Eine Familie: Roman
Von Pascale Kramer
()
Über dieses E-Book
Pascale Kramer legt in ihrem hochgelobten mehrstimmigen Roman die Gefühle jedes einzelnen für den so geliebten wie gehassten Sohn und Bruder frei. Im Moment der Geburt der kleinen Jeanne untergraben Schuldgefühle, Trauer, Wut und Sorge das Schweigen und das Nie-Gesagte. Das neuralgische Konstrukt einer Familie gerät ins Wanken.
Mehr von Pascale Kramer lesen
Die Lebenden: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenNeue Schweizer Standpunkte: Im Dialog mit Carl Spitteler Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Ähnlich wie Eine Familie
Ähnliche E-Books
April der Rache: Ein Roland-Saalberger-Krimi, Band 4 - Der letzte Band. Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenMaskenball in Venedig Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDu sollst leben!: Der junge Norden 31 – Arztroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenKomm mit mir nach Mallorca Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin Leben lang von dir geträumt Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEmile Zola: Gesammelte Werke Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTomville: von Liebe, Freundschaft und Hoffnung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenLieb mich noch einmal wie damals Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDu bist mein Fels in der Brandung Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGoettle und das Kindle vom Bussen: Oberschwaben-Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenAuslese à la Provence: Kriminalroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Doppelgänger: Der neue Dr. Laurin 62 – Arztroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Schattenkind: Lovestory Edition 7 – Liebesroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Geheimnis der schönen Antonia: Der neue Dr. Laurin 1 – Arztroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenVier Jahre voller Sehnsucht Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenOnce After Death: Diary Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Lächeln meiner Mutter von Delphine de Vigan (Lektürehilfe): Detaillierte Zusammenfassung, Personenanalyse und Interpretation Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie stürmische Leidenschaft des griechischen Tycoons Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDie Seherin von Garmisch: Oberbayern Krimi Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSpiegelkinder Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEine Affäre mit dir ist nicht genug! Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGegen jegliche Vernunft Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGestern Freunde, heute mehr? Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Mädchen im Haus Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEine Traumfrau für Dr. O'Halloran Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDr. Jakobs Diagnosen: Dr. Norden Extra 201 – Arztroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin Millionär für Claire Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenGlück ist, wenn du bei mir bist Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDrogen: Der Lügennebel Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDr. Jakobs Diagnosen: Chefarzt Dr. Norden 1133 – Arztroman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Fiktion für Sie
Ehrlich & Söhne (eBook) Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Hotel Berlin Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas gute Buch zu jeder Stunde Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Prozess (Weltklassiker) Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Ausweitung der Kampfzone Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5Heiße Sexgeschichten: Ich liebe Sex: Sex und Erotik ab 18 Jahre Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Amerika Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Ich nannte ihn Krawatte Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Briefe an Milena: Ausgewählte Briefe an Kafkas große Liebe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Verlorene Paradies (Illustriert) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer Duft von Schokolade (eBook) Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Jane Eyre (Deutsche Ausgabe): Eine Autobiographie oder Die Waise von Lowood Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Ein Lied über der Stadt (eBook) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenTabu: Sexgeschichten - Heiss und Obszön: Erotik-Geschichten ab 18 unzensiert deutsch Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenI Love Dick Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Das achte Leben (Für Brilka) Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDer große Gatsby Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Radetzkymarsch Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Arturos Insel Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Die Jakobsbücher Bewertung: 5 von 5 Sternen5/5Wir ohne Wal: Roman Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenWo die Liebe ist, da ist auch Gott: Erzählungen Bewertung: 4 von 5 Sternen4/5Von den Märchen: Eine lebenslange Liebe Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenInnere Dialoge an den Rändern: 2016-2021 Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSchöne Welt, böse Leut: Kindheit in Südtirol Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenSommerfrische Bewertung: 3 von 5 Sternen3/5Das Tagebuch des Verführers Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenDas Blütenstaubzimmer Bewertung: 0 von 5 Sternen0 BewertungenEin Zimmer für sich allein Bewertung: 0 von 5 Sternen0 Bewertungen
Rezensionen für Eine Familie
0 Bewertungen0 Rezensionen
Buchvorschau
Eine Familie - Pascale Kramer
machte.
