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Ziegelgold: Das Geheimnis von Kleiborg
Ziegelgold: Das Geheimnis von Kleiborg
Ziegelgold: Das Geheimnis von Kleiborg
eBook278 Seiten4 Stunden

Ziegelgold: Das Geheimnis von Kleiborg

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Über dieses E-Book

14. Oktober 1936. In Kleiborg beginnt ein trister, nasskalter Herbsttag, wie er für Ostfriesland in dieser Jahreszeit typisch ist. Doch dieser Herbstmorgen ist anders. Die Nachricht von dem Verbrechen verbreitet sich wie ein Lauffeuer in dem kleinen Dorf an der Ems: Der Ziegeleibesitzer Henk Deependaal, der reichste Mann Kleiborgs, wird in einem Trockenschuppen seiner Ziegelei erschossen aufgefunden. Ein mysteriöser Fall, der nie aufgeklärt wurde.

Über 70 Jahre später entdecken die 14-jährigen Freunde Alex und Tim zufällig eine Spur, die auf das längst in Vergessenheit geratene Verbrechen hinweist. Doch sie sind nicht die Einzigen, die sich für den Fall interessieren. Ein Oldenburger Historiker sucht ebenfalls nach Hinweisen auf den unbekannten Mörder von 1936. Als die Jungen jedoch sein wahres Motiv erkennen, befinden sie sich bereits in akuter Lebensgefahr.

NOMINIERT FÜR "DER NEUE BUCHPREIS 2012.de"
SpracheDeutsch
Herausgeberepubli
Erscheinungsdatum28. Dez. 2011
ISBN9783844215175
Ziegelgold: Das Geheimnis von Kleiborg

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    Buchvorschau

    Ziegelgold - Tom Brook

    Imprint

    Ziegelgold – Das Geheimnis von Kleiborg

    Tom Brook

    published by:

    epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

    Auch als Printversion erhältlich: www.epubli.de

    Copyright: © 2011 Tom Brook

    ziegelgold@gmx.de

    Umschlagkonzept: PHKgrafik

    Foto: „bricks" Asperta Palma CC-by 3.0

    ISBN 978-3-8442-1517-5


    Prolog

    Es regnete in Strömen, als er mit hochgeschlagenem Mantelkragen fluchend über den verschlammten Hof zum Verwaltungsgebäude lief. Tagelanger Regen hatte den Boden hoffnungslos aufgeweicht. Missmutig schaute er nach oben. Der wolkenverhangene Mond ließ die Ziegelei in einem gespenstischen Licht erscheinen. Die Zeit drängte. Vor einer Stunde hatte er überraschend ein Telegramm seiner Dienststelle in Bremen erhalten, in dem ihm unmissverständlich erklärt wurde, dass er nun endlich verwertbare Ergebnisse abliefern müsse. Ansonsten werde er mit sofortiger Wirkung von dem Auftrag abgezogen, hieß es dort weiter. Er atmete tief durch. Es ging schließlich um eine Menge Geld und man hatte viel Vertrauen in ihn gesetzt. Wenn seine viel versprechende Karriere nicht frühzeitig zu Ende gehen sollte, dann musste dringend etwas passieren. Und zwar an diesem Abend noch. Wutentbrannt zerknüllte er das Telegramm in seiner Manteltasche.

    Seit über einem Jahr arbeitete er bereits in dieser gottverlassenen Einöde im äußersten Nordwesten des Reiches. So lange war er nun schon bei dem sturen Ziegeleibesitzer beschäftigt. Als kaufmännischer Leiter hatte er in dieser Zeit hart dafür gearbeitet, dass der ihm zumindest in beruflichen Dingen das nötigste Vertrauen schenkte. Privat ließ dieser Amsterdamer Dickschädel allerdings keinen Menschen an sich heran. Anscheinend vertraute er selbst seiner Frau und seinen Kindern nicht. Zornig stapfte er mit seinen polierten schwarzen Stiefeln durch den Schlamm. Wenn er gewusst hätte, wie mühsam und langwierig dieser Auftrag werden würde, hätte er dankend abgelehnt. Aber er war damals in der Hoffnung auf viel Geld von einem auf den ersten Blick einfachen Auftrag ausgegangen, der höchstens drei Monate dauern würde.

