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Nur ein Tropfen Leben: Willow-Tree
Nur ein Tropfen Leben: Willow-Tree
Nur ein Tropfen Leben: Willow-Tree
eBook897 Seiten13 Stunden

Nur ein Tropfen Leben: Willow-Tree

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Über dieses E-Book

Gefunden auf einem Dachboden, in einem Koffer, der wahrscheinlich kurz nach dem Krieg in die Ecke geschoben, dort längst vergessen und total verstaubt vor sich hin zerfiel, fanden sich hunderte Blätter und Heftchen, gefüllt mit den Lebenserinnerungen einer Frau, geboren 1875 auf einer kleinen Farm in Pennsylvanien. Ich konnte nicht anders, ich musste es übersetzen und eine bunte Geschichte niederschreiben, die fantastisch klingt, aber das echte Leben im Wilden Westen war, der gar nicht so wild, aber anstrengend gewesen sein muss.
SpracheDeutsch
Herausgeberneobooks
Erscheinungsdatum14. Juli 2013
ISBN9783847635178
Nur ein Tropfen Leben: Willow-Tree

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    Buchvorschau

    Nur ein Tropfen Leben - Christina M. Kerpen

    Vorwort

    Heutzutage schwärmen plötzlich alle Leute für altmodischen Krimskrams und nennen das dann Nostalgie.

    Was gibt es aber auch schöneres, als auf Dachböden oder in Kellern in alten, staubigen Sachen zu wühlen, die vor langer Zeit unseren Großeltern gehörten und ihnen zum täglichen Gebrauch dienten. Da kann man die tollsten Dinge ausgraben. Tante Henriettes Brautkleid im Stil der zwanziger Jahre, welches damals todschick und der letzte Schrei gewesen ist, Großvaters alte Fotokamera, seinerzeit hochmodern und der neueste Stand der Technik, Omas alte Kaffeemühle, noch voll funktionsfähig, was man in unserer heutigen Wegwerfgesellschaft kaum noch für möglich hält, Vaters alte Zeugnishefte, die doch gar nicht die so glänzenden Noten aufweisen, wie er uns immer glauben machen wollte, alte Liebesbriefe, die zu lesen aufgrund der geschraubten Schreibweise manchmal sehr lustig sein kann, ja - und dann gibt es dort vielleicht noch alte Tagebücher.

    Und bei Tagebücher fängt meine Geschichte auch fast schon an.

    Vorgeschichte

    Vor einiger Zeit hat eine Freundin von mir für ganz kleines Geld ein altes Haus gekauft, dessen ältere Besitzerin verstorben war, ohne irgendwelche Erben zu hinterlassen.

    Bevor die Renovierungsarbeiten begonnen werden konnten, musste aber das ganze Gebäude erst einmal gründlichst entrümpelt werden, daher war es auch so günstig zu bekommen, sogar gering unter dem Verkehrswert, weil kein anderer die alte, winzige Hütte haben wollte.

    Da unsere Kirche einmal im Jahr auf dem Trödelmarkt Sachen für einen guten Zweck verkauft, begab ich mich hochmotiviert auf den Dachboden, in der Hoffnung, dort ein paar brauchbare Spenden zu finden.

    In einer Ecke fand ich eine uralte Holzkiste, deren Scharniere bei meiner Berührung ächzend zu Boden polterten. Der Staub auf diesem Monstrum schien mindestens noch Vorkriegsware und die Spinnen, die ihre Netze um sie gesponnen hatten, waren auch mindestens schon fünfzig Jahre im Spinnenhimmel.

    Doch der Kisteninhalt war trotz oder vielleicht auch gerade wegen des Staubs und der etwas unsympathischen Spinnweben so faszinierend, dass ich alles um mich herum vergaß und in eine längst vergangene Zeit eintauchte. Erst meine Freundin holte mich unsanft in die Wirklichkeit und damit in die Gegenwart zurück.

    Plötzlich tauchte ihr Kopf in der Dachluke auf und mit einem vorwurfsvollen Blick sah sie mich an: ,,Ich dachte, Du wärst hier, um mir zu helfen und nicht um zu lesen. Nimm den Plunder doch mit nach Hause und verlustiere Dich da damit, dann habe ich den Mist wenigstens schon mal aus den Füßen. Außerdem müsstest Du Dich mal sehen, Du siehst aus, als hättest Du in Draculas Gruft gewühlt."

    Recht hatte sie, in allen Punkten. Ich war staubig bis zu den Haarwurzeln, hatte ihr noch kein bisschen geholfen und zu Hause könnte ich mich viel besser in die gefundenen Schätze vertiefen. Also packte ich sorgfältig alles aus der Kiste in eine zwar unmoderne, aber wenigstens nicht staubige, riesige Reisetasche der ehemaligen Hausbesitzerin und schleppte es abends zu mir nach Hause.

    Dort habe ich es mir gemütlich gemacht und zu allererst ein sehr abgenutztes und stark zerfleddertes Büchlein zur Hand genommen, in welchem mit schöner, zierlich gemalter Handschrift Eintragungen in englischer Sprache gemacht worden sind. Welche Qual für mich, handgeschrieben und dann auch noch auf Englisch. Ich seufzte und hoffte, dass mein damaliger Freund, ein Amerikaner, geneigt sein würde, mir bei dem Studium des Geschriebenen zu helfen.

    Doch auch ohne seine Hilfe fand ich heraus, dass es sich bei diesem Heftchen ganz offensichtlich um das Tagebuch einer Frau handelte und ich nahm zunächst an, auf die Erinnerungen an die Jugendzeit der alten, verstorbenen Dame gestoßen zu sein, obwohl mich die englische Sprache ein wenig stutzig machte. Ich habe die Frau ein wenig gekannt und erinnerte mich noch gut an ihren sehr rheinisch gefärbten Tonfall.

    Ich begann, meine Schätze zu sortieren und fand letztendlich noch eine ganze Reihe weiterer Heftchen, was schlicht untertrieben ist, denn es waren weit über hundert in ganz unterschiedlichen Qualitäten. Bei genauerem Hinsehen stellte ich dann fest, dass auch ein ganzer Stapel loser Blätter, engst beschrieben, zu diesen Lebensaufzeichnungen gehörte und je mehr ich mich in die Materie eingelesen hatte, merkte ich, dass die Qualität des Aufzeichnungspapiers nicht nur unterschiedlich war, sondern immer besser wurde, was mir das Sortieren letztendlich vereinfachte.

    Leider sind im Laufe der vielen Jahre die Hefte teilweise auseinandergefallen, wobei etliche Seiten der Aufzeichnungen verloren gegangen sind. Auch muss ich zu meiner Schande gestehen, dass meine zu Beginn noch sehr ungeschickten Finger viele der Blätter, die knochentrocken und schon beim Öffnen der Kiste bröckelig gewesen sind, einiges an Staub erzeugt haben: Genauer gesagt, mir zerfielen die Aufzeichnungen im wahrsten Sinne des Wortes vor den Augen. Dennoch oder gerade deswegen faszinierte mich das Geschriebene aufgrund seines Alters in größtem Maße und ich kam schnell dahinter, dass die Hausbewohnerin nicht die Verfasserin sein konnte, denn die Daten der Eintragungen lagen weit zurück ins neunzehnte Jahrhundert und die Verstorbene war noch keine siebzig Jahre alt gewesen. Bei späteren Nachfragen bei den neuen Nachbarn meiner Freundin erfuhr ich, dass die Vorbesitzerin des Hauses eine entfernte Verwandte der ursprünglichen Hausbewohner gewesen ist, die irgendwann in den fünfziger Jahren nach Amerika, der Heimat der Frau, zurückgekehrt sind und dort kurze Zeit später einem Verkehrsunfall zum Opfer gefallen waren.

    Um keine weitere Zerstörung an meinen Schätzen anzurichten, bat ich meinen Freund alle Beziehungen spielen zu lassen und mithilfe eines Chemikers aus seinem Bekanntenkreis wurden die Einzelblätter wieder irgendwie angefeuchtet und ich konnte sie ganz vorsichtig lesen.

    Je schwieriger der Umgang mit dem Papier war, umso mehr interessierte mich das Geschriebene und ich muss sagen, dass nach allem, was ich gelesen habe, die Schreiberin bereits eine sehr emanzipierte Frau gewesen sein muss, was im ausklingenden neunzehnten Jahrhundert bestimmt Seltenheitswert hatte und der jungen Frau sicher nicht nur Ablehnung, sondern auch sehr viel Sympathie eingebracht haben mag. Doch dies kann jeder, der sich für das Leben in vergangenen Tagen interessiert, selbst nachlesen. Ich habe, trotzdem es eine Übersetzung ist, versucht, den sehr einfachen, zum Teil rotzfrechen Sprachstil des zu Anfang noch Kindes einzuarbeiten, was mir, wie ich zugeben muss, nicht immer leicht gefallen und auch nur durch die Hilfe meines ersten Freundes gelungen ist.

    Meine Protagonistin nahm in ihren Aufzeichnungen kein Blatt vor den Mund und war manchmal so drastisch in Ihren Schilderungen, dass ich bei „Bettszenen" rote Ohren bekam und das will schon was heißen, besonders in der heutigen Zeit, wo man schon beim Nachmittagskaffee mit nackten Tatsachen in jeglicher Form konfrontiert wird. Ich habe auf diese Schilderungen nicht verzichtet, weil mich die Selbstverständlichkeit, mit der die junge Frau ihr Liebesleben niedergeschrieben hat, nicht weniger faszinierte, wie alle anderen Alltäglichkeiten und Abenteuer, die ich lesen durfte.