Olivier
Lou hatte um sechs eine Nachricht hinterlassen: Die Wehen hätten eingesetzt, Jean-Baptiste würde bald von der Arbeit kommen, sie müssten daran denken, die Kleine abzuholen. Danielle hatte sich direkt nach ihrem letzten Patienten auf den Weg gemacht, Olivier kam etwas später mit dem Auto nach. Bei der Geburt der Ältesten, Marie, war er nicht da gewesen, und er fühlte sich nicht wirklich berechtigt, solche intimen Augenblicke mitzuerleben.
Die Wohnung ging auf den Hinterhof eines Restaurants hinaus, dessen Gewürz- und Putzmitteldünste Lou in den ersten Monaten zu schaffen gemacht hatten, wie er sich erinnerte, als er die Treppe hinaufstieg. Die Wohnungstür war nur angelehnt, in der Diele warfen zwei Kerzen, die Zitrusduft verströmten, große schwankende Schatten auf die Wände. Olivier hörte, wie Danielle ihrer Tochter im Wohnzimmer Mut zusprach. Mit einem kleinen Klopfen kündigte er sich an, bevor er eintrat. Lou saß ihrer Mutter gegenüber, auf der Stuhlkante, mit dem Rücken kaum angelehnt, wie von Dornen umgeben. Sie warf ihm aus ihrer unbequemen Position ein gezwungenes Lächeln zu. Ein banger, verstörter Ausdruck lag auf ihrem Gesicht mit den sehr roten Lippen. Olivier kam näher, um sie aufs Haar zu küssen. Seine Kinder leiden zu sehen, machte ihn hilflos. Er hatte nicht Danielles Seelenruhe bei dem Gedanken, dass auch das zum Leben gehört.
Sie hatten ausgemacht, dass die Kleine in den paar Tagen, die ihre Mutter in der Geburtsklinik verbringen würde, bei ihnen schlafen sollte. Ihr Vater hatte sie gebadet, das nach hinten gekämmte Haar streichelte sie mit den tropfenden Löckchen im Nacken. Ihre Tasche stand bereit, doch weder Lou noch Jean-Baptiste hatten nun das Herz, ihr die erste Verlassenheit anzutun. Danielle schlug vor, dass sie noch alle zusammen zu Abend aßen, und ließ sich von der Kleinen beim Tischdecken helfen.
Der Lärm der Restaurantküche hinter dem hellen Leinen der Vorhänge bildete einen merkwürdigen Kontrast zu Lous Gefasstheit. Sie sah ihnen lächelnd beim Essen zu, in konzentrierter Erwartung der nächsten Wehe, bei der sie von neuem aufstehen würde, als müsste sie aus ihrem Körper heraustreten. Sie ging dann im Zimmer umher, die Hände in der zerzausten Fülle ihres schönen Haars. Lou nahm während ihrer Schwangerschaften praktisch nicht zu. Das machte die verwirrende Anwesenheit des Babys unter dem hervortretenden Nabel umso unwahrscheinlicher, aber zugleich realer. Während er Marie beobachtete, die mit den Fingern in ihrem Joghurt stocherte, den Kopf auf den angewinkelten Arm gelegt, fragte sich Olivier, wie man sich diese Dinge wohl mit drei Jahren vorstellte.
