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Liebchen mein: oder Eleonore und die tödliche Gerüchteküche
Liebchen mein: oder Eleonore und die tödliche Gerüchteküche
Liebchen mein: oder Eleonore und die tödliche Gerüchteküche
eBook332 Seiten4 Stunden

Liebchen mein: oder Eleonore und die tödliche Gerüchteküche

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Über dieses E-Book

Nach dem Tod seiner Frau zieht es Dietmar Henkel wieder zurück in seine alte Heimat, den Harz. Kurz darauf werden zwei seiner alten Freunde ermordet. Die Gerüchteküche in der Kleinstadt Herzberg beginnt zu brodeln. Schnell wird Dietmar wegen seiner cholerischen, unfreundlichen Art als Mörder abgestempelt. Schließlich steht er auch in Verdacht, mit dem Verschwinden eines Flüchtlings und seines Kindes zu tun zu haben. Während Kommissar Geiger und seine Kollegin am Anfang ihrer Ermittlungen stehen, ist ihre spleenige Freundin Eleonore bereits mittendrin, um den Gerüchten auf den Grund zu gehen und die Morde aufzuklären.
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. März 2019
ISBN9783947167432
Liebchen mein: oder Eleonore und die tödliche Gerüchteküche
Autor

Gabriela Bock

Gabriela Bock wurde 1951 in Herzberg am Harz geboren. Nach Jahren der Kindererziehung und mehreren beruflichen Stationen hat sie nun die Zeit und Ruhe, sich ihrer alten Leidenschaft zu widmen: dem Schreiben. „Die Hecke brennt“ ist ihr zweites Buch. Die Autorin lebt mit ihrem Mann in Hattorf am südwestlichen Harzrand. Sie liebt ihre große Familie, ihre Tiere, das Reisen, das Leben im Allgemeinen und natürlich den Harz.

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    Buchvorschau

    Liebchen mein - Gabriela Bock

    Gabriela Bock

    Liebchen mein

    oder Eleonore und die tödliche Gerüchteküche

    Impressum

    Liebchen mein

    ISBN 978-3-947167-43-2

    ePub Edition

    V1.0 (03/2019)

    © 2018 by Gabriela Bock

    Abbildungsnachweise:

    Cover © littleny

    # 73558127 | depositphotos.com

    Porträt Gabriela Bock © Ania Schulz

    as-fotografie.com

    Lektorat:

    Sascha Exner

    Druck:

    WIRmachenDRUCK GmbH, Backnang

    Verlag:

    EPV Elektronik-Praktiker-Verlagsgesellschaft mbH

    Postfach 1163 · 37104 Duderstadt · Deutschland

    Fon: +49 (0)5527/8405-0 · Fax: +49 (0)5527/8405-21

    E-Mail: mail@harzkrimis.de

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Wichtiger Hinweis:

    Die in diesem Roman erwähnten Schauplätze, Orte und Straßennamen sind teilweise real. Die Nennung der Hotels und Gastronomiebetriebe erfolgt mit Genehmigung der jeweiligen Inhaber bzw. Betreiber. Sowohl das Fuhrunternehmen als auch das Ferienhaus existieren nicht so wie beschrieben. Sie entspringen – ebenso wie die Handlung und sämtliche Charaktere – allein der Fantasie der Autorin. Ähnlichkeiten mit verstorbenen oder lebenden Personen wären rein zufällig und sind nicht beabsichtigt.

