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Let´s play love: Deckx
Let´s play love: Deckx
Let´s play love: Deckx
eBook230 Seiten3 Stunden

Let´s play love: Deckx

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Über dieses E-Book

Für Vany bricht eine Welt zusammen, als ein Kreuzbandriss ihre Fußballkarriere ruiniert. Ohne ihren geliebten Sport wächst in ihr eine unbändige Wut, die sich immer wieder unkontrolliert entlädt.
Um sich abzulenken, flüchtet sie sich in die Welt der Computerspiele und verliebt sich Hals über Kopf in den Let´s Player Deckx. Sie versucht, ihn auf sich aufmerksam zu machen und anfangs scheint sich Deckx über Vanys Aufmerksamkeit zu freuen - doch als sie ihn in einer Nachricht um ein Date bittet, wird sie zurückgewiesen. Das kann Vany nicht auf sich sitzen lassen.
Und auch Schulfreund Leon, in den sie irgendwie verliebt ist oder irgendwie auch nicht, ist keine große Hilfe. Jedes Date mit ihm endet in einer Katastrophe und führt Vany zurück zu Deckx.
Doch damit stößt sie Ereignisse an, über die sie mehr und mehr die Kontrolle verliert.
Band 1 der zweiteiligen, abgeschlossenen Geschichte rund um Vany.
SpracheDeutsch
HerausgeberAmrûn Verlag
Erscheinungsdatum8. Apr. 2019
ISBN9783958694002
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    Buchvorschau

    Let´s play love - Hanna Nolden

    © 2019 Amrûn Verlag

    Jürgen Eglseer, Traunstein

    Covergestaltung:

    Christian Günther, Atelier Tag Eins | www.tag-eins.de

    Lektorat: Michaela Harich

    Alle Rechte vorbehalten.

    ISBN TB – 978-3-95869-401-9

    Besuchen Sie unsere Webseite:

    amrun-verlag.de

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    v1 19

    Prolog: Die Diagnose

    Drrrrrrrrrrrrrrrrrr.

    Stille.

    Und wieder Drrrrrrrrrrrrrrr.

    Vanys Hände waren schweißnass und krampften sich um den Notfallknopf, einen kleinen Ball, den sie im schlimmsten Fall drücken sollte. Im Rhythmus der Geräusche betete sie. Zum Fußballgott oder zu wem auch immer.

    Bitte kein Kreuzbandriss. Nicht der Meniskus. Bitte kein Kreuzbandriss. Nicht der Meniskus.

    »Okay, Vanessa«, ertönte die Stimme aus der Gegensprechanlage. »Wir machen jetzt noch eine Aufnahme von deiner Schulter. Du hast es gleich geschafft.«

    Stille. Und dann Rattarattarattaratta.

    Eine Träne lief über Vanys Schläfe. Die Schulter war ihr egal. Das verdammte Knie! Das brauchte sie zum Fußballspielen! Schmerzen in der Schulter? Was soll’s! Aber nicht laufen können? Eine Katastrophe!

    Die Zeit in der Röhre kam ihr endlos vor. Immer wieder sah sie vor sich, wie es passiert war. Sie war am Ball. Musste ihrer Gegnerin ausweichen. Ein schneller Richtungswechsel und —Bäm! Ein Knall, als wäre etwas explodiert. Ihr gesamter Körper schien zerschmettert zu werden und auf einmal hatte sie das Gefühl, alles würde in Zeitlupe geschehen. Ein stechender Schmerz jagte durch ihr Knie, das unter ihr nachgab. Sie spürte, wie ihr Gesicht in den nassen Rasen gedrückt wurde. Dann rannte die blöde Kuh von Abwehrspielerin in sie hinein. Ein Tritt in die Kniekehle, ein Schlag auf die Schulter. Dunkelheit. Sekunden später sah Vany den Trainer und die Sanitäter über sich. Sie sprachen mit ihr, aber in ihren Ohren war nur Rauschen.

    Und jetzt war sie hier: im MRT. Und eigentlich kannte sie die Diagnose, wollte sie bloß nicht hören, denn dann würde sie real werden.

    »Gut, Vanessa. Das war’s. Die Bilder sind sehr schön geworden. Toll, dass du so gut still gehalten hast. Wir fahren dich jetzt wieder raus.«

    Der Tisch, auf dem sie lag, setzte sich in Bewegung und Vany entspannte sich ein wenig. Sie ließ den Ball los, setzte sich umständlich auf und zog sich die Lärmschutzstöpsel aus den Ohren. Die blonde Radiologieassistentin nahm sie ihr ab und warf sie in einen Mülleimer. Vany trug immer noch ihr Trikot. Sie kam sich unglaublich verschwitzt und schmutzig vor. Vermutlich konnte man die hellen Spuren der Tränen in ihrem dreckigen Gesicht sehen. Wie sehr sie sich dafür hasste! Dumme Heulsuse. Dummes Mädchen. Sie fuhr sich mit dem Handrücken über das Gesicht und erntete einen mitleidigen Blick. Vany biss sich auf die Lippe.

