Papierfische: Vierzehn Erzählungen
Von Ulrich Effenhauser und Fritz Maier
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Über dieses E-Book
Wirklichkeit und Einbildung gehen fließend ineinander über. Ulrich Effenhausers Erzählungen faszinieren durch das Spiel mit Nähe und Ferne, Ironie und Melancholie, Alltag und Magie in verschiedenen Tonlagen und Konstruktionen. Überraschende Perspektivwechsel, skurrile Satzverschachtelungen, detailgenaue Schilderungen und feiner Witz: Mit Lust am Fabulieren entführt Ulrich Effenhauser den Leser in verwunderliche Szenarien.
Die Illustrationen von Fritz Maier ergänzen und erweitern die Geschichten auf raffinierte Weise. Der Künstler nimmt Versatzstücke aus den Texten in seine Zeichnungen auf und setzt sie phantasievoll um; sie sind wie rätselhafte Traumsequenzen und bergen dennoch einen Schlüssel zu den Erzählungen.
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Buchvorschau
Papierfische - Ulrich Effenhauser
Autor
Der Auftrag
Unter anderen Umständen hätte ich natürlich nachgesehen, was es mit dem Geräusch auf sich hatte, aber ich hatte zu tun, entscheidende Vorarbeiten mussten erledigt werden, es konnte ja auch sein, dass das Kratzen gar nicht aus der Kleiderkammer, sondern von oben kam, von der Familie mit den Kindern, wofür ich meine Nerven, gerade an diesem Tag, wirklich nicht verschwenden konnte, also machte ich die Arbeitszimmertür hinter mir zu und vertiefte mich in meinen Auftrag, der von der Leitung als dringend und schwierig eingestuft worden war, ein Kollege meinte sogar, im Grunde könne nur ich dieses Problem lösen, ich benötigte daher völlige Konzentration und konnte mich um die, zunächst geringfügige, Störung beim besten Willen nicht kümmern. Gegen ein Uhr in der Nacht, während ich grübelnd herumging, fiel mir das Geräusch wieder auf, es kam mir nun vor wie das regelmäßige Aufeinandertreffen von etwas Hartem mit Holz, eine Art Schnitzen mochte es sein oder ein Nagen, ich entschied daher, dass es besser sei, die Tür zur Kleiderkammer geschlossen zu halten und erst dann nach dem Rechten zu sehen, wenn ich mich auf die Vertreibung des Tiers ausreichend vorbereitet hätte, um etwas anderes konnte es sich meines Ermessens kaum handeln, es musste ein Nager sein, möglicherweise auch ein größeres Insekt, eine Schabe oder eine Grille, irgendwo hatte ich gelesen, dass überdimensionierte Käferwesen mittlerweile in Mietshäusern heimisch waren, ich hielt es also für durchaus denkbar, dass in meine Kleiderkammer ein betreffendes Subjekt Einzug gehalten hatte, wo sonst sollte ein solcher Schädling zuerst Fuß fassen, wenn nicht in der Kleiderkammer, die sozusagen als Schleuse zwischen draußen und drinnen fungiert, und wenn dem so war, dann musste das Tier, so schnell es in die Wohnung gelangt war, ebenso schnell wieder vertreibbar sein, gleich für den nächsten Nachmittag hatte ich vor, wenn nicht selbst zu Werke zu gehen, so doch einen Fachmann zu bestellen, allerdings lag darin die Gefahr, mich der Lächerlichkeit preiszugeben, was nämlich, wenn es sich um etwas vollkommen Harmloses handelte? Man malt sich in Gedanken ja vieles weit schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist, insbesondere nachts neigt man zu dieser Lupenwahrnehmung, wie ich so etwas nenne, ein stellenweises Herabbröseln des Deckenputzes war, letzten Endes, ebenso wahrscheinlich wie ein tierischer Geräuschursprung, auch dachte ich an eine eventuelle Aufwellung des Bodens, hatte ich doch, so fiel mir ein, in der Vorwoche versehentlich neben den Sportschuhen eine Mineralwasserflasche auslaufen lassen, das Wasser, mit Kohlensäure versetzt, musste in die Ritzen eingedrungen sein und jetzt von unten seine Wirkung tun, Holz arbeitet ja, zu diesem Ergebnis bin ich schließlich gekommen, sodass ich, vorerst, alle Gegenmaßnahmen zurückstellte, um mich wieder bis in die Nacht dem Auftrag zu widmen, und als ich, nach etwa drei Stunden Schlaf, gegen sechs Uhr aufbrach, hatte ich die Störung mehr oder minder vergessen, meinen Anzug hatte ich, zum Glück, im Badezimmer aufgehängt, der Mantel lag in der Küche, und die Schuhe hatte ich ausnahmsweise im Gang postiert, es gab also, bei Lichte betrachtet, keine echte Notwendigkeit, die Kleiderkammer zu betreten.
