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Klinikum Bockstein: Was geschah mit Frank Müller ?
Klinikum Bockstein: Was geschah mit Frank Müller ?
Klinikum Bockstein: Was geschah mit Frank Müller ?
eBook451 Seiten6 Stunden

Klinikum Bockstein: Was geschah mit Frank Müller ?

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Über dieses E-Book

Der Romanheld Frank Müller erhielt eine Anstellung als Produktionsleiter in einem Industrieunternehmen. Aus Gründen, die man im Rückblick nur als schicksalhaft bezeichnen kann, wurde sein Chef Opfer eines Tötungsdelikts und er selbst wurde als Täter fest- genommen. Der vom Gericht beauftragte Psychiater erkannte bei ihm eine psychotische Störung und empfahl die Unterbringung in einer psychiatrischen Heilanstalt.

Im KLINIKUM BOCKSTEIN fühlte sich Frank recht wohl und er ließ sich nach einiger Zeit dazu überreden, als Testperson für Experimente mit Psychodrogen zur Verfügung zu stehen. In den ersten Wochen nach diesen Experimenten hatte Frank Anwandlungen von extremen Glücksgefühlen, die ihn fröhlich lächelnd durchs Leben wandeln ließen.

Nach etwa einem halben Jahr seit seiner Einlieferung wurde Frank darüber informiert, dass er in etwa vier Wochen als völlig geheilt entlassen werden würde. Wenige Tage vor seiner Entlassung hatte Frank sich dann vertraglich verpflichtet, für vier Wochen als Proband in einem Humanversuch für neuartige Psychopharmaka zur Verfügung zu stehen.

Die Testmedikamente hatten eine verheerende Wirkung und Frank beschloss, aus dem Vertrag auszusteigen und das Testprogramm einseitig zu beenden. Damit waren seine Vertragspartner aber nicht einverstanden. Sie machten auch gar keinen Hehl aus ihren kriminellen Neigungen und drohten Frank einen grausamen Tod an, falls er nicht bis zum Ende der vereinbarten Testperiode mitmachen würde. Ihm wurden dann zwangsweise die doppelten Dosen der Testmedikamente einverleibt und im Zustand hochgradiger psychotischer Störungen und voller Wahnvorstellungen wurde er in der Düsseldorfer Altstadt ausgesetzt. In diesem Zustand suchte er seine Krankenkasse auf, um über das Krankentagegeld zu verhandeln, das ihm seiner Meinung nach zustand. Der Besuch endete mit einer Katastrophe und Frank wurde wieder ins KLINIKUM BOCKSTEIN eingeliefert.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum6. Juni 2014
ISBN9783847643227
Klinikum Bockstein: Was geschah mit Frank Müller ?

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    Buchvorschau

    Klinikum Bockstein - Handitsche

    1

    Beim Blick in den geöffneten Briefkasten wusste ich sofort Bescheid. Neben dem täglichen Wust von Reklameschriften und einigen „normalen Briefen dominierte ein großer, hellblauer Briefumschlag im DIN-A4-Format den Briefkasteninhalt. Den Inhalt dieses Briefes kannte ich bestens: Es war meine 84. Bewerbung um die Position eines Produktionsleiters. Die Firma, bei der ich mich diesmal beworben hatte, war die „Gesellschaft für Lebensmittel-Technologien GLT. Ohne den Brief zu öffnen, glaubte ich in etwa, auch den Inhalt des an mich gerichteten Anschreiben zu kennen: Sie hätten sich für einen anderen Bewerber entschieden, was aber nicht bedeuten sollte, dass man mich für diese Position als nicht ausreichend qualifiziert betrachtete. Und dann wünschte man mir für meinen weiteren beruflichen Werdegang viel Erfolg und auch sonst alles Gute. Ja, so in etwa lauteten fast alle Absagen. In einem Falle wurden mir nicht nur viel Erfolg und alles Gute, sondern auch noch Gottes Segen gewünscht.

    Natürlich war ich nicht nur frustriert, sondern auch wütend. Auf wen aber sollte ich wütend sein? Vielleicht auf mich selbst? Habe ich mich falsch oder schlecht beworben? Nein, nein, an meinen Bewerbungen konnte dieser dauernde Misserfolg nicht liegen, hatte ich doch im Berufsfortbildungswerk des Deutschen Gewerkschaftsbundes den Kursus „Richtig Bewerben" absolviert und Herr Dr. Tromp, der Schulungsleiter, bewertete alle meine Übungsarbeiten mit sehr guten Noten. Allerdings hatte ich eine Befürchtung in Bezug auf mein Bewerbungsfoto, da ich nicht besonders fotogen bin. Die Fotografin hatte auch sehr große Mühe damit, mein Gesicht halbwegs positiv darzustellen. Mit diesem Mangel lebe ich, seit ich fotografiert werde. Ich schaffe es einfach nicht, locker und entspannt in ein Kameraobjektiv zu blicken. Entweder ist mein Gesicht fratzenhaft verkrampft oder es zeigt das dümmliche Grinsen eines verklemmten Menschen. Ich beschloss, vorerst keine Bewerbung mehr abzuschicken und mein weiteres Vorgehen gründlich zu überdenken.

