Entdecken Sie Millionen von E-Books, Hörbüchern und vieles mehr mit einer kostenlosen Testversion

Nur $11.99/Monat nach der Testphase. Jederzeit kündbar.

Magnus Ridolph
Magnus Ridolph
Magnus Ridolph
eBook339 Seiten5 Stunden

Magnus Ridolph

Bewertung: 0 von 5 Sternen

()

Vorschau lesen

Über dieses E-Book

Magnus Ridolph ist ein Detektiv, der seine Fälle durch Überlegung löst, nicht durch körperliche Anstrengung. Er ist kein muskelbepackter Adonis, sondern ein gesetzter älterer Herr. Das Geld, welches er durch das Lösen der Fälle verdient, legt er gern genießerisch, mitunter auch risikoreich an und so ist es häufig genauso schnell zerronnen wie gewonnen.
Inhalt: »Die Kokod-Krieger«, »Der unsägliche McInch«, »Die heulenden Schlinger«, »Der König der Diebe«, »Der Kurort zwischen den Sternen«, »Der Gnadenstoß«, »Die manipulierten Sardinen«, »Das mysteriöse Verschwinden«, »Die Unglücks-Bergwerke« und »Die Sanatoris-Abkürzung«.
Die beiden zuletzt genannten Geschichten sind in Deutsch bisher nur in der limitierten Ausgabe der Edition AI erschienen.
SpracheDeutsch
HerausgeberXinXii
Erscheinungsdatum16. Sept. 2018
ISBN9781619472945
Magnus Ridolph
Autor

Jack Vance

Jack Vance (richtiger Name: John Holbrook Vance) wurde am 28. August 1916 in San Francisco geboren. Er war eines der fünf Kinder von Charles Albert und Edith (Hoefler) Vance. Vance wuchs in Kalifornien auf und besuchte dort die University of California in Berkeley, wo er Bergbau, Physik und Journalismus studierte. Während des 2. Weltkriegs befuhr er die See als Matrose der US-Handelsmarine. 1946 heiratete er Norma Ingold; 1961 wurde ihr Sohn John geboren. Er arbeitete in vielen Berufen und Aushilfsjobs, bevor er Ende der 1960er Jahre hauptberuflich Schriftsteller wurde. Seine erste Kurzgeschichte, »The World-Thinker« (»Der Welten-Denker«) erschien 1945. Sein erstes Buch, »The Dying Earth« (»Die sterbende Erde«), wurde 1950 veröffentlicht. Zu Vances Hobbys gehörten Reisen, Musik und Töpferei – Themen, die sich mehr oder weniger ausgeprägt in seinen Geschichten finden. Seine Autobiografie, »This Is Me, Jack Vance! (»Gestatten, Jack Vance!«), von 2009 war das letzte von ihm geschriebene Buch. Jack Vance starb am 26. Mai 2013 in Oakland.

Mehr von Jack Vance lesen

Ähnlich wie Magnus Ridolph

Ähnliche E-Books

Fantasy für Sie

Mehr anzeigen

Ähnliche Artikel

Rezensionen für Magnus Ridolph

Bewertung: 0 von 5 Sternen
0 Bewertungen

0 Bewertungen0 Rezensionen

Wie hat es Ihnen gefallen?

Zum Bewerten, tippen

Die Rezension muss mindestens 10 Wörter umfassen

    Buchvorschau

    Magnus Ridolph - Jack Vance

    www.editionandreasirle.de

    Inhaltsverzeichnis

    Die Kokod-Krieger

    Der unsägliche McInch

    Die heulenden Schlinger

    Der König der Diebe

    Der Kurort zwischen den Sternen

    Der Gnadenstoß

    Die manipulierten Sardinen

    Das mysteriöse Verschwinden

    Die Unglücks-Bergwerke

    Die Sanatoris-Abkürzung

    Die Kokod-Krieger

    I

    Magnus Ridolph saß auf der Glasmole in Providenzia und fingerte an seinem Doppelachtel Blauem Ruin herum. Hinter ihm erhob sich die Granatee-Spitze; vor ihm erstreckte sich das Mille-Iles-Meer mit den unzähligen kleinen Inselchen, jede von ihnen mit Bäumen und einer neoklassischen Villa. Ein großartiger blauer Himmel war über ihm und unterhalb seiner Füße, unter dem Glasboden der Mole, lag der Korallen-Canyon mit Schulen von Seemotten, die blitzten und flimmerten wie metallene Schneeflocken. Magnus Ridolph nippte am Likör und prüfte eine Mitteilung seiner Bank, die einen Finanzzustand beschrieb, der kaum von Armut zu unterscheiden war.

