Genussvoll Reiten mit der Légèreté: Die Entdeckung der Leichtigkeit im Sattel
Von Pascale Berthier
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Buchvorschau
Genussvoll Reiten mit der Légèreté - Pascale Berthier
DIE ERSTE BEGEGNUNG
Mein Lehrmeister Jean-Claude Racinet auf Igloo de Sié, der ebenfalls vom Baucherismus begeistert ist. (Foto: Susanne Klipstein)
Als ich 2003 meine Karriere als „liebe Mama" antrat, sah ich mich gezwungen, alle reiterlichen Aktivitäten aufzugeben, die mich von zu Hause weggeführt hätten.
Nun hatte mir eine Freundin, Ilka Flegel, gerade die Lektüre eines ganz besonderen Werks empfohlen: L’équitation totale von Jean-Claude Racinet, ein Vergleich der Pferdeosteopathie von Dr. Dominique Giniaux mit der Lehre von François Baucher. Zudem war ich fest entschlossen, reiterlich nicht auf einem Stand zu verharren, sondern mich weiterhin fortzubilden. Ich vertiefte mich deshalb endgültig in eine gänzlich „subversive" Literatur: alle reiterlichen Werke auf Französisch von Jean-Claude Racinet, in denen er eine äußerst puristische Reiterei in Légèreté (Leichtheit) beschreibt.
Dadurch wuchs in mir das Bedürfnis, meine Nachforschungen in diesem Bereich auszuweiten, um die Entwicklung des Baucherismus von der Vergangenheit bis in die heutige Zeit nachzuvollziehen. Philippe Karl hatte diesen Impuls in mir bereits geweckt, doch damals war ich nicht reif genug für diese beiden so wichtigen Vorgehensweisen (wenn man sie denn fortführt): das Nachdenken und das Forschen. Ich begab mich somit auf eine intellektuelle Reise, die sich mit meinem neuen Leben in Einklang bringen ließ.
Ich „schaute bei François Baucher „vorbei
und las die gesamte zwölfte Ausgabe seiner Méthode d’équitation, basée sur de nouveaux principes („Methode der Reitkunst nach neuen Grundsätzen). Unglaublich, dass ich dazu nicht 1984 und 1985 angehalten worden war, während meiner Reitlehrerausbildung an der staatlichen französischen Reitschule ENE (Ecole Nationale d´Equitation) in Saumur! An die zwanzig Jahre waren nötig, um mich wachzurütteln. Welch eine Misere! Von da aus machte ich kehrt und „besuchte
Faverot de Kerbrech, dann Etienne Beudant. Ein wahres Epos! Etwa zwei Monate lang raubte es mir den Schlaf. Was sollte ich bloß meinen Schülern sagen? Wie sollte ich nun meine Pferde arbeiten?
Baucher, de Kerbrech, Beudant – das Studium der Schriften verschiedener Reitmeister führte letztlich dazu, dass ich Jean-Claude Racinet kennenlernte.
Ich brauchte einen Lehrer. Und zwar dringend.
Ich machte mich also daran, die Kontaktdaten von Jean-Claude Racinet ausfindig zu machen. Sobald mir das gelungen war, kam mir die unverfrorene Idee, ihm ein Fax zu schicken. Darin beschrieb ich meine Situation als die eines „Don Camillo", der die Hilfe des Papstes erbittet, um alle Einwohner des kleinen Dorfes am Ende der Welt zu überzeugen. Er war so großzügig, mir positiv zu antworten.
Im September 2004 landete Jean-Claude Racinet, der mein Lehrer werden sollte und mir die Ehre machte, mir seine Freundschaft zu schenken, in Dresden. Hundert Kilometer weiter östlich empfing ich ihn bei mir zu Hause. Einen Tag vor Beginn des Lehrgangs, den er hier geben sollte, hatten wir Gelegenheit, in Oybin, einem kleinen, sehr touristischen Ort in der Gegend, einen Kaffee zu trinken.
Meine Tochter Tippi war gerade bei ihrer Großmutter, und ich freute mich darauf, mich ganz in Ruhe mit diesem so bescheidenen und umso gelehrteren Menschen austauschen zu können.
Wir sprachen über alles Mögliche: Sprachwissenschaft, Erziehung, Etymologie und ... Reiten in Légèreté. Dieser letzte Austausch war für mich – vielleicht auch für uns beide – entscheidend. Ich: „Nachdem ich Ihre Bücher und auch die von Beudant („Extérieur et Haute-Ecole) gelesen hatte, habe ich mehrere Nächte lang schlecht geschlafen. Daraufhin habe ich mein Reiten neu durchdacht, und einige Zeit später habe ich zum Beispiel versucht, mit einem unserer Mérens-Pferde fliegende Galoppwechsel nur über die Einwirkung der Hand zu reiten – und es hat geklappt!
Jean-Claude: „Ah! ... Sehr gut. Ich habe das mehrfach mit meinen Pferden probiert. Mir ist es nicht gelungen."