    Bei einem Besuch, den ich meinen Eltern abstattete, erhielt ich unerwartet einen guten Rat von einem alten Freund meines Vaters, der wie ich an diesem Tage meine Eltern besuchte. Ach ja, ich erinnerte mich an diesen Herrn, als Kind nannte ich ihn Onkel Ferdinand. Wie es mir denn so ginge, fragte er mich und ich berichtete ihm, dass ich mich in den vergangenen zwei Jahren erfolglos 84 Mal um eine Anstellung als Produktionsleiter beworben hatte. Onkel Ferdinand nickte verstehend und lächelte sogar dabei. „Ja, ja Frank", sagte er, „das machen die alle so. Es gibt da unter den Unternehmensberatern so eine eigenartige Richtgröße, wonach auf ein derartiges Stellenangebot mindestens 200 Bewerbungen kommen müssen. Damit so viele Bewerbungen überhaupt reinkommen, werden in den Angeboten alle möglichen Versprechungen gemacht. Dann erscheinen die Jobangebote mindestens an vier Wochenenden in verschiedenen großen Zeitungen. Damit erreicht man die angestrebte Zahl von mehr als 200 Bewerbungen. Und dann? Was macht man mit solch einer Flut von Bewerbungen? Alle objektiv und fair auswerten? Wer das glaubt, ist nicht nur sehr naiv, sondern auch ausgesprochen leichtgläubig. Nein, die machen das ganz anders. Von den mehr als 200 Bewerbungen werden die nächstbesten zehn herausgenommen und davon die drei vermeintlich besten in die engere Wahl gezogen. Das heißt, 190 und mehr Bewerbungen werden an die Bewerber zurück geschickt oder wandern sogar in den Papierkorb. Warum die das so machen? Die Personalsachbearbeiter können so ihrer Geschäftsleitung sagen, man habe 200 Bewerbungen ausgewertet. Die ganze Bewerberei ist für die Bewerber also nur ein Lotteriespiel!"

    Ja wenn das so ist, dann hat es doch überhaupt keinen Zweck, sich zu bewerben!" Rief ich mehr resigniert als empört und fragte mehr mich selbst als Onkel Ferdinand und meinen Vater, weshalb ich eigentlich nicht nur den Metzgermeister sondern auch noch den Betriebswirt gemacht hatte. Letzterer hatte mich immerhin ein Studium von neun BWL-Semestern an der FH Niederrhein gekostet. Und der Meisterbrief war auch nicht umsonst zu haben. Sicher, meine Lage war keineswegs prekär, denn ich hatte seit meinem Examen als Betriebswirt vor zwei Jahren einen halbwegs gut bezahlten Job als Metzgermeister in einem Supermarkt. Aber ich glaubte, Anspruch auf eine meiner Ausbildung adäquaten Anstellung zu haben und strebte die Position eines Produktionsleiters an.

    Mit dem Anspruch ist das so eine Sache", kommentierte Onkel Ferdinand mein Anspruchsdenken, „heutzutage ist der schönste akademische Titel keine Eintrittskarte für einen Traum-job mehr. Und bewerben sollst Du dich natürlich, aber nicht so wie bisher. Setze doch einfach ein Stellengesuch mit Deinen wichtigsten Daten, heute nennt man so etwas Dein Profil, in die Düsseldorfer Post. Dieses Stellengesuch könnte z.B. so aussehen:

    DIPL. BETRIEBSWIRT FH

    mit MEISTERBRIEF für das Fleischereigewerbe

    31 Jahre alt, unabhängig, flexibel und belastbar

    sucht Tätigkeit als

    PRODUKTIONSLEITER

    Weißt Du Frank, mit solch einer kurzen Bewerbung hast Du das Wichtigste über Deine Person gesagt und Du wirst sehen, dass Du mehr als nur eine Rückmeldung bekommen wirst!"

    Onkel Ferdinand hatte Recht. Nachdem mein Stellengesuch in der nächsten Samstagsausgabe der DÜSSELDORFER POST erschienen ist, erhielt ich bereits am folgenden Dienstag die erste Rückmeldung: Ein Herr Doktor Schwaden, Geschäftsführer der SÜDWURST GMBH rief mich an und teilte mir mit, dass mein Stellengesuch in der DÜSSELDORFER POST sein Interesse geweckt habe. Er bat mich, ihm in kurzen Worten meinen beruflichen Werdegang zu schildern. Nachdem ich seiner Bitte in stichwortartiger Kürze nachgekommen bin, atmete er kurz durch und meinte dann, dass wir wahrscheinlich gut zusammenpassen würden. Am besten wäre es, wenn ich zum Zwecke eines persönlichen Gesprächs ihn in seiner Firma in Düsseldorf-Derendorf (ganz nahe beim Schlachthof) möglichst kurzfristig aufsuchen könnte. Nun war ich Feuer und Flamme und erklärte mich bereit, schon am nächsten Tage zu kommen, allerdings erst nach 18:00 Uhr, da ich zurzeit im Supermarkt unabkömmlich wäre.

    Herr Doktor Schwaden klang ganz begeistert, als sagte: „Das finde ich ganz großartig, dass Sie so schnell zur Stelle sein können, und was die Uhrzeit betrifft, so können Sie auch bis 20:00 Uhr kommen. Also verbleiben wir bis morgen Abend".

    Donnerwetter, dachte ich, wer hätte das für möglich gehalten, und rief Onkel Ferdinand an, um ihm zu berichten. Er freute sich und sagte: „Siehst Du Frank, da war meine Empfehlung gar nicht so schlecht. Und wenn Du morgen Abend das Gespräch mit Deinem möglicherweise neuen Chef hast, dann konzentriere Dich in erster Linie auf´s Zuhören und Deine Antworten sollten möglichst knapp und zutreffend sein. Noch einen Rat möchte ich Dir geben: Diese SÜDWURST GMBH hat ja sicherlich eine Internet-Seite; sieh Dir die mal an. Im Übrigen bin ich mir sicher, dass Du noch weitere Angebote bekommen wirst."

    Ja, dachte ich, das mit der Internet-Seite ist wirklich eine gute Idee und ich war dann doch erstaunt über die vielen Informationen auf der Homepage der SÜDWURST GMBH. Die Firma befand sich in einem Altbaukomplex auf der Düsseltaler-Straße in Derendorf. Im Vorderhaus, einem Ziegelsteingebäude aus den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts, waren die Geschäftsführung und die Verwaltungsfunktionen untergebracht. Hinten durch, auf einem lang gezogenen Areal, durch eine Toreinfahrt zu erreichen, befanden sich die Produktionsgebäude. Das alles wirkte zwar etwas antik, machte aber insgesamt einen aufgeräumten und ordentlichen Eindruck.

