Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Tripod – Das schwarze Kätzchen
Tripod – Das schwarze Kätzchen
Tripod – Das schwarze Kätzchen
eBook336 Seiten4 Stunden

Tripod – Das schwarze Kätzchen

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Ben ist sauer. Von seinen Klassenkameraden wird er gemobbt, die Schule tut nichts dagegen und seine Mutter glaubt, ein dreibeiniges Kätzchen würde all seine Probleme lösen. Als ob er nicht eh schon ständig an sein verlorenes Bein denken müsste!
Lieber flüchtet er sich in das Onlinerollenspiel "Knights of Maira", wo er mit seinem besten Freund Oliver Abenteuer erlebt. Doch sein Kätzchen Tripod hat sich in den Kopf gesetzt, etwas gegen das Mobbing zu unternehmen, und Ben begegnet ausgerechnet in Maira einem Mädchen, das seine Welt auf den Kopf stellt. Ein Mädchen mit einem Knall. Kann das gutgehen?
SpracheDeutsch
HerausgeberMachandel Verlag
Erscheinungsdatum24. März 2021
ISBN9783959593090
Tripod – Das schwarze Kätzchen

Mehr von Hanna Nolden lesen

Ähnlich wie Tripod – Das schwarze Kätzchen

Ähnliche E-Books

Kinder für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Tripod – Das schwarze Kätzchen

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Tripod – Das schwarze Kätzchen - Hanna Nolden

    Tripod - Das schwarze Kätzchen

    Hanna Nolden

    yay-shekoru-1075328_black-cat-silhouette-collections1.

    Für Sprotte

    ©Hanna Nolden 2021

    Machandel Verlag Haselünne

    Charlotte Erpenbeck

    Cover-Bild: kasyanovart, shutterstock.com

    Illustration: shekoru / yayimages.com

    1. Auflage 2020

    ISBN 978-3-95959-309-0

    Prolog

    Mama. Mama ist warm und weich. Sie drückt uns an sich und ihre Pfoten halten all das Böse von uns fern. Mama ist Milch und Wärme und Schnurren. Ihre raue Zunge wäscht den Schmutz der Welt aus unserem Fell.

    Wir wachsen. Wir wachsen schnell. Mama zeigt uns, wie man jagt. Wir huschen hinter ihr her durch das hohe Gras, folgen ihr durch die Felder. Mama verteidigt uns gegen andere Katzen, sagt uns, dass wir uns von den Menschen fernhalten sollen. Und abends kuscheln wir und die Welt besteht aus Milch und Wärme und Schnurren.

    Doch plötzlich ist da Lärm. Große gelbe Maschinen pflügen durch die Felder. Wir haben Angst. Wir laufen um unser Leben. Ich kann meine Mama nicht mehr sehen. Wo sind meine Geschwister? Ich rufe nach ihnen, aber der Lärm der Maschinen ist so laut! Und auf einmal ist eine von ihnen direkt über mir. Ein gelber Blitz, und heißer Schmerz jagt durch meinen kleinen Körper …

    „Na, wer bist du denn?"

    Die rothaarige Menschenfrau beugt sich über mich. Ich zittere vor Angst. Haltet euch fern von den Menschen, hat Mama immer zu uns gesagt. Doch ich kann nicht weglaufen. Ich bin zu schwach und mein Bein tut so weh! Die Menschenfrau hebt mich hoch und stopft mich unter ihren Pullover. Da ist es warm und ich höre auf zu zittern. Ich kann den Herzschlag der Frau hören. Sie riecht nach Katze und Hund und Pferd. Ich spüre, dass sie mir nichts tun wird. Ich habe immer noch Angst, aber ich bin so erschöpft, dass ich einschlafe.

    Als ich aufwache, liege ich in einem Käfig. Die Schmerzen sind weg, aber mir ist schwindelig. Ich versuche, aufzustehen. Ich schaffe es nicht. Und da merke ich es: mein Bein! Mein Bein ist nicht mehr da!

