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Das Glückskeksprinzip: Roman
Das Glückskeksprinzip: Roman
Das Glückskeksprinzip: Roman
eBook431 Seiten5 Stunden

Das Glückskeksprinzip: Roman

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Über dieses E-Book

Sie sollte wirklich besser zuhören! Als die New Yorkerin Ella für eine Bekannte bei einem Mittagessen-Lieferdienst einspringt, scheint sie in einem ganz seltsamen Schuppen gelandet zu sein… Und wieso begreift eigentlich niemand, dass sie nicht Ashley, ihre Bekannte, sondern Ella ist? Als sie dann auch noch durch verschiedene unglückliche Umstände als Glücksforscherin beim beliebten Fernsehsender HQN in die Fernsehshow »Patty for Lunch« gezerrt wird und einem Millionenpublikum Glückstipps geben soll, ist das Chaos perfekt. Zum Glück gibt es Mr. Yaos Glückskekse mit passenden Tipps! Und Jack Winter, den beliebten und überaus attraktiven Talkmaster, der Ella bereitwillig aus der Patsche hilft. Und natürlich ihren guten Freund Eric, der immer für sie da ist. Alles scheint sich langsam wieder zum Guten zu wenden – bis Ella einer zwielichtigen Sache auf die Spur kommt. Ella weiß plötzlich nicht mehr, wem sie trauen kann. Sie gerät in einen Strudel aus Lügen, Verwirrungen und Gefahr. Sehr großer Gefahr sogar…
SpracheDeutsch
HerausgeberTWENTYSIX
Erscheinungsdatum21. März 2016
ISBN9783740718053
Das Glückskeksprinzip: Roman
Autor

Angela Berger

Angela Berger ist 1973 in der Nähe von Basel als Angela D'Angelo in eine norddeutsch-süditalienische Familie hineingeboren worden. Was an und für sich schon Stoff für ein Buch gewesen wäre. Als Kind und Jugendliche begnügte sie sich aber noch damit, ihre Erlebnisse in fantasievolle Aufsätze einfließen zu lassen. Erst später, als sie im Zürcher Unterland mit dem Schreiben eigener Bücher begann, wurde ihre Familie miteinbezogen. Nur ein bisschen allerdings, denn das Leben hält genug Alltagsepisoden bereit, die sich als Stoff in einem Buch wiederverwerten lassen. Und wenn mal gar nichts mehr geht, muss auch ihr Mann, mit dem sie seit 1999 glücklich verheiratet ist, als Inspirationsquelle herhalten. Heimlich natürlich. Das Glück sollte man nicht zu sehr herausfordern!

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    Buchvorschau

    Das Glückskeksprinzip - Angela Berger

    Buch

    Als die unkomplizierte Ella nach einem halbjährigen Auslandsaufenthalt zu ihrer Familie nach New York zurückkehrt, springt sie mehr aus Goodwill für eine verunfallte Bekannte in einem Lunch-Lieferdienst ein. Dumm nur, dass das makrobiotische Lokal strenge Ernährungsrichtlinien verfolgt und Ella alles andere als diszipliniert ist, wenn es ums Essen geht. Und als wäre das nicht schon Ärger genug, wird Ella auch noch vom beliebten New Yorker Fernsehsender HQN mit einer Glücksforscherin verwechselt, die an diesem Tag gerade verhindert ist. Ella landet in einer Live-Sendung und muss einem Millionenpublikum Glückstipps geben. Mit viel Selbstvertrauen, einer großen Portion Charme und vor allem Mr. Yaos Glückskeks-Tipps avanciert Ella zum Publikumsliebling. Sie lernt den charmanten Talkmaster Jack Winter kennen und ohne es zu wollen, schwebt Ella bald im siebten Himmel. Alles scheint perfekt zu sein! Bis auf Ellas Verdacht, dass sie einer zwielichtigen Angelegenheit auf die Spur gekommen sein könnte …

    Autorin

    Angela Berger ist 1973 in der Nähe von Basel als Angela D’Angelo in eine norddeutsch-süditalienische Familie hineingeboren worden. Was an und für sich schon Stoff für ein Buch gewesen wäre. Als Kind und Jugendliche begnügte sie sich aber noch damit, ihre Erlebnisse in fantasievolle Aufsätze einfließen zu lassen. Erst später, als sie im Zürcher Unterland mit dem Schreiben eigener Bücher begann, wurde ihre Familie miteinbezogen. Nur ein bisschen allerdings, denn das Leben hält genug Alltagsepisoden bereit, die sich als Stoff in einem Buch wiederverwerten lassen. Und wenn mal gar nichts mehr geht, muss auch ihr Mann, mit dem sie seit 1999 glücklich verheiratet ist, als Inspirationsquelle herhalten. Heimlich natürlich. Das Glück sollte man schließlich nicht zu sehr herausfordern!

