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Mord im Schlachthof: Thriller
Mord im Schlachthof: Thriller
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eBook362 Seiten4 Stunden

Mord im Schlachthof: Thriller

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Über dieses E-Book

Der Fund einer männlichen Leiche auf einem Berg von Tierkadavern führt die Kommissarin Petra Lohenkamp in ein erschreckendes Milieu der Fleischmafia. Parallel dazu arbeitet der zuständige Amtstierarzt, Christian Liebermann, an einem hochbrisanten Dossier über illegale Machenschaften der Massentierhaltung. Er gerät tiefer und tiefer in den Sumpf der Fleischlobbyisten und entlarvt Entwicklungen, die bis in die höchsten Ebenen von Politik und Wirtschaft reichen. Es beginnt ein Kampf um Leben und Tod...

SpracheDeutsch
HerausgeberKlarant
Erscheinungsdatum17. Jan. 2014
ISBN9783955730833
Mord im Schlachthof: Thriller

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    Buchvorschau

    Mord im Schlachthof - Gudrun Gülden

    Reichskanzler

    1. Kapitel

    Es war Mittsommerwende. Die Sonne war schon untergegangen, als Christian seinen Arbeitstag im Veterinäramt beendete. Einsam wartete sein Pritschenwagen auf dem Parkplatz. Er ließ sich hineinfallen und startete seine Fahrt durch das nächtliche Essen. Eine knappe Viertelstunde später fuhr er die Auffahrt zu seinem Haus hoch. Unter dem Druck der Reifen knirschten die Kiesel. Er griff nach seinem Laptop und stieg aus. Wie eine Wand drückte die Hitze gegen seinen Körper.

    Verlassen lag sein Haus vor ihm, wie oft in letzter Zeit. Er öffnete die Haustür und wurde von seiner Hündin Mopsi begrüßt, die sich an ihn drückte und winselte. Auch drinnen war die Luft schwül. Um sich zu erfrischen, ging er in die Küche, ließ in der Spüle Wasser in seine Hände laufen und schüttete es in sein Gesicht. Schon besser. Blind griff er zum Geschirrhandtuch und trocknete sich ab.

    Der Kühlschrank hatte außer Bier nichts im Angebot, also nahm er eine Flasche und leerte sie mit wenigen Schlucken - erst jetzt spürte er, wie durstig er war. Nachdem er Mopsi gefüttert hatte, ließ er sie in den Garten. Er griff sich noch ein Bier, setzte sich an den Küchentisch und fuhr seinen Laptop hoch. Der Tag war für ihn noch nicht gelaufen, er musste etwas Wichtiges beenden. Seine Augen brannten und er war knochenkaputt. Aber sollte er jetzt herumjammern? Es war sein eigener Wille, dass er sich nach dem Feierabend nicht mit einem Absacker in einer Bar entspannte, sondern vor dieser Mammutaufgabe saß. Mechanisch klickte er sich zu der Datei mit dem Namen 'Saustall' durch.

    Kaum hatte er die ersten Zeilen gelesen, verflog seine Müdigkeit. Noch eine Kontrolle, gleich morgen, dann würde er das Dossier fertigstellen und es seinem Kontaktmann bei den Rhein-Ruhr-Nachrichten übergeben. Es kribbelte in seiner Magengegend und das kam nicht nur von der Kohlensäure im Bier.

    Mehr als zwei Jahre hatte er Tag für Tag Daten gesammelt und analysiert - jetzt stand er auf der Zielgeraden. Sein Verdacht hatte sich nicht nur bestätigt. Was er befürchtet hatte, wurde von der Realität noch um ein Vielfaches überboten. Er hatte Boden- und Wasserproben in der Umgebung der großen Schweinemastanlagen untersucht - und selbst noch einen Kilometer von den Stallungen entfernt hatte er multiresistente Keime gefunden.

    Die Zahlenreihen begannen auf dem Monitor zu tanzen.

    Stimmte etwas mit seinen Augen nicht?

    Zwanzigtausend Schweine hatte er heute zum Schlachten freigegeben, in der gleichen Zeit, in der er früher drei Katzen kastriert hatte.

    So ein grauenhafter Ort, der Schlachthof.

