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Das Himmelreich der Lügner: Roman
Das Himmelreich der Lügner: Roman
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eBook605 Seiten8 Stunden

Das Himmelreich der Lügner: Roman

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Über dieses E-Book

In Wien am Abend des 12. Februar 1934, nach dem Ausbruch des binnen kürzester Zeit entschiedenen Bürgerkriegs, ziehen fünf Freunde und Sozialdemokraten aus, um eine Welt zu verteidigen, die es schon nicht mehr gibt, und sich der »Neuordnung Europas« entgegenzustellen. Einer von ihnen, Bruno Schindler, erzählt von diesem vergeblichen Unternehmen. Er selbst rettet sich in die Sowjetunion und kehrt nach dem Krieg nach Wien zurück, wo er den Schicksalen seiner Freunde nachspürt: Die einen sind umgekommen, die anderen haben sich Hitler angeschlossen, wenigen gelang die Flucht ins Ausland. Schindler selbst kehrt in seine Stadt fremd, heimat- und hoffnungslos zurück.

Die Wiederentdeckung eines Meisterwerks der österreichischen Nachkriegsliteratur: Ein hochpolitischer, berührender Roman, ein Panorama der österreichischen Geschichte.
SpracheDeutsch
HerausgeberPicus Verlag
Erscheinungsdatum1. Feb. 2023
ISBN9783711754813
Das Himmelreich der Lügner: Roman

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    Buchvorschau

    Das Himmelreich der Lügner - Reinhard Federmann

    signale

    1

    Jetzt, nach mehr als zwanzig Jahren, kann ich nicht beschwören, ob alles so gewesen ist. Manchmal scheint mir, als sei ich seither nicht viel älter geworden. Dann wieder kommt mir der Mensch, den ich da in Erinnerung habe, unbegreiflich kindisch vor, überhaupt unbegreiflich. Eine Trübung stellt sich ein, sobald ich gewisse Situationen schärfer betrachten will. Eben waren mir die Ereignisse jenes Tages noch selbstverständlich, nun beginnt alles in einem unbestimmten Licht zu zittern. Die einfachsten Dinge entfallen mir. Ich sitze bei Olga, in ihrem Zimmer. Das Zimmer weiß ich noch. Es war prunkvoll eingerichtet und sehr hell. Für eine größere Summe kann man sich zu jeder Jahreszeit eine ganze Menge Helligkeit kaufen, selbst Tageslicht. Es war ein trüber Tag im Vorfrühling; ich habe ihn als hell in Erinnerung. Das kommt, weil die Fenster riesengroß waren. Die ganze Wohnung war überdimensional. Wäre es nach mir gegangen, ich hätte darin vier Arbeiterfamilien einquartiert – nur hätte ich dann Olga aus ihrer Wohnung vertreiben müssen. Ich hatte damals viel gegen die Reichen. Olga nahm ich aus. Nicht, weil sie mir Geld gab. Sie gab mir Geld, sooft ich sie besuchte, sie steckte es mir heimlich zu.

    So weit erinnere ich mich. Aber etwas stimmt schon hier nicht. Wie konnte sie mir heimlich Geld zustecken? Als ob ein Mensch, dessen Taschen immer leer waren, nicht gemerkt hätte, wenn sich plötzlich ein Zwanzigschillingschein darin fand! Die Sache war offenkundig. Wir sprachen nur nicht darüber. Es geschah wortlos wie alles Wichtige im Leben. Aber das ist eine These, und mit Thesen muss ich vorsichtig sein. Die meisten Thesen, zu deren Anhänger ich mich machen ließ, haben sich zu irgendeinem Zeitpunkt als falsch herausgestellt. Für mich. Das alles gilt nur für mich. Ich muss damals ein querköpfiger Bursche gewesen sein und ziemlich wild, und es geht nicht an, dass man aus meinem Verhalten Rückschlüsse auf meine Freunde zieht, auf meine Partei, auf meine Landsleute. Das bin nur ich. Wenn ich es bin.

    Das wird mir nämlich immer zweifelhafter. Ich sage, ich war wild. Ich glaube, wie ich da bei Olga sitze, in ihrem Zimmer, bin ich ganz zahm. Ich sehe auf meine zerbeulten Schuhe nieder. Ich komme mir überflüssig vor.

    Ich könnte sagen, das war 1933, im März, in Wien, in einer Wohnung in der Porzellangasse. Ich könnte sagen: Olga war ein schönes Mädchen, für mich war sie überhaupt die Schönste. Ich könnte sie beschreiben, jedes Sinnesorgan und jeden Körperteil. Aber was wäre damit gewonnen? Ich könnte unser Gespräch aufschreiben, obwohl ich mich ganz bestimmt nicht an ein einziges Wort erinnere, das an diesem Nachmittag gesprochen worden ist. Sicher, ich weiß noch, worum sich’s drehte, das weiß ich sogar genau. Aber die Worte? Weiß ich, an welcher Stelle sie Atem holte, wann sie errötete, wann ich erblasste? Ich glaube, errötet ist sie nie, und mir habe ich keinen Spiegel vorgehalten.

    Die Zusammenhänge könnte ich erzählen. Dass Heinz nebenan im Bett lag, in einem abgedunkelten Kabinett. Dass Olga mich nicht zu ihm hineingehen ließ – sie sagte, er müsse seine Ruhe haben. Er hatte, glaube ich, eine Gehirnerschütterung, und sein Nasenbein war gebrochen. Sie hatten ihn um die Mittagszeit überfallen, am Franz-Josephs-Kai, mit Schlagringen, zwei Nazis von der Universität. Sie hatten ihn zu Boden geworfen und waren auf ihm herumgetrampelt. Er selbst wusste das nicht so genau, sie hatten ihn nicht einmal angesprochen, er wusste nur, dass er misshandelt worden war. Ein Kleiderhändler, der dort sein Geschäft hatte, erzählte ihm nachher den Vorfall in allen Einzelheiten, ihm und einem Wachmann, der sich inzwischen eingefunden hatte. Es mussten ziemlich viele Leute zusammengelaufen sein, um den Verletzten zu betrachten. Vorher hatten nur ein paar zugeschaut, aus einer gewissen Entfernung. Und Heinz erzählte es Olga, da war er aber noch benommen, und wer weiß, wie viel er seither schon vergessen hatte.

    Nun erzählte Olga es mir. Sie hatte mich zu Hause angerufen, ich war gleich gekommen. Dabei hatten wir tags zuvor ausgemacht, wir würden einander nicht mehr sehen. Heinz Rubin war mein Freund, beinahe mein einziger. Durch ihn hatte ich Olga kennengelernt, die beiden waren verlobt. Das waren die Zusammenhänge.

    Solche Dinge merkt man sich ja leicht. Ich möchte aber berichten, was ich gesehen und gehört habe, gesprochen, gedacht. Ich weiß es nicht mehr. Ich müsste es erfinden. Obwohl gewisse Tatsachen natürlich bestehen bleiben. Es ist in der Porzellangasse. Nebenan liegt Heinz, vielleicht bewusstlos. Wir hören ihn nicht einmal stöhnen. Ich sitze bei Olga. In ihrem Zimmer.

