.

    Es war ein Fehler gewesen, ein Fehler, wie ihn selbst der Allvater einst begangen hatte. Mit diesem Gedanken kehrten auch die Zweifel in Linea zurück. Das Schicksal aller Neun Welten lastete fortwährend auf ihren Schultern und sie war sich nicht sicher, ob sie es schaffen würde, den Einen zu finden und auch noch zu töten.

    Kaltherzig hin oder her, sie hatte genug von all dem Tod, dem Krieg und dem Leid, das sie über die Menschen brachte, denen sie begegnete. Ihr Ziel schien unerreichbarer denn je. Ihre Freiheit, wegen der sie ursprünglich diese ganzen Widrigkeiten auf sich genommen hatte, war mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt worden und mit ihr der Glaube und die Hoffnung, dass sie diese überhaupt jemals erreichen würde.

    Die allgemeine Lage hatte sich nach ihrer Ankunft in Vinland auch nicht wirklich verbessert – im Gegenteil. Ihr Feind war erneut geflüchtet und hatte ihre Mutter als Geisel genommen, ihre Streitkräfte waren geschlagen und zerstreut worden, und der Einzige, dem sie zugetraut hätte, sie aus dem inneren Kreis des Feindes heraus zu unterstützen, war tot.

    Kjell.

    Eine tiefschwarze Leere breitete sich in Linea aus, verdrängte sämtliche Emotionen, überlagerte selbst die erdrückende Trauer und die nagenden Schuldgefühle. Sie spürte nichts mehr. Nicht den Regen auf ihrer Haut. Nicht das raue Netz, das durch ihre Finger glitt, und nicht die Tränen, die sich ihren Weg über ihre Wangen suchten. Nur die dunkle Leere, die so mächtig war, dass sie sich nicht dagegen wehren konnte.

    Seit Tagen fühlte Linea nichts anderes, beschäftigte sich Tag und Nacht mit kleinen, unterstützenden Aufgaben, um wenigstens den Anschein zu erwecken, dass sie noch nicht aufgegeben hatte, aber eigentlich war es längst passiert. Sie wusste nicht, wann sie zuletzt geschlafen hatte. Fürchtete sich davor, die Kontrolle zu verlieren und von den Toten heimgesucht zu werden, die sich mit klagenden Stimmen an ihr rächen wollten.

    Das Einzige, was sie hin und wieder aus ihrer Trance zu reißen vermochte, war der Schmerz. Wenn sie sich beim Arbeiten mit Messer oder Nadel in den Finger schnitt, sich beim Kampftraining mit den Männern zu spät verteidigte oder sich beim Kochen verbrannte, weil sie nicht auf das wachsende Feuer achtete.

    Der Schmerz durchschnitt die Leere wie eine gleißende Flamme und katapultierte sie zurück ins Hier und Jetzt, wenngleich nur für kurze Zeit. Doch es reichte, um den letzten Schritt über die Klippe noch einen weiteren Tag hinauszuzögern.

    Die Dämmerung war längst hereingebrochen, als Linea endlich das letzte reparierte Netz zur Seite legte, aufstand und sich streckte, bis ihre Rückenwirbel protestierend knackten. Sosehr sie sich auch bemühte, konnte sie das folgende Gähnen nicht unterdrücken.

    Zeit war bedeutungslos geworden, schien nicht mehr zu sein als endlose Augenblicke, die sie zum Abwarten und Ausharren verdammten. Trotzdem fand sie keine Ruhe. Obwohl jede Faser ihres Körpers vor Erschöpfung schrie und die Müdigkeit mit dunklen Fingern nach ihr griff, rappelte sie sich auf, schnappte sich die beiden Wurfäxte und schlug den Weg zu der großen Wiese ein, auf der sich die Männer im Kampf übten, wann immer die freie Zeit es ihnen erlaubte.

    Heute war der Platz allerdings vollkommen verwaist. Nur die mit Stroh gefütterten Holzpuppen, die der Schiffsbauer ihnen zum Training gezimmert hatte, leisteten ihr an diesem Abend Gesellschaft.

    Linea entzündete einige Fackeln, sodass ihre Ziele nicht gänzlich im Dunkeln lagen, und griff nach den Äxten.

