Schneeflockenzauber
Von Sophie Merz
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Über dieses E-Book
Hätte Noah doch nur seinem Instinkt vertraut. Den Takashi-Deal mit einer gebuchten Begleitung zu ergattern, war eine Schnapsidee. Jetzt raubt ihm Alexa nicht nur den letzten Nerv, sondern auch noch seine berufliche Souveränität. Und das ist noch lange nicht alles …
Ein zauberhafter Liebesroman für kuschelige Couchabende.
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Buchvorschau
Schneeflockenzauber - Sophie Merz
978-3-96132-174-9
Prolog
Das Licht der schlafenden Stadt schenkte dem Raum gerade so viel Helligkeit, dass die Einrichtung schemenhaft erkennbar war. Mehr brauchte er nicht, um seinen Schreibtisch und den Schalter der darauf stehenden Lampe zu finden. Es war sogar mehr, als er benötigte. In den letzten Jahren hatte er so viel Zeit in seinem Büro verbracht, dass er sich selbst im Stockdunkeln zurechtfand. Außerdem erkannte man im Licht stets Dinge, die man eigentlich nicht sehen wollte. So wie dieses Blatt Papier, das im spärlichen Schein der Schreibtischlampe lag. Der Text darauf war handschriftlich verfasst.
Handschriftlich? Nicht gut. Das bedeutete immer, dass er sich Entscheidungen beugen musste, die nicht seinen Vorstellungen entsprachen. Denn nur dann ließ ihm sein Chef eine solche Nachricht zukommen. Das geschah glücklicherweise so gut wie nie. Eigentlich bekam er immer, was er wollte. Und wie er es wollte.
Doch bei dem jetzigen Auftrag war es anders. Sein Standpunkt wich meilenweit von dem seines Chefs ab. Seit Tagen diskutierten sie über nichts anderes und er hatte sich bereits auf das Schlimmste eingestellt. Diese handschriftliche Nachricht bedeutete also höchstwahrscheinlich, dass genau dieses Szenario eingetreten war. Widerwillig überflog er die Zeilen.
Morgen Abend, 19:30: Uhr Meeting, Dinner mit Takahashi im Vivaldi! Er bringt seine Tochter mit.
Separee im Tower-Lounge Club ab 22 Uhr reserviert (ob du es glaubst oder nicht: Zufriedene Töchter bedeuten zufriedene Väter);
Und Begleitung gebucht, trifft 19 Uhr im Vivaldi ein. Takahashi ist informiert, dass du in Begleitung deiner Freundin kommst! Keine weiteren Diskussionen und Ausreden – Entscheidung ist gefallen.
Benimm dich und sei nett zu der Frau. Deinen Ärger darüber kannst du Sonntag an mir auslassen. Brunch wie üblich.
Tom
So ein Mistkerl! Wie konnte sein Chef daran zweifeln, dass er es auch auf seine Art schaffen würde? Er hatte bisher jeden Auftrag bekommen, den er wollte. Jeden! Und jeden einzelnen hatte er zur vollsten Zufriedenheit der Auftraggeber abgeschlossen. Und zwar ohne Lügen und Theater. Oh ja, er würde zum Sonntagsbrunch gehen. Vor allem, weil sich sein Chef mit dieser Entscheidung zur Hauptmahlzeit freigegeben hatte.
1. Kapitel
Genervt warf Alexa einen Blick auf die Uhr an der Wand. Dieses furchtbare Ticken machte sie heute nicht nur nervös, es förderte vor allem ihren Kater. Wenn diese Uhr nur noch einmal tickte, würde ihr Kopf explodieren.
Tick-Tack, Tick-Tack.
Jetzt reichte es! Alexa fuhr hoch und eilte mit einem spitzen Stechen in ihrer Schläfe zur Wand. Sie versuchte, die Uhr herunterzureißen, doch das gestaltete sich schwieriger als erwartet. Ihr Selbsterhaltungstrieb schien unüberwindbar. Widerspenstig hielt sie sich am Wandhaken fest. Das ließ Alexa nur umso zorniger an ihr zerren. Als die Uhr endlich nachgab und vom Haken glitt, hätte Alexa sie am liebsten auf dem Boden zerschmettert. In letzter Sekunde besann sie sich eines Besseren und entfernte lediglich die Batterien. Danach ließ sie sich wieder auf ihren Bürostuhl fallen und genoss die Stille. Zumindest so lange, bis ihr Kopf auch ohne das Ticken wieder schmerzte.