    Inhalt

    TITELSEITE

    IMPRESSUM

    PROLOG

    HERZBERG

    SAMSTAG, 3. JUNI 2017

    HERZBERG

    SAMSTAGABEND, 3. JUNI 2017

    HERZBERG, SCHÜTZENPLATZ

    SAMSTAGABEND, 3. JUNI 2017

    OSTERODE/HERZBERG

    PFINGSTSONNTAG, 4. JUNI 2017

    HERZBERG

    PFINGSTSONNTAG, 4. JUNI 2017

    HERZBERG, SCHLOSS

    PFINGSTSONNTAG, 4. JUNI 2017

    HERZBERG, INDUSTRIEGEBIET

    PFINGSTMONTAG, 5. JUNI 2017

    HERZBERG

    PFINGSTMONTAG, 5. JUNI 2017

    PÖHLDE/HERZBERG

    DIENSTAG, 6. JUNI 2017

    HERZBERG

    DIENSTAG, 6. JUNI 2017

    HERZBERG

    DIENSTAGABEND, 6. JUNI 2017

    HERZBERG

    MITTWOCH, 7. JUNI 2017

    PÖHLDE

    MITTWOCH, 7. JUNI 2017

    HERZBERG/GIEBOLDEHAUSEN

    MITTWOCHABEND, 7. JUNI 2017

    HERZBERG/SIEBER/PÖHLDE

    DONNERSTAG, 8. JUNI 2017

    EPILOG

    ÜBER DIE AUTORIN

    MEHR VON GABRIELA BOCK

    ELEONORES BESTE SÜLZE

    DIE HECKE BRENNT

    DER SCHUH

    Prolog

    Der Herbst zeigt sein klassisches Antlitz an diesem ausklingenden Tag. Diesem Tag, den er in einem verschlossenen Raum verbracht hatte. Mit einem Sack überm Kopf. Verschnürt wie ein Paket, gewappnet, verschickt zu werden.

    Wohin soll es gehen? Die Hoffnung sagt: »Nach Hause«. Der Verstand parliert: »Nirgendwo hin. Das war´s.«

    Ihr Hochmut war längst in Bosheit umgeschlagen. Grob zerren sie ihn raus, verstauen ihn im Wagen, befreien ihn aus der Dunkelheit, indem sie ihm den Sack vom Kopf reißen. Das Paket bekommt Augen. Darf sehen, wohin die letzte Reise geht. Warum sich wehren? Es ist vollbracht. Er ahnte längst, was sie vorhatten.

    Der Abend breitet sich diesig zwischen dunklen Baumkonturen aus. Schwankender Boden im Scheinwerferlicht. Beruhigende Eintönigkeit. Vielleicht wird ja doch alles gut. Wenigstens werden sie die verschonen, die er liebt. Das Fahrzeug steht.

    »Komm raus. Los!« Nicht nötig und völlig schwachsinnig diese Aufforderung. Er wird gezogen, bis er unten liegt. Dann das Wunder, das zum Urteil wird, jetzt, da er begreift.

    Warum werden die Fesseln zerschnitten? – Klar, ich soll mich frei bewegen, vor der Vollstreckung. Gedanken jagen durch seinen Kopf. Erschießen? Geht es schnell?

    »Los Mann, vorwärts!«

    »Und wenn nicht?«

    Der Lauf einer Pistole bohrt sich gegen die Schläfe. »Wenn nicht, gibt´s nicht«. Ein hässliches, gekünsteltes Lachen. »Mit so einem Luxus können wir leider nicht dienen.«

    Weiter über die regelmäßige Unebenheit des Bodens. Vorbei an der Finsternis des Waldes.

    »Hier ist es! Los, rüber mit ihm.«

    Die Unebenheit verliert ihre Regelmäßigkeit. Er stolpert mehrmals, aber sie halten ihn.

    Mir soll nichts passieren. Ich könnte ja fallen. Wie pervers ihre Gedanken sind.

    Der Boden unter ihm wird ebener. Sie bleiben stehen. Der Lichtkegel einer Taschenlampe beleuchtet etwas. Ein Tor! Groß und starr bäumt es sich vor ihm auf.

    »Hast du den Schlüssel?«

    Was für eine banale, alltägliche Frage. Beinah geeignet, neuen Mut zu schöpfen. Menschen, die so etwas fragen, können doch nicht schlecht sein.

    Der Schlüssel passt ins Schloss. Das Tor wird geöffnet. Die Schwärze riecht nach Ungnade.

    Was ist das hier? Ein verlassener Stollen? Eine Höhle? Die Sackgasse zur Unterwelt? Das Licht der Taschenlampe erhellt die Ungewissheit. Durch das Geäst der Bäume erblickt er das alte, verfallene Wohnhaus. Sein letzter Gang wird der in einen längst vergessenen Gewölbekeller sein.