    Mit jedem Treffer, jedem dumpfen Geräusch, wenn Metall auf Holz traf, gewann sie etwas von ihrer Leichtigkeit zurück, die in den letzten Tagen durchgehend von der Wut zurückgedrängt worden war. Mit jedem Wurf ließ das Zittern ihrer Hände ein wenig mehr nach, wenngleich ihre Arme schon nach ein paar Minuten anfingen zu brennen, als stünden sie lichterloh in Flammen.

    Noch bevor die ersten Fackeln verbrannt waren, hatte Linea in ihren gewohnten Rhythmus zurückgefunden.

    Zielen, werfen.

    Zielen, werfen, losgehen, Äxte einsammeln, zurückgehen.

    Zielen, werfen.

    Die Monotonie dieser Übung half ihr, die Gedanken auszublenden und sich nur auf sich, die Waffen und ihren starren Gegner zu konzentrieren.

    Irgendwann versiegten auch die letzten Tränen, und die erdrückenden Schuldgefühle krochen langsam in den tiefschwarzen Abgrund zurück, aus dem sie gekommen waren. Doch Linea dachte gar nicht daran, jetzt aufzuhören.

    Was würde geschehen, wenn sie zur Ruhe kam, sich ihre Gedanken wieder eine andere Beschäftigung suchen würden?

    Nicht denken.

    Zielen, werfen.

    Zielen, werfen.

    »Wenn du den armen Kerl noch mal an derselben Stelle triffst, fällt er auseinander«, hörte sie unvermittelt eine Stimme hinter sich und erschrak so sehr, dass ihr Wurf das Ziel um einige Schritte verfehlte.

    Resignierend seufzte sie, ließ die zweite Axt, die sie bereits erhoben hatte, sinken und starrte konzentriert auf die Figur vor ihr.

    »Was willst du hier, Magnus?«

    Sie hörte, wie er langsam durch das feuchte Gras auf sie zukam und dicht hinter ihr stehen blieb. Linea führte ihren Wurf dennoch aus, traf die Holzpuppe aber nur an der Schulter.

    »Ich wollte die Pferde füttern«, antwortete er tonlos und Linea war überzeugt davon, dass er soeben unbekümmert mit den Schultern gezuckt hatte. Sie glaubte ihm nicht.

    »So spät noch?«, hakte sie skeptisch nach und drehte sich nun doch mit verschränkten Armen zu ihm um.

    »Spät?«, echote Magnus und zog die Brauen hoch. »Die Sonne geht schon auf.«

    Sie runzelte die Stirn und schielte an ihrem Freund vorbei. Tatsächlich sah sie über den Ruinen einen hellen Schleier am Himmel aufsteigen. Die Nacht war wie im Flug vergangen, so sehr war Linea in ihre Kampfübungen versunken gewesen.

    Magnus betrachtete sie mit traurigem Blick und seufzte leise.

    »Das muss aufhören, Linea«, sagte er und trat noch einen Schritt auf sie zu.

    Sie reckte nur trotzig das Kinn in die Höhe. »Ich weiß nicht, was du meinst.«

    Das erwartete Grinsen auf den jungen Zügen ihres Gegenübers blieb aus. Magnus sah ungewohnt ernst und nachdenklich drein. Halb erwartete Linea, dass er jeden Moment auf ihre Tat und Hákons Tod zu sprechen käme, doch er überraschte sie.

    »Glaub nicht, ich hätte es nicht bemerkt«, hielt er entschlossen dagegen. »Du schläfst nicht mehr, isst kaum noch und redest mit niemandem außer mit den Männern, wenn du sie zum Kampf herausforderst. Das kann nicht deine Lösung sein.«

    Sie erwiderte nichts, wich allerdings seinem Blick aus. Er hatte recht. In einer dunklen Ecke ihres Verstandes fühlte sie die Gewissensbisse erneut aufkommen.

    »Du bist erschöpft und müde, du …«

    »Ich bin nicht müde!«, begehrte sie auf.

    »Lüg mich nicht an«, sagte er ruhig. »Ich weiß genau, was du durchmachst. Was glaubst du, wie es mir ging, als Hákon und ich … als ich erfahren habe, wie mein Vater gestorben ist?« Er schloss kurz die Augen, musste schwer schlucken, behielt aber offensichtlich die Kontrolle über seine Emotionen.

    Linea ballte die Fäuste. Dass Kárr auf diese grausame Art hatte sterben müssen, war ebenfalls ihre Schuld, auch wenn jeder ihr etwas anderes sagte. Sie fühlte sich verantwortlich und das würde ihr wohl nie jemand nehmen können.