Warum hatte sie sich gestern nur zu diesem Mädelsabend überreden lassen? Natürlich war es furchtbar, dass die Beziehung ihrer Freundin in die Brüche gegangen war. Aber war das wirklich ein Grund dafür, sich an einem Donnerstagabend einen Kater anzutrinken, dem man einen Doppelnamen geben musste? Theowulf-Ignatz war der bejammernswerteste, der Alexa eingefallen war. Doch sie hatte das Gefühl, ihr Leid damit nicht einmal annähernd in Worte fassen zu können. Hätte sie doch nur auf den letzten Mojito verzichtet und die Finger vom Tequila gelassen. Oder trug der Ladykiller am Ende des Abends seinen Namen womöglich zurecht? Was auch immer Theowulf-Ignatz verursacht hatte – es zu trinken war eine blöde Idee gewesen! Außerdem hätte ein Treffen auch noch an diesem Abend gereicht, schließlich war es Freitag. Der Tag mit den meisten Anrufen, weil jedem einfiel, dass noch eine Begleitung fürs Wochenende benötigt wurde.
Alexa schob es auf ihre gereizten Nerven, dass sie wieder einmal darüber nachdachte, weshalb sie diesen Job überhaupt noch verrichtete. Nachdem ihr alter Chef seine Kanzlei vor über zwei Jahren durch seinen Hang zu Spekulationen und Glücksspiel in den Ruin getrieben hatte, war sie froh gewesen, dass Steffie ihr einen Job angeboten hatte. Auch wenn er nicht zu vergleichen war mit ihrem früheren als Rechtsanwalts- und Notarfachangestellte in einer Wirtschaftskanzlei. Aber wenigstens war Steffie nicht größenwahnsinnig und ihre Agentur schien Zukunft zu haben.
Trotzdem vermisste sie ihre alte Arbeit. Diese hier lastete sie nicht einmal annähernd aus. Warum hatte sie bisher nur nichts mehr in ihrem alten Job gefunden? Vermutlich lag es an all den klischeehaften Vorurteilen, die mit ihrem neuen Job verbunden waren. Mit diesen hatte sie leider genügend Erfahrungen gesammelt. Weshalb sollte es bei einem potenziellen neuen Arbeitgeber also anders sein, wenn dieser die letzte Station in ihrem Lebenslauf sah?
Dabei war Steffies Agentur ein seriöses Unternehmen, welches wirklich nur Begleitungen vermittelte. Wobei sich Alexa nicht sicher war, ob die eine oder andere Dame das seriöse Angebot der Agentur privat nicht doch noch ergänzte. Schließlich gab es genügend Stammkunden, die immer auf die gleiche Begleitung bestanden. Was aber auch nicht unbedingt etwas zu bedeuten haben musste, schließlich war jede und jeder Einzelne von Steffies Angestellten hochgebildet und wusste sich perfekt in den gehobenen Kreisen zu bewegen. Alexas Erklärung für sich und alle anderen lautete daher, dass die Kunden schlichtweg sichergehen wollten, keinen Fauxpas zu erleben und daher auf Altbewährtes zurückgriffen. Sie arbeitete in einer seriösen Agentur, das musste sie sich nur immer wieder selbst in Erinnerung rufen.
Trotzdem beeinflusste dieser Job ihr Leben mehr, als ihr lieb war. Wenn ein Mann von ihrem Arbeitsplatz erfuhr, fühlte sie geradezu den Stempel auf ihrer Stirn, der sie als Flittchen kennzeichnete und sie oftmals zu Freiwild deklarierte. Und wenn es dann doch einmal mehr als nur ein Date wurde, fehlte es dem anderen an Vertrauen, dass sie tatsächlich nur einen Bürojob ausübte.
