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Oriksons Organisation: Mitternacht und Monster
Oriksons Organisation: Mitternacht und Monster
Oriksons Organisation: Mitternacht und Monster
eBook476 Seiten6 Stunden

Oriksons Organisation: Mitternacht und Monster

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Über dieses E-Book

"Mitternachtsbereich - bitte misstrauen Sie Ihren Uhren und nutzen Sie die Unsere."
Ein zauberhaft-gruseliges Abenteuer voller Rätsel erwartet die vierzehnjährigen Zwillinge Arthur und Antonia. Mit glühenden Lampen, die nirgendwo eingesteckt sind und Türklopfern, die reden können, suchen sie nach einer Organisation voller Monster.
SpracheDeutsch
HerausgeberBooks on Demand
Erscheinungsdatum30. Nov. 2020
ISBN9783752656053
Oriksons Organisation: Mitternacht und Monster
Autor

Marie Meyrose

Marie Meyrose verbrachte ihre Kindheit in Ostfriesland und hatte schon immer eine Vorliebe für Monster und Rätsel jeder Art.

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    Buchvorschau

    Oriksons Organisation - Marie Meyrose

    Für meine marottenreiche Familie.

    Mir ist langweilig, dachte der Mann und machte ein selbstmitleidiges Gesicht. Er mochte dieses Gesicht. Es war so schmollend, dass es dadurch albern wurde und so albern, dass es dadurch durchscheinen ließ, wie spielerisch es gemeint war. Und es war spielerisch gemeint.

    Der Mann wusste nicht wirklich, was Selbstmitleid war. Das heißt, strenggenommen wusste er es schon, er erkannte es bei anderen, aber er selbst konnte es nicht formen. Er konnte die meisten Gefühle nicht formen, aber er tat gern so, als könnte er. Es war ein ewiges Spiel aus so-tun-als-ob und er liebte dieses Spiel. Zumindest glaubte er, dass er es liebte, auch in Sachen Liebe war er sich nicht ganz sicher...

    Aber langweilig, langweilig war ihm wirklich. Er sah auf die Uhr, fand, dass er der einzig Pünktliche in dieser ganzen Geschichte hier war und sah dann wieder zu dem Reihenhaus auf der gegenüberliegenden Straßenseite vor ihm. Er war schon einmal hier gewesen und schon da war ihm aufgefallen, wie hübsch und gepflegt das Haus aussah. Es war hübsch und gepflegt und befand sich genau in der Mitte der Straße und damit hatte es etwas an sich, das ihn die Zunge gegen die oberen Zähne drücken ließ.

    Einen kräftigen Stoß. Das ist es, was es vertragen könnte. Einen Stoß, durch den es aus seiner hübschen Bahn fällt.

    Im Augenwinkel sah er plötzlich jemanden auf sich zukommen und im selben Moment öffnete sich die Haustür.

    Na endlich, dachte er ohne zu wissen, was wirkliche Ungeduld war. Zeit, die hübsche Bahn zu verlassen.

    Inhaltsverzeichnis

    Kapitel Eins: Mitternacht

    Kapitel Zwei: Ärger

    Kapitel Drei: Verspätung

    Kapitel Vier: Die Zwillingsverbindung

    Kapitel Fünf: Metall

    Kapitel Sechs: Die Täuschung

    Kapitel Sieben: Ein dreister Verstoß gegen die Regeln

    Kapitel Acht: Die Definition eines Monsters

    Kapitel Neun: Die Begegnung

    Kapitel Zehn: Die Galerie

    Kapitel Elf: Innerhalb und außerhalb der Wirklichkeit

    Kapitel Zwölf: Zwei Nächte

    Kapitel Dreizehn: Kasper Kopernik

    Kapitel Vierzehn: Das zweite Dezernat des Weltenrats

    Kapitel Fünfzehn: Das wichtigste Feld

    Kapitel Sechzehn: Fast Mitternacht

    Kapitel Siebzehn: Ein Mitternachtsbereich um Mitternacht

    Kapitel Achtzehn: Eine Reise im Schlafanzug

    Kapitel Neunzehn: Dieselbe Stufe

    Kapitel Zwanzig: Tief im Innern

    Kapitel Einundzwanzig: Jupiter

    Kapitel Zweiundzwanzig: Höher und Höher

    Kapitel Dreiundzwanzig: Erschütterung

    Kapitel Vierundzwanzig: Jupiters Augen

    Kapitel Fünfundzwanzig: Gebrüll!

    Kapitel Sechsundzwanzig: Blut

    Kapitel Siebenundzwanzig: Das rote Tor

    Kapitel Achtundzwanzig: Welten aus Öl und Kupfer

    Kapitel Neunundzwanzig: Ideen

    Kapitel Dreissig: Der Luhia

    Kapitel Einunddreissig: Auf ein Wort

    Kapitel Zweiundzwanzig: Sommerstunden

    Kapitel Dreiundzwanzig: Die Organisation

    Kapitel Vierunddreissig: Der Einbruch

    Kapitel Fünfunddreissig: Sommernachtswahnsinn

    Kapitel Sechsunddreissig: Die unechte Wirklichkeit

    Kapitel Siebenunddreissig: Hoch oben

    Kapitel Achtunddreissig: Das Rauschen

    Kapitel Neununddreissig: Der Riss

    Kapitel Vierzig: Zwei Wesen

    Kapitel Einundvierzig: Ende und Anfang

    KAPITEL EINS

    Mitternacht

    „Warum flüstern wir eigentlich?", flüsterte Arthur Gressling.