    Auf der Internet-Seite wurde auch das Führungspersonal vorgestellt. Was mich beunruhigte, war dieser Herr Wackermann, dieser Produktionsleiter. So ein kleiner Betrieb wie die SÜDWURST GMBH müsste doch mit einem Produktionsleiter auskommen, was sollte ich denn da für eine Rolle spielen? Aber das würde ich ja bald erfahren. Wie von einer guten Internet-Seite nicht anders zu erwarten, wurden von den Führungsleuten auch die Fotos gezeigt. Der Fotograf hatte gute Arbeit geleistet, denn die Bildergalerie zeigte nur sympathische Menschen, und ich war mir sicher, mit denen sehr gut klar kommen zu können. Noch aber war ich ja nicht eingestellt, noch gehörte ich nicht dazu.

    Mit einer Mischung aus Zuversicht und banger Skepsis machte ich mich auf den Weg zur Düsseltaler Straße und erreichte die SÜDWURST GMBH um 17:30 Uhr, also eine halbe Stunde zu früh. Diese Zeit nutzte ich, um mir ein genaueres Bild von dieser Firma und deren näherer Umgebung zu machen. Nicht weit davon war die Münsterstraße, eine der großen Düsseldorfer Einkaufsstraßen, was sicherlich als Pluspunkt zu werten war. Die Düsseltaler Straße selbst war nicht besonders ansprechend, wurde aber von etlichen Firmen wie der SÜDWURST GMBH als günstiger Standort angesehen. Für diese Firma war natürlich auch die Nähe zum Schlachthof ein wichtiger Faktor. Kurz vor 18 Uhr stand ich vor den fünf Steinstufen zu dem Eingang des alten Ziegelsteingebäudes. Sowohl der Eingang als auch die Fenster hatten Bögen im gotischen Stil. Über dem Eingang, den gotischen Bögen folgend, befand sich aus glänzenden Messing-Buchstaben folgender Schriftzug:

    Fabrik für feine Fleisch- und Wurstwaren

    Hans Peter Klarenstein, gegründet 1892

    Mit diesem Wissensstand betätigte ich die Türklingel. Kurze Zeit später summte der Türöffner und ich stand in einem geräumigen Treppenhaus wo mit sehr viel handgeschnitztem Eichenholz und grünem Marmor der Eindruck von großer Gediegenheit gemacht wurde. Dazu trug auch der Geruch von Reinlichkeit bei. 10, 20 Sekunden später erschien auf dem oberen Treppenabsatz ein Herr, den ich sofort als Herrn Dr. Schwaden erkannte, denn ich hatte mir die Fotos auf der Internet-Seite gut eingeprägt. Er forderte mich auf, nach oben zu kommen und hielt mir die Tür zu seinem Büro auf. „Bitte Herr Müller, treten Sie ein!" sagte er und ließ mir den Vortritt. In seinem sehr großen Büro, fast ein kleiner Saal, war wieder sehr viel Eiche und sehr viel grüner Marmor verarbeitet worden. Da war aber noch eine Besonderheit: Eines der gotischen Fenster hatte eine bunte Bleiverglasung wie in einer Kirche. Das Bildmotiv aber wäre in einer Kirche ziemlich fehl am Platze gewesen, denn es zeigte einen Schlachter mit lachendem Gesicht, der einem rosaroten Schwein ein langes Messer an den Hals hielt. Im Hintergrund war eine zwischen zwei Pfosten gespannte Leine zu sehen, an der mehr als ein Dutzend Würste und Schinken hingen. Halb schräg gegenüber von den beiden anderen Fenstern stand ein riesiger Schreibtisch aus massiver Eiche. Die seitlichen Schrank- elemente hatten von Hand gemalte Bildmotive aus einem Schlachthof, wie er im 19. Jahrhundert üblich war. Na ja, ich war zwar Metzgermeister, aber mit dem Schlachthof hatte ich nie besonders viel zu tun. Sicher, in dem Supermarkt war ich auch für die Beschaffung zuständig, aber nie hatte ich etwas mit dem Töten der Tiere zu tun, wo die Schlachter mit ihren Bolzenschussgeräten und die Stecher mit ihren langen Messern ihr blutiges Handwerk verrichten. Für mich war der Schlachthof immer nur der Bereich, wo die fertigen, ausgeschlachteten Schweine- und Rinderhälften sowie die Innereien ausgeliefert wurden.

    All das ging mir durch den Kopf, als Herr Dr. Schwaden mich aufforderte, doch bitte Platz zu nehmen. Dabei zeigte er auf einen kleinen runden Tisch mit vier Sesseln in der Ecke gegenüber von seinem riesigen Schreibtisch. Nun erst betrachtete ich mit der gebotenen Diskretion Herrn Dr. Schwaden. Er war so um die Fünfzig und hatte ein gütiges, um nicht zu sagen mildes Gesicht mit großen braunen Augen. Er trug eine rahmenlose Brille. In jüngeren Jahren hatte er sicherlich ein volles braunes Haar, was aber im Laufe der Jahre dem Zahn der Zeit seinen Tribut zollen musste. Seine rötlichen Wangen wiesen ihn als Liebhaber von rosaroten Steaks und schweren Rotweinen aus. Bekleidet war er mit einer grünen Jägerhose und einem süddeutschen, braunen Strickjanker. Unter dem Janker trug er ein grün-braun kariertes Flanellhemd. Herr Dr. Schwaden (mein zukünftiger Chef  ?) begann mit dem Interview indem er mich aufforderte, doch nochmals über meinen beruflichen Werdegang zu berichten. Dann kam die Frage nach dem Beruf meines Vaters, der als Bäckergeselle in einer Großbäckerei tätig war. Auch für meine Hobbys interessierte sich Herr Dr. Schwaden. Dass ich mich als Hobby-Fotograf vorzugsweise Baumrinden und Kieselsteinen widmete, fand er ausge- sprochen interessant. Und Sport? Ob ich auch Sport treiben würde? „Aber ja doch!" sagte ich und berichtete über meine ausgedehnten Wanderungen im Sauerland und erwähnte, dass ich seit fünf Jahren Mitglied im Sauerländischen Gebirgsverein war. Die Frage, ob ich verheiratet wäre oder eine Lebensgefährtin hätte, musste ich verneinen und begründete dies mit meiner beruflichen Fortbildung. Die nächste Frage brauchte ich keineswegs zu beantworten meinte er, nämlich, wie denn meine religiöse Orientierung sei. „Nun", sagte ich, „ich bin praktizierender Katholik! Ein Leben ohne Jesus ist für mich unvorstellbar. Ich bin immer und überall bereit, Kompromisse zu machen, mein Glaube an Jesus aber ist für mich niemals verhandelbar!"