Alexa rieb sich die Schläfen und versuchte, sich wieder auf andere Gedanken zu bringen. Zu schwere Kost war einfach nichts für Theowulf-Ignatz. Nach einem Blick auf die Uhrzeitanzeige ihres Laptops, ließ sie ihren Kopf jammernd auf den Schreibtisch sinken. Erst vierzehn Uhr. Bis zum Feierabend würde ihr Kater sie umgebracht haben. Alexa begann, leise mit sich selbst zu schimpfen und war darin so vertieft, dass sie ihre Chefin erst bemerkte, als diese direkt vor ihrem Schreibtisch stand.
»Und? Besser? Hm, wohl nicht. Magst du nicht lieber nach Hause gehen und dich ausruhen?«
Alexa kannte Steffie und diesen ganz speziellen Unterton in ihrer Stimme seit ihrer Schulzeit. Er bedeutete, dass dieser Tag noch schlimmer werden konnte. Langsam hob sie ihren Kopf und blinzelte dem bevorstehenden Elend entgegen. »Sag es einfach frei heraus – ohne irgendwelche Ausschmückungen. Was ist schiefgelaufen?«
Volltreffer. Als Steffie begann, sich nervös auf die Unterlippe zu beißen, wusste Alexa, dass ihre Kopfschmerzen gleich ihr kleineres Problem sein würden.
»Claudia liegt im Krankenhaus – Blinddarm.«
»Oh, also doch keine Magenverstimmung. Termintechnisch ist das kein Problem. Svenja kommt Montag aus dem Urlaub zurück. Und da wir sie nur als Reserve eingeplant hatten, sollte sie alle Buchungen übernehmen können.«
»Ja, ab Montag schon.«
Alexa starrte ihre Chefin noch immer mit zusammengekniffenen Augen an. Sie ahnte bereits, worauf diese hinauswollte. Langsam und vorsichtig, um die Kopfschmerzen nicht noch schlimmer zu machen, begann sie den Kopf zu schütteln. »Nein. Zum millionsten Mal: Ich springe nicht für die Mädels ein. Kein Außendienst!«
Steffie holte tief Luft und setzte sich auf den Schreibtisch. »Bitte – nur dieses eine Mal! Es handelt sich auch nur um ein schlichtes Meeting-Essen morgen Abend.«
»Nein! Du kennst meine Einstellung dazu. Außerdem habe ich ja noch nicht einmal studiert. Und das ist Grundvoraussetzung, um bei dir überhaupt für Aufträge infrage zu kommen.«
»Trotzdem bin ich der festen Überzeugung, dass du perfekt wärst. Du bist hübsch, clever und dafür, dass du kein Studium vorweisen kannst, verfügst du über ein unglaubliches Wissen.«
»Hör jetzt bloß mit den Schmeicheleien auf.«
»Alexa, ich frage doch wirklich nur ungern. Aber es gibt niemanden, der morgen einspringen kann. Und ich kann dem Kunden unmöglich absagen! Außerdem brauchen sie dich nur, um die Tochter des Geschäftspartners zu unterhalten. Alexa, bitte! Ich hab im Internet nachgeforscht. Wenn ich nicht schon selbst ausgebucht wäre, würde ich das Essen übernehmen. Der Typ ist echt süß. Lass dir das nicht entgehen.«
Alexa lachte auf und verzog das Gesicht. »Erstens: Wer bitte nimmt seine Tochter zu einem Geschäftsessen mit? Und zweitens: Mit süßen Typen treffe ich mich nur, wenn ich die auserwählte Zielperson des Abends bin. Nicht irgendwelche Geschäftspartner.«
Steffie fuhr sich mit den Fingern über die Stirn und den blondgefärbten Bob. »Du bist so langweilig, Alexa! Gönn dir doch einfach mal ein wenig Abwechslung. Ein bisschen Spaß. Für ein bezahltes Abendessen im angesagtesten Restaurant der Stadt würden andere Schlange stehen. Aber wenn du nicht willst, muss ich den Auftrag eben ablehnen.« Steffie stand auf und lief zur Tür.
