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Geißel der Niedertracht
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eBook278 Seiten3 Stunden

Geißel der Niedertracht

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Über dieses E-Book

Mit der Macht hält es Inspector Safiotte wie ein König aus dem Morgenland vor dreitausend Jahren, denn die Speakeasys und Bordelle der Stadt zahlen ihm regelrecht Tribut — Dealer und Buchmacher überreichen gewisse Umschläge, Huren sind ihm jederzeit gefällig. Wer weiß, vielleicht zahlen sich diese Gefallen ja eines Tages aus, denn der Inspector ist immerhin ein einflussreicher Mann. Ausgerechnet als der Bürgermeister ihn nicht wie erwartet zum Commissioner ernennt, bekommt Safiotte Probleme mit dem Blinddarm und die Frau eines ihm unterstellten Polizisten erweist sich als die große Liebe seines Lebens. Als der Banker Tinevelli (ein Sandkastenfreund Safiottes, bei dem er sein Schmiergeld anlegt) Geld unterschlägt und untertaucht, um eine Erpressergang zu bezahlen, schmiedet Safiotte einen skrupellosen Plan, um alle Fliegen mit einer Klappe zu schlagen …

Im New York der Prohibition beschwört PJ Wolfson eine nahezu alttestamentarische Atmosphäre herauf. In seinem längst vergessenen Polizei-Noir-Roman skizziert er NYC als Gomorrha und relativiert damit selbst moderne Varianten wie Abel Ferrars Bad Lieutenant.
SpracheDeutsch
HerausgeberPulp Master
Erscheinungsdatum6. Sept. 2019
ISBN9783946582083
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    Buchvorschau

    Geißel der Niedertracht - P.J. Wolfson

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    P.J. Wolfson

    Geißel der Niedertracht

    Vorwort

    von Silke Buttgereit

    Während Black-Novel-Autoren wie Dashiell Hammett, Raymond Chandler und James Mallahan Cain unangefochten im Pantheon großer Autoren des 20. Jahrhunderts neben einem John Dos Passos beheimatet sind, sind deren Zeitgenossen Mickey Spillane, David Goodis, Armitage Trail oder Horace McCoy wenigstens den Kennern des schwarzen Genres ein fester Begriff. Ihre Romane und Storys findet man mal mehr, mal weniger konzeptlos und willkürlich ins Deutsche übersetzt. Warum wieder andere Autoren der 20er und 30er Jahre wie Paul Cain und P. J. Wolfson völlig in Vergessenheit gerieten, ist eine Laune des Nachruhm-Schicksals, die sich aus ihren Werken nicht erklärt.

    Versteh einer die Rezeptionsgeschichte — auch in den USA ist Pincus Jacob Wolfson als Schriftsteller vergessen. Bodies are Dust, 1931 erstmals erschienen, wurde dort seit den 40er Jahren nicht wieder aufgelegt. Umso erstaunlicher ist jedoch, dass derselbe Roman unter dem etwas fragwürdigen Titel A nos amours in Frankreich bereits kurz nach Gründung der Série Noire 1950 von Marcel Duhamel höchstpersönlich und in kongenialer sprachlich deftiger Auguste-Le-Breton-Manier ins Französische übersetzt wurde (in der Erstausgabe lautete der Titel allerdings Corps perdus). Dort gilt der Roman seitdem als Klassiker des amerikanischen Roman Noir und wurde im vergangenen Herbst neu aufgelegt.

    Als Drehbuchautor vor allem zahlreicher Musicals, Liebesschmonzetten und Komödien der 30er und 40er Jahre ist P.J. Wolfson Filmfans durchaus ein Begriff. Er schrieb Plots und Drehbücher für fast 30 Filme und war so Wegbegleiter der Karrieren von John Wayne, Clark Gable, Joan Crawford, Fred Astaire, James Stewart, Peter Lorre und Barbara Stanwyck.

    Wolfson wurde am 22. Mai 1903 geboren und starb im April 1979. Viel mehr ist nicht bekannt, seine produktivste Phase war zwischen 1930 und 1950, danach erschienen bis 1960 noch mehrere Romane. Das komische Genre, in dem Wolfson als Drehbuchautor reüssierte, lässt er als Romancier links liegen, hier ist er dicht, düster, zynisch, schwarz.

