Grundausbildung von Gangpferden: Geraderichtung von Anfang an
Von Kirsti Ludwig
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Buchvorschau
Grundausbildung von Gangpferden - Kirsti Ludwig
Dolphin)
EINLEITUNG
(Foto: Claudia Schön)
Entwurf eines Traumpferdes
Ein Jungpferd kann man mit einer weißen Leinwand vergleichen. Beide sind unbeschrieben, offen für alles.
Die Ausbildung des Pferdes beginnt mit einer Vorstellung, einem Wunschtraum: mein eigenes Pferd, selbst ausgebildet.
Eine Skizze entsteht, zunächst mit Bleistift. Ab und an müssen wir radieren. Manchmal entwickelt sich alles anders als geplant und dennoch lieben wir das Ergebnis, denn wir haben es selbst geschaffen.
Es kann aber auch passieren, dass man vor dem fertigen Bild steht und feststellen muss, dass es mit der ursprünglichen Traumvorstellung nichts gemeinsam hat. Doch die Farbe ist aufgetragen, Radieren ist unmöglich geworden, oberflächliche Ausbesserungsarbeiten machen alles nur noch schlimmer.
Ähnliche Auswirkungen hat der Versuch, ein Pferd mit Kraft oder Hilfszügeln korrigieren zu wollen. In solchen Situationen hilft nur eines: ehrlich mit sich selbst zu klären, warum das Ergebnis so geworden ist, eventuell Hilfe holen und mit einem besseren Plan von vorn beginnen. Alles auf Anfang, in Gedanken erneut mit einer weißen Leinwand beginnen, einen Bleistiftstrich an den nächsten setzen. Bis man mit der Skizze zufrieden ist und das Bild genussvoll ausmalen kann.
Nur der feine Strich eines Bleistifts vermag es, Details anzulegen, erlaubt Korrekturen, die später unsichtbar sind. Vergleichbar damit ist die Arbeit mit dem Kappzaum. Sie ist die entscheidende Vorbereitung und grundlegend für das Gelingen der Pferdeausbildung wie auch die Korrektur bereits gerittener Pferde.
Durch sie habe ich die Möglichkeit, mein Pferd zu stärken, geradezurichten und damit in Balance zu setzen, bevor ich es mit meinem Gewicht belaste.
Mit einem guten Plan und freundlichen Erklärungen kooperieren Pferde gern.
(Foto: Namay Dolphin)
Es lohnt sich deshalb auch für den Gangpferdereiter, über den Tellerrand zu schauen. Seien Sie offen für neue Erfahrungen und Ansichten, sehen Sie sich in der Reiterwelt um und nehmen Sie das mit, was zu Ihnen und Ihrem Pferd passt.
So habe ich in der akademischen Reitkunst ein wunderbares System der Bodenarbeit gefunden, das in Teilen meinen Weg perfekt ergänzt. Kleine, logisch aufeinander aufbauende Schritte machen die Arbeit für das Pferd verständlich und sorgen für eine entspannte Lernatmosphäre.
Ähnlich sollte es ja auch in der Schule funktionieren. Die Kinder beginnen mit dem Abc und setzen dann die einzelnen Buchstaben zu Wörtern zusammen; eins baut logisch auf das andere auf.
Die herkömmliche Ausbildung eines Pferdes besteht dagegen oft nur aus drei Schritten: Halfterführigkeit, ausgebundenes Longieren, dann Reiten.
Diese Form der Ausbildung weist meines Erachtens Brüche auf. Es wird mit Wörtern, wenn nicht sogar ganzen Sätzen mit Ausrufezeichen dahinter begonnen. Die Pferde haben nicht gelernt, was „Hilfen" bedeuten, bis zu dem Augenblick, in dem sie das erste Mal geritten werden. Das muss zu Missverständnissen und Frustration bei allen Beteiligten führen.
Es ist eine große Verantwortung, ein Pferd selbst auszubilden.
(Foto: Phillip Weingand)
Wäre es nicht toll, wenn das Pferd vor dem ersten Aufsitzen bereits mit den grundlegenden Dingen vertraut ist? Wenn es durch Dehnung gelernt hat, wie es mit dem Reitergewicht zurechtkommen kann, wenn es dank Gymnastizierung locker und geschmeidig ist, wenn geraderichtende Arbeit ihm zu einer passablen Balance verholfen hat? Wenn es schon erste Zügelhilfen kennt, Stellung und Biegung und sogar Seitengänge wie Schulterherein und Travers zum Alltag gehören? Klingt das nicht sinnvoll und schön?
