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Tot Das Taschenbuch
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eBook367 Seiten5 Stunden

Tot Das Taschenbuch

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Über dieses E-Book

Der 19-Jährige Abiturient Jonathan Seelig stößt durch Zufall auf eine Sache, die keinen Aufschub und kein Darüber-Hinwegsehen duldet. Er schaltet die Polizei ein, die wiederum lässt einen Chemiker kommen. Dieser vollführt ein Experiment, das für die Bundesrepublik Deutschland von großer Wichtigkeit erscheint. Selbst die Amerikaner haften sich an die darin verwickelte Bundeskanzlerin an, die Zweifel an den Tag legt und die ihren General auf die Spur bringen muss.
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum2. Dez. 2019
ISBN9783740702908
Tot Das Taschenbuch
Autor

Viktor Kamerer

Viktor Kamerer, geboren 1976, absolvierte kaufmännische Schulen bis zum Mittleren Management und arbeitete in einem Großhandel, bis er sich dem Schreiben widmete. Seit 2017 veröffentlicht er Gesellschafts- und Mysteryromane, alles beim Twentysix Verlag.

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    Buchvorschau

    Tot Das Taschenbuch - Viktor Kamerer

    Gesicht.

    TEIL 1

    HAUPTTEIL

    KAPITEL 1

    EINE FAMILIE

    1

    Einige Meter weiter erspähte Douglas eine Familie mit Vater, Mutter und Kind. Er begrüßte sie anständig und mit angenehmer Stimme und hatte so etwas wie ein Lächeln auf dem Gesicht, was man auch akustisch vernehmen konnte. ››Sind Sie Deutsche?‹‹, fragte er und hob dabei wie selbstverständlich die Augenbrauen.

    Der Vater entgegnete mit einem ››ja‹‹. Ob das denn ein Problem darstelle, dass sie Deutsche seien. ››Nein, nein. Ich selbst bin ja Amerikaner, aber ich habe nichts gegen die Deutschen. Ich lebe schließlich in diesem Land. Da muss man sich schon integrieren.‹‹

    Offensichtlich hatte Douglas eine Finte geschlagen und der Familienvater auf der anderen Seite hatte nichts Schräges, Sonderbares erkennen können. Vielmehr lag ihm Douglas mit dem Herzen und dem Charakter sehr nahe, denn beide Männer kümmerten sich umeinander.

    Douglas führte den großgewachsenen Mann, die ebenso große Frau, und den kleinen Jungen im Saal herum, wo einige Särge bester Qualität ausgestellt waren. Douglas war stolz auf sein Unternehmen und zeigte das auch gerne den Besuchern. ››Die hier sind heute vom Bestatter Poker und Sohn eingetroffen. Wenn Sie möchten öffne ich einen Sarg für Sie. Natürlich nur, wenn Sie starke Nerven haben. Ihr Kind sollte die Augen schließen.‹‹

    2

    Der einfache Familienvater schüttelte überrascht und ängstlich den Kopf. Die Augen seiner Frau traten aus den Höhlen hervor und das vierjährige, rotbackige Kind fing an zu weinen. Zu den Öfen aber führte er die Kunden nie, zu sehr würde das sein kleines Geheimnis gefährden und es war tatsächlich ein Geheimnis, das wussten nur er und seine Angestellten, und selbst diese ließ er in einigen Teilen im Regen und in Unwissenheit stehen.

    Dann aber wirkte Douglas wieder sehr kompetent und sehr vernünftig. Hatte er sein arglistiges Verrücktsein dann doch wieder abgelegt, jetzt, da der Junge weinte? ››Haben Sie einen Angehörigen verloren? Sie möchten sicherlich wissen, wie die Feuerbestattung bei uns abläuft.‹‹

    ››Hmmh‹‹, sagte der Vater und nickte Douglas Humberg dann doch freundschaftlich zu. ››Sollten die befüllten Särge nicht gekühlt werden, solange, wie sie hier drinnen im Saal stehen?‹‹

    Das gefiel dem Unternehmer Douglas überhaupt nicht, dass dieser doch zunächst so freundliche Herr, hier auf seinen Gefühlen herumtrampelte, wo doch dieser Betrieb sein ›Baby‹ ist. Douglas räusperte sich und ließ die Antwort auf sich warten. Er presste die Lippen zusammen und ließ ein ››argh‹‹ aus seinem Mund hervorquellen. Schließlich bemerkte der Familienvater Douglas` Bein, das dieser immer wieder und immer kräftig mit seiner Hand rieb. ››Sie haben da ein Malheur, werter Herr?‹‹

