Und immer wieder Aufbruch
Von Hella Hünicke
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Über dieses E-Book
Ihre Geschichte wird in einer Art "Story-telling" dargeboten und gibt Einblick in die Empfindungen eines Kindes, einer Jugendlichen und einer Erwachsenen in den jeweiligen Lebensabschnitten.
Sie zeigt die individuelle Wahrnehmung ihres sozialen und politischen Umfeldes und sowohl die Einschränkungen als auch die Freiheiten der damaligen Zeit.
Hella Hünicke
Hella Hünicke sieht sich als Zeitzeugin der individuellen und gesellschaftlichen Umbrüche dieser Zeit und als Beobachterin anderer Kulturen.
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Buchvorschau
Und immer wieder Aufbruch - Hella Hünicke
Inhalt
Kindheit in der Ostzone
Die Flüchtlingsjahre im Westen
Teenagerjahre
Die Studentenbewegung 1968
Der Nixon-Besuch
Au-pair in London
Berlin Kolleg 1970-72
Lehrerin in Berlin-Kreuzberg
Udo der Utopist
Todeserfahrung
Berlin
Konsolidierung
Irland
Klaus
Lukas
Die Eltern
Der Bruder
Die Großväter
Reisen
Fazit
Kindheit in der Ostzone
Sie konnte es nicht erwarten. Kam viel zu schnell in diese unwirtliche kalte Welt, 1947 in einem der kältesten, unvergessenen Winter nach dem Krieg. Die Hebamme war noch nicht da und das Badewasser nicht warm. Obwohl es eines der Hungerjahre nach dem Krieg war, ging es ihr relativ gut. Auf einem Bauernhof gab es immer was zu essen.
Woher kommt das Silber mit fremdem Monogramm?
Eingetauscht.
Habt ihr die Not der Städter ausgenutzt?
Nein
Die Enttäuschung beim Vater war groß. Wieder kein Erbe für den Bauernhof. Die Mutter fühlte sich schuldig, zwei Fehlgeburten und zwei Mädchen. Sie hatte es schwer in diesen Jahren. Mit 19 Jahren musste sie einen 60 Hektar großen Bauernhof übernehmen, angetrieben vom Schwiegervater. Der Ehemann war im Krieg, die Schwiegermutter krank und brauchte Hilfe.
Dann kamen die Russen. Claudias Mutter wollte die anderen Frauen wegen ihres Babys nicht in Gefahr bringen und hatte sich separat versteckt........
Das Auto, die Landmaschinen und die Tiere wurden von den Russen konfisziert. So wurden die alten Transportmittel wieder herausgekramt. Die Kinder liebten es, im Sommer mit der Familienkutsche und
im Winter mit dem Familienschlitten und zwei alten Ackergäulen zu Verwandtschaftsbesuchen zu fahren.
Claudia war willkommen, sie war gesund, das Leben ging weiter. Nach wie vor: viel Arbeit, viel Stress. Das Leben wurde härter für die Bauern in der Ostzone. Die Abgaben an den Staat stiegen. Kaum erfüllbar. Wenn das Soll
nicht erfüllt werden konnte, lag der Verdacht der Sabotage im Raum. Es wurde mit Gefängnis gedroht. Krankheit oder Naturgewalten wurden nicht akzeptiert. Das Ziel der Regierung war es, die Bauern zur Aufgabe ihres Privateigentums zu zwingen und es in die LPG (Staatliche, landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft) einzubringen.
Als Claudia 3 Jahre alt war, fing sie an, mit dem Kopf zu wackeln. Sie wackelte immer, wenn sie stundenlang auf der Steintreppe im Hauseingang saß. Eine Nachbarin hatte es bemerkt. Ab zum Doktor, vielleicht war das Kind ja nicht richtig im Kopf. Mit dem Kommentar Angewohnheit
beruhigte der Arzt die Eltern. Damit war die Sache erledigt.
Hospitalismus! Nie gehört?
Nein, was bedeutet das?
Vergiss es
Monika war Claudias beste Freundin. Auch sie musste ihre kleinen Arbeiten verrichten. Während es für Claudia und ihre Schwester Regina hieß: Wasser für die Kühe auf der Weide pumpen
, musste Monika Rüben zerkleinern. Es sollte schnell gehen, also half Claudia mit. Sie warf die Rüben in die Mühle und Monika drehte. Stopp mal, eine Verstopfung!
Claudia griff in die Rüben, Monika hatte nichts gehört und so hing der Daumen nur noch wie an einem seidenen Faden an der Hand.
Hier wickel die Lumpen um den Daumen. Wir dürfen meiner Mama nichts sagen, sonst bekomme ich Ärger.
Aber als der Lumpen blutdurchtränkt war, mussten sie beichten.
Monikas Mutter legte einen neuen Verband an und ließ Claudias Mutter benachrichtigen.
Kannst du allein nach Hause gehen?
Ja
Voller Tränen und Sterbensangst machte sich Claudia auf den Weg. An der Pforte traf sie ihre Mutter mit dem Fahrrad.
Was machst du denn für Sachen?! Geh nach Hause. Ich komme gleich.
Claudia verstand die Welt nicht mehr. Sie war am Sterben und ihre Mutter fuhr davon. Sie fuhr davon, um ein Auto fürs Krankenhaus zu organisieren. Claudia wusste nicht, dass ihre Mutter informiert war und fühlte sich total alleingelassen.
In einem von Nonnen geführten Krankenhaus ging es rauh zu.
Wieso muss die jetzt gerade in unserer Mittagspause kommen?
So musste es schnell gehen. Keine Zeit, zu warten, bis die Narkose ihre volle Wirkung zeigte. Claudia spürte jeden Stich. Es gab kein einziges Trostwort, kein Wort der Ermutigung, kein Mitleid.
Von Schönheitschirurgie keine Spur.
Wenn der Daumen anschwillt, wiederkommen, sonst nach einer Woche!
Der Daumen wurde dick, fett und blau. Also wieder zurück zu den barmherzigen Nonnen.
Infektion, sie muss hierbleiben.
Die drei Wochen im Krankenhaus fühlten sich für Claudia an wie eine Ewigkeit. Die Kinderabteilung stand unter Quarantäne. Die Kinder durften ihren Eltern nur zuwinken.
Claudia konnte mit ihren Eltern reden, da sie direkt an der Tür lag: aber das passierte nur einmal die Woche.
Jeden Tag stand Claudia am Fenster und hielt Ausschau. Die Sehnsucht war groß, dass doch jemand kommen möge. Transportprobleme und Arbeit ließen es nicht zu.
Claudia freute sich sehr auf Weihnachten, obwohl der Weihnachtsmann ein furchterregender Geselle war.
Einmal kam er an Monikas Geburtstag vorbei und scheuchte die ganze Geburtstagsgesellschaft durch die Räume. Claudia versteckte sich unter dem Küchentisch, der mit einer Bügeldecke verhangen war. Sie konnte ihr Zittern nicht unter Kontrolle bekommen.
Am Heiligenabend eines anderen Jahres kam der Weihnachtsmann zu Claudia nach Hause.
Ihr Bruder Ralf war ein lustiger, frecher Junge, der sich nicht sonderlich für die Schule interessierte. Während die Mädchen zitternd ihre Gedichte vortrugen (Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an, packe deine Rute ein, ich will auch immer schön artig sein
), war Ralf trotzig, weil der Weihnachtsmann mit ihm geschimpft hatte. Ralf blieb stur, er wollte kein Gedicht aufsagen. So landete er im Sack des Weihnachtsmannes. Hätte der Großvater nicht ein Machtwort