    Worauf ich allerdings gerne verzichtet habe, waren die Schilderungen der für heutige Verhältnisse eher unhygienischen, sanitären „Angelegenheiten. Für unsere modernen Nasen wäre das Leben auf der Ranch wahrscheinlich nicht auszuhalten, das geht los beim damals sehr „modernen Plumsklo auf der Ranch, bis hin zu den Löchern beim Viehtrieb oder aber der nur sporadisch gewaschenen Wäsche der Cowboys in einer Waschbütt und vieler anderer Kleinigkeiten, die man mit fortschreitender „Modernisierung des Lebens sowieso immer gerne beim Schildern der „guten, alten Zeit außen vorlässt.

    Was ich allerdings sonst noch aus den Papieren und Unterlagen herausgefunden habe und was sicherlich auch zum besseren Verständnis für das ,,unmögliche Frauenzimmer" beiträgt, war folgendes:

    Die junge Dame wurde am 29. Dezember 1875 in Pennsylvania als Tochter englisch/deutscher Einwanderer geboren. Der Vater war Brite, die Mutter Deutsche und deren Mutter wiederum Französin. Sie blickte also auf internationale Vorfahren zurück, was aber bei Amerikanern keinesfalls unüblich ist.

    Irgendwann im Jahre 1888 kam ihr Vater bei einem für damalige Verhältnisse großen Hotelbrand ums Leben. Außer ihm müssen noch eine ganze Reihe weiterer Personen getötet worden, bzw. zu Schaden gekommen sein, denn dieses Unglück war wohl damals eine kleine Sensation. Ihre Mutter konnte sich mit der Tatsache, nun Witwe zu sein, offenbar nicht richtig abfinden, so dass sie zu kränkeln begann und etwa ein dreiviertel Jahr nach ihrem Mann starb.

    Sie hinterließ einen erwachsenen Sohn, dessen Aufenthalt keiner kannte und ihre halbwüchsige Tochter. Das Kind war somit Vollwaise. Die elterliche Farm musste verkauft werden und das Mädchen hätte von Rechts wegen in ein Heim gemusst. Doch die Gesetze waren damals noch nicht so streng, eine Verfolgung wegen fehlender Kommunikationsmöglichkeiten mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, zumal war damals ein bald Vierzehnjähriger schon fast erwachsen und so konnte sich meine unbekannte Freundin mit ein wenig List und Tücke einem Heimaufenthalt entziehen.

    Leider waren von den ältesten Handschriften nur noch ein paar traurige Reste vorhanden, die trotz chemischer Behandlung bei meiner Berührung dann fast gänzlich den Geist aufgegeben haben.

    Hinzu kommt, dass die junge Frau als Kind ihre Aufzeichnungen und Berichte so sprunghaft und ungenau geführt hat, dass ich mit dem Übersetzen und Niederschreiben des Inhalts der Tagebücher erst an einem Punkt einsetze, wo alles etwas geordneter und ruhiger zu werden schien, denn ich wollte meine Phantasie ja nicht überstrapazieren. Also begann ich mich erst mit den etwas geordneteren Blättern und dem ersten Heftchen richtig intensiv zu beschäftigen, wobei ich jedoch versucht habe, die wenigen Fakten, die ich den ersten Zetteln entnehmen konnte, im weiteren Verlauf der Geschichte einzubauen, damit diese nicht gänzlich verloren gehen.

    Ich kann rückblickend nur noch sagen, ich habe die junge Frau schon beim Lesen richtig liebgewonnen, so wie eine gute Freundin und beim Schreiben hatte ich dann manchmal das Gefühl, sie wäre bei mir im Zimmer. Ich spürte ihre Anwesenheit so körperlich, dass ich glaubte, zeitweise ihren Atem im Nacken zu spüren, wenn sie mir beim Schreiben über die Schulter sah. Ich fühlte ihre Augen auf mich gerichtet, hörte ein leises, glockenhelles Lachen und wenn mir Seiten fehlten oder mich meine Phantasie im Stich ließ, entstanden Bilder von fotografischer Genauigkeit vor meinen Augen, als würden mir fremde Gedanken förmlich in den Kopf projiziert. Ich weiß, das klingt ziemlich verrückt, aber meine Freundin hatte beim Lesen ganz ähnliche Eindrücke und glaubt seither sogar an Geister, allerdings ohne sich vor ihnen zu fürchten. Und das, wo sie noch vor der Lektüre meines Romans nach Einbruch der Dämmerung um jeden Friedhof einen Riesenbogen gemacht hat. Heute nutzt sie ihn sogar abends als Abkürzung.

    Einige von den Geschichten sind sogar verfilmt oder haben als Vorlagen für Romane gedient und das ist kaum erstaunlich, denn eine Frau, die sich mit Politikern und anderen hochrangigen Personen auf guten Fuß zu stellen verstand, die später mit einem Schriftsteller verheiratet war und Kinder und Schwiegerkinder in alle Lebensbereiche entlassen hat, war und ist immer eine Story wert. Was allerdings niemand in den ganzen Jahren getan hat, ist aus ihrem Leben eine Gesamtgeschichte zu schreiben. Vielleicht, weil es eine Mammut-Aufgabe ist.

    Frühsommer 1891

    Die Sonne brennt mit aller Macht vom fast wolkenlosen Himmel auf das trockene Land. Eine Postkutsche mit zwei Kutschern und drei Fahrgästen holpert die staubige Straße entlang. Die Passagiere schlafen trotz der Schaukelei, die Kutscher dösen im Wissen, dass sie sich auf ihre Tiere verlassen können und auch die Pferde sind aufgrund der großen Hitze schon etwas ermattet, dennoch tun sie ihre Pflicht.

    Die Fahrgäste sind eine junge Frau, sehr elegant gekleidet, ein ziemlich wohlbeleibter, aber nicht minder eleganter Herr älteren Semesters und ein junger, recht gut aussehender Cowboy.

    John Blake, trotz seiner blonden Haare kurz Blacky genannt, arbeitet auf einer großen Ranch in Wyoming. Er hatte geschäftlich etwas für seinen Boss Carpenter in Texas zu erledigen und befindet sich nun auf der Heimreise. Die Arbeit empfand er als gut bezahlten Urlaub, auch wenn die Reise mit der Postkutsche reichlich beschwerlich ist, aber mehrere Tagesritte sind in der Hitze ja auch kein Honigbrot und John genießt das selige Nichtstun, insbesondere, da es nur noch wenige Meilen bis zur Stadt und damit bis zur Arbeit, sind.

    Doch die mittägliche Ruhe währt nicht lange, denn urplötzlich kommen sechs maskierte Männer hinter einem kleineren Felsen hervor und schießen wie wild um sich. Man könnte den Eindruck gewinnen, Munition wäre kostenlos irgendwo zu bekommen.

    Alle auf und in der Kutsche sind sofort hellwach. Die Kutscher zerren an den Zügeln. Die Pferde, erschreckt von dem plötzlichen Lärm scheuen kurz, bleiben dann aber gehorsam stehen.

    Die Passagiere werden mit vorgehaltenen Waffen gezwungen auszusteigen, ihre Taschen zu öffnen und alle Wertsachen herauszurücken.

    Der ältere Mann weigert sich beharrlich, den Banditen seine goldene Taschenuhr auszuhändigen. Hartnäckig umklammert er das gute Stück. Die Uhr sei graviert und ein Erinnerungsstück und er denke gar nicht daran, sie den Maskierten zu überlassen.

    Diese Reaktion bringt die Bande natürlich zur Weißglut und sie werden dadurch noch viel gefährlicher und rücksichtsloser. Einer der Kerle reißt dem Reisenden den Kopf an den Haaren zurück und schlägt ihn mit voller Wucht gegen die Kutsche. Es gibt ein hässlich knackendes Geräusch und der gut gekleidete Herr verdreht die Augen, während er mit einem gurgelnden Laut in sich zusammensackt.

    Die junge Frau bekommt bei diesem Anblick einen hysterischen Anfall und beginnt laut zu kreischen, worauf zwei der Banditen sich auf sie stürzen. John und einer der Kutscher wollen sich dazwischen werfen, werden aber sofort gnadenlos beschossen und stürzen schwer getroffen zu Boden.

    Ganz in der Nähe hinter einer Felsengruppe steht ein junges Mädchen mit flammend roten, langen Haaren und tränkt sein Pferd aus einer Wasserflasche.

    Schon als sie die ersten Schüsse vernommen hat, hat sie verwundert die Augenbrauen hochgezogen, so dass sie fast in dem dichten Pony verschwunden sind. Sie schaut sich suchend um. Die Luft flirrt, so dass der Horizont verschwimmt. Da sie nichts erkennen kann, schraubt sie die Wasserflasche zu und schwingt sich mit einem kühnen Sprung in den Sattel. Sie reißt ein Gewehr aus der Satteltasche und galoppiert in die Richtung los, aus der sie meint, die Schüsse gehört zu haben.

    Als die nächsten Schüsse fallen, ist sie sicher, in die richtige Richtung zu reiten. Sie gibt ihrem Hengst die Sporen und der Gaul, ein ganz tiefschwarzes, temperamentvolles Tier, das in der Mittagssonne wie blauschwarze Tinte glänzt, schießt wie ein Pfeil davon.

    Schon von weitem erfasst das Girl die Situation mit einem einzigen Blick. Die Männer haben sich schon wieder in ihre Sättel geschwungen und umkreisen noch, wie die Geier, die Kutsche.