    Vielleicht war er zu vertrauensselig mit dem Geld umgegangen. Vor einigen Monaten war die Investment- und Immobiliengesellschaft Äußeres Imperium, der er eine beträchtliche Summe anvertraut hatte, Bankrott gegangen. Der Vorstandsvorsitzende Herr See und der leitende Geschäftsführer Herr Holpers hatten einander gegenseitig unerwartet hohe Gehälter bezahlt, deren Großteil aus Magnus Ridolphs Kapitalanlage stammte.

    Magnus Ridolph seufzte und blickte den Likör an. Dieser würde der letzte sein; danach musste er vin ordinaire trinken, eine Flüssigkeit, die eher an Estragonessig erinnerte und aus der fermentierten Rinde eines örtlichen Kaktus’ stammte.

    Der Kellner näherte sich. »Eine Dame wünscht Sie zu sprechen, mein Herr.«

    Magnus Ridolph putzte sich über den ordentlichen weißen Bart. »Bei allem, was recht ist, führen Sie sie hierher.«

    Der Kellner kehrte zurück; Magnus Ridolphs Augenbrauen nahmen S-Form an, als er seinen Gast sah: eine Frau von eindrucksvoller Präsenz und einem Ausdruck militärischer und ehrwürdiger Tugend. Ihr Interesse an Magnus Ridolph war eindeutig beruflich bedingt.

    Sie blieb abrupt stehen. »Sie sind Herr Ridolph?«

    Er verbeugte sich. »Möchten Sie sich setzen?«

    Die Frau nahm recht zögernd Platz. »Irgendwie, Herr Ridolph, hätte ich jemanden erwartet, der – na ja …«

    Magnus Ridolphs Entgegnung war weltmännisch. »Einen jüngeren Mann, vielleicht? Mit auffälligem Bizeps, einer Pistole am Gürtel und einem Raumhelm auf dem Kopf? Oder alarmiert Sie vielleicht mein Bart?«

    »Na ja, nicht genau das, aber mein Geschäft …«

    »Ah, Sie kommen in beruflicher Absicht zu mir!«

    »Nun, ja. Das würde ich sagen.«

    Trotz der Mitteilung seiner Bank – die er jetzt faltete und in die Tasche steckte – sprach Magnus Ridolph mit Entschlossenheit. »Wenn Ihr Geschäft Leistungen von körperlichem Heldenmut verlangt, bitte ich Sie jemand anderes anzuheuern. Mein Pförtner könnte Ihren Bedürfnissen genügen: ein ausgezeichneter Kerl, der seine Freizeit damit verbringt, Hanteln zu stemmen.«

    »Nein, nein!«, sagte die Frau eilig. »Sie haben mich sicher missverstanden; ich hatte mir lediglich eine andere Art von Person vorgestellt …«

    Magnus Ridolph räusperte sich. »Was ist Ihr Problem?«

    »Nun – ich bin Martha Chickering, Sekretärin des Frauenbunds für die Erhaltung Moralischer Werte. Wir bekämpfen einen besonders schändlichen Zustand, den zu beheben sich das Gesetz weigert. Wir haben an die bessere Natur der darin verstrickten Personen appelliert, aber ich fürchte, dass der finanzielle Gewinn mehr bedeutet als jeglicher Anstand.«

    »Seien Sie so nett und legen Sie mir das Problem dar.«

    »Sind Sie vertraut mit der Welt …«, sie sprach es aus, als handele es sich um eine Gesellschaftskrankheit, »… Kokod?«

    Magnus Ridolph nickte ernst und strich sich über den ordentlichen weißen Bart. »Ihr Problem nimmt Gestalt an.«

    »Dann können Sie uns helfen? Jeder rechtschaffene Mensch verdammt solche Vorgänge – diese brutalen, würdelosen, widerlichen …«

    Magnus Ridolph nickte. »Die Ausbeutung der Einheimischen von Kokod ist kaum lobenswert.«

    »Kaum lobenswert!«, rief Martha Chickering. »Es ist verabscheuenswürdig! Es ist ein Handel mit Blut! Wir verabscheuen die sadistischen Rohlinge, die die Stierkämpfe unterstützen – aber wir dulden, ja wir ermutigen sogar die furchtbaren Dinge, die auf Kokod stattfinden, während Holpers und See täglich reicher werden.«