    »Ich bin nicht …«, setzte Linea zu einer erneuten Verteidigung ihres Verhaltens an, doch Magnus unterbrach sie.

    »Beweise es mir.«

    Linea schnaubte und wollte sich abwenden, da packte er sie an den Schultern.

    »Beweise mir, dass du nicht zu müde oder erschöpft bist und immer noch so gut kämpfen kannst wie ein ausgeschlafener Krieger am Morgen der Schlacht«, forderte er. Sein entschlossener Blick ließ keine Widerworte zu. »Kämpfe gegen mich und falls du mich besiegst, werde ich dich in Ruhe lassen. Verlierst du, kommst du mit, redest mit mir und tust, was ich dir sage.«

    Linea knirschte mit den Zähnen, willigte aber ein und das nicht nur, weil ihr Stolz es ihr gebot, sondern vor allem, weil sie sich nicht auch noch mit dem einzigen Freund zerstreiten wollte, der ihr geblieben war.

    »In Ordnung«, sagte sie gepresst und ignorierte das einsetzende Zittern ihrer Knie, als sie sich umdrehte, um die beiden Äxte einzusammeln.

    Magnus bewaffnete sich in der Zwischenzeit ebenfalls mit seinen gewohnten Waffen: Speer und Schild.

    Linea beobachtete seine Bewegungen genau, als sie langsam aufeinander zugingen und sich zu umkreisen begannen.

    Sie erinnerte sich an die zahlreichen Übungskämpfe, die sie in Skogbyen gegeneinander ausgefochten hatten. Im Nahkampf hatte sie bisher nur zwei Mal gegen Magnus verloren.

    Das erste Mal war überhaupt ihr erster Kampf gewesen. Sie waren gerade erst sechs oder sieben Jahre alt gewesen. Magnus hatte mit Hákon schon öfter gekämpft und demnach mehr Ausdauer gehabt als sie.

    Beim zweiten Mal hatte sie nur verloren, weil Hákon ihr im entscheidenden Moment ein Bein gestellt hatte, um Magnus’ kämpferische Ehre zu retten. Er hätte es einfach nicht ertragen, wenn sein Schildbruder von einem kleinen, schmächtigen Mädchen besiegt worden wäre. Danach allerdings hatte Magnus keines der Duelle gegen sie mehr gewonnen und auch Hákon hatte immer häufiger gegen Linea verloren.

    Diesmal jedoch verlief es nicht so gut für sie. Der Kampf war innerhalb weniger Wimpernschläge vorbei, noch ehe er richtig begonnen hatte. Als Magnus einen Angriff auf ihre linke Flanke antäuschte und sie mit einem Ausfallschritt seinem Speer ausweichen wollte, stolperte sie über eine hervorstehende Wurzel und fiel der Länge nach auf den Rücken.

    Sofort war Magnus über ihr, drückte mit seinem Fuß ihre Schulter auf den Boden und hielt ihr die Spitze des Speeres an die entblößte Kehle.

    Für einen Moment sahen sie sich schweigend an. Das zufriedene Funkeln in seinen Augen schien Linea zu verspotten. Ergeben schloss sie die Lider und stöhnte leise.

    »Du bist besiegt«, unterstrich Magnus das Offensichtliche und nahm den Fuß von ihrer Schulter. Linea öffnete die Augen wieder und ließ sich von ihm auf die Füße ziehen.

    »Gib mir deine Waffen, die wirst du nun erst mal nicht mehr brauchen.«

    Widerwillig folgte sie seiner Anweisung und händigte ihm die beiden Wurfäxte aus.

    »Die zwei Dolche aus deinen Stiefeln hätte ich auch gerne«, sagte Magnus und grinste überlegen.

    »Das ist nicht dein Ernst«, grummelte Linea, bückte sich aber wie geheißen und zog die Dolche hervor, als er auffordernd mit den Fingern schnipste. Sie reichte ihm die Waffen, die er sich an den Gürtel steckte.

    »Und jetzt komm mit«, kommandierte er weiter und schritt zügig über die Wiese auf die provisorisch errichteten Ställe zu, die sich am Rand der Ruinensiedlung befanden.

    Linea stöhnte erneut genervt auf.

