Die Wüstenblume und der Gentleman
Von Marguerite Kaye
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Über dieses E-Book
"Ich habe die absurde Vorstellung, dass Ihre Küsse nach Pfirsich schmecken würden." Königreich Nessarah, 1815. Zart wie eine Blüte und stolz wie eine Königin: Wer ist die geheimnisvolle Fremde, die der britische Archäologe Christopher Fordyce des Nachts mitten in der Wüste antrifft? Die schöne Tahira betört ihn mit ihrer liebreizenden Art - und entfacht in ihm zugleich ein brennendes Begehren nach ihren verlockenden Lippen. Doch nach märchenhaft leidenschaftlichen Stunden im warmen Wüstensand wird Christopher gewahr: Es kann keine gemeinsame Zukunft für ihn und seine geliebte Wüstenblume geben! Denn Tahira ist bereits einem anderen versprochen …
Marguerite Kaye
Marguerite Kaye ist in Schottland geboren und zur Schule gegangen. Ursprünglich hat sie einen Abschluss in Recht aber sie entschied sich für eine Karriere in der Informationstechnologie. In ihrer Freizeit machte sie nebenbei einen Master – Abschluss in Geschichte. Sie hat schon davon geträumt Autorin zu sein, als sie mit neun Jahren einen Wettbewerb in Poesie gewann. 30 Jahre später hatte sie mit einem Historical Roman den Durchbruch.
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Die Wüstenblume und der Gentleman - Marguerite Kaye
IMPRESSUM
HISTORICAL MYLADY erscheint in der HarperCollins Germany GmbH
© 2017 by Marguerite Kaye
Originaltitel: „Claiming His Desert Princess"
erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe HISTORICAL MYLADY
Band 558 - 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg
Übersetzung: Bärbel Hurst
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 09/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783733733728
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.
CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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1. KAPITEL
Königreich Nessarah, Arabien – Juli 1815
Der Mond war kaum mehr als eine schmale Sichel am nächtlichen Himmel, als Christopher sich der Stelle näherte, von der aus er den perfekten Überblick haben würde. In dieser Nacht wirkten die Sterne eher wie staubige Diamanten und weniger wie die klar umrissenen silbrigen Punkte, die sonst das nächtliche Firmament zierten. Obwohl er ziemlich sicher war, dass die Gegend hier verlassen sein würde, hatte er vorsichtshalber sein Kamel am letzten Brunnen zurückgelassen, der mehr als eine Meile von hier entfernt lag. Inzwischen bewegte er sich nicht mehr auf weichem Sand, sondern auf hartem Kies. Hier und da hatten sich Sträucher ihren Weg durch den kargen Boden gebahnt. Staubig und blattlos waren sie, und ihre dicken Dornen schienen nach seinem Umhang greifen zu wollen, als er vorwärts schlich. Seine weichen Stiefel verursachten dabei keinerlei Geräusche.
Die Felsenformation, die er ins Auge gefasst hatte, glich den Mauern einer alten Festung. Im Licht dieser Nacht schimmerten sie rostrot. Deutlich war ein Weg auszumachen, der durch das Gestrüpp führte, direkt zu einem Spalt in den Felsen. Christopher bückte sich, um den Boden zu betrachten, und er erkannte die Spuren schwerer Wagenräder, die hier entlang gerumpelt waren. Er war definitiv am richtigen Ort.
Die freudige Erwartung ließ sein Herz schneller schlagen, aber er durfte sich nicht zu früh freuen. Die geflüsterten Gespräche, die er belauscht hatte, die vorsichtigen Fragen an seine örtlichen Kontaktpersonen, seine eigenen Nachforschungen, sie konnten sich als unbegründet erweisen. Das vertraute Ziehen in der Magengrube und die leichte Erregung, die solche Entdeckungen immer begleiteten, wurden hier getrübt von einer stattlichen Dosis Verzweiflung. Noch nie zuvor in seiner Laufbahn hatte so viel von einem Mineralfund abgehangen.