Ich lade Sie ein – auf einen entspannten, aber äußerst effektiven Weg der Ausbildung und Korrektur von Gangpferden.
Noch ein Hinweis: Die im Buch beschriebenen Elemente der Ausbildung sind für mich die wichtigsten, die „Basics"; es gibt aber zahlreiche weitere Möglichkeiten und Variationen, die je nach Pferd und Situation sinnvoll und notwendig sein können.
THEORETISCHE GRUNDLAGEN ZUR AUSBILDUNG DES PFERDES
(Foto: Phillip Weingand)
Voraussetzungen zum Anreiten eines Pferdes
Es ist wunderbar, wenn man sein Pferd zum Anreiten nicht weggeben muss. Ein Stallwechsel ist für viele Pferde eine Belastung, die man nicht unterschätzen sollte.
Für eine erfolgreiche Ausbildung sollte der Reiter folgende Voraussetzungen erfüllen:
– Absolut zügelunabhängiger Sitz
Das ist die Grundvoraussetzung! Kleine Buckler oder abrupte Übergänge vom Tölt in einen schwungvollen Trab oder spontanes Angaloppieren dürfen kein Grund sein, mit den Beinen zu klemmen oder mit der Hand hängen zu bleiben.
Extrem wichtig ist, dass der Reiter stets mit seinen Händen den Nickbewegungen des Pferdes folgt und sein Becken geschmeidig auf die Rückenbewegungen eingeht. Ansonsten kann bereits beim Einreiten eine Verschiebung zum Pass stattfinden.
– Ein ausgereiftes Bewegungsbild
Um jemanden zu schulen, ganz gleich ob Mensch oder Pferd, ist es wichtig, die gewünschte Bewegung/das gewünschte Verhalten klar vor Augen zu haben. Nur so kann man einerseits analysieren und korrigieren und andererseits dem Pferd diese Bilder mental übermitteln.
– Körperliche Fitness
Wir verlangen von unseren Pferden einiges an Fitness und Koordination. Möchte man einem Jungpferd eine vielseitige, solide Grundausbildung angedeihen lassen, ist eine gewisse Kondition auch beim Ausbilder Voraussetzung. Nicht nur die Bodenarbeit verlangt ausreichend Puste, auch um längere Spaziergänge sollte man sich nicht drücken. Das ist wichtig zum Beziehungsaufbau, außerdem wird das spätere Ausreiten entspannter.
Ungünstig ist ein Ausbilder mit Rückenschmerzen beziehungsweise eigener „Schiefe" im Körper − derartige Probleme und Spannungen übertragen sich auf das Pferd.
Ihr Pferd hat andere Ideen? Ärgern Sie sich nicht und bleiben Sie geduldig.
(Foto: Namay Dolphin)
– Geduld, Einfühlungsvermögen und Liebe zur Kreatur
Nicht nur körperlich, auch seelisch wird ein Jungpferd durch respektloses, liebloses, ungeduldiges oder gar grobes Handeln schnell aus seinem Gleichgewicht gebracht. Ein ungeduldiges Gurten, wobei womöglich das Fell eingezwickt wird, ein liebloses Abtrensen, eine ungerechtfertigte Bestrafung auf eine Angstreaktion ... All dies merkt sich das Pferd.
Pferdeausbildung verlangt einen ausgeglichenen Charakter und viel Geduld.
„Um ein Lebewesen zu beherrschen, muß man sich selbst beherrschen lernen. Zum Reiten braucht man gute Laune und Gelassenheit. Furcht, Ungeduld und Zorn sollte ein Reiter nie fühlen." (Udo Bürger: Vollendete Reitkunst, Müller Rüschlikon, 1982)
Last but not least dürfen die äußeren Bedingungen für eine gelungene Pferdeausbildung nicht unterschätzt werden. Wichtige Faktoren sind Folgende:
– Reitplatz
Für die Pferdeausbildung ist ein unebener, nicht befestigter Platz oder ein Grasplatz schwierig.