    „Zur Sicherheit. Falls Mum die Treppe hochkommt", flüsterte seine Zwillingsschwester Antonia Gressling zurück.

    „Das würden wir dann doch rechtzeitig hören."

    Antonia zuckte mit den Schultern. „Trotzdem. Das gehört einfach dazu."

    Sie hielt einen weiteren Flyer unter den schwachen Schein der Lampe und las leise vor: „Camp der Freundschaft."

    „Auf gar keinen Fall, sagte Arthur und Antonia wiederholte zustimmend: „Auf gar keinen Fall, und legte den Flyer auf den immer größer werdenden Abgelehnt-Stapel neben sich.

    Die beiden vierzehnjährigen Geschwister saßen auf dem Boden von Arthurs Zimmer und gingen Prospekte von verschiedenen Ferienlagern durch. Strenggenommen war Fünf-Minuten-vor-Mitternacht nicht die beste Zeit für so etwas, aber wie es im Leben oft vorkommt, hatte sich die Uhrzeit im Laufe des Abends ungeahnt plötzlich so weit nach hinten verschoben.

    Da ihre Mutter nicht wissen durfte, dass sie immer noch wach waren, hatten sie vorsichtshalber nicht Arthurs helle Deckenlampe angeknipst, sondern hatten stattdessen seine Nachttischlampe vom Nachttisch genommen und sie mit Hilfe eines Verlängerungskabels zu einer Art Taschenlampe umfunktioniert. Nun saßen sie sich gegenüber und Arthur hielt die Lampe ein Stück in die Höhe und Antonia überflog in deren Lichtkegel die Prospekte.

    „Bei dem Camp hier... werden Rätsel vorbereitet, die man lösen muss, um Türen zu öffnen und Schätze zu finden und so..."

    „Sind wir dafür nicht zu alt?", fragte Arthur, der sich dafür definitiv zu alt fühlte. Er wollte eigentlich in gar kein Feriencamp. Aber er hatte seiner Mum versprochen sich die Flyer anzusehen.

    „Du vielleicht, meinte Antonia. „Aber es ist sowieso zu teuer.

    Die Idee mit dem Ferienlager stammte von ihrer Mutter, die ihnen aber gleichzeitig ein Preislimit genannt hatte, das nicht überschritten werden durfte.

    „Bei diesem hier..., Antonias Augen huschten über das Papier, „macht man Bootstouren auf kleinen Gondeln. Wie langweilig. Und bei dem hier..., sie griff zu dem letzten Flyer, „gibt es Nachtwanderungen durch einen Wald und durch ein Spukhaus. Das klingt doch ganz cool."

    „Klingt eher gruselig."

    „Wo ist da der Unterschied?, murmelte Antonia geistesabwesend, bevor sie den Flyer mit einem geseufzten: „Auch zu teuer, auf den Stapel neben sich legte. „Das waren alle... Vielleicht sollten wir doch mit Dad in den Urlaub fahren. Vielleicht ist Camping mit Dad gar nicht so übel."

    Arthur stellte die Nachttischlampe zwischen sich und Antonia auf den Boden und schüttelte den Kopf. „Doch, es wäre übel. Da, wo Dad hinfährt, wird das gleiche Regenwetter wie hier sein und ich mag seine Freundin nicht. Sie ist so... ich weiß nicht, überdreht oder so. Außerdem hat Dad uns nur gefragt, damit wir uns nicht ausgeschlossen fühlen. Ich glaube, wir würden nicht mal alle in sein Wohnmobil passen..."

    Antonia seufzte ein zweites Mal. „Aber wir können nicht hierbleiben. Hier ist es ätzend... und langweilig. Ätzend-langweilig."

    Arthur fand, dass das eine ziemlich zutreffende Beschreibung war. Das Ganze verhielt sich nämlich so: Morgen war der letzte Schultag vor den Sommerferien und morgen würde der langweilige Freund ihrer Mutter bei ihnen einziehen. Sein Name war Norbert, er arbeitete in einem Museum, das nie Besucher hatte und er trug immer Wollpullover. Dass Norbert nun plötzlich bei ihnen wohnen sollte, war ziemlich schlimm und mindestens genauso schlimm war, dass ihre Mutter wegen seines Einzugs beschlossen hatte das Haus renovieren zu lassen. Die Renovierungsarbeiten hatten bereits begonnen und daher wusste Arthur, dass er von nun an jedes Ausschlafen vergessen konnte, denn jeden Morgen, pünktlich um acht, machten sich die Leute von der Renovierungsfirma an die Arbeit. Sie redeten und lachten dabei andauernd und sie hörten die ganze Zeit Radiomusik. Es war ziemlich furchtbar.

    In den Sommerferien nicht ausschlafen zu können war eine ganz schöne Ungeheuerlichkeit, wie Arthur fand, aber noch schlimmer als das und damit fast so schlimm wie Norbert, war die Tatsache, dass die Internetverbindung im Haus seit einigen Tagen plötzlich nicht mehr ging. Niemand wusste woran das lag und eine hinter langen Telefonschleifen verborgene Angestellte des Internetanbieters hatte zwar versprochen irgendwas zu machen, hatte dann aber scheinbar doch nichts gemacht.