    Er verscheuchte die düsteren Gedanken und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. Akribisch gab er die Daten der letzten Untersuchung ein. Seine Zahlen belegten, dass die beim Rind und Schwein gefundenen Keime zu über neunzig Prozent auf Antibiotika nicht mehr ansprachen. Und das war nur die Spitze des Eisberges. Er war auf korrupte Verwicklungen von Wirtschaft und Bauern gestoßen. Christian wollte sich nicht vorstellen, wohin die Einmischung des Menschen in die Natur noch führen würde. Und wohin würde IHN das führen? Seine Gegner vermehrten sich, wie Bakterien in faulem Fleisch. Im Veterinäramt arbeitete er hart. Um nicht angreifbar zu sein, schrieb er nur abends an dem Dokument. Seine Ehe war daran zerbrochen. Noch wohnten Anna und er unter einem Dach, aber seit einem halben Jahr in getrennten Wohnungen. Sicherlich hatte er zu wenig Zeit für sie gehabt, aber musste sie deswegen gleich diesem Dummkopf Dieter die Zunge in den Hals stecken? Wieder einmal fragte er sich, ob es seine Arbeit am Dossier wert gewesen war, seine Familie zu vernachlässigen. Schon ein paar Mal war er drauf und dran gewesen, hinzuwerfen, aber er konnte nicht aufhören. Er ertrug es nicht, bei so vielen Grausamkeiten an Menschen und Tieren tatenlos zuzusehen. Wenn er mit dem Bericht an die Öffentlichkeit ginge, konnte er seine Karriere im Amt vergessen. Das war klar. Er machte sich damit alle zum Feind: das Amt, die Bauern, die Politiker und die Pharmaindustrie. Noch unerträglicher allerdings wäre es, wenn auf seine Veröffentlichung hin gar nichts passierte. Nicht zum ersten Mal käme ein Skandal aus der Massentierhaltung ans Licht. Wie viele Vertuschungen und Lügen hatte es schon gegeben, auf einen Skandal folgte ein größerer und ließ den ersten vergessen - das war alles nichts Neues. Vielleicht waren die Menschen durch die permanenten Schreckensnachrichten auch einfach abgestumpft.

    Wen Christian auch fragte - niemand wollte, dass Tiere schlecht gehalten wurden, aber niemand sah sich imstande, etwas daran zu ändern.

    Was passierte denn jetzt? Christian kniff die Augen zusammen und schob seinen Kopf Richtung Computer. Er verstand nicht, was da vor sich ging. Langsam löste sich sein Dokument in Nichts auf. Eine Zeile nach der anderen - weg. Der Schreck fuhr ihm durch den Körper. Was war das? Seine Dateien waren leer gefegt. Er haute auf die Tastatur, fuhr den Rechner runter, startete neu. Nichts. Alles war weg, die Arbeit von zwei Jahren. Er sprang auf und rannte zu seinem Arztkoffer, wo er seinen USB-Stick mit der Sicherungsdatei deponiert hatte. Er war verschwunden. Christian rannte in sein Arbeitszimmer, riss die Schreibtischschubladen auf, durchwühlte sie, dann eilte er zur schmutzigen Wäsche, durchsuchte die Taschen seiner Jeans. Nichts. Er dachte nach. War der Stick im Veterinäramt? Er ging zurück zu seinem PC. Es könnte ein Virus sein. Christian kontrollierte andere Dateien auf seinem Rechner. Alles an Ort und Stelle. Er überprüfte seine Konten. Alles im Lot. Sollte jemand gezielt seine Arbeit vernichten? Aber wer wusste, woran er arbeitete?

    2. Kapitel

    Aus der Ferne drang ein nervendes Geräusch in Christians Ohrgänge. Blind tastete seine Hand über den Nachtisch, bis ihm auffiel, dass es nicht der Wecker war, der dieses Geräusch verursachte. Den hatte er in der Nacht ausgestellt.

    Er war noch ins Amt gefahren, um dort nach seinem Stick mit den Dateien zu suchen. Im hintersten Winkel seines Schreibtischs hatte er ihn gefunden und sofort kontrolliert. Die Sicherungsdatei war nicht ganz auf dem aktuellen Stand, aber die meisten Untersuchungsergebnisse waren darauf.

