Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Small Crimes
Small Crimes
Small Crimes
eBook345 Seiten7 Stunden

Small Crimes

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Cop Joe Denton wird auf Bewährung entlassen. Sieben Jahre zuvor verletzte er den Bezirksstaatsanwalt der Kleinstadt Bradley schwer und verübte einen Brandanschlag auf dessen Büro. Damals nahm Joe alle Schuld auf sich und deckte den korrupten Polizeiapparat. Inzwischen jedoch liegt der örtliche Mafiaboss Manny Vassey mit Krebs im Endstadium auf Intensiv und der einst attackierte Staatsanwalt versucht seit Wochen, Vassey ins Gewissen zu reden und ihn zu einem umfassenden Geständnis zu bewegen. Das würde weitere zehn bis zwanzig Jahre Knast für Denton bedeuten, etliche andere Beamte ebenfalls belasten und die Cops mit dem Rotlichtmilieu in Verbindung bringen …

Der nihilistische Thriller von Dave Z. steht in der Tradition Jim Thompsons und James M.Cains und entwirft das Bild eines desillusionierten Kriminellen, dem allmählich dämmert, dass er alles nur noch verschlimmbessert. Die Verfilmung von Evan Katz wird weltweit auf Netflix ausgestrahlt, mit Nikolaj Coster-Waldau als Joe Denton.
SpracheDeutsch
HerausgeberPulp Master
Erscheinungsdatum11. Sept. 2017
ISBN9783927734845
Small Crimes
Autor

Dave Zeltserman

Dave Zeltserman's first 'badass out of prison' novel, Small Crimes, received widespread acclaim, with NPR naming it one of the 5 best crime and mystery novels of 2008 and the Washington Post naming it one of the best books of 2008. Dave's second 'badass out of prison' novel, Pariah, was named by the Washington Post as one of the best books of 2009. Dave lives in the Boston area with his wife, Judy; is a die-hard Patriots and Red Sox fan; and when he's not writing crime fiction he spends his time studying martial arts, and holds a black belt in Kung Fu.

Ähnlich wie Small Crimes

Titel in dieser Serie (43)

Mehr anzeigen

Ähnliche E-Books

Hartgesottene Mysterien für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Small Crimes

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Small Crimes - Dave Zeltserman

    Dave Zeltserman

    Small Crimes

    Inhalte

    Kapitel 1

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Kapitel 22

    Zum Autor

    Pulpmaster Backlist

    Kapitel 1

    Es sollte unsere letzte Partie Dame sein. Für gewöhnlich spielten wir in meiner Zelle; diese letzte Partie jedoch spielten wir in Morris’ Büro. Im Verlaufe der letzten sieben Jahre hatten wir Zehntausende Partien ausgetragen. Jede vierte oder fünfte hatte ich für mich entschieden, bei den übrigen hatte ich Morris über mich triumphieren lassen.

    Morris Smith leitete das Gefängnis in Bradley. Er war ein großer, beleibter Mann Anfang sechzig, mit weichem, wulstigem Gesicht und kleinen Haarbüscheln, die seinen nahezu kahlen Schädel umrahmten. Ich mochte Morris – zumindest so, wie ich jeden mochte, den ich mochte. In diesen sieben Jahren hätte er mir das Leben schwer machen können; stattdessen behandelte er mich so gut wie irgend möglich.

    Ich brauchte ein paar Sekunden, um den Spielstand zu analysieren, und sah, dass ich eine Überlegenheit bei den Spielsteinen und den sicheren Sieg herbeiführen konnte, mich aber auch einem gegnerischen Dreifachschlagen hätte aussetzen können. Ein paar Minuten gab ich den in Gedanken Versunkenen und machte dann den Zug, der Morris das Dreifachschlagen ermöglichte.

    Morris saß schweigend da, seine kleinen Augen spielten pfeilschnell alle möglichen Züge durch. Ich sah ein kurzes Flackern in seinen Augen, als er die Spielkombination für das Dreifachschlagen erkannte, und verfolgte, durchaus belustigt, seine Bemühungen, ein Lächeln zu unterdrücken. Er brachte seinen Stein in Position – mit einer großen, dicken Hand, die zitterte.