    ››Oh, nein, mein Sohn. Das habe ich schon von Geburt an. Sie sollten das überhaupt nicht beachten. Es ist nur eine verdammte, komplexe Krankheit, genetisch bedingt, aber ich komme sehr gut damit zurecht, oder würden Sie sagen ich humple hier herum?‹‹

    ››Und wie heißt diese so komplexe Krankheit, wenn ich fragen darf?‹‹ Das schlug Douglas jetzt aber arg auf den Magen, dass der einfache Familienvater so frech und keck daherkam. Er selbst wäre ja nie auf solche Fragen gekommen, zu sensibel und mitfühlend sah er sich selbst.

    ››Wissen Sie, werter Mann. Die Psyche, die Nerven, der Körper. Das hängt alles damit zusammen. Wie die Krankheit jetzt genau und auf Latein heißt, kann ich Ihnen nicht sagen. Aber es scheint mir viel besser, wir wüssten alle weniger über Krankheiten und Leiden. Verstehen Sie, mein Sohn? Ich möchte jetzt und immer überhaupt nicht darüber reden, schließlich verfällt man dabei nur noch mehr in Trauer, Wut und Selbstzerstörung.‹‹

    ››Hmmh‹‹. Erneut dieser Laut vom Vater der anwesenden Familie. ››Eine interessante Theorie‹‹, sagte der Vater, erneut fragend und jetzt auch noch arrogant.

    Obwohl der Vater Douglas` Theorie zuerst skeptisch gegenüberstand, hatte er doch, in Gedanken gefangen, immer mehr die Idee, dass es möglich war, durch Schweigen, Krankheiten gar nicht erst aufkommen zu lassen. ››Interessant‹‹ war hier das richtige Wort und der Vater musste jetzt Herrn Humberg im Auge behalten und ihm Kontra geben, nicht zuletzt wegen seines Sohnes, der einfach ››das Richtige‹‹ von seinem Vorbild erlernen sollte. Gut wer einen tollen, aufmerksamen Vater hat.

    3

    Der Vater griff sich an das Kinn und fragte, wie das denn mit einer Einäscherung vonstattenginge? Er habe sich zwar schon im Internet informiert, aber vielleicht würde der Feuerbestatter noch einige Details dazu nennen können. Jetzt war wieder Ernst und Nüchternheit eingekehrt, und der Familienvater hatte immer seinen kleinen Sohn im Blick, fest haftete auch der Junge seine Augen auf seinen – stolz war der Junge – umwerfenden Vater.

    Douglas griff sich grobschlächtig und anmaßend an die rechte Pobacke und druckste da unbehaglich herum. Er wollte nichts Falsches sagen, zu dämonisch waren die Gedanken, die in seinem Kopf herumschwirrten und ihn angreifbar machten – und das in letzter Zeit immer mehr. Er dachte an die Schreie gerade eben und hatte jetzt noch ein weiteres Bild vor seinen großen Augen, etwas Zukünftiges wohl, das er niemandem zu beschreiben vermochte. Zu grausam ist diese Vorstellung, zu heftig seine in der Luft liegenden Taten. Dann hatte er plötzlich auch die Bilder der letzten Wochen vor sich ablaufen sehen. Die Öfen. Das Feuer, und zuletzt diese silbernen Tropfen, deren Geheimnis er noch immer nicht preisgeben will.

    Was war in ihn gefahren, dass er so etwas Grauenhaftes sah? Direkt vor ihm schienen diese Bilder wie in Zeitlupe abzulaufen, mit schrecklichem Filter, wie sie heute auf Handykameras installiert sind. Er gab sich einen schnellen Ruck und schleuderte sodann die Antwort auf die Frage raus: ››Auf die Särge stelle ich einen Stein, einen solchen, der die Hitze und das Feuer überlebt. Darauf zeichne ich den Namen und eine gewisse Nummer darauf. Nach der Kremation kommt der Stein in eine Urne. Daraufhin graviere ich alle Daten, also Namen, Geburts- und Todestag.‹‹