Es kam ziemlich selten vor, dass die Kleine bei ihnen übernachtete, Jean-Baptiste fiel es noch schwerer als Lou, auf ihre Gegenwart zu verzichten. Aber sie machte keinerlei Schwierigkeiten, zog willig ihre Regenjacke an und folgte ihnen, auf die Ereignisse sicherlich mehr als vorbereitet. Olivier bestand nicht darauf, sie an der Hand zu nehmen; ein angestrengter Wille, der Wille einer großen Schwester, führte sie Stufe für Stufe hinab bis zum Türöffner. Es war fast neun, draußen war die Dunkelheit hereingebrochen und mit ihr Wassermassen, die im Schein der Straßenlampen von den Dächern platschten. Marie wollte sich zuerst die Füße nass machen, dann ließ sie sich tragen. Im Auto wehrte sie sich gegen den Kindersitz. Danielle schnallte sie an, ohne auf ihr Gejammer einzugehen und ohne die Geduld zu verlieren. Sie war so gekommen, wie sie praktizierte: in Yogahose und weißem Body. Sie fröstelte unter dem leichten Lycra, als sie ins Auto stieg. Sie schüttelte die Tropfen von ihrem dunklen Haar, warf einen hastigen Blick in den Spiegel der Sonnenblende und fragte nach der Uhrzeit, wahrscheinlich, um sich nachher zu erinnern, wie lang die Geburt gedauert hatte.
Der Regen fiel immer dichter und spülte die Lichter aus der Stadt. Olivier sah schlecht, er fuhr langsam. Marie hinter ihm war verstummt, das Schluchzen nahm ihr den Atem. Halt an der Ampel an, bat Danielle und öffnete schon die Tür. Olivier sah zu, wie sie auf die Rückbank neben die Kleine schlüpfte, ihren Kopf zwischen die Hände nahm und die Stirn, wie um sie dort anzuschrauben, fest auf ihre drückte. Diese gebieterische, so seltsam passende Geste ließ Marie für den Rest des Wegs schweigen. Sie war fast eingeschlafen, als Olivier die beiden vor dem Haus absetzte, plötzlich schlaff wie ein Lappen, die Lippen verschmiert von Nasenschleim. Danielle presste sie an sich und lief mit ihr durch den Regen. Ihre Haare und Arme waren mit Tropfen übersät, als Olivier sie im Hausflur einholte. Er wischte ihr mit dem Daumen die Nässe aus dem Gesicht, während sie auf den Lift warteten, diese intime Berührung erregte ihn, und er beugte sich vor, um sie zu küssen, der rasche Kuss eines Liebenden, der fast eine Erektion bei ihm ausgelöst hätte, während die wach gewordene Marie auf dem Arm ihrer Großmutter feindselig ins Leere starrte.
Gegen zehn rief Jean-Baptiste aus der Klinik an. Es sei noch nicht so weit, die Wehen würden immer schmerzhafter, Lou weine vor Erschöpfung. Dass er hinausgegangen war, um zu telefonieren, empörte Olivier. Anders als Danielle hatte er sich nie wirklich damit abgefunden, einen so jungen, so unbedarften Schwiegersohn zu haben. Dass seine Tochter während ihres Studiums schwanger geworden war, hatte ihn zutiefst enttäuscht, eine Zeit lang hatte er gehofft, sie würde abtreiben, und es sogar ernsthaft erwartet. Das war ein Konflikt mit Danielle gewesen, eine der seltenen Gelegenheiten, bei der sie bestürzt, verletzt feststellen mussten, dass sie in etwas Wesentlichem uneinig waren.
Nachdem Jean-Baptiste aufgelegt hatte, zeigte sich Marie von neuem untröstlich. Ihre Tränen verstärkten noch ihre Übermüdung und ihre unvermeidliche Angst. Olivier ließ Danielle mit ihr ins Fernsehzimmer gehen, dass sie die Kleine beruhige. Er, eher sanft, feminin, war letztlich den Jungen näher, vor allem Romain, Danielles Sohn, und später Édouard, dem ältesten der drei Kinder, die sie dann zusammen bekommen hatten.