Alexa verzog das Gesicht und begann innerlich bereits mit sich zu schimpfen – sie konnte ihre soeben getroffene Entscheidung selbst nicht verstehen. Steffie hatte recht. Ihr Leben verlief zurzeit so normal, dass es langweilig wurde. Außerdem war die Aussicht auf einen verfrühten Feierabend zu verführerisch.
»Warte – okay, ich mach’s. Aber nur dieses eine Mal. Und nur, wenn ich jetzt wirklich Feierabend machen darf!«
Ihre Chefin wirbelte strahlend herum und klatschte entzückt in die Hände. »Ich bezahl sogar ein neues Outfit, wenn du was brauchst.«
Natürlich hätte sie keines gebraucht, doch welche Frau lehnte schon neue Klamotten ab? Jetzt stand Alexa vor dem Spiegel und begutachtete sich von allen Seiten. Sie hatte sich für ein schlichtes schwarzes Etuikleid mit halblangen Ärmeln und ebenso schlichte schwarze Pumps entschieden. Auch ihren Schmuck hielt sie minimalistisch – und doch effektiv. Ihre langen braunen Haare hatte sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Alles in allem wirkte sie elegant, schlicht und hoffentlich so, als würde sie dazugehören.
Warum hatte sie nur zugesagt? Zwei Jahre hatte sie sich nun erfolgreich gegen Steffies immer wiederkehrendes Bitten und Flehen gesträubt. Wieso war es ihr heute nicht gelungen? Hatte sie überhaupt versucht, Nein zu sagen? Was, wenn der Abend in einem Desaster endete? Wenn sie den Anforderungen nicht gewachsen war? Wenn sie sich zu Tode langweilen würde? Oder noch schlimmer: wenn sie es verpatzte? Wenn ihr tollpatschig das Glas umfallen oder sie sich beim Essen verschlucken würde? Tief Luft holend kämpfte Alexa gegen die aufsteigende Nervosität an. Schnell griff sie nach ihrem Mantel und der Handtasche und stürmte aus der Wohnung. Flucht nach vorne war in diesem Fall wohl die beste Möglichkeit.
Zwanzig Minuten später betrat sie das von Steffie angepriesene Restaurant. Hier roch es nicht nur nach köstlichem Essen, sondern auch nach unglaublich viel Geld.
Als sie durch die große Schwebeglastür trat, straffte Alexa ganz automatisch ihre Schultern, hob ihr Kinn und nahm Haltung an. Der Concierge begrüßte sie mit einem Lächeln und Alexa bemühte sich, ihre Begeisterung, tatsächlich hier zu sein, nicht nach außen zu tragen. Als sie nach ihrer Reservierung gefragt wurde und die Antwort Kronberg lautete, überschlug sich der Angestellte förmlich vor Höflichkeit. Ein Geizkragen schien ihr Auftraggeber also nicht zu sein.
Sie wurde zu einer vom Restaurant abgetrennten Bar geführt, in welcher man darauf wartete, seinem Tisch zugewiesen zu werden. Der Concierge zeigte auf das hintere Ende des Raums und verabschiedete sich mit einer angedeuteten Verbeugung. Alexa wusste nicht, worüber sie sich mehr wundern sollte – über das Verhalten des Angestellten oder den Anblick, der sich ihr bot.
So unauffällig wie möglich ließ sie ihren Blick durch den Raum gleiten. Diese Bar war einfach atemberaubend. Sie ähnelte einem Wintergarten mit gusseisernen Trägern und Querbalken. In der Mitte öffnete sich die Decke in ein überdimensionales, pyramidenähnliches Glasdach und rings herum hingen kristallene Kronleuchter, welche sich perfekt in das kontrastreiche, kubanische Ambiente einfügten. Palmen und Kaffeepflanzen unterteilten die komplette Bestuhlung in nischenartige Bereiche und boten den Gästen diskrete Privatsphäre. Kein Wunder, dass diese Lokalität von Geschäftsleuten gerne besucht wurde.
Geschäftsleute! Deswegen war sie ja hier. Doch vor lauter Begeisterung über den Raum und Verwunderung über den Concierge, hatte sie diesem nicht zugehört, als er erklärt hatte, wo genau Kronberg saß. Rasch blickte sich Alexa um und hielt Ausschau nach einem Mann, der auf Noah Kronbergs Beschreibung passte. Groß, dunkelhaarig, Anzugträger.