    Inhaltsverzeichnis

    Prolog

    Teil 1

    Kapitel 1: Sechs Wochen zuvor

    Kapitel 2

    Kapitel 3

    Kapitel 4

    Kapitel 5

    Kapitel 6

    Kapitel 7

    Kapitel 8

    Kapitel 9

    Kapitel 10

    Kapitel 11

    Kapitel 12

    Kapitel 13

    Kapitel 14

    Kapitel 15

    Kapitel 16

    Kapitel 17

    Kapitel 18

    Kapitel 19

    Kapitel 20

    Kapitel 21

    Teil 2

    Kapitel 22

    Kapitel 23

    Kapitel 24

    Kapitel 25

    Kapitel 26

    Kapitel 27

    Kapitel 28

    Kapitel 29

    Kapitel 30

    Kapitel 31

    Kapitel 32

    Kapitel 33

    Kapitel 34

    Epilog

    Prolog

    Als mich die Scheinwerfer mit voller Wucht anleuchteten, zuckte ich nicht einmal mehr mit den Wimpern. Mittlerweile war ich durch und durch Profi.

    Entspannt lehnte ich mich auf dem Sofa zurück und genoss den Moment. Der neue Duft, den mir Priscilla empfohlen hatte und den ich heute trug, drang angenehm aber unaufdringlich in meine Nase. Meine neuen, goldblonden Strähnchen umrahmten mein Gesicht und ich fühlte mich hübscher denn je. Meine dunkelblonden Haare Matteo anzuvertrauen, hatte sich als im wahrsten Sinne des Wortes goldrichtige Entscheidung erwiesen. Priscilla hatte mir heute ein sensationelles Make-up verpasst. Meine grünen Augen strahlten richtiggehend (wo fand sie auch immer diese Wahnsinns-Mascaras?!), und mit dem neuen Lipgloss wirkten meine Lippen unglaublich voll.

    Nie hätte ich es früher gewagt, mich als Schönheit zu bezeichnen, aber heute, jetzt, gerade in diesem Moment, da war ich es … ich war … schön! Schön, beliebt und mittlerweile ziemlich bekannt. Diesen Moment wollte ich einfach nur genießen und für die Ewigkeit festhalten.

    Ich, Ella Bondini, 28 Jahre alt, Tochter eines Kochs (naja, Starkochs …) und einer liebenden Stiefmutter, war heute berühmt, beliebt und schön! Niemals hätte ich mir das erträumt. Ich war einfach nur glücklich.

    Ben, unser Aufnahmeleiter, machte ein dezentes Zeichen in Pattys und meine Richtung, Patty nickte ihm kaum merklich zu. Ben gab der Regie ein Zeichen. »Wir sind auf Sendung in drei, zwei, eins …« Dann ertönte der vertraute Jingle der Show. Patty war wie immer voll präsent, sobald die Kameras an waren.

    »Guten Morgen und herzlich willkommen zurück zu Patty for Lunch! So, und jetzt kommen wir zu meinem absoluten Lieblingsteil der Show, und ich bin sicher, es geht Ihnen auch so! Neben mir sitzt unsere Glücksforscherin, unsere absolute Expertin für Glück, unsere beliebte Ashley. Herzlich willkommen, Ashley!«

    Ich spürte das mir bereits vertraute Kribbeln im Bauch, eine Mischung aus Nervosität, Spannung und Vorfreude auf die Anrufer, die heute meinen Rat hören wollten.

    »Hallo Ashley, wie geht es Ihnen heute?«, säuselte Patty in meine Richtung.

    »Bestens, danke Patty!«, säuselte ich zurück. Die Fernseh-Ashley war mittlerweile ein Teil von mir geworden. Ella hatte ich in der Maske zurückgelassen.

    Patty setzte ihren Million-Dollar-Smile auf. »Und wie umwerfend Sie heute wieder aussehen.« Dann fügte sie gespielt tadelnd hinzu: »Ich werde wohl meine Maskenbildnerin feuern müssen und mir Ihre schnappen.« Was ich ihr durchaus zugetraut hätte!

    »Ja, nicht wahr, was ein bisschen Mascara und Lipgloss so alles ausrichten«, flötete ich zurück.

    Unverhohlen schoss ihr Blick auf mein Augen-Make-up und ich konnte es in ihrem Hirn förmlich rattern hören. Was, um Himmels Willen trägt sie heute?!

    »Ja dann, genug der Nettigkeiten (wie bitte?). Als Erstes interessiert uns natürlich, was Sie uns heute als Glücksgegenstand des Tages mitgebracht haben. Zeigen Sie doch mal her!«

    Ich konzentrierte mich auf den Gegenstand, den ich heute Morgen noch in aller Schnelle auf dem Parkplatz des Fernsehstudios aufgesammelt hatte und der jetzt in meiner Handtasche lag.

    »Was ist es denn, ich sehe gar nichts!« Unglaublich, wie ungeduldig Patty war! »Richtig, Patty, noch sehen Sie nichts. Lassen Sie mich Ihnen zuerst eine Frage stellen: Was war das erste, was Sie dachten, als Sie heute aus dem Fenster geschaut haben?«

    Hatte sie überhaupt etwas anderes wahrgenommen als ihr Spiegelbild?

    Patty rümpfte die Nase und überlegte. Dann erhellte sich ihr Gesicht: »Ich habe gedacht, wie schön, ein neuer Tag!« Das durfte doch nicht wahr sein …

    Diesmal sprach ich langsam und bedächtig, fast wie zu einem Kind. »Aha, und dann, als Sie sich über den Tag gefreut hatten, was ging Ihnen durch den Kopf, als sie zum Beispiel das Wetter wahrgenommen hatten.«

    »Ach so, ja, also, es regnete.« Bingo, Patty!