    Er sei der ideale Mann, schmeichelte ihm Schallberg im Sommer des vergangenen Jahres, als er ihn mit der Aufgabe betraute. Informanten der Dienststelle in Bremen gingen davon aus, dass der jüdische Ziegeleibesitzer ein beträchtliches Vermögen aus dem Verkauf seiner väterlichen Reederei besaß und mit dem Gedanken spielte, es ins Ausland zu bringen. Wenn es ihm gelänge, das Geld bei einer Schweizer Bank zu deponieren, könne man nicht mehr darauf zugreifen. Mehr Informationen hatte man ihm damals nicht gegeben. Er solle nur herausfinden, wo das Geld versteckt ist, den Rest würde dann die Dienststelle des Sicherheitsdienstes erledigen.

    Er hatte im Laufe des Jahres wirklich alles Menschenmögliche versucht, den Aufbewahrungsort des Vermögens ausfindig zu machen. Dafür hatte er nächtelang sämtliche Unterlagen der Ziegelei durch gearbeitet. Er hatte diesen sturen Holländer fast rund um die Uhr beobachtet, seine geschäftlichen und privaten Briefe gelesen und seine engsten Mitarbeiter ausgehorcht. Alle Bemühungen waren bislang ohne Erfolg gewesen. Nun war die Frist abgelaufen. Seinem Dienststellenleiter Schallberg saßen die Vorgesetzten aus Berlin im Nacken und forderten ihrerseits Erfolge in dieser verdeckten Aktion. Keiner wollte einen Misserfolg eingestehen. Die ganze Last ruhte jetzt auf ihm.

    Heute wollte er alles auf eine Karte setzen. Sein Auftrag war so oder so beendet. Entweder er entriss ihm heute endlich das Geheimnis um das versteckte Vermögen oder er musste zerknirscht seine Niederlage in Bremen eingestehen. Aber das wollte er auf gar keinen Fall.

    Er hatte für seinen heutigen finalen Auftritt extra seine graue Uniform angezogen und seine schwarzen Stiefel auf Hochglanz poliert. Die schwere Dienstwaffe steckte einsatzbereit in dem ledernen Holster. Er zog seine Mütze noch tiefer ins Gesicht, so dass die Augen kaum noch zu erkennen waren. Mit der Respekt einflößenden Uniform wollte er dem Ziegeleibesitzer seine Macht demonstrieren. Sie sollte dem Eigenbrödler deutlich machen, dass er es nicht nur mit ihm zu tun habe, sondern mit der mächtigsten Organisation der Welt. Genau so wollte er es machen. Er war sehr zufrieden mit seinem Plan.

    Als er den Hof der Ziegelei überquert hatte, öffnete er die schwere Eichentür des Verwaltungsgebäudes. Als Prokurist hatte er sämtliche Schlüssel für die Gebäude der Ziegelei. Er sah auf seine Laco-Uhr. Die Leuchtziffern zeigten, dass es kurz nach neun war. Die Angestellten hatten längst Feierabend. Nur der Chef arbeitete häufig bis in die späten Abendstunden. Er lief die breite, geschwungene Treppe ins Obergeschoss hoch, wo sich die Büros der leitenden Angestellten befanden. Die Schritte seiner schweren Lederstiefel hallten unheimlich durch das große Gebäude. Vor der doppelflügeligen Tür des Direktorenzimmers blieb er stehen. Durch das geschliffene Glas drang ein schwaches Licht. Er wischte seine Stiefel an einem Wandvorhang ab und prüfte noch einmal den tadellosen Sitz seiner Uniform. Dann ging er mit großen Schritten energisch und ohne anzuklopfen in das Büro seines Vorgesetzten.

    Eine Schreibtischlampe aus Messing erhellte das verlassene Büro nur spärlich. Hinter dem ledernen Schreibtischstuhl tickte eine wertvolle Wanduhr aus Bernstein. Daneben hing ein Plakat der Olympischen Spiele in Berlin mit einigen Original-Unterschriften. Der Kalender zeigte das Datum: 13. Oktober 1936.