    Als er diese langwierige und doch schnell vorgetragene Information geendet hatte, meinte der Familienvater, dass sei ja alles recht und gut. Douglas aber prahlte mit ausgestreckter Brust und lächelte wie ein Berserker. Als der Familienvater ihn hierauf respektlos ignorierte, gab sich Douglas Humberg eine gewisse Schuld. Das sah man an seinem rotbackigen Gesichtsausdruck und seinen schweißnassen Händen. Als er dann über sein kurzgeschnittenes Haar glitt, erkannte der Vater eine gewisse Arroganz und Selbstverliebtheit. Im nächsten Moment beschloss der Vater, dieses Krematorium zu meiden und sich schleunigst aus dem Staub zu machen. In ihm war irgendwie ein negatives Gefühl hochgekommen, das ihn zur Absage weiterer Gespräche und jedweder Verhandlungen verführte. War hier Douglas, mit all dem Mut den er gewiss hat, und mit aller Nüchternheit in der Sache, dann doch zu weit gegangen? Hatte er sich die Familie anders, schräger vorgestellt, so, wie er selbst denn war? Alles in allem war jedoch nun alles verloren, jede Chance auf eine Übereinkunft abgetan, und wieder einmal hatte sich ein Kunde ein Bild von Douglas gemacht, dem der Feuerbestatter selbst kaum entfliehen konnte.

    Der Vater drängte Frau und Kind zur Tür hinaus und schloss diese hinter sich. Das müsse er sich nicht geben, und sein Sohn erst recht nicht. Er hatte einen schrecklich missmutigen Blick. Douglas aber war schon wieder ganz in seinem Element, wo er doch dachte, er müsse nur das eine oder andere Mal souveräner auftreten. Er müsse nur die Gespräche ein wenig freundlicher, und doch drängender auf den Abschluss der Geschäfte, halten. Was weiß der denn schon? Dieser Winzling von Mensch, so groß er auch sein mag. Für mich ist er ein Blutegel, der mich nur aussagen will. Das können sie alle vergessen. Mich kann man nicht stoppen. Hört Ihr? Ihr Dämonen. Mich kriegt Ihr nicht klein, keinesfalls. Und so ging er zwei Schritte in Richtung Ofen Marke Selbstbau, und beschleunigte dann bis zum genannten Ofen. Das Feuer darin war bereits verblasst.

    4

    ››Erledigt?‹‹, fragte er seinen türkischstämmigen Angestellten, der hier, in Langweile gehüllt, in der Gegend herumstand.

    ››Chef. Alles ist tot. So wie Sie es wünschen. Ich hoffe nur nicht, dass ich einst sterbe und in diesen unheimlichen Ofen hineinkomme.‹‹

    ››Mein lieber, bedauernswerter Mohammed. Mache dir keine Sorgen. Du hast mir nichts getan, und das ist das Wichtigste für mich. Tue einfach immer was ich sage und dein Gewissen ist rein.‹‹

    ‹‹Mein Gewissen ist rein, Chef?‹‹ wiederholte Mohammed, mehr fragend als feststellend.

    ››Na siehst du. Wir verstehen uns doch blendend. Und jetzt gehe in den Eingangssaal und kehre den Boden. Hast ja sonst nichts zu tun.‹‹

    Mohammed kniff sich geistig in die Backe. Er musste jetzt ruhig und gelassen bleiben, dann sollte ihm nichts weiter Schlechtes passieren. Er bemerkte zwar schon längst, dass sein überaus selbstbewusster Chef ein undankbarer Chauvinist war, und doch wollte er diese Stelle behalten, und auch diesen Chef behalten, denn er hatte sich in diese Handlungen verliebt, hatte sich in einen Vampir verliebt, wie der Werwolf aus dem ersten ›Underworld‹ Film. Nur war Douglas keineswegs – auch für Mohammed nicht – so hübsch wie die werte Hauptdarstellerin Kate Beckinsale, die eine hervorragende Figur in der ganzen Reihe der Underworld-Filme macht.

    Mohamed hatte gerade das Bild der Schauspielerin direkt vor seinen Augen, als sich eine sexuelle Erregung in seiner Hose ausbeulte.