    »Los, geh schon! Meinst du, uns fällt das leicht?«

    Meter für Meter voran. Viel Braun und Grau. Wasserpfützen, die quatschen und spritzen, wenn man hineintritt.

    »Halt, hier ist es gut. Los, runter mit ihm.«

    Die Wand sieht hier anders aus. Ein Eisengerüst ist in das Grau eingearbeitet. Die Pistole befiehlt ihm, sich hinzukauern. Er gehorcht. Eine Hand zwingt ihn runter auf den Boden. Feucht ist es. Er spürt die nasse Kälte an den Händen. Sie dringt durch seine Hose. Eine Flasche wird ihm vors Gesicht gehalten.

    »Trink das gefälligst aus«. Er hat jetzt die Öffnung der Flasche zwischen den Lippen. »Auf ex… runter damit! Wir wollen es dir nur etwas leichter machen.«

    Die Pistole ignorieren. Sollen sie mich doch erschießen. Schnell, kompromisslos und … unmöglich bei dem bröckligen Gestein. Viel zu gefährlich für sie.

    Hoffnungsvolle Gedanken, nichts anderes als das Aufflackern einer Kerze, bevor sie erlischt. Eine Hand krallt sich in seine Haare, zieht den Kopf nach hinten. Der Lauf der Pistole droht in seine Stirn einzudringen.

    »Los Mann, schluck den Scheiß endlich!« Er will es sofort wieder ausspucken, wird aber von zwei kräftigen Händen gehalten. Die Flüssigkeit aus der Flasche schmeckt fast wie normaler Orangensaft. Wäre da nicht dieser eigenartige, undefinierbare Beigeschmack.

    »Wir haben O-Saft genommen. Dann wirkt es schneller.«

    »Was ist das?«

    »Keine Sorge, das wirst du gleich merken«. Sie hocken neben ihm und blicken ihn an. Wie mitfühlende Retter, die gleich sagen werden: Ab ins Krankenhaus mit dir. Schläfrig wird er. Sie glotzen lange. Einer sagt irgendwann: »Lass uns abhauen. Das war`s. Der hat`s gleich hinter sich.«

    Benommen versucht er aufzustehen. Aber sein Körper gehorcht ihm nicht mehr. Das Licht der Taschenlampe wird immer schwächer. Ihre Gesichter. Lächelt das eine? Nur noch ein Schattengruß. Er bekommt noch mit, wie sie gehen. Ihm ist alles so egal. Ist die völlige Dunkelheit um ihn herum Realität oder ist er etwa schon tot? Nein, Schmerzen hat er nicht. Er spürt überhaupt nichts mehr. Seine bleiernen Gedanken reagieren kaum noch.

    Eine hohle, gewaltige Stimme dringt wie unter Wasser an sein Ohr: »Es muss einfach sein. Ich muss es tun, weißt du!« Seine schlaffen Arme werden gehoben. Sie müssen ihm gehören. Wem sonst? Er weiß es, obwohl er sie nicht mehr spürt. Handgelenke bekommen Fesseln. Schon wieder und immer noch. Die Zeit kann weg, wird nicht mehr gebraucht. Die Ewigkeit tritt an ihre Stelle.

    Herzberg

    Samstag, 3. Juni 2017

    Wenn er es nicht mit eigenen Augen sehen würde. Bis vor Kurzem war Dietmar in dem Glauben gewesen, seine Schwiegereltern hätten das Häuschen lange vor ihrem Tod veräußert. Beim Durchstöbern von Renates Papieren war er dann auf die Besitzurkunde gestoßen. Später hatte Gunkel ihm dann diese unglaublichen Geschichten erzählt. Und nun stand es vor ihm. Ein Schandfleck zwischen den anderen gepflegten und nett rausgeputzten Wochenendhäusern. Vor einer gefühlten Ewigkeit, als sie noch öfter die Wochenenden hier verbracht hatten, besaß das Ganze den Charakter einer kleinen Siedlung. Nun war weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Gut so, er hatte keine Lust auf blödes Gequatsche und forschende Blicke. So überstürzt, wie sie vor fünfzehn Jahren aus Herzberg weggegangen waren, war er jetzt hier wieder eingefallen. Ohne Renate. Die war seit zwei Wochen tot.

