Mein erster Ausritt: Sicher mit dem Pferd ins Gelände
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Buchvorschau
Mein erster Ausritt - Birgit van Damsen
Damsen)
VERHALTEN UND HALTUNG DES GELÄNDEPFERDES
Die arteigenen Verhaltensweisen und Sinnesleistungen des Pferdes sollten jedem Reiter geläufig sein, um typische Reaktionen vorausahnen und einschätzen zu können. Eine möglichst artgerechte Haltungsform ist elementar für ein ruhiges und ausgeglichenes Geländepferd.
Was man über Flucht- und Herdentrieb wissen sollte
Die freie Landschaft ist das natürliche Umfeld des Pferdes, welches als grasfressendes Fluchtwild ursprünglich in der Steppe lebte, wo das schnelle Davonlaufen vor fleischfressenden Jägern die wichtigste Überlebensregel war. Auch bei unseren domestizierten Pferden ist dieses Fluchtverhalten weitgehend erhalten geblieben.
So wird ein Pferd immer versuchen, Furcht einflößenden Gegenständen oder Situationen auszuweichen, wenn es sich bedroht fühlt. Im günstigsten Fall bleibt es einfach nur stehen oder macht einen Riesenbogen. Gerät es aber in Panik, wird es die Flucht ergreifen. Nun gibt es Reiter, die dieses instinktgeleitete Verhalten fälschlicherweise für Ungehorsam halten und ihr Pferd dafür bestrafen. Dieses Vorgehen forciert aber die Angst und damit den Fluchttrieb und sorgt zudem für einen enormen Vertrauensverlust des Pferdes gegenüber seinem Reiter. Nur souveränes Verhalten des Reiters und geduldige Gewöhnung an unbekannte Gegenstände, Geräusche, Gerüche und Situationen können dem Pferd die Angst nehmen und den Fluchttrieb eindämmen. Allerdings kann sich auch das sicherste Geländepferd mal erschrecken und seinen Urinstinkten folgen. Ein Pferd ist und bleibt eben ein Fluchttier.
Deshalb sollte man immer vorausschauend reiten, das Pferd auf mögliche Angstauslöser aufmerksam machen und rechtzeitig das Tempo drosseln, um panikartige Reaktionen weitestgehend auszuschließen. Zum arttypischen Verhalten des Pferdes gehört auch der Herdentrieb. Pferde fühlen sich vorwiegend in der Gesellschaft von Artgenossen geborgen und sicher. Der Herdentrieb kann bei Gruppenausritten im schnellen Tempo wie Jagdreiten verstärkt auftreten, da dieser Urinstinkt im Pulk vermehrt geweckt wird. Ebenso ist das Kleben keine Untugend, sondern nur ein sehr ausgeprägter Herdentrieb aufgrund von Unsicherheit und Vertrauensmangel dem Menschen gegenüber. Auch der sogenannte Stalldrang, mit dem man das Eiligerwerden auf dem Heimweg bezeichnet, hat nichts damit zu tun, dass das Pferd zurück in den Stall will, sondern drückt lediglich den Wunsch des Pferdes aus, zu seinen Artgenossen zurückzukehren.
Auf einer Koppel kann man das Herdenverhalten der Pferde sehr gut beobachten: Die rangniederen Tiere weichen respektvoll, aber furchtlos und folgen den ranghöheren, die sich wiederum am Leittier orientieren, dem sie vollkommen vertrauen. Im Grunde müsste der Mensch also genau diese Position einnehmen, um dem Pferd das nötige Sicherheitsgefühl im Gelände zu vermitteln.
Die Natur aus Pferdeperspektive
Unkenntnis über die hoch entwickelten und spezialisierten Sinnesorgane des Steppentieres Pferd führen oft zu Missverständnissen und fehlerhaftem Verhalten des Reiters. Das Pferd sieht durch seine seitlich am Kopf sitzenden Augen ganz anders als der Mensch. Sie sorgen für einen fast vollständigen Rundumblick – allerdings ist der unscharf und nur zweidimensional. Nur vor sich bis zu einer Entfernung von etwa 10 Metern nimmt es Gegenstände mit beiden Augen gleichzeitig, scharf und dreidimensional wahr. Diese selektive Sicht verhindert eine für das Gehirn zu große Datenflut, die die Reaktionszeit des Fluchttieres lebensbedrohlich verlängern würde.
Im Bereich der Nüstern und des Schweifes existieren sogenannte blinde Zonen, in denen das Pferd nur etwas erkennen kann, wenn es seinen Kopf zur Seite dreht. Weil es seine Augen zwar seitwärts, aber kaum nach oben und unten bewegen kann, muss es seinen Kopf heben, wenn es in die Ferne schauen will, respektive senken, wenn es den Boden betrachten möchte. Das erklärt, warum Pferde, die ihren Kopf beim Geländereiten frei bewegen dürfen, eine bessere Übersicht haben und darum meist ruhiger und gelassener sind. Dennoch kann es zu Schrecksituationen kommen, wenn etwa ein Vogel plötzlich aus dem Gebüsch flattert. Grund ist das stark ausgeprägte Bewegungssehen der Pferde, mit dessen Hilfe sie auch auf kleinste Bewegungen oder geringste Formveränderungen besonders sensibel reagieren.
Während diese Fähigkeit in der Steppe zum Überleben unbedingt erforderlich war, um Verfolger möglichst frühzeitig zu erkennen, ist sie für das Reiten im Gelände eher von Nachteil. Der Fluchtinstinkt gehört zum natürlichen Verhalten des Pferdes und muss immer unbedingt einkalkuliert werden. Auch der Gehörsinn ist beim Pferd hoch entwickelt. Pferde können ihre Ohren unabhängig voneinander in verschiedene Richtungen bewegen und nehmen durch deren Trichterform auch Geräusche wahr, die Menschenohren verborgen bleiben, wie z. B. Töne im Ultraschallbereich.
Im Pulk erwacht der Herdentrieb. (Foto: Birgit van Damsen)
Aufgrund dieses Richtungshörens muss der Reiter stets mit unvorhersehbaren Reaktionen seines Pferdes rechnen. So kann beispielsweise schon das für uns kaum wahrnehmbare Rascheln eines Mäuschens im Gestrüpp eine Schreckreaktion auslösen. Zu bedenken ist auch, dass Geräusche, die für uns Menschen schon laut sind, für das Pferd fast unerträglich sind und es nervös oder gar panisch machen können. Schließlich ist auch der Geruchssinn des Pferdes wesentlich besser entwickelt als der des Menschen. Macht das Pferd also auf einem scheinbar friedlichen Waldweg