Feines Dressurreiten im Gelände: Gymnastizierung in freier Natur
Von Katharina Möller
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Buchvorschau
Feines Dressurreiten im Gelände - Katharina Möller
Lesetipps
EINLEITUNG
„Draußen nur – wenn du liebst – trägt dein Pferd dich recht.
Draußen nur, unter freiem Himmel, ist es ganz königlich, ist es ganz Tier.
Draußen nur ist es wirklich beschwingt […].
Hohe Schule – nun wohl. Aber die höchste Schulung:
Willst du sie missen? Nur der Himmel, Geliebte, ist groß genug,
dein Zelt zu sein, wenn du reitest."
(Rudolf G. Binding)
Die Seitengänge lassen sich im Gelände hervorragend erarbeiten und verbessern.
Dressurreiten im Gelände – Not oder Tugend?
Mit Bedauern in der Stimme hört man manche Reiter sagen: „Nein, ich bin nur Geländereiter. Eine Reithalle haben wir nicht, wir können keine Dressur." Wer sich aber für die klassische Dressur unabhängig vom Turniersport interessiert, stellt schnell fest, dass diese überhaupt nicht abhängig ist von einem sogenannten Dressurviereck. Gut reiten kann man schlicht und einfach überall! Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass aus der vermeintlichen Not des Im-Gelände-Dressurreiten-Müssens sogar eine Tugend werden kann. Viele Dressurlektionen machen draußen doppelt so viel Spaß oder gelingen sogar leichter als in einer Reithalle. Unter welchen Voraussetzungen eine Dressurausbildung im Gelände funktionieren kann und wo sie sich geradezu anbietet, ist Thema dieses Buches.
HUFSCHUTZ FÜRS GELÄNDE
Die Bodenbeschaffenheit im Gelände ist regional sehr unterschiedlich. Je nachdem, wie bei Ihnen vor Ort die Böden sind und wie die Hufe Ihres Pferdes beschaffen sind, wird Ihr Pferd für sinnvolles, regelmäßiges Training im Gelände einen Hufschutz benötigen. Ein fühliges Pferd wird sich immer festhalten, anstatt sich losgelassen zu bewegen.
Meine eigenen Pferde gehen seit Jahren „barfuß" und kommen mit vielen Böden gut zurecht. Im Bedarfsfall, etwa wenn ich geschotterte Wege bereiten möchte, nutze ich Hufschuhe.
Viereck oder Landschaft?
Keine Frage – es gibt Ausbildungsziele, die man leichter und schneller auf einem Dressurviereck erarbeiten kann. Aber es gibt genauso Ausbildungsziele, die in der freien Landschaft besser zu erreichen sind. Im Idealfall hat man also beides zur Verfügung und kann täglich individuell entscheiden, wo man reiten geht – je nachdem, was man gerade trainieren möchte.
Ein Vorteil eines guten Dressurvierecks ist sein ebener, weich federnder, aber dennoch nicht zu tiefer Boden. Der erleichtert oft erst einmal die taktmäßige und losgelassene Bewegung. Auf der anderen Seite fördert aber gerade der unebene, vielseitige Naturboden im Gelände Gleichgewicht und Koordination und somit die gesunde Entwicklung des Pferdes. Ein hektisches Reiter-Pferd-Paar wird neue Übungen vielleicht besser in der sicheren, gewohnten Umgebung des Vierecks erlernen, wohingegen Training im Gelände gerade bei „klemmigen", eher verhaltenen Pferden, denen das Vorwärts fehlt, Wunder wirken kann.
Je nachdem, wie die Landschafts- und Bodenverhältnisse geartet sind, die man vor der eigenen Haustür findet, muss man unter Umständen im Gelände ständig Rücksicht nehmen und in angepasstem Tempo reiten, während man die Bewegungen auf sicherem Reitplatzgrund auch einfach mal fließen lassen kann. Ich habe es aber auch schon andersherum erlebt: Wenn ein suboptimaler Hallenboden einem Traumgelände gegenübersteht, dann fällt die Entscheidung für gewisse Trainingsabschnitte eben pro Natur. Es gilt, die örtlichen Trainingsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen. In den Praxiskapiteln wird bei den entsprechenden Übungen und Lektionen erläutert, in welchen Fällen und warum diese besonders gut im Gelände geübt werden können. Auch die Entscheidung, auf welchem Boden man welche Gangart wählt, ist individuell zu fällen. Je besser Sie Ihr Pferd kennen, desto besser spüren Sie, ob ihm ein Boden zu hart, zu nass oder zu tief ist. Nutzen Sie diese Strecke dann ebenfalls für Ihr Training, aber passen Sie nötigenfalls Gangart und Lektion an!
Das Gelände nutzen: Galoppverstärkung bergauf mit vorbildlicher Rahmenerweiterung.