    Dietmar hangelte sich am Geländer entlang nach unten und befand sich nun auf einem kleinen Absatz. Beim Gang um die Hausecke stellte er fest, dass auch die beiden Fenster auf der Rückseite der Behausung mit sägerauen Brettern vernagelt worden waren. Nachdem er einen kurzen Blick auf die Schafherde geworfen hatte, die unten auf der Wiese am Eichelnbach vor sich hin graste, kraxelte er wieder nach oben. Im Morgengrauen war er in Boltenhagen aufgebrochen und durchgefahren, ohne eine Rast einzulegen, und war doch erst gegen Mittag in der Welfenstadt angekommen. Schuld war ein Stau auf der Autobahn kurz vor Hamburg, der sich über Stunden hingezogen hatte. Seitdem war er nicht nur übel gelaunt, sondern fühlte sich auch extrem schlapp. Verbittert stellte er fest, dass er hier ohne das passende Werkzeug gar nichts bewirken konnte. Entnervt setzte er sich in seinen Geländeschlitten und brauste nach Osterode.

    Nachdem er auf dem Parkplatz direkt vorm Eingang des Baumarktes an einem Imbiss drei Bratwürste vertilgt hatte, dazu hastig eine Cola runterspülte, rannte er wie aufgescheucht durch den Markt und packte alles in seinen Einkaufswagen, was ihm für sein Vorhaben sinnvoll erschien. Das wichtigste Utensil war dabei ein Kuhfuß. Dem Umschlag mit den Papieren war ein Schlüssel beigelegt worden. Ursprünglich hatte es mal zwei davon gegeben. Aber was nützte ein Schlüssel? Zuerst mussten die Bretter entfernt werden. Schon als er den Baumarkt verließ, pladderte es in Strömen. Ganz in der Nähe reagierte sich ein Gewitter ab. Auf der Straße nach Herzberg war er gezwungen, beinah Schritttempo zu fahren, da der Regen auf dem Straßenbelag tanzte und die Scheibenwischer ihre Aufgabe kaum bewältigen konnten.

    In Herzberg, auf dem Weg zum Beutersfeld, hielt er an einem Netto-Markt. Auch hier tobte ein Gewitter, dazu schüttete es wie aus Eimern. Einen Augenblick lang überlegte er, im Wagen zu warten, bis das Unwetter sich gelegt hatte, aber seine Ungeduld wuchs mit jeder Sekunde, die er auf dem Sitz verbrachte. Jetzt musste er Klarheit bekommen. Die Zeit durfte nicht länger gegen ihn arbeiten. Schnell war der Einkaufswagen bis zur Hälfte mit den nötigsten Lebensmitteln gefüllt. Das Einkaufen war für Dietmar zur Routine geworden, seit Renate das Haus nicht mehr verlassen hatte. Inzwischen patschnass, hatte er seinen Einkauf im Auto verstaut und den Einkaufswagen gerade zurückgeschoben, als ihm die Vergangenheit in Form seines alten Bekannten Otto begegnete. Er stand im überdachten Eingangsbereich des Marktes mit einem Karton unterm Arm.

    »Ja sag mal, ist das nicht der Dietmar Henkel?!«, rief Otto und eilte auf Dietmar zu. Vor ihm stehend stellte er seinen Karton auf dem Boden ab, um beide Arme frei zu haben. Er streckte sie in der Absicht aus, Dietmar zu umarmen. Der schob die Hand vor, um Otto abzuwehren. Er konnte es noch nie leiden, wenn ein Mann ihn umarmte. Dem eigenen Sohn war das zum Glück niemals eingefallen. Das hätte er auch nicht geduldet. Hölzern reichte er Otto die Hand. Der schüttelte sie herzlich.

    »Alter, ist ja toll, dich mal wiederzusehen. Wo hast du deine bessere Hälfte gelassen? Wo ist Renate?« Dabei schirmte er die Augen mit der Hand ab und tat übertrieben so, als hielte er Ausschau nach Renate. Dann nahm er den Karton wieder auf. »Unsere Rosi frisst nur das Zeug von Netto. Verstehste? Mit was anderem brauchen wir der kleinen Schnucki gar nicht erst kommen.« Er nahm eine Aluschale Hundefeuchtfutter aus dem Karton und zeigte sie Dietmar.

