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Die Luke
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eBook222 Seiten2 Stunden

Die Luke

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Über dieses E-Book

Andri Perls zweiter Roman "Die Luke" ist eine Liebeserklärung an sein eigenes Viertel in der Stadt. Perl kombiniert ein Kabinett von präzise gezeichneten Charakteren mit der latenten Spannung eines guten Kriminalromans und lässt die Geschichte um eine Luke in einem Mietshaus kreisen. In konsistentem Stil und eleganter Sprache beschreibt er die ganz normalen Menschen und Tragödien.

Mit subtilen dramaturgischen Kniffen und in gepflegtem Ton versteht es Perl, das Alltägliche zu verdichten und Spannung zu entwickeln. Perls Figuren wachsen einem sofort ans Herz, man hofft das Beste für sie, freut sich mit ihnen, leidet mit ihnen und will vor allem nicht, dass dieses Buch je zu Ende geht.
SpracheDeutsch
HerausgeberSalis Verlag
Erscheinungsdatum30. Aug. 2013
ISBN9783905801910
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    Buchvorschau

    Die Luke - Andri Perl

    Oktober

    Der zwanzigste September

    In diesen lichten Tagen nach einem lichten Sommer ist er in die Vergessenheit der Stadt geraten, schläft er tief unten auf dem Grund des Sees. Schon morgen aber kann er erwachen: der Nebel. Wie eine trittunsichere Amphibie nach der Verwandlung wird er seinen nassen Schlupfwinkel zunächst kaum verlassen und sich nur in der Dämmerung zeigen. Einzelne Schwaden in der Frühe, am Abend, entlang der Gewässer. Nicht der Rede wert. Bald allerdings gleichen sich Tag und Nacht, und je länger die Nächte dauern, desto schwächer wärmt die Sonne die Landschaft zwischen den Hügelketten, desto eher sättigt Feuchtigkeit die Atmosphäre. Nun braucht bloß noch lauere Meeresluft aus dem Süden auf die kühlen, bodennahen Luftschichten zu sinken, damit der Himmel für Wochen verschwindet. Dass das schöne Wetter anhält, kann natürlich auch sein; sogar bis in den Oktober hinein könnte es sich vor der kommenden Kaltfront retten, vermuten die Meteorologen vom staatlichen Fernsehen. Und sind die Blätter der Bäume nicht noch ziemlich grün? Die Wespen nicht immer noch ärgerlich flügge? Dringt die Helligkeit nicht immer noch früh durchs Wohnzimmerfenster, so wie jetzt? – Doch, aber man darf ihm einfach nicht trauen, dem Nebel, erst recht nicht während seiner Absenz.

    Ottavio Solari zieht also die Reservierungsbestätigung für die ersten beiden Übernachtungen aus dem Gerät und legt sie auf den Ausdruck des Flugtickets. Eine Liste mit den wichtigsten Nummern, die er führt, seit ihm einmal das Telefon gestohlen wurden, druckt er ebenfalls. Dann fährt er den Computer herunter. Er schiebt ihn ins Schutzetui, rollt das Kabel gleichmäßig auf und verstaut alles in der Schreibtischschublade. Die Dokumente hat er beisammen. Als er durch den neuen Pass blättert, um die Fotografie mit dem Geburtsdatum zu vergleichen, lächelt er über seine eigene Eitelkeit.

    Es ist kurz nach acht. Die Tür zur Wäscherei in der Höfestraße steht offen, weshalb die Klingel stumm bleibt. Ottavio Solari weicht einem hölzernen Waschzuber aus, der gut zwei Jahrhunderte alt sein muss, und sieht sich um. Auf dem Tresen stapeln sich Prospekte eines Goldakquisiteurs und Werbung für das Konzert einer Folkloreband. An einem Korkbrett hängen Zeichnungen von Ümits Zwillingstöchtern. Solari möchte seinen Leinenanzug und das anthrazitgraue Jackett abholen, es bedient gerade niemand die Kasse. Eine Weile betrachtet er die aneinandergereihten Stoffe in ihren Klarsichthüllen, wobei er überlegt, ob er nicht noch ein paar leichte Hemden kaufen sollte beim Herrenausstatter gegenüber dem Kino Astra. Wobei er zudem überlegt, wie der Herrenausstatter gegenüber dem Kino Astra neuerdings heißt.