Nach dem Aufwachen fand Olivier die Wohnung leer und das Badezimmer im Dunst. Es war kaum acht, Danielle war mit Marie hinausgegangen; er hatte sie am Abend nicht einmal ins Bett schlüpfen hören. Die hohen Fenster des Wohnzimmers standen weit offen; zwei Sonnenrechtecke erleuchteten einen feinen Staubteppich auf dem Parkett. Olivier trat auf den Balkon. Von der durch die Niederschläge aufgewühlten Garonne her wehten ihn Schlammgeruch und Vogelgekreisch an. Der gestrige Regenguss hatte die zwei Tage zuvor gepflanzten Sommerblumen gezaust, die Erde war auf den Metalltisch gespritzt, den er mit der flachen Hand abwischte und zusammengeklappt an die Wand stellte. Er war jetzt bald zwei Jahre im Ruhestand, er begann an diesen kleinen Alltagsdingen Gefallen zu finden. Danielle hatte einen Teil ihrer Reha-Praxis abgegeben, behandelte aber einige Patienten noch weiter. Olivier erlaubte sich fast nie, nach ihr aufzustehen. Am Anfang hatte es ihn sehr verunsichert, da zu sein, wenn sie nach Hause kam. Es war eine andere Frau, die er nach ihrem Arbeitstag zur Tür hereinkommen sah, eine dunklere, maskulinere Frau, die ihn ganz vergessen hatte.
Ein Zettel für Angèle lehnte am Toaster: »Fangen Sie mit der Bügelwäsche an, mein Schwiegersohn ruht sich im Fernsehzimmer aus (Lou hat heute Nacht entbunden, es ist eine kleine Jeanne!).« Der Kaffee war noch warm, eine Tasse stand auf dem Tisch, ebenso Maries Plastikbecher, und in der Spüle waren zwei Weingläser, ein gerade erst ausgespülter Aschenbecher, ein Teller mit einem fettigen Rest von Rillettes am Rand. Warum hatte Danielle ihn nicht geweckt, als Jean-Baptiste in der Nacht aufgekreuzt war? Sie musste nur ein paar Stunden geschlafen haben, Olivier fand es unangebracht, dass er an einem Tag wie diesem ausgeruht war.
Er duschte, holte die Post von unten und ging zurück ins Arbeitszimmer, um seinen Kaffee zu trinken. Seit er pensioniert war, achtete er darauf, während der zwei oder drei Halbtage pro Woche, an denen Angèle bei ihnen putzte, beschäftigt zu sein. Sie erhielt ihre Anweisungen nur von Danielle und hatte sich an seine Anwesenheit in der Wohnung so wenig gewöhnt wie er. Olivier stieß seine Tür etwas zu, als er sie den Schrank im Flur öffnen hörte und die Fenster im Luftzug schlugen. Ihre Tochter begleitete sie wie in allen Schulferien, seit sie nach Frankreich hatte kommen können. Danielle hatte sich dem zunächst widersetzt, allein mit dem Argument, es gebe spezielle Angebote für Kinder arbeitender Mütter. Olivier wunderte sich immer, wenn er an ihr solche Rigiditäten entdeckte, und genauso, wenn sie dann schließlich ohne großen Widerstand seinen Entscheidungen zustimmte. In diesem Fall jedoch hatte sie recht gehabt. Es kam nicht infrage, dass das Mädchen bei der Hausarbeit half. Ihre Langeweile ließ ein feindseliges Schweigen auf dem Vormittag lasten. Sie war zu alt, zwölf, um nichts mit ihren Ferien anzufangen. Es nervte Olivier, wenn sie von morgens an vor dem Fernseher hing. Er machte sich Vorwürfe, weil er so wenig Zuneigung zu dem Mädchen empfand.
Olivier schaute aus dem Fenster, am Ende der Straße sah er die Lichtschneise zwischen den Mietshäusern und den schimmernden Fluss unter den durch die Wolken brechenden Sonnenstrahlen. Er wartete ein paar Minuten, ob nicht Danielle und Marie auftauchten. Dann setzte er sich wieder, klappte den Computer zu und betrachtete einen Moment seine großen Hände, von denen Mathilde, ihre Jüngste, sagte, sie finde sie so schmerzvoll und ungeschickt wie ihn.