    In der Luft lag noch der Geruch von Pfeifenrauch. Der Holländer konnte noch nicht vor all zu langer Zeit das Büro verlassen haben. Er entspannte sich ein wenig und sah sich um. Entschlossen ging er zum Schreibtisch des Direktors, riss sämtliche Schubladen auf und durchsuchte die Tagespost. Nichts deutete auf brauchbare Hinweise hin. Aufgebracht zog er sämtliche Akten aus den Regalen und untersuchte die Regale auf Geheimfächer. Nichts. Was sollte er morgen nur seinem Vorgesetzten berichten? Dass er auf der ganzen Linie versagt hatte? Die Dienststelle würde ihm nie wieder einen solchen Auftrag erteilen. Ein Scheitern seiner Mission kam also gar nicht in Frage. Unschlüssig sah er aus dem Fenster. „Was du jetzt brauchst, ist eine gute Idee", murmelte er gedankenverloren vor sich hin. Die schwarzen Wolken hatten sich nun vollständig vor den Mond geschoben. Draußen war es stockfinster. Das benachbarte Kleiborg war in der Dunkelheit nicht zu erkennen. Zornig fegte er eine Kristallvase von der Fensterbank, die laut klirrend am Boden zersprang. Er wollte sich gerade vom Fenster abwenden, als er in einiger Entfernung einen flackernden Lichtschein erkannte.

    Das Licht kam aus der Nähe der Trockenschuppen am Ende des Ziegeleigeländes. Er wusste nicht viel von der Herstellung von Ziegeln. Das war für ihn als leitenden kaufmännischen Angestellten auch nicht notwendig. Er wusste aber, dass die Ziegelsteine vor dem Brennen einige Wochen getrocknet werden mussten. Nach der Einlagerung konnte der Wind ungehindert durch die offene Holzkonstruktion wehen und entzog den Rohlingen die Feuchtigkeit. Normalerweise waren die Arbeiter nur zu Ein- oder Auslagerungsarbeiten in den Trockenschuppen beschäftigt. Mitten in der Nacht hatte dort eigentlich niemand etwas zu suchen, vor allem da die Schuppen kein elektrisches Licht hatten. Er rannte nach draußen über den Hof in die Richtung, aus der das Licht kam. Der Regen hatte endlich aufgehört. Als er die Schuppen erreichte, war nichts zu erkennen. Angespannt prüfte er die Schlösser. Bei Trockenschuppen 3 wurde er fündig. Das Vorhängeschloss war geöffnet.

    Er entsicherte seine Pistole und steckte sie langsam wieder ins Holster zurück. Dann ging er vorsichtig in den Schuppen. Seine Augen gewöhnten sich nur mühsam an die Dunkelheit. Die Rohlinge waren auf einfachen, fast endlosen Holzregalen aufgeschichtet. Langsam tastete er sich an den Regalen entlang. Die Luft roch erdig und war feucht-kalt. Da er sich gerade nicht auf seine Augen verlassen konnte, musste er notgedrungen auf sein Gehör vertrauen. Es war noch jemand in dem Schuppen, war er sich sicher. Und dieser Jemand müsste eigentlich Geräusche verursachen. Praktisch kam eigentlich nur der Direktor in Frage. Ihm war zwar völlig unklar, was der Holländer um diese Zeit in dieser unwirtlichen Umgebung zu suchen hatte, aber das würde sich schon ergeben. Meter für Meter tastete er sich voran. Mit der linken Hand orientierte er sich an der endlosen Regalreihe. Die Schmerzen, die die Holzsplitter des grob verarbeiteten Holzes seiner Hand zufügten, nahm er kaum wahr. Endlich sah er einen schwachen Lichtschein am Ende des Schuppens, der von einer Karbidlampe stammte. Schemenhaft erkannte er einen gut gekleideten Mann mit Hut, der einige Rohlinge kontrollierte und dann wieder zurückstellte. Es war der Besitzer der Ziegelei.