    »Richtig, es regnete. Was denken wir in der Regel, wenn es regnet?« Patty schürzte ihre Lippen. »Regen ist nicht so toll. Ich mag lieber Sonnentage.« Na also!

    »Genau so geht es mir auch, Patty, und genau so wird es auch den meisten Zuschauern gehen. Wir lassen uns also vom Wetter diktieren, ob es ein guter oder ein schlechter Tag wird. Wir nehmen das dann sozusagen als Tagesmotto auf. Und was passiert mit einem Menschen, der am Morgen sein Tagesmotto bestimmt? Er ist festgefahren. Er wird praktisch blind für alles, was nicht in sein Tagesmotto passt. Man blickt nicht mehr nach links oder nach rechts. Und deshalb habe ich heute beschlossen, mein Tagesmotto »Ach schade, es regnet!« zu ignorieren. Ich habe versucht, jedes noch so kleine Detail aufzusaugen. Und wissen Sie, was mir aufgefallen ist? Die Natur freut sich über Regen, alles sprießt und gedeiht. Die Tiere lieben Regen, die Pflanzen lieben Regen, ja sogar die Steine lieben Regen.«

    Ich zog feierlich einen Kieselstein aus der Tasche.

    »Schauen Sie diese Schönheit an. Sie schreit förmlich heraus: ›Danke für den Regen! Heute ist ein guter Tag!‹ Und genau daran werde ich mich heute orientieren. Mit diesem Stein in meiner Tasche. Nicht mit einem enttäuschten Blick gen Himmel, sondern mit einem dankbaren Blick auf alles um mich herum.«

    Mann, das war so ziemlich der größte Schrott, den ich in letzter Zeit von mir gegeben hatte, aber ich hatte einfach keine Zeit für etwas anderes gehabt und war darum unglaublich dankbar über meinen Fund auf dem Parkplatz gewesen.

    Gespannt wartete ich Pattys Reaktion ab. Sie war immer noch damit beschäftigt, den Stein zu betrachten. Dann blickte sie ehrfurchtsvoll in die Kamera und sagte. »Sie haben es gehört. Denken Sie heute an diesen Stein.« Und dann, stolz auf ihre eigene Eingebung: »Nennen wir ihn den Stein der Demut.« Hihi, das war ja noch bescheuerter, schade, dass mir das nicht eingefallen war! »Danke, Ashley, für diese Lektion!«

    Einen Moment lang lächelten wir uns an, und es schien eine richtige Harmonie zwischen uns zu herrschen.

    »So, wie ich höre, haben wir bereits den ersten Anrufer in der Leitung. Wir sind gespannt, wer heute ein bisschen Glück von Ashley erfahren wird. Hallo, mit wem spreche ich?«

    Das war mein Lieblingsmoment. Die Vorfreude auf den Anrufer. Wer war es heute? Ein Mann, der einen Rat für seine Ehe brauchte? Eine Frau in einer Lebenskrise? Ein Kind, das in der Schule beliebter werden wollte? Für alle hatte ich den passenden Ratschlag bereit.

    Ich lehnte mich lächelnd zurück.

    Der Anrufer schien zu zögern: »E… E… Eric, mein Name ist Eric.« Eric, mein Eric?!

    Ich spürte, wie ich zu schwitzen anfing. Eric???

    Patty ermutigte den wortkargen Anrufer: »Hi Eric, schön, Sie kennenzulernen! Wie kann unsere Ashley Ihnen denn helfen?« Und augenzwinkernd: »Geht es um eine Frau?«

    Eric atmete hörbar aus. »Ja. Es geht um eine Frau. Um die Frau, die ich liebe.«

    Was, er liebte mich?

    Patty fragte: »Und was wünschen Sie sich von der Frau, die Sie lieben?«

    Er liebte mich? Er liebte mich!!! Wieso war ich nur so blind gewesen! Eric liebte mich, direkt vor meiner Nase und ich war zu dumm, zu beschäftigt, zu verpeilt gewesen, um es zu bemerken.

    »Du liebst mich?«, hauchte ich kaum hörbar.

    Patty konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Na, Sie Dummchen, er liebt doch nicht Sie. Also, Eric, um was geht es denn?«

    »Es geht um die Frau, die ich liebe«, wiederholte er.

    »Schön, das wissen wir bereits!« Langsam wurde Patty ungeduldig. »Und wo liegt jetzt das Problem?«

    »Das Problem ist, dass sie nicht ehrlich ist. Sie lügt. Sie lügt alle an. Sie lügt mich an, sie lügt ihr Umfeld an.« Seufzend fügte er an: »Sie lügt sogar sich selbst an.«

    Ich war wie erstarrt.

