Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Scharlachrote Zeiten: Thriller
Scharlachrote Zeiten: Thriller
Scharlachrote Zeiten: Thriller
eBook426 Seiten5 Stunden

Scharlachrote Zeiten: Thriller

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Hannover. Cameo ist IT-Spezialist des okkulten Syndikats Pazuzu. Jahrelang spielen deren Machenschaften für ihn keine Rolle. Bis er bei einem routinemäßigen Update eine grauenhafte Entdeckung macht: geheimnisvolle Rituale, perverse Experimente und bestialische Tötungen dienen einem geheimen Ziel - der Kreation eines neuen Menschen. Gepeinigt vom aufflammenden Gewissen, kopiert er das belastende Material auf einen Datenstick und löscht alle Systeme. Minuten später ist Pazuzu handlungsunfähig, und die mafiose Konkurrenz schickt ihre Bluthunde los. Ein erbarmungsloser Kampf um mehr Macht und Einfluss beginnt.
Die Jagd nach dem Stick führt in das Provinznest Kappenstadt im Braunschweiger Land. Schnell werden hier Jäger selbst zu Gejagten, denn die Killer aller Mafia-Clans kennen weder Erbarmen noch Loyalität. Und hinter jeder Fassade verbirgt sich eine eigene, grausame Moral, die Morde, Folter und rituelle Menschenopfer rechtfertigt ...

SpracheDeutsch
HerausgeberSchardt Verlag
Erscheinungsdatum27. Sept. 2019
ISBN9783961522309
Scharlachrote Zeiten: Thriller

Mehr von Jan Büchsenschuß lesen

Ähnlich wie Scharlachrote Zeiten

Ähnliche E-Books

Spannung für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Verwandte Kategorien

Rezensionen für Scharlachrote Zeiten

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Scharlachrote Zeiten - Jan Büchsenschuß

    Teil I - Hannover

    Kapitel 1

    Cameo quälte sich durch die Nacht.

    Wenn er schlief, plagte ihn immer der gleiche Albtraum. Ein hünenhafter Kerl mit entsetzlichen Narben im Gesicht packte ihn am Kinn und brach ihm dann langsam und scheinbar spielend den Unterkiefer. Es knackte und knirschte in seinem Kopf wie in einem Kaminfeuer. Seine Zunge hing schief aus dem Mund. Und so sehr er sich auch anstrengte, er konnte nicht mehr sprechen. Er gab nur kehlige Laute von sich. Dafür sprach der Hüne mit verblüffend weicher Stimme zu ihm: „Denk nicht einmal daran. Tu einfach, was man dir sagt. Das hier ist die letzte Warnung."

    Dann wachte er schweißgebadet auf und lag keuchend und frierend in seinem Bett. Aus Angst vor dem, was er vorhatte, begann er sich auf dem verschwitzten Laken hin und her zu wälzen. Die rhythmische Bewegung beruhigte ihn, und er lag still. Doch er zitterte. Die Zähne schlugen schnell und laut aufeinander. Er vergrub sich tiefer unter seiner Decke, drehte sich zur Seite und winkelte die Beine an. Langsam schlief er ein. Der Mann mit dem Narbengesicht war wieder da, und es begann von vorn.

    Die Stunden der Nacht zerrannen unter der Folter seines Gewissens. Die Zeit selbst bog sich unter dem Gewicht des grauen Morgens. Jede weitere Stunde kam Cameo wie ein Wimpernschlag vor. Wie Blei lag sein Körper auf der Matratze. Doch er musste aufstehen, Narbengesicht hin oder her.

    Mühsam wälzte sich Cameo aus dem Bett und stand frierend in seiner kargen Wohnung, die Arme fest um den Körper geschlungen. Eine heiße Dusche machte es nicht besser. Er schüttelte sich regelrecht vor Kälte. Wenn nur die Angst nicht wäre. Die permanent pochende Sinnfrage seines Unternehmens drängte er verbissen in den diffusen Nebel seines Unterbewusstseins zurück.

    An den Weg zu seiner Arbeit konnte er sich bereits in dem Augenblick nicht mehr erinnern, als er das fensterlose, graue Sichtbetongebäude mit der bedrohlichen Aura einer Festung betrat. Hinter der doppelten Eingangstür musste er an einem Tresen vorbei zur Sicherheitskontrolle. An diesem Tresen saß ein Mann in schwarzer Uniform, schweigend und mit ausdruckslosem Gesicht. Pistole und Schlagstock hingen drohend an seinem Gürtel.

    Cameo ging grußlos vorbei. Der Mann schien ihn gar nicht wahrzunehmen. Warum auch? Der Scanner zwischen den beiden Eingangstüren hatte bereits den kleinen Chip in seinem Unterarm ausgelesen und ihn als Mitarbeiter von Pazuzu identifiziert.

    Hinter dem Wachmann befand sich eine Schiebetür aus grobem Cortenstahl. Gleich rechts neben der Tür war in einer kleinen Ausbuchtung ein Monitor mit einer sonderbaren Arretierung installiert. Hier wurden die Iris und der Daumenabdruck gescannt.