    Da war ein gewaltiges Bild. Angeblich stammte es von Tischbein dem Älteren. Ich glaube, Olga war ziemlich stolz darauf. Es war vielleicht drei Meter lang und gegen zwei Meter hoch und stellte Hektors Abschied von Andromache dar. Andromache hatte einen mächtigen gelben Busen und rote Augen vom Weinen. Wenn ich nicht irre, war auch eine dicke bläuliche Träne zu sehen. Das ist ja ganz verständlich beim Abschied. Ihre Frisur bestand aus sauber geflochtenen Zöpfen, drei-, viermal um den Kopf gewickelt, und ereignet hat sich diese Geschichte vor ein paar Tausend Jahren in Kleinasien. Hektor sah echter aus. Er sah aus wie ein Rabbiner. Er hatte aber keinen schwarzen Hut auf, auch kein schwarzes Käppchen, sondern einen goldenen Helm mit rotem Federbusch darauf. Das Kind in den Armen einer stramm bäuerlichen Amme sah nach gar nichts aus. Ich musste mir immer vorstellen, wie es Speere warf und die Götter ehrte. Aber Olga war nicht erbaut, wenn ich über das ehrwürdige Bild lachte. In einer Beziehung ging das Kind nach der Mutter. Es war blond. Das sollte gewiss einen rührenden Effekt machen. Ich wüsste zwar nicht, warum man schwarzhaarige Kinder nicht ebenso rührend finden sollte oder rothaarige. Jedenfalls ist sicher, dass auch das Christuskind meist blond dargestellt wird.

    Wie Homer berichtet, ist Hektor kurz darauf vor der trojanischen Mauer erstochen worden, in der Art, wie man Schweine ersticht. Danach hat man ihn an den Füßen aufgehängt und zwölfmal um die Stadt geschleift oder neunmal oder siebenmal, irgendeine heilige Zahl wird es schon gewesen sein.

    Ich möchte mich klar ausdrücken, ich möchte eindeutig sein. »›Bruno‹, sagte Olga«, möchte ich schreiben, »›du machst dir ganz unnötige Gedanken.‹« Vielleicht sagte sie etwas Ähnliches. Ich weiß es nicht. Und Olga weiß es schon gar nicht mehr. Ob sie sich noch an ihr Tischbeinbild erinnert, an diesen Tag im März, einen trüben Tag, an mich, wie ich auf meine deformierten Schuhe schaue? Ich hatte etwas versäumt, ich war nicht dabei gewesen. Ich hatte nicht zuschlagen können, um Heinz zu helfen. Es war nicht schwer, ihn anzufallen. Gewiss, er war groß, aber so dürr, dass er schon im bloßen Gehen einzuknicken schien, und seine Augen hinter den dicken Brillengläsern hatten meist einen ganz verwunderten Ausdruck. Ich bin sicher, er hatte die Schläger nicht einmal auf sich zukommen sehen. Ich hätte mich wahrscheinlich rasch auf sie eingestellt. Ich wog damals um die achtzig Kilo, und ich war im Boxen trainiert, wenn auch ohne Schlagring. Olga meinte, sie wären auf ihn losgegangen, weil er unserer Sozialistischen Jungfront angehörte, aber die zwei Hakenkreuzler hatten ihn ja gar nicht gekannt, sie waren einfach wegen seiner großen, blutlosen, jüdischen Nase über ihn hergefallen. Es musste genug Blut herausgeflossen sein, »der ganze Anzug ist voll«, sagte Olga, »er kann ihn nie mehr anziehen«. Ich saß bei ihr, in ihrem Zimmer. Draußen hörte ich Geschrei: Damen, die zu Besuch kamen. Olgas Mutter hatte ihren »Jour«. Und es roch nach essigsaurer Tonerde.

    Ich überlegte vielleicht, wie sie es diesmal anstellen würde, mir Geld zu geben. Und sicher hasste ich auch an diesem Tag die Reichen, schon gar, sobald ich aus dem Vorzimmer dieses Altweibergeheul hörte, ich hasste sie nicht, weil sie Geld hatten, sondern einfach so. Wahrscheinlich, weil sie es alle Welt wissen ließen, sehr laut, sehr frech, oder weil ich nicht reich war. Das ist wohl ein hinreichender Grund zu hassen. Weil sie mich zwangen zu betteln. Olga wird es mir nicht übel nehmen, wenn ich hier mitteile, dass ich sie in bestimmten Phasen kräftig hasste, die Schöne, denn in der Liebe muss eine gewisse Portion Hass schon Platz haben, sonst wäre an der Liebe nicht viel dran. Dabei war doch sicher nicht sie es, die mich zum Betteln zwang, ich war es, der sich dazu zwang, ihr Geld einzustecken, das von Schweinen stammte. Es war allerdings ziemlich gleichgültig, woher das Geld stammte, es war auf jeden Fall nicht meins. Ihr Vater kaufte und verkaufte Schweine, ganz Wien lebte von seinen Schweinen, und er auch, und Olga auch, sogar ein kleines Taschengeld blieb ihr noch für Kleider und dergleichen und Reitstunden oder was sie sonst Kostspieliges nötig hatte, in Konzerte zu gehen, Tennis zu spielen, in Cafés herumzusitzen, und von dem Rest, den sie schon nur mehr aus Laune loswurde, lebte ich. Das will heute nicht viel heißen: Tennis spielen, in ein Café gehen. Damals verrauchte ich pro Tag dreißig Groschen, und das war schon eine Sünde wider mein Budget. Falls ich jemals eins aufgestellt hatte. Die Zigaretten, die ich rauchte, hießen »Film«, sie waren ganz dünn, und das Stück kostete einen Groschen, den hundertsten Teil eines Schillings. Heinz Rubin, der nur sehr wenig rauchte, trug immer Memphis-Zigaretten bei sich, hauptsächlich, um mir davon anzubieten. Er behauptete, die Film seien nicht mit Tabak gestopft, sondern mit Pferdemist, aber ich rauchte seine Zigaretten immer mit schlechtem Gewissen, weil ich mir bei jedem Zug vergegenwärtigen musste, dass ich für diese Memphis sechs Film bekommen hätte. So war es also: Heinz spielte den Raucher, um mir unauffällig Zigaretten anbieten zu können, und Olga machte sich unter irgendeinem Vorwand im Vorzimmer zu schaffen, um einen Geldschein in meine Manteltasche zu stecken. Ich nahm das Geld nicht gern von ihr, aber immer noch lieber als von meinem Vater. Ja, auch ich hatte einen Vater aufzuweisen oder vielmehr nicht aufzuweisen, denn ich wusste nicht, wie der Mann hieß, ich weiß es heute noch nicht, ich habe ihn nie gesehen. In meinem Geburtsschein steht hinter dem Titel Kindesvater das Wort »unbekannt«, was dafür spricht, dass meine Mutter eine schweigsame Frau gewesen ist. Auch Herr Schindler, seines Zeichens Postrat, der später meine Mutter geheiratet und mir seinen von ihm sicher für ehrlich gehaltenen Namen vermacht hat, wusste mir über dieses Thema nichts Näheres zu sagen.