    Patty schaute mich erwartungsvoll an. Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Also Eric, das klingt gar nicht gut. Lügen ist Gift für eine Beziehung!« Selbstgefällig fügte sie an: »Also ich würde diese Person abschießen. Weg. Finito. Raus aus Ihrem Leben.« Zufrieden mit ihrem Urteil und langsam in Fahrt gekommen blickte sie eindringlich in die Kamera. Mit ihrer einstudierten typischen Patty-Zeigefinger-Pose unterstrich sie ihren letzten Satz: »Ihr Verlust wird gleichzeitig auch Ihr Glück sein, glauben Sie mir, Eric!«

    Dann wandte sie sich wieder mir zu: »Das würden Sie doch auch sagen, oder Ashley?«

    Ich wollte meinen Mund öffnen, aber es kam kein Ton heraus. Er liebte mich und ich, ich hatte alle angelogen. Wie um alles in der Welt konnte ich nur so dumm sein!

    »Ashley? Sind Sie noch bei uns?«, hörte ich Pattys Stimme wie von weit her. »Ashley?!«

    Dann wurde alles schwarz vor meinen Augen.

    Das letzte, was ich hörte, bevor ich ohnmächtig wurde, war Eric, der unendlich traurig sagte: »Sie haben wohl recht, Patty. Ich hänge jetzt auf.«

    Teil 1

    »Nutze die Gunst der Stunde, solange sie dir gewährt wird.«

    (aus Mr. Yaos Glückskeks-Sammlung)

    1

    Sechs Wochen zuvor

    »Das würde ich besser nicht essen!«

    Die alte Dame schaute mich etwas pikiert an. Wie war nochmal ihr Name gewesen? Glenda, Rhonda, Cynthia? Hätte ich ihr doch besser zugehört …

    »Hören Sie, ähm …« Ich machte eine hilflose Geste.

    »Ruth!«, soufflierte meine Sitznachbarin etwas beleidigt. Ruth? Ich sollte wirklich besser zuhören!

    »Hören Sie, Ruth«, als ich ihren Namen benutzte, legte ich versöhnlich meine Hand auf ihren Arm. »Dieser Salat ist eindeutig nicht mehr frisch! Und mit Ihrem …«

    Was war es schon wieder gewesen, das sie tagtäglich plagte? Diabetes, Cholesterin, Nierensteine?

    »In Verbindung mit Ihrem, äh, Leiden könnte das sogar lebensgefährlich sein!«

    »Meinem Tinnitus? Junge Dame, ich glaube wirklich, Sie lesen zu viele Krimis!«

    Und damit zeigte sie mit spitzen Fingern auf meine Intouch, die ich aufgeschlagen auf meinem Schoß liegen hatte. Ruth hatte mir, seit wir in Mailand ins Flugzeug gestiegen waren, ihre ganze Lebensgeschichte erzählt. Kein Wunder, dass ich da den Überblick etwas verloren hatte.

    »Und überhaupt, wie kommen Sie darauf?«, sagte sie mit bereits vollem Mund. »Ich esse jeden Tag Gemüse und bin noch ganz fit!« Während sie das sagte, spuckte sie mir einige Mikrosalatresten ins Gesicht. Na wenigstens würde uns gemeinsam das Zeitliche segnen.

    »Nein Ruth, Gemüse ist nicht das Problem. Oh, und natürlich sehen Sie für Ihr Alter noch super aus!« War sie fünfundsechzig, fünfundsiebzig, fünfundachtzig? Irgendwas mit fünf.

    Ruth bedachte mich mit einem selbstzufriedenen Nicken.

    »Aber Rohkost, verstehen Sie, Rohkost wie zum Beispiel Salat ist gefährlich. Aber nur im Flugzeug, sonst natürlich nicht. Ich habe einmal einen Artikel über Flugzeugkost geschrieben. Glauben Sie mir, das wollen Sie gar nicht genauer wissen.«

    Jetzt schien Ruth etwas skeptisch zu werden. »Was sind Sie, der Flugzeugarzt?«

    Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Nein Ruth, ich bin Journalistin. Normalerweise schreibe ich über verschiedene Lokale in New York und bewerte sie. Das heißt, das habe ich bis vor einem halben Jahr gemacht. Und das mit der Flugzeugkost hat mich persönlich interessiert. Mein Dad und ich reisten früher viel herum und flogen dementsprechend oft. Da wollte ich einfach mal wissen, was in Flugzeugen so geboten wird, also kulinarisch gesehen.«

    Ruth war jetzt beim Dessert angelangt. Einem Brownie mit Vanillesauce. Ein Teil der Sauce hatte es sich auf ihrem Kinn gemütlich gemacht. Plötzlich rümpfte sie die Nase. Ich setzte schon an zu der Frage, ob mit dem Brownie etwas nicht stimmte. Doch Ruth war schneller. »Und Ihre Mutter, die war ganz alleine zu Hause, während Sie herumreisten? Also diese modernen Familien haben mir noch nie zugesagt!«

    Wie üblich, wenn es um Mom ging, verspürte ich einen kleinen Stich. Nach all den Jahren noch. »Nein, meine Mom war nicht zu Hause. Sie war auch sonst nirgends. Sie ist an Krebs gestorben, als ich zehn war.«