    Cameo begann sofort heftig zu schwitzen. Übelriechender Schweiß hinterließ auf seinem Hemd große Flecken. Dabei war das Passieren der Schleuse für ihn völlig normal. Das tat er seit über fünf Jahren beinahe jeden Tag. Doch heute war alles anders. Es würde das letzte Mal sein. Cameo schluckte trocken. Sein Kinn zitterte und rutschte verschwitzt hin und her, als er es auf der Arretierung absetzen wollte. Der Scanner gab mit einem Pfeifton eine Fehlermeldung aus. Die Iris konnte nicht korrekt erfasst werden. Schweiß lief ihm über die Stirn in die Augen. Es brannte wie Feuer. Cameo konnte sie kaum offen halten. An der Sichtbetonwand bildeten sich bereits feuchte Flecken von den Abdrücken seiner Hände. Er konnte hören, wie die Wache hinter ihm aufstand.

    „Was ist mit Ihnen? Sind Sie krank?", fragte der Wachmann barsch.

    Cameo ergriff dankbar diesen Strohhalm.

    „Grippewelle. Mich hat es auch erwischt. Will nur schnell etwas erledigen, dann haue ich wieder ab und lege mich hin."

    Der Mann ging unwillkürlich einen Schritt zurück. Die Angst vor unsichtbaren Keimen und Viren funktionierte bei militanten Vollpfosten meist besser als jede Drohung durch eine sichtbare Waffe. Cameo brauchte nicht viel zu schauspielern, die Symptome seiner Angst glichen den Anzeichen einer Grippe.

    Sichtlich angewidert zog der Wachmann eine Chipkarte aus seiner Uniform und hielt diese vor den Scanner. Sofort bewegte sich die rostige Stahltür lautlos zur Seite.

    „Machen Sie, was Sie machen wollten, und dann hauen Sie wieder ab."

    Während er sprach, war der Wachmann zurück zum Tresen gegangen und hatte sich von dort eine Sprühflasche mit Desinfektionsmittel und ein kleines Tuch geholt. Als Cameo den Haupttrakt betrat, wurden Sichtbetonwand und Scanner bereits akribisch gereinigt. Idiot – dachten beide vom jeweils anderen.

    Die steril-weißen Flure im Inneren des Gebäudes gaben Cameo Sicherheit. Der Geruch starker Reinigungsmittel beruhigte ihn, und er hörte allmählich auf zu schwitzen. Langsam, aber zielstrebig stieg er die Treppen hinab in das Kellergeschoss. Am Ende eines weiteren fensterlosen Flures lag sein Ziel. Der Serverraum von Pazuzu.

    Eine seiner zentralen Aufgaben war es, das digitale Gehirn von Pazuzu zu warten, zu erneuern und gegebenenfalls zu modifizieren. Inhaltliche Aspekte hatten ihn als IT-Experten eigentlich nicht zu interessieren. Eigentlich.

    Es war nur ein Update von vielen gewesen. In diesem Fall musste Cameo einen Teil der Daten manuell einspielen. Dabei hatte er, ungewollt, aber mit einer gewissen Lust am Verbotenen, vom Baum der Erkenntnis gekostet. Doch dieser Apfel schmeckte bitter und faulig.

    Pazuzu war ein Syndikat, eine kriminelle Vereinigung. Das wusste Cameo von Anfang an und war sogar ein wenig stolz darauf, hier zu arbeiten. Es gab ihm das Gefühl, bedeutend zu sein. Außerdem wurde er sehr gut bezahlt.

    Die Lust am Verbotenen verblasste sofort, als Cameo die erste Datei öffnete. Eigentlich nur ein Funktionstest. Er hätte sie öffnen und gleich wieder schließen sollen. Aber sein Blick blieb sofort an den grauenhaften Fotos hängen. Menschen, die bei lebendigem Leib seziert wurden, bei denen Gliedmaßen Stück für Stück amputiert wurden, die Infusionen bekamen, die mit eitrigen und geschwollenen Beulen überzogen waren, denen man Gliedmaßen von anderen Menschen und sogar von Tieren angenäht hatte. Angewidert hatte sich Cameo in den Papierkorb übergeben und konnte dennoch nicht wegsehen. Was war das? War das echt? Das hatte doch nichts mit Drogen, Erpressung und Prostitution zu tun? Wer war Pazuzu wirklich?

    Dann hatte er sich in die medizinischen Studien und Versuchsreihen vertieft. Sie übertrafen die Taten eines Josef Mengele um Längen. Blut, Tod, Skrupellosigkeit. Immer wieder. Er verstand nicht viel von Genetik und wusste nur, dass Rassenlehre keine ernstzunehmende Wissenschaft war. Wenn er all dies hier richtig interpretierte, war Pazuzu seit Jahren dabei, unter Missachtung aller ethischen Bedenken und wissenschaftlichen Standards eine neue Menschenrasse zu erschaffen. Sollte dies eines Tages gelingen, konnte das nur auf die Versklavung der Menschheit hinauslaufen. Das Problem der Massentierhaltung würde sich einfach um den Faktor Mensch erweitern. Cameo verstand die Welt nicht mehr. Seitdem konnte er nachts nicht mehr schlafen.