    Langsam kam er aus seiner Deckung und stand genau hinter dem kräftigen Holländer. „Guten Abend, Herr Direktor. So spät noch bei der Arbeit? sprach er ihn mit sicherer Stimme an. Der Ziegeleibesitzer fuhr erschrocken herum. Er hatte ihn nicht kommen hören. Der Schein der Karbidlampe betonte die Zornesfalten in seinem Gesicht. Abfällig betrachtete er sein Gegenüber von oben bis unten. „Handloser, so eine Überraschung, sagte er kühl und warf einen abwertenden Blick auf die Uniform. Trotz der überraschenden Begegnung wirkte er völlig selbstsicher. „Bei diesem Verein sind Sie also, zischte er verächtlich. „Dass Sie überzeugter Nazi sind, habe ich mir schon gedacht. Aber was soll jetzt diese alberne Kostümierung?, fragte er zynisch lächelnd.

    Er versuchte trotz der Provokation ruhig zu bleiben. „Hören Sie mit den Spielchen auf, Deependaal, sagte er und versuchte seiner Stimme einen festen Ausdruck zu geben. „Sie befinden sich jetzt nicht in der Situation, unverschämte Sprüche zu klopfen. Machen wir es kurz. Sie verraten mir jetzt auf der Stelle, wo Sie Ihr Vermögen versteckt haben. Dann sehen Sie mich nie wieder. Sie können dann problemlos mit Ihrer Familie das Land verlassen. Dafür werde ich persönlich sorgen. Er machte eine kurze Pause. „Deependaal, Sie haben keine Alternative."

    Deependaal blieb völlig ruhig. „Wie reden Sie eigentlich mit mir? Ich werde Ihnen gar nichts verraten, Sie kleine Ratte. Er lachte überlegen. „Was wollen Sie denn machen, wenn ich nichts sage? Wollen Sie mich hier an Ort und Stelle foltern? Oder gleich erschießen? - Eine sehr gute Idee übrigens, dann kann ich auch nichts mehr verraten. Deependaals dröhnendes Lachen hallte durch den Schuppen.

    Ihm trat der Schweiß auf die Stirn. Deependaal fuhr ungerührt fort: „Handloser, Sie sind ein Versager. Ist Ihnen in Ihrem erbärmlichen Leben jemals etwas gelungen? Haben Sie eine schöne Frau? Haben Sie Kinder? Nein? Das dachte ich mir. Sie sind ein kleiner Versager, der hofft, dass die Nazis ihn groß rausbringen. Habe ich nicht recht?" Wieder ertönte das tiefe Lachen des massigen Holländers.

    Blind vor Wut zog er seine Waffe. Die Beleidigungen des Ziegeleibesitzers verfehlten ihre Wirkung nicht. Und zwar aus dem ganz einfachen Grund, dass dieser Recht hatte. Die Nazis gaben ihm die einmalige Chance, gesellschaftlichen Erfolg zu haben. Und diese Chance wollte er sich nicht nehmen lassen – von niemandem.

    „Deependaal, zum letzten Mal!, brüllte er schon fast verzweifelt. „Wo ist das Geld? Er wischte sich mit dem linken Uniformärmel die Schweißperlen von der Stirn und zielte mit seiner Waffe auf seinen Arbeitgeber. „Wenn ich schon keine Chance auf dieser Welt bekomme, sollen Sie auch keine mehr haben. Seine Augen funkelten. „Also: Wo ist das Geld? Handlosers Stimme überschlug sich fast. Der Holländer sah ihn mit einer Mischung aus Verachtung und Mitleid an. „Mensch Handloser, Sie Waschlappen. Auch das werden Sie nicht hinbekommen." Dann zerriss ein Schuss die Stille der Nacht.


    1

    Freitag 18:12 Uhr

    Surrend raste der dreckige Betonboden unter Alex vorbei. Er hörte es gerne, das Geräusch, das die groben Stollenreifen seines Mountainbikes auf dem rauen Boden des wenig genutzten Landwirtschaftsweges verursachten. Das Rad war seit einem halben Jahr sein ganzer Stolz. Seine Mutter wollte, dass er ein verkehrssicheres Citybike zum Geburtstag bekam, aber zum Glück hatte sich sein Vater durchgesetzt. Citybike - wie sich das schon anhörte. Damit wäre der peinliche Auftritt vor seinen Sportkameraden vorprogrammiert gewesen.