    »Tut es sehr weh?«, erkundigte sich die Blondine. »Ich kann den Arzt fragen, ob er dir etwas gibt. Er wertet jetzt deine Bilder aus.«

    Vany schüttelte den Kopf. »Es tut nicht weh«, presste sie hervor.

    Die Blondine nickte ihr aufmunternd zu, dann verließ sie das Zimmer. Vany saß nur da und wartete. Ihre Eltern hatte sie rausgeschickt. Sie war ja kein kleines Kind mehr. Und sie kannte die Konsequenzen.

    Zehn Wochen Trainingspause. Wenn sie Glück hatte.

    Karriereende, wenn sie Pech hatte.

    Doktor Braun war groß, grauhaarig und hager. Vany hatte ihn nur kurz gesehen, als der Trainer sie im Rollstuhl in die Praxisräume geschoben hatte. Jetzt saß er ihr gegenüber, thronte auf seinem Schreibtisch und hatte eine tiefe, spitze Sorgenfalte zwischen seinen Augenbrauen. Ob er sich die wohl extra für schlechte Nachrichten antrainiert hatte? Er legte die Fingerspitzen aneinander und fing an zu sprechen: »Also, Vanessa. Zuerst die gute Nachricht: die Schulter ist nur geprellt. Das wird noch eine Weile wehtun und dann von selbst abheilen. Aber mit Prellungen kennst du dich bei deinem Sport ja sicher aus, oder?«

    Vany nickte. Sie hatte auf einmal einen trockenen Mund und konnte dem Doktor nicht in die Augen sehen. Schon wieder stiegen ihr die verfluchten Tränen in die Augen. Wenn es eine gute Nachricht gab, gab es meistens auch eine schlechte. Doktor Braun atmete tief ein, bevor er fortfuhr: »Dein Knie hat es härter erwischt. Das vordere Kreuzband ist gerissen und auch die Menisken sehen nicht gut aus. Ich fürchte, damit fällst du erst einmal aus.«

    »Erst mal?«, krächzte Vany verschnupft und heiser vom Kampf gegen die Tränen.

    »Naja, deine Muskeln sind gut trainiert. Ich kenne Patienten, die schon nach zwei Wochen wieder mit Sport beginnen. Aber wir müssen abwarten, wie es aussieht, wenn die Schwellung zurückgegangen ist.«

    »Zwei Wochen«, murmelte sie, unsicher, ob sie sich erleichtert fühlen sollte oder nicht. Sie senkte den Blick, starrte auf den Boden. Konnte und wollte nicht so recht daran glauben, dass in zwei Wochen alles wieder in Ordnung wäre. Nein. Das wäre zu schön, um wahr zu sein. Sie hob das Kinn und sah Doktor Braun in die blassgrauen Augen. »Und wenn es länger dauert?«

    Der Doktor stützte sich hinter seinem Rücken auf und seufzte schwer.

    »Ich will dir nichts vormachen, Vanessa. Dein Knie wird nie wieder so, wie es einmal war. Du bist jung und sportlich. Da bietet sich eine Rekonstruktion der Sehnen an. Deine Muskulatur ist kräftig genug, um die Instabilität des geschädigten Gelenkes auszugleichen. Aber versprechen kann ich dir nichts. Wenn du deinen Sport weiter ausüben möchtest, rate ich dir zu einer Operation. Vor der Operation sind jedoch einige Monate Krankengymnastik notwendig. Und auch danach wird ein gutes Jahr vergehen, bis du wieder voll einsatzfähig bist. Es tut mir leid.«

    Vany hatte inzwischen die Hände zu Fäusten geballt. Am liebsten hätte sie etwas kaputt geschlagen. Oder geschrien. Aber sie riss sich zusammen und nickte tapfer.

    »Okay«, sagte sie schließlich. »Okay. Dann weiß ich bescheid. U19 – das kann ich noch schaffen, oder?«

    Sie merkte das Zögern. Kurz erschien die markante Falte, verschwand aber rasch hinter einem Lächeln, so falsch wie Analogkäse.

    »Wir werden sehen«, schloss der Arzt diplomatisch. »Soll ich deine Eltern holen?«

    Vanessa schüttelte den Kopf.

