Minotaurus 504: Erzählungen
Von Kamel Daoud
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Über dieses E-Book
Verloren im Labyrinth ihrer Obsessionen, verfolgen diese "Helden" unermüdlich ihr Ziel. Sie kämpfen, um ihrem Dasein einen Sinn zu geben. In Daouds Erzählungen wird sichtbar, warum es in Algerien nach zehn Jahren Bürgerkrieg und weiteren zehn Jahren politischen Stillstands keinen "Frühling" gibt wie anderswo und weshalb Zehntausende junger Männer ihr Leben riskieren, um Europa über das Mittelmeer zu erreichen.
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Rezensionen für Minotaurus 504
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Buchvorschau
Minotaurus 504 - Kamel Daoud
verlag
Über dieses Buch
Vier Personen erheben ihre Stimme: Ein in die Jahre gekommener Taxifahrer warnt in seinem klapperigen Peugeot 504 die Fahrgäste vor der Hauptstadt, die ihm seine Illusionen geraubt hat. Ein ehemaliger Luftwaffenoffizier hat mit eigenen Händen ein Flugzeug gebaut, das er auf der internationalen Messe in Algier ausstellt, doch leider interessiert sich niemand dafür. Ein junger Algerier nimmt am 10 000-Meter-Lauf der Olympiade in Athen teil und kann nicht aufhören zu laufen. Ein Ghostwriter, der die Erinnerungen eines alten Analphabeten aufschreiben soll, fällt aus seiner Rolle und verändert den Text nach Gutdünken.
Verloren im Labyrinth ihrer Obsessionen, verfolgen diese »Helden« unermüdlich ihr Ziel. Sie kämpfen, um ihrem Dasein einen Sinn zu geben. In Daouds Erzählungen wird sichtbar, warum es in Algerien nach zehn Jahren Bürgerkrieg und weiteren zehn Jahren politischen Stillstands keinen »Frühling« gibt wie anderswo und weshalb Zehntausende junger Männer ihr Leben riskieren, um Europa über das Mittelmeer zu erreichen.
»Zwischen Absurdität und Wahnsinn lesen sich diese kurzen Texte wie ein kleines Brevier der Revolte, ein zutiefst poetisches und menschliches Manifest.« (Ch. R., Le Monde des Livres)
»Vier Männer, die, während sie ihrer Arbeit nachgehen, sich das Schwarze von der Seele erzählen: in Gleichnissen und Bildern von schwärender Sinnlichkeit. Märchenhafte Hassgesänge, zornige Liebeslieder: und neben der persönlichen Geschichte gelten sie immer auch den Aufständen, Mythen und Gespenstern Algeriens.« (Ingrid Mylo, Badische Zeitung)
Der Autor
Kamel Daoud wurde 1970 in der algerischen Hafenstadt Mostanagem geboren. Er begann seine journalistische Laufbahn als Straßenreporter und ist heute Chefredakteur des »Quotidien d’Oran«. Er schreibt französisch und veröffentlicht seine Artikel u.a. im Internetforum »Slate Afrique« und über Facebook. Seine Texte sind durch einen lebendigen, poetischen Stil und politischen Scharfsinn geprägt. Für den Erzählband L’Arabe et le vaste pay de ô… erhielt er 2008 den Mohammed-Dib-Preis. »In Deutschland und Algerien wissen wir zu wenig voneinander. Ich freue mich über die deutsche Ausgabe«, schrieb Kamel Daoud der Verlegerin, »in der Hoffnung, Ihre Leser mit einem imaginären Algerier und Araber bekannt zu machen.« Minotaurus 504 ist Daouds fünftes Buch und das erste, das in Frankreich erschien.
Die Übersetzerin
Sonja Finck lebt als freiberufliche literarische Übersetzerin in Berlin und Montréal. Für die Übersetzung des Romans Fever von Leslie Kaplan erhielt sie 2006 den André-Gide-Preis.
www.sonja-finck.de
Inhalt
Minotaurus 504
Der kerosinbetriebene Gibril
Der Freund in Athen
Das Vorwort des Schreibsklaven
Glossar
Impressum
Minotaurus 504
Ganz Algier lebt von meinem Geld, meiner Kohle, den 1700 Dinar, die mir vor siebzehn Jahren in der Nähe des Bahnhofs gestohlen wurden.