Eine einzelne Wolke schob sich vor den Mond und warf einen Schatten auf die Wüstenlandschaft, die vor ihm lag. Sechs Monate lang hatte er den Süden Arabiens erfolglos nach dem perfekten Vorkommen natürlicher Bodenschätze abgesucht. Jetzt war seine Liste möglicher Fundstellen erschöpft. Nessarah war sozusagen der letzte Versuch.
„Aber dieses Mal weiß ich, dass ich am richtigen Ort bin", murmelte Christopher entschlossen zu sich selbst. Die Antwort musste hier zu finden sein. Er war dieser Suche, die er sich selbst auferlegt hatte, überdrüssig geworden und sehnte sich danach, sie zu beenden. Ein Scheitern kam nicht infrage.
„Und deswegen muss es gelingen." Unwillkürlich tastete er dabei nach dem Beutel, der das Amulett enthielt. Er musste es nicht herausnehmen, um zu wissen, wie es aussah: pures Gold, in der Mitte glattes Emaille, die Anordnung jedes einzelnen Edelsteines und der seltsam geformte Spalt, der vielleicht der Schlüssel zur Herkunft des Stückes war. Er trug es stets bei sich, eine spürbare Erinnerung an all das, was er verloren hatte – nicht zuletzt seine eigene Identität.
Sein ganzes Leben hatte sich als Lüge erwiesen, errichtet auf falschen Voraussetzungen, als er das Relikt an jenem schicksalshaften Tag kurz nach der Beerdigung gefunden hatte, zusammen mit der Urkunde, die erklärte, warum es da war. Zu jener Zeit war er kaum imstande gewesen, den Inhalt zu verstehen. Selbst jetzt, nach sechs langen Monaten der Wanderung und neun Monaten, die seit jener Begegnung in London vergangen waren, die alles verändert hatte, wurde ihm noch übel, wenn er darüber nachdachte.
Und deswegen gestattete er sich nicht, daran zu denken. Er tastete nach dem Amulett, ein unbezahlbares antikes Artefakt, Symbol für die Lüge, die er unwissentlich gelebt hatte, und der Preis, der gezahlt worden war, damit die verhasste, schmutzige Wahrheit über seine Vergangenheit begraben blieb. Er wünschte, es nie entdeckt zu haben, aber nachdem er das nun einmal getan hatte, konnte er nichts ändern, bis er es losgeworden war und in sein Zuhause zurückkehren konnte. Erst dann konnte er diesem erschütternden Kapitel in seinem Leben ein Ende setzen, die Tafel mit seiner eigenen Geschichte reinwaschen, von Neuem anfangen, ein anderer Mann werden.
Aber so weit war er noch nicht. Zuerst musste er beweisen, dass die neue Mine ihn mit den lebenswichtigen Informationen versorgen würde, die er bisher nicht hatte finden können. Aus reiner Gewohnheit überprüfte er, ob der Beutel mit dem Amulett sicher befestigt war, dass auch sein Gürtel fest saß, dass der Krummsäbel und der kleine Dolch, die daran hingen, schnell gezogen werden könnten, und dass der kleinere Dolch noch immer an seinem Bein befestigt war. Man konnte nie wissen, wann drastische Maßnahmen ergriffen werden mussten. Ein letzter Blick durch sein Fernglas versicherte ihm, dass er allein war, daher stand Christopher auf und begann mit der Suche nach dem Eingang zur Mine.