    »Sieht so aus, als hättest du einen Fehler gemacht, junger Freund«, sagte er, seine Stimme ein tiefes Krächzen.

    Ich verharrte für einen längeren Augenblick, fluchte dann als Beweis für meine Einsicht, dass ich es vermasselt hatte. Einen letzten Kraftausdruck auf den Lippen, machte ich den mir aufgenötigten Zug und beobachtete Morris, der sich auf seinen Spielstein stürzte, sein Mehrfachschlagen ausführte und meine Spielsteine einsammelte.

    »Das dürfte es gewesen sein«, sagte er.

    Wir spielten die Partie zu Ende. Mir war klar, welch große Genugtuung Morris empfand, als er den letzten Spielstein vom Brett nehmen konnte. Die Partie war vorbei, er lächelte verhalten und streckte mir die Hand für einen versöhnlichen Handschlag entgegen.

    »Du bist ein guter Gegner gewesen«, sagte er, »sieht man von diesem einen Fehler ab.«

    »Was soll ich sagen? Du hast mir sieben Jahre lang gezeigt, wo der Hammer hängt. Ich muss nun mal anerkennen, dass ich meinen Meister gefunden habe.«

    Morris lachte in sich hinein, sichtlich zufrieden mit sich. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Deine Papiere sind fertig. Du bist ein freier Mann. Aber wenn du möchtest, lasse ich uns was zum Lunch kommen und dann könnten wir noch eine Partie spielen.«

    »Hätte ich eigentlich nichts dagegen, aber sieben Jahre waren eine lange Zeit. Schon seit einer Weile wünsche ich mir nichts sehnlicher als einen Cheeseburger und ein Bier.«

    »Ich kann dafür sorgen, dass man uns das bringt.«

    »Nun, ja«, sagte ich zögernd, »aber damit handelst du dir womöglich Ärger ein, Morris. Außerdem wäre es hier drinnen nicht dasselbe. Ist nicht böse gemeint.«

    Er nickte, ein wenig Enttäuschung im runden Gesicht. »In den letzten Jahren habe ich durchaus Sympathien für dich entwickelt. Ich hätte niemals gedacht, dass ich das könnte. Nicht nach dem, was du getan hast, um hier zu landen. Darf ich dir einen freundschaftlichen Rat geben?«

    »Na klar.«

    »Fang irgendwo noch mal von vorn an. Vielleicht in Florida? Ich für meinen Teil ziehe nach Sarasota, sobald ich in Rente bin. Ihre ekelhaften Winter in New England können sie sich an den Hut stecken.«

    »Kein schlechter Vorschlag, aber eine meiner Bewährungsauflagen sieht vor, dass ich in Bradley bleibe – «

    »Du könntest ein Gesuch einreichen, den Wohnort wechseln zu dürfen.«

    »Ja, vermutlich könnte ich das, aber meine Eltern kommen allmählich in die Jahre und ich würde gern Versäumtes nachholen.«

    Er zuckte mit den Achseln. »Ich hoffe, du denkst wenigstens mal drüber nach. Ich bin nicht der Ansicht, dass Bradley noch das Richtige für dich ist.«

    »Ich bin dir dankbar für deinen Ratschlag. Doch was das betrifft, sind mir die Hände gebunden. Zumindest momentan.«

    Wir standen auf und gaben uns die Hand. Ich drehte mich um, nahm meine Reisetasche und Morris fragte, ob ich meine Eltern anrufen wolle, damit sie mich abholten. Ich erklärte ihm, dass ich ein Taxi nähme. Ich telefonierte kurz, unterschrieb, was immer an Papieren zu unterschreiben war, und dann begleitete mich Morris hinaus. Draußen wartete bereits ein Taxi auf mich, doch ein Mann beugte sich hinein und sprach mit dem Fahrer. Das Taxi fuhr davon, und als der Mann aufrecht dastand, erkannte ich ihn sofort. Ich kam gar nicht umhin, so zerschnitten, wie sein Gesicht war, dazu das fehlende Ge­webe an seiner Nase. Er war einst ein gut aussehender Mann gewesen ... bevor man dreizehnmal auf sein Ge­sicht eingestochen hatte.