    Das Mädchen hebt das Gewehr und gibt einen Warnschuss ab. Dadurch fühlen sich die sechs Banditen gestört und sie verschwinden ebenso schnell in einer Staubwolke, wie sie erschienen sind. Im Davonreiten geben sie noch einige sinnlose Schüsse auf die Personen bei der Postkutsche, obwohl dort schon längst keine Bewegung mehr erkennbar ist und den nahenden Reiter ab.

    Die Rothaarige kümmert sich nicht weiter um die Flüchtenden, denn gegen sechs bewaffnete, brutale Männer kann sie alleine ja doch nichts ausrichten und so reitet sie direkt zu der überfallenen Postkutsche hinüber, die sich entfernende Staubwolke immer im Blick, um notfalls sofort den Rückzug anzutreten, wenn es sich die Banditen anders überlegen und zurückkehren sollten.

    Am Ort des Geschehens springt das Mädchen vom Pferd und geht auf den Kutschbock zu. Sie erschauert leicht, denn sie erkennt sofort, dass der am Boden im Staub liegende Kutscher tot ist. Mit einer leichten Handbewegung schließt sie ihm die angstvoll weit aufgerissenen Augen.

    Der andere Kutscher sitzt vornübergebeugt auf dem Kutschbock und rührt sich nicht. Das Mädchen fühlt nach seinem Puls und schiebt vorsichtig ein Augenlid nach oben. An dem starren, gebrochenen Blick kann sie erkennen, dass sie auch diesem Mann nicht mehr helfen kann.

    Die etwas zu spät erschienene Retterin würgt und wendet sich ab. Sie spürt ihren Mageninhalt gallig im Hals und würde am liebsten die Augen verschließen und Tatort Tatort sein lassen. Es scheint ihr, als käme auch für die Passagiere jede Hilfe zu spät, denn es ist weder eine Bewegung noch ein Laut, auch kein noch so leises Röcheln oder Stöhnen zu vernehmen.

    Die junge Frau liegt mit dem Kopf in einer großen Blutlache, ein hässliches Loch klafft wenige Millimeter neben ihrem rechten Auge. Das rothaarige Mädchen bemüht sich, nicht genauer hinzusehen, denn viel Kopf ist hinter dem Gesicht nicht mehr vorhanden.

    Der ältere Herr ist ebenfalls tot. Ein glatter, sauberer Einschuss direkt ins Herz, allerdings ohne nennenswerte Blutung, wahrscheinlich ist die Kugel am Rücken wieder ausgetreten. Wenigstens hat er nicht mehr viel gespürt. Dann schaut das Mädchen genauer hin und erkennt, dass dem Mann auch der Schädel gebrochen worden ist. Einfach scheußlich, aus den Haaren ist Blut und Knochenmasse ausgetreten. Das Girl muss husten, um sich nicht sofort zu übergeben, nur gut, dass sie heute noch nicht viel gegessen hat.

    Resignierend hockt sich das junge Mädchen neben den blonden Cowboy. Sie kämpft eine gewaltige Schlacht gegen ihren Mageninhalt, schluckt und wischt sich mit nicht ganz sauberen Fingern ein paar Tränen aus dem Gesicht. ,So ein Mist, dem werde ich wohl auch nicht mehr helfen können. Diese Scheißkerle haben wirklich ganze Arbeit geleistet. So ein hübscher Bengel, wirklich schade drum.‘

    Die junge Frau sucht nach seinem Puls und ertastet ihn auf Anhieb. Ihr stehen alle Haare zu Berge und sie verflucht ihre Übelkeit, die sie gedanklich sofort zu bekämpfen versucht. Eigentlich hat sie doch schon ganz andere Sachen gesehen und erlebt, die waren zum Teil noch viel scheußlicher, als ein verletzter Mann und die Toten, die allen Hässlichkeiten dieser Erde, wenn auch frühzeitig und ungewollt, entronnen sind, also wird sie auch jetzt versuchen, einen kühlen Kopf zu bewahren.

    ,Lieber Gott, hoffentlich kann ich wenigstens diesem armen Teufel noch helfen, wäre schade um den Jungen, Himmel, hilf mir!‘ Mit diesem Gedanken zerrt die Frau den Verletzten in den Schatten, der nur in einem ganz schmalen Streifen von der Kutsche gespendet wird.

    Nach dieser für das Mädchen absoluten Schwerstarbeit, hebt sie den hochroten Kopf, schnappt verzweifelt nach Luft und spürt ihren Herzschlag bis in die Ohren, in denen es rauscht und summt. Sie ruft laut: „Come on, Silky, come on, schnell!"

    Der schwarze Hengst kommt sofort heran und bleibt dicht vor seiner Herrin und dem schwer verletzten Mann stehen.

    Hastig und mit fliegenden Fingern zieht das Girl seine Schlafdecke von Silkys Rücken und schiebt sie unter den Kopf des jungen Mannes. Nun zieht sie ein Streichholz hervor, ein wertvoller Schatz, den sie wie ihren Augapfel hütet und schaut sich um. Rasch greift sie nach einigen dürren Ästen und Blättern und schiebt diese zu einem Häuflein zusammen, reißt das Streichholz mit dem Daumennagel an und entfacht flink und mit viel Geschicklichkeit ein kleines Feuer.

    Plötzlich stutzt sie und beginnt fieberhaft zu überlegen, wobei sie die Stirn in Falten zieht, die Nase kraust und sich wieder suchend umsieht.

    Während dieser Aktion hat sie kaum noch auf ihren hilflosen Patienten geachtet. Der Mann hat die Augen geöffnet und stöhnt leise.

    Wie der Blitz ist sie bei ihm und kniet sich neben ihm nieder. Als er den Mund öffnet, um etwas zu fragen, legt sie ihm ihre schmale Hand auf die Lippen und sagt: „Sprechen Sie jetzt bitte nicht. Sie sind sehr schwer verletzt und es gibt keine Frage, die zu stellen es wert wäre, dass Sie sich unnötig anstrengen. Sie werden gleich noch alle Kraft brauchen, um mich gehörig zu verfluchen."

    Wieder blickt sich die Frau suchend um. „Ich brauche jetzt erst mal ein Messer. Bleiben Sie ganz ruhig liegen, sprechen Sie nicht und vor allen Dingen, bewegen Sie sich um des Himmels Willen nicht, es sei denn, Sie haben den unverständlichen Wunsch, nicht mehr weiterleben zu wollen. Ich habe keine Ahnung, wo die Kugel steckt und wohin sie sich begibt, wenn Sie sich rühren, ich habe schon genug Bewegung in Ihren Körper gebracht, als ich Sie aus der Sonne zerren wollte. Außerdem werden Sie sich früh genug wünschen, tot zu sein. Nämlich dann, wenn ich mit meiner unqualifizierten Behandlung beginne."

    Die junge Dame erhebt sich, schaut John an und murmelt: „Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Es wird schon wieder werden." Sie versucht, Ihrer Stimme einen zuversichtlichen Klang zu geben.

    Mitleidig blickt sie auf den Jungen hinunter. Sie ist längst nicht so optimistisch, wie sie tut, denn sie hat doch arge Zweifel hinsichtlich ihrer ärztlichen Fähigkeiten. Es ist schon ein himmelweiter Unterschied, sich einen Splitter aus dem Finger zu ziehen oder einen Gaul zu bandagieren, als einen Menschen, der eh mehr tot als lebendig ist, vor sich zu haben.

    ,Hilflos ausgeliefert, die arme Socke‘, denkt sie, dreht sich um und geht zu dem am Boden liegenden Kutscher, um bei ihm nach einem geeigneten, möglichst spitzen Messer zu suchen.

    Wenn sich das Kind ehrliche Gedanken zugestehen würde, würde sie zugeben, dass sie gar nicht ganz genau weiß, was sie eigentlich unternehmen will. Sie hat zwar bei ähnlichen „Operationen" schon zugesehen, aber zusehen oder selber machen, ist doch ein Riesenunterschied. Ihre Gefühle sind eigentlich sehr zwiespältiger Natur. Handeln oder Weglaufen, das ist hier die Frage. Weglaufen kommt ihr aber gar nicht erst in den Sinn, also bleibt nur noch zu handeln.

    Das Mädchen hat Glück, obwohl sie persönlich arg im Zweifel ist, ob es nicht eher Pech ist, dass sie ein sehr scharfes, sehr spitzes Messer findet.

    Wenig später kniet sie wieder neben dem Angeschossenen. Der Cowboy, der ihr im nun folgenden Geschehen vollkommen hilflos ausgeliefert sein wird, ist von den Schmerzen schon wieder ohnmächtig geworden. Das beherzte rothaarige Mädchen ist erleichtert, denn das vereinfacht die ihr bevorstehende, widerliche Aufgabe enorm.

    Mit zitternden Händen öffnet das Girl das Hemd des Verletzten und schnappt nach Luft. In der Hitze riecht die Wunde gar nicht wie Parfum. Eingehend betrachtet sie den sauberen Einschuss. Da sie keine Austrittswunde entdecken kann, muss die blöde Kugel noch irgendwo stecken. Das Einschussloch befindet sich im Rippenbereich. Der Junge spuckt kein Blut, das ist wohl schon mal ein ganz gutes Zeichen. Irgendetwas von Lunge und schaumigem Blut schießt ihr durch das hübsche Köpfchen. Allerdings tritt noch immer frisches Blut aus der Wunde aus. Sie rümpft die Nase. Ist das nun gut? Nein, wahrscheinlich nicht. Aber was soll‘s.

    Das Mädchen ballt ihre noch immer zitternden Hände zu Fäusten, atmet mehrmals tief ein und aus und ermahnt sich zur Ruhe. Schlimmstenfalls stirbt der Knabe und diesem Zustand ist er im Augenblick sowieso näher, als dem Leben. Und wenn er nicht stirbt, hat sie ein gutes Werk getan.