Tahira befestigte die Zügel ihres Kamels an einem knorrigen Akazienbaum. Das fahle Mondlicht war nicht ideal, um die Gegend zu erkunden, aber das war nicht wichtig. Dies war ihr erster Besuch, ein Unternehmen, um sich mit dem Terrain vertraut zu machen, um herauszufinden, ob es hier Spuren früherer Siedlungen gab oder eben nicht. Sie nahm Kopfbedeckung und Umhang ab und legte sie ordentlich zusammengefaltet unter die Akazie. Ihre Tunika und ihre Hose hatten die Farbe von Tabak, die gleiche wie ihre Reitstiefel, was es ihr ermöglichte, mit den Schatten zu verschmelzen, obwohl in dieser Nacht solche Vorsichtsmaßnahmen nicht nötig waren, denn die Ausgrabungen hatten gerade erst begonnen. Es war zu früh, als dass sich jemand die Mühe gemacht hätte, eine Wache aufzustellen.
Nie zuvor hatte sie eine Mine besucht, die noch in Betrieb war, da sie das Risiko, entdeckt zu werden, für zu groß hielt, aber sie hatte sich auch noch nie von so einer schwierigen Situation zu Hause ablenken müssen. Ihr Bruder war entschlossen, ihr seinen Willen aufzuzwingen. Sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihm eine Nase zu drehen, indem sie dies hier erforschte, sein neuestes Lieblingsprojekt, auch wenn er von ihren Aktivitäten nie erfahren würde.
Vor Aufregung schlug ihr Herz schneller. Nichts war dem hier vergleichbar – ganz allein in der Wüste zu sein. Nichts ließ sich vergleichen mit diesem kribbelnden Gefühl der Erwartung, wenn sie sich fragte, welche verborgenen Schätze sie hier wohl finden würde. Sie hatte schon immer eine starke, lebendige Verbindung zur Vergangenheit verspürt, die sie ihren Schwestern nie hatte erklären können. Die Mädchen konnten diese Liebe einfach nicht begreifen, nicht verstehen, wie ihr Blut pulsierte, wenn sie ein antikes Stück in der Hand hielt oder an einem Ort stand, an dem schon ihre Vorfahren gelebt hatten. Nicht, dass sie diese Gefühle jemals erwähnt hätte. Ihre Schwestern wären entsetzt, wenn sie von ihren nächtlichen Eskapaden wüssten, hätten Angst vor den Konsequenzen, die sie tragen müsste, wenn sie erwischt würde. Sie würde nicht das Risiko eingehen, die Schwestern zu gefährden, indem sie eine solche Information teilte, sondern sie zog es vor, ihr Geheimnis für sich zu behalten. Indem sie das tat, würden die drei Menschen, die sie am meisten auf der Welt liebte, in Sicherheit sein.
Die drei Menschen auf der Welt, die zu verlassen sie bald gezwungen sein würde, wenn ihr Bruder seinen Willen durchsetzte. Der Druck, ihm zu gehorchen, wurde mit jedem Tag größer, daher war sie entschlossen, das Beste aus den schwindenden Momenten der Freiheit zu machen. Sie sah diese kostbaren Nächte als Bollwerk gegen die Zukunft an, die andere ihr aufzwingen wollten. Eine Zukunft, die sie nicht wollte und die sie nicht selbst gestalten durfte. Hier, im Schutze der Dunkelheit, befreit aus dem goldenen Käfig, in dem sie lebte, konnte sie die Last ihrer Geburt ablegen, das Schicksal vergessen, das man ihr aufzwingen wollte, und eine andere Welt betreten, in der niemand außer ihr selbst ihr vorschreiben konnte, was sie zu tun hatte.
Das geschah nicht ohne ein erhebliches Risiko, aber in dem Maße, in dem das Gefühl bevorstehenden Verhängnisses stärker wurde, wuchs auch ihre Entschlossenheit, sich mit diesen geraubten Stunden zu belohnen. An die Konsequenzen, die eine Entdeckung haben würde, wollte sie nicht denken. Sie wollte nicht daran glauben, dass sie erwischt werden könnte. Außerdem, so überlegte sie, sind meine Handlungen so ungewöhnlich, dass es höchst unwahrscheinlich ist, jemand könnte mir so etwas zutrauen. Das war immerhin ein Vorteil, wenn man nur eine Frau war. Ihr Bruder und ihr Vater würden ein solches Aufbegehren nicht für möglich halten, sofern sie einmal daran denken sollten – was sie nicht tun würden.