    Morris fühlte sich offenbar nicht ganz wohl in seiner Haut. »Nun, äh«, sagte er, »es hat mich gefreut, dass du mein Gast gewesen bist, junger Freund. Solltest du mal für eine Lektion in Sachen Theorie des Damespiels vorbeischauen wollen, nur zu!« Dann ernst: »Halt dir Probleme vom Leib.«

    Er klopfte mir leicht auf den Rücken, winkte dem anderen Mann zu und verschwand im Gebäude. Der Mann stand mit einem Lächeln da, das seine Augen nicht erreichte. Sein Anblick hatte etwas vom Anblick einer Klapperschlange mit geöffnetem Maul.

    Ich begrüßte ihn mit einem Nicken. »Ich will keinen Ärger, Phil.«

    Phil Coakley grinste mich an, seine Augen hart wie Glas. Phil war unser Bezirksstaatsanwalt. Dass man dreizehnmal auf sein Gesicht eingestochen hatte, wusste ich, da es die Anzahl Stiche war, von denen man mir gesagt hatte, ich hätte sie seinem Gesicht zugefügt. Das war der maßgebliche Grund, weshalb ich sieben Jahre im Ge­fängnis zugebracht hatte.

    »Was passiert ist, tut mir leid«, sagte ich und blieb auf Abstand.

    Phil winkte mich zu sich heran, sein Grinsen unberührt, seine Augen noch immer ohne Regung. »Ich will auch keinen Ärger, Joe«, sagte er. »Wenn’s nach mir ginge, hättest du deine Schuld an der Gesellschaft abgetragen, und was geschehen ist, ist geschehen. Ich will nur was klären, will sichergehen, dass nichts zwischen uns steht. Komm doch näher. Lass uns kurz reden.«

    Es gefiel mir nicht, aber ich hatte nicht das Gefühl, vor einer Alternative zu stehen. Als ich mich auf ihn zubewegte, konnte ich die Vernarbungen in seinem Gesicht deutlicher erkennen, und es war das Einzige, was mich abhalten konnte wegzuschauen. Von Nahem betrachtet war die Verwüstung noch dramatischer. Man hätte meinen können, jemand habe Tic-Tac-Toe in seinem Gesicht gespielt. Als handele es sich bei ihm um eine groteske Karikatur aus einem Dick-Tracy-Comic. Partien seines Gesichts bildeten mit anderen Partien keine Einheit, und dann dieses Gewebe, das an seiner Nase fehlte – du lieber Himmel! So hart es auch war, ich blickte ihm geradewegs ins Gesicht.

    »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, Joe«, sagte er, »aber ich habe den Taxifahrer gebeten, später wiederzukommen. So können wir uns ein paar Minuten unterhalten.«

    »Klar, das geht schon in Ordnung.«

    »Ich habe fast eine Stunde hier draußen gewartet. Deine Haftentlassung war eigentlich für den Mittag an­gesetzt.«

    »Du kennst doch Morris. Er lässt sich bei allem Zeit.«

    Phil nickte träge. »Sieh dich nur an«, sagte er. »Joe, ich habe den Eindruck, Gefängnis kann dir nichts anhaben. Dein Bierbauch ist weg. Verdammt, du siehst besser aus als noch vor Jahren. Ich befürchte nur, du kannst das Gleiche nicht von mir behaupten.«

    »Gäbe es eine Möglichkeit, die Zeit zurückzudrehen und es ungeschehen zu machen, was ich getan habe – «

    »Ja, ich weiß, mach dir deswegen keinen Kopf. Was passiert ist, ist passiert.« Er hielt inne, sein Grinsen wurde wieder härter. »Ich habe mich oft gefragt, wie es dir gelungen ist, deine Zeit in einem normalen Gefängnis abzusitzen. Brandstiftung, versuchter Mord, Verstümmelung eines Bezirksstaatsanwalts, und du sitzt am Ende in einem normalen Gefängnis. In den letzten sieben Jahren habe ich alles darangesetzt, deine Verlegung in ein Hochsicherheitsgefängnis zu erwirken, doch mir scheint, du bist ein Glückskind. Selbst noch Craig Simpson als Bewährungshelfer an Land zu ziehen ... «

    Ich sagte nichts. Er zuckte unbeeindruckt mit den Schultern, grinste noch immer. »Doch das gehört alles der Vergangenheit an«, fuhr er fort. »Du hast deine Schuld beglichen, wenngleich sieben Jahre nicht ganz an­gemessen erscheinen. Wie war noch mal das ursprüngliche Strafmaß? Vierundzwanzig Jahre?«

    »Sechzehn bis vierundzwanzig«, sagte ich.

