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Porträt des Weiblichen und… der weg der schnecke und… die quadratur des kreisesPortrat des Weiblichen und...: Band I: Weckruf
Porträt des Weiblichen und… der weg der schnecke und… die quadratur des kreisesPortrat des Weiblichen und...: Band I: Weckruf
Porträt des Weiblichen und… der weg der schnecke und… die quadratur des kreisesPortrat des Weiblichen und...: Band I: Weckruf
eBook507 Seiten6 Stunden

Porträt des Weiblichen und… der weg der schnecke und… die quadratur des kreisesPortrat des Weiblichen und...: Band I: Weckruf

Von Egysis

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Über dieses E-Book

Die Existenz lässt sich mit drei einfachen Fragen zusammenfassen: Was ist die Geburt? Was ist der Tod? Und was tun wir in der Zwischenzeit? Die dritte Frage ist einfach zu beantworten, weil sie die Geschichte des Individuums darstellt. Der Verlauf der Geschichte ist zweifellos frei, aber die Erfahrung führt früher oder später dazu, das eigene Leben an bestimmten, sich bereits im Geist befindlichen Werten auszurichten. Da die Evolution sich seit zwei Milliarden Jahren am Unmöglichen orientiert, stellt sich die vierte Frage, nämlich: Was geschieht, wenn man die Erfahrung umgeht und diesen Werten sofort und entschlossen folgt? Das Buch erzählt sechs Geschichten, wo Frauen zu dieser Entschlossenheit finden. Der Geschichtsverlauf führt den Leser schliesslich in ein Finale, wo er selbst Teil der Lösung wird.
SpracheDeutsch
HerausgeberEdizioni Simple
Erscheinungsdatum28. Juli 2014
ISBN9788862599207
Porträt des Weiblichen und… der weg der schnecke und… die quadratur des kreisesPortrat des Weiblichen und...: Band I: Weckruf

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    Buchvorschau

    Porträt des Weiblichen und… der weg der schnecke und… die quadratur des kreisesPortrat des Weiblichen und... - Egysis

    EDIZIONI SIMPLE

    Via Weiden, 27

    62100, Macerata

    info@edizionisimple.it / www.edizionisimple.it

    ISBN edizione digitale: 978-88-6259-920-7

    ISBN edizione cartacea: 978-88-6259-957-3

    Stampato da: WWW.STAMPALIBRI.IT - Book on Demand

    Via Weiden, 27 - 62100 Macerata

    Tutti i diritti sui testi presentati sono e restano dell’autore.

    Ogni riproduzione anche parziale non preventivamente autorizzata costituisce violazione del diritto d’autore.

    Prima edizione cartacea marzo 2014

    Prima edizione digitale luglio 2014

    Copyright © Egysis

    Diritti di traduzione, riproduzione e adattamento totale o parziale e con qualsiasi mezzo, riservati per tutti i paesi

    Alle Rechte, auch die der fotomechanischen und elektronischen Wiedergabe, vorbehalten. Text, Graphiken und Bilder sind Eigentum der Autoren.

    © Egysis (ungekürzte Ausgabe)

    Bilder und Graphiken © Egysis, CP 268, 6713 Serravalle CH

    Umschlag: Denkreise (Egysis)

    PORTRAIT DES WEIBLICHEN

    FÜR DEN, DER GESCHICHTEN LIEBT

    UND...

    DER WEG DER SCHNECKE

    FÜR DEN, DER HUMOR LIEBT

    UND FÜR DEN, DER GLAUBT, DASS DAS UNMÖGLICHE MÖGLICH IST:

    Die Quadratur des Kreises (1)

    1. Der Vorgang wurde 1775 von der Universität von Paris definitiv als unlösbar deklariert.

    Inhalt

    Band I: Weckruf

    1. Rätsel, immer wieder Rätsel (erster Teil)

    2. Der elfte Richter (mit der Quadratur des Kreises in 2 Schritten, 0,417% Unterschied zur Berechnung mit π)

    3. Das richtige Mass

    4. Die Flügel der Freiheit

    Bilderliste:

    Denkreise 2013, - Öl a. Leinw. - 120x100 - Umschlag

    Eva 2012 (Ausschnitt) - Öl a. Leinw. - 70x50

    Die Denkerin - Öl a. Leinw. - 60x60

    Engel unter Stubenarrest - Zeichnung

    Frau mit Hut - Öl a. Leinw. - 70x80

    Im Reich der Reuigen - Öl a. Leinw. - 120x130

    Die Schlafende - Öl a. Leinw. - 60x80

    Jenseits des Horizontes - Öl a. Leinw. - 60x60

    Costanza als jung - Aquarell - 32x38

    Band II: Erwachen

    (mit der Quadratur des Kreises mit 0,0001% Annäherung)

    Band III: Frontalangriff

    (Mit Kreisung des Quadrates, 0,00001% Annäherung)

    Der Mensch ist die Federspitze, mit der er seine eigene Geschichte schreibt. Seine Aufgabe liegt darin, sie als Kunstwerk zu vollenden.

    Igys

    Wenn man Homer liest, hat man danach das Gefühl, dass alle Menschen Riesen seien.

    Unbekannt

    Rätsel, immer wieder Rätsel

    Erster Teil

    Es geschah an diesem Tag. Nicht, dass es nicht vorgesehen gewesen wäre, im Gegenteil, man wartete darauf, dass es geschehen würde. Dennoch waren alle sehr beschäftigt mit ihren vielen kleinen, alltäglichen Verrichtungen, so dass, als es dann wirklich geschah, alle erschauerten. Dies wiederum bewirkte eine allgemeine Aufregung.

    „Wir sind zu spät dran, riefen einige. „Es geht los! riefen andere.

    Im allgemeinen Durcheinander begann alles sich wie in einem Karussell zu drehen. Dann war es plötzlich still, nur eine Laterne schwang noch eine Weile hin und her…

    Draussen ging die Sonne unter.