    Missmutig dachte Arthur an seinen besten Freund, der vor wenigen Monaten aufs Land gezogen war, weil seine Eltern mehr Natur um sich herum haben wollten.

    Da ist das Internet bestimmt schlecht, aber das ist besser als nichts, fand Arthur.

    Von Antonias Freunden war niemand weggezogen, aber ihre zwei besten Freundinnen verbrachten die ersten Wochen der Sommerferien auf irgendwelchen Inseln in irgendwelchen Weltmeeren.

    „Ich weigere mich einfach", sagte Antonia unerwartet und vergaß dabei zu flüstern.

    „Shh, sonst hört Mum uns wirklich noch", zischte Arthur möglichst lautlos, aber Antonia verstand ihn nicht.

    „Was?", fragte sie.

    „Mum wird uns – … warte, wogegen weigerst du dich?", fragte Arthur.

    „Gegen alles... Gegen die Langeweile oder so. Ich weigere mich einfach so viel Langeweile haben zu müssen."

    „Und wie willst du –"

    „Shh, ich glaub, Mum kommt die Treppe hoch."

    Arthur knipste schnell die Lampe aus, damit auch ja kein verräterisches Licht durch den Türspalt sickerte und lauschte den Schritten auf der Treppe. Seine digitale Armbanduhr gab dabei ein vertrautes Piep-Geräusch von sich, was hieß, dass die volle Stunde erreicht war.

    „Mitternacht", dachte Arthur und hörte, dass Antonia genau das Gleiche dachte. Das war ziemlich seltsam, aber unmittelbar darauf geschah noch etwas Seltsameres.

    Arthurs Zimmer wurde auf einmal grau. Vorher war es ganz dunkel gewesen, aber nun wurde es grau. Grau und weit und alles darin begann zu verschwinden.

    Was?

    Die Möbel und die Wände wurden blasser und blasser und Arthur stand erschrocken auf und drehte sich in alle Richtungen. In derselben Sekunde verblasste auch der Rest vom Raum und Arthur sah nur noch graue Endlosigkeit. Sein Zimmer war vollständig verschwunden und stattdessen befanden sich er und Antonia an einem endlosen, grauen Nicht-Ort.

    Was?

    „Wo sind wir?", fragte Arthur und starrte in die Endlosigkeit. Er fand, dass er erstaunlich ruhig blieb, aber er bemerkte, dass seine Augen und Ohren schärfer wurden.

    „Wo sind wir?", fragte er nochmal und sah sich um. Das Einzige, was es an dem grauen Ort gab, waren ein ewiger Boden und ein ewiger Himmel, die unendlich weit auseinanderlagen. Am Himmel waren Gewitterwolken zu sehen, aber sie waren fast nicht zu erkennen, so weit waren sie entfernt.

    Gruselig. Wie, als wären wir auf dem Boden eines leeren Ozeans gelandet, dachte Arthur und Antonia stimmte ihm zu. Verwirrt drehte er sich in ihre Richtung.

    „...Du hast gehört, was ich gedacht habe, du hast darauf reagiert."

    „Quatsch, wehrte sie ab und begann dann zu rufen: „Mum? ...Irgendjemand?! Hallo?

    Sie rief, so laut sie konnte, aber ihre Stimme hallte nicht weit und niemand antwortete. „Was machen wir denn jetzt?"

    „Ich weiß nicht. Ruhig bleiben, sagte Arthur und fühlte sich ziemlich verloren, während seine schärfer gewordenen Ohren nichts hörten, außer dass alles absolut still war. „Das hier kann unmöglich echt sein... Vielleicht träumen wir nur oder...

    Oder vielleicht träum auch nur ich, überlegte Arthur weiter, vielleicht bin ich eingeschlafen und diese Antonia ist gar nicht echt.

    „Als ob, ich bin mindestens genauso echt wie du...", murmelte Antonia, während sie sich noch immer suchend umsah. Arthur klappte der Mund auf.

    „Du hast schon wieder gehört, was ich gedacht habe!", beschwerte er sich.

    „Du hast nur gedacht, dass du es gedacht hast."

    „Habe ich nicht!", protestierte Arthur in Gedanken und hielt sich dabei den eigenen Mund zu.

    „Hast du – Oh! Okay, offensichtlich hast du recht." Irritiert sah Antonia ihn an und dachte: „Vielleicht ist das hier wirklich nur ein Traum."

    Bei diesem Gedanken verschwand der Nicht-Ort so plötzlich, wie er aufgetaucht war und mit einem Mal standen Arthur und Antonia wieder in der vertrauten Umgebung von Arthurs Zimmer. Alle Möbel und die Wände waren dort, wo sie hingehörten und außerhalb des Raums lief ihre Mutter die Treppe nach oben.

    KAPITEL ZWEI

    Ärger

    „Es muss was Paranormales gewesen sein. Aliens vielleicht."

    „Ach, ipf weipp nicht", sagte Arthur und spuckte den Zahnpastaschaum aus seinem Mund ins Waschbecken. Es gefiel ihm nicht an sowas wie Aliens zu glauben.

    „Was soll es sonst gewesen sein?"

    Arthur zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Ahnung. Seitdem der Nicht-Ort verschwunden war, konnten er und Antonia auch nicht mehr in Gedanken miteinander sprechen, aber da sie beide die gleichen Erinnerungen daran besaßen, war es unmöglich, dass sie sich das alles nur eingebildet hatten.