    »Sechzehn bis vierundzwanzig Jahre.« Phil stieß einen kurzen Pfiff aus. »Mir kommt das wie eine verdammt kurze Strafe vor, bedenkt man, was du getan hast. Und davon hast du gerade mal sieben Jahre in einem normalen Gefängnis absitzen müssen, die ganze Zeit über bemuttert vom guten, alten Morris Smith.«

    »So locker war das nicht. Meine Frau hat sich scheiden lassen – «

    »Ja, ich weiß. Auch meine Frau hat sich scheiden lassen.« Er stockte. »Ich schätze, sie hatte ein Problem damit, mich anzusehen.«

    Er hatte das Grinsen aufgegeben. Ich starrte ihn nur an, starrte auf die Menge an Narbengewebe, die auf mein Konto ging. Nach einer Weile fragte ich ihn, was er wolle.

    »Ein paar Dinge klären«, erwiderte er. »Sicherstellen, dass es zwischen uns kein böses Blut gibt. Außerdem möchte ich ein wenig Polizeikram mit dir besprechen. Immerhin warst du zwölf Jahre Polizist in dieser Stadt. Ist dir zu Ohren gekommen, dass Manny Vassey an Krebs sterben wird?«

    »Hab davon gehört.«

    Phil fand mit Mühe zu seinem Grinsen zurück und schüttelte sacht den Kopf. »Der Mann ist erst sechsundfünfzig und stirbt an Magenkrebs. Manny war immer ein harter Brocken. Unter normalen Umständen hätte ich keine Chance, ihn zu knacken, aber ein Mensch, der im Sterben liegt, hat mitunter das Bedürfnis, sich zu offenbaren. Nun, ich denke, ab eines gewissen Punktes ist jeder Dollar, der aus dem Drogengeschäft, aus dem Glücksspiel und der Prostitution durch Vermont gerollt ist, bei ihm gelandet. Erinnerst du dich an Billy Ferguson? Ich meine, du hättest in seinem Mordfall ermittelt.«

    »Ich erinnere mich.«

    »Das dachte ich mir«, sagte er. »Man kann schließlich nicht behaupten, wir hätten viele Mordfälle hier, und meiner Meinung nach hatten wir niemals einen, der so brutal gewesen wäre wie der. Wie viele Jahre ist das jetzt her?«

    »Keine Ahnung. Vielleicht zehn.«

    Phil überlegte und schüttelte den Kopf. »Es war vor nicht einmal achteinhalb Jahren. Nur wenige Monate, bevor du mich verunstaltet hast. Ich sag dir was, Joe, das war ein verteufelt grausamer Mord. Ich kann mich nicht erinnern, auch nur einmal jemanden gesehen zu haben, den man so zusammengeschlagen hat wie Ferguson.«

    Er wartete, dass ich mich dazu äußerte, doch ich stand nur da und starrte zurück. Nach einer Weile gab er auf und fuhr fort.

    »Billy Ferguson steckte bis über beide Ohren in Spielschulden. Soweit ich weiß, schuldete er Manny dreißigtausend Dollar. Ich gehe davon aus, dass Manny einen seiner Schläger geschickt hat, um Geld eintreiben zu lassen, und dann ist die Situation außer Kontrolle geraten. Hast du noch irgendwas präsent, was deine Ermittlungen betrifft?«

    »Das ist lange her. Aber ich erinnere mich, dass wir irgendwann an unsere Grenzen gestoßen sind. Keine Fingerabdrücke, keine Zeugen, nichts.«

    »Nun, ich lasse die Sache nicht auf sich beruhen. Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, Manny regelmäßig zu besuchen.« Phil lachte auf, sein Grinsen jedoch war längst gelöscht. »Tag für Tag opfere ich Zeit, um ihm aus der Bibel vorzulesen. Ich habe den Eindruck, langsam kommt er zur Erkenntnis. Mit ein wenig Glück könnte es jeden Tag so weit sein, dass ich ein Geständnis höre und den Mord an Ferguson aufklären kann, zusammen mit einer Reihe anderer Straftaten, deren Aufklärung mir schon immer auf den Nägeln brannte.«