    »Ist Rosi eure Tochter?«, fragte Dietmar, der gar nicht genau hingesehen hatte. Die Frage war durchaus ernst gemeint. Renate konnte sich ja immer an solche Lappalien erinnern. Wie die Frauen oder Kinder hießen oder wer mit wem verheiratet war. Er war da nun mal anders gestrickt und interessierte sich mehr für die wirklich wichtigen Dinge. Solche, die einen weiterbrachten im Leben.

    »Haha! Ganz der Alte. Ein Witz noch furztrockener als der andere. Das ist Dietmar! Junge, meine Tochter heißt Kimberley und die Mutter dazu Jola. Schon vergessen? Rosi ist unsere Malteser-Hündin. Und jetzt verrat mir gefälligst, wo du Renate versteckt hast.«

    »Renate ist seit vierzehn Tagen tot. Ich werde auch nicht an ihrer Urnenbestattung teilnehmen. Davon hat sie schließlich auch nichts mehr. Ich habe getan, was ich konnte«, sagte Dietmar. Dabei war in seinem kantigen, wettergegerbten Gesicht nicht die kleinste Gemütsregung zu erkennen.

    »Oh, du Ärmster«, entwich es Otto, dabei verzog er mitfühlend den Mund. Mit einem Seufzer stellte er den Karton wieder auf den Boden. Er nahm sein Käppi ab, das vorne mit einem aufgestickten Büffelkopf versehen war, und kratzte sich an seinem beinah kahlen Kopf. »Teufel verdammt, das ist ja ein Mist. Was hatte Renate denn?« Er kontrollierte, ob sein dünnes Schwänzchen aus grauen Haaren noch zusammengehalten war und setzte das Käppi wieder auf.

    »Renate fiel die Treppe runter und brach sich das Genick«, sagte Dietmar, »sie musste im Haus ja immer diese Trittchen tragen. Und das bei ihrer Gangunsicherheit, durch das Rheuma bedingt. Sie wollte ja nicht auf mich hören. Immer wieder habe ich zu ihr gesagt: Renate, zieh gefälligst flache Schuhe mit Profilsohlen im Haus an. Aber sie hörte nicht. Eitel war sie, und bockig. Dabei habe ich alles für sie getan. Wir sind ihretwegen hier weggezogen und ich habe meine Existenz an die Ostseeküste verlegt. Weißt du, wie schwer es für mich war, als selbstständiger Finanzberater da oben Fuß zu fassen? Das hat Renate nie interessiert, nie! Hauptsache die Kohle stimmte.«

    Nervös trippelte Otto in seinen spitzen Stiefeletten von einem Bein auf das andere. Was sagte er da? Renate eitel? Hatte Dietmar sich nicht früher immer beschwert, Renate wäre schlampig geworden? Seine Hände kamen ihm plötzlich feucht vor und er wischte sie an seiner gefransten Wildlederjacke ab. Es gefiel ihm nicht, was er da hörte. Dieser alte Kerl, der wie ein Eisklotz dastand, gefiel ihm nicht.

    Otto nahm allen Mut zusammen: »Ich dachte, ihr wärt wegen Lars-Dietmar weggezogen. Hast du deinen Sohn schon aufgesucht? Weiß er vom Tod seiner Mutter?«

    Dietmar trat entschlossen auf seinen Gesprächspartner zu und hing mit seinem Gesicht so nah vor dessen Gesicht, dass ihre Nasen sich beinah berührten.

    »Ich habe keinen Sohn mehr. Und mein Privatleben geht niemanden etwas an. Auch dich nicht, Otto.«

    »Okay, gut, alles klar!« Otto trat einige Schritte zurück, fasste sich aber sogleich wieder und fragte: »Willst du länger bleiben? Wo bist du hier eigentlich untergekommen, wenn nicht bei La…?« Nein, er hatte begriffen, dass Dietmar den Namen nicht hören wollte und hielt besser den Mund. Was dem anscheinend aber auch nicht passte.