    Das Motiv dieses Versteckspiels kenne ich nicht, Tatsache war, dass mein Vater mit mir nur durch Mittelsleute verkehrte, die sich weigerten, meine Fragen zu beantworten. Eine davon, ein spitznäsiges Fräulein, war vier Jahre hindurch eine Art Nährmutter für mich gewesen. Jeden Monatsersten schob sie mir ungnädig hundertzwanzig Schilling über den Tisch, und ich hatte den Empfang mit meiner Unterschrift zu bestätigen. Sie war die Sekretärin eines Anwalts namens Wegerich, der seine Kanzlei in der Bäckerstraße hatte, in einem schäbigen Palais Josephinischen Stils. Der Hausflur war mit großen gelben Kacheln ausgelegt, und eine schwarze Hand mit ausgestrecktem Finger wies den Weg zum Büro des Anwalts. Einmal drang ich zu ihm vor. Er sagte mir, das Geld stamme von einem Gönner, und fragte mich mit gespieltem Staunen, wie ich zu der Vermutung käme, es handle sich um meinen Vater. Dieser Vater ließ sich verleugnen, er zeigte sich mir nicht. Ich war der Meinung, dass ich dann auch seine milden Gaben nicht brauchte. Vielleicht hatte er Angst, ich würde ihn nicht sympathisch finden. Oder er hielt mich für ein so verächtliches Etwas, dass es sich für ihn gar nicht lohnte, mich in Augenschein zu nehmen. Erst spät bin ich auf den Gedanken gekommen, dass er sich vielleicht vor mir schämte.

    Damals war ich beleidigt. Ich wollte nicht mehr zu Doktor Wegerich gehen und verzichtete auf meine Monatsrente. Nun stand ich mit einem angefangenen Studium da, hatte nichts Ordentliches gelernt, was mir zum Geldverdienen verholfen hätte, saß im Vorzimmer des Genossen Heller herum in der Absicht, ihm Artikel für sein Kulturressort anzubieten, und stellte mich mit düsterer Miene bei Olga ein.

    Alles wäre anders gekommen, hätte ich mich nicht bei Frau Kraus in der Meyerbeergasse eingemietet, denn dort in dem Haus an der Augartenmauer wohnte auch Heinz. Es ist nicht gleichgültig, in welchem Haus man wohnt. Ich glaube nicht an geheimnisvolle Schicksalsfäden, die einen zu bestimmter Zeit an einen bestimmten Ort dirigieren; wer solchen Glauben einmal in sich ausgerottet hat, dem wird er nicht mehr aufgepfropft werden können. Ich glaube an die Macht der Umgebung, heute wie damals. Zu Anfang hatte es gewiss nicht viel zu bedeuten, dass ich Heinz mitunter an der Haustür begegnete, manchmal auch im Augarten, in dessen Alleen er gern spazieren ging – wenn man das Spazierengehen nennen konnte. Er bewegte sich anders als die Mütter und die Bonnen, die mit trägem Behagen quietschende Kinderwagen vor sich her schoben, anders als die schwankenden alten Männer mit ihren steifen schwarzen, halbrunden Hüten: Er lief. Er lief an den sorgfältig gestutzten Baumreihen vorüber, am Goldregen und am wilden Knoblauch, und ich bin sicher, dass er die Sandhaufen nicht sah, auf denen Kinder herumkrochen und Gräben zogen und weinend um bunt bemalte Blecheimer stritten, Sandburgen bauten, Staudämme oder den großen Kuchenberg aus dem Schlaraffenland, den später irgendein Fuß zertrat.

    Ein Dieb läuft so über den Markt, wie Heinz Rubin zwischen prächtigen Dahlienbeeten über den Sonnenplatz lief, im Schutz der gelben Mauer mit dem Bronzebrunnen und dem geplatzten Verputz, die übrig geblieben war, als die Türken das alte Schloss verbrannten. Im Zickzack entfernte er sich von den Schilderhäusern der Kaiserin Maria Theresia und von alten Frauen, die auf Ruhebänken ächzten.

    Heinz Rubin war kein Dieb; ihn interessierte nicht, was dieser Menschenmarkt zu bieten hatte. Nie stand er bei den argwöhnisch umherspähenden Burschen in ausgefransten Hosen, die an abgelegenen Stellen das verbotene Glücksspiel »Kopf oder Adler« trieben, indem sie Kupfermünzen in die Höhe warfen und sich danach wie auf Kommando bückten, um festzustellen, ob das Geldstück seine Zahl zeigte oder seine Wappenseite. Er presste nicht wie andere Männer seine Nase an das Maschengitter, hinter dem halb nackte Mädchen Handball oder Völkerball spielten, der gespannten Aufmerksamkeit, die sie erregten, wenn sie rannten und schrien und sich reckten, durchaus bewusst. Die berittenen Polizisten, die sich hoheitsvoll in ihren Sätteln wiegten, boten ihm kein Schauspiel, ebenso wenig die krummbeinigen Parkwächter, die fluchend jugendliche Sünder jagten und auch nicht die jugendlichen Sünder selbst, die auf den Hügeln der ausgedehnten Mistablagerungsstätte ihre Steinschlachten schlugen. Hier, in der von Kies bedeckten und von Baumscheren geglätteten Wildnis, war er allein, im Nieselregen und in den Staubwolken des Herbstwindes, unter den dunklen Sommerkronen der Kastanien und unter dem Rauch aus den Schloten der nahen Porzellanfabrik, der an diesen kühlen Märztagen über dem weißgrauen Himmel hing.

    Heinz war auf der Flucht – wie er mir später sagte: vor seiner lärmenden Mutter, in deren Gegenwart er nicht ruhig nachdenken konnte. Und er hatte viel nachzudenken, für ihn war nichts in Ordnung: weder seine Familie, in der er als Taugenichts galt, noch seine wenigen Freunde, die ihn mit einer Art nachsichtigen Misstrauens betrachteten. Auf Befehl seines Vaters, eines Reisenden in Krawatten, hatte er angefangen, Medizin zu studieren, aber das war nichts für ihn gewesen. Es ist ihm zu alltäglich, sagte seine Mutter, er will etwas Besonderes. Ich glaube auch, dass er etwas Besonderes wollte. Seitdem ich ihn näher kannte, hatte ich den Eindruck, er sei auf der Suche nach dem archimedischen Punkt.

    Heinz setzte seinen Willen durch, indem er in Ohnmacht fiel, als man ihn zum ersten Mal in den Seziersaal ließ. Sein Vater gab auf; es erfüllte ihn allerdings mit Entsetzen, dass Heinz nun auf Physik umsattelte. Ein Doktor ohne Patienten oder Klienten war für Herrn Rubins Begriffe ein wertloser Mensch. Darum rühmte er mich immer vor Heinz, unermüdlich, sooft er uns zusammen antraf. Ich war seiner Ansicht nach auf dem Weg zu einem Broterwerb, ich konnte ein Doktor Wegerich werden mit einträglichen, dunklen Geheimnissen, die ich mit bürgerlich korrekter Miene in meinem Schreibtisch verwahrte. Ich dachte nicht daran, solch eine Karriere einzuschlagen. Das aber Herrn Rubin zu erklären, diesem Herrn Rubin, der sich Tag für Tag hurtigen Schritts zum Krawattenverkauf begab, wäre vergebliche Mühe gewesen.