    »Ha, ha!«, entfuhr es Magnus Ridolph. »Bruce Holpers und Julius See?«

    »Nun, ja.« Sie blickte ihn fragend an. »Vielleicht kennen Sie sie?«

    Magnus Ridolph lehnte sich auf dem Stuhl zurück und spülte sich den Likör die Kehle hinunter. »Bis zu einem gewissen Grad. Wir standen in einer Beziehung, die man, wie ich glaube, Geschäftsverbindung nennt. Aber einerlei, bitte fahren Sie fort. Ihr Problem hat ein neues Ausmaß angenommen, und die Situation ist bedauerlich, ohne Frage.«

    »Also stimmen Sie zu, dass das Kokod-Syndikat aufgebrochen werden muss? Werden Sie uns helfen?«

    Magnus Ridolph breitete in einer flüssigen Gebärde die Arme aus. »Frau Chickering, meine guten Wünsche stehen zu Ihrer freien Verfügung; eine aktive Teilnahme an diesem Kreuzzug ist eine ganz andere Sache und wird von dem Honorar bestimmt, welches Ihre Organisation zu investieren bereit ist.«

    Frau Chickering sprach steif: »Nun, wir gehen davon aus, dass ein Mann mit Prinzipien bereit ist, gewisse Opfer zu bringen …«

    Magnus Ridolph seufzte. »Sie berühren einen empfindlichen Punkt, Frau Chickering. Ich werde tatsächlich ein Opfer bringen. Statt der ausgiebigen Ruhe, die ich mir selbst versprochen habe, werde ich meine Fähigkeiten Ihrem Problem widmen … Jetzt lassen Sie uns über mein Honorar reden – nein, zuerst sagen Sie mir, was Sie wünschen?«

    »Wir bestehen darauf, dass der Wettbetrieb im Schattental-Hotel zu einem Ende kommt. Wir wollen, dass Bruce Holpers und Julius See verfolgt und bestraft werden. Wir wollen, dass den Kokod-Kriegen ein Ende bereitet wird.«

    Magnus Ridolph blickte in die Ferne und schwieg einen Augenblick. Als er schließlich sprach, war seine Stimme ernst. »Sie zählen Ihre Wünsche in einer absteigenden Abfolge der Durchführbarkeit auf.«

    »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Herr Ridolph.«

    »Das Schattental-Hotel könnte gut mit einer Bombe oder einer Epidemie von Mayerheimers Blähung ausgeschaltet werden. Um Holpers und See zu bestrafen, müssen wir nachweisen, dass ein nichtexistentes Gesetz in verbrecherischer Weise gebrochen wurde. Und um die Kokod-Kriege zu beenden, wird es notwendig sein, das genetische Erbgut, die Drüsentätigkeit, die Ausbildung, den Instinkt und die allgemeine Sichtweise in Hinblick auf das Leben eines jeden der unzähligen Kokod-Krieger zu verändern.«

    Frau Chickering blinzelte und begann zu stammeln; Magnus Ridolph hob höflich die Hand. »Auf der anderen Seite wird Unversuchtes niemals gelingen; ich werde mein Bestes geben, um Ihre Wünsche zu erfüllen. Mein Honorar – tja, in Hinsicht auf die selbstlosen Zwecke, will ich bescheiden sein; tausend Muniten pro Woche, plus Spesen. Zahlbar, wenn es Ihnen recht ist, im Voraus.«

    * * *

    Magnus Ridolph verließ die Mole und stieg die Stufen zur Granatee-Spitze hinauf, die in den grünmelierten Kalkstein geschnitten worden waren. Oben angekommen, hielt er an der schmiedeeisernen Balustrade inne, um Atem zu holen und die Aussicht über das Meer zu genießen. Dann wandte er sich ab, um die mit blauer Borte und silbernem Filigranwerk ausgestattete Lobby des Hotel des Milles Iles zu betreten.

    Er begegnete der Musterung des Empfangsangestellten mit einem ausdruckslosen Gesicht und schlenderte in die Bibliothek, in der er sich eine Kabine suchte und sich vor einen Mnemiphoten setzte. Er suchte im Register nach Kokod und drückte die entsprechenden Knöpfe.

    Der Bildschirm flammte auf. Magnus Ridolph studierte zunächst eine Reihe von Karten, die erkennen ließen, dass Kokod eine äußerst kleine Welt mit hohem spezifischen Gewicht war.

