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Arglos im Ausland
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eBook224 Seiten2 Stunden

Arglos im Ausland

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Über dieses E-Book

»Ob wir wollen oder nicht, schlüpfen wir im Ausland immer in eine Rolle und sind oft völlig arglos, wie wir dabei auf andere wirken.«

Nachts nach einer Pressekonferenz mit Hans-Dietrich Genscher in Kairo die Pyramiden besichtigen? Oder im Rumänien der 1980er Jahre verdorbene Würste an Hunde verfüttern? - Es gibt
Dinge, die im Ausland äußerst missverständlich sind und unter Umständen sogar lebensgefährlich.

Als Journalist bereist Ingo Linsel die Krisenregionen dieser Welt. Dabei trügt die Sicherheit bequemer Beobachterplätze, die für die Presse in Konfliktregionen eingerichtet werden. Ob Ostblock
oder USA, Afrika oder Kosovo: Scharfsichtig, mit Feingefühl und einer gesunden Portion Humor erzählt er von fremdländischen Traditionen, Gewohnheiten und Unzulänglichkeiten.
Minen, ausgebrochener Hass zwischen Volksgruppen, Straßenbanden und mancherlei Fettnäpfchen drohen an jeder Ecke. Ingo Linsel, ein Argloser im Ausland, spürt, wie wenig die
heimischen Maßstäbe taugen und sieht sich plötzlich mit Situationen konfrontiert, in denen er selbst unfreiwillig zum Beteiligten wird.

»Zehn Begebenheiten, verteilt über viele Jahre von 1982 auf der Krim, 1987 im völlig heruntergewirtschafteten Rumänien, über Reisen in das von einer Mordserie an deutschen Touristen heimgesuchte Miami bis zu den Anschlägen auf deutsche Patrouillen in Afghanistan, schildern Ereignisse, bei denen ich mir zuweilen selbst wie in einem Kino vorkam.« (Ingo Linsel)
SpracheDeutsch
Erscheinungsdatum18. Sept. 2014
ISBN9783945408094
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    Buchvorschau

    Arglos im Ausland - Ingo Linsel

    2014

    Impressum

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

    Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Ur­heberrechts ohne Zustimmung des Verlages ist unzulässig.

    © by Verlag Neue Literatur

    Fotos: Ingo Linsel

    Gesamtherstellung: Satzart Plauen

    ISBN 978-3-945408-09-4

    Inhalt

    Impressum

    Vorwort

    Salami und Krähe

    Flucht vor der Sphinx

    Schreck im Township

    Menetekel auf der Mauer

    Da liegt der Hund begraben

    Touristenjagd in Miami

    Einladung in Damaskus

    Die Bobbahn

    Vergessen in der Hamada

    Das letzte Foto

    Bilder

    Vorwort

    Sie ist stolz, diese Südafrikanerin, die sich selbstbewusst vor ihre Gäste stellt und von ihrem harten Weg aus der Trostlosigkeit des Townships erzählt. Sie zieht die Europäer in den Bann einer faszinierenden Geschichte über eine Frau, die ohne Fahrerlaubnis und ohne Fahrpraxis mit einem Lkw aufbricht, um ihr Glück zu machen. In winzigen Schritten, mit ständigen Rückfällen. Und fast hätte unser Besuch bei ihr alles wieder zum Einsturz gebracht, was sie so mühevoll aufgebaut hatte. Aber sie nimmt den Kampf sofort erneut auf, und wir schauen wieder zu, besorgt um die eigenen Verluste, die uns die Versicherung alsbald ersetzt.

    Wie so oft sind wir Zuschauer. Wir meinen, auch das Elend der anderen verstehen zu können. Denn Arbeitslosigkeit, Verschuldung, sozialer Absturz sind allgegenwärtig. Aber uns trennen Welten. Die Südafrikanerin hat es förmlich aus dem Gleichgewicht geworfen, als sie nach dem Ende der Apartheid Lesen lernte und beim Putzen bei einer weißen Familie auf eine simple Rechnung stieß, die ihr den gigantischen Abstand klar machte zwischen ihrem Leben und dem der Stadtbewohner. Für ein einfaches Abendbrot, so las sie nun, geben sie mehr aus, als für ihre Arbeit einen ganzen Monat lang.

