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Ich verkauf dir einen Hund
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eBook230 Seiten2 Stunden

Ich verkauf dir einen Hund

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Über dieses E-Book

Wieviele Kakerlaken passen in einen Aufzug? Hilft ­Adorno gegen amerikanische Missionare? Lebt die Revolution? Und vor allem: Was steckt »wirklich« in einem Taco? Fragen über Fragen, die Juan Pablo Villalobos in seinem rasanten Senioren­roman aufs vergnüglichste beantwortet. Nabel der Welt ist ein Wohnhaus im Herzen von Mexico City, wo der ganz normale Wahnsinn der Stadt auf ein paar Etagen zusammenschnurrt. Während der hausinterne Literaturkreis auf dem Flur tagt – unter dem strengen Regiment der rüstigen Francesca –, entspinnt sich auf den oberen Stockwerken irgendetwas zwischen Liebes-, Künstler- und Kriminal­geschichte. Ein großer Spaß, und das ganz ohne Rentner, die aus Fenstern steigen!
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum14. Sept. 2016
ISBN9783946334125
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    Buchvorschau

    Ich verkauf dir einen Hund - Juan Pablo Villalobos

    ÄSTHETISCHE THEORIE

    Wenn ich damals am Morgen meine Wohnung verließ, die 3-C, stieß ich jedes Mal auf meine Nachbarin aus der 3-D, die steif und fest behauptete, ich würde einen Roman schreiben. Die Nachbarin hieß Francesca, aber man musste es Franscheska aussprechen, damit es ordinärer klang. Und ich schrieb keinen Roman, so weit kommt’s noch. Nachdem wir uns mit einem Stirnrunzeln gegrüßt hatten, warteten wir schweigend auf den Fahrstuhl, der das Gebäude in zwei Hälften teilte wie ein Reißverschluss eine Hose. Wegen solcher Vergleiche erzählte sie überall im Haus herum, ich würde mich an sie heranmachen. Und weil ich sie Francesca nannte, wie sie in Wahrheit gar nicht hieß. Es war nur der Name, den ich ihr in meinem angeblichen Roman gegeben hatte.

    Manchmal dauerte es Stunden, bis der Aufzug kam, als wüsste er nicht ganz genau, dass im Haus nur alte Leute wohnten. Als hätten wir alle Zeit der Welt noch vor und nicht längst hinter uns. Aber vielleicht wusste er das auch und es interessierte ihn nur einfach nicht die Bohne. Als endlich die Türen aufgingen, stiegen wir ein und fuhren gemächlich nach unten. Das Gefährt bewegte sich in einem solchen Schneckentempo, dass es so schien, als würden die Hände eines Schlitzohrs den Reißverschluss besonders langsam öffnen, um die Erregung zu steigern und die Befriedigung hinauszuzögern. Die Kakerlaken nutzten die Gelegenheit und fuhren in aller Ruhe nach unten, um den Kollegen im Hausflur einen Besuch abzustatten. Ich wiederum nutzte die Zeit, um ein paar von ihnen plattzumachen. Im Fahrstuhl war die Jagd deutlich leichter als in der Wohnung, im Treppenhaus oder im Hausflur, allerdings auch viel riskanter. Man musste sie mit sicheren Tritten ins Jenseits befördern, durfte es aber auch nicht übertreiben, nicht, dass der Fahrstuhl dabei noch in die Tiefe stürzte. Ich warnte Francesca, sich ja nicht zu rühren. Einmal war ich ihr aus Versehen auf den Fuß getreten, und sie hatte mich gezwungen, ihr das Taxi zum Podologen zu bezahlen.