    Als nächstes erschien eine Oberflächenprojektion, begleitet von einem sich langsam bewegenden Streifen beschreibenden Textes:

    Obwohl Kokod eine kleine Welt ist, so ist sie, aufgrund ihrer Schwerkraft und ihrer Atmosphäre, für Menschen doch auf einzigartige Art und Weise bewohnbar. Sie ist jedoch niemals besiedelt worden, da sie bereits eine große Anzahl Autochthonen besitzt und ein Mangel an wertvollen Mineralien besteht.

    Touristen werden im Schattental-Hotel willkommen geheißen, einem Urlaubsort im Tal gleichen Namens. Wöchentliche Postschiffe verbinden das Schattental-Hotel mit Sternhafen.

    Das Interessanteste an Kokod sind die Bewohner.

    Die Karte verschwand, um von einem Bild ersetzt zu werden, das den Titel »Typischer Kokod-Krieger (von der Felsenfluss-Feste)« trug und ein menschenähnliches Wesen von etwa sechzig Zentimetern Größe zeigte. Der Kopf war schmal und spitz; der Rumpf war wie der einer Biene – lang, spitz zulaufend, mit gelben Daunen bedeckt. Dürre Arme hielten eine mehr als einen Meter lange Lanze, ein Steinmesser hing am Gürtel. Die chitingepanzerten Beine starrten vor Stacheln. Der Gesichtsausdruck des Wesens war sanft, beinahe vorwurfsvoll.

    Ein Sprecher sagte: »Sie hören jetzt die Stimme von Sam 192 Felsenfluss.«

    Der Kokod-Krieger holte tief Luft; Hautlappen neben dem Kinn bebten. Aus dem Bildschirm des Mnemiphoten kam ein hohes Schrillen. Die Übersetzung erschien auf einer Konsole zur Rechten.

    »Ich bin Sam 192, Schwadronit, 14. Kompanie der Sturmtruppe im Dienste der Felsenfluss-Feste. Unser Heldenmut ist ein Quell der Verwunderung für alle; unsere großartige Stele ist tief verwurzelt und ihr Umfang wird nur von den Stelen der Rosenhang-Feste und der listigen Muschelstrand-Feste übertroffen. An diesem Tag bin ich auf Einladung der (unübersetzbar) der Kleinplatz-Feste gekommen, um von unseren Siegen und unseren ungemein wirkungsvollen Strategien zu erzählen.«

    Ein anderer Laut war zu hören: Ein Mann sprach mit der Falsettstimme der Kokod-Sprache. Die Übersetzung lautete:

    Frager: Erzählen Sie uns vom Leben auf der Felsenfluss-Feste.

    Sam 192: Es ist sehr gesellig.

    F: Was ist das erste, was Sie morgens tun?

    Antwort: Wir marschieren an den Matronen vorbei, damit die nötige kriegerische Fruchtbarkeit gewährleistet ist.

    F: Was essen Sie?

    A: Wir werden auf dem Feld versorgt.

    (Anmerkung: Der Metabolismus der Kokod ist nicht vollständig geklärt; offenbar fermentieren sie organisches Material in einem Kropf und oxidieren die dadurch entstehenden Alkohole.)

    F: Erzählen Sie uns von Ihrem täglichen Leben.

    A: Wir üben verschiedene Disziplinen, marschieren in den grundlegenden Formationen, schleudern unsere Waffen, bilden die Kinderlinge aus und lassen die Veteranen hochleben.

    F: Wie oft ziehen Sie in die Schlacht?

    A: Wenn es an der Zeit dafür ist: Wenn eine Herausforderung ausgesprochen wurde und wir uns mit dem Gegner auf einen angemessenen Schlachtkodex geeinigt haben.

    F: Sie meinen, Sie kämpfen in verschiedenen Stilarten?

    A: Es gibt 97 Schlachtkonventionen, die zur Anwendung kommen können. Zum Beispiel: Kodex 48, mittels dessen wir die starke Schwarzglas-Feste bezwungen haben, erlaubt nur, die Lanze mit der linken Hand zu führen und verbietet das Durchtrennen der Beinsehnen mit dem Dolch. Wohingegen Kodex 69 darauf beharrt, dass die Sehnen durchtrennt werden müssen, bevor getötet werden darf, und die Lanzen dürfen nur zum Schlagen, nicht zum Stoßen verwendet werden.

    F: Warum kämpfen Sie? Warum gibt es Kriege?

    A: Weil die Stelen der anderen Festen die unsere in Größe überträfen, wenn wir nicht kämpfen und siegen würden.