    Die Möchtegernlebensretterin steht noch einmal müde auf, jeder einzelne Knochen in ihr fühlt sich bleischwer an, geht zu einem Gepäckstück neben der Kutsche, öffnet es entschlossen und zieht mit spitzen Fingern ein Herrenunterhemd und riesige weiße Taschentücher hervor. Eine feine Qualität. Dem Cowboy gehören die Sachen bestimmt nicht und den anderen Herren stört die Entnahme auch nicht mehr. Danach holt sie sich noch eine gefüllte Wasserflasche vom Kutschbock, bekämpft ihre erneut aufsteigende Übelkeit, schlägt zornig nach den ersten, schnell eingetroffenen Fliegen, schluckt dreimal heftig, wie um alle guten Geister zu beschwören und beginnt ihr schwieriges Werk.

    Zunächst füttert sie noch einmal das Feuer mit dürren Ästen und trockenen Grasbüscheln, dann hält die junge Frau das Messer in die Flammen, bis es beginnt zu glühen und ihre Finger schon ganz heiß werden. Sie ignoriert den dabei aufkommenden Schmerz und fängt vorsichtig an, die Wunde auszuschälen.

    Vor lauter Aufregung hat sie einen knallroten Kopf bekommen. Der Schweiß läuft ihr in Strömen den Körper hinab, ihr Hemd ist schon nach Sekunden klatschnass und klebt am Körper, sie merkt es nicht. Genauso feucht ist ihr dichter Pony, den sie immer öfter aus der Stirn pustet. Der Schweiß läuft ihr in die Augen und diese fangen dadurch an zu tränen. Der Geruch der Wunde raubt ihr fast die Sinne und sie befürchtet ohnmächtig zu werden und um dieses zu verhindern, gönnt sie sich keine Sekunde, keinen Atemzug Pause.

    Mit einem Mal bemerkt sie, dass sie an etwas Hartes stößt. Es klingt aber nicht metallisch, sondern eher wie Holz. „Mist, jetzt habe ich an einer Rippe gekratzt." Sie hält kurz inne, atmet tief ein und ermahnt sich erneut zur Ruhe.

    Endlich hält sie das Geschoss in der Hand. Mit einem fast erleichterten Aufatmen betrachtet sie es. Es wirkt kaum verformt. ‚Gut? Nicht gut? Ich habe keine Ahnung!‘ Schnell lässt sie die blutige Kugel in ihrer Westentasche verschwinden, ein Andenken an diesen grauenvollen Tag.

    Nun wischt sie sich seufzend mit dem Handrücken über das Gesicht. Der junge Mann stöhnt leise. Mit blutigen Fingern greift sie nach dem geborgten Unterhemd und tupft vorsichtig um die Wunde herum. Danach reibt sie ihrem „Opfer" sanft den Schweiß aus dem Gesicht und zu guter Letzt wischt sie sich an demselben Hemd auch noch das Blut von ihren Händen. Sie bemerkt nicht, dass sie sich bereits jede Menge Blut im Gesicht verteilt hat, welches von kleinen Schweißbächen durchzogen wird.

    Als das junge Ding den Mann mehr oder auch eher weniger geschickt mit den Taschentüchern und in Streifen gerissenen Hemden verbunden hat, reibt sie ihm nochmals den Schweiß aus dem Gesicht und betrachtet ihn dabei eingehend. Irgendetwas geht von ihm aus, das ein unbestimmbares Gefühl in ihr hervorruft und sie an etwas längst Verschüttetes erinnert. Sie schüttelt unwillig den Kopf, wie um böse Gedankengeister zu vertreiben und schilt sich eine dumme Gans.

    Der Knabe ist noch immer ohne Bewusstsein

    , Auch gut‘, denkt die junge Dame und geht nochmals zur Kutsche hinüber, greift nach den Wasserflaschen der Kutscher und füllt ihre eigenen Flaschen bis an den Rand. Es ist zwar nicht mehr sehr weit bis zur Stadt, es können ihrer Einschätzung nach nur noch ein paar wenige Meilen sein, aber wenn man einen Verwundeten bei sich hat, ist es ein wesentlich besseres Gefühl, wenn man einen genügend großen Wasservorrat mit sich führt, denn dann kann es leicht sein, dass man für eine Meile Stunden benötigt.

    Sie wirft einen erneuten Blick auf den Verwundeten, er hat zwischenzeitlich einmal furchtbar gestöhnt und geröchelt, verhält sich aber zum Glück jetzt wieder ruhig. Wahrscheinlich sind die Schmerzen tödlich groß, so groß, dass sie dem Jungen immer wieder das Bewusstsein rauben.

    Das Girl greift wieder nach den Wasserflaschen der Kutscher, nimmt einen hellen Stetson von der Erde auf und gibt den Pferden Wasser. Danach nimmt sie sich noch die Zeit, sich um die Toten zu kümmern.

    Unter Aufbietung ihrer gesamten Kraftreserven schleppt, zerrt und schleift sie die vier Leichen nebeneinander, dabei kämpft sie wieder mit ihrer aufsteigenden Übelkeit, die sie aber tapfer hinunterschluckt. Zu guter Letzt schichtet sie Kleider, Gepäckstücke und Steine über den Mordopfern auf, um zu verhindern, dass sich sofort Geier und andere Aasfresser über die Ermordeten hermachen, es sind schon genug Fliegen da.

    Nun hat sie endlich erneut Gelegenheit, sich wieder um ihren Patienten wider Willen zu kümmern, der noch immer oder schon wieder bewusstlos ist. Er ist totenblass und in der jungen Frau keimt urplötzlich ein ganz grässlicher Verdacht auf.

    Vorsichtig sucht sie nach seinem Puls, hoffend, dass ihre Behandlung nicht auch noch ihn getötet hat. Sie findet seinen Puls nicht auf Anhieb und so tastet sie mit wild pochendem Herzen nach seinem Hals.

    Endlich spürt sie ein leises, ganz schwaches Pochen unter ihren nervösen Fingerspitzen und atmet erleichtert auf. Noch lebt er, aber wie lange noch. Sie fürchtet, dass der Weg in die nächste Ortschaft zu weit sein könnte.

    Eine Weile betrachtet sie den Cowboy liebevoll. Er bringt irgendetwas in ihr zum Klingen, wenn sie nur wüsste, was das ist. „Ich werde mich doch jetzt nicht noch verknallt haben? Unsinn!", sagt sie zu sich selbst und blickt weiter nachdenklich in das fremde und doch irgendwie eigentümlich bekannte Gesicht. Dann fällt es ihr wie Schuppen von den Augen. Der Junge erinnert sie ein wenig an ihren leider schon vor langer Zeit verstorbenen Vater. Er hat genauso blonde Haare, wie ihr Vater sie hatte. Und auch die ganze Mundpartie ist der ihres Vaters so ähnlich.

    „So ein Quatsch!, murmelt sie leise. Wahrscheinlich spielt ihr Gedächtnis ihr einen Streich und sie täuscht sich nur. Sie schüttelt den Gedanken ab und seufzt. Sie wünschte, ihr Vater wäre jetzt da und könnte ihr sagen, ob sie alles richtig gemacht hat. Ein sehnsuchtsvoller Schmerz will sich in ihrem Inneren breit machen, aber das darf sie nicht zulassen, denn dann wird sie schwach und kann ihrem Ziel nicht mehr richtig folgen. „Ich bin stark und kann alles erreichen, was ich will. Ich bin stark wie ein Löwe!

    Sie hofft, dass der Knabe endlich wieder zu Bewusstsein kommt, aber er macht keine Anstalten, sich zu rühren, nur seine Gesichtsfarbe wird immer grauer, was dem Mädchen gar nicht gefällt und sie mit Angst zu erfüllen beginnt. Sie kann die Warterei kaum noch ertragen. „Meine Güte, hat der eine Ausdauer!", knurrt sie leise und ungeduldig und um die Zeit abzukürzen, gießt sie dem Mann vorsichtig etwas von dem leider lauwarmen Wasser ins Gesicht.

    In der starken Hitze haben aber sogar die paar warmen Spritzer eine sehr belebende Wirkung und ganz langsam kommt John wieder zu sich.

    Währenddessen gießt die junge Frau schnell ein wenig Wasser in die Reste des Feuers, um es zu löschen. Sie ist eine Naturpflanze und achtet darauf, nicht mehr Schaden anzurichten, als unbedingt notwendig und es muss nicht unbedingt sein, dass ein Tier in die Glut tritt und womöglich dadurch verendet.

    Der Cowboy stöhnt leise und holt pfeifend und sehr vorsichtig Luft. Das Mädchen sieht, dass er nach Atem ringt und die Angst schnürt ihr fast die Kehle zu. Vorsichtig nimmt sie seinen Kopf ein wenig hoch und flößt ihm ein paar Tropfen Wasser ein, die er gierig trinkt. „Langsam, Mister. Ich habe gerade sehr unfachmännisch an Ihnen rumgeschnippelt und ich weiß nicht, ob Ihnen das Trinken überhaupt bekommt." Da der Junge ihr aber furchtbar leid tut, lässt sie ihn noch einige kleine Schlückchen nehmen.

    „Glauben Sie, dass Sie schon reiten können, Mister?"

    Er nickt noch immer etwas verwirrt, schüttelt unter leisem Stöhnen den Kopf von rechts kräftig nach links und versucht sich vorsichtig aufzurichten. Dabei durchzuckt ihn ein so heftiger Schmerz, dass er nach Atem ringt und droht, erneut ohnmächtig zu werden.