    Eigentlich lernte ich Heinz erst bei den Veranstaltungen der sozialdemokratischen Studenten kennen. Dort war er nach langem Umherirren bei allen möglichen Sektierern gelandet. Damals fiel es schon ins Gewicht, dass ich ihn vom Sehen kannte, und mehr als einmal musste ich ihm beispringen, denn er war ein unbequemer und darum oft angefeindeter Diskutierer, der es verstand, den einfachsten Beschluss durch querulantische Einwände hinauszuzögern. Bald ergab es sich, dass wir einander auch außerhalb dieser Veranstaltungen trafen, und so lernte ich seine Freunde kennen und Olga. Wie ich aber an Frau Kraus geraten bin, in jenes Haus an der Augartenmauer, in dem auch Heinz wohnte, das weiß ich nicht mehr. War es eine Empfehlung gewesen? Von wem dann? Ein Inserat?

    Ich sage: Ich war beleidigt und wollte nicht mehr in die Kanzlei des Doktor Wegerich gehen, um das Geld meines anonymen Vaters entgegenzunehmen, aber ich fürchte, an meine Entschlüsse kann ich mich am allerwenigsten erinnern. Alles geht von selbst. Unversehens gerät man in eine Abhängigkeit, die man nicht herbeigewünscht hat, sitzt in einem fremden Zimmer, weiß, dass man schon auf der Treppe in die Manteltasche greifen wird, um nachzusehen, wie viel man diesmal geerntet hat, verbietet sich solche Gedanken, weil man doch ein edler Mensch sein will, das verlangt die Weltanschauung, und nebenan liegt der Freund, dem das Mädchen gehört, und man fängt schon an, von den eigenen auf ihre Schuhe zu schauen, und der nebenan blutet vielleicht noch immer, oder er fängt gerade wieder zu bluten an und kann sich nicht rühren und hat keine Stimme. Aber so sehr gehörte ihm Olga nicht.

    Er nannte sie seine Braut. Vielleicht sagte er auch nur: meine Braut, weil ihm das Wort Freundin zu unanständig vorkam? Ich weiß nicht mehr, wo sie einander kennengelernt hatten; wahrscheinlich an der Universität. Vielleicht gerade an dem Tag, an dem Heinz ohnmächtig geworden war? Aber nein, ich beginne, Geschichten zu erfinden.

    Es war nicht sehr wahrscheinlich, dass die beiden jemals heiraten würden. Olga konnte zwar machen, was sie wollte, ihr Vater wurde mit derlei Nachrichten sicher nicht behelligt, und es spielte darum vorläufig auch keine Rolle, ob die Familie Rubin mit dem Krawattenvertreter als Oberhaupt ihm sonderlich konveniert hätte – und für Olgas Mutter war Heinz einfach einer von den jungen Leuten, um die Olga sich kümmerte, aus irgendwelchen Gründen, die sie nichts angingen. Aber Heiraten war doch ein wichtiges Ding in der Gesellschaft, die sich bürgerlich nannte, besonders wenn so viel Geld im Spiel war. Ich glaube, im entscheidenden Augenblick hätte der unfreiwillige Brautvater doch ganz wie seine patriarchalischen Vorfahren ein Machtwort gesprochen – und Olga als mittelloses, aber treu sorgendes Erfinderweib: Das konnte ich mir nicht gut vorstellen.

    Heinz und ich haben über solche Dinge nicht gesprochen, ich hätte mich auch nie getraut, ihn danach auszufragen. Aber ich habe viel darüber nachgedacht, ein bisschen zu viel, wie mir scheint, warum die beiden sich als Verlobte ausgaben. War das Liebe? Ich möchte mich nicht dafür verbürgen. Ich glaube nur zu wissen, dass Heinz und Olga sich in all den Jahren auf einen Augenblick gefreut haben, zu dem es niemals gekommen ist.

    Gerade an jenem Nachmittag muss mir der Widersinn dieser Beziehung deutlich geworden sein. Ich saß da und wusste nicht recht, was Olga von mir wollte. Sie hatte mich einfach zu sich bestellt, und ich war gekommen wie immer: nur dass ich diesmal ohne Heinz an ihrer Wohnungstür erschienen war. Natürlich: Heinz war ja schon da. Aber sie ließ mich nicht zu ihm. Wir saßen allein in ihrem prächtigen Zimmer. Wir sprachen kaum. Am Telefon hatte sie gesagt, es sei sehr wichtig. Nun stellte sich heraus, dass es für mich nichts zu tun gab. Die Anzeige hatte der Kleiderhändler erstattet, und Olga hatte einen Arzt verständigt. Die zwei Schläger waren mir unbekannt. Ich konnte sie nicht suchen. Nichts war wichtig. Niemand brauchte mich.

    Gewiss kann es nicht so gewesen sein, dass ich die ganze Zeit auf meine Schuhe starrte. Wahrscheinlich war es nur eine Sekunde. Ich habe mir eben nicht viel mehr gemerkt als diese eine Sekunde. Und den tristen Anblick des leeren Schaukelstuhls.

    Der Schaukelstuhl passte zu Olga. Sie war sehr für Bequemlichkeit. Meist lag sie auf dem Diwan, wenn wir sie besuchten, und las und lutschte Bonbons. Sie hatte es nicht nötig, auf irgendein Vergnügen zu verzichten, etwa, um sich ihre Schlankheit zu erhalten. Sie war zwanzig Jahre alt. Sie war sicher, dass sie immer schlank bleiben würde. Ihr Gesicht hätte man, so wie es war, in Gips abdrücken müssen, um es für alle Zeiten zu bewahren.

    Damals sind mir solche Gedanken nicht gekommen. Genau wie Olga war ich tief davon überzeugt, dass wir alle immer jung bleiben würden. Und dann hätte man auf einem metallenen Abbild ja auch nicht ihre Augen gesehen.

    Sie machte sich keine Sorgen über die Wirkung, die sie auf andere ausübte, Männer oder Frauen. Oft kam es mir vor, als wolle sie die Vollkommenheit ihrer Erscheinung mit Absicht beeinträchtigen. Sie steckte sich in abgetragene Kleider, zog dicke Wollstrümpfe an, ihr glänzendes schwarzes Haar hatte sie kurz abgeschnitten, und manchmal näselte sie nur so vor sich hin, hielt sich krumm, schnitt Grimassen. Es schien, als wolle sie die Mühelosigkeit ihrer Haltung, ihres Ganges, ihrer Stimme ins Lächerliche ziehen, ihren Körper für sein Ebenmaß bestrafen.

    Der Schaukelstuhl ruhte still auf den tiefsten Punkten seines geschweiften Rahmens. Er stand im vollen Licht, nahe am Fenster. Ihn hatte Heinz Rubin zu seinem Stammplatz erkoren. Er pflegte sich darin ganz zurückzulegen und dozierend auf und nieder zu wippen, aber wir wussten immer, dass er es in dieser behaglichen Haltung nicht lang aushalten würde. Sobald das Gespräch stockte, musste er aufspringen, und dann tanzte der Lehnsessel auf seinen Kufen wie ein losgelassener Kreisel.