    „Es muss irgendwas sein, was sich logisch erklären lässt", sagte Arthur. Er und Antonia waren nach dem Nicht-Ort Erlebnis durchs Haus und in den Garten geschlichen, aber alles hatte ganz normal ausgesehen. Die ganze Nachbarschaft war ruhig gewesen und nur die Straßenlaternen hatten gebrannt.

    Irgendwas, was sich auch logisch erklären lässt...

    Arthur beugte sich über das Waschbecken und sein dunkelblond gelocktes Spiegelbild kam ihm entgegen. Es sah ähnlich verschlafen aus, wie er sich fühlte und hatte unter den braunen Augen bläuliche Schatten, die sich von der Nasenwurzel bis zu den äußeren Augenrändern erstreckten. Arthur neigte auch im ausgeschlafenen Zustand zu solchen Augenringen, aber heute waren sie besonders schlimm.

    Antonia schob ihn zur Seite und begutachtete prüfend ihren Pferdeschwanz. Sie besaß die gleichen, niemals ganz verblassen wollenden Schatten wie Arthur und hatte eine ähnlich gebogene Nase, mit einem ähnlich störenden Höcker darauf sowie die gleichen, etwas zu schmalen Lippen. Im Gegensatz zu ihm waren ihre Haare aber eher braun als blond und sie schien, wie Arthur mit einiger Irritation feststellte, schon wieder gewachsen zu sein und war damit nun ein kleines Stückchen größer als er. Beunruhigt streckte er sich in die Höhe. Währenddessen sagte Antonia: „Was auch immer es war – wir dürfen auf gar keinen Fall Mum davon erzählen, sonst glaubt sie, wir hätten ihre und Dads Trennung nicht verkraftet und würden uns nun seltsame Dinge einbilden – als Schrei nach Aufmerksamkeit oder so."

    Das klang tatsächlich nach einer Theorie, die ihre Mutter aufstellen würde. Ihre Mum hatte eine Vorliebe für Begriffe wie 'Schrei nach Aufmerksamkeit' und sie war oft besorgt, die Trennung von vor einem Jahr würde Arthur, Antonia oder ihre jüngere Schwester Alice mehr bedrücken, als sie zugeben wollten.

    „Antonia?, ertönte es plötzlich aus dem Erdgeschoss. „Antonia kommst du mal bitte, ich möchte mit dir sprechen.

    Arthur zog bei diesen Worten seiner Mutter die Augenbrauen nach oben.

    Klingt nach Ärger.

    „Wieso klingt das, als würde ich gleich Ärger bekommen?, flüsterte Antonia und Arthur zuckte mit den Schultern, während ihre Mutter ein zweites Mal vom Erdgeschoss nach oben rief: „Was macht ihr beiden da oben überhaupt noch? Es ist schon zwanzig-Minuten-vor-acht, müsstet ihr nicht längst los?

    Doch, das mussten sie tatsächlich und mit dieser Erkenntnis brach eine frühmorgendliche Hektik aus. Antonia antwortete ihrer Mutter, sie wären gleich unten und wollte dann in ihr Zimmer laufen, um ihre Schultasche zu holen, aber dabei stieß sie gegen Arthur, der ganz ähnliche Pläne hatte und knallte mit den Zehen gegen den Türrahmen, woraufhin etwas Seltsames geschah.

    Obwohl er sich gar nicht gestoßen hatte, fühlte Arthur einen pochenden Schmerz in seinen Zehen. „Aua!", beschwerte er sich.

    „Du hast dir doch gar nicht wehgetan", klagte Antonia, auf einem Bein stehend, empört.

    „Aber es tut trotzdem weh... Wie seltsam... Glaubst du, das hat mit gestern Abend zu tun?"

    „Weiß nicht... Aber seltsame Dinge hängen oft mit anderen seltsamen Dingen zusammen."

    Arthur wollte diesem weisen Spruch gerade zustimmen, als seine Mutter ein weiteres Mal nach ihnen rief und sie zur Eile drängte. Schicksalsergeben tauschten Antonia und er einen Blick aus, der das begonnene Gespräch auf später verschob, holten dann ihre Schultaschen aus ihren Zimmern und liefen die Treppe hinab.

    „Alice hat nicht auf euch gewartet und ist schon längst mit dem Rad losgefahren, erklärte seine Mutter mit vorwurfsvoller Stimme. „Sie war heute wieder sehr blass. Ich finde, sie ist zu oft alleine.

    „Sie ist gern alleine, Mum. Sie hat extra nicht gewartet. Und bis zur Schule sind es doch nur zwanzig Minuten, danach ist sie den ganzen Vormittag dann ja nicht mehr alleine", sagte Arthur und sah sich suchend nach seiner Jacke und seinen Schuhen um. Die Inneneinrichtung von Wohnzimmer, Küche und Eingangsbereich bestand momentan aus Farbeimern, Trittleitern und einer halb eingerissenen Wand, die später einmal durch moderne Stützpfeiler ersetzt werden sollte, damit mehr Licht in die Küche fiel. Auf dem Boden lag abgebröckelter Putz, alle Möbel waren zur Seite gerückt und mit milchigen Plastikplanen verdeckt und aller Kleinkram befand sich in aufeinander getürmten Kartons und Wäschekisten.