    Ich ersparte mir einen Kommentar. Phil vergeudete seine Zeit, aber das würde ihm noch aufgehen. Manny Vassey und der Teufel waren wie siamesische Zwillinge, und es gab nicht den Hauch einer Chance, dass er je­mals zu Gott finden oder etwas gestehen würde. Mein Taxi kam zurück und hielt. Bevor ich ein Wort sagen konnte, entriss mir Phil die Reisetasche und beförderte sie mit Schwung in den Kofferraum. »Man sieht sich, Joe«, sagte er im Weggehen.

    Kapitel 2

    Im Taxi lehnte ich mich zurück und holte ein abgegriffenes, zerknittertes Foto meiner beiden Töchter aus meiner Tasche. Das Foto wurde bei Courtneys erstem Geburtstag gemacht. Melissa war seinerzeit etwas über drei und beide Mädchen standen nebeneinander, Melissa mit Courtney an der Hand, um sie vorm Hinfallen zu bewahren. Sie trugen die gleichen gelben Kleider, hatten beide pinkfarbene Bänder in den langen, blonden Haaren. Beide sahen sie etwas pummelig aus, Courtney mehr noch als Melissa. Das schüchterne kleine Lächeln auf Melissas Gesicht und der Ausdruck völliger Verwirrung auf Courtneys bescherten mir ein Ziehen im Herzen. Ich erinnerte mich an den Rest des Tages. Daran, dass Courtneys Gesicht schließlich voller Schokoeiscreme gewesen war und Melissa Courtney später in die Arme genommen hatte, als hätte es sich bei ihr um eine Puppe gehandelt. Daran, dass beide auf meinen Schoß gehüpft waren und wie verrückt gekichert hatten. Ich hatte noch einige andere Erinnerungen an meine Mädchen, auf jeden Fall solche, die ich gern abrief.

    Nach einer Weile schob ich das Foto vorsichtig in mei­ne Brieftasche. Dann schloss ich die Augen und dachte darüber nach, wie es so weit hatte kommen können mit mir.

    Vor neun Jahren steckte ich bis zur Oberkante in Wettschulden. Ich steckte tief drinnen, weit tiefer, als Billy Ferguson jemals dringesteckt hatte. Damals hatte ich die Kontrolle verloren. Nicht dass ich kokainsüchtig gewesen wäre, aber ich konsumierte zu viel davon und ich trank zu viel und wettete zu viel. Viel zu viel. Vor allem auf Footballspiele. Ich hätte mich besser auf das Werfen von Münzen verlegen sollen statt auf meine Art, Wetten zu platzieren. Es hatte Wochen gegeben, da war ich komplett neben der Spur gewesen. Aber so ist das mit haltlosen Spielern – man meint immer, man habe den richtigen Riecher und dass man mit einem fetten Ding alles wieder reinholen könne. Natürlich klappte das bei mir nie. Damit erreichte ich lediglich, dass ich mich immer weiter reinritt.

    Ich schuldete Manny eine Menge Geld. Ich zahlte es ihm zurück, so viel ich ermöglichen konnte, aber es war nie genug und er setzte mich weiter unter Druck. Als er damit drohte, meiner Frau und meinen Kindern wehzutun, war mir klar, dass es keinen Ausweg gab. Ich er­klärte mich einverstanden, Jobs für ihn zu erledigen, um den Schuldenberg abzutragen. Anfangs waren es kleine Sachen, einigermaßen unspektakulär, aber nach und nach zog Manny die Schraube an. Ich musste mich ir­gend­wie aus seiner Umklammerung lösen. Also begann ich, höheres Risiko zu gehen bei dem, was ich aus der Asservatenkammer stahl. Dan Pleasant, der Sheriff von Bradley County und der womöglich korrupteste Ordnungshüter, der mir je über den Weg gelaufen war, fand heraus, dass Phil Coakley einige meiner manipulierten Unterlagen entdeckt hatte und Beweismaterial gegen mich zusammentrug, um mich wegen krimineller Verschwörung dranzukriegen. Ich bedankte mich bei Dan für den Hinweis und erklärte, dass ich mich darum kümmern würde.

