Der Dampfkochtopf: Geschichten und Rezepte aus der Steampunkküche
Von Ingrid Pointecker, Anja Buchmann, Marion Bach und
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Über dieses E-Book
Wenn Steampunkgeschichten auf leckeres Essen treffen, wird es spannend und abwechslungsreich. Von Flugschiffen bis zu unterseeischem Treiben entführen 16 AutorInnen auf eine spannende Reise quer durch viele Spielarten der Steampunkliteratur. Dazu begleiten leckere Gaumenfreuden, die zentrale Rollen in den jeweiligen Geschichten spielen.
Ein Fest für alle Sinne – für die steampunkige und jede andere Küche. Guten Appetit!
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Rezensionen für Der Dampfkochtopf
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Buchvorschau
Der Dampfkochtopf - Ingrid Pointecker
Der Dampfkochtopf
Geschichten und Rezepte aus der Steampunkküche
Ingrid Pointecker (Hrsg.)
Anthologie
Die Deutsche Bibliothek und die Österreichische Nationalbibliothek verzeichnen diese Publikation in der jeweiligen Nationalbibliografie. Bibliografische Daten:
http://dnb.ddp.de
http://www.onb.ac.at
© 2015 Verlag ohneohren, Ingrid Pointecker, Wien
www.ohneohren.com
ISBN: 978-3-903006-63-8
1. Auflage
Covergestaltung: Ingrid Pointecker
Cover - und Rezeptfotos: Michael Sterzer
Cover- und Trennblattgrafiken: Bukhavets Mikhail | shutterstock.com, freepik.com
Lektorat, Korrektorat: Verlag ohneohren
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und/oder des entsprechenden Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Alle Personen und Namen in diesem E-Book sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Inhaltsverzeichnis
Vorwort der Herausgeberin
Suppe & Beilagen
Anja Buchmann
Freiheitsbrei
Foto
Rezept
Marion Bach
Tante Eufemia
Foto
Rezept
Susanne Halbeisen
200,00 Gurken unter dem Meer
Foto
Rezept
Kai Gläser
Schraubenschlüssel
Foto
Rezept
Hauptgerichte
Anja Kraus
Kannibalische Gastfreundschaft
Foto
Rezept
Daniel Schlegel
Karas Kabelsalat für junge Erfinder und Entdecker
Foto
Rezept
Laura Dümpelfeld
Ferdinand Fichtelbergs famoser Fabrikator
Foto
Rezept
Luzia Pfyl
Die Pilaw-Affäre
Foto
Rezept
Markus Cremer
Archibald Leach und die gelbe Pute aus Neuguinea
Foto
Rezept
Tina Skupin
Die Winde von Vineta
Foto
Rezept
Cathrin Kühl
Käthes Königsberger Klopse-Kanone
Foto
Rezept
Julianna Dalisch
Fliegerallerlei
Foto
Rezept
Süßes
Bianca M. Riescher
Tödliches Tiramisu
Foto
Rezept
Meara Finnegan
Im Schatten der Messingsense
Foto
Rezept
Regine D. Ritter
Milch oder Zitrone
Foto
Rezept
Manja Siber
Sylvesterwein
Foto
Rezept
Die AutorInnen
Vorwort der Herausgeberin
Wien, am 18. Mai 2016
Liebe Leserinnen und Leser,
„Kochbuch?, lautete die kryptische Notiz an mich selbst vor knapp zwei Jahren, die zu dem Projekt geworden ist, dessen Endergebnis Sie nun in Händen halten. Die ursprüngliche Idee dazu entstammte einen Kochblog, den ich zugunsten meiner Tätigkeiten als Verlegerin und Herausgeberin vor einigen Jahren aufgeben musste. Kombiniert mit dem Umstand, dass es zwar einige englische Bücher zu den Themen Kulinarik und Steampunk gibt, aber wenig Vergleichbares aus dem deutschsprachigen Raum, entstand schließlich auf Basis einer Ausschreibung „Der Dampfkochtopf
.
Keine Angst, unsere wunderbaren Autorinnen und Autoren haben darauf geachtet, dass Sie das gleichnamige Kochgerät nicht unbedingt brauchen. Die Rezepte sind einfach gehalten, wurden vom Essensfotografen und mir testgekocht (und natürlich auch gegessen), es gibt auch feine Dinge für VegetarierInnen und VerganerInnen sowie Gerichte für jedes Budget.
Aber das Wichtigste: Wunderbare Geschichten stecken in diesem Buch. Sie werden Ausflüge in die Luft miterleben, unterseeisches Leben erkunden, mechanische Gerätschaften kennenlernen und einige der vielen Varianten des Subgenres Steampunk entdecken. Dazu gehören sich in ballistischer Flugbahn fortbewegende Kartoffeln genauso wie ein vergifteter Nachtisch.