    5

    Douglas kam gerade an seinem Büro an, als…

    ››Sie sind doch sicherlich verheiratet, Herr Humberg?‹‹ fragte nun der vor dem Büro stehende Robert. Robert war ein Russlanddeutscher, klein und dick, aber durchsetzungsfähig wie ein Bär. Er hatte ebenfalls – wie Mohammed - einen schwarzen Anzug und dunkelbraune ›Loyd‹ Schuhe an. Doch das konnte ihm hier nicht zur Rettung gereichen. Was maßt sich dieser Typ da an, mich so anzusprechen? dachte Douglas und sah seinen Untergebenen grauenhaft störrisch an. Seine Mutter kann sich mit ihm sehr glücklich schätzen, dachte er weiter. Dann flüsterte er in harschem Ton: ››Gehen Sie an die Arbeit.‹‹

    ››Wie bitte?‹‹, fragte Robert. Herr Humberg war rot vor Wut. Robert bemerkte das, aber viel zu spät und konnte sich jetzt nur noch wegducken, was ihm misslang, als Herr Humberg ihm einen schweren und kräftigen Tritt in den Allerwertesten verpasste, um sich sodann, nach dem unschönen aber notwendigem Ausfall, in seinem geschützten Büro geflissentlich zu verschanzen.

    Robert stolperte über seine eigenen Beine, fing sich aber wieder und schimpfte Herrn Humberg hinterher: ››Sie Mistkerl. Eines Tages hetze ich die Bullen auf Sie los. Sie können das ruhig hören, ich habe tatsächlich ein reines Gewissen, Sie aber…was wollen Sie dazu sagen, bei all dem Schund, den Sie hier fabrizieren.‹‹ Dann sprach er etwas leiser zu sich selbst: ››Er hat doch keine Ahnung von dem Geschäft hier. Er sollte sich was schämen überhaupt Geschäftsführer hier sein zu können, bei all dem Mist, den er hier redet. Sogar mit den Kunden ist er harsch und intolerant.‹‹

    KAPITEL 2

    JONATHAN

    1

    Polizeibehörde

    In Schwäbisch Gmünd stand auch ein hervorragend geführtes Polizeirevier. Der Polizeichef hatte sich zum Ziel gesetzt seinen Untergebenen freundlich zu begegnen, so wie wir es vorhin bei Douglas Humberg beobachten konnten. Spaß bei Seite, die Leute da drin waren scheußlich angezogen und mit den Manieren haperte es ebenfalls. Deutsch zu sein bedeutete zwar, nüchtern und beugsam vorzugehen, die Linksradikalen hatten sich zum Ziel gemacht, dem Volk zum Aufgeben ihrer Individualität zu verhelfen, ihnen den Kopf zu waschen und sie linker zu machen als es Ghandi je gewesen war.

    Der am Empfang stehende Beamte aber stellte wohl eine Gegensätzlichkeit dar, wie wir gleich, im Verlauf eines Gespräches, sehen und hören werden. Denn auch wenn fast ausnahmslos alle hier für Ausländer aufrecht eingestanden waren, so war dieser eine hier ein wenig anders als die anderen. ››Solche Leute brauchen wir bei der Polizei, junger Mann. LKW Führerschein und Kampfsporterfahrung, sagten Sie? Ich brauche nur noch ihren Ausweis. Ist nur eine Formalität, keine Sorge.‹‹

    Ein hochgewachsener, kräftiger, junger Mann stand vor dem Polizeibeamten, der gerade die Bewerbung des 19-Jährigen persönlich und vertraulich annahm. ››Abitur haben Sie auch?‹‹ Jonathan nickte, griff in seinen kleinen Rucksack und holte daraus seinen unverbrauchten Ausweis hervor.

    Der Polizist kam um den Tresen herum zu Jonathan, der vor dem Tresen stand und geduldig wartete, bis der Polizist sich kurz und knapp seinen Ausweis ansah. Währenddessen schaute der 19-Jährige sich eine Kopie eines Bildes von van Gogh an der Wand an. Er wusste zwar nicht wie das Bild hieß, aber es waren viele gelbe Blumen darauf zu sehen und das hatte Jonathan noch in seiner Erinnerung gespeichert.