Gefälle, holpriger Boden, Pfützen etc. sind der Taktfindung nicht zuträglich, besonders beim Gangpferd nicht.
Ein junges Pferd vernünftig ohne Ausbinder vorwärts-abwärts auf einer Grasbahn zu longieren, ist kaum möglich. Einerseits möchte man erreichen, dass das Pferd sich dehnt, andererseits darf es aber nicht stehen bleiben und fressen.
– Ausrüstung
An der Ausrüstung eines Jungpferdes darf nicht gespart werden! Das rächt sich, sei es in gesundheitlichen Problemen, reiterlichen Problemen oder sogar Verhaltens-auffälligkeiten. Mit einem engen, schlecht sitzenden Sattel kann kein Pferd eine gute Rückenmuskulatur ausbilden.
Gras auf dem Reitplatz ist ungünstig; es lenkt das Pferd ab.
(Foto: Beate Keller)
GASTBEITRAG
Gereon Wimmer: Wie Pferde lernen
Das Verhalten von Säugetieren ist eine Mischung aus angeborenem (= „Instinkt) und erlerntem, anerzogenem Verhalten (= „Erziehung
). Nachdem durch eine artgerechte Aufzucht die ersten „erzieherischen Maßnahmen im Sozialverband der Herde stattgefunden haben, soll das Pferd durch bestimmte „Techniken
auf seinen Verwendungszweck vorbereitet werden.
Die Arten des Lernens:
Prägung (irreversibel): Unter Prägung versteht man eine erste spezielle Form des Lernens in der frühesten Lebensphase eines Säugetieres, die irreversibel ist. In diesem genetisch festgelegten Zeitabschnitt wird die Mutter-Kind-Bindung hergestellt, die für die weitere Entwicklung des Fohlens im sozialen Herdenverband unerlässlich ist. In dieser Phase auf das Fohlen Einfluss zu nehmen, gilt als sehr umstritten (Gefahr der Fehlprägung).
Nachahmung („Lernen am Modell, reversibel): Eine weitere, einfache Form des Lernens ist das „Lernen am Modell
. Dabei eignet sich das Tier durch Beobachtung eines Artgenossens Verhaltensmuster an. Z. B. lernt das Fohlen das Grasfressen, indem es die diesbezügliche Verhaltensweise der Mutter kopiert.
Gewöhnung (Habituation, reversibel): Wird das Pferd wiederholt einem Reiz (meistens ein Umweltreiz) ausgesetzt, der weder eine positive noch eine negative Auswirkung hat, nimmt die Stärke der Reaktion ab. Die Gewöhnung als Lernmethode kann man sich zunutze machen, wenn Pferde z. B. sensibel auf Motorengeräusche reagieren, indem man sie mit diesem Geräusch wiederholt konfrontiert (z. B. Koppel an der Straße).
Klassische (Pawlowsche) Konditionierung (reversibel): Hierbei wird ein neuer Reiz in den Auslösemechanismus für ein bestimmtes Verhalten aufgenommen, das heißt, ein neues Signal (= Reiz) wird mit einer vertrauten Aktion (= Reaktion) verbunden.
„Es gibt ‚unkonditionierte Reflexe’ (ungelernte Reaktionen), die normale Reaktionen des Körpers sind. Dazu gehören der Kniesehnenreflex und der Lidschlagreflex. Fällt helles Licht auf die Augen, erhöht sich die Frequenz des Lidschlags (unkonditionierter Reiz ist das Licht; unkonditionierte Reaktion ist der Lidschlag).
Ertönt beim Einschalten des Lichtes eine Glocke, reicht bald die Glocke allein, um den Lidschlag auszulösen. Die Glocke ist jetzt der konditionierte Reiz, der Lidschlag auf den Glockenklang die konditionierte Reaktion." (M. Kiley-Worthington: Pferdepsyche – Pferdeverhalten. Müller-Rüschlikon, 1993).
Unmittelbar verbindend muss eine „Verstärkung " (= Belohnung) stattfinden, damit aus dem unkonditionierten Reiz (= Licht) ein konditionierter Reiz (= Glocke) entsteht. In dem genannten Beispiel ist die Verstärkung (Belohnung), dass das Auge durch das