    Auf Knopfdruck klappte eine Tastatur aus dem Serverschrank, und Cameo startete einen angeschlossenen Laptop. Er hatte Wochen gebraucht, um ein Schlupfloch in seine eigene Verschlüsselungssoftware zu implementieren. Diese versteckte Hintertür wollte er ansteuern, um Daten vom Server auf einen USB-Stick zu spielen und danach alles zu löschen. Pazuzu sollte um Jahre in den Forschungen und kriminellen Machenschaften zurückgeworfen werden. Das verschaffte Zeit und gab dem Staat die Möglichkeit, das Syndikat wegen der konventionellen Verbrechen zu zerschlagen. Das war zumindest Cameos Hoffnung. Dafür riskierte er jetzt sein Leben. Nein, er opferte sein Leben. Der Tod war ihm sicher. Doch es schien die einzige Möglichkeit zu sein, den Wahnsinn zu stoppen. Die erste und letzte Heldentat in seinem Leben.

    Die Systeme liefen fehlerfrei. Cameo öffnete die entsprechenden Verzeichnisse, um sie für den Datentransfer vorzubereiten. Hier war genug Beweismaterial in Datenbanken, E-Mails, Dokumenten, Bildern und Filmen gespeichert, um Pazuzu wegen gewöhnlicher Vergehen verurteilen zu können. Er verschlüsselte die Ordner noch einmal, um die Entscheidungsgewalt darüber zu behalten, wer diese Daten künftig einsehen konnte. Eine doppelte Sicherung. Während er die Dateien zusammenschob, griff er unbewusst zur Brusttasche seines durchnässten Hemdes.

    Nichts. Was?

    Cameo sprang auf und fingerte hektisch an allen Taschen von Hemd und Hose herum. Die Suche blieb ergebnislos. Er musste heute Morgen in der vor Angst umnachteten Aufregung vergessen haben, seinen USB-Stick mitzunehmen. Er fluchte und trat wütend gegen einen der metallenen Serverschränke. Der Schweiß stank aus seinen Poren. Seine Haare klebten ihm am Kopf.

    Plötzlich öffnete sich die Tür hinter ihm. Grelles Licht drang in die klimatisierte Höhle seiner digitalen Unterwelt. Ein Wachmann stand in der Tür. Seine Silhouette zeichnete sich scharf vor dem gleißenden Weiß des Hintergrundes ab. In der Hand hielt er eine Waffe.

    „Probleme?"

    Cameo erstarrte. Er konnte das Schlagen seines Herzens in seinen Halsschlagadern spüren.

    „Nichts, antwortete er dann mit belegter Stimme und räusperte sich, „lediglich Frust über ein beschissenes Computerproblem. Sonst ist alles okay.

    Der Wachmann blieb schweigend in der Tür stehen und fixierte Cameo mit zusammengekniffenen Augen. Man musste kein Experte in Körpersprache sein, um zu sehen, dass ihm jene neue Generation von IT-Spezialisten zuwider war, die zunehmend das organisierte Verbrechen überschwemmte. Nur zögerlich steckte er die Pistole wieder ins Holster. Dann drehte er sich schweigend um und schloss die Tür.

    Cameo atmete lang und tief aus. Es dröhnte in seinem Kopf, und seine Füße wurden gefühllos. Sein Herz schlug hart gegen seine Speiseröhre. Ihm wurde schlecht. Ungelenk setzte er sich hin. Was konnte er tun?

    Das System zu konfigurieren, damit er die riesigen Datenpakete unbemerkt online hinausschleusen konnte, würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Er brauchte einen mobilen Ersatzdatenträger. Aber es ging nicht irgendein USB-Stick. Bevor man ein externes Gerät anschließen konnte, musste es von verschiedenen Personen freigegeben werden. Dieses Prinzip der vielen Augen hatte er selbst eingeführt, damit niemand im Alleingang das System manipulieren konnte. Klasse. Wirksame Methode. Cameo stöhnte leise und rieb sich die Stirn.

    Es gab nur zwölf USB-Datenträger, die für das System zugelassen waren. Einen für Bukad, den Chef der Organisation, einen für ihn, den Systemadministrator, und zehn USB-Sticks, die durch ein besonderes Design auffielen. Die Hülle der Sticks war aufwendig und detailreich in Form eines Löwenkopfes mit brennender Mähne gestaltet. Das Symbol für die babylonische Gestalt des Pazuzu-Dämons. Bukad selbst hatte sie besorgt. Sie dienten zum internen Datentransfer. Einige dieser USB-Sticks würden sicherlich im Hause sein. Das Problem war, dass sie nicht im Kellergeschoss aufbewahrt wurden. Man musste ins Obergeschoss und sich persönlich bei Bukads Assistentin einen Stick ausleihen.

    Würde er das durchstehen? Einen Augenblick zögerte er. Doch, nein. Er hatte keine andere Wahl. Cameo schloss alle Datenfenster und verließ leicht torkelnd den Serverraum.

    Bukads junge Assistentin nannte sich Lilit. Sie war modisch, aber nicht aufreizend angezogen. Sie saß an ihrem Schreibtisch, als Cameo hereinkam. Ohne den Blick vom Bildschirm zu wenden, sagte sie tonlos: „Bukad ist nicht da. Wenn Sie einen Termin haben wollen, rufe ich Sie zurück, wenn etwas frei wird."