    Jonathan hatte nichts zu verbergen und so stand er auch da: Selbstbewusst und gerade, wie ein angehender Kommissar. Ein Spezialkommando wäre auch nicht schlecht, dachte er sich und malte sich schon in seinem Bewusstsein Bilder von Einsätzen als Spezialkraft aus. Seine Fantasie kannte keine Grenzen. Die werden mich schon nehmen, dachte er und lächelte den Beamten an.

    2

    Der junge Mann war einfach vorbildlich und perfekt für die Ausbildungsstelle als Polizist. Der Beamte ihm gegenüber hatte kein Abitur und auch eine Kampfausbildung erlaubte er sich erst spät, während eines Seminars, vor einigen Monaten. Jonathan sah ihm an, dass er dennoch ein kampferprobter Zeitgenosse war, aber er sah ihm auch an, dass er erst vor einigen Monaten politisch etwas nach rechts gerutscht war. Dies bestätigte sich im weiteren Verlauf.

    Der Polizeibeamte schaute nun verdutzt drein, sah sich Jonathan nochmals genauer an und kratzte sich am narbigen Hals. Er errötete und ein Kloß hatte sich im Hals gebildet, den er aber sogleich wieder lösen würde, als der Mut ihn überfiel und die Kraft der eigentlich politischen Mitte sich in ihm aufgebaut hatte.

    ››Sehen Sie hier, junger Mann…stimmt das? Hier steht Sie sind in Betlehem geboren. Dann sind Sie also ein Jude.‹‹

    Der Beamte bekam urplötzlich ein bleichweißes Gesicht und Jonathan erkannte, dass dieser Ausweis für den Beamten ein Problem darstellte. Ich denke doch auch nicht schlecht über Sie, dachte Jonathan, wo Sie doch patriotischer sind als jeder andere. Er ging einen Schritt auf ihn zu und meinte, er sei zwar in Israel geboren, sei aber Deutscher wie auch seine Eltern Deutsche sind. Der Beamte sah Jonathan ganz genau an und spürte dessen Art und Weise. ››Jonathan Seelig, also‹‹, las der Polizist und dachte forschend nach. Die Wahrheit schien quasi schon in seinem Kopf zu rattern, doch was die Wahrheit für den Beamten war, das konnte Jonathan nicht ausmachen.

    ››Ich bin Deutscher, Herr Polizist.‹‹

    ››Dann haben Sie die Doppelte Staatsbürgerschaft?‹‹

    ››Nein, nur Deutscher. Mein Vater ist Bauingenieur und meine Mutter Missionarin. Sie waren wegen eines Einsatzes meiner Mutter nach Israel gegangen und da wurde ich geboren.‹‹

    ››So so‹‹, sagte der Beamte und anschließende Gedanken kreisten in seinem Kopf. ››Und warum genau sind ihre Eltern dahin gegangen? Hatten sie da Vorfahren?‹‹

    ››Nein, hatten sie nicht.‹‹

    ‹‹Und trotzdem sind Sie in Betlehem geboren, und das macht schon etwas aus, was Ihre Art und Weise betrifft.‹‹ Der Polizist benahm sich munter, doch abwertend, Jonathan Seelig gegenüber. Doch hatte er womöglich recht, so zu handeln und zu reden, wo Jonathan ihm doch in seinen Augen naiv und links vorgekommen war?

    Jonathan Seelig hatte nicht mehr viel Geduld auf den Rippen. warum musste er sich hier so verteidigen? Gegen einen Typen, der doppelt so große Armmuskeln hatte als er, und der heute, seiner Meinung nach, das Gehirn zuhause gelassen hatte. Das beide sich nicht verstanden kam ihm komisch vor, war doch das Gespräch zunächst sehr positiv verlaufen. Sie mochten sich zunächst sehr, waren auf einer Linie, bis…bis eben der Ausweis ihnen beiden einen Strich durch die hohe und ungerechtfertigte Rechnung gemacht hatte.

    Dann sagte Jonathan: ››Wir haben uns doch gerade eben so gut verstanden. Hat nicht jeder die gleiche Chance verdient? Sie sollten sich an die eigene Nase greifen. Sie verstehen nicht, dass selbst wenn ich Jude wäre, ich hier meine Rechte habe.‹‹

    ››Meine Güte. Dann geben Sie zu, Jude zu sein.‹‹

    Jonathan streckte seine Hände zum Beamten aus und forderte: ››Geben Sie mir meine Papiere zurück. Das hat keinen Wert. Sie sind…‹‹

    ››Was bin ich? Nur langsam Freundchen‹‹, drohte der muskulöse Beamte mit hochgezogener Stirn und leuchtendroten Augen.