In wenigen Sätzen hatte mich Jean-Claude auf den Platz des Schülers verwiesen, der die folgende Wahl hat: entweder weiterhin zu wissen oder anzufangen zu lernen. Ohne meine Ehrlichkeit infrage zu stellen, hatte er mich ob der Qualität dieser fliegenden Wechsel ins Zweifeln gebracht. Er wusste außerdem genau, dass wir – er in den USA und ich irgendwo im tiefsten Deutschland – nur wenig Zeit und Möglichkeiten für einen zukunftsträchtigen pädagogischen Austausch hatten. Hier ging es gleich um alles oder nichts: mir die Hintertür offenzuhalten (dann wäre diese Begegnung unsere letzte gewesen) oder mir zeigen, wie ich mich für das Lernen öffnen konnte. Derart vor die freie Wahl gestellt, war ich bereit.
Der erste Kurstag von Jean-Claude Racinet in Deutschland fand im Jahr 2004 statt: am 17. September. Sein letzter Kurs in Deutschland nahm 2008 ein tragisches Ende: am 17. September.
Vier Jahre unermüdlicher Bemühungen, all denen zu helfen, die verstehen wollen, worum es hier geht. Bemühungen, die letztlich unfreiwillig bestraft wurden, durch eine Umgebung, die noch nicht verstanden hatte, um wen es hier ging.
Zielsetzung dieses Buches
Die erste Idee zu diesem Buch war, eine Art Vorbereitungshandbuch für die Kurse von Jean-Claude Racinet in Deutschland zu schreiben. Doch dann hat das Schicksal es anders entschieden. Ende November 2008 kehrte Jean-Claude schwer verletzt in die USA zurück. Dadurch wurde es unmöglich, Kurse mit ihm in Europa zu organisieren.
Da ich jedoch das Interesse an seiner Lehre nicht wieder einschlafen lassen wollte, begann ich, die für das Handbuch vorgesehenen Informationen zu nutzen, um einen Erfahrungsbericht zu der pädagogischen Botschaft zu verfassen, die Jean-Claude in Deutschland hinterlassen hat. Wer hier einen Katalog von reiterlichen Problemen, Übungen und Lösungen erwartet, wird enttäuscht sein. In der Tat gleicht das Streben nach Légèreté eher einer Schnitzeljagd oder, etwas ernsthafter, einem Eid. Wie viele Jahre des Studiums man auch darauf verwendet – ein Diplom wird niemals ausreichen, um einen guten Reiter dieser Art auszumachen, ebenso wie ein Diplom nicht ausreicht, um ein guter Arzt zu werden. Nur die Praxis und das ständige Streben nach den bestmöglichen Lösungen offenbaren hier den Pfad, dem es zu folgen gilt. So wird jener Reiter sich für eine bestimmte Lösung entscheiden, während ein anderer sich mit einer anderen Möglichkeit wohler fühlt. Mit Jean-Claude Racinet habe ich ein wahres Feuerwerk an Fallbeispielen gesehen und erlebt.
Er hat mich zunächst gelehrt, die Prinzipien der baucheristischen Schule zu verstehen, und mich anschließend durch Verbesserung meiner Reiterei in die Lage versetzt, diese Prinzipien auch anwenden zu können. Danach, als ich bereits fähig war zu beobachten, musste ich nachdenken lernen. Und dieses Nachdenken hat mich wiederum gelehrt ... zu lernen. Auf keinen Fall kann man sich hierbei auf eine wie auch immer geartete „Ausbildungsskala" des Pferdes (wie sie der deutschen Reitlehre so lieb und teuer ist) beziehen und verlassen: als Erstes dies, als Zweites das; und beim Übergang von einer Etappe zur nächsten bloß nicht zu viel nachdenken ... Nein! Eine solche reiterliche Vorgehensweise lässt sich nicht mit dem Streben nach Légèreté vereinbaren.
Die werten Leserinnen und Leser finden hier also Überlegungen, die Erfahrungen beeinflusst haben ... und Erfahrungen, die ihrerseits Anlass zu Überlegungen gaben. Ich hoffe, dass diese sehr persönlichen Einsichten Ihnen Mut machen werden, sich mit Ihrem Pferd ebenfalls auf den Weg zum feineren, genussvollen Reiten in Légèreté zu begeben. Es lohnt sich!
Igloo de Sié in der Traversale.
WESSEN LEICHTHEIT?
Igloo de Sié in der Piaffe.
„Die Légèreté wird vom Reiter verlangt und
vom Pferd angeboten und nicht umgekehrt."
Ich glaube nicht, dass Jean-Claude Racinet es jemals versäumt hat, diesen Gedanken, der von ihm stammt, anlässlich einer seiner „clinics (oder „Lehrgänge
auf gut Deutsch) anzuführen.
Leichtheit des Pferdes am Schenkel
Viele Reiter verstehen die oben zitierte Behauptung offensichtlich leichter, wenn es um den Gebrauch der Schenkel geht.
Wenn man die Schenkel einsetzt, so soll das entsprechend darauf konditionierte Pferd reagieren, indem es sich je nach Kontext vorwärts oder rückwärts oder, wenn man nur einen Schenkel verwendet, zur Seite bewegt. Ist das Pferd leicht am Bein, so kürzt es den feinsten Kontakt mit dem