    Hinter den blassgrauen Tönen eines verschleierten, kalten Abends machte sich die goldene Scheibe daran, in den Schlund der Nacht abzusteigen, und genau in diesem Augenblick der atemlosen Verunsicherung klingelte es an der Haustüre.

    Es verwunderte alle, dass in diesem seltsamen Zustand zwischen Tag und Nacht, die Türe sich in der Angel drehen konnte, doch sie drehte und öffnete sich, grad so, wie sie es immer tat.

    Der Gast trat so ein, wie man es von ihm erwartet hatte: übermütig und gleichzeitig etwas widerwillig, eben so, wie er es alle acht Jahre tat.

    Der Gast war eine Frau. Sie zögerte einen Augenblick, denn sie fragte sich, wo sie die Jacke aufhängen sollte. Ihr kleiner, von der Natur wohlgestalteter und von rotem Lippenstift gezeichneter Mund formte eine unmerkliche Falte von Missmut. Doch dann sah sie im Korridor die zwei Fühler einer grossen, auffälligen Schnecke aus Keramik, und sie entschied, dass diese beiden Fühler zweifellos den Zweck des Garderobenständers erfüllten. So ging sie hin und hing Mantel und Tasche daran.

    „Und damit ist auch das Problem deiner Stielaugen erledigt", sagte sich der Gast.

    Auch die Schnecke hatte in diesen Tag einen Anflug von Euphorie verspürt, welche sich nur langsam beruhigen wollte. Andrerseits hatte es ja auch seine Zeit gebraucht, bis die Aufregung zu seinem Schneckenwesen vorzudringen vermocht hatte.

    Die Verärgerung kam viel schneller. Dass ihre Fühler als Garderobenständer gebraucht wurden, störte die natürliche Langsamkeit ihrer Gefühle nachhaltig. Gewiss, sie war zwar aus Keramik, ja, aber sie war lebendig! So begann sie sich langsam, mit fast unhörbarem Knirschen zu bewegen, um sich der lästigen Objekte, die ihr die Sicht genommen hatten, zu entledigen.

    „Willkommen, sagte die Gastgeberin, „herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.

    „Auch dir herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, antwortete der Gast und fügte an: „Denk einmal, es sind schon wieder acht Jahre vorbei.

    „Dreizehn für mich."

    Die beiden Freundinnen betrachteten sich, dieses Mal etwas länger als üblich. Sie kannten sich schon seit ewig, und normalerweise genügte ein Blick, um zu erkennen, in welcher Stimmung und Verfassung sich der andere befand. Ja, normalerweise war es nicht schwierig, dennoch wussten beide, dass ihre lange Freundschaft gerade darauf beruhte, dass sich keine in die Geheimnisse des anderen vorwagte.

    Die Gastgeberin stand in der Mitte einer geräumigen Vorhalle, welche den Speisesaal von der Küche trennte. Nach einer Weile, welche der Gast als etwas zu lang empfand, machte sie eine weite, einladende Geste.

    „Was will sie mir damit wohl sagen?" fragte sich die Besucherin.

    Etwas ungeduldig und neugierig begann sie sich umzusehen. Sie spürte in der Verspannung ihres Hinterkopfes immer noch den langen Arbeitstag. So streckte sie den Hals nach rechts und nach links, um ihn etwas zu entspannen, und spähte in den dunklen Teil des Hauses.

    Langsam begannen sich die Augen an das Kerzenlicht zu gewöhnen. Die Schatten begannen an Tiefe zu gewinnen, und da und dort spiegelte sich das Kerzenlicht in kleinen, glitzernden Formen.

    „Ja, dachte sie, „irgendetwas ist anders heute, aber was?

    Ihr Geruchs- und ihr Gehörsinn gingen auf Erkundung. Dies Tun wiederum begann die Welt der unbewegten Dinge aus ihrem Schlaf zu wecken, und als würde diese Welt die erhaltene Aufmerksamkeit zu würdigen wissen, begannen die Dinge zu atmen und aus den Schatten hervor zu treten, während das Erwachen sich wie ein Duft-Tanz in den Räumen verbreitete.

    Man hörte einen dumpfen Aufprall irgendwo im Hintergrund. Die Schnecke hatte es endlich geschafft, sich die Handtasche von den Fühlern zu streifen.

    Die beiden Freundinnen drehten sich um. Der Gast sah nichts aussergewöhnliches, ausser, dass ihre Handtasche am Boden lag.

    Die Gastgeberin hingegen bemerkte sofort den Blick der Schnecke. Die beiden Augen am Ende der Fühler blickten sie sehr vorwurfsvoll an. Dennoch vermochte sie ein Lächeln nicht zu unterdrücken als sie zur Freundin sagte: „Du musst ihn schon entschuldigen, aber in letzter Zeit ist Augustus etwas unruhig, fast so, als möchte er seinen Platz verlassen."

    Der Gast, der immer wieder vergass, dass in diesem Haus die Dinge anders waren als bei ihr, dachte, dass ihre Freundin sich bloss einen Scherz erlaubt hätte, aber so war es nicht. Sie hatte jedoch keine Zeit darüber nachzudenken, weil ihre Aufmerksamkeit mittlerweile zur bevorstehenden Geburtstags-feier weitergezogen war.

    Die Gastgeberin hatte mit den Fingern geschnippt, und die Kerzen hatten ihre Leuchtkraft mit aufrichtiger Freude erhöht, so jedenfalls erschien es dem Gast.

    Alsbald sie sich an die aus dem Schatten hervorgetretenen Einzelheiten gewöhnt hatte, bemerkte sie, dass am Ende des Korridors etwas anders war als das letzte Mal, als sie zu Besuch war. Zweifellos betraf es das Bild.

    Wegen des Make-ups konnte sie sich die Augen nicht reiben, so begnügte sie sich damit, die Augenlider ein paar Mal zu schlagen, während sie das Bild, das vor dem Treppenaufgang hing, betrachtete.

    Hatte sich die abgebildete Frau mit ihrem Porzellan-Gesicht nicht eben bewegt? Hatte sie nicht das leise Rauschen des Seidengewandes gehört? Hatte sie nicht die Augen geöffnet und sich aus dem Bild herausgelehnt?