    Die Rothaarige versucht, ihn auf die Beine zu stellen, doch der Junge ist ziemlich schwer und beileibe noch nicht kräftig genug, um alleine stehen zu bleiben. Er sackt sofort wieder in sich zusammen.

    „Puh, stöhnt das Girl, „so geht das auf gar keinen Fall. Aber irgendwie muss ich Sie hier wegbekommen.

    Nachdenklich blickt sie zu ihrem Pferd hinüber, dann ruft sie: „Silky, come on!"

    Folgsam wie ein Lämmchen kommt der treue Hengst zu seiner geliebten Herrin. Sie streichelt ihm über die seidige Mähne: „Brav, Silky, brav. Du bist doch mein Bester. Es kommt jetzt wirklich alles auf Dich an. Bitte, bitte, enttäusche mich nicht, mein Liebling. Down, go down!" Bei diesen Worten klopft sie ihm sanft auf die Vorderläufe und es ist wirklich kaum zu glauben, der Hengst geht brav in die Knie und legt sich fast hin, obwohl es ihm sichtlich höchst unangenehm ist.

    Das Mädchen legt dem jungen Mann den Arm um die Hüfte, zieht seinen Arm um ihre Schulter und hilft ihm auf das Pferd. Helfen ist stark untertrieben, sie hievt ihn hinauf, wobei sie vor Anstrengung wieder einen hochroten Kopf bekommt und sie das Gefühl hat, als wollte er platzen. Es dauert eine geraume Zeit, bis sie den Verletzten endlich in ihrem Sattel hat.

    „Mann, sind Sie aber ein schwerer Brocken. So geschwitzt habe ich mein Lebtag noch nicht." Sie stöhnt leise.

    „Hoch Silky, auf! Brav, Du bist doch wirklich mein Bester. Was würde ich ohne Dich nur tun."

    Vorsichtig, als wüsste das gute Tier, auf was es ankommt, steht der Hengst wieder auf, froh, nicht mehr liegen zu müssen. Mit ihrem ganzen Gewicht stützt das Girl dabei den Verwundeten, damit er nicht schneller wieder auf dem Boden landet, als er auf dem Pferderücken drauf war.

    Nun drückt sie dem Cowboy die Zügel in die Hand und hebt mahnend den Zeigefinger in die Höhe. „Fallen Sie mir jetzt bloß nicht runter, Jungchen. Ich bin froh, dass ich Sie oben habe. Ich glaube, noch einmal schaffe ich das nicht. Also, wenn was ist, brüllen Sie, aber bleiben Sie um Gottes Willen oben! Sie sehen aus, als wären Sie normalerweise in einem Sattel zuhause."

    Silky hat die Ohren angelegt, denn es ist nicht seine Herrin, die im Sattel auf seinem Rücken sitzt. Das ist eine Situation, die das Tier überhaupt nicht liebt und es spannt die Sehnen an, um den Ballast abzuschütteln. Das Mädchen kennt den Gaul, sie zupft sanft an seiner Mähne und liebkost dann seine Nüstern. Beruhigend redet sie auf das Tier ein und beschwört es ihren Anweisungen zu folgen. Silky entspannt sich und senkt den Kopf.

    Schnell und mit geübten Handgriffen spannt das Mädchen die sechs Kutschpferde aus und bindet sie mit ihrem Lasso wieder zusammen. Sie wirft noch einen schnellen Blick auf die Feuerstatt, ob auch wirklich nichts mehr glimmt, dann schwingt sie sich behände auf eines der ungesattelten Kutschpferde, wickelt sich das Lasso um ihr Handgelenk, nachdem sie dieses notdürftig mit einem Stofffetzen gegen ein mögliches Aufscheuern geschützt hat und schaut sich nochmals prüfend um.

    Sie scheint nichts Wichtiges vergessen zu haben. Die Leichen sind abgedeckt, die Kutschpferde werden in der Stadt versorgt und um das Gefährt und das Gepäck sollen sich andere kümmern.

    Mit beiden Händen greift sie in die Mähne des Pferdes, auf welchem sie sitzt, hält sich fest und dirigiert die zusammengebundenen Tiere zu dem unglücklich auf ihrem schwarzen Hengst hockenden Mann hinüber.

    Er hat ganz offensichtlich Mühe, sich im Sattel zu halten, aber darauf kann das Girl keine Rücksicht nehmen. Der Knabe muss auf allerschnellstem Wege zu einem richtigen Arzt, denn sie hat doch Angst, etwas verkehrt gemacht zu haben. Dann hätte sie womöglich an seinem Tod eine Mitschuld. Ein absolut grauenhafter Gedanke.

    Laut ruft sie, ihre hässlichen Gedanken weit von sich weisend: „Auf geht‘s, halten Sie sich ja gut fest! Ich habe keinen Bock darauf, Ihnen noch eine Schleppbahre zu bauen."

    In mäßigem Schritt, mit Rücksicht auf den Verletzten, reiten sie los, in Richtung Stadt, in Richtung Ebony Town. Silky hat begriffen, dass er sehr behutsam die Hufe voreinander setzen muss und das Herz seiner Herrin ist voller Liebe zu ihrem besten Freund.

    Es sind glücklicherweise nur noch wenige Meilen bis zu der Ortschaft, aber die beiden brauchen doch eine ganz erhebliche Zeit für den Weg. Das Mädchen kämpft mit den sechs Pferden, die leider nicht immer so wollen, wie die Reiterin und der Cowboy droht einige Male vom Pferd zu stürzen, wobei der Rothaarigen jedes Mal die Haare zu Berge stehen. Doch zu ihrer großen Erleichterung geht dann alles glatt, auch wenn die junge Dame ihre liebe Not hat, den Jungen halbwegs bei Bewusstsein zu halten. Er hat so starke Schmerzen, dass er immer wieder die Augen schließt und in einen Dämmerzustand hinüber zu gleiten droht. Er liegt vorn übergebeugt auf dem Hals ihres Pferdes und von Festhalten seinerseits kann nicht die Rede sein.

    Die Sonne ist schon fast bis auf den Bergkamm im Westen gesunken, da sind endlich in der Ferne die ersten Häuser der Ansiedlung zu erkennen und das junge Ding atmet erleichtert auf. Das Schlimmste ist überstanden, der Knabe lebt noch und ist nicht zu Boden gekugelt, sogar ihr Hengst hat sich tapfer gehalten und doch steigt ein mulmiges Gefühl in der Retterin auf. Ihr steht noch eine bestimmt unangenehme Begegnung mit einem Gesetzeshüter bevor. Mit diesen Herren steht sie leider ein wenig auf Kriegsfuß, aber sie weiß, dass es ihre Pflicht ist, den Sheriff von dem Überfall zu unterrichten, damit die Suche nach den Tätern eingeleitet werden kann. Und wenn sie ein wenig Glück hat, hat Ebony Town einen halbwegs vernünftigen Sheriff, der über ihren Status als heimatlose Jugendliche gnädig hinwegsieht.

    In dem Städtchen angekommen folgen dem Mädchen höchst erstaunte Blicke, aber daran ist sie längst gewöhnt und so lässt sie sich ruhig den Weg zum Doktor erklären. Wieder ist das Glück den beiden hold, denn sein Haus liegt in der Nähe des Ortsrandes an dem Weg, auf dem sie in die Stadt gekommen sind.

    Das Girl springt vom Pferd, schaut zu dem Mann, der im Moment recht grade im Sattel hockt und saust wie ein Wirbelwind ins Haus. Ohne sich um wartende Patienten zu kümmern, stürmt sie ins Sprechzimmer und ruft: „Hallo, Doc, kommen Sie bitte schnell mit mir, ich habe draußen einen Schwerverletzten, der jeden Moment vom Pferd fällt."

    Ohne viel Aufhebens zu machen, folgt ihr der Doktor auf die Straße. Unter Mithilfe des Girls bringt er John in seine Praxis. Er bittet die im Sprechzimmer wartende Patientin, sich wieder für einen Moment ins Wartezimmer zu setzen, denn der junge Mann sei ein Notfall und es ginge um sein Leben.

    Als die Frau mit erschrockenen Augen, aber einem erstaunten Blick auf die Fremde, das Behandlungszimmer verlassen hat und die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen ist, meint die Rothaarige mit einer Kopfbewegung in Richtung des Cowboys: „Ich habe schon ein wenig an ihm rumgeschnippelt."

    Verlegen dreht sie ihren Stetson in den Händen. „Ich hoffe nur, ich habe nicht allzu viel kaputt gemacht. Er hat irre viel Blut verloren, aber ich wusste nicht, was ich machen sollte. Die Kugel steckte irgendwo fest. Aber sie ist raus. Vielleicht hätte ich sie besser drin lassen sollen, aber ich hatte Angst, dass sie wandert und damit noch mehr Schaden anrichtet."

    Der Doktor hat indessen den Verband gelöst und John untersucht. „Das war das einzig Richtige, das Sie tun konnten, denn sonst würde der Mann jetzt wirklich nicht mehr leben. Die Kugel ist nämlich so unglücklich an einer Rippe abgeprallt, dass sie sich wahrscheinlich tatsächlich innerhalb ganz kurzer Zeit in sein Körperinneres weiter hineingezogen und dort noch sehr viel mehr Schaden angerichtet hätte. Mehr, als Sie mit dem Messer verursacht haben könnten."

    „Dann habe ich also nicht zu großen Flurschaden angerichtet?"