Auf dem Cover haben Sie bestimmt schon das Gericht von Autorin Cathrin Kühl entdeckt, und auch im Inneren finden Sie zahlreiche Bilder, die ohne meinen Fotografen und Lebensgefährten Michael Sterzer nicht möglich gewesen wären.
Eine besondere Erwähnung darf hier ebenfalls nicht fehlen: Manchmal haben es Kleinverlage und Anthologien derselbigen nicht einfach. Möglich gemacht wurden die hübschen Bilder auch durch meine Eltern Anna und Oskar, die uns für manche der Fotos ihr liebevoll restauriertes Herzensprojekt, ein kleines Häuschen in Oberösterreich, zur Verfügung gestellt haben.
So anstrengend diese ausufernden Danksagungen klingen mögen, so sehr hat dieses Projekt aber auch Spaß gemacht. Der größte Dank gilt dabei den AutorInnen, die Geduld mit ihrer Verlegerin und Herausgeberin bewiesen, immer schnell mit konstruktivem Feedback (zum Beispiel bei der Fotoauswahl) reagiert haben und vor allem immer wieder den Mut beweisen, sich auf neue Schnapsideen von mir einzulassen.
Nun liegt „Der Dampfkochtopf" in Ihren Händen und freut sich darauf, gelesen und gekostet zu werden. Wir freuen uns auf Ihr Feedback (das man dank des Internets auch wunderbar mit vollem Mund loswerden kann). Haben Sie Spaß und lassen Sie es sich schmecken!
Guten Appetit,
Ingrid Pointecker
Freiheitsbrei
Anja Buchmann
Ihre ausladenden Röcke bauschten, während sie aus der dampfgetriebenen Kutsche stieg. Als Phoebe den rechten Fuß auf den sandigen, von der Mittagssonne erhitzten Boden setzte, stolperte sie beinahe. Die Fessel, welche ihr Gelenk umschloss, hatte sich in ihrem Unterrock verfangen. Sie bückte sich, nestelte an dem Stoff, bemüht, den metallenen Fremdkörper nicht zu berühren.
„Los, vorwärts. Wir haben nicht ewig Zeit!" Der große, in feinen Zwirn gekleidete Mann, der hinter ihr aus der Kutsche gestiegen war, griff nach ihrem Arm und zog sie mit sich.
„Halt, meine Koffer!" Das Gepäck war das Einzige, was ihr, abgesehen von den Kleidern am Leib, noch geblieben war. Unmöglich konnte sie zulassen, dass er ihr dies auch noch nahm.
Mit einer herrischen Geste bedeutete ihr Begleiter dem Führer des Dampfgefährts, den großen Koffer und die beiden kleinen Taschen auszuladen. Während er den Bediensteten mit den stetigen Blicken seiner umschatteten eisblauen Augen zur Eile mahnte, hielt er ihren Arm weiterhin fest umklammert.
Als ob sie noch die Willenskraft besäße, sich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Die Stunden in der Enge der Kutsche hatten jeden Gedanken daran nachhaltig erstickt. Alles an ihrem Entführer war dazu angetan, Phoebe in Angst und Schrecken zu versetzen. Obwohl er nach außen hin der perfekte Gentleman war, korrekt bis in die Spitzen seines akkurat geschnittenen Haarschopfes, hatte er in der Abgeschiedenheit des Vehikels nicht mehr versucht, seine finstere und bedrohliche Seite vor ihr zu verbergen.
Bei ihrem Kennenlernen im literarischen Salon ihrer Freundin Mary – erst am Vorabend war es gewesen, obgleich es ihr vorkam wie in einem anderen Leben – war Phoebe fasziniert von der stattlichen Erscheinung des Herrn gewesen, der sich ihr als Alec Rice vorgestellt hatte. Inzwischen bezweifelte sie, dass dies sein richtiger Name war. Doch am Abend war sie geblendet worden von seinem guten Aussehen, dem schlanken Körper, der keine Spuren der in ihren Kreisen üblichen Völlerei und des Müßiggangs aufwies. Allzu gerne hatte sie sich von Rice in ein Gespräch verwickeln und zu mehr als nur einem Glas Wein verleiten lassen.
Als er sie später nach Hause begleitet hatte, war sie zu betrunken gewesen, um sich gegen sein Eindringen in das kleine Appartement zu wehren, welches sie in ihrem Elternhaus bewohnte. Erst als Rice die Tür hinter ihnen abgeschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte, war ihr der schreckliche Fehler aufgefallen.