    Seine Mutter seufzte tief. „Ich finde, ihr beide könntet trotzdem mehr Zeit mit eurer jüngeren Schwester verbringen. Habt ihr euch die Flyer von den Ferienlagern angesehen? War etwas Nettes dabei? Vielleicht könntet ihr Alice überreden mitzukommen."

    „Es war nichts Nettes dabei und Mum, sagte Antonia und gab dem Wort 'Mum' einen drängenden Klang, „worüber wolltest du mit mir sprechen? Ich und Arthur müssen los.

    Ihre Mutter machte ein strenges Gesicht.

    „Ach ja. Du hast mir nicht zufällig etwas zu sagen, Antonia? Du weißt, ich bin nie böse, wenn du mir von vornherein die Wahrheit sagst."

    „Was? Nein, wieso sollte ich sonst fragen, worüber du mit mir...", begann Antonia, beendete den Satz aber nur mit einem ungläubigen Kopfschütteln.

    „Wenn ich dein Fahrrad erwähne, klingelt auch nichts? ...Also schön, dann komm bitte mit in die Garage. Hast du all deine Sachen? Du wirst den Bus bereits verpasst haben, aber ich kann dich auf dem Weg zur Arbeit an einer der hinteren Haltestellen rauslassen. Mit den ganzen Umwegen, die der Schulbus fahren muss, erwischst du ihn dann wahrscheinlich noch."

    „Und was ist mit mir?", mischte sich Arthur ein und warf Antonia ihre Schuhe zu, bevor er sich die eigenen zuband.

    Seine Mutter drehte sich in seine Richtung und sagte: „Dein Rad steht schon vor der Haustür. Du siehst müde aus, Liebling und die frische Luft wird dir guttun."

    Hinter dem Rücken ihrer Mutter machte Antonia für Arthur ein ratloses Gesicht, das sich plötzlich verfinsterte, als das Geräusch von einem drehenden Schlüssel erklang und Norbert das Haus betrat.

    Er hat also schon einen Schlüssel, dachte Arthur und erinnerte sich dunkel daran, dass Norbert seine Arbeitszeit auf den Nachmittag verschoben hatte, um die Renovierungsarbeiten zu beaufsichtigen.

    Norbert schien Antonias finsteren Blick zu bemerken, denn er grüßte sie nur mit einem schwachen Lächeln, aber bei Arthur wagte er sich an ein 'Guten Morgen' heran, was Arthur erwiderte. Er hatte nichts gegen Norbert an sich, er wünschte sich nur, Norbert würde weniger hässliche Wollpullover tragen und noch nicht – oder am besten niemals – bei ihnen einziehen.

    Bei diesen stummen Verbesserungsvorschlägen für Norberts Aussehen und Zukunft hatten seine Mutter und Antonia das Haus verlassen und Arthur hörte, wie das Garagentor nach oben gelassen wurde. Er hätte gern gewusst, worum es bei dieser ganzen Angelegenheit ging, aber er schien warten zu müssen, bis er Antonia in der Schule –

    Arthurs eigene Gedanken wurden jäh unterbrochen, als ein ganzer Schwall aus fremden Gedanken flutwellenartig in seinen Kopf hineinströmte.

    „Mum, ich war das nicht!", hörte er Antonia protestieren und er sah durch ihre Augen ihr zerbeultes, plattes Fahrrad. Der Vorderreifen war ganz verbogen und zerschlitzt, der Sattel saß fast falsch herum und am luftleeren Hinterrad war das Rücklicht zerbrochen. Das Rad sah aus, als wäre es entweder unter ein Auto gekommen oder mit einem Baseballschläger bearbeitet worden.

    Arthur hörte seine Mutter sagen: „Das Rad lag heute früh im Vorgarten und die Garage war aufgeschlossen – und ich sage aufgeschlossen und nicht aufgebrochen, es muss also jemand den Schlüssel –"

    „Wieso sollte ich mein eigenes Fahrrad kaputt machen?!"

    Antonias Wut schoss schäumend durch Arthurs Kopf und er hatte einige Schwierigkeiten, seine eigenen Gedanken beisammen zu halten. Er wusste, dass Antonia ihr Rad nicht zerstört hatte, aber wer immer es gewesen war, musste viel Glück gehabt haben, dass er dabei nicht erwischt worden war.

    Wir waren ja noch nach Mitternacht draußen, dachte Arthur und hörte gleichzeitig seine Mutter sagen: „Ich sage ja gar nicht, dass du es absichtlich kaputt gemacht hast. Vielleicht hattest du einen Unfall, von dem du mir nicht erzählen magst?"

    „Ja klar, und danach lass ich das Rad einfach vor dem Haus liegen, oder was?", fauchte Antonia sarkastisch und Arthur überlegte, ob sie ihn wohl auch hören konnte.

    „Antonia? Hallo?"

    Sie reagierte nicht und allmählich verblasste die seltsame Verbindung zwischen ihren beiden Köpfen wieder. Als Arthur in seinem Kopf mit seinen Gedanken wieder allein war, zuckte er die Schultern. „Dann eben nicht."

    „Was?" Norbert drehte sich zu ihm um.

    „Ach nichts, ich muss jetzt auch los. Und mit einem unverbindlichen: „Bis dann, ließ er die Haustür hinter sich ins Schloss fallen.