Abends bemerkte ich nichts, weder in der Kleiderkammer, die ich zunächst mied, noch im Badezimmer, wo ich mich umzog, es ist freilich möglich, dass er in diesem Moment bereits hinter dem Duschvorhang verharrte oder dass ich ihn vor Müdigkeit einfach nicht wahrnahm, obwohl er unmittelbar neben mir stand, den Kopf voller wichtiger Einzelheiten mag ich ihn tatsächlich übersehen haben, dergleichen kommt vor, auch bei meinen Mitarbeitern gelte ich als nach innen gewandt, zumal während der Erledigung schwieriger Aufträge, doch bislang hat mir diese Eigenschaft eher Vorteile als Nachteile eingebracht, nicht umsonst bin ich derjenige in unserer Firma, von dem es heißt, dass er in Notlagen die Ruhe bewahrt und selbst die heikelsten Probleme schnell und hundertprozentig bewältigt, ich rühme mich dessen nicht, ich bin es gewohnt, überlegt zu handeln, und die Tatsache, dass ich bislang noch jeden Angriff auf unser System abwehren konnte, halte ich für nichts anderes als eine Alltäglichkeit. Nach dem Verzehr eines Stücks Zwieback (wenn ich komplizierte Projekte zu bearbeiten habe, neige ich zu einem nervösen Magen, nicht selten verbunden mit Brechreiz) zog ich mich ins Arbeitszimmer zurück und stürzte mich auf die Problemlösung, ohne allerdings recht voranzukommen, brauchbare Ansätze ergaben sich nicht, und als ich gegen zwei Uhr nachts versuchte, ins Badezimmer zu gelangen, musste ich feststellen, dass aus dem Inneren – mutmaßlich aus der Richtung der Dusche – wieder eigenartige Geräusche drangen, dieses Mal bedeutend lauter als am Vortag, es hörte sich an wie ein Zischen und Verdampfen, unterbrochen von gelegentlichem Hämmern, dessen Vibrationen noch auf der Diele spürbar waren, nachbarliche Klagen waren zu befürchten. Da ich zur Gründlichkeit neige, entschloss ich mich, trotz des Zeitdrucks, unter dem ich stehe, das Problem systematisch anzugehen und wandte mich zunächst der Kleiderkammer zu, wo die Störung als Erstes aufgetreten war, fasste Mut (ein Öffnen der Tür drohte die Auswirkungen auf die Gesamtwohnung schließlich zu verschlimmern) und machte auf, wobei das Bild, das sich mir bot, im Widerspruch zu dem Kratzen vom Vortag, ganz und gar unbedenklich war, eigentlich war alles wie sonst, ein oder zwei Hemden schienen mir verknittert, offenbar waren sie von jemandem anprobiert worden, und auf dem Boden entdeckte ich ein Metallstück, daumennagelgroß und verrostet, darüber hinaus fand sich nichts Ungewöhnliches, meine Erleichterung, dass es sich offensichtlich nicht um ein Tier handelte, war so beträchtlich, dass ich mich von den aus der Form geratenen Hemden nicht weiter verunsichern ließ, gleichzeitig aber kam die Befürchtung in mir auf, ein Obdachloser könnte sich bei mir eingenistet haben, das Metall, augenscheinlich vom Schrottplatz, erinnerte mich sehr an entsprechende Personenkreise, auch drängte sich mir die, ethisch sicher nicht ganz einwandfreie, Überlegung auf, was wohl weniger von Schaden für mich sei, eine Schabe oder ein