Verführung
Von Viktor Kamerer
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Über dieses E-Book
Viktor Kamerer
Viktor Kamerer, geboren 1976, absolvierte kaufmännische Schulen bis zum Mittleren Management und arbeitete in einem Großhandel, bis er sich dem Schreiben widmete. Seit 2017 veröffentlicht er Gesellschafts- und Mysteryromane, alles beim Twentysix Verlag.
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Buchvorschau
Verführung - Viktor Kamerer
Wichtige handelnde Personen
Jules Bordeaux – Auszubildender
Mathilde und Claude – Eltern des Auszubildenden
Holger Dampf – Betriebsleiter
Klaus Helmer – Verkaufsleiter
Marie Bütten – Auszubildende
Kim Vollak – Angestellte
Susanne Volk – EDV-Leiterin
Pawel Bogdanowitsch – Verkäufer
Heike Peters – Psychiaterin
Cengiz – Lagerarbeiter
Ali – Leiter der Reiferei
VORSTELLUNGSGESPRACH
Ich stelle mich bei einem Betrieb, einem Handel für Früchte und Gemüse, vor. Der Betriebsleiter nennt mir seinen Namen und gibt mir geflissentlich seine rechte, schweißfeuchte Hand, in die ich mit allem Eifer einschlage. »Holger Dampf. Ich bin hier der Chef.« »Und ich bin Ihr neuer Auszubildender«, sage ich ihm munter und mutig. Mein Gewissen plagt mich außerordentlich, weil ich zu früherer Zeit den einen oder anderen Blödsinn getan habe, andererseits muss ich gestehen, dass mich dieser Blödsinn immer mal wieder stark und ausdauernd sein lässt. Und nur so kann ich hier auftrumpfen, wie ein Hollywood-Star, bei seiner Paraderolle.
»Sie haben ganz schön Eier, schließlich ist das hier erst das Vorstellungsgespräch«, sagt der Betriebsleiter, zwinkert mir doch bereitwillig zu und nimmt als erster Platz auf seinem protzigen, großgebauten, schwarzschillernden Bürostuhl. Dieser Chefsessel steht im oberen Stockwerk, im Chefzimmer. Das Zimmer ist mit hellblauen Tapeten doch relativ kindlich gehalten, was mich wundert, da der Betriebsleiter sich keineswegs kindlich oder auch jugendlich gibt.
Um sich auf mich vorzubereiten, hat sich der Leiter dieses Handelsunternehmens meine Akte, die ich ihm zuvor per Postweg zugeschickt habe, auf den Managertisch gelegt und spickt immer mal wieder darauf.
Die Akte ist bereits aufgeschlagen, sodass Holger Dampf ohne Schwierigkeiten meinen Lebenslauf sehen kann.
Auch ich habe mich sehr gut vorbereitet, in einer ganz subtilen Art und Weise. »Ich fühle meine Worte«, flüstere ich mir geheimnisvoll selbst zu. Holger Dampf ertappt mich beim Selbstgespräch und spricht mich sodann mit einem Missmut darauf an. Es scheint ihm komisch, dass ich mit mir selbst spreche. Er kenne diese Art und Weise nicht, weder von sich selbst, noch von seinen Mitarbeitern. Seine eigene Familie klammert er hier aus. Mir gegenüber macht er den Eindruck, als sei ich ein Sonderling. Ich allerdings habe einen Ehrgeiz durch diese Technik entwickelt, habe die fühlenden Worte zu einer meiner Stärken gemacht und bin außerordentlich dankbar für diesen meinen Mut.
»Ich muss mich nur kurz sammeln, Herr Dampf. Sie kennen ja die jungen Leute, nicht wahr? Wir müssen immer das eine oder andere Mal innehalten, um dann wiederum nach vorne zu preschen.«
»Und ich habe mich schon gewundert, warum Sie denn mit sich selbst reden«, sagt Holger Dampf. »Sie kommen also dabei runter. Wenn das also bei allen jungen Menschen so ist, dann muss ich das akzeptieren, und dann nehme ich Sie hier mit aller Liebe auf. Wo wir uns doch so gut miteinander verstehen.«
Ich habe eine außerordentlich schlimme Vergangenheit, obgleich ich erst das zarte Alter von achtzehn Jahren hinter mich gebracht habe. Geistergeschichten sind mir zur Realität und Wunder und Zeichen zum Naturell geworden. Ich habe eine gewisse, muntere und auch tragische Erfahrung mit der Welt der Dämonen und Engel hinter mich gebracht und lerne enorm viel daraus. Gewiss gehört da auch der Ehrgeiz dazu. Diese Stelle gehört jetzt mir, denke ich mir und sehe wie nervös der werte Holger Dampf hier wirkt. Ich muss mir etwas einfallen lassen, denke ich. Ich kann da jetzt nicht so frech und fordernd vorgehen, denn je lockerer der Chef bei diesem Gespräch ist, umso besser wird unser Start in einigen Wochen, und das Verhältnis zwischen Ausbilder und Auszubildenden soll doch angenehm und nicht hektisch und chaotisch sein.