Er kam sofort zur Sache. „Es gibt etwas, was du für mich tun kannst." Die zuvor so sanfte und einschmeichelnde Stimme war plötzlich kalt und berechnend. Während sie vor Angst zitterte, erklärte er ihr, dass er sie für eine besondere Aufgabe ausersehen hätte. Worum es sich dabei handelte, wusste Phoebe auch jetzt, nach ihrer gemeinsamen Reise, nicht. An einer Sache jedoch hatte Rice, die Pistole in der Hand, keine Zweifel gelassen: Wenn sie nicht tat, was er von ihr verlangte, würde sie es bitter bereuen. Es war weniger die Bedrohung für ihr Leben, welche ihr Gehorsam abforderte, vielmehr drohte Rice damit, ihre ganze Familie in den Ruin zu stürzen. Er hatte angeblich Beweise dafür, dass Phoebes Vater, ein angesehener Politiker, in üble Machenschaften verstrickt war. Kämen diese an Licht, drohte ihm mindestens Kerkerhaft. Was das für ihre Mutter und die drei jüngeren Schwestern bedeutete, wollte Phoebe sich nicht einmal vorstellen. Auch wenn sie sich einredete, dass die Beweise gefälscht waren, änderte sich nichts an der Gefahr, die von ihnen ausging. Rice zumindest schien sich seiner Sache sicher zu sein.
Er hatte sie in der Hand! Das wurde ihr erneut schmerzlich bewusst, als er sie anwies, ihre Habseligkeiten aufzunehmen und ihm zu folgen. Sie ächzte unter dem Gewicht, Schweiß stand ihr auf der Stirn. So sehr sie sich anstrengte, entlang des staubigen Pfades – zu schmal für die Dampfkutsche –, den sie entlangschritten, konnte sie kein Ziel ausmachen, auf das sie zusteuerten. Danach zu fragen war sinnlos. In der Kutsche hatte sie es unzählige Male getan und keine Antwort erhalten. Stattdessen hatte Rice ihr mit Freuden auseinandergesetzt, welche Folgen Ungehorsam haben konnte. Auch über die Funktionsweise der Fessel, die ihr Bein beschwerte, hatte er sie umfassend informiert. Es war ein Wunderwerk der Ingenieurskunst, ein überaus tödliches. In einem kleinen Kasten, der untrennbar mit dem metallenen Band verbunden war, befand sich genug Sprengstoff, um sie auf der Stelle in Stücke zu reißen. Und dies würde geschehen, sobald der Kontakt zu dem Sender unterbrochen wurde, den Rice in der Tasche trug. Wenn sie es richtig verstanden hatte, basierte die Höllenmaschine auf den gleichen Grundlagen wie das Marconiphon. Wie weit die lebenserhaltenden Wellen des Senders reichten, wusste Phoebe nicht und sie verspürte auch nicht den Wunsch, es herauszufinden.
Ganz auf ihre von der Last schmerzenden Arme und Schultern konzentriert, schritt sie schweigend den Weg entlang, der sich immer weiter verengte. Links und rechts lagen Wiesen voller saftiger Gräser und Sommerblumen, die sich sanft im Wind wiegten. Gerne hätte sie gerastet, um diesen wundervollen Anblick tief in sich aufzunehmen. Rice aber schritt hastig voran, warf ihr über die Schulter immer wieder Blicke zu, die sie zur Eile mahnten.
Unvermittelt standen sie vor einem niedrigen hölzernen Zaun, der ein verwildertes Grundstück umschloss, in dessen Mitte sich ein nicht minder heruntergekommenes Haus befand. War das ihr Ziel? Die Bestimmtheit, mit der Rice das quietschende Tor aufstieß, ließ die Vermutung zur Gewissheit wachsen.
Sie bahnten sich einen Weg durch das Gewirr an Unkraut, Gebüsch und Nutzpflanzen. Als sie das Haus fast erreicht hatten, schwang dessen Tür auf und ein Mann trat ihnen entgegen, kahlköpfig und vom Alter gebeugt. Da er Rice erblickte, verfinsterte sich das faltige Gesicht. Offener Hass lag in seinen Zügen.
Rice schien das wenig zu bekümmern. „Wie geht es Ihnen, Professor? Schauen Sie, ich bringe Ihnen eine neue Haushälterin."
Ein Schnauben war die Antwort. In Phoebe arbeitete es. Endlich wusste sie, warum Rice sie hergebracht hatte. Sie sollte die Mamsell dieses Alten werden. Doch das konnte einfach nicht alles sein. Sonst hätte er sie nicht entführt. Erpressung war ein viel zu aufwendiger Weg, um an Hauspersonal zu kommen. Außerdem musste sie sich fragen, was mit ihrer Vorgängerin geschehen war. War sie tot? Sie drängte den Gedanken mit aller Macht beiseite.