    Ich will in diesem Buch nicht moralisieren, denn ich bin auch nur besuchsweise hin und wieder in den anderen Teilen der Welt und würde mich angesichts der dortigen Nöte und Kriege keinesfalls von meiner Rückfahrkarte trennen. So bin ich zutiefst verletzt, wenn mich ein syrischer Taxifahrer einmal spüren lässt, wie es ist, nicht als gleichwertiger Mensch akzeptiert zu werden, wenn mit mir als einem Ungläubigen experimentiert wird und es zum Rollentausch kommt. Plötzlich werden andere zum Beobachter und ich ein zum Frevel angestiftetes Versuchskaninchen, bei dem darauf gewartet wird, dass es die finsteren Mächte augenblicklich verschlingen. Nicht immer ist ein solcher Rollentausch harmlos. Als ein vermeintlicher Serbe werde ich im Kosovo immer tiefer in die Altstadt von Prizren getrieben und weiß dabei, dass man einen Serben hier nicht lebend entkommen lässt. Die Männer, die mir den Rückweg abschneiden, sind allerdings völlig überrascht von der Chuzpe, ihre Brandstiftung an serbischen Häusern zu fotografieren. Sie haben offenkundig nicht mal ein Messer bei sich, und das verschafft mir Zeit.

    Ob wir wollen oder nicht, schlüpfen wir im Ausland immer in eine Rolle und sind oft völlig arglos, wie wir dabei auf die Einheimischen wirken. Ob mit unbedeckter Schulter in einem mosle­mischen Land oder beim Durchstreifen der Ghettos von Miami, in denen die Ausgeschlossenen leben, die niemals als Gleichwertige in Restaurants und Hotels Zutritt haben. Wir sind wieder entsetzt über die Brutalität, wenn von dort aus Jagd gemacht wird auf die von der anderen Seite.

    Immer wieder stoße ich an die Begrenztheit meiner eigenen Gedankenwelt. Ich ertappe mich dabei, doch nicht glauben zu können, dass die entlang der Bobbahn von Sarajevo vergrabenen Minen töten sollen und muss mich auf die sicheren Wege zurückzerren lassen. Ich habe nicht am eigenen Leib erfahren, was passiert ist, seit ich ein paar Jahre zuvor an derselben Stelle den Bobfahrern zugejubelt hatte bei ihrem Rennen nach olympischen Medaillen.

    Genauso wenig habe ich eine wirkliche Vorstellung davon, über Jahrzehnte von den streng bemessenen Rationen internationaler Nahrungshilfen in den Flüchtlingslagern der Saharauis in der Wüste leben zu müssen mit der Gewissheit der eigenen Machtlosigkeit und der Gleichgültigkeit all der anderen Nationen gegenüber diesem bitteren Los.

    Zehn Begebenheiten, verteilt über viele Jahre von 1982 auf der Krim, 1987 im völlig heruntergewirtschafteten Rumänien, über Reisen mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher nach Nahost während des Zweiten Golfkrieges bis zu den Anschlägen auf deutsche Patrouillen in Afghanistan, schildern Ereignisse, bei denen ich mir zuweilen selbst wie in einem Kino vorkam.

    Salami und Krähe

    »Da draußen steht jemand, wir müssen ganz leise sein«, flüsterte ich. Eine seltsame Gestalt verbarg sich hinter dem Blätterwerk. Die Konturen kamen mir völlig verzerrt vor. Irgendetwas Längliches ragte aus dem Rücken. Der Nacken erschien wie der eines Stieres. Ohne dass ich es mir erklären konnte, strömte Gefahr von diesem Wesen aus.

    Vorsichtig zog ich am Reißverschluss, um den Zelteingang noch etwas weiter zu öffnen. Mehr erkennen ließ sich dennoch nicht.

    »Du hast ein schlechtes Gewissen und siehst Gespenster«, versuchte Angelika, viel lauter als mir jetzt lieb war, das Ganze zu bagatellisieren.

    Ich zischte wie eine Schlange und bat mir Ruhe aus.

    Übertrieb ich? Sicher, wir zelteten schwarz. Begeistert sein werden die Bauern nicht, dass wir unmittelbar an ihrem Maisfeld lagerten. Erst recht klatschen sie nicht vor Freude in die Hände, wenn sie am Autokennzeichen die Deutschen erkennen. Doch ist das alles noch kein Grund, gleich mit der Sense auf uns loszugehen. Sollte es Ärger geben, kann ich ihnen ja die Karte zeigen, auf der hier ein Campingplatz eingezeichnet ist, dachte ich. Mein guter Wille war schließlich vorhanden, trotz der auf kleine Tagesrationen beschränkten Umtauschmöglichkeit von DDR-Mark in tschechoslowakische Kronen die Gebühren zu bezahlen.