    „Das kann ich momentan noch nicht beurteilen, sie haben dem Jungen auf alle Fälle das Leben gerettet. Vielleicht zugegebenermaßen nicht besonders fachmännisch, aber was tut das schon zur Sache. Wenn es anders wäre, bräuchte kein Arzt mehr jahrelang zu studieren. Für Ihre Fähigkeiten haben Sie absolut Großartiges geleistet."

    Dem Mädchen fällt ganz offensichtlich ein ganzes Gebirge vom Herzen und vor Glück und Erleichterung kommen ihr fast die Tränen. Der Mediziner, der dies aus den Augenwinkeln beobachtet, muss schmunzeln. ,Ein Prachtmädchen. Wer mag sie wohl sein und zu wem gehört sie. Ich habe sie noch nie hier gesehen. Sie ist ja noch ein Kind, vielleicht fünfzehn, höchstens sechzehn Jahre alt. ‘

    Laut sagt er: „Sie haben übrigens Blackys Blut bis in ihre eigenen Haarwurzeln. Dort steht eine Schüssel mit Wasser, damit können Sie sich das Gesicht waschen."

    „Oh, danke Herr Doktor. Sie wäscht sich das Gesicht und während sie sich abtrocknet schaut sie in den Spiegel, beobachtet die sicheren Handgriffe des Arztes an seinem Patienten und fragt: „Sie kennen den Mann?

    „Selbstverständlich, Blacky ist Cowboy auf einer Ranch hier in der Nähe."

    Als das „Kind bemerkt, dass sie nicht mehr gebraucht wird, verabschiedet sie sich mit den Worten: „Ich glaube, ich gehe jetzt lieber, wenn ich Ihnen noch eine Weile zusehe, brauche ich auch eine ärztliche Behandlung, mir hebt sich nämlich schon wieder der Magen. Das macht der schon seit ich die Bekanntschaft mit diesem reizenden Herrn gemacht habe. Außerdem muss ich leider noch zum Sheriff. Good-bye, Doc.

    Bevor der Arzt noch irgendetwas erwidern oder fragen kann, ist sie schon zur Türe hinaus gewirbelt.

    Er schüttelt den Kopf, ein ungewöhnliches Menschenkind.

    Draußen bleibt das Mädchen kurz stehen und atmet ein paar Mal tief ein und aus. War das ein Abenteuer, so etwas erlebt man wahrlich nicht alle Tage.

    Jetzt kümmert sie sich allerdings erst einmal um die Pferde, die von einer Horde Dorfkinder umringt sind. Mit diesen zusammen bringt sie die Kutschpferde in den benachbarten Mietstall, schwingt sich auf ihren eigenen Hengst und fragt sich zum Büro des Sheriffs durch.

    Dort wickelt sie die Zügel um die Barre, nimmt die zwei Stufen zur Veranda mit einem einzigen Satz und betritt mit klopfendem Herzen, aber einem selbstbewusst lauten „Hallo, Sheriff", das Office.

    Der Sheriff ist ein sympathischer junger Mann namens Bill Fawkes, der große Augen macht ob des unmädchenhaften und doch weiblichen Besuchers.

    Ohne eine Aufforderung abzuwarten, platziert sich das Girl, sehr zu seinem Missfallen, auf Fawkes Schreibtisch. Sie baumelt mit den langen Beinen und redet, ohne sich unterbrechen zu lassen, munter drauflos.

    Zuerst runzelt der Schreibtischbesitzer noch etwas unwillig die Stirn, dieser Unwillen weicht aber rasch einem ungläubigen Staunen. Der Sheriff ist platt. So etwas hat er noch nie erlebt, er kann nur noch in grenzenlosem Erstaunen den Kopf schütteln, zuhören und tief durchatmen. Entweder hat die junge Dame eine überaus lebhafte Phantasie oder sie könnte die Heldin des Tages werden. Das mit der Phantasie revidiert Fawkes sofort, als ihm die Kugel mit den angetrockneten Blutresten unter die Nase gehalten wird.

    Nachdem das Mädchen seine Geschichte beendet hat, möchte der Ordnungshüter den Namen der jungen Dame erfahren, doch sie meint auf diese Frage nur sehr gleichmütig. „Mein Name tut ja wohl nichts zur Sache, Sheriff. Wenn ich Ihnen den sage, haben Sie die Gangster noch lange nicht. Sehen Sie lieber zu, dass die Kerle schnell geschnappt werden, immerhin haben die vier Menschenleben auf dem Gewissen und beinahe wären es fünf gewesen, die sie eiskalt ermordet haben. Und die Sache mit dem fünften ist auch noch nicht ganz ausgestanden, leider. Sie holt tief Luft, sieht das Häufchen Elend vor sich und seufzt: „Der Doktor nannte ihn Blacky.

    Bill zuckt zusammen. Er ist seit vielen Jahren mit dem Cowboy befreundet und wenn das, was die Kleine ihm erzählt hat auch nur annähernd stimmt…

    Die Mädchenstimme holt ihn in sein Büro zurück. „So, ich habe meine Meldung gemacht, das war meine Pflicht als guter amerikanischer Bürger und den Rest überlasse ich getrost Ihnen und den anderen US-Gesetzeshütern. Seien Sie wachsam und finden sie die Schweinehunde. Tja, ich weiß leider meiner Aussage nichts mehr hinzuzufügen, da die Männer maskiert und dann auch sehr rasch weg waren. Da war ich noch nicht nah genug, um viel erkennen zu können."

    Mit einem schwungvollen Satz hüpft sie vom Schreibtisch, grinst und sagt freundlich: „Bye Sheriff, hat mich echt gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen. Ich muss ehrlich sagen, ich habe selten so einen netten Sheriff wie Sie kennen gelernt. So on!"

    Sie will den Überraschungsmoment nutzen und so rasch wie nur eben möglich verduften, bevor dem Sheriff womöglich doch noch auffällt, dass sie vielleicht noch recht jung ist, zu jung, um ohne Begleitung durch das Land zu ziehen.

    Sie wendet sich zur Tür, öffnet sie und bleibt plötzlich stehen. Sie macht eine schnelle Kehrtwendung, tippt sich mit dem Zeigefinger an die Nasenspitze und sagt, den Sheriff nachdenklich ansehend: „Ich glaube, mir fällt da doch noch was ein. Es sind ja manchmal die Kleinigkeiten, die wichtig sein können. Mir ist aufgefallen, dass einer der Gangster ein absolut fantastisches Pferd hatte. Es war ein temperamentvoller Brauner mit sehr auffälligen Abzeichen. Eine wunderschöne T-förmige Blesse mit Milchmaul und das rechte Vorderbein sowie der linke Hinterlauf sind gestiefelt. Sieht absolut irre aus. Vielleicht kann Ihnen diese Angabe bei Ihrer Suche hilfreich und nützlich sein. Good-luck, Sheriff!"

    Nun schließt sich die Türe endgültig hinter ihr.

    Fawkes starrt ihr nach und überlegt, ob er einen Geist gesehen hat, aber die Kugel in seiner Hand und das wilde Hufklappern, das von draußen an sein Ohr dringt, sind äußerst real und Geister pflegen gewöhnlich nicht zu reiten. Eine Pferdeverrückte, die von den Banditen nichts erkannt hat, sich aber mit einem Blick das Aussehen der Pferde verinnerlicht hat. Wahrscheinlich sind ihr Tiere bessere Freunde, als Menschen.

    Zwei Tage nach diesem Vorfall beobachtet David Widefield, der Vormann der Willow-Tree-Ranch, einen Reiter, der in einem wahren Höllentempo über die Nordweide der Ranch fegt. Das hat niemals etwas Gutes zu bedeuten, denn wer es so eilig hat, der hat was auf dem Kerbholz oder etwas zu verbergen.

    Der Vormann, der einen Zaun auf der Weide kontrolliert hat und gerade im Begriff ist, zur Ranch zurückzukehren, setzt sofort hinter dem unbekannten Reiter her und brüllt: „Stopp!", doch der Fremde galoppiert in unvermindertem Tempo weiter. Der Vormann glaubt zu Recht, einen Viehdieb vor sich zu haben oder noch schlimmer, einen der Postkutschenräuber. Er zieht seinen Colt und gibt einen Warnschuss in die Luft ab.

    Erst jetzt reagiert der Reiter. Er zügelt sein Pferd und erhebt langsam die Hände, doch er macht keine Anstalten, sich umzuwenden.

    David Widefield kommt heran geritten und pariert sein Pferd neben dem des Fremden. Dann fragt er in scharfem Ton: „Was wollen Sie hier? Und wer sind Sie überhaupt?"

    Anstelle einer Antwort schiebt der Fremde nur den Stetson ins Genick, dabei fällt dem Vormann auf, dass die Hand sehr klein und zierlich ist. Endlich wendet der Unbekannte seinen Kopf und blickt den Cowboy mit unbewegtem Gesicht, aber aus eiskalten Augen finster an.

    Der Mann wird blass vor Erstaunen. Das hübsche Kindergesicht wird von langen, feuerroten Haaren umrahmt, die unter dem herab rutschenden Stetson hervorquellen. Die großen Augen des Mädchens verschwinden fast in dem dichten Pony, doch der Zug um ihren Mund ist hart und verbittert.

    Entsetzt stammelt der Mann, den sonst so leicht nichts aus der Ruhe zu bringen vermag: „Mein Gott, Sie, Sie sind ja gar kein Mann."