    Bodies are Dust — Geißel der Niedertracht — ist Wolfsons erster Roman und thematisch eine typische hardboiled Black Novel, wie sie im Umfeld des Black Mask Magazins massenhaft entstanden. Die Themen des Plots sind wenig spektakulär — Geschichten von Betrug, Korruption und Hinterhalt sind ebenso wie zwielichtige Protagonisten klassische Ingredienzen des Genres. Aber im Vergleich zu Geißel der Niedertracht liest sich der fast zeitgleich erschienene Malteser Falke Dashiell Hammetts mit dem zwar verrotteten, aber eindeutig moralisch motivierten Sam Spade wie die rührende Geschichte vom Windmühlen-Kampf eines Gutmenschen.

    Buck Safiotte, Wolfsons Protagonist und Ich-Erzähler, mag ein eiskalter Killer sein, er ist reichlich skrupellos, brutal und gewalttätig. Einer, der gelernt hat zu überleben, der nach oben will und mitnimmt, was sich auf dem Weg dahin an Annehmlichkeiten bietet. Das ungut dumpfe Gefühl, das Geißel der Niedertracht verbreitet und hinterlässt, erklärt sich jedoch weniger aus den gewalttätigen Szenen und der fiesen Intrige, mit der Safiotte seinen Nebenbuhler aus dem Weg räumt.

    Es ist die absolut klare und präzise Sprache des Ich-Erzählers, der seine eigenen Motive, Emotionen und körperlichen Schmerzen mit einer so kristallenen Teilnahmslosigkeit schildert, dass Welt und Mensch tatsächlich von allen guten und lebendigen Geistern verlassen zu sein scheinen. In Geißel der Niedertracht grassiert das Böse nicht einmal mehr als wütende Bestie, sondern wird mit der gleichen Nicht-Dramatik beschrieben wie das Schattenspiel der Frühjahrssonne auf den Gehwegen einer Großstadt oder die lebensgefährliche Operation des eigenen Blinddarms. Ähnliches liest man gute zehn Jahre später in Camus’ Der Fremde — dort liegt die Amoralität des Ich-Erzählers gleichfalls weniger in der Brutalität des Mordes als in der Zufälligkeit und Leidenschaftslosigkeit der von ihm begangenen Tat.

    Geißel der Niedertracht ist jedoch mehr als ein beunruhigend amoralischer Roman.

    Wolfson selbst beschwört mit dem Titel des Romans und dem Eingangszitat aus dem Babylonischen Talmud eine alttestamentarische Atmosphäre. Dann aber erzählt er in einem grandios entworfenen modernen Milieu und in erschütternd emotionskargem Stil den biblischen Plot vom großen König David und seiner Mätresse Batseba. David schickt Batsebas Mann, den Hethiter Uriel, im Krieg an die gefährlichste Front und Uriel stirbt wie beabsichtigt. David heiratet Batseba, sie bekommen einen Sohn, den Gott zur Strafe krank werden und sterben lässt. Die Grundzüge dieser Geschichte aus dem 11. und 12. Kapitel des ersten Buches Samuels finden sich frappant detailgenau in Wolfsons Roman wieder.

    Dass die literarische Schule der amerikanischen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts aus Shakespeare und der Bibel bestand, ist eine literaturhistorische Plattitüde. Dass ein Autor den alttestamentarischen Stoff so unverblümt ins großstädtische Amerika der 20er Jahre verlegt, ist kaltblütig genial und scheint mir einzigartig. Eine amoralische Geschichte auf der Folie der größten westlichen Moralquelle, der Bibel, zu erzählen, schafft eine sehr eigenwillige und düster dramatische Atmosphäre. Zumal der alttestamentarische Gott mit dem gepflegten lieben Gott, den das zeitgenössische Christentum gerne auf seine Fahnen schreibt, wenig gemein hat. Das alte Testament ist unter anderem eine Sammlung knallharter und bluttriefender Geschichten, denen nichts Menschliches und Unmenschliches fern ist — Mord, Totschlag, Sadismus, sexuelle Gewalt und Misshandlung, Inzest und grausame Intrigen. Der Gott dieser Talmudgeschichten ist auch kein nachsichtiger und vergebender, sondern ein launisch liebender und strafender Choleriker, undurchschaubar und unheimlich. Und es ist der Gott, auf den sich die drei großen monotheistischen Weltreligionen, Judentum, Christentum und Islam, gleichermaßen beziehen.