    Oh, so etwas imponiert mir" kommentierte Herr Dr. Schwaden mein Glaubensbekenntnis. „Wissen Sie, ich selbst bin zwar nicht katholisch, ich bin Mitglied der Neuapostolischen Glaubensgemeinschaft, und ich weiß, dass Glaubensfestigkeit ein hohes Gut ist! Und im Übrigen verbindet uns ja unser gemeinsamer Glaube an unseren Erlöser Jesus Christus, nicht wahr?"

    Das Gespräch dauerte mittlerweile etwa eine halbe Stunde und ich bat, meinerseits eine Frage stellen zu dürfen. „Nur zu!" sagte mein zukünftiger Chef (?), „dazu ist unser Gespräch ja da. „Die Sache ist nämlich die sagte ich, „die SÜDWURST GMBH hat mit Herrn Wackermann doch schon einen Produktionsleiter und ich frage mich deshalb, welche Rolle dann für mich vorgesehen ist! „Oh, antwortete Herr Dr. Schwaden, „Sie sind ja bestens informiert, das gefällt mir, denn es zeigt mir, dass Sie zielstrebig vorgehen und sich immer gut informieren. Für einen Produktionsleiter keine schlechte Eigenschaft. Was also den Herrn Wackermann betrifft, so hat der unser Unternehmen bereits verlassen. Um aber zum Abschluss zu kommen, möchte ich Ihnen sagen, dass ich Sie gerne einstellen würde. Dazu fehlt mir aber noch eine wichtige Angabe, nämlich über Ihre Gehaltsvorstellung."

    Au, jetzt wird’s heikel, dachte ich, jetzt nur keinen Fehler machen. Zu viel fordern ist genau- so falsch, wie zu wenig. Onkel Ferdinand meinte, angesichts der Bedeutung dieser Position wäre ein Jahresgehalt so um die 60.000 EURO angemessen. Ich sah Herrn Dr. Schwaden an und sagte: „Angesichts der Bedeutung der Position halte ich 60.000 EURO p.a. für angemessen!" Herr Dr. Schwaden blickte zunächst zu dem Fenster mit der Bleiverglasung, dann kurz zu Boden und dann sah er mich an und sein gütiges Gesicht straffte sich etwas. Er räusperte sich und kommentierte meinen Gehaltswunsch wie folgt: „Wissen Sie, Herr Müller, 60.000 EURO als Jahresgehalt sind für unser mittelständiges Unternehmen nicht darstellbar. Natürlich sind Sie hoch qualifiziert und wir würden Sie auch gerne einstellen, aber Ihre Gehaltsvorstellung stellt für uns eine unüberwindliche Hürde dar. Ich mache Ihnen deshalb ein Gegenangebot: Sie steigen für 48.000 EURO p.a. ein und wir erhöhen nach Ablauf der sechsmonatigen Probezeit auf 54.000 EURO. Darin enthalten natürlich Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld. Wäre das für Sie akzeptabel, Herr Müller?" Nun blickte ich erst zu dem Fenster mit der Bleiverglasung und dann kurz zu Boden, um dann mit ernstem Gesichtsausdruck „ja" zu sagen.

    Zufrieden lächelnd meinte Herr Dr. Schwaden: „Dann sind wir uns also einig und Sie sind hiermit mein neuer Produktionsleiter. Wie Sie mir ja bereits am Telefon sagten, können Sie am ersten Juli bei uns anfangen. Den Arbeitsvertrag schicken wir Ihnen in den nächsten Tagen mit der Post zu!"

    Nachdem mein neuer Chef mich mit freundlichen Worten verabschiedet hatte, musste ich erst einmal meine Gedanken ordnen. Donnerwetter, dachte ich, so ein Ding, am Samstag das Stellengesuch in die DÜSSELDORFER POST gesetzt und am Mittwoch schon den Traumjob in Händen, um den ich mich zwei Jahre lang vergeblich bemüht hatte. Und dann das Gehalt von 4.000 EURO monatlich. Nach Ablauf der Probezeit sollte sich das Gehalt sogar auf 4.500 EURO monatlich erhöhen. In dem Supermarkt erhielt ich als Metzgermeister gerade mal 2.400 EURO monatlich. Aber der neue Job hatte noch einen anderen, nicht zu unterschätzenden Vorteil: Die SÜDWURST GMBH befand sich nur wenige Minuten vom Derendorfer Bahnhof entfernt und der war mit der S-Bahn von Ratingen aus in 12 Minuten zu erreichen. Um zu meinem derzeitigen Job in Neuss zu kommen, musste ich eine volle Stunde mit dem Auto fahren und der Heimweg abends dauerte genauso lange. Mann, wenn das mal kein Grund zum Saufen war. Saufen? Kam für mich überhaupt nicht in Frage, schließlich war ich Antialkoholiker.

    Onkel Ferdinand, dem ich sofort berichtete, war dann doch über den schnellen Erfolg ziemlich erstaunt und ich hatte den Eindruck, dass er damit denn doch nicht gerechnet hatte. Aber natürlich freute er sich ganz ungemein und beglückwünschte mich. In dem Supermarkt in Neuss hatte ich sofort nach Erhalt des Arbeitsvertrages gekündigt und verrichtete dort pflichtgemäß bis Ende Juni meine Dienste als Metzgermeister. Es meldeten sich, wie von Onkel Ferdinand vorausgesagt, noch etliche Firmen, deren Interesse durch mein Stellen- gesuch geweckt wurde. Nicht ohne Vergnügen erteilte ich ihnen allen eine Absage. Mir war natürlich bewusst, dass für mich am ersten Juli ein neuer Lebensabschnitt beginnen würde.