    Jetzt spielt ein spöttischer Zug um Ihre Lippen, denn die junge Dame ist sich sehr wohl bewusst, dass sie in der Männerkleidung und ohne Damensattel die Unschicklichkeit in Person ist. Es ist absolut unfein und es gehört sich für ein junges Mädchen einfach nicht, wie ein Mann zu reiten. Sie merkt, dass der Mann vor ihr genau mit diesem Gedanken beschäftigt ist. Eigentlich wäre jetzt eine flapsige Bemerkung fällig, aber im Angesicht der immer noch drohend auf sie gerichteten Waffe spart sie sich diese und begnügt sich damit, ihn weiterhin mit funkelnden, blitzenden Augen böse anzustarren.

    Der Cowboy knurrt, um sein Erstaunen und seine Verlegenheit in den Hintergrund zu drängen, einen Ton schärfer, als er dies üblicherweise tut: „Wenn Sie mir schon nicht sagen wollen, wer Sie sind und was Sie hier wollen, so werden Sie vielleicht meinem Boss Rede und Antwort stehen, immerhin befinden Sie sich auf seinem Grund und Boden.

    Aber zuerst muss ich Sie ersuchen, mir wenigstens Ihren Colt und Ihr Gewehr zu geben. Sie könnten sonst auf dumme Gedanken kommen."

    Mit wütendem Gesichtsausdruck zieht das Girl sein Gewehr aus seiner Halterung am Sattel und wirft es dem Cowboy zu. Der fängt es geschickt auf und sagt dann mit seiner wiedergefundenen Ruhe: „Und bitte auch alle anderen Waffen, wenn es möglich ist."

    Daraufhin zieht sie ein Messer unter ihrem Hemd hervor und gibt es dem mittlerweile ganz nahe herangekommenen Mann unter unverständlichem Gegrummel. Dieser ergreift es und zieht ihr mit der anderen Hand mit einer fast entschuldigenden Geste den Colt aus dem Patronengürtel.

    Die ganze Zeit sind ihre Augen auf ihn gerichtet. Da ist kein Flattern der Augenlider oder ein Ausweichen des Blickes zu erkennen.

    „Eine kleine Lady und dann bis an die Zähne bewaffnet", knurrt der Mann und verstaut ihre Waffen. Sie zeigt keine Spur eines schlechten Gewissens.

    Der Vormann ist es nicht gewohnt, dass auf seine Anweisungen keine Reaktion erfolgt. Er runzelt unwillig die Stirn, doch seitens der jungen Frau ist keinerlei Emotion zu bemerken. Widefield raunzt die Reiterin an: „Ich glaube, Sie haben nicht die geringste Absicht, mir eine meiner Fragen zu beantworten. Aber der Rancher, dem dieses Gebiet hier gehört, der wird Sie schon zum Reden bringen. Sie werden ja wohl wissen, dass Sie sich hier auf der Willow-Tree-Ranch befinden."

    Sie zieht nur die Augenbrauen hoch und macht ein Gesicht, als wolle sie sagen: ‚Pah, na und? Willow-Tree ist doch nicht der Mond, imponiert mir also gar nicht.’

    Nun blickt er sie etwas spöttisch an: „Aber, vielleicht werden Sie auch mit Mister Carpenter nicht reden, ja vielleicht können Sie armes Ding gar nicht sprechen, möglicherweise sind Sie auf den Mund gefallen."

    Er blickt auf den Colt, den er ihr aus dem Holster gezogen hat. Eine schwere Waffe, aber eine sehr schöne Arbeit, mit einem Griff aus Perlmutt und den eingravierten, wunderschön geschwungenen Initialen C.B.

    „Nun, jetzt weiß ich wenigstens, dass Ihr Vorname mit C und Ihr Nachname mit B beginnt, das heißt, natürlich nur, wenn das Ihre Waffe ist und Sie sie nicht irgendwo gemaust haben."

    „Sie sind doch ein...", platzt das Girl heraus, doch sie fängt sich sofort wieder, beißt sich auf die Lippen und ihre großen Augen verengen sich zu kleinen Schlitzen.

    „Na also, reden können Sie ja doch, nicht nur brummen, so etwas Ähnliches habe ich mir schon fast gedacht."

    ,Diese Ironie, diese verdammte Ironie. Der Kerl bringt mich auf die Palme! Und ausgerechnet so ein Mistkerl sieht so unverschämt gut aus. Verdammt, zum Glück ist er viel zu alt.‘ Das Mädchen ist stinksauer, besonders da ihr der Mann wirklich gefällt. Groß, breite Schultern, schwarze Haare, markantes Gesicht, dunkle Augen, wie es aussieht eine tolle, muskulöse Figur, pfui Spinne aber auch!

    Schweigend reiten sie zur Ranch. Die Pferde sind in einen gemächlichen Trott gefallen und die beiden Reiter treiben sie in der trockenen Hitze nicht unnötig an.

    Der Vormann betrachtet das junge Ding neben sich genau. Sie ist sehr hübsch. Die Jeans, der Stetson, der Colt und eine Winchester passen eigentlich nicht zu ihrem schmalen, fein geschnittenen Gesicht mit den großen, klug blickenden Augen, die eine ungeheure Erfahrung ahnen lassen. Aber gerade dieser unmögliche Aufzug verleiht dem Kind etwas geheimnisvolles, irgendwie anziehendes, ganz so, als hätte sie ein großes, schlimmes Geheimnis zu verbergen.

    Ihre Haare haben eine wundervolle rote Farbe, die in der Sonne glänzt, als wäre die Frisur mit flüssigem Gold überzogen. Der Mann kann nicht ahnen, wie viel Kummer in diesen roten Haaren steckt. Rotfuchs, Hexe und andere nicht gerade liebevolle Schmeicheleien haben ihre Spielkameraden ihr oft nachgerufen. Sogar eine Hexenverbrennung hatten die Kinder einmal an ihr ausprobieren wollen.

    Anerkennend muss der Cowboy feststellen, dass das Mädchen großartig reitet, sie verschmilzt mit ihrem Pferd nahezu zu einer Einheit, bei einem Mann würde man sagen, ein Naturbursche, aber weibliche Wesen sind dafür wirklich nicht geschaffen.

    Ihrem Gesicht ist anzusehen, dass sie sich weder auf das Pferd noch auf die Umgebung konzentriert, sondern dass sie sehr intensiv nachdenkt. Der Cowboy ist auf der Hut, damit sie nicht auf die Idee kommt, plötzlich die Flucht zu ergreifen. Durch seine von seiner Mutter weitergegebene indianische Abstammung hat er einen sehr wachen Instinkt für menschliche Verhaltensweisen in Krisensituationen und er riecht förmlich, dass das Mädchen nur an eine baldige Flucht denkt.

    Nachdenklich blickt er wieder auf die Haare des Mädchens und auf einmal fällt es ihm wie Schuppen von den Augen: Die rothaarige Unbekannte, die als Heldin durch Ebony Town geistert. Es kann da gar keinen Zweifel geben, so rote Haare kann es nicht zweimal kurz hintereinander bei verschiedenen Personen geben. Die Beschreibung passt genau. Das ihm das nicht direkt aufgefallen ist. David ist wie vom Blitz getroffen, aber er lässt sich seine Aufregung nicht anmerken. Das ist ja wirklich eine kleine Sensation.

    Im Haus des reichen Ranchers James Carpenter stoßen die beiden als erstes auf dessen hübsche Enkelin Susan, die große Augen bekommt, denn sie ihrerseits erkennt sofort die roten Haare, die seit zwei Tagen in der ganzen Gegend das Gesprächsthema sind.

    Der Vormann, der ein gradliniger, ernster Mann ohne Schnörkel ist, schüttelt fast unmerklich den Kopf und lässt ihr erst gar keine Zeit, irgendwelche Fragen zu stellen, sondern knurrt nur: „Ist Dein Großvater da?"

    Susy nickt ganz erstaunt und weist auf die Bürotür.

    Der Mann, den Susan noch niemals hat richtig lachen sehen, ist heute ganz besonders ernst. Er packt die Fremde hart am Arm und schubst sie grob zu Carpenter in dessen Büro.

    Nun schüttelt Susan den Kopf. Wieso geht der Cowboy mit der Heldin so ruppig um, ob sie irgendetwas ausgefressen hat? Neugierig folgt sie den beiden.

    Im Büro setzt der Cowboy unterdessen zu einer seiner knappen und sehr präzisen Erklärungen an, ohne viel Drumherum und ohne Schnickschnack. Das liegt dem Mann mit der indianischen Abstammung nicht, dazu ist er zu offen und zu ehrlich veranlagt.

    Nun versucht der Rancher sein Glück. Er versucht aus der Fremden irgendeine Information herauszuholen, die bei einer Identifizierung weiterhelfen könnte, doch auch jetzt ist das Ergebnis gleich Null.

    Das Mädchen bleibt stumm, wie ein Fisch im Wasser und steht reglos, wie eine Statue, im Raum.

    Lediglich der eben noch so böse Gesichtsausdruck ist einer gleichgültig starren Maske ohne die geringste Regung gewichen. Jeder Pokerspieler würde blass vor Neid.

    Carpenter ist ein kluger Mann mit sehr viel Lebenserfahrung. Er hat natürlich an den roten Haaren auch sofort erkannt, wen sein Vormann da in sein Büro geschleppt hat und ihm ist bewusst, dass sein Angestellter es auch weiß.

    Das Mädchen birgt irgendein Geheimnis, welches sie schon dem Sheriff und dem Doktor vorenthalten hat und er will dieses ergründen, dazu behält auch er sich sein Wissen um ihre Heldentat erst einmal als As im Ärmel. Das Mädchen wirkt angespannt, aber auch müde, sehr überlegen und dennoch gleichzeitig schutzbedürftig. Vor allem aber braucht sie scheinbar eine Weile Ruhe, damit sie zu sich selbst finden kann. Vielleicht wäre sie dann auch eher bereit, zu reden. Möglicherweise ist sie vor irgendwem auf der Flucht und benötigt einen sicheren Platz als Versteck.