    KAPITEL DREI

    Verspätung

    Arthur ließ die Wohnsiedlung mit den weißen Häusern und den gemähten Vorgärten hinter sich und bog auf einen gepflasterten Fahrradweg ab. Neben ihm lag nun ein winziges Waldgebiet, aus dem selbst zu dieser frühen Uhrzeit schon die ersten Jogger hinaus joggten.

    Es war wirklich noch früh, aber für Arthur nicht früh genug. Er war spät dran und er hatte Gegenwind und –

    Mindestens fünf Minuten. Ich komm mindestens fünf Minuten zu spät. Vielleicht sogar zehn.

    Er verspätete sich nur selten, aber wenn es dann doch mal vorkam, machte ihn das Ganze irgendwie nervös. Er konnte sich schon vorstellen, wie sein Klassenlehrer ihn mit einem kühlen: 'Wie schön, dass Sie uns auch noch beehren, Herr Gressling', begrüßte. Sein Lehrer sagte das zu absolut jedem unpünktlichen Schüler und Arthur wusste, dass er selber danach kurz stehen bleiben musste, um irgendwas zu antworten. Er wusste aber nicht was und er mochte es nicht, wenn seine ganze Klasse ihn dabei anguckte.

    Er verstand selbst nicht warum. Seiner Klasse war es ziemlich egal, ob er zu spät kam oder nicht und seinem Lehrer reichte es, wenn er auf das 'Wie schön, dass Sie uns auch noch beehren, Herr Gressling' einfach verlegen lachte. Danach konnte er sich setzen und die Situation war vorbei, aber –

    Es ist trotzdem irgendwie unangenehm. Arthur verzog das Gesicht und dachte an seine Zwillingsschwester, die wegen sowas nicht nervös geworden wäre. Antonia war fast nie wegen irgendwas nervös. Testweise – und um sich abzulenken – versuchte er ihre Gedanken zu erahnen, aber er konnte nichts hören.

    Schade.

    Falls er sich nicht irrte, funktionierte der neu aufgetauchte Gedankenlese-Trick nur bei Antonia, aber diese Zwillingsverbindung ließ sich offensichtlich nicht auf Kommando hervorrufen. Vielleicht trat sie wahllos auf oder sie funktionierte nur, wenn einer von ihnen von irgendwas überrascht wurde, von plötzlichen Schmerzen zum Beispiel oder von der eigenen Wut oder –

    Arthur erschreckte sich und trat auf die Bremse. Nur wenige Meter vor ihm lag eine überraschend große, überraschend schwere Eiche quer über dem Fahrradweg und vor dieser umgestürzten Eiche stand ein großes, orangefarbenes Verkehrsschild mit dem Wort 'Umleitung' darauf. Es zeigte auf einen angrenzenden, breiten und gradlinigen Waldweg.

    Seit wann ist hier ein Weg?, dachte Arthur. Er fuhr diese Strecke fast jeden Morgen und er konnte sich nicht erinnern diesen Waldweg schon früher einmal gesehen zu haben. Allerdings konnte der breite Weg unmöglich über Nacht entstanden sein und da Arthur mit seinem Rad definitiv nicht über die Eiche kam, drehte er schicksalsergeben seinen Lenker und bog in den unbekannten Waldweg ein.

    Der Waldweg blieb breit und gradlinig, aber er war ein bisschen zu sandig, um als gut befahrbar zu gelten und Arthur malte sich schon aus, wie er nicht nur zu spät, sondern auch noch verschwitzt vor seiner versammelten Klasse erschien.

    Super, dachte er unglücklich und fragte sich, wann der sandige Weg endlich einen Bogen schlug und ihn auf die eigentliche Strecke zurückführte.

    Er müsste doch längst einen Bogen machen, oder nicht? Unsicher sah Arthur hinter und dann wieder vor sich in den stur geradeaus führenden Weg.

    Wer hat sich nur diese Umleitung ausgedacht? Das kann unmöglich der richtige Weg zur Schule sein.

    Damit sollte er recht behalten und wie es der Zufall so wollte, geschah etwas Seltsames. Es erklang ein lautes Knacken und eine Art Reißen. Arthur bremste und suchte mit den Augen nach einem umstürzenden Baum, aber keiner der schmalen Laubbäume bewegte sich, obwohl das Knacken und Reißen lauter wurde.

    Klingt wie eine einbrechende Eisschicht, aber es ist Sommer, also –

    Arthur ließ Fahrrad und Schultasche zu Boden fallen, als er sah, was tatsächlich dabei war, einzubrechen.

    Unmöglich, dachte er und meinte damit die Welt, die begonnen hatte winzige Risse zu bekommen. Bei jedem Knacken und Reißen entstanden vor ihm in der Luft hundert neue feine Linien, die zu immer größer werdenden Rissen wuchsen. Und aus diesen Rissen sickerte ein dichter Nebel.

    Und noch bevor Arthur die Entscheidung treffen konnte, dieses merkwürdige Spektakel sicherheitshalber aus einer größeren Entfernung zu beobachten, zerbrach das Stück Welt und eine Welle aus brausendem, zischenden Nebel stürzte auf ihn herunter und verschlang ihn im Ganzen.

    KAPITEL VIER

    Die Zwillingsverbindung

    Antonia drückte sich tiefer in den karierten Bussitz. Ihre Mutter hatte sie, wie versprochen, bis zu einer der letzten Haltestellen mitgenommen und nun saß sie in dem stickigen Schulbus.