    Aber das konnte nicht stimmen. Die Tür zu Bukads Büro war nur angelehnt, und Cameo hörte ein tiefes Murmeln aus den Räumlichkeiten. Dann ertönte ein Gong. Und kurze Zeit später war deutlich Bukads Stimme zu vernehmen: „Schwarzer Teufel, schwarzes Meer, schwarzer Spiegel an der Wand. Shaitan sei das Licht in mir, leuchte mir den Pfad der Nacht."

    Wieder ertönte ein Gong, und das Gemurmel setzte ein. Cameo hatte schon von den dunklen und mysteriösen Ritualen gehört. Die Gerüchte hierüber begründeten den Ruf, dass Pazuzu auch eine satanische Sekte sei. Verbrechen, Eugenik, Okkultismus. Wer war Pazuzu nur? Wie war das alles unter einen Hut zu bekommen?

    „Nein, stotterte Cameo, „ich will einen USB-Stick leihen.

    Lilit stand auf und schloss die Bürotür. Ohne ihn anzusehen, erwiderte sie: „Warum? Sie haben doch einen eigenen Stick."

    Wenigstens wusste sie, wer er war. Sicherlich war ein weiterer Scanner im Türrahmen des Büros installiert und hatte seine Identität bereits ausgelesen. Eine umständliche Authentifizierung blieb ihm also erspart.

    „Habe meinen Stick vergessen. Ich glaube, ich bekomme eine Grippe. Muss heute nur schnell ein paar Daten verschieben. Dann lege ich mich ins Bett."

    Jetzt schaute sie ihn an. Cameo bekam weiche Knie und musste sich an einer Stuhllehne festhalten. Doch Lilit interpretierte seine Angst als grippebedingte Schwäche. Auch seine dunklen Augenringe und das verschwitzte, unangenehm riechende Hemd schienen seinen Zustand zu bestätigen. Seine Angst entpuppte sich als bester Verbündeter.

    Lilit nickte schweigend. Für sie war der Vorgang offensichtlich abgeschlossen. Sie wollte mit Cameo nicht länger als nötig zu tun haben. Sie gab sich nicht einmal Mühe, ihren Ekel vor ihm zu verbergen. Soll mir recht sein, dachte Cameo und kämpfte erneut gegen eine aufsteigende Übelkeit an.

    In einem Aktenschrank öffnete Lilit einen Safe und holte ein mit Messingverschlägen verziertes Kästchen hervor. Mit einer Zahlenkombination öffnete sie es und klappte den Deckel auf. Es waren zehn kleine, mit Samt ausgeschlagene Fächer zu sehen. Zwei Fächer hatten einen zusätzlichen Goldrand. In neun Fächern lag ein Stick mit brennendem Löwenkopf.

    „Die in den Fächern mit dem Goldrand", begann Lilit zu erklären, als sie ihm das Kästchen zuschob. Dann klingelte das Telefon. Sie nahm ab und begann in einer fremden Sprache zu reden. Für Cameo klang es wie Russisch.

    Das Telefonat zog sich in die Länge. Cameo hielt es vor Ungeduld nicht mehr aus. Was hatte sie gesagt? Die mit dem Goldrand. Gut. Er beugte sich über das Kästchen und nahm sich einen Stick aus einem der beiden goldumrandeten Fächer. Lilit schaute beiläufig zu ihm herüber, aber das Gespräch schien wichtiger zu sein.

    Als sie erneut Cameo ansah, zeigte er ihr kurz den Stick in seiner Hand und deutete an, zu gehen. Sie schien kurz zu überlegen. Nickte dann und vertiefte sich wieder in das Gespräch. Erleichtert und erschöpft verließ Cameo das Büro.

    Im Serverraum setzte er hektisch die Vorbereitungen zum Datentransfer fort. Dann startete er den Kopiervorgang. Cameo stand auf und ließ das System arbeiten. Mit geschlossenen Augen und leicht geöffnetem Hemd stellte er sich vor die Klimaanlage. Wenn er lange genug lebte, wäre noch Zeit für eine grippeähnliche Erkältung. Er lachte heiser in einem Anflug von Hysterie. Die beste Prophylaxe war immer noch der Tod.

    Ungeduldig verbrachte er die letzten Minuten vor dem Laptop. Seine Finger griffen krampfhaft in den Stoff seiner Hose. Wie konnten sich ein paar Minuten nur so in die Länge ziehen?

    Endlich war es beendet. Hastig entfernte Cameo den Stick und steckte ihn in seine Hosentasche. Dann aktivierte er das Programm zur Löschung aller Systeme. Es war mit einer Zeitverzögerung versehen. In einer halben Stunde würden die ersten Daten verschwinden. Doch wenn dieser Dominostein gefallen war, gab es kein Halten mehr. Dann war es erst zu Ende, wenn die Systeme vollständig entfernt waren. Mit dem Start dieses Programms bog Cameo auf die Zielgerade seines Lebens ein. Er ließ den Laptop in den Ruhezustand fahren und verließ eilig den Serverraum.

    Der Wachmann am Eingang schien ihn weiterhin zu ignorieren. Cameo murmelte trotzdem noch: „Jetzt geh ich wirklich und lege mich hin." Die Doppeltür öffnete sich, und er stand draußen. Die Kälte eines späten Märzwintertages fuhr ihm eisig und brutal in die Glieder. Zitternd verschränkte er die Arme vor dem Körper und eilte zur nächsten U-Bahnstation.