    Später hatte er sich ruhelos im Bett gewälzt und sich immer wieder gefragt, wer sein Dokument gelöscht hatte und ob er die Polizei informieren sollte. Erst im Morgengrauen war er eingeschlafen.

    Endlich ging ihm auf, dass es sein Handy war, das klingelte. Sein Blick ging zum Wecker. Nicht mal acht Uhr. Verdammt, wer ruft denn so früh an? Er nahm das Gespräch an.

    „Venske", meldete sich die nölige Stimme seines Chefs, und Christian verfluchte sich, dass er nicht auf das Display geschaut hatte. Anrufe vom Chef vor Dienstbeginn liebte er wie den Wadenbiss eines temperamentvollen Rehpinschers.

    Venske verzichtete auf jedwedes Geplänkel und kam gleich zur Sache. „Sie müssen heute noch mal zur B&D, Schlachtgenehmigungen für Schweine ausstellen. Kanter ist für längere Zeit nicht da. Auf Rehbeins Schreibtisch im Schlachthof finden Sie alles, was Sie brauchen. Und noch was: Unterschreiben Sie die verdammten Dokumente, ohne wieder ewig lange herumzufragen und einen auf Grzimek zu machen!"

    „Das geht nicht. Ich muss zum Bauern Pass, die Mastschweine untersuchen."

    „Junge, Sie müssen sich besser organisieren. Und tun Sie gefälligst, was ich Ihnen sage."

    Christian wollte seinem Chef direkt einen auf die Zwölf drücken. Oder ihm zumindest sagen, was er von ihm hielt. Er schluckte seine Verärgerung herunter. „Wir haben Actinobacillose in der Region. Ich muss Proben nehmen und den ganzen Vorgang auch noch dokumentieren!"

    „Wozu das denn? Das geht weit über das hinaus, was die Dienstvorschriften Ihnen vorgeben. Sein Chef motzte weiter. „Ich warne Sie: Wenn Sie eine Extratour vorhaben, bringen Sie sich um Kopf und Kragen! Und jetzt Schluss mit den Diskussionen. Meine Anweisung war deutlich!

    Christian öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, aber da tutete ihm nur noch das Besetzzeichen ins Ohr.

    3. Kapitel

    Nachdem Christian kalt geduscht hatte, schlüpfte er in seine Arbeitsklamotten; olivfarbene Hose, schwarzes T-Shirt und Outdoorschuhe, alles im Internet bestellt, einfach praktische Kleidung. Anschließend ging er ins Bad, strich mit den Händen durch die dunklen Haare und betrachtete sich im Spiegel. Hinter dem Dreitagebart schimmerte seine Haut aschgrau. Er sah mies aus. Um etwas mehr Frische in sein Gesicht zu zaubern, klopfte er auf seine Wangen. Wie sollte er diesen Arbeitstag überstehen?

    Erst mal frühstücken. Immer noch kein Lebenszeichen von Frau und Tochter, er war also allein, das war ihm in seiner derzeitigen Verfassung auch am liebsten. Er schlang einen trockenen Kanten Brot herunter, schlürfte eine Tasse Instantkaffee dazu, genoss es, kein Gedöns um 'anständig am Tisch sitzen' zu machen, ging er zum Auto und fuhr los.

    Die Strecke zum Schlachthof kannte er wie im Schlaf. Das gigantische Gebäude der B&D lag nur wenige Kilometer vom Hof seiner Eltern entfernt, eine Fabrik, die das Schlachten von Schweinen auf gruselige Art perfektioniert hatte, jeden Tag ließen hier bis zu dreißigtausend Schweine ihr Leben.

    Christians Kindheitserinnerungen waren verknüpft mit dem Gestank nach fauligem Fleisch. Immer, wenn der Wind aus dem Westen wehte, drang der modrige Mief selbst durch die geschlossenen Fenster in das Leben der Bauernfamilie, im Sommer war es besonders schlimm.

    Er fuhr Richtung Karnap, bog in die Stinnesstraße ein, die vier Kilometer schnurgerade Richtung Schlachthof ging und dann das Betriebsgelände umkreiste. Schon lange vorher musste er anhalten. Eine schier endlose Reihe von Tiertransportern blockierte die Zufahrt zum Schlachthof. Schweineschnauzen drückten sich durch die Gitter und schnupperten. Christian wusste, dass die meisten der Tiere zum ersten Mal frische Luft rochen, da sie ihr bisheriges Leben in einem fensterlosen Stall verbracht hatten.

