Basis-Guide für feine Hilfen: Ein praxisnaher Begleiter auf dem Weg zur Reitkunst
Von Katharina Möller
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Buchvorschau
Basis-Guide für feine Hilfen - Katharina Möller
Bewegung.
Voraussetzungen
für das Reiten mit feinen Hilfen
Wer sein Pferd als einen Freund sieht, als einen Partner mit einer eigenen Persönlichkeit, Seele und Gefühlen, der strebt eine Reitweise an, die beiden Beteiligten Freude macht – Freude an der gemeinsamen Bewegung, an der feinen Kommunikation, am Zwiegespräch. Wir möchten unser Pferd nicht zum reinen Befehlsempfänger abrichten, sondern es mit Liebe und Respekt ausbilden. Genussvolles Reiten bewegt sich zwischen Konzentration und Entspannung, zwischen Körpersprache und Gedankenübertragung.
Dabei wird das Pferd weder in eine bestimmte Form gepresst noch akribisch mit dem Geodreieck vermessen, sondern es wird auf Grundlage der klassischen Reitlehre dazu ausgebildet, den Reiter in allen Lebenslagen möglichst komfortabel und langfristig gesund erhaltend tragen zu können.
Das Handwerkszeug des Reiters
Damit das Reiten im Einklang mit dem Pferd stattfinden kann, genügt nicht allein die partnerschaftliche Haltung gegenüber dem Pferd. Dazukommen muss eine ganze Menge an Wissen um Anatomie und Ausbildungszusammenhänge, aber vor allem ein hohes Maß an Körperbeherrschung.
Die Hilfen sollen dem Pferd buchstäblich helfen und es nicht etwa in der Bewegung stören. Das erfordert eine sehr gute Koordination. Hinter einem optisch ruhigen, für das Pferd angenehmen Sitz steckt tatsächlich (Muskel-)Arbeit. Hinter fein dosierter, nahezu unsichtbarer Hilfengebung verbirgt sich eine ausgefeilte Technik. Damit letztlich aus Können Kunst werden kann, ist es unabdingbar, die Technik des Reitens von der Pike auf zu erlernen und ein ganzes Reiterleben lang immer weiter an der eigenen Balance und Beweglichkeit zu feilen.
Öffnen des Brustkorbs als ein Element der Sitzschulung.
Die Sitzgrundlage: Richtig sitzen bedeutet das Pferd wahrnehmen!
Der richtige Sitz ist immer der, mit dem das Pferd sich in diesem Moment wohlfühlt und mit dem es sich möglichst ungezwungen bewegen kann. Dazu muss der Schwerpunkt des Reiters mit dem des Pferdes ständig neu in Übereinstimmung gebracht werden. Je nach aktueller Haltung des Pferdes (die wiederum von Lektion und Bodenbeschaffenheit abhängt) ändert der gute Reiter ebenfalls ganz minimal seine Haltung: Der Reiter sitzt in der Bewegung, das Pferd nimmt ihn in der Bewegung mit. Es entsteht ein wechselseitiges Bewegungsspiel.
Gemeinsamer Schwerpunkt in der Piaffe.
Wer mittels seiner Sitzbeinknochen die Bewegung des Pferdes erspüren kann (welches Hinterbein fußt gerade ab?), mittels seiner Waden die Spannung des Rumpfes fühlen kann (spannt das Pferd seine Bauchmuskeln rhythmisch an und ab oder drückt es steif gegen einen Schenkel?) und in seinen Fingern die Bewegung des Pferdekiefers fühlt, der kann mit feinen Hilfen auf sein Pferd einwirken. Der ideale Sitz ermöglicht die ungestörte Kommunikation.
Tipps für einen guten Sitz:
Halten, ohne zu ziehen:
Beide Ellbogen bleiben immer gleich stark gewinkelt, alle Gelenke in Mittelstellung. Halten Sie die Zügel mehr mit dem Druck der Daumenkuppe fest als mit den kleinen Fingern. Die Hände sind leicht ausgedreht (Fingernägel Richtung Himmel). Die Oberarme verlassen Ihren Oberkörper nie (abgesehen vom Überwinden großer Hindernisse).