    »Hallo? Ümit?«

    Eine junge Frau, die er hier bisher nie gesehen hat, schiebt den Kunstperlenvorhang zur Seite, raunzt etwas nach hinten, indem sie kurz den Kopf wendet, und kommt mit einem Waschbrett unter dem Arm aus dem Nebenraum. Nach einem Morgengruß schlendert sie hinter der Theke hervor, um das Waschbrett in den Zuber zu stellen.

    »Ist für das Schaufenster«, erklärt sie.

    »Das habe ich mir gedacht. Schöne Stücke. Wo haben Sie die denn gefunden?«

    »Weiß gar nicht genau. Mein Onkel hat sie aufgetrieben.«

    »Ach so. Ist er auch hier?«

    »Nein, er arbeitet heute nicht. Wie kann ich helfen?«

    Sie nimmt den Abholschein, den ihr Solari hinstreckt, und verschwindet zwischen den Kleiderbahnen. Die setzen sich in automatische Bewegung. Währenddessen begutachtet Solari den ausgelaugten Holzrat genauer. Die Fassreifen des Bottichs sind etwas rostig, versteht sich, aber sonst … Ümit hatte zwar stets ein gutes Auge auf den Flohmärkten, hier jedoch richtiges Glück: Solche Gegenstände findet man vor allem bei den Auktionshäusern im Netz, aufgrund der Abbildungen könnte man sich auch täuschen. Besser, der Besitzer der Wäscherei hätte ihn, seinen Nachbarn von der Antiquitätenhandlung, zusätzlich um Rat gefragt.

    »Der Anzug und dieses Jackett?«

    »Genau. Vielen Dank.«

    »Dann ist das okay. Danke auch und einen schönen Tag.«

    Seit Ümit vermehrt Scherereien mit Geschäftsleuten zu beklagen hat, die ihre Hemden nicht mehr abholen, wenn sie beinahe von einem Tag auf den anderen ins Ausland versetzt werden, gilt in der Wäscherei Vorausbezahlung. Auch für Solari, der sich gegen eine Ausnahme davon gewehrt hat.

    »Ihnen auch einen schönen Tag. – Sagen Sie, Sie arbeiten noch nicht lange hier, oder?«

    »Nein, das ist erst meine zweite Woche«, antwortet die junge Frau, bange, ob sie nicht irgendeinen dummen Fehler begangen hat.

    »Ich führe den Laden gleich nebenan und habe Sie noch nie gesehen, deshalb die Neugier. Richten Sie Ihrem Onkel einen Gruß von mir aus. Von Ottavio. Und sagen Sie ihm, dass ich doch eine Woche länger gebucht habe, so wie er es mir geraten hat. Nicht dass er sich Sorgen macht um mich.«

    Den Anzug und das Jackett über der Schulter fühlt Ottavio in der Hosentasche nach dem Schlüsselbund. Obschon er gestern Abend aufgeräumt, abgestaubt und die Bodenplatten gewischt hat und obschon an der Glastür neben der Wäscherei bereits das Schild hängt, das auf die Betriebsferien hinweist, betritt er nochmals das Ladenlokal der Antiquitäten- und Devotionalienhandlung Solari. Gründlich streift er seine Schuhe am borstigen Teppich ab, wozu kaum Notwendigkeit besteht, denn zwischen dem Mietshausausgang und den Geschäftseingängen misst der Weg nicht weit: nur die Breite der Einfahrt in den Innenhof plus diejenige der Fensterfront seines Ladens. Dennoch begutachtet er seine Sohlen, bevor er zum halbmannshohen Tresor geht, einem teakhölzernen Repräsentationsmöbel mit mehreren Stahlfächern, das mehr Wert hat als das meiste, was der Antiquitätenhändler je in ihm aufbewahrte. Bargeld bringt er nämlich ohne Verzug zur Kantonalbankfiliale um die Straßenecke. Nun steckt er einen Stift, klein und doppelbärtig, in die dafür gefertigte Öffnung, mit einem Dreh die Mechanik des Zahlenschlosses zu entriegeln.