    Im Hausflur warteten schon die Speichellecker vom Literaturzirkel auf sie. Die Armen, Francesca zwang sie, einen Roman nach dem anderen durchzuackern. Stundenlang saßen sie im Hausflur, montags bis sonntags. Auf dem Markt hatten sie sich batteriebetriebene Lämpchen besorgt, die man sich mit einer Lupe zum Lesen an die Stirn klemmte. Made in China. Sie hüteten sie wie ihre Augäpfel, als wären sie die größte Erfindung seit dem Schießpulver oder dem Maoismus. Ich schlich mich an den Stühlen vorbei, die wie bei einer Selbsthilfegruppe oder satanischen Sekte im Kreis angeordnet waren, und als ich endlich an der Haustür war und schon die Nähe der Straße mit ihren Schlaglöchern und ihrem Gestank nach Frittiertem spürte, rief ich ihnen zum Abschied zu:

    »Wenn ihr mit den Büchern durch seid, könnt ihr sie mir gerne geben! Mein Wohnzimmertisch wackelt!«

    Und Francesca antwortete:

    »Franscheska heißen nur italienische Nutten, Sie alter Lustgreis!«

    Der Literaturzirkel bestand aus zehn Leuten, plus der Chefin. Ab und zu verstarb einer oder konnte nicht länger alleine wohnen und landete im Heim, doch Francesca schaffte es immer wieder, den neuen Mieter zu umgarnen. Das Haus hatte zwölf Wohnungen, verteilt auf drei Stockwerke, vier pro Etage, und die Bewohner waren ausnahmslos Witwer und alte Junggesellen, oder besser gesagt Witwen und alte Jungfern, denn das weibliche Geschlecht war eindeutig in der Überzahl. Das Haus mit der Nr. 78 stand in der Calle Basilia Franco, einer Straße wie jede andere in Mexiko-Stadt, was so viel heißt wie: genauso dreckig und heruntergekommen wie jede andere. Das einzig Besondere war unser kleines Rentnerghetto, so alt und hinfällig wie seine Bewohner, die Greisenburg, wie die Leute in der Straße das Gebäude nannten. Die Hausnummer entsprach übrigens meinem Alter, nur dass sie nicht mit jedem Jahr zunahm.

    Dass der Literaturzirkel in Wahrheit eine Sekte war, zeigte sich schon daran, dass sie es derart lange auf diesen unbequemen Stühlen aushielten, Aluminiumklappstühlen von Modelo Bier. Ich spreche hier von literarischen Fundamentalisten, Leuten, die skrupellos genug waren, so lange auf den Marketingchef einer Brauerei einzureden, bis der die Stühle herausrückte, was sich dann Kultursponsoring nannte. Aber so lächerlich es klingt, die Schleichwerbung wirkte – ich ging schnurstracks zur nächsten Kneipe und gönnte mir das erste Bier des Tages.

    Der Literaturzirkel war jedoch nicht das einzige Übel im Haus. Hipólita aus der 2-C veranstaltete jeden Dienstag, Donnerstag und Samstag einen Salzteigmodellierkurs. Montags und freitags kam ein Trainer, um mit den Alten im Epikur-Park Aerobic zu machen, einem unkrautüberwucherten Grünstreifen, wo man mehr Kohlenmonoxid und Schwefeloxid als Sauerstoff einatmete. Francesca, die früher Lehrerin gewesen war, gab privaten Englischunterricht. Außerdem gab es Yoga-, Computer- und Makrameekurse. Alles selbst organisiert von den Hausbewohnern, für die Ruhestand nur ein anderes Wort für Vorschulunterricht zu sein schien. Das alles und den erbärmlichen Zustand des Gebäudes musste man ertragen, aber dafür waren die Mieten seit Urzeiten nicht erhöht worden.

    Und dann waren da noch die Ausflüge zu allen möglichen Museen und historischen Sehenswürdigkeiten. Jedes Mal, wenn jemand einen Zettel mit der Ankündigung eines Museumsbesuchs in den Hausflur hängte, fragte ich:

    »Weiß einer, was das Bier in diesem Schuppen kostet?«

    Die Frage war nicht ganz abwegig, schließlich hatte ich in einem Museumscafé einmal glatte fünfzig Pesos für ein Bier hinlegen müssen. Eine komplette Monatsrente! So einen Luxus konnte ich mir nicht leisten, ich musste mit meinen Ersparnissen haushalten, und bei meinem Rhythmus dürften diese Ersparnisse meinen Berechnungen nach etwa acht Jahre reichen, Zeit genug für den Sensenmann, mir bis dahin Guten Tag zu sagen. Mit »meinem Rhythmus« meine ich das, was die Leute immer so elegant genügsames Leben nennen, obwohl ich es eher mieses Leben nennen würde. Um mein Budget nicht zu überziehen, musste ich sogar die täglichen Gläser Bier zählen! Und genau das tat ich, akribisch, das Problem war nur, dass ich bis zum Abend alles wieder vergessen hatte. Das mit den acht Jahren konnte also genauso gut falsch sein, vielleicht waren es eher sieben oder sechs. Oder fünf. Der Gedanke, dass sich die Summe der täglichen Biere eines Tages umkehren und sich das Ganze in eine Art Countdown verwandeln könnte, machte mich ziemlich nervös. Und je nervöser ich wurde, desto schwerer fiel mir das Zählen.

    Manchmal erteilte Francesca mir im Fahrstuhl kluge Ratschläge, wie man einen Roman schreibt, was ich, wie gesagt, überhaupt nicht tat. Beim Tempo des Aufzugs reichten ihr drei Stockwerke für zwei Jahrhunderte Literaturtheorie. Meinen Figuren fehle es an Tiefe, sagte sie, als spreche sie von Löchern. Und mein Stil brauche mehr Struktur, als würde sie Gardinenstoff kaufen. Ihre Aussprache war erstaunlich klar, und sie betonte jede Silbe derart deutlich, dass ihre Gedanken, so abstrus sie auch waren, völlig logisch klangen. Als wäre gute Aussprache ein Garant für Wahrheit. Oder eine Hypnosetechnik. Und es funktionierte! Auf die gleiche Weise war sie Diktatorin des Literaturzirkels, Sprecherin der Hausversammlung und oberste Autorität in Sachen Tratsch und boshafter Verleumdung geworden. Ich hörte nicht länger zu, schloss die Augen und konzentrierte mich auf das langsame Öffnen des Reißverschlusses. Dann gab es einen Ruck, wir waren angekommen, und Francesca spulte einen letzten Satz ab, den ich, da ich längst den Faden ihrer Predigt verloren hatte, nur mit einem Ohr aufschnappte:

    »Ihnen wird es gehen wie den Yukateken, die suchen und suchen und nicht suchen.«

    Und ich erwiderte:

    »Wer nicht sucht, der findet nicht.«

    Der Satz war von Schönberg und erinnerte mich an meine Mutter vor siebzig Jahren, als ich einmal einen Strumpf verloren hatte. Damals suchte und suchte ich, und dann stellte sich heraus, dass der Hund den Strumpf gefressen hatte. Meine Mutter starb 1985 bei dem großen Erdbeben. Der Hund kam ihr mehr als vierzig Jahre zuvor und verpasste aus lauter Schusseligkeit den Ausgang des Zweiten Weltkriegs: Er verschluckte eine Nylonstrumpfhose, eine superlange, so lang wie die Beine von Vaters Sekretärin.

    Mit einem Koffer voller Kleidung, zwei Kartons mit meinen Habseligkeiten und einem Bild und einer Staffelei unter dem Arm war ich an einem Sommernachmittag vor anderthalb Jahren in das Haus gezogen. Die Möbel und einige Haushaltsgeräte hatte die Umzugsfirma schon am Vormittag gebracht. Während ich mich im Hausflur an den Gestalten vom Literaturzirkel vorbeiquetschte, murmelte ich in einem fort:

    »Nicht stören lassen, nur nicht stören lassen.«

    Natürlich störte sich keiner an mir, alle taten so, als wären sie in ihre Lektüre vertieft, obwohl sie in Wahrheit jede meiner Bewegungen aus dem Augenwinkel verfolgten. Als ich endlich vor dem Aufzug stand, hörte ich das Getuschel, das von Francesca ausging und wie bei der Stillen Post die Runde machte:

    »Das ist ein Maler!«

    »Das ist ein Prahler!«

    »Das ist ein Fahrer!«

    »Das ist ein Radikaler!«

    Ich stopfte so viel in den Aufzug wie möglich, und als ich zehn Minuten später wieder unten war, um wie ein besonders lahmarschiger Sisyphos den Rest zu holen, hatte der Literaturzirkel zu meinen Ehren einen Begrüßungsempfang mit Champagner aus Zacatecas und Salzkräckern mit Thunfischpastete und Mayonnaise vorbereitet.