    Ich war ziemlich zugekokst, als ich in dieser Nacht in Phils Büro einbrach. Ich fand die Papiere, die mich be­lasteten. Ich war gerade dabei, überall Benzin zu verschütten, als er auf der Bildfläche erschien. Es war nach Mitternacht und er hätte in diesem Moment gar nicht auftauchen dürfen. Wir sahen einander nur an. Ihm war klar, was ich vorhatte, und er hätte abhauen und die Polizei alarmieren sollen. Stattdessen versuchte er, sich mir in den Weg zu stellen. Tja, Phil ist ein großer Kerl. An der Highschool ein Linebacker der Spitzenklasse, hatte er später sogar in einer Collegemannschaft ge­spielt; aber ich kämpfte um mein Leben. Und Koks und Adrenalin waren ganz sicher förderlich für mein Durchdrehen.

    Irgendwie war es mir gelungen, ihn auf den Rücken zu zwingen, und dann schnappte ich mir einen Brieföffner vom Schreibtisch. Vermutlich stach ich damit auf Phil ein. Offen gestanden ist diese Phase nicht mehr als ein verschwommenes Bild vor meinen Augen. Viel ist es nicht, woran ich mich erinnern kann. Nur daran, dass Phil sich irgendwann nicht mehr regte. Ich ließ ab von ihm, entzündete ein Streichholz und wartete, dass sich das Feuer ausbreitete, bevor ich mich davonmachte.

    Das Seltsame war, dass ich Phil immer gut leiden konnte. Für mich war er ein zuverlässiger Mann, ein treu sorgender Familienvater, eben ein durch und durch an­ständiger Mensch. Hätte ich ein Messer gehabt, ein Jagd- oder Fischmesser, ich hätte ihn in dieser Nacht getötet. Der Brieföffner war nicht scharf genug. Ich fügte Phil Verletzungen zu – mein Gott, was für Verletzungen! –, aber ich brachte ihn nicht um.

    Etwa zu dem Zeitpunkt, als ich das Feuer legte, musste er einen stummen Alarm ausgelöst haben. Ich hatte Phil nicht im Blick, aber in dem Moment musste es passiert sein. Als ich das Gebäude verließ, waren Polizei und Feuerwehr bereits im Anrücken. Ich lief ihnen geradewegs in die Arme. Seinerzeit war mein Dad noch bei der Feuerwehr und er war im Einsatz. Verdammt, ich glau­be, ich hielt sogar noch den mit Blut verschmierten Brief­öffner in der Hand.

    Ich kam in dieser Nacht in Haft. In den Gesichtern ei­niger meiner Polizeikollegen zeigte sich die Enttäuschung, in anderen eine gewisse Angst. Einige liefen Gefahr, in den Knast zu wandern, sollte ich auspacken. Harold Grayson, einer der besseren Anwälte hier, wurde von meiner Polizeigewerkschaft angeheuert. Er bestand darauf, dass ich mich nicht schuldig bekannte und aufgrund meines exzessiven Kokainkonsums verminderte Schuldfähigkeit für mich reklamierte. Ich lehnte das ab und bekannte mich schuldig. Es schien mir an der Zeit für die bittere Pille der Konsequenzen. Und ich schwieg zu alldem, was mir sonst noch bekannt war. Darüber hinaus traf ich eine Abmachung mit Manny – ich würde auch in Hinblick auf ihn Stillschweigen wahren und im Gegenzug würde er mir die Schulden erlassen. Niemand wurde also belastet.

    Wenn ich nicht mit Morris Dame spielte, verbrachte ich in den letzten sieben Jahren meine Zeit mit Überlegungen, wie ich so vom Weg hatte abkommen können. Es hätte eigentlich nicht sein müssen. Nichts in meinem Umfeld hatte nahegelegt, dass aus mir einmal ein korrupter Bulle, ein Kokser und ein haltloser Spieler würde. Meine Kindheit war eine normale. Geboren in Bradley, verbrachte ich mein gesamtes Leben dort, war der Quarterback meiner Mannschaft an der Highschool und heiratete schließlich meine Jugendliebe. Ich hatte mich nur wenige Male außerhalb von Bradley County aufgehalten und stets nur im Radius einer vierstündigen Fahrt. Verflucht noch mal, ich hatte das perfekte Norman-Rockwell-Leben geführt.