    Ihre Jahrgänge reihen sich zur Kombination, doch beim Drehen des Rädchens denkt er nur mehr selten an die einstigen Liebschaften jenseits der Alpen. Er denkt nur mehr selten an die Briefnachrichten, selten an die Küsse, an den Reiz, selten an den Platz beim Fluss, seltener noch an all die verschuldeten Tränen. Sein Verhältnis zur Nostalgie ist gespalten: Einerseits verdankt er ihr aufseiten von Teilen der Kundschaft Teile seines Verdiensts, andererseits würde er letztlich gar nichts verdienen, verginge die Zeit nicht nach und nach. Ihr hinterherzutrauern, liegt ihm fern. Höchstens das Kurzzeitgedächtnis von vor manchen Jahren hätte er gerne zurück. Im Tresor lagern neben etwas Silberschmuck wichtige Geschäftsunterlagen wie die Inventarlisten. Ottavio Solari zweifelt, ob er die gestrige Lieferung eingetragen hat: ein gut erhaltenes Röhrenradio Marke Telefunken. Hat er? Er hat.

    Zeige- und Mittelfinger der linken Hand halten noch immer den Kleiderhaken, während er den Safe wieder schließt. Früher war das Nachführen der Inventarliste eine Selbstverständlichkeit, seit einigen Monaten, da er bloß noch vereinzelt Ankäufe tätigt, muss er sich wieder bewusst daran erinnern. Nicht mehr lange. Den Lagerraum im Untergeschoss, nur über eine steile Treppe zu erreichen, hat er nach der Hüftoperation frühzeitig an einen befreundeten Berufskollegen weitervermietet. Nächsten Sommer hört Solari ganz auf. Dann wird er fünfundsiebzig.

    Zwei Aufzüge fahren im Mietshaus. Ihre Kabinen bedrücken einen mit Enge, mit Schäbigkeit geradeso. Es riecht nach altem, kaltem Zigarettenrauch. Zuneigungsbekundungen ritzen und zeichnen die rostroten Wände. Jolanda, du geile Sau. Zuneigungsbekundungen, Flüche, die Kürzel der Quartierjugend und der rivalisierenden Fußballklubs, diverse Hakenkreuze, die wiederum wütend übermalt wurden. Solari hat die Knöpfe beider Aufzüge gedrückt. Insgeheim hofft er auf den linken, weil beim rechten der Boden leicht nachgibt, sobald man hineinschreitet. Das verunsichert ihn stärker, als er sich eingestehen will. Langsam schmerzen die Finger vom Draht des Kleiderhakens.

    Gemächlich brodelt der Kaffee durch das Steigrohr der Mokkakanne. Die Rosinen, die sich der Antiquitäten- und Devotionalienhändler in den Mund steckt, waren bis eben das Überbleibsel eines Geschenkkorbs, den er von einer Kundin erhalten hatte. Sie war überzeugt davon, ein galicisches Steinkreuz habe ihre Gicht gelindert. Solari hebt die Augenbrauen, wenn er daran denkt. Dass er Andachtsgegenstände verkauft, begründet sich nicht in seinem Wunderglauben, und dass das Steinkreuz aus der Nähe von Santiago stammt, war eine dürftig begründete Mutmaßung. Er hatte es auf dem Flohmarkt beim Schulhaus Buchenhof erworben.

    Der Duft. Unzweifelhaft brüht Solari den besten Espresso in seinem Bekanntenkreis, wovon er sich an diesem Morgen die zweite Tasse eingießt. Sie steht ohne Untersatz auf der Küchenablage. Über die Küchenablage hinweg schaut er aus dem frisch geputzten Fenster. Er mag die Aussicht vom dritten Stock auf die verkehrsberuhigte Mettlerstraße, besonders um diese Zeit, die den Gehsteig sachte belebt. Eine Parkbuße wird ausgesprochen, ein Kinderwagen gebremst, da Schuhe geschnürt werden müssen, der Platz unter dem Vordach des Bordells wird gefegt. Eine Häuserzeile weiter arbeiten die beiden Architektinnen und ihre Gehilfen bereits emsig; damit das auch alle bemerken, fehlen im Büro die Vorhänge. Eine Parkbuße mehr, zugleich rieselt Zucker in die Tasse, Zucker in die Tasse, Zucker in die Tasse.

    Viel zu viel Gerümpel, der Preis für die Ordnung in der Zweizimmerwohnung und nicht etwa Ausschussware des Geschäfts, füllt Ottavios Kellerabteil. Im schummrigen Verschlag stemmt dieser einen Liegestuhl gegen die eingerollte Gästematratze und angelt hinter den Blumenkisten nach seinem Koffer. Unter ziemlicher Anstrengung, aber behutsam zieht er ihn hervor, danach lässt er den Liegestuhl zurücksinken. Irgendwo rutschen einige Kartons noch tiefer in die Dunkelheit. Einerlei. Zufrieden rollt er den robusten Schalenkoffer auf den Korridor, wirft nochmals einen Blick auf das Durcheinander und verriegelt das Abteil.