    Er meint das wirklich ernst, dachte sie kopfschüttelnd und trottete langsam hinter ihrem Freund her.

    Kapitel 2 - Linea

    Magnus schloss die Tore hinter sich und bedeutete Linea, sich auf eins der Lager zu setzen, die entlang der Boxengasse aufgebaut worden waren. Neugierig sah sie sich um. Bisher hatte sie noch keinen Fuß über die Schwelle dieses Provisoriums gesetzt und im selben Atemzug stellte sie sich die Frage nach dem Warum. Eine wirkliche Antwort hatte sie nicht.

    Fast zehn Tage waren seit dem Kampf in Rikkagat vergangen. So lange schon harrte Linea mit ihren Verbündeten hier in den Ruinen Helgisnes’, dem Dorf ihres Vaters, aus und trotzdem hatte sie die Ställe, die ihr in Skogbyen immer ein Zufluchtsort gewesen waren, gemieden. Wieso?

    Vielleicht, weil es auch in Skogbyen stets Magnus’ Territorium gewesen war und sie ihn nicht hatte stören wollen?

    Vielleicht, weil der Geruch nach Stroh und Pferd sie an die gemeinsamen Jagdausflüge mit Hákon erinnerte und sie noch nicht die Kraft dazu hatte, sich ihrer Trauer in Gegenwart ihres Freundes zu stellen, der mit Sicherheit ebenso um Hákon trauerte?

    Linea wusste es nicht und es war ihr egal. In dem Moment, in dem sie sich von Magnus auf die dünne Matte am Boden drücken ließ, brach die Erschöpfung vollends über sie herein. Sie streckte die Beine aus, lehnte den Kopf an die Wand in ihrem Rücken und schloss die Augen. Wartete im Stillen darauf, dass Magnus sie mit Fragen und wohlgemeinten Phrasen zum Reden bringen wollte, doch nichts dergleichen geschah.

    Linea, zu müde, um die Augen wieder zu öffnen, hörte ein lautes Scharren gefolgt von einem Rascheln, welches sie eindeutig dem Stroh in der Box gegenüber von sich zuordnete. Magnus musste angefangen haben, sich um die Pferde zu kümmern, genauso wie er es gesagt hatte.

    Noch immer sprach er kein Wort und obwohl Linea gegen die Müdigkeit in ihren Gliedern ankämpfte, die sich auch in ihrem Kopf niederlassen wollte, fühlte sie die Ungeduld in sich aufsteigen.

    Was bezweckte er damit, sie erst im Kampf zu demütigen und dann ruhigzustellen? Wollte er gar nicht wirklich mit ihr reden?

    »Du solltest schlafen, Linea«, richtete Magnus endlich das Wort an sie und hielt, den Geräuschen nach zu urteilen, in seiner Bewegung inne.

    »Wozu?«, brachte sie kraftlos über die Lippen. »Ich will nicht«, schob sie hinterher und öffnete nun doch die Lider.

    Linea schaute zu Magnus hinüber und verspürte sofort einen unangenehmen, wenngleich auch vertrauten Druck auf der Brust, als sie sah, wie tief die Sorgenfalten auf seiner Stirn geworden waren. Dunkle Ringe zeichneten sich unter seinen Augen ab, er wirkte abgekämpft und ruhelos und seine Bewegungen waren längst nicht so schwungvoll, wie Linea es von ihm gewohnt war.

    Ja, Magnus war immer der stille und nachdenkliche Typ gewesen, aber dass es ihm selbst so schlecht ging und auch ihn offenbar düstere Gedanken umtrieben, hatte Linea in den letzten Tagen nicht bemerkt. Wie auch, wo sie nahezu allen Leuten aus dem Weg gegangen war?

    »Ich will nicht schlafen«, wiederholte sie und zog damit seinen Blick wieder auf sich. »Ich will nicht, dass … Ich kann nicht ertragen, wenn …« Sie brach ab, biss sich auf die Lippe, als ihr Herz erneut zu rasen begann, weil sich die grausamen Bilder in ihr Bewusstsein schoben.

    »Ich weiß«, sagte Magnus leise und stoppte damit ihre Gedanken fürs Erste. In seiner Stimme klang so viel Ehrlichkeit, so viel Verständnis mit, dass es ihr schier die Worte raubte.