    »Nein. Holen Sie meinen Trainer.«

    1: Ein billiges Stück Plastik

    Im Fernsehen lief eine Arztserie. Nicht das, was Vany sich normalerweise ansah, aber heute genau das Richtige. Ein Haufen Leute, denen es noch dreckiger ging als ihr. Krebsdiagnosen und Schusswunden. Leid, Schmerz, Verzweiflung – wie gut sie das nachvollziehen konnte. Das war so viel besser zu ertragen, als herumspringende junge Mädchen, die Model oder Popstar werden wollten. Oder Fußballprofi. Vany grub die Schneidezähne in ihre Unterlippe. Sie konnte nicht aufhören, daran zu denken. Sie wollte niemanden sehen und mit niemandem sprechen. Das Kabel vom Telefon neben ihrem Bett hatte sie aus der Wand gerissen, weil es in einer Tour geklingelt hatte. All ihre Teamkollegen wollten wissen, was los war und ob sie am Samstag wieder spielen könne. Sie führte immerhin die Torschützenliste an. Ohne sie war das Team aufgeschmissen. Vany griff nach ihrem Kissen, drückte es sich aufs Gesicht und biss kräftig hinein, um nicht zu schreien, obwohl sich Schreien bestimmt besser angefühlt hätte. Da klopfte es an der Tür. Mit einem Knurren nahm sie das Kissen von ihrem Gesicht.

    »Ich bin nicht da!«, rief sie Richtung Tür, die sich trotzdem zögerlich öffnete. Ihr älterer Bruder Tim schob sein Gesicht durch den Spalt zwischen Türblatt und –rahmen. Sein schiefes Grinsen hatte etwas Entschuldigendes.

    »Was willst du?«, stöhnte sie und hätte am liebsten das Kissen nach ihm geworfen. »Wenn du dich über mich lustig machen oder mich aufziehen willst – spar’s dir einfach!«

    »Wo denkst du hin?«, fragte er und drückte die Tür ganz auf. »Ich bin doch kein Kind mehr. Ich habe dir etwas mitgebracht.«

    Vany setzte sich auf. Tim hatte einen großen Pappkarton in seinen Händen.

    »Was ist das?«, wollte sie wissen. Gegen ihren Willen war ihre Neugier geweckt und für einen kurzen Moment vergaß sie ihren Kummer. Tim nahm auf dem Rand ihres Bettes Platz und zog den Karton auf seinen Schoß.

    »Meine XBox. Ich leih’ sie dir. Und ich hab’ dir sogar ein Spiel dafür gekauft. Damit dir vormittags nicht die Decke auf den Kopf fällt, wenn wir alle ausgeflogen sind.«

    Er drückte ihr eine Plastikbox in die Hand. Vany betrachtete sie mit gerunzelter Stirn. Fußballgott 2016 stand in bunten Buchstaben auf dem Cover. Vany kniff die Lippen zusammen und legte den Kopf schief.

    »Ich weiß nicht, Tim. Ich hab’s nicht so mit Computerspielen. Und außerdem will ich jetzt wirklich nicht an Fußball denken.«

    »Erzähl’ keinen Scheiß, Schwesterchen. Du und nicht an Fußball denken? Du hast doch nichts anderes im Kopf. Du wirst dich von so ›nem gerissenen Kreuzband doch nicht aufhalten lassen, oder?«

    Er sah sie herausfordernd an und irgendwann musste Vany grinsen.

    »Okay, hast gewonnen. Ich schau’s mir mal an.«

    »Klasse. Ich schließ’ sie dir an. Du wirst sehen. Es ist ganz easy.«

    Tim nahm die XBox und einige Kabel aus dem Karton und schloss die Konsole an den Fernseher an. Dann wählte er die richtige Quelle am TV aus, legte das Spiel ein und drückte Vany einen Controller in die Hand. Er selbst nahm auch einen und ließ sich neben ihr aufs Bett fallen.

    »Rutsch mal«, sagte er enthusiastisch. Vany konnte seine Begeisterung nicht so recht teilen. Sie hatte so etwas noch nie gemacht. Tim war der klassische Stubenhocker, der den lieben langen Tag im abgedunkelten Zimmer vor seiner Kiste hängen konnte. Vany hingegen zog es bei jedem Wetter nach draußen.

    »Als erstes musst du ein Spielerprofil anlegen.«

    Vany klickte sich durch die verschiedenen Gesichter. Der Controller fühlte sich merkwürdig und ungewohnt in ihren Händen an, aber eigentlich war die Bedienung ganz einfach. In der Menüführung zumindest.