    Die Gestalt bewegte sich etwas. Noch war es schummrig im frühen Morgenlicht, unter dem Buschwerk kauerte völlige Dunkelheit. Aber das Längliche über der Schulter hob sich nun deutlicher ab. Eindeutig zeigte sich ein langgezogenes Messer. Eher verblüfft als erschrocken erkannte ich ein Bajonett. Darunter konnte also nur ein Gewehr sein, schlussfolgerte ich.

    Wieso lief hier zwischen dem Maisfeld und dem kleinen Wäldchen, in das wir uns gestern Nacht verzogen hatten, ein Kerl mit aufgepflanztem Bajonett herum? Dass es eine Frau sein mochte, schloss ich inzwischen aus. Sollten wir in ein Manövergebiet geraten sein? Dann hätten doch aber Schilder auf den Truppenübungsplatz hinweisen müssen. Der Mann mit dem Gewehr machte noch einen Schritt zur Seite, ohne uns näherzukommen. Sein Stiernacken entpuppte sich als ein Netz, das ihm vom Stahlhelm herunterhing. Zum Glück schaute er in die entgegengesetzte Richtung. Wenn er mich wahrscheinlich nicht sehen konnte, so doch aber unser Zelt und erst recht unseren »Rosaroten Panther«.

    Angelikas Kopf schob sich nun neben meinen in den Zeltausgang. »Wer ist das?«, zeigte sie auf den Mann. Ich zuckte mit den Schultern.

    »Wohl kein Bäuerlein, das auf seinen Mais aufpasst«, versuchte ich zu scherzen. »Trägt er einen Mückenschutz?«, raunte sie mir ins Ohr. Richtig, das Netz konnte nur gegen Mückenstiche dienen. Hier war doch aber weit und breit kein See.

    Gedanklich breitete ich die Karte vor mir aus, die im Auto lag. Ich erinnerte mich an die kurz vor Bratislava eingezeichneten drei Campingplätze. Die Autobahn hatten wir schon zuvor verlassen. Das eingekreiste »C« stand zwei Mal auf der linken Straßenseite und einmal auf der rechten. Ein See wäre mir garantiert aufgefallen, weil wir dort ja zuerst den Zeltplatz gesucht hätten. Doch wir standen bereits vor dem Ortsschild Bratislava, ohne dass zuvor ein Hinweis an einer Kreuzung zum Campen einlud. Wir hatten also gewendet und fuhren zurück, bis wir an einen nach links abzweigenden Schotterweg kamen, auf den viele Autospuren führten. Auch hier stand kein Schild, aber es wurde schon dunkel, und wir beschlossen, einfach so weit zu fahren, bis wir irgendwo in der Botanik das Zelt aufstellen konnten. Es ging durch die Felder, an den Wegkreuzungen behielten wir unsere Richtung bei.

    Wenn hier Wasser war, dann gab es nur eine Möglichkeit.

    »Die Donau!«, durchzuckte es mich. »Um Gottes willen, da drüben liegt bereits Österreich, das vor uns ist ein Grenzer«, raunte ich Angelika zu. »Wenn die uns hier entdecken, liegt alles klar auf der Hand: Wir haben uns nachts angeschlichen, um die Posten zu beobachten und in einem geeigneten Moment mit unseren Luftmatratzen über die Donau zu schwimmen. Die sperren uns sofort ein wegen versuchter Republikflucht. So viel Dämlichkeit, ausgerechnet hier einen Campingplatz gesucht zu haben, nimmt mir auch der Gutmütigste nicht ab.«

    Mir wurde bang. Geistesgegenwärtig eilte ich nach drau­ßen, um schnellstens die Schnüre zu lösen und das Zelt flach zu legen. Auch die Heringe herauszuziehen, wagte ich nicht mehr. Jedes Geräusch hätte uns verraten können. Dann schloss ich den Trabi auf und schob ihn schleunigst unter den Mais. Geduckt, fast kriechend holten wir die Luftmatratzen und Decken und stopften sie über das Gepäck auf dem Rücksitz. Ebenso das Zelt. Ganz vorsichtig schoben wir die Metallstangen dazwischen, keine durfte die andere berühren und womöglich klirren. Mit den letzten Utensi­lien der Nacht in der Hand wagte ich noch einen Blick durch die Büsche auf den Grenzsoldaten. Der zeigte uns den Rücken und unterhielt sich. Den zweiten konnte ich nicht entdecken. Auch einen Fluss sah ich nicht, aber die Bäume und Büsche gehörten offenkundig bereits zu seinem Auenwald.