    Am Vormittag waren die U-Bahnzüge nicht mehr so gefüllt. Auf einmal erinnerte sich Cameo an die hektisch aggressive Enge auf dem Hinweg. Jetzt waren ihm selbst die wenigen Fahrgäste zu viel. In seinem Kopf herrschte totales Chaos. Einerseits war er unendlich erleichtert, diesen Teil seines Vorhabens geschafft zu haben. Andererseits hämmerte es immer wieder gegen diese Euphorie an, dass er damit zugleich sein Todesurteil gefällt hatte. Wem nützt es, Cameo, wem?

    Die Bahn fuhr an und ließ den Bahnsteig hinter sich zurück. In den Tunneln flackerte nur wenig Licht. Plötzlich merkte Cameo, dass ihn die Kräfte verließen. Er verlor beinahe sein Gleichgewicht und musste sich krampfhaft am Sitz festhalten. Die Bahn fuhr in den nächsten Bahnhof ein, und das Licht wurde wieder heller. Hier sackte er ganz in sich zusammen, alles drehte sich, und er fiel vornüber zu Boden.

    Als er wieder zu sich kam, hörte er murmelnde Stimmen. Undeutlich. Fremd. Es roch nach ranzigem Fett. Dann kam Licht dazu. Unscharf waren mehrere Personen zu erkennen, die sich über ihn beugten. In seinen Ohren pfiff es schrill. Das ist ein Bahnhof. Ich bin in der U-Bahn ohnmächtig geworden, schoss es ihm durch den Kopf. Hastig tastete er seine Hosentasche ab. Der Stick war noch da. Wie viel Zeit war vergangen? Er musste sofort weiter.

    Mühsam richtete er sich auf. Schwärze schoss durch sein Bewusstsein, und er schwankte. Ein Mann in Bahnuniform sagte ihm, dass er sich Zeit lassen solle. Er würde ohnehin zur Sicherheit in ein Krankenhaus gebracht werden.

    „Das geht nicht. Ich muss weg", lallte er.

    Das Pfeifen in den Ohren wurde stärker, und er schlug sich mehrfach mit der Hand gegen den Kopf. Dann stand er auf. Die gaffenden Passanten redeten auf ihn ein, dass er auf den Krankenwagen warten solle. Aber er schob die Menschen unwirsch zur Seite, fiel dabei fast wieder hin und wankte schließlich wie ein Volltrunkener davon. Schwitzend und keuchend quälte er sich die Treppe hinauf. Er musste sich dafür mit beiden Händen am Geländer festhalten und regelrecht hochziehen.

    Auf der Straße beruhigte ihn die kalte Winterluft. Das Pfeifen wurde augenblicklich schwächer. Bis zu seiner Wohnung waren es nur wenige Hundert Meter. Er vergrub die Hände in den Jackentaschen und ging mit gebeugtem Kopf. Das Gehen tat gut. Mit jedem Schritt ging es ihm besser.

    Kurz vor seiner Wohnung schaute er auf sein Smartphone. Noch keine Anrufe von Pazuzu. Es waren aber auch erst knapp vierzig Minuten seit Aktivierung des Programms vergangen. Das Löschen der Systeme hatte gerade erst begonnen. Cameo schätzte, dass er etwa eine halbe Stunde Zeit haben würde, bis Pazuzu seine Aktion bemerkte. Zuerst würden sie einen Angriff von außen vermuten und versuchen, ihn zu kontaktieren. Dann war es nicht mehr vorherzusagen, wie viel Zeit ihm blieb, bis Pazuzu realisierte, dass er der Täter war. Bei dem Gedanken wurde das Pfeifen sofort lauter. Heftig schlug er sich auf das Ohr.

    In seiner Wohnung kam es ihm im Gegensatz zum Morgen beinahe tropisch warm vor. Er zog sein Hemd aus und wischte sich damit den Schweiß vom Körper. Zum Duschen war jetzt keine Zeit mehr. Auf dem Weg zur Hölle musste man nicht mehr gut riechen.

    Er startete seinen Laptop und steckte den USB-Stick ein. Mit seinem Smartphone machte er ein paar Fotos von aussagekräftigen Dokumenten. Dann zog er den Stick wieder ab, ohne die Daten auf den Laptop zu kopieren. Jetzt begann der zweite Teil des Vorhabens.

    Mit feuchten Fingern tippte er mühsam eine Nummer und wartete. Während es klingelte, wurde das Pfeifen in seinem Ohr lauter. Es knackte, jemand nahm ab.

    „Ja, Krawallo."

    Stimmen waren im Hintergrund zu hören. Wahrscheinlich die Lärmkulisse eines Großraumbüros. Durch das Pfeifen konnte Cameo kaum etwas verstehen.

    „Herr Krawallo? Ich habe Zugang zu allen Daten des Pazuzu-Syndikats. Eben habe ich große Mengen solcher Daten kopiert und will, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen, damit Pazuzu zerschlagen wird. Können Sie eine Story daraus machen?"

    „Name?"

    „Mein Name? Nein. Ich, äh ... das geht nicht. Äh. Wenn ich ... Nein. Also ..."