    »Tu nicht so verlogen!«, fauchte er Otto an, »ich weiß, was ihr alle über mich denkt! Ist mir so was von eeegaaal. Ihr mochtet mich ja noch nie!« Nach einer kleinen Pause, in der er sich fahrig mehrmals durch das kurze weiße Haar strich, das auch nass noch wie bei einem Igel in alle Richtungen abstand, fügte er hinzu: »Ich werde hier wohnen bleiben bis an mein Lebensende. Im Augenblick bin ich im Englischen Hof untergekommen.« Es war gelogen. Er hatte eigentlich vor, sich für eine Weile in dem Wochenendhaus niederzulassen. Davon brauchte vorerst keiner aus seinem alten Bekanntenkreis Wind bekommen. Noch viel Arbeit, dachte er und spontan fragte er Otto: »Du hast doch sicher einen Hänger, kannst du mir den mal leihen? Natürlich gebe ich dir was dafür. Die Versicherung kostet ja einiges.«

    Endlich ein normales Thema. Otto lächelte selig. »Ich weiß zwar nicht genau, wofür du den brauchst. Aber klar kannst du ihn haben.« Er hatte den Karton wieder unterm Arm und war nach draußen in den Regen gegangen. Dietmar folgte ihm widerwillig. »Fahr einfach hinter mir her«, sagte Otto, »wir betreiben jetzt Einkaufsmarkt-Hopping. Der Hänger kommt gerade vom Verleih zurück und steht auf dem Parkplatz bei Aldi. Unten in der Aue. An der B 27.«

    Im Auto hörte Dietmar Musik von der CD und überlegte, was er Otto auftischen könnte, wofür er den Hänger braucht. Bei ›Aber bitte mit Sahne‹ von seinem Lieblingsinterpreten Udo Jürgens kam ihm die Idee, ihm einfach zu sagen, er müsste noch mal an die See zurück, um das Haus auszuräumen. Als hätte jemand laut »Cut!« geschrien, war in der Aue der Gewitterspuk plötzlich vorbei. Sogar vereinzelte blaue Schnipsel zeigten sich an dem sonst grauen Himmel. Die Luft hatte sich merklich abgekühlt. Dietmar war so kalt, dass er sich am liebsten die nassen Klamotten vom Körper gerissen und sich in eine warme Badewanne geschmissen hätte. Stattdessen kramte er fahrig auf dem Rücksitz seines Wagens rum und fand schließlich einen blauen Leichtstrick-Pulli, den er hastig über das nasse, weiße Oberhemd zog. Otto stand schon neben dem Hänger, als sein alter Kumpel über den Parkplatz kam. »Magst du einen Kaffee?«, fragte er und zeigte auf die Bäckerei mit angeschlossenem Bistro. Dietmar konnte einen Kaffee gebrauchen. Sie gingen rüber und setzten sich. Otto tat ganz wichtig und musste Dietmar unbedingt erst mal über den neusten Stand der Dinge aufklären. »Eigentlich heiße ich ja Otto. Otto Knorr. Stimmt`s?!« Er wartete vergeblich auf eine Bestätigung von seinem Gegenüber. »Seit Jahren sind Jola und ich aber rettungslos Country und Western verfallen. Wir gehen zum Line Dance und lassen kein Konzert in der Lauterberger Harz-Mountains Ranch ausfallen.«

    Dietmar nickte nur. Wie passend für Otto, dieses amerikanische Cowboygedudel. »Ja und?«, fragte er schroff. Dieser Spinner sollte sich mal kurz fassen.

    »Ich fand den Namen Otto für mich immer unpassend, also überlegte ich mir einen neuen. Schließlich nannte ich mich… Jo! Wie findest du das, Dietmar?«

    Verschone mich mit diesem Mist, dachte der.

    »Na ja«, fuhr Otto fort, »die anderen von der Truppe fanden Jo zu gewöhnlich und bastelten noch Otto dahinter. Also, du hast jetzt einen Freund, der Jotto heißt. Na, wie hört sich das an? Grandios, was? Und ich möchte doch bitte auch so genannt werden… Jotto!« Er lehnte sich zufrieden zurück und lächelte.