    Der Gast wandte abrupt den Blick weg und schaute zur Freundin, die eben zu ihr sagte: „Ein wirklich ungewöhnlicher Tag heute. Ich habe einen Punsch zubereitet, komm."

    Und während sie in Richtung Wohnzimmer gingen, fügte sie an: „Wie ich gesehen habe, hast du bemerkt, dass ich das alte Bild mit Der Denkerin ersetzt habe. – Findest du nicht auch, dass der Standort gut getroffen ist? Grad dort, wo die Treppe als Brücke in die oberen Gemächer führt, sozusagen in den Himmel? Und ohne Antwort abzuwarten, fügte sie an: „Die Denkerin scheidet die zwei Welten unsres Geistes, den Wohnraum und jene Sphären, welche wir im Augenblick nur durch unsere Träume betreten können. Jedenfalls hat sie mir für den neuen Platz gedankt.

    Der Gast war nicht jemand, der Veränderungen liebte, aber zu ihrer eigenen Verwunderung gefiel ihr die Neuerung, und lebhaft sagte sie: „Ja, ich denke auch, dass sie glücklich ist, über zwei so verschiedene Welten wie Himmel und Erde nachzudenken."

    Während sie das Bild nochmals betrachtete, fügte sie hinzu: „Seltsam, ich erinnerte mich nicht an die Vögel auf dem Bild."

    Der Gast fühlte eine leichte Beunruhigung. Diese andauernde Vergesslichkeit ärgerte sie. Der Grund der Verärgerung bezog sich aber nicht auf solche Kleinigkeiten wie die Vögel auf dem Bild – tatsächlich ist es normal und gut, dass man Kleinigkeiten vergisst –, vielmehr weckten diese kleinen Vergesslichkeiten immer wieder das ungute Gefühl, irgendetwas Wichtiges vergessen zu haben.

    „Es sind Kraniche, sagte Isa, den schlechten Gedankenfluss ihres Gastes unterbrechend, und während sie den Punsch in die eleganten Porzellantassen schenkte, fügte sie an: „Die Kraniche, sagt man, sind die Botschafter des Himmels, die Bürgen des Glücks. Sie symbolisieren die Unsterblichkeit und noch anderes. Vielleicht ist es kein Zufall, dass das Bild gerade heute den Weg aus seinem Winterschlaf gefunden hat. Vielleicht hat es eine Botschaft für uns.

    „Wer weiss, du könntest recht haben, antwortete Alda wieder gut gelaunt. „Die Denkerin, scheint mir, möchte sich etwas die Beine vertreten. Zweifellos hat sie sich am alten Ort gelangweilt.

    Isa lächelte vergnügt. Das Bild war für sie ein Fenster in eine andere Welt, und von dort kam leiser als ein Lichtstrahl die wohlwollende Zusicherung, dass die Zukunft göttlich war – auch wenn der prosaische Alltag im Augenblick noch etwas Mühe bekundete, die Botschaft entsprechend aufzunehmen. Nur die kleine Statue, eine Dame aus Ton auf einer kleinen Kommode, schien verstanden zu haben, dass irgendetwas geschehen würde. Sie versuchte denn auch, es irgendwie mitzuteilen, aber alles, was sie tun konnte, war, die Kette mit den kleinen Kristallglöckchen zu schütteln, welche ihr die Hausherrin aus irgendeinem unerfindlichen Grund umgebunden hatte.

    Die hellen Töne küssten flüchtig die Luft, vermochten sich aber dort nicht zu halten und fielen auf den cremefarbenen Teppich, wo sie sich dann im Zufall einer höheren Ordnung zu einem Muster ordneten, bevor sie verblassten.

    Alda hatte die Töne klar vernommen. Sie hatte sie gehört und gesehen, aber ihr Geist war noch nicht in der Lage, in ihrem Alltagsdenken Seltsamkeiten aufzunehmen. Sie war noch daran, begreifen zu wollen, ob sie mit den Augen gehört oder mit den Ohren gesehen habe oder gar beides zusammen. Sie war verwirrt und suchte deshalb einen sicheren Ausgangspunkt im Raum.

    Sie fand ihn in den Chrysanthemen.

    Der erste Strauch, den sie sah, war lilafarben. Er befand sich auf einer altmodischen, dreibeinigen Kommode und verlieh ihr eine gewisse Auferstehungseleganz.

    Die nächsten beiden Sträucher waren zitronengelb und befanden sich wie zwei lebende Leuchtstatuen neben je einer Seite des Sofas.

    „Welch ein Licht", staunte Alda und nahm zur Kenntnis, dass ihre Freundin keinen Aufwand für ihren gemeinsamen Geburtstag gescheut hatte.

    „Das alles uns zu Ehren?" fragte sie.

    Isa zögerte: „Ich weiss nicht, ob es zu unseren Ehren ist oder zu Ehren von etwas Höherem. Vielleicht zu Ehren von beiden, zu unserem und zu jenem des Universums. Möglicherweise ist es eine Ode an die Natur, an die Seele der Dinge oder an die Magie des Lebens…"

    „Hältst du das alles nicht für etwas übertrieben?" fragte Alda, während sie bei sich dachte: „Um Himmels Willen, hoffentlich startet sie jetzt nicht mit einer ihrer mystischen Exkursionen.

    Aber Isa schwieg. Ihr Geist war wieder auf der Suche nach jenem geheimnisvollen, goldenen Faden, der ihr schon den ganzen Morgen vor der Nase baumelte, der ihr aber jedes Mal entwischte, wenn sie nach ihm griff. Doch sie wusste, wenn sie ihn erwischen würde, dann würde wahrhaftig etwas Grosses geschehen…

    „… sonst werden sie dir keine Ruhe geben!"

    Die letzten Worte Aldas brachten sie in die Gegenwart zurück.