    »Willkommen!«, brüllte Hipólita, während sie mir eine Spraydose mit DDT in die Hand drückte. »Es ist nur eine Kleinigkeit, aber Sie werden es brauchen.«

    »Entschuldigen Sie«, sagte Francesca. »Hätten wir gewusst, dass Sie Künstler sind, hätten wir den Champagner kaltgestellt.«

    Als ich meinen bis zum Rand mit lauwarmem Champagner gefüllten Plastikbecher hochhielt, um mit ihnen anzustoßen, rief Francesca freudig aus:

    »Auf die Kunst!«

    Ich hatte meinen Arm etwas zu horizontal ausgestreckt, so dass es aussah, als wollte ich den Becher unangetastet zurückgeben, statt mit ihnen anzustoßen – was nicht ganz falsch war. Man bat mich um eine kurze Ansprache, ein paar Worte auf die Kunst, und mit einem resignierten Blick auf die Bläschen in meinem Becher hob ich zu folgender Rede an:

    »Ein Bier wäre mir lieber.«

    Francesca zog einen verknitterten Zwanzig-Peso-Schein aus ihrem Portemonnaie und befahl einem der Teilnehmer des Literaturzirkels:

    »Kauf dem Künstler im Laden an der Ecke ein Bier.«

    Leicht benommen von dem Stimmengewirr um mich herum hörte ich eine Frage nach der anderen auf mich einprasseln:

    »Wie alt sind Sie eigentlich?«

    »Sind Sie Witwer?«

    »Ist das Ihre richtige Nase?«

    »Wo haben Sie vorher gewohnt?« »Sind Sie Single?«

    »Warum kämmen Sie sich nicht?«

    Ich stand wie versteinert da, in der rechten Hand den vollen Becher Champagner, in der linken das DDT-Spray, und lächelte verlegen, bis plötzlich Stille eintrat und alle mich erwartungsvoll anstarrten.

    »Und?«, fragte Francesca.

    »Ich glaube, das ist ein Missverständnis«, sagte ich, leider bevor der Mann, der das Bier holen sollte, überhaupt die Haustür erreicht hatte. »Ich bin kein Künstler.«

    »Ha! Hab ich’s doch gewusst! Er ist Fahrer«, stieß Hipólita triumphierend aus, während mir ein dunkler Flaum über ihrer Oberlippe auffiel.

    »Eigentlich bin ich Rentner«, fuhr ich fort.

    »Ein Künstler im Ruhestand!«, frohlockte Francesca. »Sie müssen sich nicht rechtfertigen, wir sind hier alle im Ruhestand. Bis auf die wenigen Faulpelze, die nie gearbeitet haben.«

    »Ich mag zwar nur Hausfrau gewesen sein, aber auch ich bin jetzt im Ruhestand«, beeilte sich Hipólita zu sagen.

    »Nein, verdammt, ich war nie Künstler«, entfuhr es mir so vehement, dass es sogar mir selbst verdächtig vorkam.

    Ein Teilnehmer des Literaturzirkels, der mir gerade ein paar Kräcker hatte anbieten wollen, drehte sich abrupt um und stellte den Teller auf einem Stuhl ab.

    »Soll ich jetzt das Bier holen oder nicht?«, fragte der Mann an der Haustür.

    »Warte«, befahl ihm Francesca, bevor sie sich wieder an mich wandte:

    »Und was ist mit der Staffelei und dem Bild?«

    »Von meinem Vater. Er hat leidenschaftlich gern gemalt. Genau wie ich, aber das ist lange her.«

    »Das hat uns gerade noch gefehlt, ein gescheiterter Künstler!«, rief Francesca. »Darf man erfahren, womit Sie Ihr Geld verdient haben?«

    »Ich war Tacoverkäufer.«

    »Tacoverkäufer?!«

    »Ja, ich hatte einen Tacostand in der Candelaria de los Patos.«

    Sofort fingen die Teilnehmer des Literaturzirkels an, den Champagner zurück in die Flasche zu kippen, aber weil sie so zitterten, ging die Hälfte daneben. Francesca warf dem Mann an der Tür, der geduldig auf den Ausgang der Szene gewartet hatte, einen zornigen Blick zu.