    „He, nun fahr' mal etwas langsamer", tönte es von hinten. Tims Rufe brachten Alex' Gedanken wieder in die Gegenwart. Sein bester Freund hatte Probleme, mit Alex' zügigem Tempo mitzuhalten. Er war mit seinem altertümlichen Herrenrad unterwegs, das nur über eine technisch veraltete Dreigangschaltung verfügte. So ein Gefährt war für einen Vierzehnjährigen die Höchststrafe. Tim hatte den Drahtesel von seinem Onkel Theo geschenkt bekommen, der felsenfest behauptete, die Marke sei 'Kult' und Tims Freunde wären sicher ganz neidisch auf das schnittige Gefährt. Kult – vielleicht 1983 – dachte Tim damals enttäuscht, aber leider war ein neues Rad bei seinen Eltern finanziell nicht drin.

    Alex verlangsamte das Tempo, so dass sein Freund schnaufend aufschließen konnte. Mit etwas verringertem Tempo fuhren sie wie jeden Freitag vom gemeinsamen Wasserballtraining direkt am Deich nach Hause. Da sie den Weg zweimal in der Woche fuhren, achteten die Freunde kaum auf die schmale, kaum befahrene Strecke, obwohl es bereits dämmerte. „Die Bremer müssten wir eigentlich klar schlagen, meinte Tim, als er wieder zu Atem gekommen war. „Das will ich meinen, entgegnete Alex. Am Sonntag stand das letzte Spiel vor den Herbstferien gegen die Bremer C-Jugend-Wasserballer auf dem Programm und bei einem Sieg könnte ihre Mannschaft Tabellenführer werden. „Ansonsten verdonnert uns Falke zum dreistündigen Straftraining", grinste Tim. Paul Falkenstein war der Wasserballtrainer von Alex und Tim und wurde von den Jungs nur Falke genannt. Alex wollte sich gerade nach hinten drehen, um Tim zu antworten, da nahm er im Augenwinkel einen großen dunkelgrünen Schatten wahr.

    Mitten ins Gespräch vertieft, hatte er den völlig verdreckten Geländewagen, der auf der Höhe der alten Ziegelei zur Hälfte auf dem Weg stand, nicht bemerkt. Reflexartig verlagerte er sein Gewicht nach links, bremste und riss den Lenker seines Mountainbikes herum. Die hydraulischen Scheibenbremsen griffen sofort. Das Hinterrad blockierte nur kurz, dann war er am Hindernis vorbei. Tim dagegen hatte keine Chance. Als er Alex' Ausweichmanöver wahrnahm, hatte er keine Zeit mehr zu reagieren. Die großen Räder seines Oldtimers verliehen dem Gefährt die Wendigkeit eines Öltankers. Der Bremsweg war wahrscheinlich ähnlich lang. Fast ungebremst rammte er das dunkle Fahrzeug und bevor er auch nur nachdenken konnte, flog er auch schon über den Lenker. Nach einer kurzen Flugphase landete er scheppernd inmitten allerhand Gerümpels auf der Ladefläche des Pick-ups. Dann herrschte völlige Stille.

    Als Tim vorsichtig die Augen öffnete, sah er nur den wolkenlosen Abendhimmel, bis sich das grinsende Gesicht von Alex davorschob. „Steigst du immer so ab?, fragte er, nachdem er sich versichert hatte, dass Tim offensichtlich keine schweren Verletzungen hatte. Sein bester Freund lag etwas benommen zwischen mehreren Schaufeln, Werkzeugen, alten Eimern, diversen farbigen Seilen und seltsam aussehenden elektrischen Geräten direkt auf einer aufgeplatzten Mülltüte. „Oh Mann, stöhnte sein Freund, während er sich von einer Bananenschale, mehreren bunten Joghurtbechern und einer Chips-Tüte befreite. „Welcher Volltrottel stellt denn seine Karre im Dunkeln hier mitten auf dem Weg ab? Ich hätte mir alle Knochen brechen können".