    So lässt sich Geißel der Niedertracht noch einmal lesen als Geschichte des Kleindespoten und Ganovenkönigs Safiotte, als die klassische Geschichte eines Menschen, der irrt. Schuld und Sühne werden durch den biblischen Hintergrund zum zentralen Thema des Romans. Dieser Background-Plot tönt das todtraurige Ende — auch ohne den biblischen Bezug ein minimalistisch herzzerreißendes Klagelied, das die erzählerische Teilnahmslosigkeit der vorangegangenen 200 Seiten rückwärts durchdringt — mit archetypischen Klangfarben:

    Das war’s: Jazz und Tränen und Tod.

    So viel muss man mit so wenigen Worten erst einmal sagen können und zugleich so souverän den Bogen spannen zwischen archaischer Moraltradition und einsamer Trauer eines gebrochenen Menschen der amoralischen Metropolen des 20. Jahrhunderts.

    Die Pulpmaster-Macher sichten gerade weitere Romane P.J. Wolfsons. In dem wenige Jahre später erschienenen Is my Flesh of Bress? ist die biblische Anlehnung ähnlich plakativ wie in Geißel der Niedertracht. Titel und Eingangszitat stammen aus der Klage Hiobs. Hiob und Roman Noir zwischen zwei Buchdeckeln — der Gedanke ist überraschend nahe liegend, es musste eben nur einer drauf kommen. Kann sein, dass es bei Wolfson noch viel zu entdecken gibt.

    »Beschwichtige deinen Genossen nicht im Augenblick seines Zorns, tröste ihn nicht, solange sein Toter vor ihm liegt, löse ihm das Gelübde nicht bei seinem Geloben, und bestrebe dich nicht, ihn zu sehen in der Stunde seines Verderbens.«

    Sprüche der Väter

    I

    Es war Frühling, als man mich auf den neuen Posten versetzte; nur erinnerte wenig an Frühling, viel hingegen an einen späten Winter. Die Bürgersteige waren voller Eis, vernarbt durch den raschen Wechsel von Tauwetter und neuerlichem Frost. An einigen Stellen schimmerte die vereiste Fahrbahn wie poliert, an anderen wiederum war der Matsch zu dick, um zu gefrieren. So kam es, dass wenn ein LKW langsam vorbeifuhr, der Matsch unter seinen Rädern hervorquoll wie Eiter aus einer entzündeten Wunde. Manchmal aber, wenn ein Pferdekarren aus Richtung der Docks heranrollte, spritzte der Schlamm unter der Kraft der Hufe bis auf den Bürgersteig.

    Von den Fenstern der Polizeiwache konnten wir in die Gemeindeschule und das Nonnenkloster auf der anderen Seite der Straße sehen. Zumindest tagsüber, am Abend hielten sich keine Kinder in der Schule auf; auch das Nonnenkloster war dunkel und hinter den heruntergelassenen Jalousien zeichneten sich lediglich Schatten ab.

    Das Schulgebäude war gelb und schmucklos, genau wie das Kloster. Rechts und links der Gebäude standen rote Wohnhäuser mit Fenstersimsen, Mauervorsprüngen und verrosteten Feuerleitern. Oft betrachtete ich die Fenster im obersten Stockwerk des roten Hauses neben dem Kloster; ich kannte die Nutte, die dort mal gewohnt hatte. Irgendwann zog sie weg. Wegen der Nachbarschaft, hatte sie gesagt. Die sei schlecht fürs Geschäft.

    Wenn es trübe und regnerisch war und die Kinder in knöchellangen Regenmänteln die Schule verließen, vermittelte mir der Blick durch das Fenster, auf dessen schmutziger Scheibe der Regen saubere Schneisen hinterließ, das Gefühl, auf einem großen Hügel zu stehen und auf erwachsene Leute hinunterzuschauen. Die Nonnen hatten dann etwas von schwarzen Riesen, die die Leute überragten.

