Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 2
Von Hermann Lingg
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Über dieses E-Book
Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 2 umfasst:
Vierter Gesang. Audogar und Sigune.
Fünfter Gesang. Die griechische Insel.
Sechster Gesang Gesang. Das Opfer.
Siebenter Gesang. Alarich und Stelico.
Hermann Lingg
Hermann Lingg (1820-1905) gehörte dem Dichterkreis um König Max II. an und war ein berühmter bayerischer Epiker und Lyriker.
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Buchvorschau
Die Völkerwanderung - Hermann Lingg
Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 2
Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 2
Vierter Gesang. Audogar und Sigune.
Fünfter Gesang. Die griechische Insel.
Sechster Gesang. Das Opfer.
Siebenter Gesang. Alarich und Stelico.
Impressum
Die Völkerwanderung: Band 1, Teil 2
Autor: Hermann Lingg
Nachdruck der Originalfassung (1866-1868, erschienen im Verlag der J. G. Cotta'schen Buchhandlung, Stuttgart)
Vierter Gesang. Audogar und Sigune.
Zurückgekehrt indeß und froh empfangen
War in Ausonius Haus zu jener Zeit
Sein Pflegekind in schönstem Jugend prangen,
Voll ernster Anmuth, strenger Lieblichkeit,
Und wieder wie vordem nun lasen, sangen
Und schrieben sie, und wieder war geweiht
Den Musen jeder Tag, sie sahn und hörten
Die Stürme nicht, die Alles rings zerstörten.
Am höchsten ehrten sie Virgils Gedichte:
»O welch ein Geist voll edler Reinheit weht
Aus jedem seiner Worte! Ganz im Lichte
Von Himmelshöhen ragt er, ein Prophet.
Hier ruhn,« sprach oft Ausonius, »Gesichte
Von einer Welt, die erst nach uns entsteht,
Von einer menschlich sanften, reinen Sitte,
Die Gottes Liebe trägt in ihrer Mitte.
Der Fabeln Traumreich ist dem Tag erlegen,
Und wir sind Grund und Boden für die Saat,
Und nur bestimmt der Zukunft Keim zu hegen.
Ein anderes Geschlecht entsprießt zur That,
Das Volk, von dem du stammst, erfährt den Segen;
Wenn seine Kraft bisher auch nur zertrat,
Gleich einer Taube mit dem Schneegefieder
Auf blutgetränkte Felder schwebt es nieder.
Bist du doch selbst ein Vorbild uns geworden
Von jener Menschheit bessrem Zukunftsbild.
Ich seh' durch jenes rauhe Wehn von Norden
Gereinigter die Luft und das Gefild.
Lehr' Einfachheit das Beispiel jener Horden,
Und ihre Wildheit sei der starke Schild
Der Tugenden, die zwischen Zelt und Rossen
Wie Heideblumen frisch und duftig sprossen.«
Begeistert sprach's der Greis, erlöschend baute
Sein Geist noch aus dem Schutt der alten Welt
Die Hoffnung einer neuen, sterbend schaute
Sein Blick ins Künft'ge noch, von Trost erhellt.
Und als er nicht mehr war, als seine Laute
Verstummt war an dem Strom, der sie geschwellt,
Wie öde stund jetzt vor Sigunes Trauer
Der Villa Glanz, wie düster jede Mauer!
Betrübten Herzens saß sie gramversunken
An seines Grabmals Stufen einst allein,
Sah glitzern auf dem Fluß des Sonnlichts Funken,
Und lehnte weinend an dem Marmorstein;
Auf einmal scholl es wild und siegestrunken
Rings um sie her, und plötzlich auf sie ein
Drang eine Schaar von Frau'n, gewalt'ge Weiber,
In Felle eingehüllt die ries'gen Leiber.
Ein Angstgefühl in ihrem Innern sagte
Ihr deutlich an, daß sie Gefangne sei,
Und als sie sich ergriffen sah, sie wagte
Kein Widerstehn und keinen Hülfeschrei –
Der Weiber eine, die vor allen ragte,
Riß ihr vom Hals das Kreuz und brach's entzwei,
Warf ihr ein Wolfsfell um, und zog die Bange
Mit fort und nach dem Strom in raschem Gange.