    Das ist alles, was ich noch weiß: die großen Fenster, der Glanz des Parketts, auf dem armselig und fremd meine rissigen Schuhe standen, der seltsam stille Schaukelstuhl und die großen gelben, nackten Brüste der Andromache, deren Anblick mich ärgerte. Die trojanische Prinzessin hatte doch gerade erst ein Söhnchen bekommen, ihre Brüste hätten bläulichweiß sein müssen. Auch von gelben Zöpfen konnte bei ihr keine Rede sein. Schwarzer Filz umstand ihre zornige Stirn: denn sie war es, die ins Zelt des Achilles einbrach, nicht gekrochen kam wie der geschlagene alte Priamos. Und zu dem Sieger sagte sie: Was denkst du dir eigentlich, mir den Mann zu erschlagen, du Vieh? Wo soll ich denn hin mit meinen sechzehn Jahren? Und der Unverwundbare, vom stolzen Sieg immerhin ermattet, muss sehr verdutzt dreingeschaut haben. Die weinerliche Miene der Andromache auf dem Bild war ein Irrtum. Und das Gelb kam vielleicht nur vom Staub der Jahrhunderte.

    Ich will hier Rechenschaft ablegen. Stattdessen erzähle ich von einem Bild, das längst seinen Besitzer gewechselt hat, von einem Schaukelstuhl, der vielleicht nicht einmal mehr als Asche im Bombenschutt vorhanden ist. Von Parkwächtern und alten Frauen, von Kastanienkronen, einem Bronzebrunnen, den ich einmal flüchtig ansah, vom Fabrikrauch, der so verflogen ist, dass kein Physiker der Welt mir sagen könnte, in welcher Gestalt er heute auf Erden ist.

    Und mein Gedächtnis hat mir einen Streich gespielt. An jenem 3. März des Jahres 1933 hat sich für mich nichts Wesentliches geändert. Das ist einen Tag früher geschehen. Zur Mittagszeit. Und dabei war von meinem Freund Heinz Rubin keine Rede.

    Ich weiß nicht, wie ich das sagen soll. Ich müsste vielleicht ein bisschen über mich Auskunft geben, um damit ein gewisses Maß an Interesse zu wecken. Man findet das ja meist, dass der Held – und ich bin hier so etwas wie ein Held, im perspektivischen Sinn, versteht sich –, dass der Mann im Vordergrund also möglichst gleich zu Anfang geschildert wird. Aber auch da weiß ich nicht, wie ich vorgehen soll. Ich müsste eine alte Fotografie von mir hernehmen und mich genau betrachten, dann Stück für Stück beschreiben, kritisch, aber nicht ohne Sympathie. Der Jammer ist nur, dass ich keine Fotografie aus jener Zeit besitze. Und was die Dinge betrifft, die ich getan habe: Ich sehe mich mit Vorliebe in Ruhestellung, sitzend, untätig. Wenn ich jetzt darangehe zu beweisen, dass alles, was ich getan habe, eigentlich nicht meiner Initiative entsprang, dann tue ich damit genau das, was ich nicht beabsichtigt habe. Aber ich bin nun schon auf dem Weg.

    Tags zuvor. Ich sitze in meinem unbezahlten Kabinett an einem wackeligen rostroten Tisch, ich schaue auf das trübselige Gemäuer der Spedition gegenüber und schreibe einen Brief an das Dekanat.

    Es sollte ein sachlicher Brief werden, sein Anlass war traurig genug. Aber mir war damals, weiß Gott, schon recht viel von meiner Sachlichkeit abhandengekommen. Der Sinn stand mir nicht nach beruflicher Karriere, sondern einzig nach einem politischen Umschwung. Wir Sozialdemokraten waren jedoch an der Universität hoffnungslos in der Minderheit. Die meisten Studenten, zumal die Juristen, waren Söhne großdeutscher Beamter oder katholischer Kleinbürger. Sie waren daher entweder Hakenkreuzler oder Mitglieder des Christlichen Cartellverbandes. Es widerstrebt mir, sie alle, die unsere Gegner waren, kurzerhand als Bürgerliche zu bezeichnen, denn ich möchte bezweifeln, dass es in dem Land, das fünfzehn Jahre zuvor noch die engere Kammer des Imperiums gewesen war, eines Imperiums, in dem seit Jahrhunderten die Beamten diktiert hatten, ein Bürgertum überhaupt gab. Es gab ergraute Hofräte und ergraute Kolonialwarenhändler und noch mehr ergraute Pensionisten; es gab ein paar ehrgeizige, einander befehdende Minister und den Patronenfabrikanten Mandl, Gatten der Filmschauspielerin Hedy Kiesler, die sich dadurch einen Namen machte, dass sie nackt auf der Leinwand erschien. Es gab den Fürsten Ernst Rüdiger Starhemberg, der es nicht verwinden konnte, dass er im Weltkrieg kein großer Feldherr geworden war und sich darum eine Privatarmee geschaffen hatte; die nannte er, falsch, aber klangvoll, die Heimwehr. Es gab Bischöfe. Es gab einen jüdischen Bankier, der gerade damals, als seine kleine Bank der Weltwirtschaftskrise nicht länger standhalten konnte, Selbstmord verübte, um es damit seiner Familie zu ermöglichen, ihren weiteren Unterhalt mithilfe seiner Lebensversicherungspolizze zu bestreiten. So hatte jeder seinen spezifischen Glauben: Der glaubte an seinen Versicherungsvertrag (und soweit die folgenden sechs Jahre in Betracht kommen, mit Recht), der glaubte an seine Patronen (dieser Glaube reichte nur für fünf Jahre), der an die Geldbedürftigkeit seiner Anhänger. Und auch die Teppichhändler glaubten bestimmt an etwas Besonderes. Die Briefmarkenhändler glaubten an die Blaue Mauritius; die Warenhausbesitzer an die magische Kraft der Zahl Achtundneunzig, und die Journalisten glaubten an das, was sie schrieben, zumindest (wie schon in der Berufsbezeichnung angedeutet) einen Tag lang. Nun frage ich mich, wo da das Bürgertum zu suchen gewesen wäre.

    Freilich, es gab eine Menge Staatsbürger, die sich darüber einig waren, bürgerlich gesinnt zu sein, aber ich bin sicher, dass jede kleine Kaste sich unter Bürgertum etwas anderes vorstellte. Wozu noch kommt, dass die Stützen der bürgerlichen Parteien nicht so sehr die Städter waren, sondern die Bauern (von denen es mehr kleine gab als große). Bei ihnen aber wuchs schneller als das Gras der Hass auf die offenbar unnütze Millionenstadt, die nach unerforschlichen Ratschlüssen Geld entweder spendete oder schluckte. Vielleicht könnte man der Sache doch auf den Grund gehen. In diesem Fall müsste ich vom guten Kaiser Franz und seinem Metternich erzählen, was mir absolut kein Vergnügen machen würde, und vom Fürsten Windischgrätz. Ohne die Voraussetzungen zu erörtern, wird es nicht möglich sein, einen bestimmten Augenblick der Geschichte darzustellen. Die Beweggründe verzweigen sich ins Unübersehbare: ein Gewirr von Wurzelwerk, dessen Mark nie das Tageslicht gesehen hat.