    Von uns aus gesehen verlief das Stadtgebiet Richtung Fluss abschüssig und von den seitlichen Fenstern hatten wir einen Blick über die Dächer hinweg bis zum Grauviolett des Steilufers auf der anderen Fluss-Seite. Den Fluss selbst sah man nicht, aber man wusste, er war da, dafür sorgten die Schiffshörner und die dunklen Rauchwolken, die von den Schornsteinen der Schiffe aufstiegen. Manchmal, bei Sonnenschein, wenn die Schiffe weit genug auf den Fluss hinausfuhren, konnten wir die Schornsteine mit ihren aufgemalten gelben oder roten Querstreifen erkennen. Ein recht netter Anblick vor dem Braun und Grau der Erde und den Felsen.

    Wenn die Sonne schien, kamen Tauben von den Simsen der roten Häuser geflogen und pickten den Hafer aus dem Pferdemist, der auf der Fahrbahn lag. Sie hatten ihre Nester unter den Simsen der roten Häuser, das gelbe Nonnenkloster oder die Gemeindeschule waren dafür zu flach.

    Oben auf dem Steilufer erstreckte sich ein Waldgebiet, dessen Ausläufer bis an den Abgrund reichten; ich hatte es einmal durchfahren, als ich die Stadt verließ, um Ferien zu machen, und so wusste ich, dass es sich bis tief ins Land ausdehnte, um sich irgendwann in Gestrüpp und dann in hügeliges Farmland zu verwandeln. Als ich dieses Waldgebiet betrachtete, musste ich daran denken, wie wir als Jungen erst mit der heißen, überfüllten Hochbahn fuhren, danach in einem kühlen Zugabteil mit grünen Polstern — das Fahrgeld bedeutete eine ›Ausgabe‹ für unsere Eltern; es bereitete mir zusätzlichen Spaß, eine ›Ausgabe‹ zu verursachen, weil ich mir einbildete, es bleibe dann weniger für die Priester übrig. Die Fahrt ging hinaus auf eine grüne Insel mit Sandstränden, weit außerhalb der Stadt (wie jeder im Slum waren auch wir verrückt nach allem, was grün war und wuchs), wo wir nach Muscheln gruben, badeten und halb nackt im Gras lagen. Später machten wir Feuer, um die Fische zu braten, die wir gefangen hatten.

    Ich erinnerte mich, wie Teeny, Danny und ich loszogen, um Holz für das Feuer zu sammeln, und zwei Frauen entdeckten, die eng beieinander im Gras lagen. Eine von ihnen sprach Teeny an und fragte, ob er in ihrem Garten spielen wolle, und er antwortete, wenn ihr Garten groß genug sei für uns drei, würden wir dort spielen. Mit einem Male füllten sich die Muschel-Tümpel mit Schlamm und das Wasser, einen Ölfilm auf der Oberfläche, roch modrig, ich spürte wieder die Atmosphäre, in die ich eingetaucht war, als ich mich einen dunklen Flur entlanggestohlen hatte, einer Hure im Kimono und ihrem Freier auf den Fersen; doch was ich sah, waren zwei Frauen im Gras, bekleidet mit geschlitzten Röcken. Wir nahmen sie mit zu den anderen und stiegen in die Boote. Teeny und eine der Frauen kamen zu mir ins Boot. Wir trugen Badesachen und als Teeny aufstand, langte die Frau nach oben, um ein wenig Seetang wegzuwischen, der an seinem Oberschenkel klebte, dabei berührte sie Teenys nackte Haut und er sprang rasch kopfüber ins Wasser. Sie sah mich an und lachte, und ich lachte auch.

    Später, als sie mich baten zu gehen, existierten weder Felder noch grüne Bäume für mich, nur eine Frau mit großen, gesunden Brüsten und üppigen Hüften, die sich unter all dem feuchten Seetang, der an ihr hing, abzeichneten. Wir sahen sie nicht wieder, also fuhr ich nicht mehr hin, sondern blieb in der Stadt, machte Bekanntschaft mit Bordellen und lernte zu lachen, statt die Zähne zusammenzubeißen, wenn ich meine Mutter und meinen Vater hörte, die im selben Zimmer mit mir schliefen.

    II

    Bei den nächsten Wahlen geschah das Übliche: Wir gewannen. Und ich wurde zum Inspector befördert. Doch ich war enttäuscht, ich hatte mehr erwartet. Ich sagte nichts und ließ mir nichts anmerken — Forrester war tot und der Rest hatte ein schwaches Gedächtnis —, sondern ging zur neuen Polizeiwache, wo ich nicht nur eines der oberen Stockwerke für mich allein hatte, sondern auch noch einen Sekretär, einen Mann von einsachtzig, der sich an meinem Schnaps vergriff, wenn ich nicht da war.