    3

    Jonathan griff nach seinem Ausweis und den sonstigen Papieren, die er dem zunächst so freundlichen Polizeibeamten ausgehändigt hatte, und so machte er kehrt und verließ das große, schlaue Gebäude, mit dem dummen Polizisten darin.

    Er hatte immer geglaubt, dass die Polizei integer wäre und eine angenehme und gerechte Institution sei, schließlich wollte er dort eine Ausbildung anfangen, doch das war weit gefehlt. Er musste sich besinnen und überlegen, ob diese Beamtenschaft überhaupt etwas für ihn wäre, oder ob er nicht lieber in die Wirtschaft ginge, wo es womöglich zwar um Geld aber auch um Psychologie ging, und für die interessierte er sich außerordentlich.

    Seine Berufswünsche waren also vielseitig: ein Polizist, ein Psychologe, ein Betriebswirt? Was denn nun? Wohin sollte es ihn verschlagen in dieser heute so furchtbar grauenhaften Welt, wo sich links und rechts nicht riechen können und wo Jonathan sich zu den Schwachen einreihen würde. Ob das die richtige Lösung ist, das wusste er auch nicht, zu widersprüchlich waren die Linken, aber die Rechten gefielen ihm auch nicht, wegen ihrer Hauruck-Parolen und -Gedanken. Noch wusste er nicht was die Wahrheit tatsächlich für ihn bereithielt, politisch wie beruflich gesehen.

    Er stieg in seinen blauen Subaru, startete den Motor und legte den Rückwärtsgang ein, um sogleich seinen irrgewordenen Gedanken zu entkommen. Der Polizist hatte ihn ganz durcheinandergebracht und ihm eine Wut beigebracht, die er nun zügeln musste. Er konnte sich nicht im Recht wiegen, denn Zweifel hatten ihn überkommen, was die Naivität der einen und die Grobheit der anderen anbetraf. Aber war es auch so, wie Jonathan es spürte? Fühlte er die ganze, unauslöschliche Realität? War er womöglich gefangen in einer Gehirnwäsche der linken Medien jedweder Art? Ob Zeitung oder das Fernsehen, alle droschen sie auf die Rechten ein, die in Jonathans Augen und Meinung natürlich zu diesem Land dazugehören, nicht zuletzt wegen unserer Demokratie und Meinungsfreiheit.

    4

    Er gab Gas und fragte sich, was hier gerade geschehen war und wie er nun darauf reagieren sollte. All die Ungerechtigkeit in der Welt, dachte er. Haben die Juden nicht schon genug Leid mitgemacht in der Menschheitsgeschichte? Sind sie doch immer noch quasi im Krieg mit den Muslimen und jetzt auch noch hier mit den Deutschen? Hier, im gelobten Land mit ihrer Zivilisation und ihrer Willkommenskultur. Alles weg? Alles schon wieder der Vergangenheit unterlegen? Und was kann ich dafür, dass ich Jude bin? Habe ich Schuld, dass Netanjahu robust und strickt vorgeht gegen die Muslime nebst seinem heiligen und gelobten Land? Und bin ich denn so anders, als die echten Deutschen, die hier geboren wurden und die mit der Muttermilch schon die Bräuche und Sitten der Deutschen getrunken hatten?

    Institut

    Er legte die Gänge nacheinander ein, zuerst den ersten, dann den zweiten und den dritten Gang. Sein blauer Subaru, der schon alt war, krächzte quasi, schlug ein Paar Töne hervor und hatte große Mühe auf Touren zu kommen. Jonathan machte sich mit seinem Gefährt auf den Weg in ein Institut für Feuerbestattung, da gestern sein von vielen geliebter Großvater mit 66 Jahren gestorben war und er ihn nochmal aufgebahrt sehen wollte. Sein Opa hatte bis zuletzt eine Kindlichkeit in seinem Herzen und in seinem Verstand bewahrt, die Jonathan, seinem Enkel, sehr gut gefiel. Er selbst hatte eine solche Jungfräulichkeit für sich behalten, doch der Polizist von eben hatte ihn doch sehr aufgeregt, ihn praktisch aus seinem Schneckenhäuschen herausgelockt. Jetzt müsste er sich beruhigen, denn das brauchte er jetzt, wenn er vor seinen Großvater treten würde. Er war alt genug das alleine tun zu können, ohne seine Eltern, die zu einer anderen Stunde dahinkommen sollten. Und er war in seiner Gerechtigkeit, auch wegen des jungen Alters, ganz weit vorne. Diese Gerechtigkeit war es, die ihn noch in Schwierigkeiten bringen sollte.