Eine leichte Brise wehte durch das Gebüsch, spielte mit ihrer Tunika, zog an dem Schal, mit dem sie sich das Haar aus dem Gesicht gebunden hatte. Eine sanfte Erinnerung daran, dass sie Dinge zu erledigen hatte. Sie hängte sich die Ledertasche um, die ihr Notizbuch und ihre Werkzeuge enthielt. Dann begann sie, das Gelände zu erkunden.
Tahira hatte die Felsformation gerade einmal komplett umrundet und war nun dabei, den Eingang zur Mine zu untersuchen, als das flackernde Licht einer Laterne, das aus dem Inneren nach draußen fiel, sie vor Schreck erstarren ließ. Offenbar gab es doch einen Wachposten. Mit wild klopfendem Herzen und trockener Kehle wandte sie sich ab, um zu ihrem Kamel zu flüchten. Er musste sich mit der Gewandtheit und der Schnelligkeit einer Wüstenkatze bewegt haben, denn sie hatte kaum ein paar Schritte gemacht, als ein starker Arm sie um die Taille packte und in die Luft hob.
„Wie können Sie es wagen! Lassen Sie mich sofort los!"
Sie konnte nicht verstehen, was der Wächter darauf sagte, denn er murmelte etwas in einer fremden Sprache, aber er stellte sie sofort auf den Boden, ehe er sie herumdrehte, sodass sie ihn ansehen musste. „Eine Frau! Was um alles in der Welt machen Sie hier?"
Jetzt sprach er Arabisch, allerdings mit einem seltsamen Akzent. Tahira sah ihn erstaunt an. „Sie sind kein Wachposten. Was tun Sie hier? Herumschleichen wie ein Dieb in der Nacht?"
Er lachte laut und hielt die Laterne höher. „Ich hätte allen Grund, Ihnen dieselbe Frage zu stellen."
Er war groß und trug wie sie selbst staubige Alltagskleidung – eine einfache braune Tunika, eine Hose und lederne Reitstiefel. Sein Umhang mochte irgendwann vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein. Aber der Mann selbst war alles andere als alltäglich. Tatsächlich war ihr erster Gedanke, dass man die Begegnung mit einem Mann wie ihm nie mehr vergessen würde. Ihr zweiter Gedanke war, dass er auch auf eine besondere Weise sehr attraktiv war. Sein zerzaustes Haar schimmerte golden im Schein der Laterne. Seine Haut war tief gebräunt, er hatte eine markante Nase und einen sinnlichen Mund. Aber es waren seine Augen, die ihre Aufmerksamkeit erregten, denn sie waren von durchdringendem Blau mit einem Hauch Türkis, und mehr noch als der Krummsäbel, der von seinem Gürtel herabhing, waren es seine Augen, die ihn als gefährlich kennzeichneten.
Tahira erschauerte, als eine Mischung aus Furcht und Erregung sie durchströmte. „Ihnen ist bewusst, dass Sie hier unbefugt eindringen? Diese Mine ist das Eigentum König Haydars."
„Wie alle Minen im Königreich Nessarah, glaube ich, aber wie es aussieht, bin ich nicht der einzige Eindringling. Er hielt die Laterne so, dass das Licht auf ihr Gesicht fiel. „Ich wage zu behaupten, dass Sie kein Minenarbeiter sind, aber falls Sie das doch sein sollten, so sind Sie der attraktivste, dem ich je das Vergnügen hatte zu begegnen. Und glauben Sie mir, ich habe einige Minenarbeiter getroffen.