Prima! Das könnte jeder Zweite hier sein.
Ihr Blick huschte noch mal über die einsehbaren Tische und blieb an einem an der hinteren Glasfassade hängen. Groß, dunkelhaarig, Anzugträger. Harter, emotionsloser Gesichtsausdruck, saß allein am Tisch, mit seinem Smartphone am Ohr und in Unterlagen vertieft. Der musste es sein. Alexa verzog das Gesicht. Großartig! Man hätte sie vorwarnen können, dass dieser von Weitem wie ein Eisblock wirkende Mann der attraktivste war, dem sie je begegnet war. Sie erinnerte sich, dass Steffie etwas von einem süßen Typen erwähnt hatte. Normalerweise stimmten ihre Geschmäcker bei Männern ganz und gar nicht überein, doch in diesem Fall musste sie ihr anstandslos zustimmen. Nein, eigentlich doch nicht. Süß waren andere. Der hier war … Resigniert schüttelte sie den Kopf und versuchte die aufkeimenden, unsittlichen Gedanken zu vertreiben.
Sie holte ein letztes Mal tief Luft, lief auf ihn zu und blieb schließlich in einem diskreten Abstand vor ihm stehen. Das Telefonat schien wichtig zu sein, denn sie wurde mit keinem Blick gewürdigt. Sie war sich noch nicht einmal sicher, ob er sie überhaupt bemerkt hatte. Damit konnte Alexa in diesem Augenblick jedoch gut leben, denn in der Stimme ihres Auftraggebers lag eine Gefühlskälte, die selbst einen Vulkan zum Frieren gebracht hätte. Alexa begann zu hoffen, dass sie sich irrte und dieser Mann nicht Kronberg war. Gutaussehend und frostig? Eine schlimmere Kombination konnte sie sich nicht vorstellen.
Um sich abzulenken, huschte ihr Blick erneut durch den Raum, bis er an der gegenüberliegenden Seite haften blieb. Eine kleine, etwas korpulentere Dame, deren Gesicht aussah, als wäre sie ein paarmal zu oft beim Chirurgen gewesen, verabschiedete sich gerade von einer Frau, mit der sie den Operateur wohl teilte. Doch ausgerechnet dieses Leopardengesicht zeigte ihr ungewollt, dass es hier mehr als nur gutaussehende Männer gab, die Alexa gefallen würden. Denn sie trug Alexas neue unerfüllte Liebe. Einen Schurwoll-Daunenmantel von dem italienischen Luxuslabel mit dem Hahn im Logo. Alexa hatte ihn letzte Woche in einem Magazin beim Friseur entdeckt und sich unsterblich verliebt. Doch die Tatsache, dass die Zahlenkombination auf dem Preisschild nicht mal im Ansatz ihrem Geldbeutel entsprach, raubte ihr jegliche Hoffnung, ihn irgendwann ihr Eigen nennen zu können. Resigniert schmollte sie vor sich hin und hielt sich zur eigenen Beruhigung vor Augen, dass diese Frau dem Mantel bei Weitem nicht gerecht wurde. Ihr selbst würde dieser Traum in Schwarz definitiv besser stehen.
»Frau Scholz?« Eine tiefe Männerstimme mit genervtem Unterton riss sie aus ihren Gedanken.
»Äh, ja – Herr Kronberg? Oh, Entschuldigung!« Der Mann stand so nah hinter ihr, dass sie beim Umdrehen fast mit ihm zusammenstieß. Alexa wich einen Schritt zurück. Obwohl sie sich mit fast eins siebzig nun wirklich nicht als Winzling bezeichnen würde, fühlte sie sich, als würde sie vor einem Schrank stehen.
»Da ich Ihren Namen kenne, bin ich wohl der, den Sie suchen.« Sein Blick glitt einmal an ihr auf und ab, ohne dabei seinen emotionslosen Ausdruck zu ändern. Mit einer unmerklichen Handbewegung bat er sie, Platz zu nehmen.