    „Wieso sollte wer mir keine Ruhe geben?" fragt Isa beunruhigt. Die Aussage machte ihr nicht nur keinen Sinn, vielmehr hatten sie auch in ihr das lauernde Gefühl geweckt, irgendetwas vergessen zu haben.

    „Das fragst du noch? antwortete Alda. „Wenn du mir nicht sofort was Bequemes für meine schmerzenden Füsse reichst, werde ich sie den Abend moderieren lassen, und ich kann dir versichern, dass sie kein so winziges Detail auslassen werden, das ihnen in den vergangenen acht Jahren hin und her Rennens zugestossen ist.

    Die Antwort beruhigte Isa, und sie ging auf den Scherz ein: „Oh nein! Wir können uns diesen speziellen Tag nicht von den Klagen deiner Füsse stehlen lassen. Heute geht das wirklich nicht."

    Isa ging zum Kamin und griff nach den Pantoffeln, die sich dort wie zwei schläfrige Katzen in der Wärme räkelten und sich denn auch leicht gestört fühlten, als eine Hand sie aus dem Wärmekreis heraushob.

    Schockiert fühlten sie, wie zwei eiskalte Füsse in sie schlüpften. Sofort waren sie hellwach. Jetzt lag es an ihnen, aktiv zu werden, zu betasten, zu beschnüffeln, zu wärmen und zu kommentieren.

    „Ja," sagte der rechte Pantoffel zur linken, „das sind unbestreitbar verzweifelt kalte Füsse.

    „Nicht nur, antwortete die linke, „sie scheinen auch über alle Massen schmerzhaft gedrückt worden zu sein!

    „Nein, dachten die zwei Pantoffeln, „das wird heute keiner jener belanglosen Abenden werden, bestimmt nicht. Im Gegenteil, es könnte ein lustiges Spiel werden. Ein frivoles Plaudern, mit dem wir die langweiligen Panikanfälle des Alltags in Schach halten können…

    Alda hatte sich auf einen Sessel gesetzt und trank ihren Punsch in kleinen Schlucken. Nach einer Weile hob sie ein Buch vom Boden auf und rief: „Was? Du liest den alten Graf von Montecristo?"

    Es war eine von diesen Fragen, wo die Antwort zu offensichtlich war. Isa antwortet darauf gewöhnlich nicht, vor allem, wenn sie mit anderem beschäftigt war, und das war jetzt einer von diesen Augenblicken, denn sie fragte sich, wo sie das Abendessen einnehmen sollten.

    Alda, die ihre Freundin anblickte und offensichtlich dem Gedankengang gefolgt war, sagte plötzlich: „Was meinst du, wenn wir hier vor dem Kamin essen, auf den Kissen wie die Orientalen?"

    Isa lächelte und ging in die Küche. Alda folgte ihr und sagte: „Ich versuchte eben, mir die Geschichte vom Graf von Montecristo in Erinnerung zu rufen; als wir klein waren, hat sie uns immer in ihren Bann gezogen."

    „Das tut sie auch heute noch, antwortete Isa und fügte an: „Es ist eine Geschichte, die alles enthält: die Jugend voller Hoffnungen, welche dann alle von der Schlechtigkeit und der Dummheit des Menschen zerstört werden; das Leid, das daraus entsteht, ein Leid, welches bis in die Nähe des Wahnsinns führt; das Gebet und die unverhoffte Hilfe; der Ausbruch aus dem Gefängnis; ein unvorstellbarer Schatz; der Wunsch nach Vergeltung; die Rückeroberung der Welt, die Bestrafung der Schlechten und am Ende die Vergebung. Zuerst der Abstieg in die Finsternis, dann das Licht und die Wiederauferstehung ins Leben.

    „Kurz ein Finale, wie wir es alle wünschen", sagte Alda.

    Isa hätte noch etwas antworten wollen, aber die Soja-Klösse mussten sorgfältig in den Ring aus Kartoffelstock gelegt, mit Broccoli garniert und die Schalen mit Frischgemüse gefüllt werden.

    Der Graf von Montecristo, der sich wieder auf dem Boden liegend fand, wollte sich mit seinem Los nicht abfinden. Als die beiden Freundinnen zurückkehrten, erlaubte er es sich, um die Szene etwas aufzuheitern, im Weg zu stehen. Nur die ausgezeichneten Reflexe von Alda verhinderten es, dass das Essen auf dem Tablett auf dem Boden landete. Der Einsatz brachte das Blut Aldas in Schwung, und eine leichte Rötung färbte ihr das Gesicht. Ja, jetzt war es wirklich Zeit, auf ihren gemeinsamen Geburtstag anzustossen.

    Sie taten es enthusiastisch und voller Erwartung, was ihnen wohl das neue Jahr bescheren würde.

    Während sie assen, bat Isa Alda plötzlich, das Buch auf einer zufälligen Seite aufzuschlagen und ein paar Zeilen vorzulesen: „Vielleicht hat sich uns das Buch in den Weg gestellt, weil es uns etwas mitteilen will."

    „Ja, ja, alle guten Dinge sind drei", sagte Alda, die allerdings keine grosse Lust verspürte, ihr Püree erkalten zu lassen. Schliesslich aber gab sie nach. Die prickelnde Atmosphäre der Erwartung von Neuigkeiten missfiel ihr ganz und gar nicht. So nahm sie das Buch, räusperte sich, entspannte ihr Gesicht mit ein paar Grimassen und wählte irgendeine Seite.

    „Herr Graf, sagte Villefort, „Sie verwundern mich. Ich habe nie von diesen mysteriösen Dingen gehört.

    „Das ist nur so, weil Sie immer im Kreis ihrer angewöhnten Überzeugungen geblieben sind, weil Sie es nie gewagt haben, sich mit einem Flügelschlag in jene Höhen zu erheben, die von unsichtbaren und aussergewöhnlichen Wesen bevölkert sind."

    „So denken Sie also, Herr Graf, dass es höhere Sphären gibt und dass sich aussergewöhnliche und unsichtbare Wesen unter uns befinden?"