    Mühsam rappelte er sich hoch und sah an sich herunter. Bis auf die verdreckte Kleidung und einen Riss am Ärmel seiner Trainingsjacke war ihm nichts passiert. „Den kauf' ich mir", knurrte er. Beim Herunterklettern von der Ladefläche fiel sein Blick auf sein Fahrrad, beziehungsweise was davon übrig geblieben war. Das Vorderrad hatte die Form einer Acht und war nun anscheinend untrennbar mit der Anhängerkupplung des Geländewagens verbunden. Die Speichen standen wie bei einer geplatzten Spaghetti-Packung zu allen Seiten ab. Der Lenker war in der Mitte geknickt und die Vorderlampe lag in mehreren Teilen auf der Straße.

    „Das kannste vergessen, sagte Alex, während Tim versuchte, das Vorderrad von der Anhängerkupplung zu ziehen. „Vielleicht hat dein Onkel noch mehrere historische Räder... „Sehr witzig, entgegnete Tim; „Wie soll ich jetzt nach Hause kommen? Es sind noch drei Kilometer. Ich habe keine Lust, die Strecke zu laufen. Alex wollte ihm gerade vorschlagen, seine Eltern anzurufen, um ihn abzuholen, als sie zwei Stimmen hörten, die schnell näher kamen.

    „He!", brüllte eine tiefe Stimme vom Deich, noch bevor die beiden überhaupt jemanden gesehen hatten. Kurz darauf traten zwei große Männer auf den Weg und gingen mit großen Schritten direkt auf die beiden Jungen zu. Beide sahen nicht sonderlich vertrauenserweckend aus. Der eine hatte einen ungepflegten Vollbart. Er trug ein auffälliges, rot-kariertes Holzfällerhemd mit einer schmutzigen Anglerweste sowie eine blaue Strickmütze, die er weit heruntergezogen hatte. Zwischen seinem Vollbart und der Mütze konnte man nur seine dunklen Augen sehen, die Alex und Tim anfunkelten.

    „Was macht ihr da?, schnauzte er die Freunde mit einem fremden Akzent an, während der andere sofort hektisch die Ladefläche des Pick-ups untersuchte. Er hatte eine Glatze und zwei auffällige Ohrringe. Er trug eine dunkelblaue Kapuzenjacke mit dem Aufdruck 'EVERLAST' und eine grau-weiße Camouflage-Hose. Alex und Tim waren von dem überfallartigen Auftritt völlig überrascht und brachten keinen Ton heraus. Der Glatzkopf stand nun auf der Ladefläche des Geländewagens und nickte dem Vollbärtigen zu. „Okay, war alles, was er sagte. Der Mann mit dem Holzfällerhemd, der sich bedrohlich nah vor Alex und Tim aufgebaut hatte, schien plötzlich etwas lockerer zu werden. Er ging einen Schritt zurück. „Also? Was macht ihr hier an unserem Auto?"

    „Äh..., wir haben..., also der Wagen..., stammelte Tim, der noch immer wegen der beiden merkwürdigen Gestalten etwas verängstigt war, als ihm Alex entschlossen ins Wort fiel. „Ihr Wagen steht direkt hinter der Kurve auf dem Weg! Sehen Sie sich mal sein Fahrrad an, das ist total hin. Den Schaden müssen Sie zahlen! Alex war selbst über seinen Mut erstaunt und Tim sah ihn nur mit großen Augen und offenem Mund an.

    Die beiden Männer waren jetzt völlig ruhig. Keiner sagte ein Wort. Nur der typisch miauende Ruf eines Mäusebussards durchbrach die Stille. Der Bärtige sah erst auf das demolierte Fahrrad, das noch immer an der Anhängerkupplung hing, dann schaute er Tim an. Er zog ein zerfleddertes Portemonnaie aus seiner Jeans und gab Tim zwei Fünfzig-Euro-Scheine. „Das sollte für die alte Schlurre reichen, oder? Tims Kiefer fiel noch zwei Zentimeter tiefer. „Passt schon, oder Tim? meinte Alex schnell. Tim brachte noch immer kein Wort heraus. Er starrte zunächst den Bärtigen, dann Alex an und nickte nur kurz. Der Glatzkopf riss mit einem Ruck das Rad von der Anhängerkupplung und wollte gerade die Überreste von Onkel Theos Kult-Vehikel auf die Ladefläche werfen, als Alex im letzten Moment Tims Sporttasche vom Gepäckträger zog. „Die braucht er noch", sagte er grinsend.