    Er wandte den Blick ab, aber ihr entging nicht, wie sich seine Hände um den Stiel der Mistgabel verkrampften und er die Schultern leicht anzog. Und in diesem Moment wurde Linea erstmalig so richtig bewusst, dass nicht nur sie einen Freund verloren hatte. Dass der gleiche Schmerz, den sie seit Hákons Tod verspürte, auch in Magnus mit jeder schlaflosen Nacht stärker wurde und an seinem Willen zerrte, überhaupt noch einen Fuß vor den anderen zu setzen.

    Wie schwer muss es ihn getroffen haben, so kurz nach seinen Eltern auch noch seinen Schildbruder zu verlieren? Noch dazu durch mich – durch die Hand der gemeinsamen Freundin?

    Da waren sie wieder, die Gewissensbisse, die Linea seither plagten und die sie einfach nicht loswerden konnte – vielleicht auch gar nicht loswerden wollte, weil sie das Einzige waren, was ihr noch das Gefühl gab, zu leben.

    Magnus’ fürsorgliches und verständnisvolles Verhalten verwirrte sie wie nichts anderes bisher. Nach dem, was sie getan hatte, hätte sie alles verstanden. Wenn er auf sie losgegangen wäre. Wenn er ihr Vorwürfe machen, selbst wenn er fordern würde, dass sie sich Finnbogi ausliefern sollte.

    Aber Magnus sagte nichts dazu. Er musste sie hassen, nachdem sie sich nicht mal für den Tod seiner Familie entschuldigt und anschließend auch noch sein Vertrauen missbraucht und ihren gemeinsamen Freund getötet hatte. Und trotzdem sorgte er sich um sie? Wollte ihr anscheinend helfen, diese Lasten zu schultern? Ihr, die doch an allem die alleinige Schuld trug. Wieso?

    »Magnus, ich …«, setzte Linea erneut an, ohne überhaupt zu wissen, was sie sagen wollte. »Warum tust du das?«

    Als er langsam die Mistgabel an die Wand lehnte und zögerlich ein paar Schritte in ihre Richtung machte, hielt Linea unwillkürlich den Atem an. Ihre Blicke verhakten sich für einen kurzen Moment ineinander, dann setzte er sich neben sie auf das Lager und zog die Knie bis unters Kinn an.

    »Ich will dich nicht auch noch verlieren, Linea. Nicht schon wieder«, flüsterte er und in seinen Augen schimmerten Tränen, die Linea das Herz schwer werden ließen.

    Sie schwieg, während sie über die Worte nachdachte, deren Echo träge zwischen ihnen nachklang.

    »Was meinst du damit, schon wieder?«, fragte sie irritiert und wandte sich ihm zu.

    Magnus lächelte scheu. »Du hast es immer noch nicht verstanden, oder?«

    Lineas Muskeln verspannten sich schlagartig. Was gab es denn noch, für das sie einfach blind zu sein schien? Was offenbar jedem außer ihr selbst klar war?

    Magnus hingegen entspannte sich nun sichtlich und zwirbelte gedankenverloren einen Strohhalm zwischen den Fingern.

    »Du bist die Einzige, die mir von meiner Familie noch geblieben ist«, murmelte er und seine Stimme, die mit einem Mal so ungewohnt dunkel klang, jagte ihr eine Gänsehaut über die nackten Arme. »Mit anzusehen, wie du die Schuld an allem auf dich nimmst, selbst für Dinge, die auch ohne dein Zutun geschehen wären, ist schlimmer als alles andere, und ich mache mir Sorgen um dich.« Er hielt kurz inne, wartete auf eine Reaktion von ihr, doch Lineas Kopf war plötzlich wie leer gefegt. Sie war immer noch überrumpelt von seiner Fürsorge.

    »Ich verstehe nicht …«

    Er lächelte wieder und ließ den Strohhalm fallen, um stattdessen nach ihrer Hand zu greifen.

    »Ich will nicht mit ansehen, wie du dich selbst aufgibst«, sagte er entschlossen. »Du hast, seitdem du die Wahrheit über deine Vergangenheit erfahren hast, jede Minute dafür gekämpft, frei zu sein und deine Familie zu finden. Und das, obwohl du nicht mal wusstest, ob sie überhaupt noch lebt«, fuhr er fort und allmählich kamen ihre Gedanken wieder in Fahrt.

    Seine Hand schloss sich um ihre und Linea schaute darauf, um sich nicht zu sehr von seinem intensiven Blick ablenken zu lassen.