    »Mach schon, gib mir das Geld zurück.«

    Während ich das Gewicht des Bechers aus meiner rechten Hand verschwinden spürte, riss Hipólita mir das DDT-Spray aus der linken, gab der Mann Francesca den zerknüllten Schein zurück und erklärte der gesamte Literaturzirkel den Begrüßungstrunk für beendet, indem sie die Kräcker unter sich aufteilten, den Korken zurück in die Flasche drückten und sich unmittelbar darauf wieder der Lektüre widmeten. Nur Francesca musterte mich weiter von oben bis unten und unten bis oben, als wollte sie sich meine gebrechliche Gestalt für den Rest ihrer Tage einprägen.

    »Betrüger!«

    Auch ich starrte sie lange an, ließ meinen Blick über ihren gertenschlanken Körper gleiten, bemerkte, dass sie sich während meiner Abwesenheit, als ich zur Wohnung hinauf- und wieder heruntergefahren war, das Haar gelöst und ein wenig den Ausschnitt ihres Kleides aufgeknöpft hatte, spürte dieses selten gewordene Kribbeln im Schritt und knallte ihr, da ich schnell begriffen hatte, wie sie tickte, den ersten von vielen Sätzen an den Kopf, die von diesem Tag an zu unserer täglichen Routine werden sollten:

    »Ich bitte vielmals um Verzeihung, dass ich Tacoverkäufer war, Madame

    Meine Mutter wollte unbedingt eine Autopsie an dem Hund vornehmen, während Papa sie vergeblich daran zu hindern suchte:

    »Was haben wir denn davon, wenn wir wissen, woran der Hund gestorben ist?«

    »Ich will wissen, was passiert ist«, erwiderte meine Mutter.

    »Es gibt für alles eine Erklärung.«

    Der Köter hatte in der Nacht zu kotzen versucht, es aber nicht geschafft. Mama zählte die Socken im Haus, es waren alle da. Und weil Papa nach dem Abendessen immer mit dem Hund spazieren ging, kam ihr ein Verdacht. Sie bezahlte den Fleischer, damit er die Töle aufschlitzte. Wir trugen den Kadaver in den kleinen Hof, wo wir die Wäsche zum Trocknen aufhängten. Meine Mutter hatte ihn vorher sorgfältig mit Zeitungspapier ausgelegt. Während der Schlachter die Autopsie vorbereitete, stand Papa die ganze Zeit hinter ihr und fragte wieder und wieder:

    »Ist das denn wirklich nötig? Das ist doch grausam, das arme Tier.«

    »Keine Sorge, Papa, der spürt nichts mehr«, beruhigte ich ihn.

    Ich war damals knapp acht Jahre alt. Die Vorbereitungen gingen weiter, und mein Vater versprach, dass er, sollten wir auf die Obduktion verzichten, im Gegenzug ein Porträt des Hundes malen würde, damit meine Mutter sich immer an ihn erinnern könne.

    »Ein gegenständliches Bild«, präzisierte er. »Nichts Avantgardistisches.«

    Meine Mutter ging mit keinem Wort auf seinen Vorschlag ein. Zwischen den beiden schwelte ein ewiger Streit wegen eines kubistischen Porträts, das mein Vater während der Verlobungszeit von ihr gemalt und ihr zur Hochzeit geschenkt hatte. Sie hasste das Bild und meinte, dass sie darauf wie ein Clown, ein Monster oder eine fette Wachtel aussah, je nach Tageslaune.

    »Ist das denn wirklich nötig?«, insistierte mein Vater.

    »Ich will nicht, dass so etwas noch einmal passiert, und dazu müssen wir wissen, was eigentlich passiert ist«, erklärte meine Mutter.

    Selbst ein knapp achtjähriger Junge begriff, worum es bei der Sache wirklich ging, der Hund konnte schließlich nicht noch einmal sterben. Meine Schwester, die nur ein Jahr älter

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