„Geht ins Haus!" Rices Befehl galt sowohl dem Alten als auch ihr.
Der Professor drehte sich um und schlurfte ins Haus zurück. Täuschte sie sich oder beulte sein Hosenbein über dem rechten Knöchel? Konnte es sein, dass auch der Alte eine dieser teuflischen Fußfesseln trug? War er ebenso ein Gefangener wie sie? Phoebe vermutete, dass sie es noch früh genug herausfinden würde.
Rice trat nach ihnen ins Haus und verschloss die Tür. Drinnen war es dämmrig, fast dunkel. Die Fensterscheiben waren so dreckig, dass sie kaum noch Licht hereinließen. Dieses Haus hatte dringend jemanden nötig, der sich darum kümmerte.
„Name?", fragte der Professor barsch.
„Phoebe", antwortete sie und streckte ihm die Hand entgegen. Er ignorierte dies und schien es auch nicht für nötig zu erachten, ihr seinen Namen zu nennen.
„Also Phoebe, der Professor wird dir alles zeigen, was du wissen musst. Ich werde in unregelmäßigen Abständen nach euch sehen. Den hier, er zog den Sender zu ihrer Fußfessel aus der Tasche, „werde ich in den Tresor im Keller einschließen. Keine Angst, die Wellen durchdringen das Material des Safes. Sie reichen bis zum Rand des Grundstücks. Solange du dich innerhalb des Zaunes aufhältst, ist alles gut.
Nichts war gut! Sie war eine Gefangene. Am liebsten hätte sie ihm ihren Frust ins Gesicht gebrüllt. Aber das konnte sie nicht tun. Er hielt den Sender in der Hand. Zerbrach er ihn in einem Anfall von Wut, würde sie sterben. Rice hatte ihr gesagt, was er im Falle ihres Ablebens tun würde: sich eine ihrer Schwestern holen. Um deren Sicherheit willen durfte sie nichts riskieren.
Rice verschwand im Untergeschoss und der Professor wandte sich einem riesigen Arbeitstisch zu, der fast vollständig mit einem wüsten Sammelsurium an Kleinteilen und Werkzeugen bedeckt war. Unschlüssig, was sie tun sollte, stand Phoebe inmitten des Raumes, der wohl ursprünglich die Küche des Hauses gewesen war. Zumindest deutete ein vollkommen verdreckter Herd in der Ecke darauf hin. Nach einigem Suchen konnte sie auch die Spüle ausmachen, begraben unter schmutzigem Geschirr. Fliegen umsurrten das Chaos. Sie fragte sich, wie lange der Professor hier schon allein hauste. Zumindest würde ihr in diesem Gefängnis nicht langweilig werden. Aufgewachsen mit zahlreichen Bediensteten hatte Phoebe zwar nicht allzu viel Ahnung von Haushaltsführung, aber besser als das hier würde sie es schon auf die Reihe kriegen.
Rice kam zurück.
„Dein Schlafzimmer ist unterm Dach", informierte er sie. Sie griff sich ihre Koffer und stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf. Drei Zimmer gingen vom Flur ab. Sie warf einen Blick in jedes. Alle waren sie angefüllt mit technischen Gerätschaften. Im letzten Zimmer gab es unter all dem Chaos auch ein Bett, dessen Laken offensichtlich seit Urzeiten nicht mehr gewechselt worden waren. Das war wohl das Schlafzimmer des Professors.
Am Ende des Ganges führte eine schmale Stiege weiter nach oben. Mit Mühe wuchtete sie ihren Koffer durch die enge Öffnung. Das ganze Geschoss bestand nur aus einem niedrigen Raum, in dessen Mitte sie gerade so aufrecht stehen konnte, nachdem sie ihren Hut abgenommen hatte. Neben einem Bett gab es einige kleine Schränke und Kommoden aus solidem Holz. Obwohl alles verstaubt war, machte diese Zimmer einen deutlich besseren Eindruck als der Rest des Hauses. Sie mutmaßte, dass der Professor seine alten Knochen nicht die Stiege nach oben quälte und das Dachgeschoss so von dem allgegenwärtigen Chaos verschont blieb.
Als sie die Treppe hinabstieg, um auch ihre beiden Taschen hinaufzuholen, hörte Phoebe eine Tür zuschlagen. Rice war gegangen. Sofort atmete sie freier.