    (Anmerkung: Die Stele ist ein Korbblütler-Baum, der in jeder Feste wächst. Jeder Sieg wird mit der Beigabe eines Schösslings gefeiert, der sich mit dem Hauptstamm der Stele verbindet und ihn vergrößert. Die Felsenfluss-Stele hat einen Durchmesser von knapp über fünf Metern und wird auf ein Alter von 4.000 Jahren geschätzt. Die Rosenhang-Stele hat einen Durchmesser von beinahe fünfeinhalb Metern und die der Muschelstrand-Feste nahezu von sechs Metern.)

    F: Was würde geschehen, wenn Krieger der Froschteich-Feste die Felsenfluss-Stele abholzen würden?

    Sam 192 gab keinen Laut von sich. Seine Hautlappen bliesen sich auf; der Kopf schaukelte. Nach einem Augenblick wandte er sich um und marschierte aus dem Blickfeld.

    Auf dem Bildschirm erschien ein Mann, der die Schulterabzeichen der Gemeinschafts-Überwachung trug. Er blickte Sam 192 mit einem Ausdruck gönnerhafter Gutmütigkeit nach, den Magnus Ridolph unerträglich fand.

    Die Kokod-Krieger sind aufgrund der zahlreichen Gesellschaftsstudien, die auf der Erde veröffentlicht wurden, gut bekannt. Die vielleicht maßgeblichste von ihnen ist diejenige der Carlisle-Stiftung – Kokod: Eine Militärgesellschaft, Mnemiphoten-Code AK-SK-RD-BP.

    Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen, dass es 81 Festen oder Burgen auf Kokod gibt, von denen sich jede im hoch formalisierten Krieg mit allen anderen befindet. Die evolutionäre Funktion dieser Kriege ist die Vorbeugung gegen die Überbevölkerung auf dieser kleinen Welt. Die Festen-Matronen sind sehr fruchtbar, und nur diese recht proteischen Maßnahmen sichern eine ausgeglichene Ökologie.

    Wiederholt bin ich gefragt worden, ob die Kokod-Krieger den Tod fürchten. Ich glaube, dass die Identifikation mit der Heimat-Feste so groß ist, dass die Krieger nur wenig Sinn für Individualität besitzen. Ihr einziges Streben ist es, Schlachten zu gewinnen, den Umfang ihrer Stele zu vergrößern und so ihre Feste zu verherrlichen.

    Der Mann sprach weiter. Magnus Ridolph langte vor und ließ die Sequenz schneller ablaufen.

    Auf dem Bildschirm erschien das Schattental-Hotel – ein luxuriöses Bauwerk unter sechs hohen Sonnenschirmbäumen. Als Kommentar stand dort:

    Im Schattental-Hotel begrüßen die freundlichen Besitzer Julius See und Bruce Holpers Touristen aus dem gesamten Universum.

    Zwei Nahaufnahmen erschienen – ein dunkler Mann mit finsterem, breitem Gesicht und einem unvorteilhaft zu einem Grinsen verzogenen Mund; und ein anderer Mann, schlaksig und mit langem Kopf, der spärlich mit roten Haaren wie Holzwolle bedeckt war. »See« und »Holpers«, besagte die Legende.

    Magnus Ridolph hielt das Programm an, musterte einige Sekunden lang die Gesichter und ließ die Sequenz weiterlaufen. Der Text lautete:

    Die Herren See und Holpers haben die unaufhörlichen Kriege auf findige Weise genutzt, um ihre Gäste zu zerstreuen. Eine Tafel gibt Quoten für die Schlacht des Tages an – ein Zeitvertreib, der bei wettfreudigen Besuchern große Begeisterung auslöst.

    Magnus Ridolph schaltete den Mnemiphoten aus, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und strich sich nachdenklich über den Bart. »Wenn es Quoten gibt«, sagte er sich, »gibt es auch die Möglichkeit, die Quoten durcheinanderzubringen … Glücklicherweise hindert mich meine Verpflichtung gegenüber Frau Chickering in keiner Weise daran, gewisse Maßnahmen für ein Nebeneinkommen zu treffen. Oder besser gesagt, Wiedergutmachungsgeld.«

    II

    Als Ridolph aus dem Schiff der Phönix-Linie, der Hesperornis, ausstieg, war er für einen Augenblick von den nahen Horizonten erschreckt. Der Himmel schien beinahe bei seinen Füßen zu beginnen.

    Für die Überführung zum Hotel wartete bereits ein im Übermaß geschmückter Kremser. Magnus Ridolph suchte sich vorsichtig einen Platz und als das Gefährt ruckartig anfuhr, wurde eine massige Frau, die mit Moschusduft parfümiert war, gegen ihn gestoßen. »Also wirklich!«, beklagte sich die Frau.