    Nachdem er eine Weile in der Schlange gestanden hatte und sich nichts bewegte, stieg er aus seinem Wagen. Es war heiß und drückend, am Himmel ballten sich Gewitterwolken zusammen. Er ging über die staubige Straße zum Fahrerhaus des Lasters, der am Ende der Kolonne stand. Der Wagen kam aus Spanien, der Fahrer sah müde aus und war unrasiert. Christian fragte ihn auf Englisch, wie lange er schon wartete; der Mann signalisierte ihm durch Achselzucken, dass er nicht verstünde. Ein Fahrzeug weiter hatte Christian mehr Glück, der Laster kam aus dem Allgäu.

    „Ich weiß auch nicht so genau, was da los ist, sagte der Fahrer. „Ich stehe hier schon seit drei Stunden.

    Christian ging zurück und fuhr links an den Transportern vorbei Richtung Schlachthof. Er schätzte, dass an die siebzig Lastwagen, alle vollgeladen mit Schlachtvieh, auf die Abfertigung warteten. Auf dem Hof der B&D stellte er sein Auto ab und suchte Rehbein, den Betriebsleiter. Er fand ihn an der Verladerampe des vorderen Trucks.

    „Was ist denn bloß los hier?", fuhr Christian ihn an.

    „Was meinen Sie?"

    „Hier stehen Unmassen von Tieren, seit was weiß ich wann, in brütender Hitze!"

    „Erzählen Sie mir was Neues. Gehen Sie in mein Büro und unterschreiben Sie die Schlachtgenehmigungen. Wird es Ihnen eigentlich nicht zu blöd, jeden Tag das gleiche Theater zu veranstalten?"

    „So einfach geht das nicht."

    „Natürlich geht das so einfach!" Rehbein schaute ihn unwirsch an. Er war über zwei Meter groß, und Christian schätzte sein Gewicht auf drei Zentner.

    „Da stehen an die zwölftausend Schweine in der Transporter-Schlange, jeder Wagen kommt aus einem anderen Land. Die Fahrer sprechen zum Teil weder Deutsch noch Englisch! Wie soll ein Mensch alleine so viele Schlachtgenehmigungen ausstellen?"

    „Der Kanter hat das immer hinbekommen", grinste Rehbein und legte Christian seine Riesenhand auf die Schulter. Christian war mit seinen 1,85 Meter Körpergröße nicht gerade klein, trotzdem kam er sich neben Rehbein blödsinnig mickrig vor. Er vermied es hochzusehen, was zur Folge hatte, dass er Rehbein auf die Brust starren musste und das Gefühl hatte, mit einer Wand zu sprechen.

    „Gut zu wissen, dass Kanter das immer hinbekommen hat, knurrte er. „Dann werde ich mal mit Herrn Kanter oder mit jemand ganz anderem reden müssen. Er versuchte, souverän zu wirken, ahnte aber, dass es ihm nicht gelang. Wut kroch in ihm hoch. Am liebsten hätte er Rehbein vors Schienbein getreten, aber so was hatte er zuletzt in der Grundschule getan.

    „Ja, reden Sie mit Kanter, oder mit wem auch immer, kein Problem, erwiderte Rehbein. „Und jetzt ist es besser, Sie spuren. Wir haben hier heute schon genug Ärger, die Hälfte der Arbeiter streikt, wir kommen eh nicht nach.

    Christian schaute Rehbein hasserfüllt an. Wie stellte der Kerl sich das eigentlich vor? Wie sollte sein Gewissen mit dem hier fertig werden? Schlachtgenehmigungen im Akkord unterschreiben, gestern zwanzigtausend, heute dreißigtausend? Was waren das für Ausmaße? Ohne ein Tier gesehen zu haben, ohne die Herkunft des Tieres zu kennen, ohne einen Schritt der Verarbeitungskette gesehen zu haben. Gerade erst hatte er gelesen, dass die Selbstmordrate, auf Berufsgruppen bezogen, bei den Veterinärmedizinern am höchsten war. In diesem Moment schien es ihm, er selbst würde eher zum Amokläufer mutieren, als sich was anzutun, allerdings wusste er nicht, ob das besser oder schlechter war. Er kickte einen Stein weg und schaute Rehbein an.