    Ruth schien nicht das Bedürfnis zu verspüren, sich zu entschuldigen oder mir eine Beileidsbekundung zukommen zu lassen. Im Gegenteil, jetzt kam sie erst recht in Fahrt. Der Kaffee, den sie in der Hand hielt und in den sie mindestens fünf Zuckertütchen geleert hatte, schwappte etwas über und landete auf ihrem Kostüm, als sie wild gestikulierend fortfuhr: »Und dann reist der Herr Papa einfach mit seiner Tochter in der Weltgeschichte herum?«

    Ich seufzte. »Nein, natürlich nicht einfach so. Mein Dad hat früher junge, vielversprechende Köche geschult und ihnen beim Aufbau eines eigenen Betriebs geholfen. Für diese Schulungen reiste er sehr viel herum. Nach dem Tod meiner Mutter verließen wir die Staaten, wir lebten damals in Boston, und zogen nach Mailand. Mein Vater kommt ursprünglich von dort. Er leitete die Schulungen dann von Mailand aus, was für ihn sogar einfacher war. Ich besuchte, wie alle Kinder (dies sagte ich in besonders eindringlichem Ton, aber Ruth schien den Wink nicht zu bemerken) eine Schule. Eine International School, um genau zu sein.«

    Hier unterbrach mich Ruth. »Ach, sprechen Sie denn kein Italienisch?«

    Meine Geduld war langsam am Ende, trotzdem erwiderte ich freundlich: »Ich spreche fließend italienisch, aber mein Dad hatte diese Schule extra für mich ausgesucht, damit ich später keine Mühe im Ausland haben sollte, eine weiterführende Schule zu besuchen. In den Schulferien begleitete ich meinen Dad dann zu seinen Schulungen. Als ich vierzehn war, zogen wir nach New York und dort wurde unser Leben auch ruhiger.«

    »Aha.« Jetzt schien Ruth zufrieden zu sein. Sie kaute genüsslich an einem Cookie, das sie uneingepackt aus ihrer Handtasche gezogen hatte und ignorierte die Krümel, die auf ihrem Schoß landeten. Als sie den letzten Bissen in den Mund geschoben hatte, leckte sie sich den Finger ab und pickte mit dem nassen Finger die restlichen Krümel aus ihrem Schoß. Dann beschloss sie wohl, dass sie satt war und fegte den Rest krümeliger, von Spucke eingedickter Masse weg.

    Direkt auf meine Intouch.

    Mit der benutzten Serviette putzte sie sich die Nase. »Umpf jtzt rrssst rrrr Vtr lllene, oder was?«

    »Bitte, was?«, fragte ich höflich.

    Nachdem sie sich mit der allerletzten, nicht vollständig durchnässten Ecke der Serviette einen Popel aus der Nase gezogen hatte, wiederholte sie: »Und jetzt reist Ihr Vater alleine?«

    Bevor ich antworten konnte, kam ihr aber schon eine andere, zündende Idee: »Ich habs, jetzt schulen Sie andere Köche, darum waren Sie in Mailand!«

    Sehnsüchtig schaute ich meine verschmutzte Intouch an. Okay, lesen konnte ich auch noch später.

    »Mein Vater besitzt jetzt ein Restaurant in New York. Damit hat er alle Hände voll zu tun. Und nein, ich schule niemanden. Ich hatte die Nase voll von meinem Job und war für sechs Monate als freie Journalistin in Mailand. Dort habe ich nur ein klein wenig über Essen geschrieben und alles andere, was mich interessiert hat. Ich wollte einfach mal was anderes machen.«

    »Und was machen Sie, wenn Sie zurück in New York sind?«, unterbrach mich Ruth.

    Tja, da hatte sie den Nerv getroffen. Was machte ich, wenn ich zurück in New York war?

    »Da ich meine Wohnung aufgegeben habe, werde ich vorübergehend bei meinem Dad, seiner neuen Frau und meinem jüngeren Halbbruder einziehen. Dann werde ich mir in Ruhe überlegen, was ich tun möchte.«

    Ruth riss die Augen auf: »Er hat wieder geheiratet?! Niemals hätte ich meinen George – Gott habe ihn selig – mit einem anderen Mann betrogen!«

    Wie bitte? »Ich verstehe nicht ganz. Mein Dad hat seine zweite Frau erst vier Jahre nach Moms Tod getroffen. Das ist doch kein Verbrechen.«

    »Ach!« Ruth stieß verächtlich die Luft aus. »Ich sage Ihnen eines, Kindchen, wenn er Ihre Mutter geliebt hätte, wirklich geliebt hätte, hätte er niemals, niemals wieder geheiratet.« Während sie das sagte, stieß sie mir ihre verpopelte Serviette in die Seite.

    Ich seufzte resigniert. In diesem Moment musste ich an Gina denken, meine Stiefmutter. Sie hatte in Dads Restaurant gekellnert und Dad hatte sich Knall auf Fall in die kleine Italienerin mit dem großen Herzen verliebt. Antonio und Gina. Das hatte von Anfang an gepasst.

    Sie war das Beste, was meinem Dad, vier Jahre nach Moms Tod, hatte passieren können. Und bestimmt auch das Beste, was mir hatte passieren können. Gemeinsam standen wir den Rest meiner Pubertät durch und ich hatte endlich wieder einen Mamaersatz, der mir mit Rat und Tat zur Seite stand. Gina war der absolute Dreh- und Angelpunkt unserer Familie geworden. Dad und ich hatten sie von Anfang an bedingungslos geliebt.