Ich gehe zunächst davon aus, dass Kompetenz mich hier sehr viel weiterbringen soll, als die Zurückhaltung, wie ich sie vor meiner Verwandlung innehatte. Man munkelt ja darüber, dass Geschäftsleute grob und ausdauernd sind, deshalb diese angewandte Technik. Ich fühle wie natürlich ich nun wirke mit meiner Fühl-Technik und sehe sogleich ein Lächeln in Holger Dampfs Mundwinkeln.
Ich bemerke in seinem Gesichtsausdruck, wie ehrgeizig und selbstbewusst der werte Herr Holger Dampf jetzt auf mich abstrahlt. Ich hoffe nur ich muss nicht doch einen Gegenpol zu ihm darstellen, und das ist natürlich die Schüchternheit. Ich versuche mich im Gespräch erwachsen zu geben und denke weiter, der Chef ist der Chef und ich ordne mich ihm selbstverständlich ganz und gar unter. Diese Vorgehensweise wird mich sehr weit bringen, denke ich mutig und gelassen. Der Chef hat das Sagen und ich bin trotzdem ein eigenständiger Angestellter. Ich werde mich groß und klein machen, denke ich aus lauter großer Selbstverherrlichung. Eigentlich soll ich – laut Mama – ein wenig mehr Demut in mein Leben lassen, doch Mama hat nicht immer das Recht auf ihrer Seite und ich bin lange genug demütig und unscheinbar gewesen. Schluss damit!
Unser Gespräch feuert weiter Hitze und Kälte aus. Holger Dampf als Hitzkopf und ich nun mit einer gepflegten Kühle, die mir eigentlich fremd ist, aber die keinen Missmut beim Chef aufkommen lässt. Durch meine große Technik mit dem Fühlen meiner gesprochenen Worte, bin ich – trotz geforderter Teamfähigkeit – auch mein eigener König, und Holger Dampf liest das auch sicherlich aus meinen Augen heraus. Die Kühle aber, die behalte ich noch einen Moment, denn Holger Dampf scheint ein Verfechter von nüchternen Kaufleuten zu sein. Wenn ich mich da mal nicht täusche.
Würde Holger Dampf mir das zugutehalten? Dass ich nüchtern und kalt daherkomme, wo er doch eine verrückte Wärme ausstrahlt? Doch Gegensätze ziehen sich immer noch an, und ich weiß mit meinem Charakter zu spielen.
»Wenn ich Sie richtig einschätze, dann würde ich sagen, dass Sie gut zu uns passen würden. Unser Team könnte eine Person wie Sie sehr gut gebrauchen. Ich gebe Ihnen die Chance. Englisch können Sie und in Mathematik und Deutsch sind Sie auch ganz passabel.«
Inhaltsverzeichnis
Erster Akt: Gewitter, Anfänge im Fruits House
Mein Gemüt
Bestellung
Kim Vollak
Zweiter Akt: Psychiaterin
Sie schätzt mich ab
Offenbarung An Kim
Dritter Akt: Kim
Betörung und Prüfung
Vierter Akt: Der Ausbilder und sein Jüngling
Gelächter und Genugtuung
Ein grosser Fehler
Selbsmitleid
Fünfter Akt: Die Augen eines Tigers
Er durchdringt mich
Zwischen den Stühlen
Zahlen
Liebesnest
Qualitätskontrolle
Sechster Akt: Schwachheit
Aussortieren
Des Jüngling stärke ist des Ausbilders schwäche
Siebter Akt: Kontrolle
Der junge kann es
Achter Akt: Die Juwelen des Auszubildenden
Sie Zieht in Weg
Beschwerde beim Chef
Erneutes Wegziehen
Neunter Akt: Zerstörung einer liebe oder der Treue Wahnsinn
Kim Vollak macht mich an
Ich beharre darauf
Zehnter Akt: Die Schwachheit meines körpers und ein Neuer Teufel
Unglaublich
Bogdanowitsch
Helmer
Holger Dampf
Ein Pakt mit dem Teufel
Cengiz
Mehrere Baustellen
Elfter Akt: Magie
Gelbe Bananen
Realität und Wahrheit
Gesunde Verrücktheit
Verführung
Gefühlvolle Intelligenz
Der Aufzug
Strafe muss sein
Zwölfter Akt: Flucht und Anrufer
Im Laderaum
Der Anrufer ist ...