    „Sind die Papiere wieder im Büro?"

    Rehbein nickte und begleitete ihn. In der Mitte des Schreibtischs stapelte sich ein Berg Papiere. Rehbein hielt ihm einen Stift hin. „Wir haben die Frachtpapiere der Laster heute aufgrund des Engpasses mit der Abwicklung bereits eingesammelt. Sie brauchen nur noch zu unterschreiben."

    Christian schüttelte den Kopf. „Nix da. Erst mache ich Stichproben!" Durch die kalten Produktionshallen, mit ihren endlosen Laufbändern, ging Christian Richtung Schlachtung. Schon von weitem drang ohrenzerreißendes Quieken zu ihm. Als er in den Schlachtraum kam, sah er eine Reihe Schweine, die mit einem Bein in einer Schlingkette am Förderband hingen. Eins nach dem anderen wurde abgestochen.

    Ein blutverschmierter junger Mann stieß just in dem Moment, als Christian in den Raum kam, dem vordersten Schwein das spitze Messer in die Halsschlagader. Ein Blutstrahl spritzte aus der Wunde, und zu seinem Entsetzen sah Christian, dass das Schwein nicht betäubt war: Mochte es frühzeitig wieder aus der Kohlendioxid-Betäubung aufgewacht sein, oder hatte das Gas erst gar nicht genug gewirkt - das Tier kreischte und zappelte erbärmlich, doch es kämpfte einen ausweglosen Kampf. Es würde nichts anderes passieren, als dass die Kreatur bei vollem Bewusstsein verbluten würde.

    Erbost stürmte Christian auf den Schlachter los. „Bist du noch ganz dicht?, schrie er ihn an. „Das Schwein ist hellwach! Er stellte sich zwischen den jungen Mann und die Schweine.

    Der Schlachter stemmte eine Faust in die Seite, die andere, mit dem Messer bewaffnete Hand, zeigte in Richtung Christian. Dann schubste er Christian, doch der stieß ihn zurück, so heftig, dass der Schlachter gegen die Wand knallte und dabei das Messer fallen ließ. Sofort hob Christian die Waffe auf und brachte sie hinter seinem Rücken in Sicherheit. Wütend rappelte der Mann sich wieder auf und stürmte wieder auf Christian los.

    „Gib mir Messer, Idiot, andere Schweine müssen gestochen werden. Ist Akkord hier!"

    Christian winkte ab und machte sich auf den Weg zu Rehbein, doch noch ehe er die Halle verlassen konnte, trat ihm ein grobschlächtiger Mann in den Weg.

    „Was soll das hier werden?", herrschte dieser ihn an.

    Christian hob den Blick und erkannte Kevin Bollenhauer. Dieser Kretin hatte ihm gerade noch gefehlt.

    „Mach Platz, presste Christian heraus. „Ich habe zu tun.

    „Aber dazu gehört ganz sicher nicht, meine Leute von der Arbeit abzuhalten!"

    „Wenn das deine Männer sind, erkläre ihnen gefälligst erst mal, wie sie ihren Job zu machen haben. So jedenfalls geht es nicht. Die Schweine bei vollem Bewusstsein abstechen - das ist wohl das Letzte! Und genau dem, werde ich jetzt auf der Stelle einen Riegel vorschieben!"

    Er versuchte, sich an Bollenhauer vorbei zu drängen, doch dieser versperrte ihm weiterhin entschlossen den Weg.

    „Du verschwindest erst von hier, wenn ich das Messer zurückbekomme. Ich finde, dass du deine Drecksnase in Sachen steckst, die dich nichts angehen."

    „Wovon sprichst du?"

    Christian stieß Kevin zur Seite.

    „Bist du bekloppt?, schnauzte Kevin Christian an. „Jetzt hast du mir mein Hemd versaut.

    „Hier passiert gleich noch was ganz anderes, wenn du mich jetzt nicht endlich durchlässt!" Christian war am Ende mit seiner Geduld. Er hatte genug von dem ganzen Scheiß.