    Dann war er da, der Beginn meines neuen Lebensabschnitts: Es war der 1. Juli 2008. Kurz vor 8:00 Uhr morgens stand ich vor dem Hauptgebäude meines neuen Arbeitgebers. Die Eingangstür war geöffnet, ich brauchte also nicht zu klingeln und konnte so ins Haus. Links war eine Tür, natürlich aus massiver Eiche, mit einem großen Messingschild, welches anzeigte, dass sich hinter dieser Tür die Verwaltung befand. Ich brauchte nicht anzuklopfen, denn die Tür wurde von innen geöffnet und eine junge Dame trat mir mit den Worten „Sie sind sicherlich Herr Müller, nicht wahr" entgegen. Als ich bejahte, reichte sie mir ihre Hand und stellte sich als Annegret Moosner vor. Ich möge ihr doch bitte folgen, denn Herr Dr. Schwaden würde mich bereits erwarten. Es ging die Treppe hoch bis zum 1. Stock, sie klopfte an, öffnete die Tür und ließ mich eintreten. „Herr Dr. Schwaden", sagte sie, „hier ist Herr Müller!" Mein Chef, so darf ich jetzt ja wohl sagen, erhob sich und kam mir mit ausgestreckter Hand entgegen. „Wunderbar, dass Sie da sind, denn es gibt viel zu tun für Sie! Zuvor möchte ich Sie aber noch mit meiner Frau, unserer Chefin nämlich, und mit Ihren neuen Kollegen bekannt machen!" Nach diesen Worten öffnete Herr Dr. Schwaden die Tür zu einem Konferenzraum. An einem langen Tisch, natürlich aus massiver Eiche, saß das gesamte Schlüsselpersonal, wie ich es von der Internet-Seite der SÜDWURST GMBH noch in Erinnerung hatte. „Meine Damen und Herren", kündigte Herr Dr. Schwaden an, „ich möchte Sie mit unserem neuen Produktionsleiter, Herrn Frank Müller, bekannt machen!"

    Vor Frau Schwaden machte ich eine tiefe, vielleicht etwas linkisch wirkende Verbeugung, was sie aber scheinbar positiv zur Kenntnis nahm. Solche Verbeugungen waren ihr sicherlich wohl vertraut. Sie war so Ende vierzig, Anfang fünfzig und ihr wohl ursprünglich blondes Haar hatte einen leicht silbernen Glanz. Für eine Frau schien mir ihre Brille etwas zu kräftig gerahmt. Ein Make-up schien sie nicht zu benutzen. Sie trug einen dunkelblauen Blazer und eine hellgraue Hose. Sie erinnerte in ihrem Äußeren sehr an unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ich hatte den Eindruck, dass sie mich mit einem gewissen Wohlwollen betrachtete. Vor dem Prokuristen, Herrn Kärry, der sich von seinem Stuhl erhoben hatte, machte ich nur eine knappe Verbeugung, im Grunde genommen nickte ich nur leicht mit dem Kopf. Herr Kärry, ein eher kleinwüchsiger Mensch mit Halbglatze und kleinen, leicht stechenden Augen machte vor mir aber eine tiefe Verbeugung und drehte dabei leicht den Kopf, sodass er mich mit einem Auge ansehen konnte. Dieses eine Auge funkelte vor Vergnügen, oder war es Hohn? Nachdem er sich von seiner Verbeugung aufgerichtet hatte, sagte er: „Willkommen an Bord, lieber Herr Produktionsleiter!" und dabei funkelten seine Augen wirklich vor Hohn. Hatte der etwas gegen mich? Mir war klar, dass ich mich vor diesem Menschen in Acht nehmen musste. Wie miese und gefährlich der war, das sollte ich sehr bald erfahren. Der Veterinär Dr. med. vet. Joseph Schmeller war ein hochgewachsener, leicht spitzbäuchiger und etwas triefäugiger Mann mit krollig gelocktem Haar. Sein Händedruck war kräftig und tat sogar etwas weh. Grinsend begrüßte er mich mit „Tag´chen Kollege!" Ja, er schien ein umgänglicher Mensch zu sein. Ausgesprochen freundlich begrüßte mich der Vertriebsleiter Johannes Pielsbach, als er lachend rief: „Endlich haben wir wieder einen Produktionsleiter Herr Müller! War aber auch höchste Zeit! Also, herzlich willkommen!" Mit seinem wahrscheinlich maßgeschneiderten Anzug, dunkelgrau mit ganz feinen weißen Streifen, wirkte Herr Pielsbach für meinen Geschmack etwas zu elegant. Zu diesem Eindruck trug auch sein pomadisiertes Haar nicht unwesentlich bei. Ja wirklich, er erinnerte mich an unseren ehemaligen Verteidigungsminister von und zu Guttenberg. Dr. rer. nat. Fritz Breithalser, Lebensmittelchemiker, trug einen weißen Kittel und versuchte den Eindruck eines begnadeten Wissenschaftlers zu machen. Mit näselnder Stimme und einem ironischen Lächeln sagte er, nachdem ich mit einer leichten Verbeugung meinen Namen nannte: „Angenehm, Breithalser! Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen!" Nun zu den beiden Damen: Die Chefeinkäuferin Frau Wesselmann war eine hochgewachsene, sehr schlanke Frau im Alter von etwa 45 Jahren. Sie hatte pechschwarze, künstlich zerzauste Haare, wodurch sie sehr jugendlich, um nicht zu sagen mädchenhaft wirkte. Ich hatte den Eindruck, dass sie Kontaktlinsen trug. Sie lächelte mich freundlich an und betrachtete mich zugleich mit einer gewissen Neugier. Sie sagte nur „Hallo!" zu mir, aber so, dass es mir wie eine vollwertige Begrüßung erschien. Die Leiterin des Rechnungswesens Frau Schäufler fixierte mich zunächst über den Rand ihrer Brille, was ich doch als ziemlich unhöflich empfand. Ihr Alter war undefinierbar und in ihrem grauen Kostüm, mit dem sie ihren gedrungenen Körper verhüllte, wirkte sie wie die berühmte graue Maus. Dennoch lächelte sie freundlich und bemerkte, dass das ganze Team sich über mich als neuen Kollegen sehr freuen würde.