    Carpenter blickt das Girl nachdenklich an. Sie ist wirklich noch unglaublich jung, dazu erscheint sie in einem Aufzug, der nun absolut nicht zu einer jungen Dame passt und zu allem Überfluss ist die Göre auch noch bis an die Zähne bewaffnet. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht und Carpenter will wissen, was das ist. Eine Schwerkriminelle kann sie nicht sein, denn dann hätte sie sicherlich auf das Leben des bei dem Postkutschenüberfall Verletzten gepfiffen und nur versucht, aus dem Gepäck der Reisenden noch irgendwelche Wertsachen zu entwenden, aber ein geordnetes Leben führt sie offenbar auch nicht gerade. Alles sehr mysteriös.

    „Nun, meint er vorsichtig, „Sie wollten zwar weder meinem Vormann noch mir sagen, wer Sie sind und was Sie hier wollen, aber dennoch möchte ich Sie bitten, ein paar Tage hier auf der Ranch zu bleiben und mein Gast zu sein. Ich sage ausdrücklich Gast, Sie sind keine Gefangene! Diesen kleinen Wunsch dürfen Sie mir nicht abschlagen. Susan würde sich bestimmt auch freuen, etwas weibliche Gesellschaft zu bekommen. Leider sind junge Damen hier nur etwas spärlich vorhanden und daher hat sie auch keine echte Freundin. Seine Stimme klingt sehr sanft, fast zärtlich und irgendwie scheinen seine Worte das Innerste des Mädchens zu berühren. So freundlich war eigentlich schon lange niemand mehr zu ihr.

    Eigentlich eine nette Gegend, hübsche Cowboys, nette Gesetzeshüter, aber auch bescheuerte Rancharbeiter, ihr Blick huscht zum Vormann und streift ihn kurz, wie zufällig. Schade, hier kann man sich bestimmt wohlfühlen, aber sie ist auf einer Mission und von diesem Ziel darf sie sich nicht abbringen lassen.

    Mit traurigen Augen und einer entschuldigenden Geste schüttelt sie den Kopf und macht einen Schritt in Richtung Tür.

    „Dann befehle ich Ihnen hiermit, dass Sie hier bleiben!"

    Der absolute Wandel im Tonfall seiner Stimme lässt die Rothaarige erschrocken zusammenzucken.

    Sie bleibt stehen und es erscheint allen, als suche sie eine Deckung, um dann wie von einer Sehne gezogen los zu schnellen und zu fliehen. Der Vormann steht für diesen Fall sprungbereit ganz in ihrer Nähe.

    Der Rancher macht ein unwilliges Gesicht und befiehlt seiner Enkeltochter, die im Türrahmen stehen geblieben ist: „Susan, bringe die junge Dame bitte ins Gästezimmer und sieh zu, dass sie dort bleibt!

    Ach, und dann sage bitte noch Ines Bescheid, dass wir in den nächsten Tagen einen Gast haben werden und ein Gedeck mehr benötigen, damit sie nicht glaubt, wir hätten Geheimnisse vor ihr oder ich wäre im dritten Frühling."

    Susan prustet ob des dritten Frühlings, nickt und Carpenter winkt sie zu sich, um ihr noch eine kleine Anweisung ins Ohr zu flüstern: „Sage der jungen Dame nicht, dass wir über ihre Heldentat bei dem Postkutschenüberfall Bescheid wissen, dass behalten wir uns noch als Trumpf zurück."

    Laut sagt er: „Am besten Du schließt hinter ihr die Türe ab." Das war eine deutliche Gefangennahme, ganz gegen seine vorherige Aussage, sie sei ein Gast. Die grünen Augen blitzen zornig und wenn Blicke töten könnten, wäre das Büro mit Leichen bestückt.

    Der unfreiwillige Gast wirkt, als wolle sie mit dem Fuß aufstampfen, dann aber schluckt sie nur, zuckt leicht mit den Schultern und folgt Miss Carpenter widerstrebend aus dem Zimmer.

    In dem hübschen kleinen Raum, der dem Rancher als Gästezimmer dient, wirft sich das rothaarige kleine Ding auf das breite Bett und überlegt fieberhaft. Ihrer gekrausten Stirn ist anzusehen, dass sich ihre Gedanken förmlich überschlagen. Sie beknabbert ihre Lippen, rümpft die Nase und zwirbelt eine Haarsträhne um den Zeigefinger.

    Susy steht ziemlich verloren und hilflos daneben.

    Plötzlich springt die Fremde auf, packt Sue hart an den Oberarmen, blickt sie beschwörend an und schüttelt sie mit den Worten: „Du musst mir helfen!"

    Doch so abrupt, wie dieses Aufflackern eines sich zur Wehr Setzens gekommen ist, so schnell ist das Aufbegehren auch schon wieder vorbei. Sie lockert ihren harten Griff und meint mit einer hilflos wegwerfenden Handbewegung: „Ach Unsinn, es hat ja doch alles keinen Zweck, Du bist ja die Enkelin Deines Großvaters und das scheint mir ein Mann zu sein, dem man unbedingt gehorchen muss."

    Susan setzt sich neben die Unbekannte, legt schwesterlich tröstend ihren Arm um das junge Ding und fragt mit leiser Stimme: „Wie soll ich Dir helfen? Was hat alles keinen Zweck? Du musst mir schon ein bisschen was erzählen, sonst kann ich Dir nicht zur Seite stehen. Denn ich kann ja nicht riechen, in welchen Schwierigkeiten Du steckst. Und Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin zwar die „Enkelin meines Großvaters, aber deswegen heiße ich noch lange nicht alle seine Anweisungen gut. Im Übrigen ist mein Großvater der beste Mensch auf der Welt. Nach dem Tode meiner Eltern hat er meinen Bruder und mich bei sich aufgenommen und wir haben es sehr gut bei ihm gehabt. Er ist kein reicher Tyrann, wenn Du das meinst.

    Das rothaarige Mädchen schiebt den tröstenden Arm unwillig beiseite. „Ich kann Dir nichts erzählen, ich kann es einfach nicht. Du würdest das Ganze wahrscheinlich sowieso nicht begreifen oder mich für bescheuert halten, wie die meisten. Ich muss hier weg und das schnell, ganz, ganz schnell."

    „Hör mal, Mädchen, ich kann gar nichts für Dich tun, wenn ich keine Ahnung habe, um was es geht. Ich will gerne versuchen, Dir zu helfen, wenn ich bis jetzt auch noch keinen blassen Schimmer habe, wie ich das anstellen soll."

    Susan blickt die Fremde offen an. „Ich verspreche Dir auch, dass ich niemandem etwas verraten werde. Dafür musst Du mir aber so viel wie möglich erzählen. Warum willst oder besser gesagt, musst Du weg?"

    Das rothaarige Wesen seufzt und schaut an Susans schönem Kleid herab, dann auf ihre eigenen, sehr abgelatschten und staubigen Stiefel. „Na gut, ich habe eben sowieso schon viel zu viel geredet und Du lässt ja doch nicht locker.

    Ich kann Dir nicht alles erzählen, aber wenigstens ein ganz klein wenig, das, was mir nicht schaden kann."

    Sie stockt, verzieht den Mund und holt tief Luft. „Du wirst es ganz sicher nicht verstehen, aber versuchen wir es einfach mal."

    Das Kind macht erneut eine Pause, blickt auf ihre Hände, hart und schwielig mit kurzen ungepflegten Fingernägeln, schaut dann in Susy‘s gespanntes Gesicht, muss wider Willen lächeln und beginnt: „Als erstes will ich Dir meinen Vornamen nennen, damit kann keiner viel anfangen, es erleichtert aber die Konversation. Ich heiße Carol. Mein Nachname geht Dich nichts an und braucht und darf Dich auch nicht interessieren. Das ist einfach zu meinem Schutz, okay?"

    Susan nickt und fragt sich, ob die Fremde wohl etwas auf dem Kerbholz haben könnte und was das wohl sein mag. Carol fährt fort: „Weg will ich, weil ich weiter nach meinem Bruder John suchen muss. Er ist der einzige Mensch, den ich nach dem Tod meiner Eltern noch habe, und nicht mal ihn habe ich richtig. Ich kenne ihn nicht, ich weiß nicht, wo er sich aufhält oder ob er überhaupt noch lebt. Du wirst es nicht glauben, ich weiß nicht einmal, wie er aussieht. Er ist von zu Hause weggegangen." Wieder macht sie eine Pause und schluckt krampfhaft die plötzlich aufsteigenden Tränen herunter.

    „Weg muss ich, weil Dein Großvater nach meinem Vorleben fahnden wird und das wäre ausgesprochen schlecht für mich, denn er ist sicher ein sehr einflussreicher Mann, nicht nur hier in dieser Stadt, wahrscheinlich in ganz Wyoming. Er würde es mit Leichtigkeit schaffen, mich in einem Heim unterzubringen."

    Carol schüttelt sich. „Ich bin ja Vollwaise und mit fünfzehn Jahren drohen einem „ungefestigten jungen Menschen leider immer noch die gemütlichen Einrichtungen der Erziehungsanstalten. Sie rümpft die Nase. „Und ob ich genügend erzogen wurde, um einen gefestigten Charakter zu haben, das wage ich doch sehr zu bezweifeln." Unsicher blickt Carol Susan an, zuckt wieder die Schultern und redet leise weiter.

    „Deshalb also

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