Begleiten, ohne zu drücken:
Die Beine als Ganzes hängen entspannt in den Steigbügeln (die Sie eher ein Loch zu kurz als eines zu lang einstellen). Wollen Sie die Lage Ihrer Schenkel ändern, dann ändern Sie aus der Hüfte heraus die Lage Ihres Oberschenkelknochens. Der Unterschenkel hängt zwanglos aus dem Knie heraus nach unten. Mit entspannten Waden fühlen Sie Ihr Pferd.
Passiv sitzen, ohne sich hängen zu lassen:
Ihre Rumpfmuskeln sind es, die beim Reiten die Hauptarbeit verrichten! Sie erhalten die Balance und die Aufrichtung in der Bewegung, sind verantwortlich für die Gewichtshilfen und damit essenziell für die Verständigung mit dem Pferd. Fühlen Sie jederzeit Ihre beiden Sitzbeinknochen im Sattel, heben Sie Ihr Brustbein an und entspannen Sie Ihre Lendenmuskeln, während Sie in den Bauch hineinatmen. Man muss beim Reiten mit seinem Körper wenige aktive Bewegungen vollziehen, aber der Körper muss sich jederzeit genau in der richtigen Position befinden.
Kontrollübungen: Sitze ich in Balance und unabhängig von der Hand?
Lassen Sie sich auf einem ausgebildeten Pferd am Kappzaum an die Longe nehmen. Wenn kein Longenführer vorhanden ist, Sie aber einen umzäunten Platz und ein vertrauensvolles Verhältnis zu Ihrem Pferd haben, können Sie auch die Zügel verknotet auf den Pferdehals legen und Ihr Pferd ohne Longe einfach auf dem Hufschlag um die Bahn laufen lassen.
Beginnen Sie damit, abwechselnd den rechten und linken Arm in einem Rückwärtskreis zu bewegen. Machen Sie sehr langsame Kreise und bewegen Sie wirklich jeweils nur den einen Arm – Ihr Oberkörper bleibt stabil nach vorn ausgerichtet (dabei spüren Sie die Tätigkeit Ihrer schrägen Bauchmuskeln). Traben Sie selbstständig an, ohne das abwechselnde Armkreisen zu unterbrechen. Traben Sie leicht und kreisen Sie weiterhin so langsam wie möglich mit den Armen. Wenn es Ihnen dabei gelingt, die Leichttrabbewegung sanft und rhythmisch auszuführen, haben Sie zum einen ein gutes Rhythmusgefühl, zum anderen befinden sich Ihre Beine genau unter Ihrem Körperschwerpunkt – das heißt, Sie sitzen in der Bewegung und Sie empfinden diese Übung als unspektakulär und leicht.
Armkreisen an der Longe.
Reiten Sie nun auch Schritt-Trab-Übergänge (selbstverständlich immer noch ohne Zügel), während Sie weiterhin gleichmäßig und langsam abwechselnd mit den Armen kreisen. Dabei nutzen Sie Ihre Gewichts- und Schenkelhilfen für die Übergänge, während Ihre Arme bewusst eine ganz andere Bewegung ausführen. Wenn es Ihnen gelingt, mit den Armen ohne zu stocken die Kreisbewegungen auszuführen, während Sie die Übergänge reiten, dann sitzen Sie völlig zügelunabhängig und haben eine gute Koordinationsfähigkeit.
Gehen Sie dann in den leichten Sitz und reiten Sie Trab-Galopp-Übergänge, während Sie weiter mit den Armen kreisen. Wenn auch das gelingt, sind Sie in der Lage, ein Pferd langfristig schonend zu reiten und auszubilden.
Sollten Sie noch Schwierigkeiten mit dem ausbalancierten Sitz haben, verlieren Sie nicht den Mut, sondern lesen Sie im Kasten auf Seite 11, wie Sie Abhilfe schaffen können.
… und was tun, wenn diese Sitzübungen nicht auf Anhieb gelingen?