    Nachdem ich so dem Kernteam, dem ich nun auch angehörte, bekannt gemacht wurde, begleitete Herr Dr. Schwaden mich zu meinem Büro, das sich in einem Anbau zwischen der Hauptverwaltung und den Produktionsgebäuden befand. Er wünschte mir viel Erfolg bei meiner wichtigen Arbeit und bot mir an, zur Beantwortung von Fragen meinerseits jederzeit zur Verfügung zu stehen. Dann zog er sich zurück und ich war damit also bei der SÜDWURST GMBH als Produktionsleiter integriert und konnte mit meiner Arbeit beginnen. Ich war voller Zuversicht und Tatendrang. Dass da aber manch eine böse Überraschung auf mich zukommen würde, konnte ich nicht ahnen.

    Es war an meinem zweiten Arbeitstag bei der SÜDWURST, als unser Veterinär Dr. med. vet. Schmeller mich in meinem Büro aufsuchte. Er roch nach Alkohol und beim Sprechen lallte er leicht. „Ich wollte Sie mal besuchen und fragen, wie es Ihnen so geht. Schon gut eingearbeitet? Ach Quatsch, blöde Frage nach zwei Tagen. Aber wissen Sie was? Ich finde es gut, dass Sie vor dem Studium eine solide Lehre absolviert haben und dann auch noch den Meister! Wissen Sie, die meisten Hochschulabsolventen haben doch gar keine Ahnung vom Geschäft, das sind nämlich reine Theoretiker, um nicht zu sagen veritable Luschen!" Wir unterhielten uns über dies und jenes und dabei erfuhr ich so manches über das Unternehmen SÜDWURST GMBH. Und dann bot Herr Dr. Schmeller mir das „Du" an. Ich freute mich darüber und sagte spontan: „Ich bin der Frank! „Fein! sagte Herr Dr. Schmeller, „ich bin der Joseph, aber Du kannst Jupp zu mir sagen, das machen die anderen auch so!" Wir setzten unseren Small-talk noch eine Weile fort, bis Jupp mir eine wirklich wertvolle Information gab: „ Weißt Du Frank, es gibt hier so ein paar linke Vögel, vor denen Du dich ein Bisschen vorsehen solltest. Geradezu gefährlich ist aber dieser Kärry, unser lieber Prokurist. Der ist zu jeder Gemeinheit fähig und Dich hat der sowieso auf dem Kieker, weil er den Posten, den Du jetzt innehast, seinem Schwager zuschanzen wollte. Der Chef, naiv wie der nun einmal ist, hätte da mitgemacht. Nicht aber unsere Chefin, die hat dem Kärry ganz klar gesagt, dass sie in unserem Unternehmen keinen Verwandtschaftsklüngel haben will. Das war schon bei Deinem Vorgänger Joseph Wackermann so, wo der Kärry mit seinem Schwager auch den Kürzeren zog. Vor knapp zwei Jahren war das. Mann, war der Kärry vielleicht sauer. Dein Vorgänger ist hier übrigens sehr gut angekommen und war bald bei allen Kollegen sehr beliebt. Auch der Kärry kam scheinbar prima mit ihm aus, zumindest war er immer sehr freundlich. Dann kam im Februar der Knall. Der Joseph war gerade in der Wurstportionierung, als der Kärry in sein Büro ging und kurz darauf laut schimpfend herauskam. Was war geschehen? Auf dem Bildschirm Deines Vorgängers waren Kinderpornos zu sehen. Der Kärry rannte sofort zum Chef, um ihm über das Unerhörte zu berichten. Beide eilten zu Wackermann´ s Büro in dem gleichen Augenblick, als der zurück- kam. Da war vielleicht was los! Der Chef sprach sofort die fristlose Kündigung aus und erteilte dem vermeintlichen Liebhaber von Kinderpornos Hausverbot. Der Kärry forderte den der Kinderpornografie Beschuldigten auf, seine Privatsachen einzupacken und dann zu verschwinden. Dem Chef kam dann Dein Stellengesuch in der Düsseldorfer Post wie gerufen. Und was machte der Joseph Wackermann? Dem ist es gelungen, Gehör bei der Chefin zu finden und die glaubte ihm, dass er mit dieser Schweinerei nichts zu tun hatte. Sie hatte dann dafür gesorgt, dass die fristlose Kündigung zurück genommen wurde und gab ihm die Möglichkeit, sich erst einen neuen Job aus ungekündigter Stellung heraus zu suchen und dann zu kündigen. Bis dahin lief sein Gehalt weiter. Die Chefin muss sich übrigens dahin gehend geäußert haben, dass sie den Kärry für einen Verleumder hielt. Also lieber Frank, wie sagt man so schön: Holzauge sei wachsam!"

    Nachdem Jupp sich zurückgezogen hatte, war ich zuerst mehr erschrocken als erstaunt und ohne dass ich meinen Vorgänger kannte, war ich von dessen Unschuld überzeugt. Wem aber war solch eine Gemeinheit zuzutrauen? Dem Prokuristen Kärry? Vorsicht, dachte ich, ohne Beweise darf man niemanden beschuldigen. Der Herr Kärry besuchte mich übrigens in den nächsten Tagen häufig in meinem Büro und mit einem gewinnenden Lächeln stellte er mir wohlmeinende Fragen, ob ich mich schon eingelebt hätte, wie ich mit den Kollegen klar käme, ob ich Probleme hätte, wie mir die Arbeit bei der SÜDWURST GMBH gefallen würde und was ich von unserem Chef hielte. „Wissen Sie, der Chef hat auch so seine Macken", sagte er, „aber Sie werden sicherlich noch von selbst dahinter kommen!" Oh, dachte ich, der ist aber wirklich gefährlich, vor dem musst du dich sehr in Acht nehmen.

    Herr Dr. Schwaden ließ sich auch öfters sehen und wirkte dabei sehr fürsorglich. Wenn ich irgendwelche Probleme hätte, sollte ich doch zu ihm kommen. Bei einem seiner Besuche fragte er: „Sie kommen doch auch zu unserer Firmenfeier im Waldhotel Gräfenhöhe? „Oh, antwortete ich, „gilt die Einladung denn auch für mich? Ich befinde mich doch noch in der Probezeit!" Der Chef war das personifizierte Wohlwollen, als rief: „Aber natürlich sind Sie eingeladen Herr Müller, was wäre denn das für eine Firmenfeier ohne unseren Produktions- leiter! Also Herr Müller, Sie sind am 15. August im Waldhotel Gräfenhöhe dabei, nicht wahr? Die Feier beginnt um 19:00 Uhr!"