    Wie konnten wir überhaupt unerkannt bis hierher kommen, fragte ich mich. Hatte das Maisfeld gestern Nacht komplett die Scheinwerfer und das Motorengeräusch geschluckt? Wurden wir womöglich schon längst beobachtet, und man ließ uns nur gewähren, um zu sehen, welchen Plan zur Flucht wir hatten? Dies schien mir jetzt am wahrscheinlichsten. Denn niemals wären wir daheim mit dem Auto unbemerkt auch nur in die Nähe der Westgrenze gekommen. Wenn das hier in der Tschechoslowakei so viel leichter gehen sollte, hätte sich das längst herumgesprochen.

    Vorm Auto hockend überlegten wir, wie es jetzt weiter­gehen sollte. Wir mussten uns wegschleichen, aber für den Fall, dass schon mehrere Ferngläser auf uns gerichtet waren, durften wir durch unser Verhalten nicht noch den Verdacht bestätigen. Wir vereinbarten also, nicht von der Aussage abzurücken, dass wir einen Campingplatz gesucht haben und erst angesichts der Grenzer erkannten, wo wir wirklich waren. Ihnen gaben wir uns nicht offen zu erkennen, weil das ja sofort den Abbruch des Urlaubs und unangenehme Verhöre nach sich gezogen hätte.

    Natürlich verbot es sich, jetzt einfach den Motor zu starten und davonzubrausen. Keinesfalls hätten die Posten in etwa dreißig Meter Entfernung das Geknatter unseres Zweitakters überhört. Beide schoben wir unser Gefährt mindes­tens einen Kilometer den Feldweg zurück. Ich klemmte mich in die offene Tür, um lenken zu können.

    Die Sonne ging auf, es war angenehm kühl. Über das Getreidefeld waren wir nun weithin zu sehen. Noch immer zu schieben, wäre albern. Wir verschnauften einen Moment, setzten uns dann ins Auto. Ich atmete tief durch, bevor ich den Zündschlüssel umdrehte. Wurden wir vorn an der Straße schon erwartet? Im zweiten Gang tuckerte der Trabi vor sich hin, ich wollte keine große Staubwolke aufwirbeln.

    Die Straße nach Bratislava war erreicht.

    Sie war menschenleer. Ob dennoch daheim bereits jemand über unseren Akten brütete, konnten wir allerdings nicht ausschließen. »Wenn sie uns auf dem Kieker haben, werden wir jetzt an der ungarischen Grenze auf Strich und Faden gefilzt«, meinte Angelika düster. Von Urlaubsstimmung konnte nicht mehr die Rede sein. Mit gemischten Gefühlen passierten wir Bratislava in Richtung Ungarn. Verschüchtert legten wir unsere Pässe vor.

    Aber es passierte nichts, man winkte uns einfach durch. Eine Zentnerlast fiel ab.

    In Ungarn fanden wir am Abend mühelos einen Zeltplatz und schlürften Pepsi-Cola mit den besten Grüßen vom Gulaschkommunismus. Es herrschte buntes Händlertreiben ohne einen einzigen Stand. Vor allem die polnischen Touristen zeigten nicht die geringste Scheu. Mit Digitaluhren über den gesamten Unterarm gestreift und Jeans zweifelhafter Herkunft durchkämmten sie das Terrain.

    »Das glaubst du jetzt nicht«, erzählte Angelika aufgeregt, als sie vom Duschen zurückkam. »Soeben wollte eine Frau meinen Rock kaufen und die Schuhe auch noch.«

    »Was hat sie denn geboten«, war ich neugierig geworden. »Denkst du im Ernst, ich feilsche hier um meine Klamotten«, wendete sie sich brüsk ab. Ich lachte und sie nun auch. Aber es war noch immer kein befreites Lachen. Die eigentliche Herausforderung stand uns schließlich noch bevor, und dunkle Schatten hatten sich bereits über die Fahrt auf dem Teil der Strecke gelegt, der uns vertraut war. Was mochte uns erwarten auf der Schlussetappe, dahin, wohin kaum ein Urlauber noch fuhr – nach Rumänien.