    »Ich bitte tausendmal um Verzeihung«, entgegnete Magnus Ridolph, wobei er sich anders auf dem Sitz positionierte. »Das nächste Mal werde ich mir Mühe geben, Ihnen aus dem Weg zu gehen.«

    Die Frau streifte ihn mit einem verächtlichen Blick und wandte sich ihrer Begleiterin zu, einer Frau mit kleinem Kopf und der kräftigen Kontur eines Pfaus.

    »Begleiter!«, rief die zweite Frau kurz darauf.

    »Ja, Madame.«

    »Erzählen Sie uns etwas von den Kriegen der Einheimischen, wir haben so viel davon gehört.«

    »Sie sind äußerst interessant, Madame. Die kleinen Kerle sind absolut wild.«

    »Ich hoffe, für die Zuschauer besteht keine Gefahr?«

    »Überhaupt keine; sie behalten sich ihre Unfreundlichkeiten für ihresgleichen vor.«

    »Wann finden die Ausflüge statt?«

    »Ich glaube, die Festen Elfenbeindüne und Ostwall marschieren morgen; das Schlachtfeld wird ohne Zweifel in der Nähe der Muskadine-Wiese liegen, also sollte es drei Ausflüge geben. Um beim Aufmarsch dabei zu sein, müssen Sie um fünf Uhr früh das Hotel verlassen; für den Ansturm als solches um sechs Uhr; und um sieben oder acht Uhr für die eigentliche Schlacht.«

    »Das ist aber scheußlich früh«, kommentierte die Matrone. »Etwas anderes ist nicht möglich?«

    »Ich bin mir nicht sicher, Madame. Grünballen und Muschelstrand könnten sich möglicherweise morgen bekriegen, aber dann träfen sie gemäß Konvention 4 aufeinander, was kaum spektakulär ist.«

    »Gibt es nicht etwas in der Nähe des Hotels?«

    »Nein, Madame. Die Schattental-Feste hat gerade einen Feldzug gegen Marmorbogen abgeschlossen und sie sind jetzt damit beschäftigt, ihre Waffen instand zu setzten.«

    »Wie sind die Quoten für das Erste – Elfenbeindüne und Ostwall?«

    »Ich glaube, acht zu fünf für Elfenbeindüne und fünf zu vier für Ostwall.«

    »Das ist seltsam. Warum sind die Quoten nicht ausgeglichen?«

    »Alle Wetten müssen über die Hotelleitung abgeschlossen werden, Madame.«

    Der Transporter ratterte auf den Hotelhof. Magnus Ridolph beugte sich vor. »Seien Sie so nett und halten Sie sich fest, Madame; das Fahrzeug ist dabei stehen zu bleiben, und ich habe keine Lust für einen zweiten unangenehmen Zwischenfall zur Verantwortung gezogen zu werden.«

    Die Frau reagierte nicht. Der Kremser hielt an; Magnus Ridolph kletterte hinaus. Vor ihm war das Hotel und dahinter befand sich eine Berglandschaft, die durchzogen war von fleischigen grünen Blüten an üppigen violetten Sträuchern. Entlang eines Höhenrückens wuchsen hohe schlanke, pappelähnliche Bäume in klarem Schwarz und Rot. Eine höchst farbenfrohe Welt, entschied Magnus Ridolph, der sich umdrehte und den Ausblick das Tal hinunter inspizierte. Dort waren Bänder und Schichten von Farben auszumachen – Rosa, Violett, Gelb, Grün, die in der Ferne zu einem Taubengrau zusammenliefen. Dort, wo das Tal in die Ebene mit dem Fluss mündete, erspähte Magnus Ridolph ein hohes, kegelförmiges Gebäude. »Eine der Festen?«, erkundigte er sich beim Begleiter des Kremsers.

    »Ja, mein Herr – die Wiesenblick-Feste. Die Schattental-Feste ist weiter das Tal hinauf, hinter dem Hotel.«

    Magnus Ridolph drehte sich um und betrat das Hotel. Seine Augen begegneten denen eines Mannes in einem gesetzten schwarzen Anzug – einem kleinen Mann mit plumpem Gesicht, das aussah, als wäre es in einem Schraubstock zusammengedrückt worden. Ridolph erkannte das Antlitz von Julius See. »Na, na, das ist aber eine Überraschung«, sagte Magnus.