    Mehrere weiße Gebäude aneinandergebaut. Flachdach. So sah das Institut für Feuerbestattung von außen aus. Eher schlicht gehalten als pompös. Mehr dem Zweck dienlich als einem schönen Erscheinungsbild für all die Familien, die noch zur Beschauung vorbeischauten.

    Jonathan klingelte zwei Mal mit festem Druck an der Tür und der Angestellte Robert öffnete ihm, herzlich und zuvorkommend. Jonathan hatte aber wahrlich Besseres und Wichtigeres zu tun als zu Lächeln und gut drauf zu sein und sagte nur das Nötigste. Er wolle seinen verstorbenen, ihm liebgewonnenen Opa besuchen kommen, es dauere auch nicht lange. Er liebe diesen Alten dermaßen, wiederholte er, dass er ihn sich noch einmal, zum Abschied, anschauen müsse. Er kannte den ungeheuren Anblick von Leichen nur aus dem Fernseher, aber das hier war noch eine Nummer ärger. Das hier schmeckte ihm nicht. ››Kein Problem, bleiben Sie solange wie sie möchten. Ihr Opa liegt dort drüben. Es ist der offene Sarg, in dem er aufgebahrt liegt.‹‹

    Jonathan kratzte, im Saal verloren, am Holz des Sarges und sah dann seinem Opa unverschämt ins Gesicht. Dieses war eingefallen und auch der Anzug war viel zu groß geworden. Opa hatte in den letzten beiden Wochen schnell und unvorteilhaft an Gewicht verloren, das wusste der junge Jonathan, das hatte er von seinen Eltern gehört, und das konnte er hier auch selbst beobachten. Der Anblick des Opas war ihm schauderhaft vorgekommen und er würgte, beinahe wäre ihm Erbrochenes aus dem Mund geflossen. Doch er hielt noch einen Moment durch und zwang sich, mit seinem Besuch Opa die Würde zu geben die er auch für sich selbst beanspruchen würde. Eine Würde, die sich der Alte verdient hatte, in all dem Bestreben seinen Job als Nachtwächter und seine Herzlichkeit mit den Enkeln gut auszuführen. So lächelte Jonathan den Alten dann doch sehr freundlich und erleichtert an, kam näher heran und streichelte Opa an seinem linken, dünnen Arm. Eine Geste, die ihm gut gelang, so dachte er zumindest. Eine Geste der Liebe zu dem 66-Jährigen, die er bislang in ihrem Leben doch vermissen ließ. Doch jetzt war er gefühlsmäßig etwas weiter und konnte sich eine große, dicke Träne nicht verkneifen und verbieten.

    Der furchtbare Polizist von vorhin hatte ihn wohl dermaßen gebrochen, hatte ihn, neben dem entstandenen Ärger, den er für den Polizisten verspürte, auch weicher und empathischer gemacht. Die Lage hier im Saal des Krematoriums war prekär, aber auch sehr schön für Jonathan. Er hatte sich eine Stunde Zeit genommen, um diese Momente mit Opa, hier im Institut, voll auszukosten. Er war politisch gesehen schon immer ein linker Zeitgenosse gewesen, aber jetzt spürte er mehr viel mehr als jemals zuvor. Er spürte die quasi eingefrorenen Gesichtszüge des Alten, erkannte darin dessen so wunderbaren, typischen Charakter und wollte diese herzzerreißende Szene nicht wieder verlassen. Zu sehr war er nun, nach dem anfänglichen Schauder, liebreich geworden, als dass er Opa schon nach wenigen Minuten hätte verlassen wollen. Zu sehr hatte sich eine Leichtigkeit und ein Selbstverständnis zu Gefühlen in ihm ausgebreitet.