    „Hab keine Angst, kleines Kätzchen. Das Gesicht der rothaarigen Frau taucht über mir auf. „Du wirst wieder ganz gesund und ich weiß auch schon, wer deine neue Familie wird.

    Eine neue Familie? Panik überrollt mich. Ich will keine neue Familie! Ich will meine alte Familie, meine Mama, meine Geschwister! Doch ich ahne, dass ich meine Mama und meine Geschwister niemals wiedersehen werde.

    Kapitel 1

    Von einem Tag auf den anderen änderte sich alles in meinem Leben. Leider musste ich schnell feststellen, dass die Schmerzen nur kurz weg gewesen waren. Nach einer Autofahrt, während der ich einschlief, waren sie wieder da. Die Frau mit den roten Haaren war sehr nett zu mir. Vorsichtig nahm sie mich aus dem Transportkorb und bettete mich auf einer weichen Decke.

    „Du kannst mich Tante Tanja nennen. Und ich sag dir gleich, dass du nicht bei mir bleiben kannst. Ich habe schon zu viele Katzen, um die ich mich kümmern muss."

    Müde hob ich den Kopf und sah mich im Zimmer um, konnte aber keine weiteren Katzen entdecken. Tante Tanja deutete auf eine verschlossene Tür. „Da geht’s zum Rest des Hauses. Da wohnen meine Katzen und meine Hunde. Normalerweise ist die Tür nicht geschlossen, aber du bist von deiner Verletzung geschwächt und brauchst deine Ruhe. Außerdem kannst du wie gesagt nicht bei mir bleiben. Aber ich habe schon jemanden für dich im Auge. Ich muss bloß ein bisschen herumtelefonieren."

    So war mein erster Tag bei Tante Tanja. Da ich jetzt nur noch drei Beine hatte, musste ich alles neu lernen. Laufen und springen, aber auch mich putzen oder fressen, ohne mit der Nase im Napf zu landen. Mein Essen bestand jetzt aus Fleischbrei, Knusperkissen und Wasser. Milch gab es auch, aber sie schmeckte anders als Mamas Milch. Am liebsten mochte ich den Joghurt, den Tante Tanja mir jeden Tag kurz vor dem Schlafengehen hinstellte. Ich wurde mit jedem Tag munterer und fand, dass es durchaus etwas für sich hatte, jeden Tag zu einer festen Uhrzeit sein Futter zu bekommen. Die Kuschelstunden mit meiner Mama und meinen Geschwistern fehlten mir, aber Tanja versuchte das auszugleichen und knuddelte mich so oft es ging. Die meiste Zeit des Tages saß sie jedoch an ihrem Computer und tippte auf ihrer Tastatur. Sie war nämlich Autorin und schrieb Geschichten. Wenn mir langweilig wurde, turnte ich auf den Bücherregalen herum. Meine ersten Springversuche endeten natürlich platt auf der Nase. Ohne das fehlende Bein fühlte sich mein Körper einfach nicht richtig an. Aber ich übte fleißig und schaffte es bald, auf Tante Tanjas Schoß zu klettern. Von dort aus versuchte ich, ihre Finger zu fangen, die über die Tastatur tanzten. Doch Tante Tanja gefiel dieses Spiel nicht. Also machte ich es mir auf dem Sofa gemütlich und sah ihr von dort aus bei ihrer Arbeit zu. Wenn Neugier und Tatendrang mich packten, tauchte ich unter das Sofa oder den Schreibtisch. Ich fand jede noch so staubige Ecke und überall roch es äußerst interessant. Einmal sprang ich auf die Fensterbank und sah nach draußen. Die Felder und die Bäume kamen mir bekannt vor. Irgendwo da draußen war meine Familie. Dann schoss mir die Erinnerung an den Tag der großen gelben Maschinen durch den Kopf und mir wurde schwindelig. Hatte meine Familie den Tag überlebt? Oder war ich vielleicht der Einzige von meiner Familie, der noch am Leben war? Und diese Maschinen? Würden sie wiederkommen? Konnten sie ins Haus gelangen oder war ich hier sicher? Die Panik überrollte mich wie die Räder des gelben Monstrums. Ich fauchte, ich schrie, ich fuhr die Krallen aus und dann wurde mir schwarz vor Augen.

    Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf Tante Tanjas Schoß, und sie strich mir beruhigend durch das Fell. Sie sang ein Lied für mich, und ich begann zu schnurren. Doch in mir wühlte die Erinnerung an diesen schrecklichen Tag und an meine Familie, aber ich sollte ja eine neue Familie bekommen und ich konnte es kaum erwarten, sie endlich kennenzulernen. Bestimmt würde es mir besser gehen, wenn ich endlich mein Für-immer-Zuhause gefunden hatte.

    Manchmal telefonierte Tante Tanja und jedes Mal, wenn sie zum Telefon griff, hoffte ich, dass sie jetzt diesen einen Anruf tätigen würde, von dem sie gesprochen hatte. Nicht, dass ich es hier nicht nett gehabt hätte, aber allmählich wurde es öde in diesem kleinen Zimmer. Und auf die Fensterbank zum Rausgucken sprang ich bestimmt kein zweites Mal! Außerdem wusste ich ja, dass meine Reise noch nicht zu Ende war.

    Eines Tages war es endlich soweit. Tante Tanja kam zu mir und sah mich ernst an. „Ich rufe jetzt Karin an. Drück die Pfoten, dass sie ja sagt."

    Karin. Ich drehte den Namen in meinem Kopf hin und her. Würde das meine neue Mama sein? Gespannt lauschte ich, was Tante Tanja in den Hörer sprach: „Hallo Karin! Na, wie geht es dir?"

    Wie es Karin ging, konnte ich nicht hören, aber Tante Tanja nickte mehrmals und sagte Dinge wie „Verstehe und „Das war zu erwarten. Immer wieder sah sie mich an und ich fragte mich, wann es wohl um mich gehen würde.

    „Und wie geht es Ben?"

    Sie sah mich noch eindringlicher an und ich wurde ganz kribbelig. Wer war Ben? Der Name gefiel mir. Ein schöner, kurzer Name, den ich mir gut merken konnte.

    „Ich weiß, du erschlägst mich wahrscheinlich für diesen Vorschlag, aber ich glaube, ich habe da etwas für euch."

    Ich fing an, Tante Tanja um die Beine zu schnurren, um sie zu motivieren, denn jetzt ging’s zur Sache. Also, es ging um mich. Jawohl! Ich hörte nicht mehr richtig zu, ich gab alles beim Schnurren. Und schließlich legte Tante Tanja das Telefon zur Seite und beugte sich über mich: „Es hat geklappt! Sie hat ja gesagt!"

    Am nächsten Tag packte Tante Tanja mich in einen Transportkorb. Obwohl ich mich freute, zitterte ich vor Angst. Denn gleich würde sie mich durch die Tür ins Draußen tragen. Dorthin, wo die großen Maschinen wohnten. Tante Tanja spürte meine Angst und legte eine dunkle Decke über den Korb. Jetzt konnte ich vom Draußen nichts mehr sehen. Ich spürte, wie ich getragen wurde, hörte die Autotüren knallen und dann ging es auf in mein neues Leben. Zu meiner neuen Familie! Und ich wusste, es würde ein gutes Zuhause sein.

    Kapitel 2

    Frustriert betrachtete Ben den Stumpf. Er war hässlich. Nach all der Zeit fand er ihn immer noch furchtbar. Manchmal fragte er sich, ob er sich jemals daran gewöhnen würde. Er hasste ihn! Gelegentlich war ihm schon der Gedanke gekommen, in die Küche zu gehen, ein Messer zu holen und einfach darauf einzustechen. Aber das würde alles nur noch schlimmer machen. Besser wäre es, es ganz zu beenden, dieses elende Leben. Aber das würde seiner Mutter das Herz brechen. Schließlich war er alles, was sie hatte.