    Unzufrieden dachte sie über ihr kaputtes Fahrrad nach. Ihre Mum glaubte ihr inzwischen, dass sie es nicht selber kaputt gemacht hatte, aber das ließ das Rad auch nicht wieder ganz werden.

    Wer hat was davon, mein Fahrrad kaputt zu machen? Ein Einbrecher hätte es doch höchstens geklaut.

    Ihre Mum hatte vorgeschlagen, dass vielleicht Norbert helfen könnte das Rad wieder zu reparieren. Sie hatte es deshalb vorgeschlagen, weil sie wollte, dass Antonia anfing Norbert zu mögen und weil Norbert ein Mann war und Männer angeblich Fahrräder reparieren konnten. Ganz unabhängig davon, wie kaputt diese Räder waren.

    Tja, er kann’s gerne versuchen, überlegte Antonia mit einem Humor, der hauptsächlich aus Gereiztheit bestand. Sie war unausgeschlafen und sie war schlecht gelaunt, weil Norbert nun bei ihnen wohnen würde.

    Zu Hause nur mit mir, Arthur, Alice und Mum funktioniert alles gut, also wieso –

    Norberts Gesicht tauchte vor ihrem inneren Auge auf und ohne den Gedanken ganz zu Ende zu denken, trat sie wütend gegen den Vordersitz. Ganz erschrocken drehte sich der darauf sitzende Zweitklässler zu ihr um. Sie hatte ihn nicht gesehen, aber der Bus war so voll, dass sie sich hätte denken können, dass dort jemand saß. Sie schnitt dem blässlichen Zweitklässler eine Grimasse und schwenkte ihre Gedanken fort von Norbert und hin zu den mysteriösen Ereignissen der letzten Stunden.

    Sie hätte gerne gewusst, ob sich diese heute Morgen so plötzlich aufgetauchte Zwillingsverbindung wiederholen ließ und ob diese Verbindung so eine Art Gedankenlesen war. Testweise versuchte sie Arthurs Gedanken zu erahnen, aber sie konnte absolut gar nichts hören.

    Schade.

    Antonia seufzte. Sie hätte das mit dem Gedankenlesen wirklich gerne gekonnt. Sie war in den meisten Sachen nur durchschnittlich begabt und sie hätte wirklich gern irgendein besonderes Talent gehabt.

    Dann wäre ich wenigstens ein besonders talentierter Zwilling, überlegte sie.

    Der Bus gab unerwartet ein ächzendes Rumpeln von sich und Antonia guckte hoffnungsvoll aus dem Fenster, aber sie waren schon fast bei der Schule, was bedeutete, sie würde definitiv nicht um die ersten beiden Unterrichtsstunden herumkommen, selbst wenn der alte Bus nun kaputt ging.

    Da heute der letzte Schultag vor den Ferien war, endete der Unterricht mit der Zeugnisausgabe in der dritten Stunde und die beiden Schulstunden vorher waren deswegen ziemlich unwichtig. Es gab eine Menge Lehrer, die das Gegenteil behaupteten, aber Antonia hatte die Vermutung, dass sich gerade solche Lehrer heimlich über die Gelegenheit freuten, besonders viel über unaufmerksame Schüler schimpfen zu können.

    Sie zog ihr Smartphone aus der Jackentasche und sah auf die Zeitanzeige. Anders als Arthur und sehr zur Sorge ihrer Mutter hatte sie das Handy ständig bei sich.

    Genau pünktlich.

    Sie verzog das Gesicht und überlegte, ob sie heimlich auf Arthur warten sollte, um so zu tun, als hätten sie sich zusammen verspätet. Allerdings war das Risiko hoch, dass sie sich verschätzt hatte und er gar nicht zu spät kam und da er so gut wie nie auf sein stummgeschaltetes Handy sah, konnte sie es auch nicht herausfinden. Sie wünschte, sie könnte ihre Gedanken einfach zu ihm rüberschicken oder zumindest vor ihrem geistigen Auge sehen, wo er war. Aber –

    Vermutlich könnte er in diesem Moment von einem Monster gefressen werden und ich würde absolut gar nichts –

    Urplötzlich sackte ihr Oberkörper nach vorne und sie hatte das Gefühl, einen kräftigen Schlag in den Magen verpasst bekommen zu haben. Ihre Haut begann zu prickeln und zu brennen und...

    Ich bekomme keine Luft.

    Sie sah Nebel vor ihren Augen und sie hörte Arthur denken: „Ich bekomme keine Luft!"

    Arthur? Was –

    Plötzlich füllten sich Antonias Lungen wieder. Das war so angenehm, dass sie für einen Moment glaubte, sie wäre auf einmal schwerelos geworden, aber dann setzte die ganze Kraft der Schwerkraft auch schon wieder ein und sie hatte das Gefühl, schnell und tief, sehr, sehr tief zu fallen.

    Und dann war es vorbei und Antonia nahm ihre äußere Umgebung wieder wahr. Die Busfahrt war zu Ende und der Zweitklässler vor ihr sah sie mit großen, beunruhigten Augen an. Antonia ignorierte ihn, sprang mit wackligen Knien aus dem Bus und rief Arthur an.