    Und Nick, mein süßer, kleiner Bruder, war das größte Geschenk für uns alle gewesen. Ich hatte Dad und Gina immer wieder in den Ohren gelegen, dass ich noch unbedingt einen kleinen Bruder oder eine kleine Schwester wollte. Natürlich waren die beiden skeptisch, schließlich hatte Gina die Vierzig schon überschritten. Doch auch Gina hatte sich sehnlich ein Kind gewünscht, und so hatten sie der Natur ihren Lauf gelassen und es war gekommen, wie es kommen musste.

    Von Anfang an liebten wir Nick heiß und innig. Wir stritten uns sogar darum, wer ihn wickeln durfte. Er war ein durch und durch zufriedenes Kerlchen und daran hatte sich bis heute nichts geändert.

    Ich lächelte, als ich an meinen mittlerweile elfjährigen Bruder denken musste. Er war so klug, lustig und talentiert. Er brachte immer gute Noten nach Hause und war dabei trotzdem ein bodenständiges Kerlchen mit vielen Flausen im Kopf. Mann, hatte ich meine Familie vermisst!

    Ruth schien mich von der Seite her zu beobachten. »Und wie hieß noch mal das Restaurant Ihres Vaters?« Offenbar hatte sie beschlossen, ihre Abneigung gegen Dad vorübergehend zurückzustellen.

    Oder sie wollte einfach nur wissen, wie die Synagoge des Teufels hieß.

    »Lo Spino, Dad ist der Besitzer des Lo Spinos.« Wieder riss Ruth die Augen auf. Diesmal allerdings nicht vor Entsetzen, sondern eher überrascht. »Er besitzt das Lo Spino?!« Ruth war ganz außer sich. »Meine Freundin würde für einen Platz im Lo Spino sterben! Aber dieser Schickimicki-Laden ist ja immer so ausgebucht.« Und mit vorwurfsvollem Unterton füge sie an: »Und unbezahlbar.«

    Ausgebucht, ja, da hatte sie recht. Aber unbezahlbar war das Lokal nicht. Dads Devise war immer gewesen, dass Essen zwar durchaus etwas Besonderes und auch Teures sein dürfe. Aber immer im Rahmen und immer verhältnismäßig.

    Ruth starrte mich immer noch an. Wahrscheinlich rang sie innerlich mit sich, ob sie meinem Dad vergeben solle, schließlich konnte er ihr noch von Nutzen sein, oder ob sie ihrem George – Gott habe ihn selig – die Stellung halten würde. Okay, ich könnte ihr etwas auf die Sprünge helfen.

    »Wie heißt Ihre Freundin denn?«, fragte ich sanft.

    »Jade«, antwortete Ruth. Ich spürte, wie sie mir ins Netz ging.

    »Sagen Sie Jade, ich werde etwas arrangieren. Und kommen Sie ja nicht nur zu zweit. Bringen Sie ruhig Ihre Freundinnen mit! Geht aufs Haus.«

    Ruths Mund öffnete sich weit. Vor lauter Aufregung vergaß sie offensichtlich, ihn wieder zu schließen. Ich versuchte, daran vorbeizuschielen.

    »So, und jetzt werde ich etwas schlafen. Schließlich sind es noch einige Stunden bis New York.«

    Damit klopfte ich mein Kissen in die richtige Position und schloss meine Augen.

    Als ich aufwachte, war Ruth fleißig damit beschäftigt, in meiner Intouch zu lesen. Ich überlegte gerade, ob ich es schaffen würde, mich noch etwas länger schlafend zu stellen, als sie schon anfing, mit mir zu sprechen. Wie um alles in der Welt …?

    »Miley Cyrus ist ein Flittchen!«

    Ich versuchte, eine passende Antwort zu geben, aber Ruth war offenbar nicht an meiner Meinung interessiert. Ohne Pause fügte sie an: »Und diese Madonna erst. So ein Luder! Sollte sich mal was schämen. Tanzt wie eine Prostituierte an der Stange. Pah, und so etwas stellt noch Kinder in die Welt!«

    Ich schaute mich verstohlen um und inspizierte die Reihen. Ich entdeckte niemanden, der aussah wie Miley Cyrus oder Madonna. »Aber sie machen beide wirklich gute Musik«, versuchte ich einzulenken. Irgendwie mochte ich es nicht, wenn über Abwesende so hergezogen wurde.

    Ruth bedachte mich mit einem Blick, der keine Widerrede zuließ. »Quatsch, gute Musik. Lärm ist das, nichts als Lärm!«

    In diesem Moment wurde mir bewusst, dass ein Streit mit Ruth über die aktuellen Charts nicht glücklich für mich enden würde. Das war wohl einfach nicht ihr Jahrhundert. Ruth schlug die Intouch mit einem Knall zu und verstaute sie in ihrer Tasche. Gleich neben einem übrig gebliebenen Keks und der verpopelten Serviette vom Mittagessen.

    Ich würde mir wohl eine neue kaufen müssen.