Seine gelassene Selbstsicherheit im Angesicht einer Situation, die er als gefährlich erkennen musste, war erstaunlich. Und ansteckend. Wenn er keine Angst zeigte, warum sollte sie das dann tun? Er machte keine Anstalten, sie am Weggehen zu hindern. Tahira wusste, sie sollte genau das tun, aber jetzt, da sie sicher war, dass er sie nicht erkannt hatte, wollte sie nicht fort. Es gab für sie keinen Grund, diesem Mann zu vertrauen, doch sie spürte, dass er nicht die Absicht hatte, ihr etwas anzutun. Außerdem war sie sehr neugierig. Und ja, fasziniert und hingezogen auch. Bei seinem Lächeln stockte ihr der Atem. Es brachte sie zu der schockierenden Frage, wie es sich wohl anfühlen würde, seine Lippen auf ihren zu spüren – sie, die in ihren vierundzwanzig Lebensjahren kein einziges Mal geküsst worden war.
„Ihre logischen Fähigkeiten sind zu bewundern, sagte Tahira und konnte nicht anders, als das Lächeln zu erwidern. „Sie haben völlig recht, ich bin kein Minenarbeiter.
Der Fremde holte tief Luft. „Aber Sie sind eine Schönheit. Was machen Sie hier allein in der Wüste mitten in der Nacht?"
„Ich bin durchaus daran gewöhnt, nachts allein in der Wüste zu sein, und bisher hatte ich es nie nötig, meine Einsamkeit zu verteidigen."
Seine Zähne blitzten weiß auf, als er lächelte. „Dann sind wir verwandte Seelen, Madam …?"
Sie zögerte, aber es war unwahrscheinlich, dass ihm ihr Vorname etwas sagte. „In Anbetracht der informellen Art unserer Begegnung denke ich, Sie können mich Tahira nennen."
Er zog die Brauen hoch. „Eine Frau von Diskretion. Es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Tahira. Gestatten Sie mir, mich auf ähnlich informelle Weise vorzustellen. Ich heiße Christopher, sagte er und verneigte sich. „Zu Ihren Diensten.
„Christopher, wiederholte sie langsam. „Ein englischer Name?
, vermutete sie, und als er nickte, fuhr sie fort: „Sie sind weit weg von zu Hause."
„Ich habe kein Zuhause. Seine Miene verfinsterte sich für einen Moment, aber dann zuckte er die Achseln. „Und Sie, Tahira, sind Sie fern von zu Hause?
Jetzt war es an ihr, mit den Schultern zu zucken. „Nicht so sehr weit."
„Sie sind ebenso geheimnisvoll wie diskret."
Sie lachte. „Eindeutig weniger geheimnisvoll als Sie, ein Fremder in diesem Land."
„Ich bitte hier zu unterscheiden, sagte der Engländer und lächelte wieder auf diese hinreißende Art. „Ihre Anwesenheit an diesem Ort gibt Anlass zu vielen Fragen. Warum erkundet eine schöne Frau in Männerkleidung eine Mine, ganz allein und mitten in der Nacht? Wie ist sie hierhergekommen? Woher ist sie gekommen? Warum die Verkleidung? Sie glauben doch nicht wirklich, irgendwen damit täuschen zu können und für einen Mann gehalten zu werden?
Obwohl sein Tonfall noch immer scherzhaft klang, hatte sie den starken Eindruck, dass seine Fragen auf etwas abzielten. Es ist nur natürlich, dass er neugierig ist, dachte sie, in Anbetracht meiner ungewöhnlichen Erscheinung. Aber sie konnte es nicht riskieren, dass er zu neugierig wurde. „Meine Kleidung ist einfach praktisch, genau wie Ihre", sagte sie.