Prima, es konnte also doch schlimmer kommen, als nur gutaussehend und frostig. Arroganz schien das Paket harmonisch abzurunden. Das würde ja ein umwerfender Abend werden.
Kronberg sah sie weiter gefühlskalt an. Genau so, wie er zuvor das Telefonat geführt hatte. Lediglich ein leichtes Zucken an seinen Mundwinkeln ließ darauf schließen, dass es sich bei ihm um einen Menschen und nicht um einen Roboter handelte.
»Wenigstens sind Sie pünktlich – das ist ja schon mal gut.« Ohne ein weiteres Wort vertiefte er sich wieder in seine Unterlagen.
Alexa nahm Platz und starrte ihn irritiert an. Irgendetwas stimmte an diesem Mann ganz und gar nicht. Oder hatten ihre Sensoren für Menschen, möglicherweise durch die exzessive Partynacht von vorgestern, irreparablen Schaden genommen? Sie hatte das Gefühl, einem Eisklotz gegenüber zu sitzen. Und trotzdem war sie so zittrig und nervös wie ein verliebter Teenager.
Alexas Blick glitt einmal über alles, was sie von ihrem Gegenüber erkennen konnte. Kronberg war groß, breitschultrig und selbst durch den perfekt sitzenden Anzug hindurch konnte man seinen maskulinen Körperbau erahnen. Seine Hände waren groß und die Finger lang. Während sie ihn musterte, blieb ihr Blick immer wieder an seinen Haaren hängen. Obwohl er nicht älter als Mitte dreißig wirkte, waren die dunkelbraunen Haare von einzelnen, kaum sichtbaren silbernen Strähnen durchzogen. Wahrscheinlich war er ein Workaholic, der spätestens in zwei Jahren seinen ersten Herzinfarkt zu verbuchen hatte. Dann würden graue Haare sein kleinstes Problem sein. Obwohl sie ihm definitiv Autorität verliehen.
Nervös fuhr sich Alexa mit den Fingern über Hals und Schlüsselbein. Warum wurde es auf einmal nur so heiß? Und das in der Nähe eines solchen Eisklotzes. Große Güte. Vermutlich, weil Steffie recht hatte. Er war süß. Nein – sexy. Oh Gott – er war einfach alles. Und allem Anschein nach auch ein arrogantes Arschloch.
»Ihr erstes Mal, habe ich gehört?« Seine tiefe, raue Stimme riss Alexa aus ihren Gedanken.
Da an seiner Emotionslosigkeit nicht zu erkennen war, wie er diesen Umstand interpretierte, verkrampfte sie sich. Sie bejahte daher lediglich durch ein Nicken.
»Gut, dann haben wir zumindest eine Gemeinsamkeit, die wir heute nicht vorspielen müssen. Bisher blieb es mir erspart, mit gebuchter Begleitung erscheinen zu müssen. Der Klient, mit dem ich mich heute treffe, ist ein sehr emotionaler und familienbezogener Mensch. Im Gegensatz zu normalen Geschäftsabschlüssen ist dies ein Faktor, der bei seinen Entscheidungen sehr schwer wiegt. Also war dieser Schritt notwendig. Ihre Aufgabe wird heute Abend sein, seine Tochter gut zu unterhalten. Sie begleitet ihn auf seiner Geschäftsreise. Wenn ich das Ganze richtig verstanden habe, um sich die Universität genauer anzusehen, an der sie ab nächstem Jahr studieren wird. Ob Sie sich nun über Unis, Shoppen oder sonstigen Frauenkram unterhalten, ist mir egal. Nur sollten Sie bitte keine Fragen zu Ihrem oder meinem Privatleben aufkommen lassen, was bei einer Zweiundzwanzigjährigen durchaus vorkommen könnte. In dem Fall lenken Sie so seriös wie möglich auf ein anderes Thema um. Sonst noch irgendwelche Fragen?«
Ja – natürlich hatte sie Fragen. Durfte sie nach Hause und sich mit einem Glas Wein und einer Pizza vom Lieferservice auf der Couch verkriechen? Warum passte die Laune dieses Menschen nicht zu seinem Aussehen? Und warum hatte sie sich nur überreden lassen, heute Abend hierher zu kommen? »Wie spreche ich Sie an?«