    Neu war mir die neue Wache nicht, schließlich hatte ich dort als Lieutenant meinen Dienst versehen. Jetzt war ich Inspector, ansonsten war alles beim Alten. Derselbe Sergeant am Empfang und einige der Streifen- und Zivilbeamten waren ebenfalls dieselben; älter zwar, aber immer noch dieselben. Alle gaben vor, froh zu sein, mich zu sehen, doch ich wusste, dem war nicht so. Ich stand jetzt oben und sie waren dieselben geblieben — ›ganz oben‹ war immer mein Ziel gewesen und dafür trampelte ich alles nieder.

    Später zog ich mit dem ›Jid‹ los, um einen Teil meines Reviers zu inspizieren; ich kannte es von früher, nur hatte sich alles ein wenig verändert, die Häuser sahen nicht mehr so verhurt aus und die Straßendirnen gingen ihrem Gewerbe nicht mehr so offensichtlich nach. Wir beobachteten, wie eine einen alten Mann aufgabelte, und zwar auf so liebenswürdige Art, dass selbst uns Zweifel kamen, ob sie nicht doch alte Bekannte seien.

    Es war sehr angenehm hier und ich war froh, dieses Revier zu haben, auch wenn sie mich nicht zum Commissioner gemacht hatten. Es handelte sich um einen sehr reichen Bezirk, denn ich sah Speakeasys, viele in jeder Straße, und Hotels — ebenfalls viele in jeder Straße —, von denen ich wusste, dass dort Frauen vom Gewerbe wohnten. Mittendrin lag das Theaterviertel, wo die Zocker, Drogendealer und Gangster ihren jeweiligen Beschäftigungen nachgingen. Ich würde vorsichtig sein, aber reich und obendrein zufrieden, denn ich würde unter den attraktivsten Frauen wählen können.

    Die Straßen waren nicht mehr für den Bau der U-Bahn aufgerissen und dort, wo keine Gebäude standen, hatte man sie mit Kopfsteinpflaster versehen. Über die glatten und breiten Fahrbahnen rollten viele Automobile, Ampeln blinkten ihnen rote und grüne Befehle entgegen. Die Fahrzeuge sahen aus wie Automaten, die sich mechanisch gesteuert fortbewegten; anders im Theaterviertel, wo es durch die Leuchtreklame so hell war, dass man die Fahrer hinter den Lenkrädern deutlich erkennen konnte.

    Während unseres Rundgangs notierte ich mir diverse Adressen — Speakeasys sind so leicht zu finden —, um sie mit der Liste am schwarzen Brett im Zimmer der Detectives zu vergleichen. Eine inoffizielle Liste mutmaßlicher Gesetzesübertretungen, die dort für sie bereithing und auf der jede Geschäftsadresse im Bezirk aufgeführt war, daneben der Name des Inhabers und die ihm unterstellte Gesetzesübertretung. Wer angemessen zahlte, kam nicht auf die Liste, so viel wusste ich; nicht wegen der Loyalität eines Detectives gegenüber demjenigen, der ihn schmiert, sondern weil ein anderer Kollege Wind davon bekommen und sich seinen Teil vom Kuchen holen könnte. Im Geiste versprach ich ihnen drastische Veränderungen. Ich würde mir meinen gesamten Anteil sichern.

    Wieder zurück in meinem Büro, nahm ich eine Flasche aus der Schreibtischschublade und bemerkte sofort, dass mein Sekretär mir wieder einmal zuvorgekommen war, denn bei meinem letzten Drink reichte der Schnaps noch bis zum Etikett auf dem Flaschenhals, jetzt lag der Spiegel darunter.

    Ich rief den Sekretär herein und zeigte ihm die Flasche. Sein Blick wanderte von mir zur Flasche und wieder zurück. Es war eine rechteckige, kompakte Flasche mit langem Hals, die recht hübsch aussah mit ihrem gold-schwarzen Etikett. Ich nahm ein Whiskeyglas aus der Schreibtischschublade, goss etwas von dem braunen, gluckernden, süßlich riechenden Brandy hinein und hielt es dem Sekretär hin, er möge trinken. Er sah mich an, dann den Schnaps, der im Schein des Lichtes sanft schimmerte.