    Mit einem Schnauben legte er die Prothese an, stand auf und griff nach seiner Kleidung. Unter dem Hosenbein sah man die Prothese nicht, aber natürlich wusste jeder an seiner Schule, dass er nur noch ein Bein hatte. So etwas verbreitete sich schneller als ein Lauffeuer. Hm. Was war überhaupt ein Lauffeuer? Ach, egal.

    Er ging zum Schreibtisch und strich liebevoll mit zwei Fingern über die Maus. Am liebsten hätte er den Rechner hochgefahren und sich bei Knights of Maira eingeloggt, dem Onlinerollenspiel, mit dem er die meiste Zeit verbrachte. Stattdessen griff er sich den Rucksack und verließ sein Zimmer, um zu seiner Mutter in die Küche zu gehen. Nach vielen Wochen in der Reha bereitete ihm und seinem hydraulischen Knie die Treppe keine Probleme. Überhaupt war er mit der Prothese von Anfang an gut zurechtgekommen. Ganz anders als sein Zimmernachbar Oliver. Der fand, die Prothese scheuert und drückt, und irgendwann wollte er gar keine mehr. Aber der war auf einem Bein und Krücken flink wie ein Wiesel und immer gut gelaunt. Beides konnte Ben von sich nicht gerade behaupten.

    „Guten Morgen, mein Schatz", grüßte Mama und strahlte ihn an. Das tat sie immer, wenn sie ihn sah, als hoffte sie, dass ihr Strahlen einfach auf ihn übergehen würde. Er versuchte es hin und wieder zu spiegeln, aber auf sein falsches Lächeln fiel sie nicht herein. Sie wollte ein echtes Lächeln, doch das gab es nicht mehr. Das war mit dem Auto, das ihn überrollt hatte, in der Schrottpresse gelandet.

    „Morgen", murmelte er, nahm sich eine Müslischüssel aus dem Schrank und kippte Cornflakes und Milch hinein. Mama setzte sich zu ihm an den Küchentisch, trank aber wie immer nur einen Kaffee. Sie trug noch ihren Schlafanzug. Wie meistens eigentlich.

    „Es ist schönes Wetter heute, bemerkte sie mit einem Kopfnicken Richtung Fenster. „Du könntest zu Fuß zur Schule gehen. Oder mit dem Rad fahren.

    Ben blickte in seine Müslischale und sah nicht zu Mama auf. Stattdessen überlegte er, dass „zu Fuß gehen" eine nette Formulierung war. Jedenfalls sehr passend für jemanden, der nur einen Fuß hatte. Manchmal dachte er noch an seinen Fuß und versuchte, sich in allen Einzelheiten daran zu erinnern, wie er ausgesehen hatte. Da hatte es diesen kleinen Leberfleck am inneren Knöchel gegeben. Ob Mama wohl auch manchmal daran dachte?

    „Hast du mich gehört, Ben?", fragte sie und riss ihn aus seinen Gedanken. Missmutig schob er die Schultern hoch.

    „Hab keinen Bock."

    Mama seufzte. Sie führten diese Diskussion ja nicht zum ersten Mal. In der Reha war Sport großgeschrieben worden und eigentlich hatte ihm das auch gefallen. Jeden Tag stand Schwimmen auf dem Programm und in der Turnhalle spielten sie Basketball und andere Sachen. Jeden Tag waren sie aktiv gewesen. Er und die anderen Amputierten. Unter Gleichen war das auch kein Problem. Aber hier weigerte er sich, am Sportunterricht teilzunehmen. Er wollte sich nicht vor den anderen umziehen, wollte nicht, dass irgendjemand seine Prothese sah. Und mit dem Rad fahren wollte er auch nicht!