    Es war am 12. August, also drei Tage vor der Firmenfeier, als ich an Jupp´ s Büro vorbei kam. Er rief mich sofort zu sich. In seinem Büro roch es stark nach After shave bzw. Eau de Cologne. Allerdings hatte der Parfümgeruch einen schweren Stand gegen den Alkoholgeruch und dass Jupp getrunken hatte, war auch seiner lallenden Sprache zu entnehmen. „Hör mal, Frank!" sprach er mich an, „wusstest Du eigentlich schon, dass wir hier im Betrieb eine Goldgrube haben? Nein, wusstest Du nicht? Dann pass´ mal auf: Hinter dem Gewürzlager gibt es eine besondere Abteilung, deren Zugang fast immer verschlossen ist. Zusätzlich verbietet ein Schild allen Unbefugten den Zutritt. Unbefugt sind praktisch alle Mitarbeiter bis auf den Lebensmittelchemiker Breithalser mit seinen Mitarbeitern, und unseren Chef natürlich. Alle hier in dem Laden wissen aber ganz genau, was da gemacht wird und du wirst es zunächst nicht glauben können. Da wird nämlich aus Rindfleisch Lammfleisch gemacht! Da bist du platt, was? Und wer vollbringt die wunderbare Fleischverwandlung? Unser Lebensmittelchemiker mit seinen Mannen! Dieser Breithalser hat eine Methode entwickelt, wie aus Rindfleisch Lammfleisch gemacht werden kann. Diese Methode wird von der SÜDWURST streng geheim gehalten, weil damit eine Menge Geld verdient wird. Hauptabnehmer sind Saudi Arabien, der Irak und der Iran. Ich bin denen aber hinter die Schliche gekommen und weiß, wie die das machen, ich hatte nämlich die Augen offen gehalten, als diese Abteilung eingerichtet wurde: Zunächst wurden mehrere große Behälter installiert, jeweils groß genug, um eine ganze Rinderhälfte aufnehmen zu können. Diese Behälter sind sogenannte Druckkesselbehälter und die Rinderhälften werden darin unter hohem Druck gewässert. Danach kommen die Rinderhälften in eine Vibrations- und Schüttelkammer, in der das Wasser ausgeschieden wird. Anschließend wird Heißluft in die Schüttelkammer geleitet, um die Rinderhälften zu trocknen. Und der dritte Prozessschritt findet wieder in speziellen Druckkesselbehältern statt: Die getrockneten Rinderhälften werden da in ein Bad aus Schafmilch getaucht und die Schafmilch unter Druck gesetzt. Damit ist der Umwandlungsprozess aber noch nicht abgeschlossen, da findet noch eine abschließende Behandlung mit einem oder mehreren Chemikalien statt, die ich aber leider nicht kenne und der Breithalser hält die extrem geheim. Ich vermute, dass noch nicht einmal der Chef voll und ganz eingeweiht ist. Diese Abteilung aber deckt 20% des gesamten Umsatzes der SÜDWURST ab, wobei aber der Gewinn fast 50% ausmacht. Ja, ja, wie ich schon sagte, wir haben eine richtige Goldgrube in unserem Laden!"

    Jupp hatte vollkommen Recht, ich war erst einmal platt. Lammfleisch aus Rindfleisch? Hatte ich noch nie gehört! Doch halt, während meiner Berufsausbildung zum Metzger wurde in der Berufsschule darüber gesprochen, allerdings nur als Idee. So etwas lag damals in weiter Ferne und wurde auch nicht wirklich für möglich gehalten. Seitdem sind aber mehr als fünfzehn Jahre vergangen und der technische Fortschritt entwickelt sich immer schneller. Wie heißt da noch der Werbespruch einer bekannten japanischen Automarke? „Nichts ist unmöglich"! Diese Parole haben sich auch die Chinesen zu Eigen gemacht: Sie machen Rindfleisch aus Schweinefleisch!

    Das Waldhotel Gräfenhöhe liegt fast auf der Grenze zwischen Düsseldorf und Ratingen direkt hinter dem Aaper Wald. Für mich also ausgesprochen günstig, da sich in etwa 100 m Entfernung die Haltestelle der Linie 712 befindet, die mich in knapp 10 Minuten zu meiner Wohnung in Ratingen auf der Mühlheimer Straße bringen konnte. Auch die S-Bahn ist nicht weit entfernt. Das Hotel war ursprünglich ein Landgasthof, der in den 80er Jahren zu einem Hotel umgebaut wurde. Ein großer Saal, für bis zu 150 Gäste konzipiert, machte das Hotel zu einem beliebten Tagungs- und Veranstaltungsort. Und natürlich war das Waldhotel auch ein guter Kunde der SÜDWURST. Die Herren Wald und Dr. Schwaden waren sogar befreundet und gingen als Hobby-Jäger oft gemeinsam auf die Jagd.

    Kurz nach 19:00 Uhr betrat ich das Waldhotel. Nicht nur die etwa 80-köpfige Belegschaft der SÜDWURST GMBH war eingeladen, sondern auch viele Geschäftsfreunde und einige Repräsentanten verschiedener Institutionen wie die Fleischerinnung, die Industrie- und Handelskammer und der Einzelhandelsverband. Auch ein Vertreter des Stadtteilbürgermeisters von Düsseldorf-Derendorf, Herr Fritz Mamper, war eingeladen. Und selbstverständlich war auch der Direktor des Schlachthofes Gast unserer Firmenfeier.