    »Gibt es keine Frauen?«, maulte sie.

    »Nee. Für Frauenfußball gibt es keine Spiele. Nimmst du halt ›nen Schwulen.«

    »Haha«, machte sie ironisch und entschied sich für einen dunkelhaarigen, durchtrainierten Typen, während Tim versuchte, seine Spielfigur so zu gestalten, dass sie ihm möglichst ähnlich sah. Hätte es weibliche Figuren gegeben, hätte Vany es genauso gemacht.

    »Wir können miteinander oder gegeneinander spielen. Jetzt spielen wir nur zum Spaß, aber wenn du allein spielst, wählst du am besten den Karrieremodus. Passt ja auch irgendwie zu dir, oder?«

    Sie verkniff sich den bissigen Kommentar, dass ihre Karriere jetzt wohl im Eimer war, und versuchte, sich einzuprägen, wann sie A, B, X oder Y drücken musste. Die Finger von ihrem Bruder schienen blind zu wissen, was sie wann tun mussten, während sich ihre anfühlten, als wären sie verknotet. Sie verlor jedes Spiel und nach drei Partien hatte sie es gerade mal geschafft, richtig geradeaus zu laufen. Tim blickte auf die Uhr.

    »Morgen wirst du schon besser sein«, versprach er ihr. »Du wirst sehen. Das lernt man ganz schnell. Ich muss jetzt ins Bett. Ich schreib’ morgen früh Englisch.«

    Vany nickte ihm zu und kurz bevor er das Zimmer verließ, sagte sie noch: »Danke, Tim.«

    Ihre Mutter weckte sie am nächsten Morgen, bevor sie zur Arbeit ging. Warum, konnte Vany nicht nachvollziehen. Eine Woche lang musste sie zuhause bleiben, bevor sie sich auf Krücken in die Schule wagen sollte und die Physiotherapie begann. Es gab also absolut keinen Grund, so früh geweckt zu werden. Aufstehen konnte sie eh nicht. Aber ihre Mutter bestand darauf, dass sie einen gewissen Rhythmus einhielt. Sie stellte ihr ein Tablett mit Frühstück ans Bett und stöpselte das Telefon wieder ein. Dann drückte sie Vany einen Zettel in die Hand.

    »Das ist meine Büronummer, Schatz. Wenn irgendwas ist, scheu dich nicht, mich anzurufen.«

    Vany verdrehte die Augen. Sie hasste es, ihre Mutter im Amt anzurufen. Die wollte ihr jetzt einen Kuss auf die Stirn drücken, aber Vany zog schnell die Decke übers Gesicht.

    »Hau bloß ab, Ma!«

    Sie konnte das gedämpfte Seufzen ihrer Mutter durch die Decke hören.

    »Also gut. Tim ist gegen 14 Uhr wieder hier. Ich komme um 16 Uhr und mache euch dann etwas zu essen. Sieh nicht den ganzen Tag fern und wirf auch mal einen Blick in deine Bücher!«

    »Jaja.«

    »Ich weiß sehr wohl, was das heißt, junge Dame.« Wieder das Seufzen. »Ich bin weg.«

    »Fein.«

    Vany blieb unter der Decke, bis sie die Haustür zufallen hörte. Dann angelte sie nach der Fernbedienung und zappte sich missmutig durch die Kanäle. In der ersten halben Stunde fielen ihr noch ab und an die Augen zu. Allerdings war Vany keine Nachteule und der Schulrhythmus steckte noch in ihr. An einem gewöhnlichen Schultag hätte sie jetzt schon eine ordentliche Runde mit dem Rad gedreht. Der Schulweg war nicht lang, aber für ihr Training war es ganz gut, eine Extrarunde zu fahren. Vor der Schule zu joggen, schaffte sie meistens nicht, weil sie dann noch hätte duschen müssen. Radfahren jedoch brachte sie kaum ins Schwitzen. Also fuhr sie eine halbe Stunde vor und meistens auch eine Stunde nach der Schule. Vany musste sich wieder auf die Lippen beißen. Radfahren war die nächsten Wochen auch nicht drin. Nicht einmal das. Sie zog sich das Tablett mit dem Frühstück heran und begann lustlos zu essen, während im Fernsehen ein junges Paar dabei war, die erste eigene Wohnung einzurichten. Das Mädchen setzte sich durch und ließ den Jungen die Wände fliederfarben streichen. Vany verabscheute die Rosamädchenfraktion und verzog angewidert das Gesicht. Wenn die Sport machte, war es bestimmt Yoga. Oder Pilates. Oder Zumba!