Am Ufer stund im Kahn zum Uebersetzen
Ein Ferge langgelockt mit rothem Bart.
Sigune sah zurück und Thränen netzen
Ihr Angesicht, als sie den Rauch gewahrt,
Der aus der Villa drang, und voll Entsetzen
Das Haus in Flammen schaut, die ihrer Fahrt
Zu leuchten scheinen, oder nachzurollen
Bald wie mit Grüßen, bald als wie mit Grollen.
Doch weiter flog der Kahn, vom Strom umbrandet,
Die Höhn entflohen fern in Rauch und Brand.
Von dannen ging's, sobald man angelandet,
Zu Roß und Wagen über Hügelland,
Bis wo der Rheinstrom an sein Ufer brandet.
Hierauf umfing sie Wald, der Tag entschwand
Und durch der Tannen dunkelgrüne Feuchte
Schien oben mitzuziehn des Mondes Leuchte.
Zuweilen war es ihr, als säh' sie neben
Und vor sich her und über ihr dahin
Gestalten wehn, und Luftgebilde schweben;
Wenn eine Lichtung in dem Wald erschien,
Bekam die dunkle Gegend ringsum Leben;
Sie sah ein Heer an sich vorüberziehn,
Gepanzerte, und Andre, aufgebunden
Das Haupthaar, und gefolgt von großen Hunden.
Zuletzt, und nahe jetzt dem Ziel der Reise
Erschien ein lichter Raum; der Wald umgab
Ein freies Feld und hier im Schattenkreise
Uralter Bäume lag ein offnes Grab,
Davor ein Steinaltar, und eine Greise
Saß auf den Stufen, einen Runenstab
In ihrer Hand, und schien nur zu gewahren
Die Zeichen, die darein geschnitten waren.
Von mächtigem Getös – bald Waffenklirren,
Bald murmelnder Gesang – erscholl der Hain,
Sigune ließ die Blicke zagend irren,
Und als sie nun genaht dem Opferstein,
Da sah sie sich ihr dunkles Loos entwirren.
»Zum Tode,« sprach sie, »ja so wird es sein!«
Auf einer von den alten Linden ruhte
Ihr Blick – wie ward ihr wunderbar zu Muthe!
War's nicht der Baum, ach, unter dessen Zweigen
Ihr Jugenddasein einst so schön verfloß.
Lang starrt sie hin, und endlich löst das Schweigen
Ein Wort, das aus der Seele tiefstem Schooß
Hervorbrach, wo nur ihr allein es eigen
Und schlummernd lag und alles in sich schloß,
Was treue Stimmen dort sich anvertrauten;
Ein Wort, in ihrer Muttersprache Lauten.
»Ach Hertha!« rief voll sehnlichem Verlangen
Die Arme, hob ihr bleiches Haupt empor,
Und Thränen rannen über ihre Wangen,
Dann sank sie brechend wie ein zartes Rohr
Und wie entseelt zur Erde. Jetzt erklangen
Schlachthörner durch den Wald, und stolz hervor
Kam Arbogast gerüstet und inmitten
Erles'ner Krieger, zum Altar geritten.
»Nicht, daß ihr Blut den Göttern sei vergossen,
Gab ich zurück die Tochter eures Gau's
Dem Volk, aus dem ihr edler Stamm entsprossen.
Wenn auch verödet liegt ihr Heimathhaus,
Und todt ist, was sie liebend dort umschlossen.
Sie leb' und herrsche!« – »Fort! und sprich nicht aus.
Weh!« riefen die Druiden, »hört es Raben,
Die Götter sollen nicht ihr Opfer haben!
Nach ihr verlangt, erfüllend unsre Schwüre,
Der Götter und des Volkes alter Bund;
Nach ihr, die uns entfremdet ward. Es führe
Der Tod sie heim, und öffne tief im Grund
Zur Heimath ihr die langverschlossne