Was glaubst du denn? Dass man in Algier ankommt, nur weil man seine Tasche gepackt und ein Taxi genommen hat? Du bist lustig. Was schätzst du, wie viele sich wie du auf den Weg machen? Millionen! Alle Millionen Einwohner dieses Landes. Alle wollen nach Algier, weil sie glauben, die Stadt würde ihnen etwas zu essen und ein Dach über dem Kopf geben, sie würde ihre Kinder auf dem Rücken tragen und ihnen das Meer zeigen. Weißt du (jetzt beugt er sich zu mir, damit die anderen Passagiere uns nicht hören, die Augen bemüht abgebrüht zusammengekniffen), Algier ist keine Frau und kein Mann wie du und ich. Algier ist … Ich habe so was mal auf Canal plus gesehen. Ja, ich schaue nachts Canal plus wie wir alle, aber ich gebe es wenigstens zu (er grinste und wies mit dem Kinn auf unsere Mitfahrer im Rückspiegel), ich verheimliche es nicht. Jedenfalls sah ich dort – Allah steh uns bei – eine Frau mit Brüsten und einem in die Kamera gereckten Glied. Genau das ist Algier: eine Transsexuelle, wie man so sagt. Aber niemand weiß das. Manche wollen an ihren Brüsten nuckeln, doch sie spießt sie von hinten auf. Andere wollen sie heiraten und werden von ihr entjungfert. (Die Straße fesselte wieder seinen Blick, er ließ mich eine Weile in Frieden und hing seinen Gedanken nach. Wir fuhren über die neue Autobahn, die den Norden in einer schnurgeraden Linie durchschnitt. Mittlerweile war Algier nicht mehr die von allen Ecken des Landes am weitesten entfernte Stadt.) Weißt du, ich war einmal wie du: Auch ich machte mich auf den Weg nach Algier. Das ist schon Jahre her. Und es dauerte Jahre, bis ich dort ankam. Es war die Idee meines Vaters. Irgendwann beschloss er, ich solle mir mein Brot von nun an selbst verdienen. Er war ein starker Mann, ein Stier, der Jahr für Jahr seine Felder und meine Mutter beackerte. (Plötzlich wusste ich, woran mich der beißende Gestank im Taxi erinnerte: an Vieh, Stall, Fell und uringetränktes Stroh. Er bremste kurz, dann redete er weiter.) Ich erzähl’s dir. (Ich hatte ohnehin nichts Besseres zu tun, als diesem untersetzten Kerl mit Stiernacken und krummer Wirbelsäule zu lauschen, dessen Kopf so groß war, dass es aussah, als wäre er auf den Sitz geschraubt.) In den Siebzigerjahren wollte ich zum ersten Mal nach Algier. Ich bin ein echter Algerier, weißt du. Ich komme vom Dorf, ich kenne meine Eltern, nicht wie diese Schwätzer aus der Stadt. Meine Mutter hatte zwei Ehemänner, aber ich nur einen Vater. Der erste war ein hoher Beamter in der Präfektur, jemand mit Verantwortung, wie man so sagt, ein Mann, der es nie verstanden hat, das Begehren meiner Mutter zu wecken. Das sagte sie jedenfalls, oder vielmehr schloss ich es aus ihren Worten, als sie mir erzählte, wie sie meinem Vater zwischen hohen Gräsern begegnet war. Ich weiß also, wo ich herkomme, aber ich hatte damals keinen Ort, wo ich hinkonnte. Ich erinnere mich noch genau. Nicht an die Reise, sondern an den Dorfausgang. An die Straße nach Osten. Dort wartete ich auf ihn. Weißt du, auf wen? Nein, ihr jungen Leute wisst so was nicht mehr. Ich wartete auf den Bus nach Algier. In den Siebzigerjahren hielt noch in jedem Dorf ein Bus. Bei uns kam er um vier Uhr morgens. Ich war jung. Und ich hatte Angst, weil mir noch kein Bart wuchs (sein Schnurrbart war dicht, und