    »Trink!«, befahl ich ihm.

    Er nahm das Glas und wollte ansetzen, um den Schnaps hinunterzuschütten.

    »Kleine Schlucke, du Trottel«, sagte ich und er nahm kleine Schlucke. »Schmeckt’s?«

    »Ja, Sir.«

    »Gut, nicht wahr?«

    »Ja, Sir.«

    »Das war der Letzte. Ab sofort lässt du die Finger von meinem Schreibtisch. Und jetzt mach, dass du rauskommst.«

    Er wurde rot und verließ den Raum, eine Minute später hörte ich das Klappern seiner Schreibmaschine, dann war Ruhe. Ich sah nach und da saß er, das Kinn in die Hand gestützt, und starrte ins Leere. Als er bemerkte, dass ich ihn beobachtete, errötete er wieder und beugte sich über seine Schreibmaschine.

    Ich trank ein großes Glas Creme de Cocoa; doch zuerst hielt ich es ins Licht, des warmen, braunen Glanzes wegen, dann trank ich langsam, in kleinen Schlucken, mit Pausen dazwischen, des Geschmackes wegen. Unaufgefordert goss sich der Jid ebenfalls ein Glas ein und trank es aus.

    »Wie kannst du nur dieses süße Zeug trinken?«, fragte er.

    »Ich mag Süßes.«

    »Das ist was für Frauen.«

    Ich trinke nicht des Trinkens wegen, sondern wegen des Geschmackes. Deshalb mag ich keinen Gin, einen Schnaps, gemacht für Engländer und Schweden und alle anderen unterkühlten Völker. Wenn es um Schnaps geht, kommt meine italienische Seite zum Vorschein; auch wenn ich betrunken bin, bin ich Italiener, ich werde traurig und verbittert und bemitleide mich selbst. Die Wärme des Brandys in meinen Adern, fiel mir die Ungerechtigkeit ein, die mir — aus meiner Sicht — widerfahren war.

    »Diese verdammten Scheißkerle«, sagte ich.

    Der Jid schwieg. Er wusste, wovon ich sprach, er war mein Vertrauter. Als mein Leibwächter wusste er so ziemlich alles. Ich benötigte keinen Leibwächter, aber ich konnte den Jid gut leiden und sorgte dafür, dass er in meiner Nähe war.

    »Er und ich und dieser Jude, Stein, wir waren zusammen in jedem Bordell dieser Stadt. Und wie oft hatten wir sogar dasselbe Mädchen — und jetzt kommt er mir mit so einem Deal.«

    »Wenn du schon diese einmalige Gelegenheit hattest, warum hast du sie nicht genutzt, um etwas in der Hand zu haben, was du gegen ihn verwenden kannst?«

    »Wer konnte denn ahnen, dass dieser Idiot Bürgermeister wird und dass Forrester ausgerechnet vor den Wahlen stirbt?«

    »Er war alt und das wusstest du.«

    »Natürlich hab ich das gewusst, aber er hätte ja nicht unbedingt jetzt abtreten müssen, wo es für mich so gut lief.«

    »Ich weiß nicht, worüber du dich beschwerst«, sagte der Jid. Er durfte mir gegenüber diesen Ton anschlagen, denn ich mochte und bemutterte ihn, außerdem begleitete er mich ständig und erlebte mich in Situationen, in denen ich keine offizielle Würde zur Schau trug.

    »Warum soll ich mich nicht beschweren, wenn man mir doch den Job des Commissioners versprochen hat? — dieser verdammte, aufgetakelte Lackaffe!«

    »Sie haben dich immerhin zum Inspector gemacht.«

    »Aus deiner Sicht bedeutet das viel. Aber ich will ganz oben sein.«

    Der Schnaps heizte mir ein. Ich schlug mit den Handflächen auf die Schreibtischplatte. »Ganz oben! Ganz oben! Nicht mehr und nicht weniger! Und nichts wird mich aufhalten, verdammt noch mal!«

    »Tatsächlich?«, meinte der Jid.

    »Tatsächlich«, sagte ich und trank noch mehr.

    Im Zimmer war es warm. Ich stand auf und wollte

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