Wieder huschte ein kaum merkliches Zucken um Kronbergs Lippen und sein kurzes Schweigen verriet ihr, dass er sich hierüber wohl noch keine Gedanken gemacht hatte. Trotzdem beantwortete er ihre Frage nur mit minimaler Verzögerung. »Noah. Herr Kronberg wäre vermutlich verräterisch. Und wie soll ich Sie nennen?«
»Alexa. Oder Alexandra – wie Sie möchten.«
»Ihr richtiger Name oder nur für Geschäftszwecke?«
Alexa versuchte, ihr Entsetzen zu überspielen. An die Sache mit dem Namen hatte auch sie nicht gedacht. »Da ich normalerweise nur im Büro arbeite, benötige ich eigentlich kein Pseudonym.«
Der scharfe Blick aus Kronbergs dunkelbraunen Augen bohrte sich in ihre. Alexa hielt ihm nicht lange stand, verlegen sah sie auf die Tischplatte. Doch sie spürte, wie sein Blick weiter unbewegt auf ihr ruhte und sich förmlich in sie einbrannte. Alexa begann, sich unwohl zu fühlen. Warum nur konnte sie diesen Mann nicht einschätzen? Seine Miene verriet bisher nicht im Geringsten, ob seine Musterung Kritik oder Einverständnis an ihrer Person bedeutete. In Alexa wuchs die Befürchtung, dass es ein sehr langer, unschöner Abend werden könnte.
Aus den Augenwinkeln nahm sie wahr, wie sich die Köpfe der anwesenden Frauen nach dem Mann in ihrem Rücken umdrehten. Keiner Einzigen konnte sie es verdenken. Sie selbst hätte es wahrscheinlich auch getan. Natürlich bevor sie wusste, dass bei ihm Optik und Charakter nicht einmal annähernd zusammenpassten. Noah Kronberg lief schräg hinter ihr her und legte auf halbem Weg seine Hand an ihren Rücken. Alexa fand das angesichts der Tatsache, dass der Concierge sie zu ihrem Tisch führte, mehr als unnötig. Als sie endlich saßen, traf sie ein eisiger Blick.
»Sind Sie sich sicher, dass Sie das hier heute zum ersten Mal machen?«
Alexa blickte verunsichert auf. »Ja. Warum?«
»Weil jedes männliche Augenpaar in diesem Raum Sie auf dem Weg hierher fixiert hat wie ein Löwe seine Beute. Ich dachte nur, dass die Herren vielleicht schon das Vergnügen hatten, Ihre Bekanntschaft zu machen. Wenn ja, wäre das heute Abend sehr kontraproduktiv für mich.« Kronbergs Stimme klang nicht nur frostig, auch ein überheblicher Zwischenton hatte sich dazugemischt. Er sah sie nicht einmal mehr an, sondern tippte bloß geschäftig auf seinem Smartphone herum.
Alexas Magen fing an, sich zu krümmen, und sie spürte, wie sich jede einzelne Faser ihres Körpers abwehrend anspannte. Diesen Unterton in seiner Stimme kannte sie nur zu gut. Und sie wusste, was er unterstellen sollte. Es kostete viel Überwindung, nicht einfach aufzustehen und zu gehen. Angewidert senkte sie den Blick und fuhr mit den Fingerspitzen über die Tischkante. »Nein, da müssen Sie sich keine Gedanken machen. Ich glaube nicht, dass ich irgendjemanden in diesem Gebäude auch nur annähernd kenne. Und so wie ich das eben überblicken konnte, waren es nicht die Männer, sondern die Frauen, die sich die Hälse verrenkt haben. Und sicherlich nicht meinetwegen. Möglicherweise hatte die eine oder andere ja schon das Vergnügen, Ihre Bekanntschaft zu machen. Falls nicht, gibt es offensichtlich genug Anwärterinnen dafür.«
Wieder spürte sie seine Musterung und musste sich dazu zwingen, den Kopf zu heben, um ihn anzusehen. Ihre Blicke trafen sich und seine Mundwinkel begannen wieder zu zucken. Alexa rechnete mit weiteren arroganten Kommentaren. Immerhin war ihre Antwort alles andere als angemessen gewesen.