    „Nicht einmal zu Fuß gehen?", hakte seine Mutter nach, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Aber nein, er wollte nicht einmal zu Fuß gehen, obwohl sein Gang mittlerweile kaum noch so steif und ungeschickt war wie am Anfang. Im Grunde sah man ihm nicht wirklich an, dass er nur ein Bein hatte. Er aber konnte das nicht vergessen. Und es gab noch einen weiteren Grund: Obwohl er die Schule gewechselt hatte, war sein Schulweg noch in großen Teilen der gleiche. Jeden Tag würde er an der Stelle vorbeikommen, wo er den Unfall gehabt hatte. Mit dem Auto huschten sie daran schnell vorbei, aber zu Fuß … nein, unmöglich. Er schüttelte, ohne aufzusehen, den Kopf, und Mama seufzte wieder.

    „Also gut, sagte sie. „Dann fahre ich dich eben.

    Sie stopfte eine Brotdose und eine Wasserflasche in seinen Rucksack und ging in den Flur, um in die Schuhe zu schlüpfen. Die Mühe, etwas Richtiges anzuziehen, machte sie sich nicht. Sie würde ohnehin nicht aus dem Auto aussteigen. Ben folgte ihr, zog einen Schuh an seinen richtigen Fuß und einen an den falschen. Das Hosenbein schlackerte um die Prothese. Es war eine ohne hautfarbenen Silikonüberzug. Nur der Fuß war wie ein echter Fuß gestaltet. Ansonsten sah das Bein aus wie das eines Cyborgs, was irgendwie cool gewesen wäre, wenn es nicht ausgerechnet ihn beträfe. Mama ging voraus durch die schmale Tür, die den Flur mit der Garage verband. Sie stiegen beide ein und Mama öffnete mit der kleinen Fernbedienung das Tor. Ben dachte darüber nach, den Spieß einmal umzudrehen. Ihr zu sagen, dass er ja mit dem Rad fahren würde, wenn sie mitkäme. Denn tatsächlich war seine Mutter genauso ein Stubenhocker wie er. Er wusste, dass sie sich oft wieder schlafen legte, während er in der Schule war. Dafür schlug sie sich so manche Nacht um die Ohren. Seine Mutter war Autorin, was auch irgendwie cool wäre, wenn sie denn cooles Zeug schreiben würde statt blöder Schmonzetten. Aber mit diesen Schmonzetten verdienten sie ihre Brötchen. So viele Brötchen, dass sogar das beste hydraulische Knie drin gewesen war, das man kaufen konnte. Jeden Monat ein Heftroman. Bei der Arbeit konnte man seiner Mutter definitiv keine mangelnde Disziplin vorwerfen. Trotzdem hatte er sich oft gewünscht, sie wäre ein wenig normaler und hätte einen simplen Kassiererjob oder so. Als er noch zwei Beine und Freunde gehabt hatte, hatte er sie oft um ihre normalen Leben beneidet. Um Mütter, die zu Elternabenden gingen und zu Schulfesten Kuchen mitbrachten. Seine Mutter machte sich nichts aus Schule. „Sie ist ein notwendiges Übel", pflegte sie zu sagen. Am liebsten wäre ihr, er würde auch Autor werden. Oder Kunstmaler. Jedenfalls irgendetwas Kreatives. Mittlerweile beneidete er seine Klassenkameraden sogar noch viel mehr als vorher, aber nicht mehr so sehr um ihre Mütter, denn inzwischen ging auch er nicht mehr gern vor die Tür, und so ein Schulabbruch mit anschließender Künstlerkarriere gewann immer mehr an Reiz.

    Mama hielt vor der Schule und Ben schnallte sich ab.

    „Bis nachher", murmelte er.

    „15 Uhr?", fragte sie wie jeden Tag.