    See nickte grimmig. »Welch ein Zufall …«

    »Nach dem unglücklichen Zusammenbruch der Investment- und Immobiliengesellschaft Äußeres Imperium hatte ich erwartet – ja geradezu befürchtet –, Sie niemals wiederzusehen.« Und Magnus Ridolph beobachtete Julius See mit sanften blauen Augen, die so ausdruckslos waren wie die einer Echse.

    »Das Glück ist mir nicht beschieden«, sagte See. »Tatsächlich leite ich das Ganze hier. Ähem, darf ich Sie drinnen für einen Augenblick sprechen?«

    »Gewiss, bei allem was recht ist.«

    Ridolph folgte seinem Gastgeber durch eine gut ausgestattete Lobby in ein Büro. Ein schmalgesichtiger Mann mit schütterem roten Haar und Hasenzähnen erhob sich rasch. »Sie werden sich an meinen Partner, Bruce Holpers, erinnern«, sagte See mit ausdrucksloser Stimme.

    »Natürlich«, sagte Ridolph. »Ich fühle mich geschmeichelt, dass Sie mir Ihre persönliche Aufmerksamkeit zuwenden.«

    See durchschnitt mit der Hand die Luft – eine geringfügig gereizte Gebärde. »Schluss mit dem gewandten Gerede, Ridolph … Was für ein Spiel spielen Sie?«

    Magnus Ridolph lachte ungezwungen. »Meine Herren, meine Herren …«

    »Meine Herren, so ein Quatsch! Kommen wir zur Sache. Wenn Sie irgendwelche Hintergedanken wegen dieser Äußeren-Imperium-Sache haben, vergessen Sie sie.«

    »Ich versichere Ihnen …«

    »Ich habe Geschichten über Sie gehört, Ridolph, und ich habe Sie hereingeführt, um Ihnen zu sagen, dass wir hier einen netten ruhigen Ort leiten und keine Unruhe wollen.«

    »Natürlich nicht«, stimmte Ridolph zu.

    »Vielleicht sind Sie hergekommen, um harmlosen Spaß zu haben und auf die einheimischen Streifenhörnchen zu wetten; vielleicht sind Sie aber auch aus einem Grund hier, den wir ganz und gar nicht gutheißen würden.«

    Ridolph breitete die Hände in einer arglosen Gebärde aus. »Ich kann kaum behaupten, geschmeichelt zu sein. Ich erscheine in Ihrem Hotel, als anerkannter Gast, und Sie nehmen mich beiseite und ermahnen mich.«

    »Ridolph«, sagte See, »Sie haben einen komischen Ruf, und ein normaler Scharfschütze weiß nicht, für welche Seite Sie arbeiten.«

    »Genug davon«, sagte Magnus streng. »Öffnen Sie die Tür oder ich werde entschlossen Protest einlegen.«

    »Sehen Sie«, sagte See ominös, »uns gehört dieses Hotel. Falls uns Ihr Anblick nicht gefällt, können Sie draußen lagern und sich Ihr Essen selbst suchen, bis das nächste Postschiff kommt – was in einer Woche wäre.«

    Magnus Ridolph sagte kalt. »Sie machen sich nur haftbar für Schadenersatzzahlungen, wenn Sie Ihre Drohung wahr machen. Ich werde mich zur Wehr setzten, also setzen Sie mich doch vor die Tür, wenn Sie es wagen!«

    Der schlaksige rothaarige Holpers legte nervös die Hand auf Sees Arm. »Er hat recht, Julie. Wir können ihm unsere Dienste nicht vorenthalten, ansonsten entzieht uns die Überwachung die Lizenz.«

    »Wenn er sich schlecht benimmt oder Unheil anrichtet, können wir ihn vor die Tür setzen.«

    »Dann haben Sie also einen Beweis, dass ich ein Störenfried bin?«

    See wich zurück, die Hände hinter dem Rücken. »Betrachten Sie unser kleines Gespräch als eine Warnung, Ridolph. Seien Sie einfach nur gewarnt.«

    Als er wieder die Lobby betrat, wies Magnus Ridolph an, sein Gepäck auf das Zimmer bringen zu lassen, und fragte nach dem Aufenthaltsort des Beamten der Gemeinschafts-Überwachung.

    »Er hat sich am Rand des Schwarzsumpfs eingerichtet, mein Herr. Sie müssen einen Luftwagen nehmen, es sei denn, Sie möchten die ganze Nacht durchwandern.«

    »Sie dürfen mir einen Luftwagen rufen«, sagte Magnus Ridolph.