Jean-Baptiste musste aufgestanden sein, denn plötzlich gab es Freudengeschrei, als Marie in die Wohnung stürmte. Olivier wartete noch ein bisschen, er zögerte immer, an der Aufregung dieser Tage einer Geburt teilzunehmen, denn sie weckten bei ihm ein Gefühl des Bedauerns: Es tat ihm leid um die Möglichkeit, sorglos zu sein.
Er fand Jean-Baptiste auf dem Schaukelstuhl im Wohnzimmer, das Hemd offen über seiner unbehaarten Brust, wo sich die langen Muskeln des Basketballspielers abzeichneten. Marie saß zwischen seinen Beinen und betrachtete die ersten Fotos ihrer kleinen Schwester. Jean-Baptiste hob sie ein wenig hoch, um die Begrüßungsküsse seines Schwiegervaters zu empfangen. In seinem Alter hinterließ die Anstrengung noch keine Spuren, aber als sie sich umarmten, schien er gerührt. Die Periduralanästhesie hat nicht gewirkt, es war hart für sie, sagte er heiser, bevor er sich wieder setzte. Olivier beugte sich zu Marie, um die Fotos anzuschauen. Mit erschöpfter Anmut blickte die aufgelöste Lou hinunter auf das Neugeborene in ihren Armen. Das Blau des Klinikhemds ließ ihr Gesicht und die nackte Haut in ihrem entwaffnend tiefen Ausschnitt blass erscheinen. Olivier blieb stumm. Die müde Schönheit der Wöchnerinnen brachte ihn durcheinander. Wie jung deine Mama ist, flüsterte er Marie ins Ohr, die mit dem Finger auf die Fotos tippte und durchaus Bescheid zu wissen schien, was all das bedeutete. Als er sich wieder aufrichtete, kämpfte Jean-Baptiste lautlos, zwei Finger in die Augen gepresst, mit den Tränen. Olivier legte ihm freundschaftlich eine schwere Hand auf die Schulter. Niemals, dachte er mit Bedauern, hatte er selbst sich erlaubt, in diesen Momenten zu weinen.
Das Tischtuch lag bereit, und die Bücherstapel auf dem großen Tisch waren beiseitegeräumt. Danielle hatte einen dicken Strauß gelber Ranunkeln, Brioche und Obst gekauft. In einer lila Yogahose, die ihr sehr weich über die sportlich schmalen Hüften fiel, ging sie zwischen Küche und Diele hin und her. Ihr kurz geschnittenes dichtes Haar kringelte sich um ihr Gesicht. Sie war immer schön gewesen, schön wie eine amerikanische Joggerin, dachte er gern. Sie war es geblieben, sehr gerade, die Brüste schwer und ausladend unter dem feinen Schultergelenk, der Bauch flach, und die faltige Haut berührte ihn heute mehr, als ihre Jugend es je getan hatte. Mit achtundsechzig hatte Olivier die überraschenden Schönheiten, die ihr Körper für ihn bereithielt, noch längst nicht ausgeschöpft. Du schaust sie an wie ein Liebhaber, hatte ihm einmal Édouard vorgeworfen, dessen junge Ehe sich unaufhaltsam auf einen beiderseits akzeptierten Zustand der Unzufriedenheit zubewegte.
Danielle war noch nicht wieder aufgetaucht, seit sie zurückgekehrt war. Olivier wartete, bis Angèle ins Esszimmer ging, den Tisch zu decken, um nachzusehen, was mit ihr los war. Sie hatte die Ranunkeln ausgepackt und schnitt über dem Mülleimer die Stängel ab. Du hättest mich wecken sollen, bemerkte er und legte ihr den Arm um die Taille. Ohne von