    Aufgelegt.

    Das konnte der doch nicht machen! Cameo wurde panisch. Warum hatte der Journalist das getan? Er konnte doch seinen Namen nicht nennen. Offensichtlich wirkte er unglaubwürdig. Also musste er beweisen, dass er die Wahrheit sagte. Er wählte ein Foto aus. Auf dem Bild war eine E-Mail zu sehen, die eine langanhaltende, geschäftliche Korrespondenz zwischen Pazuzu und der niedersächsischen Landesregierung offenbarte. Er schickte es an Krawallo.

    Warten.

    Cameo hatte brennenden Durst. Gierig trank er kaltes Wasser aus dem Hahn. Das tat gut. Beinahe hätte er dabei das Vibrieren seines Smartphones überhört. Hektisch rannte er zurück und sah, dass der Anruf von Pazuzu kam. Sie hatten es also bemerkt. Cameo schluckte. Sogleich wurde ihm schlecht. Ans Telefon zu gehen, kam nicht infrage. Jedes weitere Vibrieren ließ seinen Körper zusammenfahren. Dann war es endlich still. Bis auf das Pfeifen in seinem Kopf.

    Er hatte sein Smartphone noch in der Hand, da vibrierte es schon wieder. Er hätte es fast vor Schreck fallen gelassen. Diesmal war es der Journalist.

    „Ja?"

    „Also gut. Wie viel wollen Sie für Ihren Scheiß haben?"

    Mit der Frage hatte er gerechnet.

    „Nichts. Gar nichts. Ich will nur, dass die Wahrheit an die Öffentlichkeit gelangt und gegen Pazuzu ermittelt wird."

    „Warum gehen Sie dann nicht zur Polizei?"

    „Nein. Das wäre reines Glücksspiel. Pazuzu haben in allen wichtigen Präsidien ihre Leute eingeschleust oder Beamte gekauft. – Der Druck muss über die Öffentlichkeit kommen. Dann kann die Polizei meine Beweise nicht mehr einfach so unter den Tisch fallen lassen."

    „Verstehe. Wie umfangreich ist Ihr Material?"

    „Das würde ich Ihnen gern zeigen und dazu einiges erzählen. Wann können Sie?"

    „Moment mal. Warum sollte ich meine Zeit mit Ihnen verschwenden? Wissen Sie, wie viele Idioten jeden Tag bei mir anrufen? Mailen Sie mir die Daten einfach, und ich melde mich, wenn ich interessiert bin."

    „Das geht nicht."

    „Also doch ein Spinner."

    Pause.

    „Nein. Warten Sie. Bitte. Ich habe die Daten mehrfach verschlüsselt. Sie könnten nichts damit anfangen. Außerdem muss ich dazu einiges erklären. Und wie Sie sich vorstellen können, ist meine Lebenszeit inzwischen stark begrenzt. Wenn Sie heute Vormittag nicht können, dann suche ich mir einen anderen Journalisten."

    Schweigen. Dann: „Also gut. Ich bringe einen Spezialisten mit, der Ihre Daten und Ausführungen beurteilen wird. Wenn er heute Vormittag Zeit hat, melde ich mich sofort."

    „Eine halbe Stunde. Mehr Zeit kann ich Ihnen nicht geben. Wir treffen uns am Reiterstandbild vor dem Hauptbahnhof."

    Wieder Stille.

    „Abgemacht. Ich melde mich spätestens in einer halben Stunde zurück."

    Aufgelegt.

    Cameo war erleichtert. Erschöpft ließ er sich auf den Küchenstuhl sinken. Er sah noch einmal auf sein Smartphone. Während seines Telefonats mit Krawallo hatte Pazuzu fünfmal angerufen. Langsam musste ihnen klargeworden sein, dass ihr ganzes System abschmierte. Wenn er nicht augenblicklich zurückrief, würde ein Team zu seiner Wohnung unterwegs sein und ihn gegebenenfalls gewaltsam mitnehmen. Er musste sich beeilen. Ob sie den Chip in seinem Arm orten konnten? Egal. An Flucht dachte er ohnehin nicht.

    Cameo rannte ins Schlafzimmer und zog sich ein neues Hemd an. Er steckte sein Smartphone und den Stick wieder ein und eilte aus der Wohnung. Unweit hielt ein Bus. Er stieg ein. Während der Bus langsam an seinem Haus vorbeifuhr, konnte er drei schwarzgekleidete Männer in seinen Hauseingang gehen sehen. Mein Gott, sie waren schon da. Cameo ließ sich tief in den Sitz sinken und fing das erste Mal in seinem Leben an, leise zu beten. An einen Gott glaubte er nicht, doch er wollte in diesen schweren Stunden nicht allein sein.

    Eine Viertelstunde später war er am Hannoveraner Hauptbahnhof. In einem riesigen Schließfach deponierte er den USB-Stick und mietete das Fach für vierundzwanzig Stunden. Dann schrieb er auf seinem Smartphone eine Nachricht an den einzigen Bekannten, den er in Hannover hatte, seinen Schulfreund Frank. Freunde im eigentlichen Sinne waren sie nicht. Aber sie teilten seit der Schulzeit die Faszination für die Digitalisierung der Gesellschaft und die Mathematik des Glücksspiels. Außerdem war Frank der Einzige, der über seine Position bei Pazuzu wenigstens in groben Zügen Bescheid wusste.