    Und noch etwas hindert mich, sie bürgerlich zu nennen. Es ging mir schon damals nicht wie Karl Marx, dessen Gesicht sich, sooft er das Wort »Bourgeoisie« aussprach, zu einer Grimasse des Ekels verzogen haben soll. Nicht, dass ich bereit gewesen wäre, mir den Mantel der Objektivität überzustreifen; es wird wahrscheinlich ganz im Gegenteil dem erzieherischen Einfluss des Postrats Schindler zuzuschreiben sein, dass ich mit dem Wort »bürgerlich« immer auch ein wenig die Vorstellung »zivilisiert« verbunden habe. (Vielleicht war es auch nur eine Folge des Lateinunterrichts.) Zivilisiert jedenfalls ging es bei uns in jener Zeit nicht zu. Mehrmals war die Universität wochenlang geschlossen, teils um die täglichen Schlägereien zwischen den Studenten verschiedener Parteizugehörigkeit zu verhindern, teils aus Protest gegen das Eingreifen der Polizei auf akademischem Boden. Auch wir hatten uns gegen diesen Rechtsbruch der Regierung gewandt, in einer Flugschrift, die ein ganz hübsches Gesellenstück an Spitzfindigkeit war. Denn eigentlich mussten wir der Polizei für ihr Dazwischentreten dankbar sein. Falls unsere Gegner sich einmal untereinander einigten, waren sie ohne Weiteres imstande, uns jederzeit aus der Universität hinauszuprügeln, so groß war ihre Übermacht, und so rau waren ihre Sitten.

    Jene Flugschrift hatte mich zum Verfasser. Ich hatte aber anonym zu bleiben, denn ich hatte sie im Parteiauftrag geschrieben. Nicht ohne Elan, aber in dem sicheren Bewusstsein, dass ihre praktische Wirkung gleich null sein würde. Zu allem Überfluss war bei der Verteilung des vervielfältigten Manuskripts einer unserer Freunde erwischt worden. Nun erwartete ihn die Relegation.

    Es war ein parteiloser Student. Wir waren ja nur ein kleiner Kader und zogen darum mit bemerkenswerter Vorurteilslosigkeit alles an uns, was nicht gerade klerikal war, nationalsozialistisch oder unpolitisch aus Prinzip. Wurde dieser Parteilose nun relegiert, dann wirkte dies bestimmt ziemlich abkühlend auf die mehr oder weniger begeisterten Gemüter unserer Anhänger. Wir mussten den Kollegen retten, und so schrieb ich eine Eingabe, die mit möglichst vielen Unterschriften versehen werden sollte. Auch diese Intervention hatte nicht viel Aussicht auf Erfolg, aber ich war damals sehr eifrig bei der Sache, denn wir mussten uns doch wenigstens selbst einreden können, wir hätten uns aus allen Kräften gewehrt.

    Ich war nicht zufrieden mit meinem Brief. Unversehens waren mir Äußerungen entschlüpft, die nicht dazu angetan waren, den Adressaten milder zu stimmen, und ich war gerade dabei, sie sorgfältig zu streichen, als ich durch das Telefon unterbrochen wurde.

    Am Wandapparat stand schon Frau Kraus, den Hörer in der Hand. Sooft es zu klingeln begann, kam sie ins Vorzimmer getrippelt und fragte besorgt nach der Absicht des Anrufenden. Das war ihr gutes Recht, denn sie war die Einzige, die für das Telefon bezahlte; wozu sie sich eins hielt, weiß ich nicht genau, ich denke aber, dass sie ohne die immerwährende Möglichkeit, in rege Beziehung zur Welt zu treten, einfach nicht sein wollte. Selten rief jemand sie an. Es war fast immer für mich.

    Diesmal war es Olga. Sie bestellte mich zu einer Autobushaltestelle in der Rotenturmstraße. Ich bat sie, mir zwanzig Minuten Zeit zu lassen, da ich noch etwas Dringendes zu tun hätte. Frau Kraus blieb eine ganze Weile bei mir stehen, offenbar in der stillen Hoffnung, es liege ein allseitiger Irrtum vor, und in Wirklichkeit sei doch sie gemeint. Erst als ihr ganz klar geworden war, dass ich mit jemandem sprach, der mir nicht unbekannt war, nickte sie entsagend und ließ mich allein.

    Ich stand im Halbdunkel und bat Olga, ein bisschen zu warten. Aber sie hatte keine Lust dazu, sie war schon im Weggehen. Sie wollte mich ja nicht treffen, um sich Liebeserklärungen von mir anzuhören; sie hatte, wie schon früher oft, die Idee, mir zu einer ordentlichen Mahlzeit zu verhelfen, und das hielt ich für eine sehr gute Idee.

    Der Brief blieb so liegen, wie er war. Ich ging nicht einmal mehr in mein Kabinett zurück. Ich hatte es eilig. Meine dringende Arbeit bestand darin, zu Fuß zu gehen. Es hatte mir widerstanden, Olga zu sagen, dass ich kein Geld für den Autobus hatte. Sonst hätte sie mich, ihr revolutionäres Beutestück, womöglich noch im Taxi zur Mast spediert.

    Ich ging denselben Weg, der mich früher immer in die Kanzlei des Doktor Wegerich geführt hatte. Dabei war ich froh, ohne Mantel zu sein. Ich schwitzte, aber ich kam trotzdem zu spät. Sie war schon da. Ich erkannte sie von Weitem. Sie sah ein bisschen abweisend aus und so, als sei sie recht zufrieden mit sich und der Welt. Wir passten in keiner Beziehung zueinander. Sie trug einen Pelzmantel und ein Barett, das sie schräg aufgesetzt hatte und das schmaler war als ihr Kopf. Das Lächeln, mit dem sie mich begrüßte, kam mir herablassend vor. Und eine halbe Stunde später sagte ich ihr, ich hielte es für besser, wir würden einander nicht mehr sehen.

    Das war in einem angenehmen Restaurant nahe beim Stephansplatz. Es hatte mich sonst nie gekümmert, wenn sich neugierige Blicke auf uns richteten oder wenn irgendjemand über uns tuschelte. Natürlich, ich passte nicht zwischen die Gäste, aber das ging niemanden etwas an, solange ich unser Essen bezahlte. Und ich bezahlte immer, denn Olga pflegte mir unter dem Tisch ihre Börse zu reichen.

    Aber diesmal kam der ironische Blick von einem jungen Mann, den ich kannte. Es wäre zu viel, ihn einen Bekannten zu nennen. Eugen Naderny, Student der Rechte, war ein gewandter und in diesem Augenblick durchaus kultiviert wirkender Mensch, der bei seinen Freunden sicher sehr beliebt war. Bei mir nicht. All die Kämpfe, die mir so schwer zu schaffen machten, führte ich gegen ihn. Er war Anführer der klerikalen Studenten an unserer Fakultät: der Feind schlechthin.