Glücklicherweise nahte ihre Rettung in Form der erwarteten Gäste. Endlich nicht mehr allein mit der Eisskulptur. Jetzt konnte es nur besser werden.
Alexa sah zu, wie ihr Auftraggeber sich erhob, um seinen japanischen Geschäftspartner mit einer traditionellen Verbeugung zu begrüßen. Jedoch nicht ohne ihr vorher einen letzten, zurechtweisenden Blick zu schenken. Alexa wandte sich ab und musterte Kronbergs Klienten. Er war klein, schmal, trug eine Brille und einen strengen Gesichtsausdruck. Neben Kronberg wirkte er nicht nur schmächtig, sondern furchtbar winzig. Ein kurzer, auffordernder Blick ihres Auftraggebers verriet ihr, dass auch sie den Gast traditionell begrüßen sollte. Prima. Vielleicht hätte sie noch schnell einen Japanischkurs für Anfänger absolvieren sollen. Mit gespielter Freundlichkeit stand sie auf und bemerkte, dass Herr Takahashi gut und gerne fünf Zentimeter kleiner war als sie selbst. Ihre Fünf-Zentimeter-Absätze bereits abgezogen. Die Tochter hingegen befand sich auf Augenhöhe und reichte ihr zur Begrüßung die Hand. Ein herzliches und warmes Lächeln schlug Alexa entgegen. Sie spürte, dass die Chance auf einen angenehmen und unterhaltsamen Abend blitzartig gestiegen war.
Alexas Hoffnung wurde mehr als erfüllt. Youko Takahashi entpuppte sich als sehr angenehme Tischnachbarin, mit der sie sofort ins Gespräch kam. Entgegen aller Erwartungen schien die Japanerin keines der verwöhnten Snob-Töchterchen zu sein, die sie aus ihren Zeiten in der Kanzlei kannte. Glücklicherweise sprach sie, im Gegensatz zu ihrem Vater, fließendes Deutsch, was die Unterhaltung mit ihr umso angenehmer gestaltete. Takahashi hingegen unterhielt sich ausschließlich auf Englisch. Selbst wenn er mit seiner Tochter sprach, behielt er diese Sprache bei. Alexa hatte dabei keine Probleme, Youko und Kronberg zu folgen. Bei Takahashi war das anders. Sein sehr ausgeprägter Akzent machte es ihr fast unmöglich, ihn zu verstehen, und trieb ihr die pure Panik in die Adern. Kronberg würde sie vermutlich in der Luft zerfleischen, wenn sie Takahashi keine oder gar eine falsche Antwort geben würde.
Youko schien ihre Bedenken zu spüren, denn kurz bevor das Essen serviert wurde, beugte sie sich zu ihr herüber und flüsterte leise hinter vorgehaltener Hand. »Vaters Englisch ist furchtbar! Findest du nicht auch? Ich verstehe manchmal kein einziges Wort. Aber es ist immer noch besser als sein Deutsch. Ich habe mich wirklich bemüht, es ihm beizubringen. Aber es war eindeutig vergeudete Zeit.«
Alexa biss sich verlegen auf die Unterlippe und unterdrückte ein allzu ausgeprägtes Lächeln. Was sollte sie denn darauf nur antworten? Am besten ablenken. »Wo hast du es eigentlich so perfekt gelernt?«
»Studium. Wenn man in Japan Medizin studiert, gehört Deutsch in den ersten drei Studienjahren zu den Pflichtfächern. Und da ich schon immer wusste, dass ich Medizin studieren will und das mit Vorliebe in Deutschland, habe ich schon sehr früh mit Lernen angefangen.«
»Wow! Klingt, als hättest du dein Leben schon ziemlich früh durchgeplant.«
»Nein, nur mein Studium. Das Leben selbst ist nicht planbar. Es passieren jeden Tag einfach zu viele Dinge, die nicht kalkulierbar sind. Und es wäre doch schade, wenn man das Leben verpasst, nur weil man die Augen stur auf einen