    Die flotte ältere Dame am Nachbartisch lächelte jetzt auch. »Hallo, hier ist Selbstbedienung, ihr müsst euch euren Kram schon selber holen«, rief sie zu den beiden rüber.

    Dietmar guckte pikiert. Hatten sie schon mal zusammen Schweine gehütet? Offensichtlich kannte Otto die Person.

    »Hallo Lina, das weiß ich doch. Bin ja nicht zum ersten Mal hier!« Er wandte sich Dietmar zu: »Was soll ich dir denn mitbringen? Ich nehme einen großen Kaffee und keinen Kuchen. Für dich dasselbe?«

    »Ja, bitte!« Er nickte. Selbstbedienung… auch das noch. Renate und er hatten immer einen großen Bogen um Derartiges gemacht. Obwohl es Renate wahrscheinlich egal gewesen wäre. Aber ihm nicht. Er war da anders und schließlich blieb es immer an ihm hängen, die Sachen Renate hinterherzuschleppen. Mit ihrem watschelnden Gang konnte sie ja kein Tablett mit Gläsern darauf transportieren, ohne die Hälfte des Inhalts zu verschütten. So etwas war ihm genauso peinlich wie geifernde Zuschauer, wenn man sich am Kaffeeautomaten einen abbrach. Und hier war es rappelvoll.

    Otto hatte den Pott Kaffee mit den Worten vor Dietmar abgestellt: »Aber trinken kannst du ihn doch alleine, oder?«

    Was sollte das denn? Versuchte Otto ihn bloßzustellen?

    Der war guter Laune. Er nippte an seinem Kaffee und griente ständig Lina an. Plötzlich fuhr es lautstark aus ihm heraus: »Seniorita, Cafe, solo con Jotto!« Er lachte und wiederholte noch mehrmals: »Cafe, solo con Jotto! Cafe, solo con Jotto, Cafe…!« Bemüht, Mimik, Gestik sowie Ton des Originals aus der Werbung genau zu treffen, was ihm auch erstaunlich gut gelang.

    Einige Gäste amüsierten sich und Lina meinte belustigt: »Tut mir ja leid für dich, Jotto Knorr, aber diese kleinen, runden Teile aus dem Werbefernsehen haben die hier nicht. Wenn du deinen Kaffee nicht ohne Giotto trinken möchtest, musst du zu Aldi rübersprinten, die führen neuerdings auch Markenartikel, wie von Knorr oder Ferrero!«

    Otto prustete los, dabei haute er sich ständig auf die Oberschenkel. Zwischendurch, er hatte vor lauter Lachen schon feuchte Augen, stand er auf und schlug so gegen Dietmars Schulter, dass der beinah vom Stuhl gekippt wäre.

    »Das hier ist mein Freund, Dietmar Henkel! Sag mal Lina… haben die bei Aldi auch Henkell? Henkell trocken? Ihr wisst doch… lieber trocken trinken, als mit Dietmar trocken feiern!« Lina schüttelte lachend den Kopf. Otto setzte sich wieder. Dann fragte er, während er sich erneut auf die Schenkel schlug: »Sag mal, Alter, bin ich gut oder bin ich gut?« Und noch mal, jetzt unter Gelächter und mit Tränen in den Augen: »Na, bin ich gut oder bin ich gut?«

    Dietmar war geschockt. Unmöglich, wie dieser Kerl sich wieder mal verhielt. Und dann musste er seinen Namen auch noch in einer voll besetzten Restauration rausposaunen. Ohne ausgetrunken zu haben, sprang er auf und verließ die Räumlichkeit. Genug Peinlichkeiten für heute, dachte er.

    »Was hat der denn schon wieder?«, erkundigte sich Otto bei Lina, die mit »Keine Ahnung« antwortete. Nachdem er seinen beinah kalten Kaffee runtergespült hatte, stürmte er auch raus.