Abgesehen von ebenem Boden besitzt das Dressurviereck auch gerade Begrenzungslinien und Bahnpunkte, was es dem Reiter erleichtert und ihn auch dazu ermuntert, sein Pferd auf Linie zu bringen: Durch das korrekte Reiten der Hufschlagfiguren verbessern sich Geraderichtung und Balance. Das Pferd kommt an die Hilfen, weil der Reiter bei der Arbeit auf wohlüberlegten Hufschlaglinien das Zusammenspiel seiner inneren und äußeren Hilfen übt und jedes Abweichen bemerkt (vergleiche Ritter: ‘Klassisches Reiten auf Grundlage der Biomechanik’). In der freien Landschaft dagegen gibt es keine vorgegebenen Figuren und festgeschriebenen Bahnpunkte, an denen man seine Linienführung wie gewohnt orientieren kann. Daher muss der Reiter selbst seine Linie festlegen und Orientierungspunkte finden. Zunächst mag das im Gelände schwerer fallen als auf einem Reitplatz, doch zum einen wird Ihnen dieses Buch Anhaltspunkte für eine geschickte Linienführung, abhängig von Lektion und Geländesituation, liefern. Zum anderen werden Sie feststellen, dass Sie gerade durch das Fehlen vorgeschriebener Linien draußen ein besonders feines Gespür dafür entwickeln werden, wann das Pferd sich unter Ihnen wirklich im Gleichgewicht befindet. Wer das fühlen kann, braucht keinen Zaun und keine Buchstabentafeln mehr!
Zumindest für die Schrittarbeit findet sich in jeder Jahreszeit ein geeigneter Untergrund.
Sinn und Zweck der Campagneschule
Die Campagneschule bezeichnet in der klassischen Reiterei denjenigen Teil der Dressurausbildung, der vor der Hohen Schule steht: Somit umfasst die Campagneschule alle Dressurlektionen bis zur Klasse M, also Biegungen, Seitengänge, versammelte sowie verstärkte Tempi und Galoppwechsel.
Wie der Name schon sagt („Campagne" ist Französisch für Land, Feld), geht es dabei nicht um Turniererfolge im Sinn der modernen Sportdressur, sondern um eine allgemeine Grundausbildung, sozusagen die Dressur für den Hausgebrauch. Das Pferd soll durch diese klassische Ausbildung in die Lage versetzt werden, das Reitergewicht gesund erhaltend zu tragen und ein angenehmes Reitpferd zu werden. Je weiter Pferd und Reiter auf diesem Weg fortgeschritten sind, desto genussvoller und sicherer ist das Reiten – auch und gerade im Gelände. Wir wünschen uns ein Pferd, das in allen oben genannten Bewegungsformen durchlässig und willig den feinen Hilfen des Reiters zu entsprechen vermag. Im Lauf der Ausbildung wird das Pferd immer durchlässiger, weil es körperlich immer geschmeidiger, kräftiger und besser ausbalanciert wird. Im Gelände ausgeführt, werden bei dieser auf den natürlichen Bewegungsformen des Pferdes basierenden Ausbildung dessen Bedürfnisse nach Licht, Luft und Bewegung am umfassendsten erfüllt.
Die Grundausbildung eines Pferdes kann sehr gut im Gelände stattfinden.
Dass eine Reitbahn für die Ausbildung nicht zwingend benötigt wird, heißt nicht, dass man die Ergebnisse nicht auf dem Dressurviereck unter Beweis stellen darf – im Gegenteil! Ein im Sinn der Campagneschule ausgebildetes Pferd wird auch mit Anstand, wenn nicht gar mit Bravour, durch eine Turnieraufgabe oder einen Showauftritt kommen. Langstreckenpferde, die im Wanderreiten oder im Distanzsport gehen, werden durch derartige Dressurausbildung besser geradegerichtet werden und so ermüdungsfreier und gelenkschonender laufen können. Die Trainingszweige ergänzen sich also in allen Fällen gegenseitig.
WER HIRN HAT, SCHÜTZT ES!
Im Gelände ist das Tragen eines Reithelms obligatorisch. Moderne Helme sind leicht, gut belüftet und, wenn sie richtig zum Reiterkopf passen, auch sehr bequem. Wer einmal die Zeit und das Geld investiert, das richtige Modell zu finden, der wird den Helm dann auch gern tragen. Seien Sie ein Vorbild und reiten Sie nicht ohne Helm aus – auch nicht „nur" die kleine Schrittrunde um die Reitanlage!
Insbesondere wenn Sie allein unterwegs sind, sollten Sie außerdem immer ein Mobiltelefon bei sich tragen und im Stall jemanden über die Strecke informieren, die Sie reiten wollen.
Dressurübungen im Gelände
Ein Pas de deux auf dem Stoppelfeld.
Die Traversale kann auf dem freien Feld besonders großzügig und schwungvoll angelegt werden.
Wie man sein persönliches Dressurtraining im Gelände aufbaut, hängt von der reiterlichen Zielsetzung ab: Was genau möchte ich fördern und verbessern? Auf welchem Ausbildungsstand befinden mein Pferd und ich uns überhaupt, also was genau sollen wir als Nächstes erlernen? Womit kann ich bestimmte Rittigkeitsprobleme verbessern? Jede einzelne Arbeitseinheit erfüllt einen Zweck, selbst der vermeintliche „Bummelausritt" mit Freunden (das entspannte Gehen am langen Zügel trainiert beispielsweise die Gelassenheit in der Gruppe, fördert das zwanglose Schreiten und somit den Raumgriff im Schritt).
Außerdem gilt es zu beachten, welche Geländemöglichkeiten man vor Ort findet. Unterschiedliche landschaftliche Gegebenheiten bieten sich für diverse Lektionen an – deswegen ist dieses Kapitel nach Wegarten strukturiert. Wenn es eine oder mehrere dieser Geländesituationen bei Ihnen nicht gibt, heißt das aber nicht, dass Sie diese Übungen nicht auch in anderer