    „Und weshalb nicht? Sehen Sie vielleicht die Luft, die Sie atmen und ohne die Sie nicht leben könnten?"

    „So können wir diese Wesen, von denen Sie sprechen, also nicht sehen?"

    „Doch. Sie können Sie sehen, ein jedes Mal, wenn sie sich materialisieren. Sie können sie dann berühren und mit ihnen sprechen, und sie werden ihnen antworten."

    „Ah, sagte Villefort lächelnd, „ich gestehe, ich möchte gerne benachrichtigt werden, wenn einer dieser Wesen mit mir in Kontakt treten wird.

    Die zwei Freundinnen schauten sich kurz an und begannen zu lachen.

    „Sapperlot", sagte Isa, „unsichtbare Wesen wie die Luft, die wir atmen.

    „Genau, sapperlot, sagte Alda, „Wesen, die sich materialisieren, um mit uns zu sprechen.

    Beide begannen zu lachen.

    „Vielleicht sollte man vom Lesen nicht gross Gebrauch machen. Wie du siehst, erlauben sich die Bücher allerhand! Füllen deinen Kopf mit seltsamen Ideen und erweitern deinen Horizont!" sagte Alda und hob ihr Glas zum Prost.

    „Es stimmt! antwortete Isa, ihr Glas erhebend. „Sie graben und graben unverschämt und heimtückisch in deinen Überzeugungen, hart wie Granit, und sie graben, auch wenn sie nur einen Löffel besitzen. Zum Wohl.

    „Richtig, sagte Alda, „und sie ruhen nicht, bis sie eine Bresche in deine Gewissheiten geschlagen und alle deine Überzeugungen ins Meer geworfen haben. Zum Wohl.

    Sie tranken, und nach dem nächsten Bissen fügte Alda an: „Bücher sind gefährlich. Nicht umsonst hat jemand gesagt Bücher seien wie gute Freunde: man wisse, wo sie sich befinden, aber es ist besser, sie möglichst nicht aufzusuchen."

    „Einverstanden, sagte Isa, „aber es ist auch wahr, was jemand anders gesagt hat, dass die Worte der Wind seien, der das Schiff des Lebens weitertreibe, drum sei Lesen so wie Segeln.

    „Das ist eine guter Vergleich, den ich noch nicht gehört hatte", antwortete Alda, „aber höre auch diese Geschichte apropos Bücher. Sie scheint fast ein Witz, ist aber wahr: Eine Frau, die ich kenne, wurde von ihrer Schwiegermutter mit der uralten Hausfrauen-Weisheit belehrt, dass die Liebe durch den Magen geht und man hier einhaken muss, wenn man einen Mann an sich binden wolle. Von dieser einfachen Lösung hypnotisiert, begann die Frau sich durch das Verschlingen der entsprechenden Literatur im kulinarischen Bereich weiterzubilden. Die Schwiegermutter, eine vorzügliche Köchin, war davon überzeugt, dass die entsprechende Kritik an ihrer Schwiegertochter wie die Würze in jeder Speise war. So geizte sie nicht, wenn es darum ging über alles, was die Schwiegertochter tat, noch eine Prise Belehrung und Tadel beizufügen.

    Die arme Frau begann in der Folge nachgerade zwanghaft Kochbücher zu lesen und ihrem Mann Menu um Menu aufzutischen, um sich gegen die Konkurrenz ihrer Schwiegermutter behaupten zu können.

    Zwanzig Jahre las die Frau nur Kochbücher. Nur Kochbücher. Dann nach zwanzig Jahren reagierte der Ehemann. Es dünkte ihn an der Zeit, etwas für die beiden armen Frauen zu tun: Er trennte sich von seiner Frau und brannte mit der Serviertochter einer Fast-food-Kette durch. – Jetzt liest sie, glaube ich, nur noch Bücher über die Gesundheit und über Cocktails."

    „Du meine Güte! sagte Isa. „Wenn ich zwei und zwei zusammenzähle, so heisst das: Lebe wohl Gesundheit und lebe wohl Nüchternheit!

    Lachend erhoben sie die Gläser und prosteten auf die Zurückhaltung.

    Langsam senkte sich ein Schleier der Stille über das Fest, und die Farben im Wohnraum zerflossen in warme, graubraune Schattierungen. Nur die beiden Holzscheite im Kamin, die eine aus zurückhaltender Buche und die andere aus lebhafter Fichte, setzten ihr Gespräch knisternd und prasselnd fort.

    Plötzlich bahnte sich ein Gedanke aus Zimt und Honig einen Weg in die schläfrige Gemütlichkeit von Isa und weckte sie.

    Sie riss sich vom Schauspiel des Feuers los und folgte der Erinnerung. Richtig! Neben dem Sofa befand sich ein mit einem Tuch bedecktes, verschnörkeltes Tablett. Sie nahm das Tuch weg, und ein kleiner Berg aus Süssgebäck kam zum Vorschein.

    Die Luft im Zimmer – geschwängert mit den aromatischen Düften der Backwaren und verstärkt durch die entzückten Beifallsäusserungen, denen der likörähnliche Wein einen feurigen Unterton beigemengt hatte – begann sich aufzuplustern wie ein Pfau und sich in den nunmehr dunklen Fenstern zu spiegeln, als Alda mit nicht ganz leerem Mund sagte: „Um auf unser Ausgangsgespräch zurückzukommen-"

    Die alte Standuhr unterbrach sie. Für sie war die Zeit gekommen, wo sie intervenieren und das ihrige zur Unterhaltung beitragen konnte, und sie hatte nicht vor, sich diesen Augenblick entgehen zu lassen. Würdevoll schlug sie elfmal an, ohne selbstverständlich auf das kleine Glocken-Vorspiel zu verzichten, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

    Alda hatte den Kopf leicht schräg gestellt und mitgezählt: „Vielleicht irre ich mich, aber deine Pendeluhr drückte sich heute aus wie ein Butler – so höflich und förmlich."