    *

    Befangenheit kletterte die Beine hoch. Irgendetwas lief falsch, und der Fehler lag bei mir. Deutlich genug ließen das die Blicke spüren, die mich trafen. Bislang ignorierte ich sie. Denn wenn ich wirklich etwas verkehrt machte, ließ die schier endlose Autoschlange Zeit, das Ganze aufzuklären. Vom Kontrollpunkt war noch nichts zu sehen. Eigentlich stand jede Menge Langeweile bevor. Sie wurde noch verstärkt durch die sich trostlos von Ungarn nach Rumänien ausbreitende Tiefebene. Bis zum Horizont verwischte sich ein eintöniges Grün. Wieder öffnete sich eine Lücke in der Autoschlange. Wieder startete ich den Motor, um sie zu schließen. Und wieder wurde ich angestarrt. Selbst im Nacken spürte ich den stummen Vorwurf. »Gelchen«, versuchte ich zu scherzen, »können die uns hier nicht leiden?«

    »Vor allem keine Angeber, die Benzin vergeuden«, kam die bissige Erwiderung vom Beifahrersitz. Ich war baff. Erst jetzt fiel mir auf, dass sich die Pkw-Karawane anders bewegte als im Stau üblich. Sobald sie sich auseinanderzog, stiegen die Fahrer aus, stützten sich wuchtig in die Türrahmen und schoben. Ich war der einzige, der demonstrierte, dass ihn die Not der anderen nicht kümmerte. Freilich von nun an nicht mehr. Nicht unangenehm aufzufallen, lautet schließlich die erste Regel, wenn man fremd ist. So wurde unser »Rosaroter Panther«, der eigentlich orange war, aber wie jeder Trabi einen liebevoll ausgewählten Ehrennamen trug, als ein Exot in der Masse von »Dacia« bis zur rumänischen Grenze gehievt. Worin ich nach dem ersten Grenzabenteuer zumindest schon Übung besaß.

    Als ein Urlaubsparadies präsentierte Staatschef Nicolae Ceauºescu, von dem niemand ahnen konnte, dass er nur noch zwei Herrschaftsjahre vor sich hatte, seinen Staat schon seit langem nicht mehr. Auch die fremdenhungrigen Ostdeutschen, die jenseits des Eisernen Vorhanges zu den häufigsten Touristen zählten, blieben weitgehend aus. Dass ich nach einem Journalistenaustausch ein Jahr zuvor nochmals hierher kam und auch noch meine Frau zum Mitkommen überredete, lag allein an der überschwänglichen Gastfreundschaft. Der Lokalredakteur Wolfgang Hase, ein Banater Schwabe, hatte mich privat eingeladen. Wobei wir in der abendlichen Weinseligkeit, in der wir einst diese Pläne schmiedeten, zwar die Abenteuerlichkeit erkannten, nicht aber die Undurchführbarkeit.

    Dabei war selbst der einstige Aufenthalt als offizieller Gast schon mehrfach in Bereiche geraten, in denen ich mich hilflos wähnte. Wie beim Empfang auf dem Flughafen von Bukarest, als mich Wolfgang hastig abends um neun Uhr sofort zum Ausgang schleifen wollte, und ich nicht wusste, was ich ihm antat mit meinem Wunsch, erst mal einen Happen zu essen. Mit den Fäusten hatte er die verschlossene Tür des Flughafenrestaurants so lange traktiert, bis sie sich tatsächlich auftat und im Tausch gegen ein beachtliches Bündel Banknoten ein paar Käsebrötchen sichtbar wurden. Peinlich berührt stand ich ein Stück abseits. Die Bemerkung, dass mir eigentlich etwas ganz anderes vorschwebte als belegte Brötchen, hatte ich mir geistesgegenwärtig verkniffen. Wolfgang hätte sie wahrscheinlich nicht mal gehört, so sehr beschäftigte ihn die Sorge, wie wir nach diesem Zeitverlust noch in die Stadt kommen.

    Ich wusste, dass derjenige, der mich abholte,

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