    „15 Uhr", bestätigte er, ebenfalls wie jeden Tag, und stieg aus. In der Reha hatten sie auch Unterricht gehabt, aber das ließ sich nicht mit einer richtigen Schule vergleichen. Alle Reha-Patienten im schulpflichtigen Alter wurden gleichzeitig unterrichtet. Sie waren nur eine kleine Gruppe gewesen, in der es sich gut lernen ließ. Manches war jedoch auch untergegangen. So war Ben jetzt in vielen Dingen weiter als seine Klassenkameraden, während er von anderen Dingen noch nie gehört hatte, die für die anderen zum Grundwissen gehörten. Obwohl seine Mutter sich nichts aus Schule machte, versuchte er, halbwegs gute Noten mit nach Hause zu bringen, und wenn er nicht in Maira unterwegs war, lernte er. Auch in der Schule passte er auf, denn der Tag ging viel schneller rum, wenn man im Unterricht mitmachte. Vor allem, wenn man keine Freunde hatte, die einem die Zeit verkürzten.

    Und so brachte er auch diesen Tag irgendwie hinter sich, konnte es vermeiden, auf die Schnauze zu fallen, so oft die anderen auch versuchten, ihm ein Bein zu stellen, konnte es vermeiden, jemanden anzubrüllen, so sehr ihm auch danach war, und konnte es vermeiden, sich vom Fachraumgebäude zu stürzen, auch wenn er oft genug daran dachte. Mama wartete im Wagen vor der Schule und war – oh Wunder! – tatsächlich einmal angezogen.

    „Warst du einkaufen oder so?", fragte er und bemerkte erst, als er den Satz ausgesprochen hatte, wie schroff das klang. Doch Mama ließ es einfach an sich abperlen und lächelte.

    „Das auch. Aber ich habe Besuch."

    „Besuch?, wunderte sich Ben und wurde neugierig. „Von wem denn?

    „Von meiner Freundin Tanja."

    Aha, dachte Ben. Mama hatte eine ganze Menge Freunde. Andere Schriftsteller, die genauso selten aus dem Haus gingen, wie sie selbst, die die Hälfte des Tages auf Facebook rumhingen und die andere Hälfte des Tages ihre Tastaturen quälten. Und zweimal im Jahr trafen sie sich auf den Buchmessen und schmissen wilde Partys. Oder so ähnlich. Er konnte sich die Namen von Mamas Freunden jedenfalls nicht merken und hatte keine Ahnung, wer diese Tanja war.

    „Sie hat uns etwas mitgebracht. Ein Geschenk. Für dich."

    Ben sah sie verwundert an. Ein Geschenk? Für ihn? Was sollte das sein?

    „Schreibt sie etwa Lebenshilfebücher?", fragte er, schon wieder etwas zu schroff.

    „Heldenromane, erwiderte Mama. „Und Homoerotik.

    Sie grinste ihn frech an und freute sich offenbar über sein entsetztes Gesicht. Na, das war bestimmt ein super Geschenk! Mama beachtete ihn jetzt nicht mehr und er sah stur aus dem Fenster und versuchte, die Neugier zu verdrängen. Aber ganz gelang es ihm nicht.

    Kapitel 3

    Neugierig sah ich mich in meinem neuen Zuhause um. Das Haus hatte viele Zimmer und wenn ich das richtig verstanden hatte, durfte ich sie alle benutzen, nicht nur eines. Aber am Anfang sollte ich in der Küche bleiben. Die Küche war ein großer, sehr heller Raum, in dem, den herrlichen Gerüchen nach zu urteilen, meine neue Familie Essen zubereitete. Auch ich sollte hier mein Essen bekommen. Das wusste ich schon mal. Tante Tanja packte aus, was sie noch an Futter-Vorräten übrighatte und erklärte Karin, was ich gerne aß. Karin richtete mir auch gleich etwas auf einem Tablett her und stellte es auf den Boden. Ich war von der langen Autofahrt durstig, hüpfte aus meiner Transportbox und stürzte mich gleich auf den Wassernapf. Hmmm. Reisen machte auch irgendwie hungrig, also probierte ich danach sofort das Futter. Schließlich hatte Tante Tanja es mitgebracht, dann konnte es ja nicht schlecht sein. Karin und Tanja lachten.

    „Na, der ist ja kein bisschen schüchtern", meinte Karin.