    Er saß mit einer hübschen Blondine am Nebentisch. Er aß mit ziemlich gezierten Bewegungen, er sprach durch die Nase, vornehm und unverständlich, er trug einen dunklen Anzug und ein milchweißes Hemd, und ich müsste mich sehr irren, wenn in seiner Krawatte nicht eine Nadel geblitzt hat. Er war ein wohlerzogener junger Mann, groß und schlank, die Haare schienen an seinen Schädel geklebt zu sein, so glatt lagen sie an, und einmal wippte er ganz leicht auf seinem Stuhl und machte Olga eine Verbeugung. Ich hätte nicht im Schlaf daran gedacht, dass sie Naderny kannte, und bezog seine Verbeugung im ersten Augenblick auf mich. Ich war der Meinung, er wolle mich frotzeln, und ich hatte schon Lust, aufzustehen und Streit mit ihm anzufangen, aber dann sah ich, wie Olga ihm dankte. Ich konnte sie nicht fragen, woher sie ihn kannte, die beiden saßen uns zu nahe. Ich verschlang die Malakofftorte, zu der Olga mir geraten hatte, dann bestellte ich noch zwei Mokka, aber ehe der Kellner zurückkam, stand der cand. jur. Naderny auf und half seiner Blondine in den Mantel, und als sie an unserem Tisch vorbeigingen, verbeugte er sich noch einmal. Und höhnischer lächeln, als der da lächelte, kann niemand.

    Als dann der Kellner uns den Mokka gebracht hatte und weggegangen war, fragte ich Olga. Sie kannte Naderny von einem Ball. Sie hatte mit ihm getanzt. Der Bursche, dessen ganzes Sinnen und Trachten darauf gerichtet war, uns aus der Sphäre, die er seinesgleichen vorbehalten wollte, zu verdrängen, dieser Bursche schien ihr nicht übel zu gefallen. Ich sagte nichts weiter über ihn, aber ehe wir aufbrachen, sagte ich ihr das von dem Nicht-mehr-Sehen. Sie nahm es ruhig auf und fragte mich nicht nach meinen Gründen, dann reichte sie mir unter dem Tisch noch die Börse. In dem Lokal sprachen wir nichts mehr. Auf der Straße gab ich Olga ihre Geldbörse zurück. Ich wollte damit anfangen, ihr alles zu erklären. Aber sie verabschiedete sich und ging schnell weg. Ich sah ihr nach, und sie gefiel mir besser als je zuvor. Ich war sicher, dass ich sie nicht mehr sehen würde.

    Wenn einer sehr krank war und gesund geworden ist, aufsteht und so tut, als sei alles in bester Ordnung, und am nächsten Tag schlimmer krank ist als je zuvor, dann gelobt er Besserung. Vielleicht hält er sich nicht lange an sein Gelöbnis, aber zunächst einmal bereut er.

    Ich bereute nichts. Weder meine zornigen Worte vom Vortag noch die Tatsache, dass ich nun wieder in Olgas Zimmer saß, als wäre nichts geschehen. Ich hatte nicht im Entferntesten das Bewusstsein, dass ich krank sei. Ich war es ja gewohnt, hier zu sitzen und darauf zu warten, dass Olga mir irgendwelche Annehmlichkeiten erwies. An diesem Tag stellte sich erst allmählich heraus, was sie überhaupt von mir wollte. Sie begann leichthin, uns Vorwürfe zu machen, mir und ihm, der nebenan allein mit seinen Wunden im Bett lag und von dem man nicht einmal einen Seufzer hörte. Sie meinte, wir hätten uns auf zu viel eingelassen. Sie war heute gar nicht schlampig angezogen, wahrscheinlich wegen des Arztes, den sie erwartete; sie trug einen kurzen dunklen Rock und dazu etwas Schillerndes, wahrscheinlich eine Bluse; sogar Seidenstrümpfe hatte sie angezogen, es konnte mir nicht entgehen, als sie ein Bein übers andere schlug und sich vorbeugte, um mir ins Gewissen zu reden. Es war hübsch, sie anzusehen und ebenso lästig, ihr zuzuhören. Sie hatte keine Ahnung.

    Es war ganz zwecklos, mit Olga ein politisches Gespräch zu führen; sie tat zwar oft so, als hätte sie Sympathien für unsere Ansichten, aber sie konnte sie nicht wirklich verstehen, das viele Geld ihres Vaters hinderte sie daran. Gewiss, ich habe junge Leute aus reichem Haus gekannt, die sich fanatisch als Marxisten bekannten, am liebsten gleich als Kommunisten – eine Spezies übrigens, die damals so gut wie ohne Bedeutung war. Aber diese jungen Reichen mochten ihre Eltern nicht, sie schämten sich ihrer, verachteten sie. Bei Olga war es anders; sie wäre vielleicht imstande gewesen, ihrer freundlichen und nachsichtigen Mutter den Reichtum vorzuwerfen. Ihren Vater liebte sie.

    Mich hatte sie zu einer seltsamen Mission ausersehen. Sie verlangte von mir, ich solle Heinz davon abbringen, sich weiter um Politik zu kümmern. Er taugt doch nicht dazu, meinte sie, er hat Wichtigeres zu tun. Ausgerechnet mir sagte sie das.

    Aus Gewohnheit fing ich an, mit ihr zu diskutieren. Aber für Logik hatte Olga an diesem Nachmittag nichts übrig. Sie ließ mich ausführlich erklären, warum wir gezwungen waren, uns zur Wehr zu setzen, dabei lehnte sie sich zurück, hörte mir mit einer gelangweilten, leidenden Miene zu, und dann gab sie mir zur Antwort: Er kann sich doch gar nicht wehren.

    Ich habe gesagt: Ich kann mich bestimmt nicht an ein einziges Wort erinnern, das an jenem Nachmittag gesprochen worden ist. Nun, da ich Olgas mitleidig-überlegenes Lächeln vor mir sehe, da ich in meinen Muskeln das Zittern spüre, das ich damals gespürt habe, die Lust, aufzuspringen und etwas anzurichten, um diese dumme Überlegenheit von ihrem Gesicht zu löschen, glaube ich die Worte zu hören, die ich zu ihr gesagt habe, damals im März, in ihrem Zimmer: »Vielleicht weiß er nicht, dass er ein Mann ist.«

    Ja, das können meine Worte gewesen sein. Ich glaube, ich habe ziemlich laut gesprochen. Ich glaube, ich hatte vergessen, dass Heinz nebenan lag. Olga verstand mich genau, ich sah es daran, wie ihr Gesichtsausdruck sich veränderte. Ihre Augen verloren alles Leben, für eine kurze Spanne, in der wir beide schwiegen. Da war mir schon bewusst, dass ich etwas verbrochen hatte – gegen sie und gegen mich. Mein Zorn verflog.

    Und Olga saß mir noch immer gegenüber, keine zwei Meter von mir entfernt. Ein Schritt trennte mich von ihr. Ich wusste, ich würde diesen Schritt nicht mehr tun. Sie sprach zu mir. Für sie war Heinz nicht irgendein Mann, er war ein Mann mit Zukunft, der es nicht im Geringsten nötig hatte, die Welt dort zu verbessern, wo sie einfach nicht zu verbessern war, und eines Tages würde er ein großer Mann sein. Nebenbei sagte sie, dass es eigentlich schade um mich sei.