    Im kargen Vorraum zu den Kellergängen, der im Atomkrieg vielleicht als Bunkerschleuse dienen würde, klebt ein grell orangefarbenes Band, das vor einer Videoüberwachung warnt, die es offensichtlich nicht gibt, also auch niemanden darin hemmt, seinen Sperrmüll hier zu deponieren. Kommt er daran vorbei, belustigt Solari dieses Band jedes Mal, und jedes Mal nimmt er sich vor, Hans, der den Hauswartsposten hält, darauf anzusprechen. Nachdenklich, weshalb er es nie getan hat, setzt er den Fuß auf die erste Stufe. Leider ist das Treppensteigen unvermeidbar, der Lift fährt nur bis ins erste Untergeschoss, der Keller liegt noch tiefer. Aber Solari hat ja keine Eile. Er greift nach dem Handlauf, wie es die Unfallversicherung auf sämtlichen Plakatwänden der Stadt empfiehlt.

    Nachdem er den Absatz vor dem nächsten Treppenlauf erreicht hat, hält er kurz inne neben einer Metallklappe im Beton, die sich kraft zweier grober Hebel öffnen lässt. Es ist die Einstiegsluke in einen schmalen Fluchttunnel aus den Rettungsräumen. Die zuständige Einheit der Zivilschutzorganisation hat den Durchgang seit Ewigkeiten nicht mehr kontrolliert, geschweige denn vom Unrat gesäubert, weil die ganze Anlage längst keine Rolle mehr spielt in den Szenarien der Katastrophendienste. Und Hans Segmüller, den Ottavio vor dem Abflug heute Nachmittag wohl gar nicht mehr sieht und wegen der Videoüberwachung ärgern kann, Hans Segmüller also halst sich ohnehin zu viel Arbeit auf, als dass er sich auch noch um die Luke kümmern wollte. Ein sicheres Versteck. Für drei Wochen sicher. Der Antiquitätenhändler widersteht seinem Kontrolltrieb und trägt den Koffer hoch zur Kellertür.

    Um einem Zweig etwas Wohlgeruch abzugewinnen, reibt er ihn zwischen den Fingerbeeren. Topferde und ätherische Öle. Den Salbei und den Thymian hat er vorhin auf die Küchenablage ans Licht gestellt; den Rosmarinstrauch, er leidet besonders unter etwaiger Nässe, holt Solari soeben vom bescheidenen Balkon ins Wohnzimmer. Nicht dass er für seinen pollo arrosto, den er in der Nebelzeit häufiger als sonst zuzubereiten pflegt, auf Beutelgewürze zurückgreifen muss. Hans hat ihm ungeachtet der vielen Arbeit versprochen, die Zimmerpflanzen zu wässern und die Kräuter im Auge zu behalten. Mit ihm verbindet ihn nicht allein die Tatsache, dass er auf derselben Etage wohnt, sondern eine Freundschaft, die sich im Laufe der Jahre abgekühlt hat, doch immer noch für gute Worte und Dienste bürgt.

    Lediglich drei Querstraßen vom Hotel entfernt leuchteten damals Neonschleifen den verheißungsvollen Namen einer Bar in den Abend. Weil Hans die süßen Mischgetränke und den Zuckerrohrschnaps in der Urlaubswoche zuvor nur anstandshalber gekostet hatte, bestellten sie amerikanisches Bier. Endlich konnte auch er sich entspannen, man sah es ihm an. In Rio fürchtete er andauernd, überfallen oder wenigstens überlistet zu werden, dieses Städtchen im Hinterland hingegen behagte ihm, und wiewohl er – eine Frage des Berufsethos – noch weit mehr auf Reinlichkeit hielt als Ottavio, behagten ihm auch die abgewetzten, fleckigen Sessel. Die beiden versuchten, sich die Orte in Erinnerung zu rufen, die sie an jenem Tag mit dem Mietwagen durchquert hatten. Die Aussprache des brasilianischen Portugiesisch bereitete Hans dabei insofern keine Mühe, als er sich keine Mühe gab, es fehlerfrei auszusprechen.