    „Der ist sogar richtig frech, verriet ihr Tante Tanja, was wiederum ich von ihr ein bisschen frech fand. „Er wird euch viel Freude bereiten.

    Jetzt seufzte Karin und ließ sich auf einen Stuhl sinken. Sie griff nach ihrer Kaffeetasse und rührte darin.

    „Ich wünschte, Ben würde mal wieder so etwas wie Freude empfinden. Er verbringt die ganze Zeit nur mit diesem Onlinespiel. Also, nicht dass es mich stören würde, dass er viel vor dem Computer sitzt, aber etwas Kreativität würde ihm guttun."

    „Naja, frische Luft schadet auch nicht", warf Tante Tanja ein, doch Karin schob bloß die Schultern hoch.

    „Mag sein. Dein kleiner Flint wird es jedenfalls gut bei uns haben, ganz gleich wie Ben auf ihn reagiert. Ich bin ja auch noch da."

    „Irgendwann wird es besser, versprach Tante Tanja und ich wurde immer gespannter, wer dieser Ben war. Auf jeden Fall brauchte er wohl einen Freund. Ich sah mich ein wenig in der Küche um, hüpfte auf den Tisch und auf die Arbeitsplatten, aber jedes Mal, wenn ich das tat, setzte Karin mich zurück auf den Boden. Hm. Das sollte ich wohl nicht. Schade. Wenn ich in der Küche nicht klettern und hüpfen durfte, würde das ziemlich langweilig werden. Hoffentlich war in den anderen Zimmern mehr erlaubt! Ich knusperte noch etwas Trockenfutter und achtete nicht mehr auf das Gespräch der beiden Frauen. Sie redeten jetzt über Bücher und Kollegen und knabberten Kekse, die ich nicht mochte. Welche mit Zimt. Pfui bäh! Irgendwann blickte Karin auf die Uhr und meinte: „Ich fahre dann jetzt mal zur Schule und hole Ben ab.

    Jetzt wurde ich wieder aufmerksam. Wir würden Ben abholen? Super Idee! Dann lernte ich ihn endlich kennen! Ich sprang auf und wollte Karin in den Flur folgen. Lachend beugte sie sich zu mir herunter und schob mich sanft zurück in die Küche.

    „Du musst erst einmal hierbleiben, erklärte sie mir. „Nachher darfst du vielleicht den Rest des Hauses sehen. Bis gleich!

    Nachher! Immer nachher, maulte ich. Aber ich wollte nicht undankbar sein. Immerhin war sie ziemlich nett zu mir. Tante Tanja und ich kuschelten ein wenig, während wir warteten. Jetzt war ich doch ganz froh, dass ich nicht mitfahren durfte, um Ben abzuholen. Immerhin hatte ich gerade eine Autofahrt hinter mir und ich wusste nicht, wie es dort draußen aussah. Wir waren jetzt in der Stadt, hatte Tante Tanja mir erklärt. Ich wusste nicht, ob es in der Stadt auch große gelbe Maschinen gab, aber ich hatte es jetzt nicht mehr so eilig, das herauszufinden. Trotzdem war ich aufgeregt. Bald würde ich Ben kennenlernen! Ben, der einen Freund brauchte. Einen Freund wie mich. Das würde bestimmt großartig werden. Jawohl!

    Kapitel 4

    Mama fuhr in die Garage, und das Tor schloss sich ratternd. Sie stieg gut gelaunt aus, während Ben ihr immer noch ein wenig missmutig folgte. Besuch war immer blöd. Noch mehr Leute, die über sein Bein Bescheid wussten und ihn komisch ansahen. Am meisten hasste er das Mitleid in ihren Augen. Er wollte kein Mitleid. Er wollte, dass die Leute ihn behandelten wie jeden anderen Menschen auch. Naja, er würde höflich Hallo sagen und dann durfte er sich hoffentlich verabschieden und in sein Zimmer gehen, um sich wieder bei Knights of Maira einzuloggen und ein paar Orks zu schlachten. In seiner Gilde wusste

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1