    Als Kind sah ich Adam-12 und Dragnet und weiß nur noch, dass ich Cop werden wollte, sobald ich erwachsen war. Nach meinem Abschluss an der Highschool ging ich zur Polizei in Bradley. Geld nebenher zu machen, danach hatte ich nie getrachtet, aber die Bestechungsgelder erwarteten mich bereits und ich steckte sie ein. Ein paar Bars offerierten mir fünfzig Dollar, damit ich Freitag- und Samstagnacht ein Auge zudrückte, sollten ihre Gästen betrunken nach Hause fahren. Und dann fing es an, dass ich mein wöchentliches Salär erhielt, weil ich übersah, was in einem Stripschuppen namens Kelley’s vor sich ging. Hinzu kamen andere Sachen. Wie das Geld, das aus der Asservatenkammer verschwand und das wir untereinander aufteilten, oder die Selbstbedienung, wenn wir gelegentlich einen Betrunkenen erleichtern konnten. Klein fing es an, geringfügige Vergehen, nichts Großes, doch genau das verleitete mich zum Wetten und zum Koksen. Schmiergelder und Diebstähle sorgten dafür, dass ich mich schmutzig fühlte, nährten das Bedürfnis in mir, das Geld genauso schnell abzustoßen, wie ich es erhalten hatte. Das war der Auslöser, dessen bin ich mir ziemlich sicher.

    Die schweren Straftaten begannen vor etwa zwölf Jahren, in einer Sommernacht. Es war drei Uhr morgens und ich hatte Schwierigkeiten einzuschlafen. Ich setzte mich in meinen Streifenwagen und fuhr durch die Stadt, als ich die aufgebrochene Tür eines Juweliergeschäftes bemerkte. Wie immer hatte ich meinen Dienstrevolver da­­bei und als ich hineinging, um der Sache auf den Grund zu gehen, erwischte ich Dan Pleasant und einige seiner Jungs beim Ausräumen des Ladens. Nun stand ich vor der Wahl: unseren Sheriff auffliegen zu lassen und einige seiner Beamten oder für einen Anteil einzusteigen. Ich schätze mal, es war mir unangenehm, einen anderen Ordnungshüter hinter Schloss und Riegel zu bringen, fühlte ich mich schließlich selbst schmutzig, also steckte ich meinen Anteil ein. Dan arbeitete mit einem Hehler im Norden des Staates New York zusammen und mein Anteil betrug fünfzehn Riesen – die ich ebenso schnell verpulverte, wie sie mir zugewachsen waren. Die­­sem Fischzug folgten weitere mit Dan und auf diese Weise geriet ich an Manny.

    Ließ ich all meine Taten Revue passieren, erschien mir nichts von dem real, dabei genügte ein Blick in Phil Coak­leys Gesicht, um mir zu zeigen, dass all das geschehen war. Nun also war ich ein Exbulle, ein Verbrecher und ein geschiedener Ehemann. Seit dem Tag meiner Festnahme hatte ich von meiner Exfrau oder den Kindern weder etwas gesehen noch gehört. Abgesehen von Morris hatte ich sieben Jahre lang keinen Besuch, keine sonstige Gesellschaft, nicht einmal durch meine Eltern. Wenn ich nur daran dachte, was ich verloren hatte im Austausch gegen Geld, das ich niemals hatte haben wollen, war das nur schwer zu glauben.

    Kapitel 3

    Bradley County, das sind ein halbes Dutzend Städte, alle gelegen in einem Tal am Rande der Green Mountains. Zu meiner Zeit als Cop lag die Einwohnerzahl von Bradley County bei etwa zweiundsiebzigtausend, die achttausend Studenten, die an den beiden Instituten für Geisteswissenschaften in Eastfield eingeschrieben waren, nicht mitgerechnet. Bradley ist die größte Stadt im County und allein ihre Einwohnerzahl liegt bei vierundzwanzigtausend.