    Ein Blick auf den Monitor zeigte mir, dass wir bereits in einer Stunde landen würden. Beim Gedanken an das baldige Wiedersehen mit meiner Familie wurde mir ganz warm ums Herz. Ich lächelte Ruth an: »Wie war er denn so, Ihr George?«

    »Mein George?« Ruth sprach den Namen ihres verstorbenen Ehemannes ganz zärtlich aus. Es schien also doch ein Herz in dieser Brust zu schlagen. »Er war der hübscheste Junge in der ganzen Stadt. Sonntags holte er mich immer zum Eis essen ab. Alle Frauen wollten ihn haben, aber mich hat er geheiratet.« Dies sagte sie mit einem verklärten Gesichtsausdruck.

    »Und was war in Ihrer Beziehung so besonders?« Jetzt hatte sie mich wirklich neugierig gemacht.

    »Ach, Kindchen, wir haben uns halt einfach geliebt. Er war für mich da und ich für ihn. Wenn es etwas zu sagen gab, haben wirs gesagt. Aber Streit gab es nie! Er war der Topf und ich war sein Deckel.«

    »So einfach ist das?«, ich war echt erstaunt. Das klang so simpel.

    »So einfach ist das.« Für Ruth schien das Thema beendet zu sein.

    »Dann verstehe ich, dass kein späterer Mann Ihrem George das Wasser hätte reichen können!« Irgendetwas in ihrer Erklärung hatte mich berührt. Ob ich das auch eines Tages von einem Mann sagen würde? Der Deckel zum Topf. Ein Klischee. Aber Hand aufs Herz, wer wünschte sich das nicht!

    Lächelnd wandte ich mich wieder Ruth zu. Vielleicht konnte ich ihr noch eine Geschichte entlocken. Was war schöner als wahre Liebe!

    Ruth hatte die verklebte Intouch wieder aus ihrer Handtasche geholt und hielt mir das Cover entgegen.

    »Hier, sehen Sie den da?« Zwischen zwei Brownie-Resten konnte man noch knapp den Kopf von Justin Timberlake erkennen. Er hielt, links von sich, ein Schokolade verschmiertes Etwas im Arm. Vermutlich seine Jessica.

    Ruth wischte liebevoll das Gesicht von Justin Timberlake sauber.

    Dann sagte sie: »Also den würde ich natürlich nicht von der Bettkante stoßen.«

    Als wir endlich in New York landeten, hatte ich eine gestresste Ruth an meiner Seite. Ihre Freundin Betty hatte eine Meldung auf der Voicemail hinterlassen, dass sie es nicht mehr pünktlich zum Flughafen schaffen würde. Ich bot ihr an, ein Taxi für sie zu besorgen, aber sie lehnte dankend ab. Zu teuer!

    Nach einem Blick auf ihr Gepäck (hatte sie nicht behauptet, nur für ein paar Tage in Mailand gewesen zu sein?!) ließ ich mich erweichen und hinterließ wiederum Dad eine Nachricht auf der Voicemail, ob er nicht einen Fahrer des Restaurants für Ruth zur Verfügung stellen könne. Nach zwei Minuten erhielt ich eine Nachricht: »Erledigt!« Dad war echt ein Schatz.

    Ruth und ich tauschten unsere Nummern aus. Schließlich hatte ich noch ein Versprechen einzulösen. Und, ganz ehrlich, sie hatte mich wirklich unterhalten.

    Als ich den Ausgang erreichte, entdeckte ich gleich meine vollständige Familie. Nick hatte ein Riesentransparent gemalt und schwenkte es enthusiastisch. Gina weinte hemmungslos. Und Dad überragte mit seinen 1 Meter 88 wie üblich die meisten.

    Ich schloss alle drei gleichzeitig in die Arme und wir verhedderten uns lachend in Nicks Transparent.

    »Tesoro!«, sagte Gina immer und immer wieder, und strich mir liebevoll übers Haar.

    »Sag mal, bist du geschrumpft?«, meinte Dad schmunzelnd. Ich boxte ihn in den Bauch.

    »War das laaaaaangweilig ohne dich!« Nick strahlte und ignorierte Dads und Ginas tadelnden Blick.

    Es war so schön, wieder zu Hause zu sein.

    Als wir eine Stunde später in unserer Penthouse-Wohnung im Herzen Manhattans ankamen, überkam mich ein großes Glücksgefühl. Ich atmete den Duft der Wohnung ein und fühlte mich gleich wieder zu Hause.

    Dann trat ich auf die Terrasse hinaus. New York wurde zu Recht als die Stadt bezeichnet, die niemals schläft. Überall brannten noch Lichter, und auf den Straßen herrschte auch jetzt noch reger Verkehr. Die Energie dieser Stadt war einfach ansteckend. Die New Yorker waren stolz auf ihre Stadt. Verständlich. New York hatte eine Magie, die man einfach erlebt haben musste!

    Auch hier nahm ich einen tiefen Atemzug. Das alles, die Stadt, den Lärm, die Lichter, den Geruch und vor allem meine Familie hatte ich so vermisst!

    Während ich mein altes Zimmer bezog und meine Sachen auspackte, kochte Dad für uns seine fantastischen Spaghetti alla Napoletana.