    „Gewiss, aber ich befürchte Evaristo nimmt sich in letzter Zeit etwas viele Freiheiten heraus", sagte Isa kopfschüttelnd.

    „Was du nicht sagst! antwortete Alda. „Hast du ihn etwa in der Küche erwischt, wie er an der Flasche hing?

    „Nein, aber dafür hat er seinem bisher tadellosen Dienst die schlechte Gewohnheit angefügt, ab und zu einzunicken: eine Sekunde hier, eine Sekunde da…"

    „Ja dann ist mir klar, wieso ich manchmal ein schlurfendes Geräusch aus der Ecke höre!" sagte Alda.

    „Ja, leider hinkt Evaristo der Zeit etwas hinterher."

    Die beiden Freundinnen schauten automatisch zur alten Standuhr. Sie erwarteten, dass jetzt von dort eine alte, metallische Stimme erklingen würde, um sich in würdevoll beleidigtem Ton zu rechtfertigen. Als nichts geschah, übernahm Alda die Rolle und sagte mit näselnder Stimme: „Ich erlaube mir, eure Herrschaften zu korrigieren: Nicht ich hinke der Zeit hinter her, sondern es ist die Zeit, die vor mir flieht…"

    Beide begannen zu lachen.

    „Das würde also bedeuten, dass es jetzt in Wirklichkeit dreiundzwanzig Uhr und etwas mehr ist…, sagte Alda, doch dann unterbrach sie sich selbst und fragte die Freundin: „Sag mal, von was sprachen wir, bevor Evaristo uns unterbrach?

    „Ich denke, du wolltest wieder vom Grafen reden oder von den Büchern, dem Schicksal oder-"

    „Genau, von den Büchern... unterbrach Alda. „Also ich glaube, ein gutes Buch sollte uns immer etwas über uns erzählen. Stimmt’s?

    Aber Alda wollte gar keine Antwort. Mit einem Funkeln in den Augen fuhr sie sogleich weiter: „Es ist deshalb wünschenswert, dass die Bücher Werkzeuge werden, mit denen wir graben können."

    „Richtig: Wir müssen graben, sagte Isa, „weil wir uns, wenn wir die Sache genau betrachten, eigentlich immer im Gefängnis der eigenen Vorstellungen befinden.

    Auf diese Worte hin durchwanderte ein flüchtiger Gedanke die Aufmerksamkeit Aldas. Sie wollte ihn festhalten, aber es gelang ihr nicht. Die einzige Spur, die er hinterliess, war wieder das dumpfe Gefühl, etwas vergessen zu haben: etwas Wichtiges vergessen zu haben.

    Isa hatte die leichte Sorgenfalte auf der Stirn der Freundin nicht bemerkt und war ihrem eigenen Gedankengang gefolgt: „Genau, wir sind Gefangene unserer Vorstellungen. Deshalb brauchen wir die Vorstellungen der anderen. Niemand kann mit Hilfe seiner eigenen Vorstellungen aus seinen eigenen Vorstellungen ausbrechen. Hingegen können uns die Vorstellungen anderer die Kerkertür öffnen. Exakt so, wie der alte Faria (2) Dantès aus dem Gefängnis herauszukommen half."

    „So sagst du, dass Faria, der alte Weise, eine Allegorie ist für den Hebammenauftrag, den wir für andere haben? Weil wir uns zwar nicht selber, aber gegenseitig befreien können?" fragte Alda.

    „Ja, die anderen sind irgendwie unsere Befreier", antwortete Isa.

    „Ein schöner Gedanke".

    „Ich glaube sogar noch mehr, denn es gilt nicht nur zu fliehen, sondern auch einen Schatz zu finden. Ich glaube, dass die Welt ein Schatzplan ist und jeder von uns ein Stückchen davon. Jeder ist eine kleine Information und kann uns deshalb weiter helfen", sagte Isa überzeugt.

    Erneut sah Alda den Schatten eines vergessenen Gedankens, wie er unter ihrer Bewusstseinsoberfläche dahinglitt, um dann wieder in der Tiefe des Unterbewusstseins zu verschwinden. Erneut fühlte sie sich beunruhigt.

    „Die Welt als Schatzsuche… Deine Sicht scheint mir etwas idealistisch und romantisch. Ich will nicht sagen, dass sie falsch sei, aber mich dünkt die Tendenz der Selbstzerstörung des Menschen viel realer. In den meisten Fällen ist der Mensch seinem Nachbar nicht Information, sondern Gefahr und Hindernis", sagte Alda nüchtern.

    „Das mag stimmen, aber ich denke, der Mensch ist nur vorübergehend schlecht. Früher oder später versteht er, dass die Flucht wie auch das Finden des Schatzes nur über die Zusammenarbeit möglich ist", antwortete Isa.

    Nach einer Weile zeigte sie auf das Kaminfeuer und sagte: „Schau dir die zwei Holscheite an, wie sie brennen. Ab und zu steigen Funken aus ihnen auf, winzige, lebhafte Wärmepünktchen, und doch haben sie die Fähigkeit, Brände zu legen. Und genauso müssen die Bücher sein. Aus ihnen sollten geistige Funken sprühen und unseren Geist in Flammen setzen, damit wir erwachen und den Mut haben, aus unseren Gefängnissen auszubrechen."

    „Vorausgesetzt, man ist bereit dazu – wie die beiden Holzscheite infolge ihrer Dürre die Umsetzung in Wärme zulassen."

    „Ja, so sollte es sein. Aber das ist eine Aufgabe, die jeder nur alleine und für sich lösen kann, denk ich."

    „Ja, und das heisst wohl, Geduld üben, warf Alda mit einem Seufzer ein, „denn der Mensch trägt in sich den schlausten aller Teufel: die Dummheit.

    „Ja, es braucht Geduld. Dennoch: Eines Tages wird die Welt imstande sein, den Plan zu lösen und dann aus dem Kerker ausbrechen", sagte Isa. Dann schwiegen beide und gingen ihren eigenen Gedanken nach.