    Sie wollte schon wieder nach der Fernbedienung greifen, hatte aber alle Programme schon dreimal angewählt und nirgendwo etwas Besseres gefunden. Teenager in Not, gebärende Mütter in Kreißsälen, Kochshows ... das Vormittagsprogramm bot nichts, das Vany hinter dem Ofen hätte hervorlocken können. Als sie das Tablett zurückstellte, fiel ihr Blick auf den XBox-Controller ihres Bruders.

    »Es ist ganz easy«, hatte er gesagt und obwohl Vany in ihrem ganzen Leben noch nie eine Spielkonsole bedient hatte, war es ihr tatsächlich nicht so schwer vorgekommen. Geradezu selbsterklärend. Sie wählte den richtigen Kanal am Fernseher aus und schaltete die Konsole ein. Schon startete die Videosequenz und Vany entspannte sich. Es war nicht real, aber hey! Immerhin ging es um Fußball. Sie sah sich noch einmal ihr Spielerprofil an, doch es gefiel ihr nicht mehr und sie beschloss, sich heute ein bisschen mehr Mühe zu geben. Wenn sie schon keine Frau sein konnte, wollte sie wenigstens einen gutaussehenden Spieler haben. Denn Rosamädchenfraktion hin oder her - nur weil sie selbst Fußball spielte, hieß das natürlich nicht, dass sie einem gutaussehenden Kerl gegenüber abgeneigt gewesen wäre. Da mochten die Jungs aus ihrer Klasse noch so oft behaupten, sie wäre lesbisch. Die hatten ja keine Ahnung. Idioten. Alle miteinander.

    Vany brauchte eine halbe Stunde, bis sie mit ihrem Spieler zufrieden war. Dunkelbraunes, glattes Haar – bloß keine Locken! –, nussbraune Augen, schön definierte Muskeln, ein freundliches Lächeln. Ja, der Typ sah sie an, als wäre er nur dafür da, ihr eine Freude zu bereiten. Vany hatte ihre schlechte Laune vergessen. Jetzt brauchte der gutaussehende Typ nur noch einen Namen.

    »Marten«, dachte Vany. »Ich werde dich Marten nennen. Marten Olafson.«

    Sie grinste, während Marten sich über seinen Namen ehrlich zu freuen schien. Fehlte noch der Verein. Aus einer Reihe erfundener Oberligavereine konnte Vany sich einen aussuchen. Ihr Ziel würde es dann sein, so gut zu werden, dass sie entweder mit ihrem Verein aufstieg oder während der laufenden Saison von einem höheren Verein abgeworben wurde. Vany verdrängte den Gedanken, dass sie gestern noch wie eine Versagerin gespielt hatte. Es würde schon schief gehen. Sie war in den meisten Sachen besser, wenn sie nicht dabei beobachtet wurde. Ihr Verein hieß »Vorwärts Heimbüttel« und hatte die Farben blau und weiß. Ihre Mannschaftskollegen trugen alle eigentümliche Namen, die klangen, als hätte man ein Telefonbuch zerschnipselt und wahllos ein paar Silben gezogen. Teilweise waren auch die Namen berühmter Fußballspieler vergangener Tage verwurstet worden. Da gab es einen Diego Beckenmann oder einen Stefan Klinsmüller. Vany schüttelte den Kopf. Nein. Dann würde schon eher Marten Olafson Fußballgott 2016 werden. Im Trainingslager, dem Tutorial, konnte Vany ganz wie in echt ein Training durchlaufen. Slalom um Pylone laufen, Ecken und Elfmeter schießen, anderen Spielern den Ball abnehmen – nur Stretching, Warmmachen und Ausdauertraining wurden hier ausgespart. Vany war sich nicht sicher, ob sie wirklich besser wurde, aber allmählich gewöhnten sich ihre Finger an den klobigen Controller in ihrer Hand und sie traf immer häufiger auf Anhieb die richtige Taste. Marten Olafson bewegte sich auf dem Platz wie ein Stück Holz, aber das taten die Klinsbauers aus ihrem Team auch. Die Saison fing an und das erste Spiel wurde im Heimbüttler Käseblatt angekündigt. Es gab eine kurze Videosequenz und schon konnte es losgehen. Vany stand im Sturm. Rechts außen. Wie im wahren Leben. Die geprellte Schulter schmerzte ein wenig, als sie sich gegen die Wand lehnte, aber Vanys Ehrgeiz war geweckt, so dass sie den Schmerz kaum wahrnahm. Der Gegner »Wacker Hammerstedt« legte gleich los. Anders als im Trainingslager schien Vany das Spiel irrsinnig schnell zu gehen. Jede Halbzeit dauerte fünf Minuten.

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