Auf der Suche
Kompromiss
Clochard
Erster Akt
GEWITTER, ANFÄNGE IM FRUITS HOUSE
I MEIN GEMÜT
Zum Ausbildungsbeginn nehme ich – weil ich noch keinen Führerschein habe und der Weg etwas zu lang erscheint – den Stadtbus einige Haltestellen weit und erreiche die Stelle Industriegebiet Hollach. Von dort sind es noch einige Minuten zu Fuß zum Fruits House. Das Gebäude ist riesengroß, nicht zuletzt, weil ich noch recht kleinwüchsig bin. Das soll sich in den kommenden Wochen noch ändern, in denen ich einige Zentimeter auf dem Weg zum Erwachsenen gutmache. Der Weg scheint mir nicht zu schwer. Was das Busfahren, aber auch das Erwachsenwerden anbetrifft.
Ich komme an die weiße Türe, sehe sogleich die Klingel, die mir bereits vom Vorstellungsgespräch bekannt ist, und so betätige ich den kleinen aber funktionierenden Schalter. Irgendwie sehe ich sodann, dass die Tür bereits einen Spalt weit offensteht, und so nehme ich meinen Mut zusammen und trete mit meinem rechten Fuß einen halben Schritt hinein. Auf dem Boden ist eine Wasserpfütze zu sehen und das Innere des Gebäudes ist tiefgekühlt. Als ich die Türe nun mit ganzem Körper passieren möchte, kommt ein Angestellter bereits herbeigeeilt und begrüßt mich recht freundlich. Er nennt mir seinen Namen – Pawel
Bogdanowitsch -, später erzählt er mir, er sei der Verkäufer Nummer eins in diesem Betrieb, doch ich kenne solche Sorte Mensch und glaube nur die Hälfte davon, was in seinen braunen, leidenschaftlichen Augen steht.
Er reckt seine Brust hervor um eine Anspielung auf sein Niveau oder seinen Stand in diesem Handelsbetrieb nochmals zu festigen.
Diese Geste verdient einen gewissen Respekt von mir ihm gegenüber, da wir beide uns groß und mächtig geben wollen. Und so versuche ich erneut meine
Stimme zu spüren als ich sage: »So ist das also.« Allerdings weiß ich im nächsten Augenblick schon, dass der werte Herr Bogdanowitsch hier quasi etwas zu viel Bräunungscreme aufträgt. Er legt die Messlatte für mich sehr hoch, kann diese aber selbst keineswegs erreichen. Ich kann nun durch meine Technik an ihm erkennen, wie schäbig gekleidet und bucklig er dasteht. Er lässt seine Schultern sinken und fletscht mit seiner Zunge über seine dunkelroten Lippen. Als er dann von dannen geht, wer weiß wo er hinmöchte, da schließe ich die Türe hinter mir, die ins Schloss fällt.
Ich habe den Ausbilder Holger Dampf am Vorstellungsgespräch noch nichts von meiner entzückenden Gabe berichtet, mit der ich Geister und Engel höre und sehe. Habe mir im Zuge vor einigen Jahren eine seelische Krankheit zugezogen, wie einen Mantel, den man im Winter nicht mehr ausziehen mag. Jederzeit könnte diese Krankheit schlimmer werden, denn ich habe bislang weder einen Psychiater kontaktiert, noch Medikamente eingenommen, und das soll auch – ehrlich gesagt - so bleiben.
Als Holger Dampf sieht wie hochkarätig selbstbewusst ich in sein kaufmännisches Büro eintrete, wo die Jalousien den Raum am frühen Morgen in Schwarz fallen lassen, da rümpft er die Nase und ist ein wenig konsterniert. Habe ich es mit meiner breiten Brust heute und hier übertrieben?
»Herr Dampf. Schön Sie in bester Laune sehen zu dürfen«. Er gibt mir seine Hand zum Gruß so wie es bei ordentlichen Kaufleuten beim Abschluss eines Geschäftes denn Gang und Gäbe ist. Sein Händedruck lässt darauf schließen was er mir hier sagen möchte: Ich bin hier der Chef und jeder muss sich mir unterordnen.