    4. Kapitel

    Außer Atem lief Petra die letzten Schritte ihrer morgendlichen Joggingrunde in den Garten ihres Backsteinhauses. Sie setzte sich auf die Bank mit den gusseisernen Lehnen, die unter dem geöffneten Küchenfenster stand, stützte die Ellbogen auf die Knie und den Kopf in die Hände. An die Grenzen gehen. Schnelle Herzschläge wummerten in ihrer Halsschlagader.

    Aus der Küche hörte sie Stimmen, ihre Mutter und ihr Sohn Kai diskutierten. So früh am Morgen war Petra nicht nach Reden zumute, und sie war froh, sich nicht an dem Gekabbel um gesundes oder nicht gesundes Essen beteiligen zu müssen. In der Nacht war ein Sommergewitter niedergegangen, das allerdings keine Abkühlung gebracht hatte, es war dunstig wie in einem Dampfbad. Petra roch Kaffeeduft.

    Als sie sich erholt hatte, begann sie den Blick in den Garten zu genießen. Die Titelmelodie von „Der rosarote Panther" unterbrach ihre Träumerei. Petra nestelte ihr Handy aus der kleinen Brusttasche und nahm den Anruf entgegen.

    „Was gibt’s? Einen Moment lang hörte sie aufmerksam zu, sagte dann: „Ich habe Urlaub, das wisst ihr schon, oder?. Sie hörte wieder eine Weile zu und seufzte.

    „Na, gut. Gib mit ein paar Minuten, um mich fertig zu machen, ich komme dann direkt nach Karnap." Sie klappte das Handy zu und fing den vorwurfsvollen Blick ihrer Mutter auf, die aus dem Küchenfenster schaute.

    „Du willst doch jetzt nicht im Ernst zur Arbeit, schimpfte sie. „Ich denke, wir wollen gleich unsere Sachen fertig packen! Und gegessen hast du auch noch nichts!

    „Ein Toter, ich muss da hin. Ich bekomme schon was zu essen, und Kofferpacken kann ich auch nachher noch."

    Rasch duschte sie und kleidete sich im Schlafzimmer an, schwarzer Anzug, frisches weißes T-Shirt, dann bürstete sie ihr nasses Haar und band es zu einem Pferdeschwanz. Sie schnappte sich ihren ledernen Rucksack; Überbleibsel aus ihrer Jugend und ein Stilbruch, der ihr Genugtuung bereitete - und ging in die Küche. Ihr Sohn saß am Frühstückstisch und aß Schoko-Crispies. Petra gab ihm einen Kuss auf die schwarzen Haare.

    „Tschüss Schatz. Ich muss. Ich bin in ein paar Stunden wieder da, dann wird gepackt, versprochen. Im Herausgehen nickte sie ihrer Mutter liebevoll zu. „Jetzt guck nicht so, Mama! Ich beeile mich!

    In der Einfahrt, vor dem Haus, parkte ihr Dienstwagen, ein schwarzer Passat. Sie stieg ein, legte die Hände auf das Lenkrad und spürte, dass sie wieder wehtaten. Sie massierte die seit Wochen geschwollenen Finger, aber Ibuprofen war das einzige, das gegen den Schmerz half. Sie nahm einen Blisterstreifen mit Tabletten aus ihrem Handschuhfach, drückte eine heraus und schluckte sie trocken herunter. Die Anfälle häuften sich, sie hatte die halbe Nacht wegen der Schmerzen nicht schlafen können. Petra nahm sich vor, einen Arzt aufzusuchen.

    Sobald sie aus Kettwig heraus war, wurde der Verkehr dicht und kroch nur noch vor sich hin. Ihr wurde klar, dass sie so Ewigkeiten bis zum Tatort benötigen würde. Sie griff nach dem Blaulicht und packte es auf das Autodach. Mit Sirenengeheule schoss sie durch den morgendlichen Berufsverkehr, Richtung Karnap, in Essens Norden. Neben der Befriedigung, die es ihr brachte, Verbrecher zu fangen, gehörte eine solche Blaulichtfahrt definitiv zu den schöneren Seiten ihres Berufs.