Obdachloser, und da ich noch ein paar Minuten Zeit hatte, begab ich mich nun mit Entschlossenheit zur Badezimmertür und versuchte diese zu öffnen, um den Eindringling, wer auch immer es sei, zur Rede zu stellen, doch die Tür war verschlossen, und durch die Sichtschutzscheibe konnte ich nur eine schemenhafte Gestalt erkennen, die sich gerade gebückt hielt, wobei ich erneut das undefinierbare Zisch- und Verdampfgeräusch hörte, welches mich, im Zusammenhang mit der dreisten Selbstverständlichkeit des Unbekannten, derart befremdete, dass ich zweimal heftig gegen die Tür klopfte und dringend bat, sich zu erkennen zu geben, man könne die Angelegenheit doch auch von Angesicht zu Angesicht behandeln, aber es kam lediglich ein Wortschwall zurück, der sich nicht recht einordnen ließ, beim Weggehen hatte ich den Eindruck, als sei mir aus dem Bad, in seltsam beschwichtigendem Tonfall, die Wortfolge „keine Sorge, du bekommst es bald" zugerufen worden, doch kann es sich auch um eine Fehlinterpretation meines Gehirns gehandelt haben, welches die undeutliche Aussage nicht präzise genug identifizieren konnte und daher zu einer Ersatzbedeutung griff. Da ich dem Menschen in meiner Dusche, als Obdachlosem, den Vorgang des Sich-Säuberns gönnte, selbst wenn er seine Verrichtungen für meine Begriffe zu geräuschvoll ausführte, und zumal ich schon länger das schlechte Gewissen mit mir herumtrug, für derartige Gesellschaftsschichten bislang zu wenig getan zu haben, unterdrückte ich mein wachsendes Unverständnis – mein Drang, mich zu erleichtern, war ohnehin bereits vergangen (eine Verstopfung kündigte sich an) – und widmete mich wieder der Arbeit, die keinerlei Abzweigung von Energien duldet, da sie von allerhöchster Komplexität ist. Irgendwann suchte ich für einen kurzen Schlaf das Bett auf, gegen 7.30 Uhr wachte ich, mit deutlichem Verspätungsgefühl, auf, weswegen ich die Morgentoilette vernachlässigte und meine Wohnung schnellstmöglich verließ, in die ich gegen 19.45 Uhr zurückkehrte, nun schien niemand anwesend zu sein, ich wagte daher einen kurzen Blick in das Badezimmer, wo alles, zu meiner Überraschung, aufgeräumt war, die Geräusche hatten ja ein mittleres Chaos vermuten lassen, nur stellte ich an der Duschwanne kleine Schlieren und Ränder fest, und ein wenig roch es nach Rauch, was ich auf Zigarettenkonsum zurückführte. Obwohl es mich ins Arbeitszimmer drängte, wollte ich mir noch geschwind ein Stück Zwieback einverleiben, doch als ich im Begriff war, die Küche zu betreten, saß er bereits am Tisch und aß, mit hörbarem Appetit, von mehreren randvoll gefüllten Tellern, die leeren Dosen und Packungen lagen fein säuberlich aufeinandergestapelt neben der Spüle. Da ich ihn nur seitlich von hinten sah, kann ich keine genaueren Angaben zu seiner äußeren Erscheinung machen, er ist von eher schlanker Gestalt, aber keineswegs großgewachsen, als muskulös würde ich ihn nicht bezeichnen, und dennoch strahlt seine Haltung eine gewisse Kräftigkeit aus, seine Frisur konnte ich