    Aber hauptsächlich sprach sie von Heinz. Ich glaube, sie beobachtete mich daraufhin, was ich für ein Gesicht machte, wenn sie seinen Namen nannte, und manches sagte sie in fragendem Ton, als erwarte sie eine Bestätigung von mir. Wahrscheinlich versuchte sie herauszubekommen, ob Heinz sich bei mir über sie beklagt hatte oder vielleicht auch nur über sich selbst. Sie machte das sehr geschickt, auf lauter kleinen Schleichwegen suchte sie an mich heranzukommen, und ich war beinahe taub vor Mitleid mit mir. Dazwischen kam mir auch der Gedanke, ich hätte Heinz einen guten Dienst erwiesen. Ich suchte mich als anständigen Menschen ins Blickfeld zu bekommen, und das ist doch ein sehr tröstliches Unterfangen.

    Nach einer gewissen Zeit muss Olga bemerkt haben, dass ich ihr nicht mehr recht zuhörte, denn sie saß mit einem Mal nicht bei mir, sondern stand am Bücherregal und nahm ein Buch heraus, das sie aber gar nicht ansah und gleich wieder zurückstellte. Dann fing sie an, in Schubladen zu kramen, und vielleicht hätte sie mich weggeschickt, wäre nicht gerade ihre Mutter hereingekommen.

    Ich glaube, genau werden wir nie wissen, bis zu welchem Grad ein Mensch uns ausstehen kann, aber bei Olgas Mutter hatte ich das sichere Gefühl, dass sie mich gut leiden konnte. Vielleicht war sie es, die mir heimlich das Geld in die Manteltasche praktizierte, und ich habe diesen schönen Zug nur in Olgas Charakter hineingeheimnist, aus einer übertriebenen Verehrung oder weil es mir das Nächstliegende zu sein schien?

    Olgas Mutter sah für ihre fünfzig Jahre erstaunlich jung aus, obwohl ich glaube, dass ihr kastanienrotes Haar nicht mehr ganz Natur war. Sie trug ein teures Kleid, sie hatte ja ihren Jour. Ich hatte den Eindruck, es sei schade um das viele Geld, das sie aufgewendet hatte, ihre magere kleine Gestalt zu umhüllen, denn sie konnte damit doch nicht verbergen, dass eins ihrer Beine steif war; sie schleppte es nach wie einen Fremdkörper. Vielleicht war sie deshalb so freundlich gegen die Welt?

    Olga schloss die Schubladen an ihrem Sekretär und kam zurück zu mir und zu ihrer Mutter, die mir die Hand gegeben hatte und bei mir stehen geblieben war, um irgendwelche Allerweltsfragen an mich zu richten. Offenbar wusste sie nichts von dem, was Heinz passiert war, und seine Abwesenheit schien ihr nicht aufzufallen. Sie wollte schon wieder gehen, aber dann blickte sie besorgt über den Tisch hin und fragte mit ihrer immer ein bisschen wehleidigen Stimme, warum Olga mir keinen Likör angeboten habe.

    »Er trinkt ja nicht«, sagte Olga.

    Wenn ich es nicht genau wüsste, könnte ich mir auch das nicht mehr vorstellen: Nein, ich trank nicht, Alkohol war in meinen Augen eins der Mittel, mit denen die Herrschenden das Proletariat in Schach hielten, ein Mittel zur Verblödung und zur Verschuldung. So war ich damals: hier These – hier Durchführung. Einfach war das. Es entsprach auch meiner Meinung über die bürgerlichen Gesetze, die ich studierte, um eines Tages an ihrer sinnvollen Ausmerzung mitwirken zu können. Ich hatte Victor Adler gelesen, ich wusste, warum die Arbeiter nicht trinken sollen. Die Enthaltsamkeit war ein Teil des Kampfes. Über die Zigaretten hat Victor Adler, soweit ich mich erinnern kann, nichts geschrieben. Vielleicht war er Raucher. Und dann war er auch Arzt. Ein Arzt, der unserer Neigung zum Laster nicht kleine Hintertüren offenließe, wäre ein schlechter Arzt. Wozu ich bemerken muss, dass ich nicht sicher bin, Maximen solcher Art schon damals erwogen zu haben. Dagegen fällt mir ein, dass die konsequenten Idealisten unter uns auch strikte Nichtraucher waren. Ebenso puritanisch waren ihre Ansichten über die Liebe. Es ist sehr gut, dass ich nicht versucht habe, eine vollständige Beschreibung von mir zu liefern, eine Statue des zwanzigjährigen Bruno Schindler aufzustellen, komplett ausgerüstet mit sämtlichen inneren und äußeren Eigenschaften. Ich müsste sonst alle Augenblicke mit einem Hammerschlag korrigierend eingreifen, und was bliebe dann übrig?

    Es verging nicht lange Zeit, da kam ein Dienstmädchen mit einem Tablett, das sie mit schüchternem Geflüster vor mich hinstellte. Kaffee und ein Stück Schokoladentorte mit Schlagobers: die Reste des Jours.

    Ich aß und trank, obwohl es mich störte, dass Olga nicht auch etwas bekommen hatte. Das hieß: du armer Mensch, da hast du, wir haben schon gehabt. Ich war damals in solchen Dingen empfindlich wie der ständig benachteiligte Insasse eines Greisenasyls. Vielleicht bemerkte Olga das. Sie stand auf und verschwand durch eine Tür, ohne dass mehr zu hören war als ein leichtes Rascheln, und ließ mich mit der Spende ihrer Mutter allein. Ich sah auf die Tür, die kaum auszunehmen war: dünne schwarze Striche in der goldbraun getönten Wand.

    Allein in diesem Zimmer zu sitzen, war schrecklich. Es war alles so schön, so gediegen, so unheimlich in Ordnung. Das Schlagobers war mir zu süß. Ich ließ die Torte stehen und ging Olga nach. An der dünnen Wand verschwörerisches Gemurmel. Die kalte Klinke in meiner Hand. Im Halbdunkel Olga, die an einem Bett hantiert. Sie wandte mir den Rücken zu. Da in den Kissen vor ihr und unter ihr musste Heinz Rubin sein.

    Zuerst sah ich nur seinen Fuß; er war gelb wie der einer Leiche.

    Warum ist er nur zu Olga gegangen?, fragte ich mich, warum ist er nicht nach Hause gegangen? Von dort, wo er überfallen worden war, hätte er es nach Hause fast näher gehabt als zu Olga. So hatte er sich den Donaukanal entlangschleppen müssen, quer über den lauten Tandelmarkt, über buckliges Pflaster, halb betäubt von Schlägen und Tritten. Und warum? Ach ja, er hatte Angst vor den ungeduldigen Fragen seiner Mutter, vor den Vorwürfen ohne Grund, die ihr Unverstand produzierte. Und Olga? Sah er in ihr die barmherzige Schwester, die seine Leiche waschen würde?

    »Warum bist du nicht nach Hause gegangen?«, fragte

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