Allmählich ging der Sommer in den Herbst über. Phoebe begrüßte die Kühle, die mit den kürzeren Tagen Einzug hielt. Fast drei Monate lebte sie nun schon bei dem Professor. Sie hatte kräftig angepackt und das Haus war nicht wiederzuerkennen. Auch wenn sie, der Arbeit des Wissenschaftlers geschuldet, einige Zugeständnisse in Sachen Ordnung machen musste, war es kein Vergleich zum vorherigen Zustand. Sie kam besser mit der Hausarbeit zurecht, als sie vermutet hätte. Einzig mit dem Kochen hatte sie so ihre Schwierigkeiten. Glücklicherweise war der Professor wenig anspruchsvoll und begnügte sich mit den Dosenmahlzeiten, die Rice brachte, wann immer er zu einem seiner Kontrollbesuche vorbeikam. Phoebe jedoch hatte so ihre Probleme damit, sich tagein, tagaus davon zu ernähren. Sogar die Milch kam aus der Dose. Wie gerne wäre sie auf den Markt gegangen, um frische Lebensmittel zu kaufen. Doch ihr Leben war auf dieses Grundstück mitten im Nirgendwo begrenzt. Außerdem schaffte sie es nicht einmal, aus dem Gemüse und Obst, welches völlig ohne ihr Zutun im Garten spross, eine Mahlzeit zu machen. Einige Male hatte sie es versucht, war dann aber dazu übergegangen, Möhren, Kräuter und Obst, wenn überhaupt dann roh zu verzehren.
Etwas anderes aber bereitete ihr weitaus mehr Sorgen: der Professor. Von Anfang an war der alte Mann ihr gegenüber sehr distanziert gewesen. Wann immer sie ihn nach seiner Forschung fragte, sogar offen feindselig. Er gab ihr das Gefühl, ihre Anwesenheit bestenfalls zu dulden. Dabei wünschte sie sich, offen mit ihm reden zu können. Schließlich hatten sie nur einander. Außerdem war er ihre einzige Chance herauszufinden, was hier vor sich ging. Aber ebenso gut hätte sie Rice bitten können, ihr alles zu erklären.
Phoebe war gerade dabei, das Bett des alten Mannes frisch zu beziehen. Morgen war Waschtag. Plötzlich ertönte ein Knall. Sie rannte aus dem Zimmer hinab in die Küche, während weitere polternde Geräusche folgten. Die Küche war ein einziges Schlachtfeld. Der Professor mittendrin, die Hände in den Taschen seines mit irgendeiner glibberigen Substanz bedeckten Kittels, die Stirn gerunzelt. Jetzt erkannte sie, worum es sich bei den herumliegenden Stücken handelte: die Überreste eines Riesenkürbisses. Es sah aus, als sei er explodiert.
Ohne eine Erklärung vom Professor einzufordern, griff sie sich einen Eimer und begann, die Stücke einzusammeln.
„Scheiße!"
Phoebe blickte auf. Noch nie hatte sie den alten Wissenschaftler fluchen hören. „Was ist los?"
„Rice kommt."
„Woher wissen Sie das?" Erst jetzt fiel ihr auf, dass er es bisher immer gewusst hatte, wenn der Entführer kurze Zeit später durch die Tür gekommen war. Jedes Mal hatte er mit seinen Forschungen innegehalten und Rice in der Küche oder gar vor der Tür empfangen.
„Ein unauffälliges Alarmsystem am Tor. Ein Lächeln umspielte den Mund des alten Mannes. Der kurze Moment verstrich und hektisch begann er, ein seltsam aussehendes Gerät in eine Holzkiste zu stopfen. „Er darf es nicht finden
, murmelte er dabei. „Aber diese Schweinerei. Wie soll ich das erklären?"
„Lassen Sie mich das machen. Bringen Sie Ihre Erfindung in Sicherheit", flüsterte sie, als sich die Tür öffnete.
Rice stand im Türrahmen. Sein Blick scannte den Raum, blieb an ihr hängen.
„Entschuldigen Sie das Chaos. Ich war wohl etwas zu rabiat."
„Was hattest du mit dem Kürbis vor?"
„Kochen. Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren. Rice schaute sie nach wie vor fragend an, skeptisch. „Ich koche … äh … Kürbis-Kartoffelpüree. Es wäre doch schade, wenn die Kürbisse aus dem Garten umkommen würden.
Phoebe fuhr fort, die Stücke des Kürbisses in den Eimer zu packen. Zu ihrer Erleichterung wandte Rice seine Aufmerksamkeit dem Professor zu. Ein verstohlener Blick in dessen Richtung verriet ihr, dass dieser die Holzkiste verschlossen hatte und