    Ohne ein weiteres Wort setzte sich der Glatzkopf ans Steuer, während der Bärtige vom Beifahrersitz aus den Jungen noch einen letzten Blick zuwarf. Der Motor heulte kurz auf und dann schoss der schwere Geländewagen mit durchdrehenden Reifen in die Dunkelheit davon. Erst nach hundert Metern machte der Fahrer das Licht an. Dann verschwand das Fahrzeug um die nächste Kurve.

    Tim, der direkt hinter dem rechten Hinterrad stand, schüttelte die frische Erde und das nasse Gras, das die groben Stollenreifen bei dem Kavalierstart hoch geschleudert hatten, von seiner Trainingsjacke. Endlich hatte er die Sprache wiedergefunden. „Was war das denn nun?", fragte er ungläubig und starrte auf die zwei Geldscheine in seiner Hand.

    „Die Sache stinkt gewaltig, meinte Alex und blickte immer noch in die Richtung, in die der Geländewagen verschwunden war. „Geld stinkt doch nicht. Das sagt jedenfalls mein Vater,antwortete Tim, der immer noch etwas verwirrt war. Alex sah seinen Freund erstaunt an, sagte aber nichts und schüttelte nur den Kopf. „Kein Mensch zahlt einfach so hundert Euro für einen Haufen Schrott, es sei denn, er hat etwas zu verbergen." Tim sah seinen Freund beleidigt an. Ein wenig hing er ja doch an Onkel Theos altem Rad.

    Nachdem sie eine Weile wortlos zusammen in Richtung Kleiborg gelaufen waren, brach Alex das Schweigen: „Was machen die an einem Freitag abend bei der alten Ziegelei? Hast du ihre Schuhe gesehen, die waren völlig verschlammt. Irgendetwas führen die im Schilde. „Quatsch, meinte Tim, „du siehst zu viele Krimis. Das waren bestimmt zwei Landwirte, die nach ihrem Vieh gesehen haben. Alex sah seinen Freund entgeistert an. Manchmal war Tim schon etwas naiv. „Klar, Mann! Die haben gerade hinterm Deich 'ne Kuh verkauft, um sich von dem Geld ein schrottreifes Vorkriegsfahrrad zu kaufen, fuhr er seinen Freund an. „Nee, nee. Da stimmt was nicht. Die haben sich recht merkwürdig verhalten. Der Glatzkopf hat gar nichts gesagt und statt nach einer Beule oder Schrammen von deinem Aufprall zu sehen, hat er sofort die Ladefläche kontrolliert. Das ist doch schon etwas seltsam, oder nicht?"

    Inzwischen waren sie bei Tims Elternhaus angekommen. Es war ein älteres Backsteinhaus, wie fast alle anderen Häuser von Kleiborg auch. Im Haus war es völlig dunkel. Tims Eltern waren zum Kartenspielen bei den Nachbarn. Die beiden Freunde verabredeten sich für den folgenden Tag und verabschiedeten sich. Während Alex nach Hause fuhr, ging ihm die Sache mit den beiden Männern nicht mehr aus dem Kopf.

    „Na, wie war's?, war wahrscheinlich eine Frage, die Millionen von Teenagern von ihren Eltern hörten, wenn sie nach Haus kamen. „Gut, war seine Standardantwort, wie sie wahrscheinlich auch Millionen von Eltern erhielten. Seine Mutter saß vor dem Fernseher. Alex wollte zunächst einmal nichts von dem Vorfall erzählen und machte sich ein Käsebrot mit Gurkenscheiben. Mit dem Brot und einem Glas Milch setzte er sich noch kurz zu seiner Mutter und schaute mit ihr zusammen eine furchtbar langweilige Folge einer Ärzte-Serie. Dann ging er ins Bett. Wasserballtraining sei besser als

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