    KAPITEL FÜNF

    Metall

    Arthur fühlte Erde in Nase und Mund, ganz offensichtlich lag er auf dem Boden, er wusste nur nicht mehr warum. Mühsam hob er den Kopf. Er lag auf einer Wiese mit hohem, stachligen Gras und um ihn herum standen ein paar Nussbäume.

    Arthur blinzelte ein paar Mal und richtete sich dann auf. Irgendwo in ihm formte sich zähflüssig die Frage, was genau er hier machte. Er erinnerte sich langsam und dann immer schneller an den Nebel, an ein Prickeln und Stechen auf seiner Haut, an Atemnot und an das Gefühl, tief zu fallen.

    Noch immer leicht benommen, drehte er sich zu allen Seiten.

    Was...?

    Wo auch immer er war, aber er war definitiv nicht mehr auf dem sandigen Waldweg. Rechts von ihm lag ein dichter Nadelwald, aber der war zu sehr Nadelwald, um der richtige Wald zu sein, links von ihm streckte sich die Wiese mit den Nussbäumen in die Weite, vor ihm fiel die Wiese in einiger Entfernung flach ab und hinter ihm – … hinter ihm, befand sich tatsächlich ein ähnlicher Nebel wie der auf dem Waldweg. Die brausende Masse hatte sich zusammengeballt und schwebte nun einen Meter über dem Wiesengras. Es war unmöglich durch sie hindurchzusehen, aber trotz dem einheitlichen Weiß erkannte Arthur, wie sich die vielen Nebelschwaden stürmisch durcheinander mischten.

    Was ist das? Er erinnerte sich an die feinen Risse in der Luft, aus denen der Nebel hervorgequollen war und dachte skeptisch: So etwas wie ein Loch in der Welt? Oder ein Loch zwischen zwei Orten auf der Welt?

    Arthur überlegte, ob er den Nebel einfach nochmal anfassen sollte, um so wieder auf den Sandweg zurückzukommen. Er streckte die Hand aus, aber hielt dann doch inne.

    Ich kann mich hier wenigstens mal umsehen.

    Er drehte dem Nebel also den Rücken zu und ging an den weit auseinanderstehenden Nussbäumen vorbei. Er wusste nur deshalb, dass es Nussbäume waren, weil sie voller Nüsse hingen. An jedem Baum wuchsen mindestens zwei oder drei verschiedene Sorten und Arthur warf den Bäumen staunende Blicke zu, während er dort hinging, wo die Wiese abfiel. Überall um ihn herum brummten und summten Insekten und es war sehr viel wärmer, als es auf dem Waldweg gewesen war.

    Wie in einer verdrehten Version der Narnia Geschichte, überlegte Arthur und zuckte im nächsten Moment zusammen. Das, was unten im Tal lag, glänzte und glühte in der Sonne und in der allerersten Sekunde hatte Arthur gedacht, es würde sich bewegen, aber –

    Nur ein Dorf. Das ist nur ein Dorf.

    Das Dorf im Tal bestand aus einem kupferroten, flammenden Metall. Das Metall reflektierte das Sonnenlicht und Arthur musste schützend seine Hand vor die Augen halten.

    Es sieht, begann er beobachtend, ...wirklich irgendwie beweglich aus. Wie eine optische Täuschung oder so.

    Das Dorf war von einer Mauer umschlossen und es umfasste mindestens hundert eng stehende Häuser. Jedes Haus bestand aus dem flammenden Metall, jedes spiegelte das Sonnenlicht und jedes hatte ziemlich viele Kanten und Winkel. Die Häuser unterschieden sich alle voneinander, aber weil sie so eng zusammenstanden, wirkte es so, als würden die ganzen, perfekt ausgemessenen Kanten und Winkel ineinander überfließen und –

    Arthur schloss die Augen für einen Moment, weil er das unangenehme Gefühl hatte, die Häuser würden alle durcheinander rutschen. Er blinzelte im nächsten Moment wieder gegen das Sonnenlicht an und sah, dass das sowieso schon umzäunte Dorf außerdem noch voller langer Backsteinzäune war. Jeder Zaun grenzte an einen anderen, kein Zaun verlief ohne Abzweigungen und fast alle von ihnen grenzten mehr als nur ein Haus ein. Über einige Zäune wucherte dichtes Unkrautgestrüpp und Arthur entdeckte noch schiefe Wäscheleinen, auf denen bunte T-Shirts und lange Socken trockneten.

    Seltsam, dachte er, weil das Unkraut und die schiefen Wäscheleinen nicht so recht zu dem Rest des perfekt ausgemessenen Dorfs passten. Seine Augen wanderten weiter und plötzlich runzelte er die Stirn.

    Was ist das?

    Er war auf irgendwas Großes, Metallisches aufmerksam geworden, das ganz am Rand des Dorfes zwischen zwei Hausdächern klemmte. Arthur erkannte außer der metallischen Farbe noch so etwas wie Reifen, wodurch sein Verstand begriff, dass das Etwas ein verkehrt herum hängendes Auto sein musste.

    ...Aber wie ist es da hingekommen? Es kann doch nicht vom Himmel gefallen sein.

    Eine andere Erklärung wollte ihm allerdings weder einfallen, noch konnte er eine sehen und außer ein paar Hühnern, die unter den langen Socken im Staub pickten, konnte er im Dorf auch keine lebendigen Wesen entdecken.

    Aber wer auch immer hier wohnt, kann vielleicht Autos durch die

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