Sie hatte ihn unterschätzt. „Ihre Kleidung ist aus deutlich teureren Materialien gearbeitet als meine, und sie ist auch weit weniger abgetragen. Das beweist, falls das überhaupt nötig wäre, dass Sie kein Minenarbeiter sind, sagte er. „Und doch wissen Sie, dass diese Mine existiert. Sie ist gerade erst geöffnet worden, die Arbeiten befinden sich noch in einer Frühphase. Wie sind Sie an diese Information gekommen?
Tahira spürte, wie sich ihr Magen verkrampfte. Sie zuckte die Achseln, gleichmütig, wie sie hoffte. „Ich könnte Ihnen dieselbe Frage stellen."
„Das könnten Sie, entgegnete der Engländer. „Aber ich habe Sie zuerst gefragt.
Sein Tonfall klang unverändert, noch immer angenehm, auch seine Miene veränderte sich nicht, dennoch wusste sie ohne jeden Zweifel, dass er eine Antwort hören wollte. Was vermutete er wohl? Sie ahnte, dass er jede Lüge durchschauen würde – aber die Wahrheit, nein, das war unmöglich. Am sichersten wäre es, ohne jeden Kommentar zu gehen, doch sie stellte fest, dass die Sicherheit sie nicht reizte.
„Ich bin nicht an der Mine selbst interessiert, sagte Tahira und beschloss, einen Teil der Wahrheit anzubieten. „Ich bin nur an der Möglichkeit interessiert, dass durch das Abtragen der Erdschichten Spuren einer antiken Siedlung ans Tageslicht kommen.
Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Antwort eine so starke Wirkung auf den Engländer haben würde, und sie hatte auch nicht wirklich geglaubt, ihn damit von seiner ursprünglichen Frage ablenken zu können, aber das tat sie. Er hob die Brauen, und jede Spur eines Lächelns verschwand aus seinem Gesicht. „Und? Haben Sie einen solchen Beweis gefunden?, fragte er. „Haben Sie eine Ahnung davon, wie alt eine solche Siedlung sein würde?
„Dies ist mein erster Besuch hier, allerdings … einige der Bodenschätze Nessarahs wurden seit alter Zeit abgebaut, gab Tahira zurück und versuchte zu verstehen, woher diese Veränderung bei ihm rührte. „Oh, ist es möglich … sind Sie selbst an solchen Orten interessiert?
Ihr Erstaunen brachte ihn wieder zum Lächeln. „Ich bin mehr als interessiert. Tatsächlich bin ich leidenschaftlicher Archäologe."
Jetzt sah sie ihn verblüfft an. „Machen Sie sich über mich lustig?"
„Nein, im Ernst. In den letzten Jahren war ich an einigen archäologischen Ausgrabungen beteiligt. Ein paar davon in Großbritannien, aber die meisten in Ägypten. Ich muss allerdings sagen, dass mir auf meinen Reisen nie ein weiblicher Archäologe begegnet ist. Arbeiten Sie allein?"
„Ich arbeite nicht. Es interessiert mich, das ist alles."
„Ein Interesse, dem sie in den dunklen Stunden der Nacht nachgehen?"
Da war wieder dieser Blick. Es war dumm zu glauben, dass er ihre Gedanken lesen konnte, aber genau so fühlte sie sich. Tahira verschränkte die Arme und sah ihm direkt in die blauen Augen. „So wie Sie?"
„Wie Sie bereits erkannt haben, habe ich keine Erlaubnis des Königs, hier zu sein, ebenso wenig wie Sie. Ich frage mich, was Sie hierhergelockt hat, zu gerade dieser Mine in ausgerechnet dieser Nacht?"
Tahira verstand nicht, woher der scharfe Unterton in seiner Stimme kam. Was um alles in der Welt unterstellte er ihr? „Sie glauben doch nicht, dass meine Anwesenheit hier irgendetwas mit Ihnen zu tun hat?"
Sie hatte das ganz ohne nachzudenken gesagt, aber sie hatte offenbar ins Schwarze getroffen.
„Sie werden zugeben, dass das ein seltsamer Zufall ist."