    In der Zwischenzeit hatte sich die äussere Welt beruhigt und war im Wiegenlied eines leichten Regens eingeschlafen. Die beiden Freundinnen hatten sich mit einer Decke zugedeckt und lagen entspannt auf den Kissen am Boden, während an den Wänden viele kleine Lichtreflexe tanzten, welche von einem Armband herrührten, das Alda trug.

    Isa schaute dem Lichtspiel eine Weile zu, dann sagte sie: „Wir sind Weberinnen des Schicksals…"

    Die Worte drangen ganz unbewusst in die Überlegungen Aldas ein, und während sie gebannt dem Feuer zuschaute, wiederholte sie automatisch: „Zwei Weberinnen…"

    „Genau, sagte Isa leise, „Weberinnen am Webtisch. Alles ist bereit, bereit, um unserem Geist ein Kleid zu schaffen. Wir selbst sind der Faden, um unsere Geschichte zu weben…

    Dann hob sie den Kopf, und der ganze Raum erschien ihr wie ein grosses Webnetz. Beruhigt lehnte sie den Kopf zurück. Sie erinnerte sich: Die Gedanken, die Wünsche, die Handlungen und Taten waren ganz einfach die farbigen Fäden, mit denen der Geist sich als Muster in die Seele webte.

    Und Alda, die einer Inspiration gefolgt war, sagte: „Und unsere richtigen Taten werden eines Tages das Stickmuster eines leuchtenden Sieger-Banners sein."

    Die beiden Pantoffeln hatten sich in der Zwischenzeit entschlossen, einen andern Weg zu nehmen als den, den die Füsse Aldas vorzeichneten. Sie wollten zurück, wieder näher ans Feuer. Sie liessen sich von den Füssen fallen und versuchten ihr Glück.

    Die Chrysanthemen nützten die Stille, die folgte, um ihr helles gelb abzumildern. Sie schaukelten sich leise in den Schlaf, während die Statue zu Gähnen begann. Derweilen hörte man ein leises Knirschen. Jemand streckte seine Glieder.

    Die Stunde war gekommen. Die Standuhr schlug Mitternacht. Die Zeit begann sich zu verlangsamen, bis sie beinahe stillstand. Der ganze Raum wurde eingefroren und zu einem Bild in ihm. Umrahmt von der Nacht wurde es dann von einem anderen Universum, das sich entlang einer langsameren Lichtwelle bewegte, verschluckt.

    2004

    Das Bild trug den Titel Der Geburtstag. Die beiden jungen Frauen, die von kundiger Hand sorgfältig porträtiert worden waren, lagen bequem auf ihren Kissen.

    Die Künstlerin hatte mit den Farbtönen den Herbst eingefangen und mit dem Charakter dieser Jahreszeit eine ganz bestimmte Stimmung geschaffen: eine wachsame Ruhe, aussen kalt, doch innen warm und behaglich.

    Die Atmosphäre vermittelte nur auf den ersten Blick die Schläfrigkeit nach einem üppigen Mahl, denn obwohl die Szene einfach in sich war, vermittelte sie ein Geheimnis. Die vielen Einzelheiten führten weit über den Ausdruck des Bildes hinaus und wirkten wie Einladungen, um den Betrachter in eine verborgene Aussage hineinzuführen.

    Eduarda wusste es. Sie hatte es entdeckt, als sie Fräulein Maudi, eine gebrechliche, achtzigjährige Dame, in ihrem Haus als Privatkrankenschwester gepflegt hatte.

    Das Bild Der Geburtstag war, wie Fräulein Maudi ihr erzählt hatte, der Grund einer äusserst heftigen Auseinandersetzung mit ihrem Vater gewesen. Sie wollte es haben – er nicht. Auch wenn ihm das Bild gefallen hatte, war er nicht bereit gewesen, den geforderten Preis zu bezahlen, da sich hinter dem offensichtlichen Pseudonym der Künstlerin kein bekannter Maler ausmachen liess. Sein ausgeprägter Händlersinn liess ihn keinen Gewinn bei einem etwaigen Wiederverkauf erkennen. Der Gallerist wiederum war unnachgiebig geblieben.

    Er gab zwar zu, dass das Bild keinen aktuellen Marktwert besass, aber die Künstlerin hatte klare Anweisungen gegeben, das Bild nicht unter diesem Preis zu verkaufen.

    Auch wenn der alte Herr Maudi sich den Betrag finanziell durchaus hätte leisten können, ärgerte ihn diese künstlerische Selbstsicherheit. Er stellte sich auf den Standpunkt, dass wenn jemand so unnachgiebig war, eine Lektion verdient hätte. Er hatte deshalb auf den Kauf verzichtet und bei dieser Gelegenheit dem Galeristen prophezeit, dass niemand diesen überrissenen Preis je zahlen würde. Er hatte Unrecht, weil seine Tochter drei Tage darauf nicht nur das Bild, sondern noch zwei weitere Bilder der anonymen Künstlerin gekauft hatte.

    Der Geburtstag war ein grosses Bild, etwa 150 auf 160 Zentimeter, und weil es ihr Lieblingsbild war, hatte es Fräulein Maudi in ihrem geräumigen Schlafzimmer aufgehängt und zwar so, dass sie es, wenn sie aufwachte, sofort sehen konnte, weil es ihr Sicherheit vermittelte: die Sicherheit, dass eine andere Welt existierte.

    Fräulein Maudi war weit über achtzig gewesen, und die letzten beiden Jahre hatte sie im Bett verbracht. Eduarda hatte in dieser Zeit im Hause Maudi gewohnt und sie zusammen mit einer Aushilfe betreut. So war sie in Kontakt mit dem Bild gekommen.

    Eduarda, Eda für die Freunde, hatte sich bis zu jenem Zeitpunkt wenig für Kunst interessiert. Dank Fräulein Maudi, die von ihren beiden Neffen allerdings für etwas weltfremd – wenn nicht sogar für verblödet – gehalten wurde, hatte sie indessen unverhofft Zugang zur Kunst erhalten.