    Ottavio Solari hatte seinen zurückhaltenden Nachbarn, der auf die vierzig zuging, gedrängt, sich endlich wieder einmal ausgiebig zu erholen und mit ihm nach Brasilien zu reisen. Das würde ihm guttun, Kultur und Sonne. Leute kennenzulernen, Feste zu feiern. Nach der Lektüre eines dicken Katalogs erklärte sich Hans einverstanden. Allerdings löste sich seine Klammheit nicht einfach mit Ferienbeginn und Ottavio begann ernsthaft, die meisten von Hans' Eigenarten als unweigerliche Folge seines Aussehens zu deuten. Er macht es bis heute. Denn auch wenn es ihm leid tut: Hans ist nun mal hässlich geblieben. Nicht nur wegen der Lippenspaltennarbe oder dem Schnauzbart, der sie zu kaschieren versucht.

    Wie er nach der dritten Flasche Bier vom Pissoir in die Bar zurückkehrte, wunderte sich Solari umso mehr. Hans unterhielt sich angeregt mit der Bardame über Volleyball. Sein Englisch klang täuschend ähnlich wie seine paar Brocken Portugiesisch oder sein Schweizerdeutsch, aber er kannte einige Spieler und wusste, dass die Nationalmannschaft Brasiliens seit siebenundsechzig ausnahmslos alle Südamerikameisterschaften gewonnen hatte, zumindest bei den Herren. Lívia offerierte eine Runde.

    Den Sommer darauf flog Ottavio wieder alleine in den Urlaub. Hans umsorgte zu Hause seine Frau und seinen neugeborenen Sohn Gilberto, dessen Namen er perfekt aussprechen konnte.

    Auch dieses Jahr wird Ottavio alleine reisen. Er bestimmt aus dem Bücherregal die Zerstreuung für den Flug und engt sie in den kleinen Rucksack, den er nun der Auslegeordnung auf dem Bett beifügt, über den Toilettenartikeln und der Wäsche. Damit sie möglichst wenig Platz einnehmen, hat er die Stöße der gebügelten Unterhosen und -hemden abermals gebügelt. Auf dem Kopfkissen schichten sich die Oberhemden. Den Plan, neue zu kaufen, hat er verworfen, dafür ist ihm der Name des Herrenausstatters inzwischen eingefallen: Mercier. Die einzige Jeans, die er besitzt, liegt bereits im Koffer, die luftige Baumwollhose ebenfalls. Der Anzug und das Jackett verhängen im Türflügel des Schranks den Spiegel. Ehe Solari sie nach der Weise, wie er es im Militärdienst erlernte, zusammenschlägt, sollte er noch eine Krawatte auswählen. Besser zwei. Sorgfältig kämmt er seine Sammlung durch, wägt die Anlässe ab, die eine Krawatte erfordern, diejenigen, die eine Krawatte erlauben. Am besten also drei oder vier. Das Ultramarin der seidenen, die er sich zum Siebzigsten leistete, könnte zum Leinenanzug passen, Seide und Leinen, Leinen und Seide, puh …

    Da fällt dem Antiquitätenhändler ein, dass ihn auch Anlässe erwarten, die eine Badehose erfordern. Das Landhaus außerhalb von Belo Horizonte verfügt schließlich über ein Schwimmbecken. Er ärgert sich. Neue Hemden nicht zwingend, fraglos jedoch hätte er eine neue Badehose auftreiben sollen. Jetzt bleibt nicht mehr genug Zeit dafür. Er kennt seine Schwankheit, sieht voraus, dass die Entscheidung für ein passendes Modell erst nach wiederholtem Meinungswechsel fiele. Die Zugfahrt zum Flughafen aber will er auf keinen Fall zu spät antreten, weshalb die sonnenbleiche Speedo noch einmal zu Ehren kommt. Aus der Küche schleppt er einen Schemel herbei, um an das oberste Brett des Wandschranks zu gelangen, wo die Badeutensilien weggepackt sind. Eigentlich mutet er seinen nackten Bauch der Öffentlichkeit nur noch ungern zu; dem heißen Sommer zum Trotz schwamm er nicht ein einziges Mal im See. Doch das abgeschiedene Landhaus bewirkt eine andere Sachlage. Eine gänzlich andere Sachlage. Ob das Strandtuch überhaupt in den Koffer passt? Braucht er überhaupt eines? Wer einen Pool hat, hat

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