    Als wir dann alle am Tisch saßen, war es wie zu alten Zeiten. Nick unterhielt mich mit seinen Schulgeschichten, Gina nahm mich alle paar Minuten wieder in den Arm, und Dad lächelte zufrieden vor sich hin. Es war perfekt!

    Am liebsten hätte ich die Zeit angehalten. Immer und immer wieder diesen Samstagabend im Februar durchlebt.

    So sollte es für immer bleiben …

    Wie hätte ich auch wissen sollen, dass mein Leben ab sofort im Chaos versinken würde.

    2

    »Na los!«, ganz ungeduldig schob mir Nick meinen Glückskeks zu. »Öffne ihn endlich!«

    Es war Sonntagabend und wir feierten meine Heimkehr bei unserem Lieblingschinesen.

    Mr. Yao war vor Freude ganz außer sich gewesen, als er mich gesehen hatte! Sofort hatte er mir seinen speziellen Haar-Wuschler zukommen lassen. Einen von der Sorte, der jede Frisur ruinierte. Dann hatte er uns allen eine Extrarunde Frühlingsrollen spendiert.

    Jetzt, eine Stunde später und nach der frittierten falschen Ente mit Erdbeereis, fühlte ich mich kurz vor dem Platzen.

    Wie so oft, wenn wir auswärts aßen, bewunderte ich Dad insgeheim. Ich kannte wenige Menschen, die so gut kochten wie er und gleichzeitig so unheikel waren mit fremdem Essen. Im Gegenteil, er liebte es, auswärts zu essen und neue Dinge zu probieren. Als Kind war ich in der Schule immer ganz stolz darauf, wie häufig ich bei McDonald’s essen durfte. Für die meisten Italiener vor etwa zwei Jahrzehnten ein absolutes No-Go! Für Dad hingegen eine angenehme Abwechslung und wohl in erster Linie ein Gefallen an seine Tochter.

    Als Familie kochten wir leidenschaftlich gerne zusammen. Aber genau so gerne aßen wir woanders und ließen uns verwöhnen. Als wir das Chinese Duck – gleich um die Ecke bei uns – entdeckt hatten, hatten wir das Lokal und seinen Besitzer sofort ins Herz geschlossen und drei interessante Dinge festgestellt:

    Mr. Yao hatte einen speziellen Sinn für Humor.

    Das Chinese Duck schien seinen Namen der Tatsache zu verdanken, dass Mr. Yao schlicht und einfach Oriental Mandarin, Chinese Corner oder auch Lucky Spring Roll nicht hätte aussprechen können.

    Glückskekse waren so ziemlich das Bescheuertste, was China je auf den Markt gebracht hatte.

    Als uns nach einigen Besuchen aufgefallen war, was für ein Ausbund an nichtssagenden Weisheiten in diesen Keksen steckte, hatten wir einfach nicht widerstehen können. Wir mussten sie parodieren! Nick und ich wechselten uns darin ab, den Spruch pantomimisch darzustellen. Die anderen sollten raten, was im Keks stand.

    Vor allem Nick kam immer wieder auf die abstrusesten Ideen, wie die hohlen Sprüche darzustellen seien. Wir hatten schon oft Tränen gelacht. Die Sprüche nahmen wir nach Hause und sammelten sie. Einige Male hatten wir auch schon unsere Gäste damit unterhalten.

    Wer brauchte Tabu, wenn er Glückskekse hatte!

    Jetzt war ich also an der Reihe. Ich öffnete meinen Keks und las für mich: Wer zuhören kann, ist ein reicher Mensch! Okay, das konnte doch nicht so schwer sein.

    Ich tat so, als quasselte ich Gina voll (die links von mir saß). Gina kicherte, Nick tadelte »Schscht, sie ist noch nicht fertig!« und Dad sagte: »Ein Mann, ein Wort – eine Frau, ein Wörterbuch!« Na super.

    »Hey!«, Gina stupste ihn in die Seite (was sie sehr oft tat, obwohl es bei ihr eher liebevoll als abschreckend wirkte).

    Na dann, zweiter Versuch. Diesmal mimte ich eine aufmerksame Zuhörerin. Ich hörte der Speisekarte in meiner Hand interessiert zu (mmh, war dieser Schokopudding etwa neu im Sortiment?), dann öffnete ich unter dem Tisch meine Brieftasche und holte einige Dollarscheine heraus. Nach ein paar Sekunden ließ ich sie aus der Speisekarte auf mich sprudeln.

    »Ich habs!« Nicks Augen glänzten begeistert. »Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm!«

    Dad schmunzelte: »Ach was, in China fallen doch keine Äpfel von den Bäumen.«

    »Echt?«, meinte Nick.

    »Keine Ahnung!« Dad strich ihm liebevoll übers Haar. »Also ich tippe auf: Auch Speisekarten haben Gefühle!« Dies sagte er in seiner typisch Glückskeks erklärenden Manier, mit erhobenem Zeigefinger und eindringlichem Ton und wir konnten nicht anders als zu lachen.

    »Fast«, sagte ich, »also eigentlich ist es: Wer zuhören kann, ist ein reicher Mann!«

    »Na, sag ich doch!«, meinte Dad.

    »Jetzt bin ich

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