    Plötzlich hörten die beiden Anwesenden, Angestellte Robert und Gast Jonathan, gut hin, als nämlich offensichtlich ein Ofen, unweit von ihnen, lauthals brannte. Man konnte das rotgelbe Feuer, die brutzelnden Flammen, hören, und das interessierte den 19-jährigen ungemein, denn schließlich sollte auch Opa baldigst, vielleicht schon heute, eingeäschert werden.

    Dass die Sache, hier im Krematorium, aber ein wenig spektakulärer war, das wusste der 19-Jährige, aufmerksame gewiss noch nicht und sollte er es sodann irgendwie in Erfahrung bringen, dann würde er wohl – und so war in diesen Minuten sein Gefühl - ohne zu zögern die Hölle in Bewegung setzen, um der wieder einmal auftauchenden Ungerechtigkeit Einhalt zu gebieten. Aber was um Himmels Willen war hier ungerecht? Hatte Jonathan schon ein Gefühl aufgefangen, hatte sich ein Verdacht zumindest ein wenig erhärtet, dass hier, mit den hohen und dunklen Räumen, mit der ganzen Atmosphäre etwas nicht stimmen konnte?

    ››Ich denke irgendetwas ist hier faul‹‹, flüsterte er. ››Zum ersten Mal bin ich mir sicher, dass ich es spüren kann. Dass der Angestellte schwarz trägt ist ja wohl verständlich, aber muss dieses Institut denn unbedingt wie eine Grotte aussehen? Von außen weiß und rein und hier drinnen das einfache Grauen?‹‹

    5

    Jonathan kam dem glühenden, lautstarken Ofen beträchtlich nahe und sah, neugierig und auf Hoffnung bauend, durch ein Fenster, das in der Seite des Ofens angebracht war, hinein. Was ist das? dachte er dabei. Das kann nicht wahr sein. Was ist hier nur los? kam es jetzt plötzlich und wild in ihm auf. Und da kam ihm zum ersten Mal in seinem noch jungen, jungfräulichen Leben so etwas wie eine Vision. Er sah einen schreienden Körper hinter dem weißen, milchigen Glas, der sich wandte in einem lodernden Feuer im Ofen. Er spürte die Angst und die Qual des Menschen da drin und hatte das Grauen in dessen Gesicht gesehen, mit seinem jetzt dazugewonnenen dritten Auge. Denn es war keine normale Vision, nein, es war die nackte unbeugsame Realität. Denn in den Flammen sah er, tatsächlich und ohne Leugnung, die Seele eines Toten, die sich abquälte und schrie und wandte. Wie furchtbar, dachte er. Was geht hier denn verdammt noch mal vor? Ich bin mir sicher, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht.

    So viel er wusste und sagen konnte, sollten die Seelen der Toten aus ihren irdischen, menschlichen Körpern in den Himmel aufsteigen, doch diese wunderbare Seele hier wurde verbrannt, entstellt und dahingemetzelt. Noch immer litt die brennende Seele, verschiedene bunte Farben an der Seele wurden für Jonathan sichtbar und der Körper, die Leiche, samt dem Sarg, wurden zur Asche dahingegeben. Da lagen nun die Überreste der Leiche in einem mitteldunklen grau. Zuerst lag Schönheit auf der bunten Seele, jetzt aber war diese Anmut dahin und Jonathan konnte alles – mit all dem neugewonnenen Gefühl in seinem Herzen und auf seinen Augen - genau mitverfolgen.

    Das Feuer brannte dennoch weiter, immer weiter, und die Seele tauchte kurzerhand wieder auf, ganz in den Farben grau und rot, so wie Asche und Feuer. Die arme Seele stieß von Wand zu Wand, prallte auch am Fenster auf, und schrie etwas, das Jonathan zwar ohne Schwierigkeit vernehmen aber nicht entziffern und begreifen konnte. Wie schrecklich. Was für ein Irrsinn. Das ist doch alles verkehrt. Wie kommt es, dass sich es sehen und hören kann? Sensibilität, das ist es. Das ist nun in mich gefallen und ich bin andererseits auch froh darüber.

    Unmenschliches tat sich hier im Ofen des Krematoriums auf und der Verursacher oder Verantwortliche musste sofort gestellt und angeklagt werden. Wieder so eine Ungerechtigkeit, denn keiner hatte es verdient so

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