    Nachdem sie zu zweit den Hänger an Dietmars Geländewagen gehängt hatten, fragte Otto: »Wie ist es mit heute Abend? Hast du Lust und Zeit? Ich bin mit Wolfram verabredet. Wir machen das jedes Jahr. Ohne Weiber eine kleine Runde übern Schützenplatz drehen. Du weißt doch, wie früher, als wir noch schnittig und solo waren. So einundzwanzig Uhr?«

    »Wolfram Erdmann, ist das nicht dein Chef? Du fährst doch noch für ihn, oder?«

    Otto nickte. Was sollte das schon wieder? Als würde Dietmar Wolfram nicht persönlich kennen. Sie waren doch früher mal gemeinsam im Männerturnverein gewesen und hatten einiges an Blödsinn zusammen verzapft. Wie oft hatten sie zusammen gefeiert, auch noch, als es Renate und Gisela in ihrem Leben gab? Jola war da noch ein Küken und spielte mit ihren Puppen.

    »Juniorchef des Fuhrunternehmens ist jetzt Clemens, dieser weichgespülte Bubi. Tu bloß nicht so, als könntest du dich nicht mehr an unsere gemeinsame Zeit erinnern. Dein Sohn Lars-Dietmar hatte doch später einen Disput mit Clemens. Es ging um die Lebenspartnerin deines Sohnes, Mercedis. Die arbeitet übrigens immer noch bei uns.«

    »Schluss jetzt, halt endlich die Klappe«, brüllte Dietmar und atmete anschließend schwer. Er hatte seine rahmenlose Brille abgenommen. Sein Gesicht leuchtete feuerrot. Die Augen bestanden nur noch aus winzigen Schlitzen.

    »Und, kommst du nun?«, fragte Otto ruhig.

    »Ja, ich komme. Aber wehe, ihr erwähnt diese beiden Personen«, schnaubte Dietmar völlig außer Atem. Er hatte ein Taschentuch vorgeholt und wischte sich damit zerfahren im Gesicht herum. Sie verabschiedeten sich. Otto teilte Dietmar noch mit, dass er inzwischen in Elbingerode wohnen würde. Zusammen in einem Haus mit Jola, Kimberley und deren Sohn Connor, Hündin Rosi und dem 97-jährigen Opa. Topfit wäre der Alte. Das Letzte, was Dietmar wirklich interessierte. Mann verdammt, er war nur hier, weil er den Hänger brauchte.

    * * *

    Als er den steilen Schotterweg zu den Wochenendhäusern hochfuhr, sang Udo Jürgens gerade: Mit 66 Jahren… Na denn, dachte Dietmar, fange ich mal an. Nachdem er mit dem Kuhfuß die Bretter von der Eingangstür entfernt hatte, schloss er sie auf. Schon beim Betreten hätte er die drei Bratwürste, die Cola und den halben Kaffee beinah wieder ausgekotzt. Dieses erbärmliche Dreckschwein! Das sah ihm ähnlich. Schon damals, als der Junge noch zuhause wohnte, hatte es in seinem Zimmer ausgesehen wie im Saustall. Obendrein stank es hier einfach widerlich. Unten war es noch schlimmer, zwar aufgeräumter, dafür sprangen ihn Dinge an, die ihn fast durchdrehen ließen. Die Ursache des Gestanks lag direkt vor ihm. Gunkels Aussagen stimmten also wirklich. Dietmar wusste nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Wie gut, dass er Gunkel von der Existenz des Häuschens berichtet hatte. Niemals hätte er sonst erfahren, was sich wirklich abgespielt hatte. Furchtbar genug, aber nun galt es, das Beste daraus zu machen.

    Hastig packte er alles in Müllsäcke, schraubte so schnell es ging Möbel auseinander und trug sie zum Hänger. Das Zeug musste ganz schnell verschwinden. Er war gerade wieder mit einem vollen Sack und einigen Möbelteilen unterm Arm oben angekommen, als er Ottos Auto erblickte. Die alte Kiste schleppte sich röhrend den Hang rauf. Otto hielt direkt vor Dietmars Geländewagen und stieg aus. Gewöhnlich begegnete er Menschen mit einem freundlichen Ausdruck im Gesicht. Jetzt erschrak Dietmar, als er ihn sah. Der Mann blickte ihn finster an.

    »Das ist ja mal ne echte Freundschaft. Jau, mein Lieber, du bist noch durchtriebener und verlogener als früher. Du bist nie im Englischen Hof gewesen. Da war ich

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