Beginnen Sie mit einer einfacheren Übung: Während jemand Ihr Pferd in ruhigem, gleichmäßigen Tempo an der Longe traben lässt, halten Sie sich abwechselnd mit einer Hand am Hilfsriemen oder Vorderzwiesel fest und lassen den anderen Arm kreisen. Üben Sie zunächst im Trab ohne Übergänge, und sitzen Sie dabei aus, falls Ihnen das leichter fällt. Nehmen Sie sich die Zeit, rundenlang stoisch weiterzukreisen, auch wenn die Kreise zunächst vielleicht nicht richtig rund und gleichmäßig gelingen. Durch das ständige Abwechseln der sich festhaltenden Hand wird es bald so weit sein, dass Sie sich zwischendurch jeweils für einen kurzen Moment unwillkürlich überhaupt nicht festhalten – Sie sind auf dem richtigen Weg, üben Sie weiter. Wenn diese Übung gut klappt und Sie die Übergänge dazunehmen wollen, lassen Sie zunächst den Longenführer die entsprechenden Hilfen geben, sodass Sie sich erst mal ganz aufs Sitzen konzentrieren können. Erst wenn das gelingt, reiten Sie die Übergänge schließlich selbstständig.
Wenn das Gleichgewicht stimmt, macht freihändig Galoppieren Spaß.
Die Logik der Hilfengebung: Reiten ist nicht einfach, aber logisch!
Sicher kennen Sie diese Situation aus der Reitstunde: Sie verstehen die Bewegungsanweisungen des Lehrers sehr wohl, aber Sie schaffen es in dem Moment nicht, sie auch auszuführen. Die Hilfengebung stellt nun mal hohe körperliche Anforderungen an uns Reiter, und völlig unabhängig vom Ausbildungsstand müssen wir alle ständig am Zusammenspiel unserer Bewegungen arbeiten.
Das System der Hilfengebung an sich ist indes völlig logisch. Wenn wir die einzelnen Bestandteile nicht irgendwie nebenbei, sondern systematisch erlernen und zusammenfügen, wird die Hilfengebung auch für das Pferd durchschaubar – das Pferd versteht, was es tun soll, und der Reiter versteht, wo er ansetzen kann, wenn Kommunikationsschwierigkeiten auftauchen.
Das Fundament der gesamten Hilfengebung sind die Gewichtshilfen. Sie funktionieren von Natur aus und müssen nicht konditioniert werden (siehe Kapitel „Operantes Konditionieren"), denn auch das Pferd strebt die Übereinstimmung mit dem Schwerpunkt des Reiters an. Es tritt, wenn der Reitersitz dies ermöglicht, immer unter den Schwerpunkt des Reiters – dann kann es sich nämlich leichter bewegen. Dieses Verhalten bestärkt sich also selbst und ist ein wichtiges Ziel beim Anreiten. Vereinfacht gesagt bestimmen die Gewichtshilfen also die (zunächst noch grobe) Richtung, in die sich das Pferd bewegt.
Die Schenkelhilfen beeinflussen dann die exakte Linie, auf der wir uns fortbewegen wollen. In der Grundausbildung lernt das Pferd, sich zwischen den Beinen (insbesondere den Oberschenkeln) des Reiters wie auf Schienen führen zu lassen. Mit fortschreitender Ausbildung beeinflussen die Unterschenkel des Reiters dann zunehmend den Fußungsbogen der Hinterbeine des Pferdes.
Die Zügelhilfen dienen demnach nicht der Lenkung des Pferdes, sondern beeinflussen lediglich seine Kopfhaltung. Abbildung 1 zeigt, welche Hilfen wie auf das Pferd einwirken.
Die Hilfengebung ist deswegen so schwer zu erlernen, weil wir Menschen aufgrund unserer zivilisierten Lebensweise daran gewöhnt sind, hauptsächlich mit den Händen zu arbeiten und besonders in Stresssituationen unwillkürlich vermehrt mit den Zügeln einwirken. Wenn der Mensch zum Reiter werden möchte, muss er also umlernen: Reiten aus der Körpermitte (vergleiche Sally Swift) ist die Devise. Die Schenkelhilfen unterstützen die Gewichtshilfen, die Zügel sind nachher lediglich noch das i-Tüpfelchen.
Abbildung 1: Hilfengebung mit System
Reihenfolge der Hilfengebung
Jede Lektion setzt sich zusammen aus spezifischen Gewichts-, Schenkel- und Zügelhilfen. Dabei kommt den Gewichtshilfen immer die größte Bedeutung zu: Stimmt die Gewichtshilfe nicht, kann das Pferd die Schenkel- und Zügelhilfen entweder gar nicht oder zumindest nicht