    Hi Frank. Schmeiße dir einen Schlüssel in den Briefkasten. Gehört zum Schließfach am Hauptbahnhof. Wenn ich mir den bis heute Abend nicht bei dir abhole, dann öffne das Schließfach und vernichte den Inhalt. Keine Fragen. Keine Rückrufe bitte. Cam.

    Cameo löschte den Text von seinem Smartphone, stieg in ein Taxi und ließ sich zu Franks Wohnung fahren. Unterwegs meldete sich Krawallo und bestätigte den Termin in einer Stunde am Reiterstandbild. Nachdem er den Schlüssel bei Frank in den Kasten geworfen hatte, brachte ihn das Taxi wieder zum Bahnhof. Noch eine gute halbe Stunde Zeit.

    Nach dem Telefonat mit dem merkwürdigen Typen rief Krawallo sofort Pep an. Die russische Mafia interessierte es immer, wenn es Ärger bei Pazuzu gab. Außerdem konnte er sich als loyaler Anhänger der Russen präsentieren. Er hatte unter den freien Journalisten den Ruf des Experten für organisiertes Verbrechen. Doch diesen Ruf konnte er nur über gute Kontakte und Insiderinformationen aufrechterhalten. Das verlangte eine gewisse Loyalität mit dem Teufel.

    Die Story würde er dennoch schreiben. Wenn das alles wahr war, was der Typ erzählt hatte, dann würde das eine Nummer-Eins-Story werden. Die BILD-Redaktion würde sie ihm aus den Händen reißen und Unsummen bezahlen. Krawallo griente schmierig, sein fettiges Haar fiel ihm ins Gesicht. Er strich es mit seinen nikotingelben Fingern zurück und zündete sich eine weitere Zigarette an.

    Pep, eigentlich Igor Kasarow – aber durch sein Faible für die italienische Mafia hatte man ihm den Spitznamen Pepone, kurz Pep, verpasst –, war sogleich interessiert. Krawallo gab zu bedenken, dass es sich auch um einen Spinner handeln könnte. Aber als Pep den Screenshot von der Mail gesehen hatte, gab er sofort Befehle: Der Termin sollte vom Reiterstandbild in eine kleine Kneipe am Bahnhof verlagert werden. Lontralargi, einer seiner besten Männer, sollte Krawallo begleiten und dem Unbekannten den Datenspeicher abnehmen.

    Krawallo schluckte. Ohne die Daten war seine Story in Gefahr. Aber Widerspruch kam bei Pep nicht infrage. Das konnte schnell ein paar Finger oder die ganze Hand kosten. Da fiel ihm etwas ein, was Cameo kurz erwähnt hatte.

    „Der Typ hat erzählt, dass die Dateien verschlüsselt seien und nur er sie wieder entschlüsseln könne."

    „Bluff", meinte Pep kurz.

    „Weiß nicht. Ich glaube, der Typ ist so etwas wie ein IT-Experte bei Pazuzu."

    „Wenn schon. Lontralargi wird ihm im Zweifelsfall auch die Entschlüsselung aus den Rippen prügeln. Wenn es denn sein muss."

    Krawallo traute sich nichts mehr zu sagen. Er bekam eine Zeit genannt, wann er sich mit Lontralargi treffen sollte, und dann war das Gespräch beendet. Einen Moment lang dachte Krawallo mit schlechtem Gewissen an seine Journalisten-Ehre. Aber dann musste er plötzlich laut lachen. Sein Hauptkunde war seit Jahren die BILD-Zeitung. Seine Seele hatte er also schon längst verkauft.

    Cameo schlich durch das Bahnhofsgebäude. Die Menschenmassen gaben ihm das Gefühl, unerkannt zu bleiben. Dennoch schreckte er jedes Mal auf, wenn ihn ein Passant zufällig streifte. Worauf hatte er sich nur eingelassen? Die Frage brauchte er sich jetzt nicht mehr zu stellen. Die Würfel waren bereits gefallen; er konnte nur noch seine letzten Spielzüge machen und dann mit Würde abtreten. Cameo schlug sich mit der Hand gegen das Ohr. Das Pfeifen war wieder schlimmer geworden. Ich sollte unbedingt zum Arzt gehen, dachte er. Dann fing er krächzend an zu lachen. Er lachte, bis er rau und stoßweise husten musste. Die Leute begannen bereits einen Bogen um ihn zu machen.

    Die Zeit verging. Cameo stellte sich kurz vor dem Termin in die Fußgängerzone, so dass er das Reiterstandbild beobachten konnte. Auf seinem Smartphone suchte er nach einem Foto von Krawallo. Die Bildersuche ergab gleich dutzende Aufnahmen des Journalisten. Öffentlichkeitsarbeit zog Öffentlichkeit nach sich. Cameo versuchte sich das Gesicht einzuprägen und hielt dann nach Krawallo Ausschau. Ihn fröstelte.

    Schlafen, ich möchte einfach nur schlafen.