    Die langen Stunden der Gemeinsamkeit hatten, nicht zuletzt wegen dieses Bildes, eine eigentümliche Verwandtschaft zwischen ihnen entfaltet: Eine altwinterliche Fregatte hatte auf dem Meer des Geistes ein junges, frühsommerliches Segelschiff getroffen, um eine kurze Zeit zusammen zu reisen. Und während das eine Schiff vom Ostwind der Erinnerungen angetrieben wurde und diese als Handelsware darbot, hatte das andere Schiff die jugendliche Begeisterung des Südwindes offeriert, und so, bereichert von den Gaben des andern, hatten sie Ausflüge in dieses Bild organisiert.

    Tatsächlich enthielt das Bild seltsame Symbole. Fräulein Maudi hatte es geliebt, über ihren Sinn zu rätseln, und wenn auch zuerst nur aus Höflichkeit gegenüber der Patientin, so hatte sich die Neugier bald auch bei Eda eingestellt.

    Sie hatte zum Beispiel bemerkt, dass der Schürhaken neben dem Kamin aus einer Schlange auf einem Stab bestand. Als Krankenschwester hatte sie keine Mühe das Symbol zu erkennen: Es war der Äskulap-Stab, das Symbol der Heilkunst und des ärztlichen Standes.

    Dieses Detail hatte auf Eda wie eine Einladung gewirkt, nach weiteren Details zu suchen. Sie war sehr schnell fündig geworden. Auf der Konsole des Kamins waren ein Kreuz, ein Kreis und zwei Klammern, Rücken gegen Rücken, eingraviert. Die Klammern waren verbunden mit einem Strich.

    Eda konnte auch drei Nummern entziffern: fünf, acht und dreizehn. Eingefügt waren ein 5zack-Stern und zwei Wellenlinien:

    Die Frauen waren sich einig, dass die Klammern und die Wellenlinie astrologische Symbole sein mussten, nämlich die Zeichen für Fische und Wassermann. Was die andern beiden Zeichen anging, das Kreuz und der Kreis, hatten sie anfangs nur spekulieren können. Dann aber hatte Eda, mittlerweile gänzlich in der Schatzsuche aufgegangen, sich entschlossen, in der Bibliothek zu recherchieren. Und sie wurde fündig.

    Sie entdeckte, dass vor 12‘000 Jahren die beiden Symbole im Nordwesten Afrikas verwendet worden waren. Seltsamerweise aber besassen sie dieselbe Bedeutung wie die anderen beiden Zeichen. Der Kreis stand für Wassermann und das Kreuz für Fische.

    Immerhin, sie hatten einen kleinen Schritt vorwärts getan, und der Optimismus regierte. Die kleine Entdeckung warf indessen neue Fragen auf.

    Die Theorie von Fräulein Maudi war, dass die Symbole, inklusive Nummern und Stern, ein Geburtstagsdatum darstellte, dies, weil das Bild ja Der Geburtstag hiess.

    Aber wieso ging aus dem Bild nicht hervor, welche von den beiden Geburtstag hatte? War es gewagt, davon auszugehen, dass beide Geburtstag hatten?

    Etwas war indessen sicher: Sie waren keine Zwillinge. Sie waren so verschieden in ihrem Äusseren, dass es sogar schwierig gewesen wäre, sie für Schwestern zu halten.

    Aber wenn ihr Geburtstag auf denselben Tag fiel – weshalb wurden nicht dieselben Symbole, sondern Symbole aus verschiedenen Zeitepochen gebraucht?

    Als würde das nicht genügen, um das Rätsel zu erschweren, gab es im Bild noch weitere seltsame Symbole. Über dem Kamin, dort, wo normalerweise das Familienwappen hängen sollte, war eine Art Teller dargestellt, welcher nicht Früchte, sondern geometrische Zeichen enthielt, Zeichen, die ihnen gänzlich unerklärlich blieben.

    Die Suche schien festgelaufen, und der gute Wille und die Einsatzfreude Edas reichten nicht mehr. Während die Stimme des Fräuleins Maudi immer schwächer wurde, nahm die Stimme der Frustration im Gegenzug immer schrillere Töne an, denn es war klar, dass Fräulein Maudi im Sterben lag: Endstation. Aus das Spiel. Amen.

    Eda war eine bodenständige Frau, mit kräftigem Körperbau und klaren Vorsätzen. Einfach aufzugeben war nicht ihr Stil. Auch wenn sie wenig Freizeit besass, hatte sie sich deshalb weiter Zeit genommen, in der Bibliothek zu forschen.

    Eines Tages, sie war schon über eine Stunde in die Bücher versunken, erlaubte sie sich einen Seufzer.

    Der alte Bibliothekar, der zufällig in der Nähe war und sie mittlerweile kannte, fragte sie daraufhin, ob er ihr vielleicht behilflich sein könnte. Eda zeigte ihm die Skizze des Tellers und so kam es, dass sie einen Schritt Richtung Lösung fand, auch wenn sich das Rätsel selber gleichzeitig seltsamerweise noch mehr verdichtete.

    Der Bibliothekar meinte nämlich, dass der Teller vielleicht gar kein Teller war, sondern ein Schiff, ein ägyptisches Schiff.

    Als Liebhaber der altägyptischen Geschichte vermochte er eine seltsame Verbindung mit der Epoche von Amenophis III., Vater des berühmt-berüchtigten Echnatons, herstellen. Neues Reich, 18. Dynastie, Periode 1391-53 v.Chr.!

    Sie solle dort nachsehen, sagte er zu Eda.

    Nachdem Eda einige Bücher der entsprechenden Periode durchgeblättert hatte, stiess sie auf eine Abbildung, die tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit dem merkwürdigen Tellersymbol besass:

    Sie fand dazu folgende Erklärung:

    Die Pharaonen feierten periodisch jeweils die Erneuerung ihrer Herrschaft. Diese Feste wurden von langer Hand vorbereitet und erscheinen unseren heutigen Vorstellungen seltsam und mysteriös. Amenophis III. nutzte eines dieser Feste,

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