„Ein Zufall, und sonst nichts, gab Tahira ein wenig verstimmt zurück. „Wer sind Sie, dass Sie glauben, ich würde solchen Aufwand betreiben, um Ihre Bekanntschaft zu machen?
Er wirkte etwas verlegen. „Verzeihen Sie, ich bin einfach von Natur aus misstrauisch. Und außerdem sehr neugierig. Wenn unsere Begegnung tatsächlich zufällig sein sollte, dann ist es ein ganz reizender Zufall. Wissen Sie vielleicht, was man hier zu finden hofft?"
Er beschäftigte sich damit, die Laterne zu löschen, aber Tahira ließ sich nicht täuschen. „Wissen Sie es?"
Sie erwartete nicht, dass er darauf antwortete, doch er tat es. „Türkise."
„Das sollte ein sehr gut gehütetes Geheimnis sein."
Zu spät verstand sie, warum er sie so prüfend ansah, und begriff, dass sie ihm in die Falle getappt war. „Es stimmt also."
„Sie sind ein Spekulant?"
Er packte sie am Arm. „Es stimmt? Woher wissen Sie das so genau? Wenn das wirklich eine Türkismine ist, dann würde das das Ende meiner sehr langen Reise bedeuten."
In seinen Augen lag ein seltsamer Glanz, ein wilder Ausdruck auf seinem Gesicht. Zutiefst enttäuscht riss sie sich von ihm los. „Sie sind also ein Spekulant auf der Suche nach Reichtümern."
Aber Christopher schüttelte heftig den Kopf. „Wenn ich das wäre, meinen Sie nicht, ich wäre dann mehr daran interessiert, neue Gold- oder Diamantvorkommen zu finden? In Nessarah gibt es von beidem genug."
„Woher um alles in der Welt wissen Sie das?"
„Das ist nicht wichtig. Was wirklich wichtig ist, ist die zweifelsfreie Bestätigung, dass es sich hier wirklich um eine Türkismine handelt."
„Es ist noch gar keine Mine", erklärte Tahira, die sich enttäuscht fühlte. „Wenn Sie wirklich ein Archäologe sind, wie Sie es behaupten, warum sind Sie dann mehr daran interessiert, dass dieses Mineral jetzt hier abgebaut wird, als an der Frage, ob es bereits in alten Zeiten abgebaut wurde?"
„Die Wahrheit ist, dass beides bedeutend ist für den erfolgreichen Abschluss meiner Suche."
„Eine Suche? Bei Ihnen klingt das wie ein edles Unterfangen."
„Es ist nichts Edles daran, ganz im Gegenteil, aber es ist ein Unterfangen. Der Engländer runzelte die Stirn. „Ich habe keine Ahnung, wer Sie sind, warum Sie allein hier sind, oder woher Sie Ihre Informationen haben, aber wenn Sie etwas über Nessarahs alte Minen wissen, dann könnten Sie für mich ein wertvollerer Fund sein als Diamanten.
Eine Erklärung, die ihr Interesse weckte, auch wenn sie ihm das nicht zeigen wollte. „Ich möchte nicht behaupten, eine Expertin zu sein, allerdings gehört es zu meinen Leidenschaften, Nessarahs Geschichte zu studieren, sagte Tahira vorsichtig. „Ich habe nicht gelogen, was den Grund meines Hierseins betrifft.
„Ich versichere Ihnen, auch ich habe nicht gelogen. Auch ich bin hierhergekommen auf der Suche nach einer alten Siedlung, weil mich das der Lösung eines antiken Rätsels einen Schritt näher bringen würde."
„Was für ein Rätsel denn?", fragte sie und gab es auf, so zu tun, als wäre sie nicht interessiert.
Aber Christopher, der eben noch kurz davor gewesen war, sich ihr anzuvertrauen, schien jetzt Bedenken zu haben. „Woher soll ich wissen, ob ich Ihnen