    Dann sah er zwei Männer am Reiterstandbild. Ein untersetzter Typ mit fettigen Haaren, dessen Gesichtszüge vage Ähnlichkeiten mit den Webbildern aufwiesen. In Wirklichkeit war Krawallo viel aufgedunsener; er wirkte selbst von Weitem ungepflegt. Neben ihm stand ein großer und hagerer Mann: gestutzter Dreitagebart, exzentrische Kleidung, Sonnenbrille. Diesen Kleidungsstil kannte Cameo von einigen Pazuzu-Handlangern. Keine Frage, Krawallo hatte einen Mafia-Typen dabei. Gut oder nicht gut? – Cameo zuckte die Schultern, keuchte und ging los.

    „Herr Krawallo?"

    Der aufgedunsene Typ drehte sich erschrocken um. „Was?"

    „Es geht um die Pazuzu-Dateien. Wer ist Ihr Begleiter?"

    „Das hier ist ..."

    „Lontralargi. Ich bin Mafia-Experte", fiel der ihm in fast akzentfreiem Deutsch ins Wort. Cameo glaubte dennoch, einen osteuropäischen Akzent herausgehört zu haben. Aber, Lontralargi? Cameo schaute skeptisch.

    Krawallo beschwichtigte: „Herr Lontralargi gehört zur russischen Konkurrenz. Lassen Sie sich nicht vom Namen irritieren. Lontralargis Chef ist Italien-Fan und gibt seinen Untergebenen italienisch klingende Namen. Etwas Ähnliches tun Sie doch bei Pazuzu auch."

    Krawallo hatte recht. Bei Pazuzu hatten alle altbabylonisch klingende Namen. Und Cameo wusste auch von einem Mafia-Zweig, der sich spanisch gab. Verrückte Welt. Als ob das Verbrechen nicht schon anstrengend genug war. Er nickte.

    „Schauen Sie. Ich habe Ihnen weitere Screenshots von den Daten gemacht. – Hier zum Beispiel sehen Sie ..."

    „Was halten Sie davon, unterbrach ihn Lontralargi, „wenn wir das Gespräch in einer etwas angenehmeren Atmosphäre fortsetzen? Ich lade Sie beide auf einen Drink in die Kneipe dahinten am Bahnhof ein.

    Cameo zögerte. Er wäre lieber hier in der Öffentlichkeit geblieben. Krawallo hingegen willigte freudestrahlend ein und klopfte Cameo in übertriebener Kameradschaftlichkeit auf die Schulter. Was blieb ihm anderes übrig?

    In der etwas heruntergekommenen Kneipe genehmigte sich Krawallo einen doppelten Whisky, Lontralargi bestellte sich ein kleines Bier, und Cameo nahm Wasser. Sie tranken schweigend an einem der wackligen Stehtische.

    „Also, ergriff Krawallo das Wort, „jetzt zeigen Sie mir einmal Ihre Dateien.

    Cameo holte sein Smartphone hervor. Lontralargi beugte sich neugierig vor, konnte aber unter Cameos schnellen Bewegungen nichts erkennen.

    „Passen Sie auf. Ich habe einige Screenshots gemacht, damit Sie sich eine Vorstellung von der Qualität der Daten machen können. Ich ..."

    „Ich höre immer nur Screenshots, warf Lontralargi unwirsch ein. „Wo sind denn die richtigen Daten?

    „Die sind verschlüsselt, wenn ich unseren Informanten richtig verstanden habe", versuchte Krawallo zu schlichten.

    „Das zum einen, bestätigte Cameo und hustete trocken, „zum anderen habe ich die Dateien natürlich nicht dabei.

    „Was? Zum Teufel."

    „Warum nicht?"

    „Genau deshalb. Ich werde bis zum Schluss bestimmen, wer die Daten bekommt und wer sie einsehen darf. Ich habe alles auf einen USB-Stick kopiert und diesen Stick sicher verwahren lassen. Zudem sind die Dateien mehrfach verschlüsselt. Es gibt nur wenige Menschen auf der Welt, die die Daten außer mir vollständig entschlüsseln könnten. Jetzt zeige ich Ihnen nur eine Auswahl von dem, was ich habe. Wenn Sie die Story schreiben, bekommen Sie die Dateien Stück für Stück entschlüsselt zu sehen."

    „Sie sind ein Betrüger. Nichts weiter", knurrte Lontralargi.

    Krawallo atmete hörbar ein. Eine fettige Haarsträhne fiel ihm ins Gesicht. Mit großen Augen schaute er abwechselnd zu Cameo und zu Lontralargi. Cameo schwieg und wischte auf seinem Smartphone weiter. Dann steckte er es plötzlich ein.

    „Wie Sie meinen. Dann gehe ich zu einem anderen Journalisten."

    Cameo trank aus und verließ den Tisch.

    „Warten Sie, bellte Lontralargi. „Also gut. Zeigen Sie uns schon Ihre beschissenen Screenshots.

    Cameo zögerte und sprach zu Krawallo: „Sind Sie sicher, dass das der richtige Experte für Sie ist?"

    Krawallo nickte heftig und zündete sich eine Zigarette an.

    „Lassen Sie sich durch Lontralargis raue Art nicht irritieren. Er ist ein verlässlicher Mann."

    „Noch ein Wasser?"

    Lontralargi wollte höflich sein. Es klang wie eine Drohung. Cameo schüttelte den Kopf und rieb sich mit einer

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1