    * * *

    Im gut gepolsterten Segelstoffsitz lehnend, sah Ridolph zu, wie das Schattental-Hotel unter ihm zurückfiel. Die Sonne, Pi Sagittarius, die bereits untergegangen war, kam noch einmal in Sicht, als der Wagen aufstieg, um über den Basaltberg zu fliegen, und sank dann erneut zwischen Wogen von Purpur-, Grün- und Rottönen – ein Phönix, der inmitten seines vielfarbigen Blutes starb. Die Kokod-Dämmerung legte sich über den Planeten.

    Unter ihm zogen wundervoll mannigfaltige Landschaften vorüber: Seen und Grüngebiete, Wiesen, Klippen, Felsspitzen, wogende Hügelhänge, Flusstäler. Hier und dort erkannte Ridolph Umrisse im schwindenden Licht – die bienenstockähnlichen Festen. Als der Abend zur taubengrauen Nacht wurde, flackerten die Festen von tanzenden, orangefarbenen Lichtfunken.

    Der Luftwagen ging schräg hinunter und glitt unter eine Gruppe von Bäumen, die wie Staubwedel geformt waren. Magnus Ridolph stieg aus und trat an das Pilotenabteil heran. »Wer ist der Überwachungsbeamte?«

    »Er heißt Clark, mein Herr, Everley Clark.

    Magnus Ridolph nickte. »Es wird nicht länger als zwanzig Minuten dauern. Bitte warten Sie.«

    »Ja, mein Herr. Sehr wohl, mein Herr.«

    Magnus Ridolph blickte den Mann scharf an: War da ein Anflug von Anmaßung hinter der formalen Höflichkeit? … Er schritt zu dem Nurdachgebäude. Die obere Hälfte der Tür stand weit offen; heiteres gelbes Licht flutete hinaus in die Kokod-Nacht. Magnus Ridolph erhaschte einen Blick auf einen hochgewachsenen rosigen Mann in adretten lohfarbenen Gabardinehosen. Etwas an seinen Gesichtszügen schlug eine Saite der Erinnerung an; wo hatte er dieses rosige Gesicht zuvor bereits gesehen? Er klopfte zackig an die Tür; der Mann drehte den Kopf und erhob sich recht mürrisch. Magnus Ridolph erkannte, dass der Mann derjenige aus der Mnemiphoten-Präsentation über Kokod war, der Mann, der den Krieger, Sam 192, befragt hatte.

    Everley Clark kam zur Tür. »Ja? Was kann ich für Sie tun?«

    »Ich hatte gehofft, Sie würden mir das Vorrecht einräumen, einige Worte mit Ihnen zu wechseln«, erwiderte Magnus Ridolph.

    Clark blies die Wangen auf und fummelte am Türriegel. »Durchaus«, sagte er hohl. »Treten sie ein, mein Herr.« Er winkte Magnus Ridolph zu einem Stuhl. »Wollen Sie sich nicht setzen? Ich heiße Everley Clark.«

    »Ich bin Magnus Ridolph.«

    Clark zeigte keine Anzeichen des Erkennens und reagierte nur mit einem nichtssagenden, forschenden Starren.

    Ridolph fuhr ein wenig frostig fort. »Kann ich davon ausgehen, dass unsere Unterhaltung vertraulich behandelt wird?«

    »Vollkommen, mein Herr. Durchaus.« Clark legte einen gewissen Grad an Munterkeit zutage, ging zum Kamin, blieb dort stehen und wärmte sich die Hand an einem imaginären Feuer.

    Ridolph wählte seine Worte mit Bedacht, um eine maximale Wirkung zu erzielen. »Ich bin von einer bedeutenden Organisation engagiert worden, die ich nicht nennen darf. Die Mitglieder dieser Organisation – die, wie ich sagen darf, einen nicht unerheblichen politischen Einfluss ausübt – meinen, dass die Verwaltung der Angelegenheiten auf Kokod durch die Überwachung grob uneffizient und unkorrekt ist.«

    »Tatsächlich!« Clarks förmliche Umgänglichkeit schwand, als sei ein Flutlicht ausgeschaltet worden.

    Magnus Ridolph fuhr nüchtern fort. »In Anbetracht dieser Anschuldigungen habe ich es für meine Pflicht gehalten, mit Ihnen zu reden, um Ihren Standpunkt in Erfahrung zu bringen.«

    Clark sagte grimmig. »Was

    Gefällt Ihnen die Vorschau?
    Seite 1 von 1