»So, mein lieber Auszubildender. Du gehst mal gleich ins Lager, nimmst dir einen Besen und fegst da erst einmal kräftig durch. Körperliche Arbeit hat noch keinem geschadet und wenn du was werden willst bei Fruits House, dann musst du dich schon beweisen.«
Ich sehe mein unweigerlich selbstverschuldetes Schicksal bereits vor Augen. Keine kaufmännische Ausbildung, kein Bürojob. Das alles kann ich sorgenfrei vergessen. Während ich den Besen schwinge, mache ich mir große Gedanken darüber, wie ich den Chef denn nun vielleicht doch in meine Richtung - an mich – ziehen kann. Er lässt sich also nicht in seinen Hinterhof pinkeln. Da muss ich mich schon gut mit ihm stimmen, denke ich und folge dem nächsten Gedanken.
Kaum sind zwei Gedanken vergangen, da sehe ich durch das Lagerfenster am Eingang des Betriebes wie sich der Himmel in dunkelrosa verfärbt, und sodann soll hier wohl ein ausgewachsener Sturm aufkommen, denke ich. Diese Gedanken sind groß, denke ich weiter. »Meine Güte. Ich fühle mich großartig«, sage ich verblüfft und ausgelassen. »Das bin ich, der dieses verdammte Wetter beherrscht«. Was für mich und mein Leben keine Neuigkeit ist, da das Bewegen oder Beeinflussen von Dingen mir als normale Psychologie erscheint. Erst viel später erfahre ich, dass Psychiater darin eine verquere Manie sehen, eine Übertreibung meiner Botenstoffe in meinem Gehirn, die mir falsche Bilder schicken. Dieses Bild aber nehme ich zum Anlass mein Selbstbewusstsein noch weiter zu stärken.
Ich recke meinen wunderbaren Charakter empor und lächle mit gefletschten Zähnen und spitzen Eckzähnen. »So etwas hatte ich schon mal«. Es wütet der doch zuvor handzahme Wind und ich hoffe, dass die Fahrzeuge auf den Parkplätzen an der Wand des Gebäudes ungestört und unberührt bleiben, schließlich sehe ich gerade in meiner Vorstellung Automobile in den USA von Bäumen erschlagen, die der Wind plötzlich umstößt. »Es ist also wieder soweit«, sage ich mit lauter werdenden Stimme. Keiner beobachtet mich und hört meine Worte, sodass ich meinen realen Wahn voll ausleben kann.
Doch das Gegenteil von gut geschieht dann, denn ein prasselnder Regen, dann Hagel, kommen auf, und ich fühle mich innerlich übel an. Warum muss ich immer wieder diese Extreme ertragen? Einsame Spitze und Niedergeschlagenheit wechseln sich wohl in mir ab und ich kann gar nichts Gutes oder Sinnvolles dagegen ausrichten. Dass das Wetter sich meinem Gemüt anpasst, das ist mir neu. Zuvor habe ich gedacht, das Unwetter kommt mit meinen Worten und meiner Gewalt herbei, aber nein, es entspricht genau meinem Spiegelbild, und ich habe nur Einfluss darauf, wenn ich meine Gefühle steuere, und dies scheint mir aussichtslos zu sein.
Aus dem großen Verkaufsbüro höre ich Fenster auf- und zuschlagen. Es ist das Büro von Holger Dampf und seinem Verkaufsleiter Klaus Helmer, den ich noch kennenlernen werde. Meine Chance ist da, der Held kann in mir hervorkommen und so spurte ich die wenigen Meter durch eine Tür zum Büro, stürze hoffnungsvoll und mutig hinein und dränge mich zwischen die anderen hindurch. »Chef. Ich mache das schon. Ich kann das. Das wäre ja gelacht«. Ich muss einfach Mut produzieren und werde so immer stärker. Es muss jetzt Gewalt her, denke ich. Mit einer unbändigen Macht und Kraft drücke ich das große Fenster im großen Büro zu und verschließe es mit den Griffen. Der aufgeblähte Wind stößt noch ein letztes Mal mit einer Wucht gegen das Fenster und der Hagel lässt davon ab auf die Scheiben zu schlagen.
Als sich alle beruhigt und gesetzt haben, richtet mein Chef ein Wort an mich. »Das hast du gut gemacht, Herr Bordeaux. Du kannst jetzt den Besen wegstellen und zu mir kommen, denn du hast echt bewiesen, dass du zu unserem Team gehörst.«
Als ich diese Worte vernehme, lächele ich Holger Dampf aber auch Klaus Helmer sehr freundlich an, habe wohl ihr Vertrauen gehörig gewonnen, durch mein spontanes Eingreifen und meinen kumpelhaften Mut. Ich bemerke in diesem Augenblick, dass diese meine ausgeübte Macht gegen