    Als ich Kind war, brauchte man das Stadtzentrum nur fünf Meilen hinter sich zu lassen und schon sah man nichts als Ackerland, Weideflächen und Wälder. Vor ungefähr fünfundzwanzig Jahren siedelte sich ein Rüstungskonzern an, erwarb achtzig Hektar Ackerland und errichtete darauf Produktionsstätten. Zum Zeitpunkt meiner Inhaftierung wurden mehr und mehr Weideflächen und Ackerland für Ladenzeilen und Einkaufszentren versiegelt.

    Selbst mit dem Verlust landwirtschaftlicher Nutzflächen verteilten sich die Arbeitsplätze in Bradley County gleichmäßig auf die Land- und Milchwirtschaft, auf Ge­werbe und Tourismus – wobei sich die Gruppe der Touristen aus Liebhabern der Herbstsaison in den New-England-Staaten zusammensetzte und aus Eltern, die ihre studierenden Kinder besuchten.

    Das Leben der meisten Menschen in Bradley verlief in ruhigen Bahnen. Eine klassische bürgerlich-idyllische Stadt in New England eben.

    Das Taxi hielt vor dem Haus meiner Eltern. Sie be­wohnten ein kleines Ranchhaus mit drei Zimmern an der Maple Street, etwa eine Meile vom Stadtzentrum entfernt. Mein Dad hatte es vor fünfundvierzig Jahren für sechstausend Dollar erworben. Obwohl es sich um weniger als hundertacht Quadratmeter Wohnfläche handelte, war das Haus mittlerweile vermutlich seine zweihundert Riesen wert. Mein Vater, Joe Denton sen., war in Bradley aufgewachsen, genau wie sein Vater vor ihm. Seit fast einhundert Jahren lebten Dentons nun schon in Bradley. Morris hatte mir erzählt, dass mein Dad wenige Monate nach meiner Inhaftierung bei der Feuerwehr in Ruhestand gegangen sei, und doch hatte es mein Vater in den halben Dutzend Telefonaten, die wir während meiner Haft geführt hatten, nie erwähnt.

    Ich betrachtete den Vorgarten. Die Rasenflächen waren frisch gemäht und die Blumenbeete penibel ge­pflegt. Am Haus begann an einigen Stellen die Farbe abzublättern, aber ansonsten schien es in gutem Zustand zu sein, zu­mindest von außen. Die Reisetasche in der Hand, ging ich zur Haustür und klingelte.

    Nachdem ich vor drei Wochen erfahren hatte, dass meine Bewährung durch war, rief ich meine Eltern an, um ihnen mitzuteilen dass ich bei ihnen wohnen würde, bis ich mich wieder berappelt hätte. Mein Auftauchen hätte also keine Überraschung sein dürfen, dennoch dauerte es eine Weile, bis mein Vater die Tür öffnete. Der Gesichtsausdruck, mit dem er mich empfing, war seltsam. Ich beobachtete die Veränderung, als er sich schrittweise ein gequältes Lächeln erarbeitete.

    »Ich habe dich kaum wiedererkannt, Joey«, sagte er. »Komm rein, ich mach dir was zu essen.«

    Er ging voran, als wir das Haus betraten. Einmal drehte er sich um, warf mir einen flüchtigen, fahrigen Blick zu und fing an loszuplappern, ob ich lieber Eier oder Hotdogs mit Bohnen wolle. Ich erklärte ihm, dass ich eigentlich vorhätte, auswärts zu essen.

    »Unfug. Sag mir, was du haben willst, und ich mach’s dir.«

    Jede Widerrede war zwecklos, so viel war klar. »Also gut. Hast du Salami im Haus?«

    »Hab ich. Ich mach dir ’n Sandwich mit Wonder Bread und Mayonnaise. Was meinst du?«

    »Hört sich gut an.«

    Ich folgte ihm in die Küche. Er wirkte wenig entspannt, während er das Sandwich zubereitete. Und er schien weit mehr als nur die sieben Jahre gealtert zu sein, die seit unserem letzten Zusammentreffen vergangen waren. Er stand in krummer Haltung da, ließ die Schultern stärker hängen, als ich es in Erinnerung hatte, und auch seine Wangen waren schlaffer. Beim letzten Mal war sein Haar fast schwarz gewesen, mit einigen grauen Einsprengseln. Inzwischen hatte es sich stark gelichtet und das, was noch vorhanden war, schimmerte weiß. Er war erst fünfundsechzig, sah aber aus wie nahe achtzig.

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1