    Knapp dreißig Minuten später erreichte Petra das Gelände der Tierkörperbeseitigung Zweckverband Ruhr. Das graue Wetter unterstrich die Trostlosigkeit der Anlage; anders, als im Garten ihrer Mutter verlieh der Dunst hier den Gebäuden etwas Unheimliches. Bislang hatte Petra von solchen Institutionen nur in Verbindung mit verstorbenen Haustieren gehört, aber so riesig wie diese Abdeckerei war, wurden hier sicher nicht nur Hamster und Pudel entsorgt. Auf dem abgezäunten Gelände verteilten sich zahlreiche große Hallen und stählerne Türme.

    Die Kollegen erwarteten sie im Hauptgebäude. Der Pförtner, ein kleiner Mann mit Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart und grauer Uniform, wies ihr den Weg zu einem großen kastenartigem Gebäude, das auf Petra wie ein überdimensionaler Sarg wirkte. Als sie die Halle betrat, schlug ihr ein bestialischer Gestank entgegen. Petra war einiges von Tatorten gewohnt und wenig empfindlich, was Leichengeruch anging, aber der faulige, süßliche Geruch hier prallte mit einer geradezu brutalen Intensität auf sie ein; die schwüle Wärme der Halle löste Beklemmung in ihr aus. Schweiß brach ihr aus. Sie blieb einen Moment stehen und versuchte, flach zu atmen. Wie immer in solchen Situationen klappte sie einen inneren Schalter auf den beruflichen Modus um, der keinerlei Schwächen duldete.

    „Ruhig atmen und aufs Wesentliche konzentrieren", flüsterte sie sich zu. Es funktionierte nicht. Die Erinnerung öffnete ihr Horrorkabinett, und sie wusste, dass sie am Ende furchtbares Grauen erwartete. Der Geruch in dem Raum beschwörte Erlebnisse herauf, die sie wohl nie vergessen würde: der Obdachlose, dem die Ratten noch bei lebendigem Leib den halben Fuß weg gefressen hatten; das halbverweste Baby, zu dem sie als junge Kommissarin gerufen worden war. Das Schrecklichste war der Moment, in dem sie einen Container Duisburger Hafen geöffnet hatte, in dem elf junge Frauen aus Osteuropa elend umgekommen waren. Sie fragte sich, was ihr diesmal bevorstand. Egal, wie oft sie diesen Schritt gehen musste - es wurde nicht leichter. Sie wollte auch nicht, dass es leichter würde, denn sie wollte sich das Entsetzen bewahren, das ein gewaltsamer Tod bei den Lebenden hervorruft. Nur so blieb sie achtsam. Sie blickte sich in der riesigen Halle um. Ein nackter Raum, in dessen Mitte ein Becken war, in dem merkwürdig verrenkte Kuhleiber gestapelt waren. Auch weit über den Rand des Beckens hinaus, bildeten sie einen imposanten Berg. Da Petra nicht sehen konnte, wie tief es war, konnte sie schwer schätzen, wie viele dieser schwarz-weißen Leiber vor ihr lagen. Fünfzig? Hundert? An das Becken angeschlossen, verlief eine große Röhre zu einer Schleuse, die aus der Halle hinaus führte.

    Petra kroch unter dem Absperrband durch. Einer der beiden Schutzpolizisten, ein junger Mann mit einem dünnen Schnurrbart, brachte sie auf den aktuellen Stand. Viel gab es noch nicht. Gegen halb neun hatte der Abdeckereiangestellte mitten oben in dem Kuhberg ein in die Höhe ragendes, eigentümlich blaues Bein entdeckt.

    „Blau?", fragte Petra.

    „Ja, schauen Sie mal da hoch. Blau wie ein Veilchen ist es!"

    Petra folgte dem Finger des Mannes zum Gipfel des Kuhberges. Über den Rücken einer schwarz-weißen Kuh ragte ein blaues Männerbein, nackt, bis zum Oberschenkel konnte Petra es sehen, dann verlor sich der Verlauf des Körpers hinter dem Tier. Durch die Einfärbung und seine Steifheit sah das Bein unnatürlich aus.

    „Du meine Güte, sagte sie. „So was habe ich auch noch nicht gesehen.

    „Der Abdeckereiangestellte hat einen Notarzt gerufen,

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