    Die Führungskräfte, zu denen ich ja auch gehörte, sollten sich doch bitte nicht als eigene Gruppe platzieren, sondern sich unter das allgemeine Personal mischen. So der Wunsch unseres Chefs. Ich fand mich deshalb inmitten von Produktionsleuten, von denen ich die Meisten noch kaum kannte und deshalb fühlte ich mich auch zunächst etwas isoliert. Herr Dr. Schwaden hielt die Begrüßungsrede, wobei er die wichtigsten Gäste mit vollem Namen und Titel anredete, und deren besondere Verdienste hervorhob. Er fasste sich aber relativ kurz und nach etwa 15 Minuten eröffnete er das Buffet. Für die musikalische Unterhaltung sorgte die extra engagierte „Old Jazz Man Combo" und da für Speis´ und Trank bestens gesorgt schien, hätte die Feier ein schöner Erfolg werden können. Dass es aber ganz anders kam, hatte Ursachen, die man im Rückblick nur als schicksalhaft bezeichnen kann.

    Na ja, direkt nach der Eröffnung des Buffet´s kam es zu dem erwarteten Andrang. Mit gespielter Bescheidenheit belud besonders der Vertreter des Stadtteilbürgermeister Fritz Mamper seinen Teller bis zum Rand pyramidenhoch. Auch etliche andere Teilnehmer der Feier kamen mit überladenen Tellern zurück zu ihren Tischen. Ich selbst hielt mich vornehm zurück, denn schließlich hatte ich als Produktionsleiter vor allen Dingen den Gästen den Vortritt zu lassen. Mit Stolz nahm ich wahr, wie Frau und Herr Dr. Schwaden meine Zurückhaltung mit Wohlwollen zur Kenntnis nahmen. Sie selbst übten übrigens die gleiche Zurückhaltung.

    Die „Old Jazz Man Combo spielte leise die verträumte Melodie von „Oh happy day und wirklich, der zarte, säuselnde Klang der Klarinette ließ in mir Glücksgefühle aufkommen. Ja, es schien, als wäre der Start in eine schöne Feier wohl gelungen und mir fiel ein Kalenderspruch ein: „Gar wenig braucht´s, um glücklich zu sein!" Dann stand der Chef auf einmal neben mir und ermunterte mich, mich doch auch am Buffet zu bedienen. „Nur zu Herr Müller", sagte er „holen Sie sich vom Buffet etwas zu essen, denn wenn Sie sich nicht beeilen, ist bald nichts mehr da. Sie müssen unbedingt vom SEA FOOD Sortiment probieren, besonders zu empfehlen sind die Tiger Shrimps und die King Prawns. Dazu nehmen Sie ein Glas von dem Rheingau-Riesling aus Kloster Ebersbach, einfach herrlich. Also Herr Müller, nur zu und genieren Sie sich nicht!" Damit zog sich Herr Dr. Schwaden zurück, um mit der Chef- einkäuferin Frau Wesselmann auch ein paar Worte auszutauschen. Hatte er denn wirklich nicht die geringste Ahnung von dem, was auf ihn zukommen würde?

    Ich folgte dem guten Rat des Chefs, ging zum Buffet, nahm Teller und Besteck und belud den Teller zu einem guten Drittel mit den Meeresfrüchten, von denen der Chef so schwärmte. Auch von der Golfsauce nahm ich so viel, dass sowohl die Tiger Shrimps als auch die King Prawns gut bedeckt wurden. Der Filetiermeister Franz Kockermann, machte eine Bemerkung wie „Feinschmecker was?" Ich überlegte, ob es ein Lob oder Hohn war. Zurück am Tisch ließ ich mir von der Kellnerin ein Glas von dem Rheingau-Riesling bringen. Während mir die Meeresfrüchte auf Anhieb ganz ausgezeichnet schmeckten, hatte ich mit dem Wein so ein Problem, denn wie ich ja bereits sagte, war ich Antialkoholiker. Sicher, in Gesellschaft trank ich hin und wieder ein Glas Bier und das ein und andere Mal konnte ich auch zu einem sogenannten Kurzen, einem Schnaps, nicht nein sagen. Aber Wein? Hm, sooft ich früher davon kostete, schob ich das Glas von mir weg. Nun stand der berühmte Rheingau-Riesling aus dem Kloster Ebersbach vor mir auf dem Tisch. Ich nippte davon und wollte das Glas von mir fort schieben. Oh, das konnte ich doch nicht machen, eine Empfehlung vom Chef weg schieben! Nein, der beobachtete mich doch ganz bestimmt. Ich nahm also das Glas und nahm einen Schluck und kaute. Wein kauen? Ja, das hatte ich irgendwo gelesen, dass man Wein kauen soll.

    Meine Tischnachbarn, Leute aus der Produktion, grinsten und machten leise einige Bemerkungen und ich glaubte das Wort Spinner heraus zu hören. Ich ging zum Gegenangriff über und prostete ihnen zu und rief „Zum Wohle, Kollegen, die Shrimps und Prawns solltet ihr auch mal probieren, und nicht zu vergessen dieser erlesene Wein aus dem Kloster Ebersbach, einfach köstlich!" Ich glaube, ich hatte sie beeindruckt. Und irgendwie schmeckte der Wein auch ganz passabel und wurde sogar immer besser; das Glas war bald geleert. Aber auch die Tiger Shrimps und die King Prawns schmeckten so gut, dass mein Teller schnell geleert war. Gesättigt war ich aber noch nicht und so ging ich ein zweites Mal zum Buffet um feststellen zu müssen, dass die Meeresfrüchte fast vergriffen waren und so nahm ich von den Resten und verschmähte auch nicht die Muscheln und die Tintenfische. Dazu nahm ich auch wieder eine angemessene Menge von der Golfsauce. Mein Teller war nun doch sehr befüllt und ich hatte Sorge, als unbescheiden angesehen zu werden. Aber ich fiel damit keineswegs auf. Zurück am Tisch bestellte ich bei der Kellnerin ein zweites Glas Wein und als sie fragte, ob ich einen Doppelpokal haben wollte, bejahte ich. Mit großem Appetit verspeiste ich die Delikatessen und auch dem Wein sprach ich gebührend zu. Ja, dachte ich, gutes Essen kann die Lebenslust befördern und irgendwie entwickelte der Abend sich für mich zu einem großen Lustgewinn. Dass meine Vorliebe für

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