    »Du hast so vieles auf dich genommen, so viele Hürden überwunden. Du hast gekämpft wie ein Berserker, Linea. Niemand hätte dir diese Stärke zugetraut und doch hast du alle überzeugt.« Stolz klang in seiner Stimme mit. Linea war zutiefst gerührt von dem Vertrauen, das er ihr entgegenbrachte. »Warum sollte ich nun nicht um meine Familie, um dich, kämpfen? Wer, wenn nicht du, könnte es verstehen?«, setzte er nach und schob sich wieder in ihr Sichtfeld.

    Wenngleich Linea nicht wieder weinen wollte, entglitt ihr die Kontrolle über ihre Emotionen, so sehr berührten sie Magnus’ Worte. Gleichzeitig spürte sie die Hoffnungslosigkeit in sich pulsieren, die auch durch das Vertrauen ihres besten Freundes nicht verdrängt werden konnte.

    Es war ihr unbegreiflich, wie Magnus selbst jetzt, nach allem, was passiert war, immer noch entschlossen war zu kämpfen. Überzeugt davon war, dass sie diesen Kampf gewinnen konnten, dass Kämpfen überhaupt der richtige Weg war. Dass er noch nicht aufgegeben hatte.

    »Wofür kämpfen wir, Magnus?«, brachte sie stockend hervor. »Woher nimmst du die Kraft, weiterzumachen, wenn wir doch nicht gewinnen können?«

    Einen Moment lang herrschte Schweigen, dann richtete Magnus sich auf und zog ihren zitternden Körper in eine feste Umarmung.

    »Weil Aufgeben dich auch nicht weiterbringt«, sagte er schlicht. »Hoffnung gibt es immer und sie stirbt erst mit dem Letzten, der an seine Ziele glaubt. Es ist vielleicht kein einfacher Weg, trotzdem gibt es ihn. Gerade du bist schon so weit auf ihm gewandert wie niemand sonst, Linea.«

    »Und so viele sind meinetwegen auf diesem Weg gestorben«, hielt sie dagegen und schluchzte leise an seiner Schulter.

    »Aber du kannst ihrem Tod einen Sinn geben, indem du ihn bis zum Ende gehst, dein Ziel erreichst und voller Ehrfurcht auf das zurückblickst, was du geschafft hast. Freydís lebt und Finnbogi ist geschwächt, dein Ziel liegt so nah vor dir«, bestärkte Magnus und schob sie ein Stück zurück, um ihr in die Augen sehen zu können. »Und was am wichtigsten ist, du bist nicht allein. Du musst diesen Weg nicht alleine gehen, so wie du es die letzten Tage über versucht hast. Jeder Mann in diesem Dorf ist bereit, dir aus freien Stücken zu helfen, dich zu unterstützen und am Ende gemeinsam mit dir zu siegen und zu feiern. Wirf das nicht weg, nur weil dir die Nornen an diesem Punkt eine tiefe Schlucht in den Weg gelegt haben. Verlier dich nicht in der Einsamkeit und lass dir von den Schatten der Vergangenheit nicht die Hoffnung auf die Zukunft nehmen.«

    Er machte eine kurze Pause, schien sich nicht an ihren Tränen zu stören. Sein Griff um ihren Körper verstärkte sich, als er sie wieder an sich zog und sie wie von selbst den Kopf auf seiner Schulter ablegte.

    »Du bist stärker als das. Du bist Linea die Kaltherzige. Die Frau, vor der die stärksten Männer Norwegens zittern. Du bist der einzige Mensch der Neun Welten, dem sogar die Götter ihr Schicksal anvertrauen, wenn ich dich richtig verstanden habe. Sag mir also, wer, wenn nicht du, sollte sein Ziel jemals erreichen können?«, beendete er sein Bekenntnis.

    Die Wärme, die von seinen Worten ausging, drang ihr tief unter die Haut, durchströmte sie und verdrängte die kalte Bitterkeit aus ihrem Herzen.

    »Und wenn du uns lässt, werden wir dich alle auf deinem Weg begleiten«, fügte er hinzu und Linea wollte ihm sagen, dass er nie wieder aufhören sollte zu reden. Jedes seiner Worte sandte ihr wohlige Schauder über den Körper, brachte ihr Stück für Stück die Hoffnung und die Zuversicht zurück, dass

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